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Hilfe tut not
Bilder: Getty Images, Keystone, EDA/Alex Kühni
Wie die Hilfe ankommt
Per Flugzeug, Zug oder Lkw schickt die Schweiz humanitäre Hilfsgüter in die Grenzgebiete der Ukraine und nach Kiew. Die Spendenbereitschaft ist riesig, doch nicht alle privaten Spenden sind nützlich.
Text: Dario Aeberli Während die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine über die Bildschirme flimmern, wollen einige Schweizerinnen und Schweizer nicht länger still sitzen, sondern anpacken und helfen. Sie durchstöbern dafür ihre Kleiderschränke, Keller oder Abstellräume nach Gegenständen, die den Menschen in der Ukraine nützlich sein könnten. Die ukrainische Botschaft in Bern sammelt seit dem russischen Einmarsch Materialspenden aus der Bevölkerung – und wird damit überhäuft. Umzugskisten stapeln sich in der Einfahrt.
Manuel Bessler hat das mitbekommen. Er ist Chef der Humanitären Hilfe der Schweiz, die dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) angehört. Sie setzt sich vor, während und nach Konflikten, Krisen und Naturkatastrophen für die Interessen von schutzbedürftigen Menschen ein. Er sagt, nicht alles, was gespendet werde, sei nützlich. «Jemand hat eine Kiste unverpackter Tomaten vorbeigebracht. Die bringen nichts, sie verfaulen, bevor sie in der Ukraine ankommen.»
Keine Kleider und Spielsachen Die ukrainische Botschaft bittet Spendewillige, sich vorab per EMail anzumelden, und erwähnt explizit, dass keine Spielsachen benötigt werden. Auch Kleider nicht. Doch woher weiss man, was Menschen während eines Krieges brauchen? «Von Bern aus kann man das unmöglich wissen. Dafür muss man ganz nahe dran sein und vor Ort

Freiwillige eines Hilfezentrums sortieren in Lwiw in der Westukraine Sachspenden für Flüchtlinge. (27. Februar 2022). Freiwillige Helfer verladen gespendete Hilfsgüter in Schachteln und Säcken vor der ukrainischen Botschaft in Bern. (2.März 2022)
Mitglieder des Sofort-EinsatzTeams (SET) des Schweizerisches Korps für Humanitäre Hilfe (SKH), verladen 35 Tonnen medizinische Hilfsgüter. Der Zug wird in die ukrainische Hauptstadt Kiew fahren.
Keine Sicherheiten für Helfende

Gespräche mit der ukrainischen Bevölkerung führen», sagt Bessler. Sein Team sei so nahe dran, wie es aktuell gehe: in Lublin, Polen, an der ukrainischen Grenze. Er rät von individuellen Sammelaktionen eher ab.
Die beste Hilfe: Geld spenden «Das beste Mittel, um der ukrainischen Bevölkerung zu helfen, sind Geldspenden an bekannte Hilfsorganisationen. Sie beschaffen die notwendigen Materialien vor Ort, anstatt sie per Lastwagen durch halb Europa zu transportieren.» Für humanitäre Arbeit sei Erfahrung mit der Arbeit in Krisengebieten wichtig. Der 64Jährige hat seine Erfahrung seit 1991 unter anderem für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes im Irak oder für die Uno im Jugoslawienkrieg gesammelt. «Als Erstes brauchen die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer etwas, was ihnen eine gewisse Geborgenheit und etwas Privatsphäre gibt.»
Am 1. März, eine Woche nach Kriegsbeginn, flog deshalb ein vom EDA gechartertes Flugzeug der Humanitären Hilfe mit Winterzelten, Heizungen, Kochutensilien und Schlafsäcken nach Warschau, wo die ukrainische Caritas die Ware empfing und weiterverteilte. In einem zweiten Schritt organisierten Bessler und sein Team zusammen mit der Schweizer Armeeapotheke zwei Transporte mit medizinischen Gütern in Lastwagen. Am Montagabend, dem 7. März, erreichte bereits der zweite LkwTransport mit Spitalbetten, Desinfektionsmittel und Brandschutzverbänden das Verteilzentrum in Lublin, wo sie das ukrainische Rote Kreuz in Empfang nahm. Ein Einsatz in der Ukraine ist für Besslers Team momentan zu gefährlich.
«Russland kann uns keine Sicherheitsgarantie geben, was eine klare Missachtung des Völkerrechts ist», sagt er. Vor 31 Jahren, als Bessler beim Roten Kreuz begann, sei das undenkbar gewesen. Heute sei der humanitäre Einsatz viel gefährlicher. «In diesem Bereich hat die Welt leider einen Rückschritt gemacht.» Das hat Konsequenzen für ihn und sein elfköpfiges Team in Lublin: Aus der Distanz können sie sozusagen nur mit angezogener Handbremse helfen. Sie wollen vor Ort, in der Ukraine, wirken. Stattdessen hilft ein Team den Vertriebenen bei der Ankunft an der polnischen Grenze. «Aber der Grossteil der 44 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner ist immer noch in der Ukraine und kann nicht flüchten.» In der Zwischenzeit installiert sich ein zweites Team der Humanitären Hilfe in Moldawien. Die Hilfsgüter erreichen die Menschen in der Ukraine aktuell vor allem über den Schienenweg. So auch die 19 Zugwaggons mit den Hygieneartikeln von Migros und Coop, die am Mittwoch an der polnischukrainischen Grenze eingetroffen sind.
Logistik muss flexibel bleiben «Wie lange der Schienenweg noch offen bleibt, wissen wir nicht. Es kann sich jederzeit ändern, die logistische Planung ist anspruchsvoll.» Das zeigt sich schon in der Schweiz: Ursprünglich hätten die Güterwaggons beim Armeelogistikzentrum in Othmarsingen AG mit Hygieneartikeln beladen werden sollen – doch für die 19 Waggons reichte der Platz nicht. So holten Mitarbeitende der SBBCargo die Paletten mit Pflaster, Wundsprays und Flüssigseife mit Lkws im MigrosVerteilbetrieb in Neuendorf SO ab und verluden die Güter zusammen mit denen von Coop in Dietikon ZH auf die Schienen.
«Hoffentlich können wir Hilfsgüter in Zukunft selbst in der Ukraine verteilen», sagt Bessler. Die Humanitäre Hilfe der Schweiz sei im Kontakt mit den russischen und ukrainischen Behörden. «Wir können nicht einfach undercover in die Ukraine fahren, das wäre zu gefährlich. Wir müssen den offiziellen Weg einhalten.» Denn eines sei klar: Zu helfen sei nur möglich, wenn beide Kriegsparteien es zuliessen. MM
Manuel Bessler Chef der Humanitären Hilfe der Schweiz