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Der neue Vorstand stellt sich vor… I N T E R V I E W Fragen an Heinrich Schafmeister

INTERVIEW

Heinrich Schafmeister

Heinrich Schafmeister

© Kornelia Boje

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Der neue Vorstand stellt sich vor…

Fragen an Heinrich Schafmeister

Heinrich Schafmeister ist seit der Gründung des BFFS 2006 voller Tatkraft und mit viel Herzblut als Vorstandsmitglied tätig und hat mit enormem Einsatz und Durchhaltevermögen eine ganze Reihe positiver Veränderungen bewirken können.

Julia Rahmann: Lieber Heinrich, du bist Vorstandsmitglied seit der ersten Stunde. Wie ist es dazu gekommen?

Heinrich Schafmeister: Mein Kumpel Michael Brandner hatte damals die Idee, endlich eine sichtbare und wirksame Interessenvertretung für uns Schauspielerinnen und Schauspieler ins Leben zu rufen. Denn die gab es bis dahin hierzulande nicht. Und weil Michael wusste, dass ich als Sohn eines hohen Richters der Sozialgerichtsbarkeit etwas mehr Ahnung vom Sozialversicherungsrecht hatte als andere Schauspielkolleginnen und -kollegen – also von den Dingen, die uns so viel Probleme bereiten –, wollte Michael mich unbedingt im Vorstand dabei haben.

Ich fand seine Idee eines Schauspielverbands zwar gut, hielt die Umsetzung aber für völlig utopisch: „Es ist doch schon fast unmöglich, dass sich mehrere von uns nach einer Vorstellung, nach einem Drehtag auf eine Kneipe verständigen. Wie willst Du um Himmelswillen für die Vereinsgründung mindestens sieben Schauspieler zum Notar lotsen?“ Michael ließ sich von meiner Skepsis nicht bremsen. „Ich schaff das, wollen wir wetten?“ hielt er dagegen. Er ging in die Kneipen, verabredete sich dort mit sieben Schauspielern, die alle mit ihm am nächsten Morgen beim Notar erschienen und die nötigen Papiere unterschrieben. Der BFFS war gegründet. Michael hatte die Wette gegen mich gewonnen, schlug mich für den Vorstand vor, ich wurde gewählt … jetzt bin ich seit 13 Jahren im Vorstand und habe noch so manch andere Wette gegen Michael verloren.

Dass in so kurzer Zeit so viele Schauspielerinnen und Schauspieler trotz ihres ausgeprägten Sinns für Individualität unserem Verband beitreten und ihn zur größten Schauspielvertretung machen würden, dass der Verband sich sogar zur Schauspielgewerkschaft mausern würde, dass er inzwischen so viel bewirken konnte – all das hätte ich anfangs nie für möglich gehalten.

Welche Ressorts gehören zu deinen Schwerpunktthemen? Für welche Aufgabenfelder bist du zuständig?

Heinrich: Seit Gründung des Verbandes habe ich das Amt des Schatzmeisters inne. Meine beiden anderen Ressorts sind, mich politisch um den sozialen Schutz und die tarifliche Situation unserer Leute zu kümmern.

Der soziale Schutz umfasst alle Themen rund um die Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, der betrieblichen Altersversorgung durch die Pensionskasse Rundfunk und die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen. Als kurz befristet Beschäftigte sind wir Schauspielerinnen und Schauspieler vor allem bei der gesetzlichen Sozialversicherung benachteiligt. Erfolge auf diesem Gebiet erfordern einen langen Atem – sind aber möglich. So hat ganz wesentlich unser Bundesverband Schauspiel dazu beigetragen, dass für unsereins ab Anfang 2020 der Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 erheblich erleichtert wird. Unser Verband hat auch unsere betriebliche Altersvorsorge abgesichert und voran gebracht. Unser Vertrag zur sogenannten „Limburger Lösung“ gewährleistet Beitragszahlungen für alle von uns, wenn wir direkt oder indirekt für öffentlich-rechtliche Sender arbeiten und Mitglied in der Pensionskasse Rundfunk sind.

Aber auch wirtschaftlich drückt der Schuh. Vor ca. 10 Jahren gab es starke Bestrebungen, unsere Drehtagsgagen auf ca. 300 Euro runter zu drücken. In der Filmund Fernsehbranche gab es für uns bis dahin keinerlei verbindliche Gagen-Untergrenzen. Unsere Mitglieder waren aufgebracht, forderten den BFFS auf, Gewerkschaft zu werden und einen Tarifvertrag durchzusetzen, der diesem Gagendumping entgegenwirkt. Im Vorstand wurde ich mit dieser Aufgabe betraut. Auf dem Weg zum Erfolg mussten wir hohe Hürden meistern: Die Produzentenseite und ver.di, die bis dahin die einzigen Tarifparteien darstellten, mussten unseren BFFS als Verhandlungspartner akzeptiert. Das gelang. Wir forderten statt einer Mindestgage eine Einstiegsgage, die nur für Berufseinsteiger gilt, während ältere, berufserfahrene, namhafte Kolleginnen und Kollegen mehr beanspruchen können. Der Durchbruch glückte nach einem Arbeitskampf, an dem sich die Kolleginnen und Kollegen von 14 Produktionen beteiligt hatten. Am Ende hatten wir nicht nur den ersten Schauspieltarifvertrag mit einer Einstiegsgage, die weit über dem Schreckensszenario von 300 Euro lag, und weiterhin steigt. Der BFFS hatte zusammen mit ver.di auch einen Kinoerlösbeteiligungstarifvertrag durchgesetzt, der für Folgevergütungen sorgt, wenn Kinofilme in die wirtschaftliche Erfolgszone geraten. Daneben hatte der BFFS eine entsprechende Erfolgsbeteiligung auch mit ProSieben- Sat.1 ausgehandelt. Dass wir sowas nun zugunsten der Synchronkolleginnen und -kollegen gerade mit den Verleihern Constantin Film und Studiocanal hinbekommen haben, ist ein weiterer großer Erfolg.

Das sind deine Lieblingsthemen?

Heinrich: „Lieblingsthemen“ ist vielleicht das falsche Wort, aber natürlich erfüllt mich mit Freude, dass wir die soziale und wirtschaftliche Situation unserer Kolleginnen und Kollegen erleichtern konnten.

Um die Kehrseite der Medaille zu betrachten, welche Aufgaben als Vorstandsmitglied gefallen dir nicht so gut? Auf was würdest du gern verzichten?

Heinrich: Nun ja, als Schatzmeister eines Verbandes macht man sich keine Freunde. Einerseits gehört es zu meinen Aufgaben, angesichts der relativ geringen Mitgliedsbeiträge die finanziellen Mittel für durchaus wünschenswerte Projekte, die unsere Mitglieder anregen, kurz zu halten. Andererseits muss ich mit Rücksicht auf die Erfüllung notwendiger Aufgaben immer wieder diejenigen Mitglieder enttäuschen, die sich eine Verringerung der Mitgliedsbeiträge wünschen. Dieser Spagat macht keinen Spaß.

Bei der letzten Mitgliederversammlung gab es einen Antrag, unsere Mitgliedsbeiträge denen der anderen vergleichbaren Gewerkschaften anzupassen. Als Schatzmeister war ich dafür. Denn das hätte eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge bedeutet. Wir hätten manche Projektwünsche unserer Mitglieder besser finanzieren können. Aber nicht nur die Mitgliederversammlung war gegen diesen Antrag, auch meine Vorstandskollegen sehen eine höhere Belastung der Mitglieder kritisch. Ich werde es verschmerzen. Ich sehe ja tagtäglich, wie unsere Mitglieder bangen, ob sie genügend verdienen werden, ob sie sich im Beruf halten können. Da tut einem jeder Euro mehr für Mitgliedsbeiträge weh und man wünscht sich trotzdem, dass der BFFS an allen Fronten gleichzeitig kämpft. Das ist ein verständlicher, aber unauflösbarer Widerspruch, den ein Schatzmeister aushalten muss.

Vor kurzem warst du in Hamburg und hast mit Privattheaterleitern verhandelt. Wie sieht der aktuelle Stand aus?

Heinrich: Wir streben an, mit bestimmten Privattheatern Haustarifverträge abzuschließen. Viele unserer Mitglieder arbeiten in dem Bereich, in dem es für gastierende Schauspielerinnen und Schauspieler keine verbindlichen Gagen-Untergrenzen gibt. Privattheater zu betreiben, ist sicher viel schwieriger als öffentlich-rechtlich finanzierte Stadt-, Landes- und Staatstheater. Trotzdem, auch dort müssen Schauspielerinnen und Schauspieler von ihrer Arbeit leben können – und zwar oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Darum verhandeln wir auch dort um eine Einstiegsgage, die einerseits für Berufseinsteiger die Gagen-Untergrenze je Vorstellung bildet, andererseits multipliziert mit der Anzahl der Vorstellungen eine Gesamtvergütung ergibt, die der Dauer des Engagements gerecht wird. Wir stehen noch am Anfang der Verhandlungen, die zurzeit aber in angenehmer, konstruktiver Atmosphäre verlaufen.

Welche weiteren akuten Ziele verfolgt der BFFS?

Heinrich: Aufgrund zweier Urteile des Bundessozialgerichts werden seit Neustem viele Kolleginnen und Kollegen, aber auch Teammitglieder bei Dreharbeiten anders, nämlich „unständig“ abgerechnet. Das hat – kurz gesagt – zur Folge, dass die Sozialabgaben und indirekt auch die Steuerlast deutlich höher ausfallen. Verzweifelte Mitglieder schicken uns Abrechnungen, die belegen, dass netto kaum noch etwas übrig bleibt. Und davon müssen sie meist noch die Agenturprovision bezahlen. Die höheren Sozialabgaben verbessern zwar die Rente, aber nicht unseren Anspruch auf Arbeitslosengeld. Im Gegenteil, gerade jetzt, da wir durch den Einsatz unseres Verbandes für uns viel bessere Chancen auf Arbeitslosengeld erwarten dürfen, verhindert die unständige Abrechnungspraxis bei Dreharbeiten die nötigen Beiträge und Anwartschaftszeiten für die Arbeitslosenversicherung.

Wir werden nun unser neues Online-Verfahren nutzen, das uns die Satzung bietet. Wir wollen von unseren Mitgliedern wissen, inwieweit sie Handlungsbedarf sehen. Je stärker dieses Votum ausfällt, desto mehr Rückhalt hat der Verband, die Politik aufzufordern, gesetzgeberische Lösungen zu finden.

Die vom Bundesverband Schauspiel gegründete Deutsche Schauspielkasse wird jetzt fünf Jahre alt und beginnt nun mit der Verteilung zusätzlicher Vergütung für erfolgreiche Kinofilme. Wie ist die Idee entstanden, diese zu gründen, und wie sieht ihr Konzept aus?

Heinrich: Bei unseren Verhandlungen um Folgevergütungen standen wir damals vor zwei Herausforderungen:

Wir mussten erstens bei den Kinoproduzenten und bei ProSiebenSat.1 durchsetzen, zusätzliche Geldsummen für die Kreativen zur Verfügung zu stellen, wenn Filme wirtschaftlich erfolgreichen werden.

Und wir mussten zweitens eine Institution finden, die nach den vertraglich bestimmten Verteilungsschemata ausrechnet, welcher Kreative welchen Anteil von der Gesamtsumme bekommt, und anschließend die Vertei-

lung organisiert. Gerade in unserem Fall bekommt nie nur eine Person, sondern immer eine Gruppe von durchschnittlich 30 Schauspielerinnen und Schauspielern Folgevergütungen. Eine Aufteilung der Gesamtsumme je nach Rollengröße und die differenzierte Zuteilung an viele Berechtigte ist die Regel und erfordert eine darauf spezialisierte Verteilstelle. Diese Verteilaufgabe – das war von Anfang klar – können bzw. wollen Produzenten, Sender oder Verleiher nicht selbst übernehmen, weil sie dafür zusätzliches Personal anstellen müssten. Der scheinbar naheliegende Gedanke, Verwertungsgesellschaften könnten einspringen, zerschlug sich auch. Teils, weil sie nicht wollten, teils weil sie nicht konnten.

Darum sah ich damals nur die Möglichkeit, eine verbandseigene Verteilstelle zu schaffen – unsere deska Deutsche Schauspielkasse. Und weil ich sie gegründet habe, arbeite ich auch bis heute ehrenamtlich als einer der beiden Geschäftsführer neben Bernhard Störkmann. Die deska hat in den vergangenen Jahren bereits ca. 5 Millionen Euro an Kolleginnen und Kollegen verteilt. Mit der gerade angelaufenen Kinoerlösbeteiligung und der anstehenden Verteilung an Synchronschauspielerinnen und -schauspieler werden noch zig Millionen dazu kommen. Alles Zuteilungen, die ohne die deska nicht möglich gewesen wären.

Bleibt bei all deinem Engagement für den BFFS noch genug Zeit für die Schauspielerei?

Heinrich: Ehrlich gesagt habe ich während der letzten 13 Jahre so manche Möglichkeiten, Theater zu spielen oder zu drehen, nicht ergriffen, weil sie mit meiner Vorstandsarbeit zeitlich oder kräftemäßig nicht vereinbar waren.

Warum bist du Schauspieler geworden und was bedeutet es für dich Schauspieler zu sein?

Heinrich: Was es bedeutet? Etwas Urlaub von der Vorstandsarbeit zu haben! … Aber im Ernst: Ich habe schon sehr früh Musik gemacht – in Rockbands, als Straßenmusiker, später in einer Rocktheaterband, namens „Kamikaze Orkester“. Dann stand ich vor der Frage: Soll ich Musik oder Schauspiel studieren? Von Musik verstand ich viel mehr und rechnete mir keine Chancen aus, mich auf Dauer damit durchschlagen zu können. Also studierte ich Schauspiel an der Folkwang Hochschule. Wäre mir klar gewesen, auf was ich mich mit dem Schauspielberuf alles einlasse, hätte ich – so wie ich mich damals einschätze – auch davon die Finger gelassen. Zum Glück wusste ich es nicht. Denn ich bin jetzt seit 35 Jahren Schauspieler und empfinde es immer noch als ein einmaliges Privileg, das Leben nicht nur leben, sondern auch spielen zu dürfen.

Was möchtest du deinen Schauspielkolleginnen und Schauspielkollegen mit auf ihren Weg geben? Und welchen Rat hast du für jüngere Schauspielerinnen und Schauspieler?

Heinrich: Der Weg ist das Ziel – klar! Aber der Weg ist meist ein Umweg. Manchmal führt der Weg durch den Keller zur Dachterrasse. Du beißt Dir an Diesem die Zähne aus, und wirst von Jenem unverhofft mit Köstlichkeiten überschüttet. Du machst vermeintlich alles richtig, hältst Dich an jeden Wegweiser. Trotzdem fliegst Du aus der Kurve, überschlägst Dich, hast nichts mehr im Griff. Dann landest Du plötzlich weich und stellst fest: Das war eine ideale Abkürzung. Welchen Rat soll ich bei dieser Achterbahnfahrt unseres Berufes mit auf den Weg geben? Vielleicht den: Sorgt für Bodenhaftung. Haltet Euch an Menschen, an Landschaften, an Musik, Bücher, Gerüchen, an wer weiß was für Liebschaften, die Euch immer wieder auf den Boden zurückholen. Mit Bodenhaftung ist unser Beruf nicht nur überlebbar, er macht auch richtig Spaß.

Vielen lieben Dank für das interessante Gespräch, lieber Heinrich.

Julia Rahmann