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Eine Winterreise durch Lappland

Sechs Hunde und zwei Frauen: Autorin Monica Müller und ihre Reisegefährtin Karen Ballmer sind ein gutes Team.

Mit Wumms durchs WinterWunderland

Januar in Lappland: Tief verschneite Landschaften, tiefenentspannte Menschen und unvergessliche Erlebnisse erwarten Reisende in der langen Nacht des hohen Nordens. Wer es selbst erleben möchte, muss jetzt buchen.

Text: Monica Müller Bilder: Timo Koivisto

In jeder Blockhütte gibt es eine Sauna (oben). Rentiere mögen Moos, ziehen aber nicht gern Schlitten.

Nuancen von Weiss in der blauschwarzen Nacht – so sieht Kittilä bei der Landung aus. Es ist kurz nach 15 Uhr, die Sonne ist längst untergegangen, als wir – meine Begleiterin Karen und ich – ins Mietauto steigen. Es gebe nichts zu beachten bei der Fahrt im Schneesturm, meinte der freundliche Finne am Schalter. Wir brausen los und merken schnell: Ohne Google Maps wären wir verloren. Denn die Strassenschilder sind zugeschneit, es ist stockdunkel. Bald schon erreichen wir Levi. Mit seinen 1000 Bewohnern, 30 000 Betten, einigen Sportgeschäften, Souvenirläden und Restaurants gilt der Wintersportort als äusserst lebendig. Drei beleuchteten Skilifte am kurzen Hang muten exotisch an. Bis wir unsere Blockhütte endlich finden, schlottern wir. An die minus 20 Grad müssen wir uns erst noch gewöhnen. Wir tun, was auch die Finnen tun würden, und wärmen uns in unserer privaten Sauna auf.

Die Kiefern und Fichten sind so dick eingepackt wie die Menschen. Tretschlitten sind die Trottinettes von Lappland.

Tag 1 Im Gespann der Rentiere

Am Tag 1 verlassen wir unsere Blockhütte kurz vor 9 Uhr. Es wird noch knapp zwei Stunden dauern, bis die Sonne aufgeht. Die Dunkelheit irritiert uns. Der Körper will schlafen, der Kopf in Gang kommen. Im Café am Fusse des Skihügels erwägen wir, Sipsipussi zu bestellen, bis wir merken, dass es sich dabei um eine Packung Chips handelt. Zum Cappuccino essen wir lieber Munki und Pulla, süsse Gebäcke. Es steht nur Süsses zur Auswahl.

Gestärkt steigen wir in einen kleinen Bus, der uns zur Rentierfarm Sammun-Tupa mitten im Nirgendwo fährt. In Lappland gibt es mehr Rentiere als Menschen (geschätzte 200 000 zu 185 000). Sie sind alle «halb wild», das heisst, sie gehören zwar jemanden, lassen sich aber nur bedingt domestizieren. Fünf Jahre dauert es, bis sich ein Rentier dazu bewegen lässt, einen Schlitten zu ziehen. Wenn es denn überhaupt mitmacht.

Nur 15 der insgesamt 47 Tiere auf der Farm lassen sich einspannen, heute sind Noki, Sukki und Nikke im Dienst. Wir werden gebeten, leise zu sprechen und uns nicht ruckartig zu bewegen. Als Sukki loszieht, werden wir in eine andere Welt katapultiert. Die Birken und Tannen sind so voller Schnee, dass sie wie übergrosse Popcorn wirken. Fluffige Schneeflocken fallen vom Himmel. Sukkis Geweih wiegt sich im Fahrtwind. sie uns zu einem abendlichen Abenteuer ein.

In einem dieser Glasiglus übernachten und Polarlichter bewundern? Wir stellen uns das zauberhaft vor. Leider werden wir sie nicht sehen. Wetterpech. Um 13.30 Uhr geht die Sonne im Januar bereits unter, wenn sie sich denn überhaupt zeigt. Noch bleibt etwas Zeit, bis die lange Nacht sich wieder ganz über Kittilä legt. Diese möchten wir unbedingt draussen verbringen und Tageslicht tanken. WLAN haben wir keins in unserer Hütte. Statt zu mailen und zu chatten, saunieren wir ständig.

Gegen 18 Uhr holt Heidi uns ab. Sie hat ihren zwölfjährigen Sohn dabei, sein Schamanenname ist «flying fox». Der fliegende Fuchs ist stramm und stumm. Erst in der abgelegenen Kotta, beim Entfachen des Feuers, beginnt er innerlich zu lächeln. Während seine Mutter Naturgewalt und Tierwelt mit mystischen Geschichten heraufbeschwört, drischt er auf seine Trommel ein.

Tag 2 Winterkick und fliegender Fuchs

Am Tag 2 bewegen wir uns aus eigener Kraft: mit Tretschlitten. Sie werden im Alltag eingesetzt wie Kickboards oder CargoVelos bei uns. Heidi, Tourguide und Schamanin, fährt mit uns durch die hügelige Gegend rund um Levi. Sie erzählt ein bisschen von teuren Häusern und viel mehr von strammen Kiefern und Fichten, die bis zu 800 Kilo Schnee tragen. Auf das Mittagessen im Glashotel Levin Iglut verzichtet Heidi, lieber lädt

Die gute Laune der Hunde ist ansteckend: Karen Ballmer (l.) und Monica Müller nach ihrer gemeinsamen Schlittenfahrt.

Finnisch Lappland

Ab 31. Dezember 2022 bis zum 11. März 2023 bietet Travelhouse wöchentlich einen Direktflug von Zürich nach Kittilä ab Fr. 498.– an, mit Helvetic Airways (Hin- und Rückflug). Die Reisen werden nach den Bedürfnissen und Wünschen der Kundschaft zusammengestellt. travelhouse.ch

Tag 3 Mit sechs Huskys im Team

Am Tag 3 steht mein persönliches Highlight an. 25 Kilometer nördlich von Levi leben zwei Menschen mit 45 Huskys mitten im Wald. Raine und Karoliina haben mit ihrem Team das nördlichste Schlittenhunderennen der Welt geschafft. Die 569 Kilometer lange Strecke dauerte mit 8 Hunden 3 Tage, 4 Stunden und 14 Minuten, erzählt Raine stolz. Unsere Runde von circa zehn Kilometern ist für die Huskys nicht mehr als ein Aufwärmen. Aber für uns bedeutet sie eine Stunde pures Glück.

Unsere sechs Huskys, darunter die Chefin Luna im Gespann, wedeln wie wild. Wir lernen: Arm hoch bedeutet Stopp. Arm zur Seite: bremsen. Arm hoch und runter: los! «Nie loslassen!», schreit Raine noch. Dann gibts kein Halten mehr. Die Huskys sprinten, ihre Zungen und Ohren flattern im Wind. Wir gleiten durch den verschneiten Wald, fast fliegen wir. Die geballte Energie der Huskys, ihre überbordende Lebensfreude ist ansteckend. Wir möchten ewig so weitersausen. Immer wieder schaut Luna mitten im Sprint nach uns. Für eine wunderbare Stunde sind wir Teil dieses Teams. Danach verabschieden wir uns von Luna und ihrem Team wie alte Freunde.

Wo bitte sind die Bremsen? Im Schuss auf dem Schneemobil

Tag 4 Auf Safari mit dem Schneemobil

Am Tag 4 fahren wir mit einem Schneemobil auf den Kuertunturi, einer der Fjelle rund um Äkäslompolo. Claudines Instruktion ist kurz. Gas geben oder vom Gas ablassen. Bremsen bräuchten wir nicht. Also düsen wir los, Claudine uns hinterher.

Der Weg ist eisig und kurvig. Schnee peitscht uns ins Gesicht. Erst steuert meine Begleiterin, dann ich. «Mehr Gas», schreit sie mir zu. Mein Speedmoment dauert nur kurz. Schon nach wenigen Kurven kommen wir vom eisigen Weg ab, fahren unkontrolliert hangabwärts. Jetzt hätte ich gern gewusst, wo die Bremsen sind. Meine Fahrt endet an einem Baum. Nach dem ersten Schreck lachen wir. Wie sind wir hier nur gelandet? Wie bekommen wir das Schneemobil zurück auf den Weg? Wo ist Claudine? Nach 20 langen Minuten hüpft uns ein Licht entgegen. Claudine hat eine Stirnlampe montiert und joggt zu uns. Ihr Schneemobil ist auch stecken geblieben.

Unvermittelt taucht ein Schneepflug auf. Der freundliche Fahrer stoppt und lacht. Mit seinem Pflug hievt er beide Schneemobile aus dem Schnee, kontrolliert Kufen, Motor und Bremsen. Wir hatten Glück: Diese Strecke räumt er nur alle zwei Wochen. Bis zur Bergspitze bleibt er uns auf den Fersen, für den Fall, dass wir ihn nochmals brauchen.

Auf dem Kesänki fühlt man sich als Abenteurer.

Tag 5 Hoch hinaus in Schneeschuhen

Am Tag 5 begleitet uns Jarko mit Schneeschuhen auf den Kesänki. Der Tag ist wunderschön klar, erstmals schneit es nicht. Wir stapfen durch den knirschenden Schnee. Unter der Schneelast wirken die Kiefern wie mystische Kreaturen. Ein weisser Hase hüpft an uns vorbei, ein paar Krähen lassen sich in den Baumwipfeln nieder. Jarko zeigt uns Flechten mit Spitznamen wie hängender Baumbart und Rentierschokolade. In einer Holzhütte braten wir Würste, dann bestaunen wir den Sonnenuntergang. Beim Abstieg entlang einer steilen Schlucht fühlen wir uns wie Entdecker.

Für den letzten Abend buchen wir eine private Sauna mitten in einem Wäldchen am Kukaslompolo See. Nach dem zweiten Saunagang wage ich sogar einen Sprung ins Eisloch. Wow!

Beim Einsteigen ins Flugzeug wird mir klar: Ich bin angekommen. Die Festplatte ist leer, der Kopf klar, das Herz voll. Lappland wird mehr als eine schöne Erinnerung bleiben. Ein innerer Rückzugsort, und eine Sehnsucht. MM