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Wie weiter ohne Schnee?
Zum Beispiel Sörenberg
Bis auf ein paar Streifen Kunstschnee sind die Hügel in Sörenberg LU grünbraun – ausgerechnet während der umsatzstärksten Tage des Jahres. Ein Besuch im Skigebiet ohne Schnee.
Text: Dario Aeberli Bilder: Mischa Christen Ein Skifahrer zieht die letzten Kurven, bevor die Piste an der Talstation in Sörenberg LU im Schlamm endet. Der Schnee rauscht unter seinen Brettern, statt zu knistern. «Sulzig» kommentiert der Mann die Schneeverhältnisse auf 1165 Meter über Meer. «So schlimm war es seit Jahren nicht mehr», sagt er, schultert seine Ski und stampft zu seinem Auto. Links und rechts stehen die Schlepplifte still. Einige Kinder schlitteln, zwei Mountainbiker holpern über das, was von der Piste übrig geblieben ist. Als wären an den Hügeln Lastwagen mit Crushed Ice umgekippt, ziehen sich weisse Streifen durch die Wiesen.
«Im Winter 2016/17 war es ähnlich, und dann hat es Mitte Januar so viel geschneit, dass es trotzdem noch eine gute Saison wurde», sagt André Emmenegger. Aus dieser Erfahrung schöpfen die Einwohnerinnen und Einwohner in Sörenberg Zuversicht. Auch der 36-Jährige, der seit Sommer Geschäftsführer des Hotels Sörenberg ist. Auf der Ablage vor ihm liegt eine
Für Skifans und Bergbahnchef René Koller ist der Anblick «brutal tragisch»: Sörenbergs Pisten Richtung Rossweid und Hundschnubel


René Koller Direktor Sörenberg Bergbahnen
Karte des Skigebiets, die offenen Lifte sind grün, geschlossene rot eingefärbt. In Betrieb sind Anfang Januar nur gerade eine Gondelbahn und ein Sessellift, zwei Pisten sind geöffnet. Draussen regnet es bei sechs Grad. Emmeneggers Hotel ist trotzdem ausgebucht. Gerade checkt eine Familie aus Deutschland ein. Sie sind Stammgäste und freuen sich über den renovierten Skiraum im Keller. Was aber von der Metzgerei über die Aprèsskibar bis zum Wellnesshotel alle merken: Die Tagesgäste fehlen. An Spitzentagen sind in Sörenberg 8000 Menschen auf den Pisten, am 3. Januar sind etwa 1800 unterwegs.
Höhe ist matschentscheidend Dass derzeit wenig Schnee liegt, beunruhigt Emmenegger noch nicht. Doch Prognosen sprechen gegen Skigebiete wie Sörenberg, die mehrheitlich unter 2000 Metern über Meer liegen. Schon heute braucht es in Sörenberg Schneekanonen, um die Grundlage für die Pisten zu schaffen. Doch Schneekanonen sind im Grunde nur starke Sprinkleranlagen. Die versprühten Tröpfchen verwandeln sich bei unter null Grad in der Luft zu Schneeflocken. Ist es wie in den letzten Tagen aber stets wärmer, können sie bloss die Wiesen wässern.
Die schnee- oder matschentscheidende Nullgradgrenze klettert seit Jahren nach oben. 1970 lag sie im Winter im Schnitt bei 600, heute bei 850 Metern. «Ohne Schnee wären wir nichts als ein Talkessel», sagt Emmenegger in seinem Hotel. 350 Meter weiter sitzt Bergbahnchef René Koller in seinem Büro und gibt Entwarnung: «Der Abgesang auf Skigebiete wie uns kommt zu früh.» Die nächsten fünf, sechs Jahre könne der Winterbetrieb auf jeden Fall weitergeführt werden. Im Moment sei der Blick aufs Skigebiet «brutal tragisch». Eine Rekordsaison gebe es dieses Jahr nicht mehr, aber auch Koller glaubt an ein Winter-Comeback wie 2016/17, seiner ersten Saison als Chef der Bergbahnen. Doch der frühere Bataillonskommandant plant nicht nur mit Schönwetterszenarien. Der 62-Jährige weiss, wo er notfalls Kräfte mobilisieren und wo das Feld räumen muss. Am wichtigsten seien die Pisten im Zentrum und die Verbindung zum Rothorn auf 2350 Metern über Meer. Im Moment verdienen die Bergbahnen Sörenberg 80 Prozent ihrer Einnahmen im Winter, hauptsächlich mit Skiabos und Tagespässen. In Zukunft soll der Sommer gestärkt werden und Wanderer mehr in den Fokus rücken. Koller zückt einen Sack mit einem Spiegelchen, einem Seifenblasenkit sowie einer Broschüre mit Tipps, wo und wie in der Region die besten Fotos gelingen. Von seinem Büro über die Werkstatt steigt er zu den Gondeln hoch. «Oh, da kommt die von Joel», sagt Koller. Gemeint ist damit Joel Wicki, der amtierende Schwingerkönig. Er lächelt in Sörenberg von Plakaten, Bildschirmen und einer «Königsgondel».
Regen bei der Mittelstation Mindestens einmal pro Woche ist Koller mit den Ski unterwegs und fährt die Pisten ab. Heute nimmt er die Gondel bis zum Restaurant Rossweid bei der Mittelstation für ein Mittagessen mit einem Mitarbeiter.
Während der Fahrt ziehen braune Wiesen mit Schneeinseln vorbei. Pfosten markie-
ren, wo die Piste durchführen würde. Weiter links liegt eine der zwei geöffneten Pisten. Auch bei der Mittelstation auf 1465 Metern regnet es.
Familie Meili aus Luzern hat sich vom Wetter noch nicht abschrecken lassen. So viel Grün zu sehen, sei aber seltsam. Die Meilis sind für eine Woche in Sörenberg und nun schon den dritten Tag auf der Piste. Tochter Timea fährt am liebsten morgens, dann ist der Schnee noch hart. «Jetzt wird er immer schwerer, da macht es nicht mehr gleich viel Spass.» Sie überlegen, ob sie morgen nochmals auf die Piste wollen. «Die Menschen aus Sörenberg geben aber alles, um das Beste aus der Situation zu machen», sagt Mutter Brigitte Meili. Das sagen viele Besucherinnen und Besucher. Das Hallenbad im Dorf zum Beispiel habe länger geöffnet, bis um 21.30 Uhr.

Gratis ins Hallenbad Badmeister und Geschäftsführer Cyrill Kuster zählt durchgehend mehr Besucher als sonst. Wenn es Schnee hat, kommen die meisten erst ab 16 Uhr. Doch von den zusätzlichen Eintritten profitiere er nicht. Wer eine Tageskarte oder ein Abo fürs Skifahren löst, erhält gratis Eintritt ins Hallenbad. Kuster bekommt jeweils eine Pauschale, auch wenn nach dem Skifahren nicht alle schwimmen gehen. So verdient er trotz vollen Bads etwa gleich viel wie in einer schneereichen Saison. Irène Lütolf hat gerade
Auf dem Schneeband tummeln sich ein paar Skigäste.


hölzernen Tipizelt wird. Auf dem WC sind Après-Skihits zu hören, im Pissoirabfluss schwimmen ein Päckchen SnusTabak und ein Zigistummel. In der Bar herrscht um 19 Uhr aber kein Halligalli. Sie ist zu einem Drittel gefüllt, die meisten kennen sich und gehen um 20 Uhr nach Hause. Yvonne Schmid von der Bar nebenan ist mit einer Freundin hier, die eine Ferienwohnung in der Nähe hat. «Es ist schon brutal: Erst Corona und jetzt dieser Winterstart», sagt sie. Hätte es Schnee, wäre alles voll.
60 Prozent Umsatz im Winter
Brigitte Meili (hinten links) mit Mann Andreas (rechts), Timea und Boas (vorne) ihren Mann und die zwei Teenies im Hallenbad abgegeben. Sie geniesst die Zeit allein, spaziert am Weiher und durch die Minigolfanlage neben dem Bad. Eigentlich seien sie zum Skifahren hergekommen, jetzt jassen sie öfters. «Letzthin haben meine Kinder sogar vorgeschlagen, spazieren zu gehen.» Lütolf möchte die Bevölkerung und Gastronomie unterstützen. Immerhin sei trotz der wenigen Gäste alles geöffnet. Gestern waren sie etwa in der AprèsSkibar «Tschudi-Hui».
Die Bar, 100 Meter von der Gondelbahn entfernt, ist eine Hütte, die in der Mitte zu einem Sie ruft «Tschudi» Zihlmann zu sich, seit 20 Jahren Besitzer und Namensgeber der Bar. «Wir hatten zum Glück einen guten Sommer», sagt der 51-Jährige. Mit Hochzeiten, Geburtstagen und Firmenevents hatte er viel zu tun. Im Winter macht er 60 Prozent des Umsatzes, beste Tage sind der 26. Dezember und der 2. Januar. Dass es vonWeihnachten bis Neujahr wenig Schnee hat, komme vor. «Wir sind erprobt. Ich bin aber zuversichtlich, dass es bald wieder schneit», sagt er. Vor zwei Jahren hat er die Bar neu gebaut. Zwei Tische nebenan ruft jemand: «Ab dem 10. Januar schneits drei Tage, das steht in meiner App!» Die Hoffnung lebt weiter, dass sich der Winter 2016/17 wiederholt. MM