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In der Geschenkpapierfabrik

Der Fabrikationsbereich in Wolhusen LU. Rechts: Kindgerechtes Geschenkpapier ist heute ein eigenes Segment. Früher mussten alle Sujets allen passen.

Langsam lässt Maya Peer den Pinsel über das Papier gleiten, neigt den Kopf und betrachtet die geschwungene Bahn in Hellblau, die entstanden ist. Dann legt sie die Skizze zur Seite, eine erste Annäherung an einen Entwurf. Auf einem neuen Bogen – dem sechsten in einer halben Stunde – beginnt sie neue Wellenlinien zu malen. Peer ist Textildesignerin und eine der vier Frauen, die für die Geschenkpapierfabrik Stewo in Wolhusen LU Designs entwerfen. Jährlich kreieren die Frauen 160 Sujets. Kure, Chilly oder Oreste heissen die Muster und zieren Papierbahnen, tüten und säcklein sowie Geschenkboxen und Servietten. Die Stewo ist die einzige Geschenkpapierfabrik der Schweiz und beliefert auch die Migros.

Die Sujets liegen in der Luft Alles beginnt mit Inspiration. Maya Peer und ihre Designkolleginnen erschnuppern quasi, was so in der Luft liegt. «Wir recherchieren Strömungen und besuchen Messen», erklärt Peer, «blättern uns durch zahlreiche Magazine, sammeln Material zu Schriften, Farben und Mustern.» Jeder Spaziergang oder Ladenbesuch könne einen Input geben. Alle gesammelten Ideen landen in Form von Postkarten, Zeitungsausschnitten, Notizen, Fotos, Farbmustern oder Comicszenen an der Inspirationswand des Ateliers. Dort verdichten sie sich zu ThemenMoodboards, dienen als Ausgangslage für Skizzen, die das Designteam malt, stempelt, zeichnet oder klebt und dann einscannt, um sie am Computer weiterzuentwickeln. Während sich Maya Peer schon über erste Entwürfe für Frühling und Sommer 2024 beugt, warten in der Halle nebenan in Reih und Glied riesige weisse Rugel, die wie eingeschweisste Heurollen aussehen. Es sind 500KiloRollen Papier, und mit ihnen wird jetzt die gut 30 Meter lange Druckmaschine gefüttert. Das Ungetüm rattert los, trägt im Tiefdruckverfahren sechs Schichten Farbe auf und spuckt am anderen Ende ein nobles, weihnächtlich dunkelblaues Papier aus, übersät mit einschlägigen Sujets wie Rentieren, Bäumchen und bärtigen Gesichtern. Dieses wird als Nächstes in handelsübliche Rollen geschnitten, eingeschweisst und eingelagert, denn es ist die erste Charge Geschenkpapier für den Herbst 2023.

Bereits warten in der Lagerhalle Hunderte von Paletten fertiges Papier auf die Konfektionierung. Die Qualität reicht vom gstabigen dicken Material bis zu hauchdünnem Seidenpapier. Darauf tummeln sich grüne Tintenfische, rosa Rosen, abstrakte Löwen, Pralinen mit Beinen, hellblaue Planeten, rote Nasen oder goldige Rentiere. Dazwischen klassische und stilisierte Blumenmuster, alle Kugeln und Sterne zu Weihnachten sowie Karos, Punkte, Wölkchen, Regenbögen und Streifen in zahlreichen Varianten. Eines der Papiere ist über und über mit einer Bauernhofszenerie bedeckt und ginge glatt als Wimmelbild durch.

Die Muster sind über Jahrzehnte zahlreicher und raffinierter geworden: Metallisiertes Material brachte die Stewo 1984 als eine der Ersten auf den Markt, heute ist es nicht mehr von Weihnachten wegzudenken. Das kindergerechte Papier ist auch eine Die Verpackung: Ein Minenfeld?

Schon vor 2000 Jahren soll man in China Gaben in Papier gewickelt haben, erklärt Ueli Mäder, emeritierter Soziologe der Uni Basel. War es in Europa zunächst eine dem Bürgertum vorbehaltene Gepflogenheit, begann das einfache Volk ab dem 19. Jahrhundert auch, Geschenke zu verhüllen – zunächst mit Kartonschachteln, später dann mit Packpapier.

Unverpackte Geschenke mögen etwas lieblos wirken, sagt der Soziologe, «aber vielleicht steckt heute auch ökologische Sensibilität dahinter». Mäder rät davon ab, das Geschenk im Laden einpacken zu lassen: Wer selber einpackt und verziert, unterstreicht das Persönliche am Schenken. Zugleich warnt er: Schlampige oder billige Verpackungen drücken geringe Wertschätzung für den Beschenkten aus.

Schönes Papier wertet ein Geschenk auf, keine Frage, und es erhöht die Spannung beim Beschenkten. Vorsicht vor Mogelpackungen sei aber geboten: Kulturwissenschaftler Mischa Gallati von der Uni Zürich erklärt deshalb die Wichtigkeit der Kongruenz: Ein mickriges Geschenk in üppiger Verpackung kann die oder den Beschenkte/-n enttäuschen, während etwas Pompöses in einer billigen Verpackung aussagt: «Ich mag dich nicht besonders.»

Hallenhohe Gestelle mit Hunderten von schweren Papierrollen im Stewo-Lager

Erfindung der neueren Zeit. Gut die Hälfte des Sortiments wird jedes Jahr ausgetauscht, bislang 7500 Farbrezepte hat man entwickelt und 3500 Druckzylinder angefertigt, die im Keller lagern. Es ist die Schatzkammer der Fabrik, ein Zylinder ist rund 1000 Franken wert.

Das Papier, das die Fabrik jedes Jahr verlässt, würde fast die ganze Welt umspannen: 32 Millionen Meter. Dass es trotz Papier- und Holzmangel so viel ist, sei nur dank vorausschauender Planung möglich, erklärt Marketing- und Kommunikationsleiter Manuel Vonesch: «Allerdings sind die Preise und Lieferfristen seit dem letzten Winter massiv gestiegen.» Dem Verkauf hingegen tut die Wirtschaftskrise keinen Abbruch, eingetütet und geschenkt wird offenbar immer gern. Neuerdings freut sich die Kundschaft über nachhaltige Produkte wie rezyklierte Materialien oder Graspapier: Letzteres ist etwas dicker, weicher und off-white statt schneeweiss.

Warum man Geschenke in buntes, glitzerndes Material hüllt, weiss bei der Stewo niemand so genau. Das erste farbige Geschenkpapier soll 1917 in den USA verwendet worden sein, zuvor wurden Gaben in schlichtes Packpapier oder sogar Zeitungen gewickelt. Bei der Stewo rollten 1934 die ersten Kollektionen von der Maschine. Ein hoch emotionales Produkt, da sind sich alle einig. Maya Peer erklärt: «Wir haben stets im Hinterkopf, wer das Papier am Ende für wen kaufen wird.»

Dinos und Erdbeeren liefen gut Etwa ein Drittel ihrer Produkte liefert die Wolhuser Fabrik in der Schweiz aus, ein weiteres nach Deutschland. Auch in fernen Ländern ist man bereit, Geschenke in dieses verhältnismässig teure Papier zu hüllen, zumal das Label «Swiss made» durchaus Eindruck schinden kann. In die USA und nach Australien gehen eher bunte, tendenziell kitschige Sujets, im arabischen und asiatischen Raum zieht alles, was glänzt und etwas verschnörkelt daherkommt, Skandinavien bestellt schlichte Muster sowie dezente Farben und setzt Trends, die später auch zu uns kommen. Was dereinst aus Maya Peers Wellenlinien wird, ist noch ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis. Die Entwürfe sind erst für 2024 und müssen noch verschiedene Prozesse durchlaufen, bevor sie in irgendeiner Form gedruckt werden. Aus allen Ideen werden sich die vier Designerinnen auf eine Auswahl einigen und diese einem internen Gremium aus Produktmanagement und Vertriebsleuten präsentieren. Dann wird noch einmal diskutiert. «Dinosaurier waren einst ein Auftrag», erzählt Maya Peer, «wir Designerinnen waren nicht begeistert, aber am Ende lief das Papier sehr gut.» Andererseits hat das Designteam zum Beispiel Erdbeeren durchgeboxt, worüber jetzt alle glücklich sind.

Die neuen Sujets werden im Frühling besprochen. Also dann, wenn in der Druckerei gerade die letzten Tannenbäumchen, Sterne und Rentiere für Weihnachten 2023 aufs Papier kommen. MM

Wir haben stets im Hinterkopf, wer das Papier am Ende für wen kaufen wird.»

Maya Peer Designerin bei der Stewo AG

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