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Das grosse Bier-Interview

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1, 2 oder 3?

1, 2 oder 3?

Alles, was du über Bier wissen solltest

NEU IN DER MIGROS

NON Alkoholfreies Bier, 33cl Fr.1.20 6×33cl Fr.6.95

Die Einführung des ersten Migros-Biers «Non» wirft Fragen auf. Bier-Sommelier Christian Jauslin und Braumeister Richard Reinart kennen die Antworten.

Warum schäumt Bier eigentlich?

Richard Reinart: Bier enthält durch die Gärung Kohlensäure. Diese steigt in Form von Bläschen auf, sobald der Druck beim Öffnen der Flasche abfällt. Auf dem Weg nach oben im Glas nehmen sie Eiweisse mit und stabilisieren sich als Schaum.

Christian Jauslin: Hier spielt auch die Sauberkeit im Bierglas eine Rolle. Reinart: Richtig. Schaum mag kein Fett, sei das durch Lippenstift oder wenn man ein Schnitzel dazu isst. Wir kennen das alle: Das zweite Bier im selben Glas macht keine so schöne Schaumkrone mehr. Hat eine Schaumkrone nur «schön» zu sein oder erfüllt sie einen Zweck? Reinart: Wie das Wort «Krone» verdeutlicht, geht es hier vor allem um eine Ästhetik, die zum Bier gehört. Da gibt es allerdings kulturelle Unterschiede. In Belgien etwa wird der Schaum weggestrichen. Jauslin: Ich glaube, für die Bitterstoffe ist der Schaum auch noch wichtig, oder? Reinart: In der Tat. Die Alphasäure des Hopfens, die den Schaum stabilisiert, macht das Bier bitter. Der Schaum ist somit bitterer als das Getränk, wo die Alphasäure verdünnt ist. Aber eben, letztlich trinkt man ja das Bier und nicht den Schaum. Bier ist nichts anderes als vergärte Stärke. Kann man Bier aus allem machen, das Stärke enthält? Reinart: Theoretisch ja. Wir brauchen aber die Enzyme im Braugerstenmalz, um diese Stärke erst in vergärbaren Zucker umzuwandeln. Man kann auch aus Kartoffeln oder Reis Bier machen. Beim Mais müsste man Cornflakes verwenden, da im ganzen Maiskorn der Fettgehalt zu hoch ist.

Bei solchen «Exoten» ist aber immer ein Teil Gerstenmalz oder Braugetreide dabei, um diese wichtigen Enzyme dabeizuhaben.

Habt ihr solche Exoten schon probiert? Reinart: Ich habe in Mexiko einmal ein Chili-Bier probiert. Das war so scharf, dass man im Anschluss etwas zu trinken brauchte (lacht). Bei aller Begeisterung für Exotisches: Bier sollte für mich vor allem Genuss sein. Während meiner Ausbildung kam ich mit Sauerbieren in Kontakt. Das widerstrebt einem Braumeister zunächst, denn wir versuchen ja immer, etwas mikrobiologisch Reines herzustellen. Aber da ging ein neues Universum für mich auf. Das «Duchesse de Bourgogne» zum Beispiel schmeckt nach Balsamicoessig. Eine tolle, neue Erfahrung. Jauslin: Wir haben einmal versucht, etwas zu finden, aus dem noch niemand Bier gemacht hat. Das ist inzwischen wirklich schwierig. Von Marshmallows über Rinderhoden bis zu Gurken – das will man nicht alles trinken, aber ich habe schon Hervorragendes entdeckt, zum Beispiel ein Curry-Stout (Stout ist ein Dunkelbier mit fester Schaumkrone wie zum Beispiel Guinness aus Irland, Anm. d. Red.). Klingt grausam, ist aber grossartig. Eine kleine Brauerei aus Burgdorf macht Tannenbaumbier. Das schmeckt schön nach Wald.

Welches Essen passt zu Bier? Jauslin: Es gibt hier zwei Strategien: Verstärken oder Kontrast. Ich persönlich mag Ersteres. Dunkelbier und Tomaten. Beides hat Umami. Oder Stout mit mexikanischem Essen. Reinart: Ich bin selbst Jäger und mag zu Wild gern etwas stärkere Biere. Also Rehrücken mit selbst gesammelten Pilzen, Rotkraut, hausgemachten Spätzli und dazu ein schönes Weizen-Doppelbock. Nachher Schokolade zum Dessert, begleitet von einem noch stärkeren Weizen-Eisbock.

Wovon sollte man die Finger lassen mit Bier? Reinart: Schweres Essen mit leichtem Bier passt in meinen Augen nicht, ebenso wenig wie umgekehrt. Wie in einer guten Partnerschaft sollten die beiden einander bereichern und den einzelnen besser machen. Das ist dann perfektes Food-Pairing. Wie verträgt sich Bier mit Wein und Hochprozentigem? Reinart: Zu den Kombinationen gibt es etliche Theorien, die wissenschaftlich aber nicht bestätigt sind. Wein auf Bier, Bier auf Wein und was es da alles gibt. Ich habe unterschiedliche Erfahrungen gemacht und lasse Wein lieber sein. Ich trinke höchstens einmal einen guten Whisky. Ein wunderbares Produkt, das ja auch aus Malz hergestellt wird. Jauslin: Die vorher erwähnten Sauerbiere, die in Belgien populär sind, eignen sich sehr gut als Apéro-Getränk und Weisswein-Ersatz. Man kann zu verschiedenen Gängen Weine und Biere abwechseln …

RICHARD REINART (46) kam in Deutschland zur Welt und lernte Brauer und Mälzer bei der Bitburger Braugruppe. Später studierte er Brauwesen in Berlin. Heute ist er technischer Direktor bei der St.Galler Brauerei Schützengarten, die für die Migros das alkoholfreie Bier «Non» herstellt.

… wenn man weiss, was man tut. Jauslin: Das findet man heraus, je mehr man ausprobiert. In Norditalien wird Bier übrigens mit Trauben gemischt und vergärt. Das gibt dann das sogenannte Grape Ale. Es ist also nicht so, dass Wein und Bier überhaupt nicht miteinander können. Wie alt wart ihr beim ersten Mal? Jauslin: Wie alt ich war, weiss ich nicht mehr. Vermutlich war es der Schaum vom Glas des Vaters. Und ich gehe davon aus, dass es mir schmeckte. Woran ich mich hingegen genau erinnere: Mit 21 war ich in Las Vegas und probierte ein «Anchor Steam». Da merkte ich, es gibt noch mehr als Lager und Weizen. Und das bewog mich, mich näher mit Bier auseinanderzusetzen. Reinart: Ich war fünf. Ich sass mit meinem Vater in der Kneipe und bekam ein «Biobit». Das war kein Biobier, sondern ein alkoholfreies Malzgetränk, das in einer Bierflasche serviert wurde. Nach der Sonntagsmesse beim Frühschoppen mit den Erwachsenen anzustossen – da fühlte ich mich natürlich als richtiger Kerl. Das erste alkoholische Bier hatte ich wohl mit 14 oder 15 und fand es zu bitter. Was ich hingegen immer schon mochte, ist der Geruch von Malz. Ich bin auf dem Bauernhof aufgewachsen und freute mich immer, wenn der Malztreber angeliefert wurde. Das ist ein Abfallprodukt aus der Bierbrauerei, das als Tierfutter verwendet wird.

CHRISTIAN JAUSLIN (46) wuchs nahe der Brauerei Schützengarten auf und studierte in Zürich Medienwissenschaften. 2012 machte er die Ausbildung zum Schweizer Bier-, 2013 zum Diplom-Sommelier. Hauptberuflich berät er die Migros-Industrie in Kommunikationsfragen. Wie unterscheiden sich Schweizer und deutsche Bierkultur? Reinart: Zunächst einmal gibt es eine Gemeinsamkeit: Die Frauen mögen angeblich kein Bier. Und das ist in der Schweiz vielleicht sogar noch ausgeprägter. Jauslin: Das wird tatsächlich in keinem anderen Land der Welt penetranter behauptet. Reinart: Man muss aber auch sehen, wie Bier früher konsumiert wurde. Eigentlich stillos – aus der Flasche – nicht einmal mit einem Glas gewürdigt. Dass das keine Frau wollte, kann ich gut verstehen. Wenn man hingegen sieht, wie Belgien das zelebriert – dort gibt es für jedes Bier ein eigenes, schönes Glas. Und dort ist es seit jeher völlig normal, dass Frauen Bier trinken. Übrigens: Auch das Argument, Bier sei den Frauen zu bitter, ist haltlos: «Apérol Spritz» ist zehnmal bitterer. Und Unterschiede? Jauslin: In Deutschland ist Bier ein Kulturgut, in der Schweiz hat es das Image eines BüezerGetränks. Reinart: Mag sein, wobei in der Schweiz biermässig sehr viel passiert ist und immer noch passiert. Als Vertreter einer Brauerei müsste ich sagen, es wäre mir lieber, wir hätten nicht so viele Konkurrenten. Für mich als Berufsfachmann ist es aber eine unglaubliche Bereicherung. Dass man heute ein Curry-Stout machen kann, ohne gleich gesteinigt zu werden, ist doch toll! Jauslin: Und diese Freude an der neuen Vielfalt erstreckt sich eben auch auf die alkoholfreien Biere. Früher trank man das aus der Not, weil man Auto fuhr, und zur Auswahl stand genau eine Marke. Heute kann ich zwischen Lager, Weizen, Stout und India Pale Ale auswählen und aus Genuss alkoholfrei wählen – und nicht, weil ich muss. MM

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