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Was will der Stein sagen?

Am nächsten Morgen erwachte die kleine Waldelfe von lauten Glockenschlägen. Neugierig sprang sie aus dem Bett und streckte den Kopf aus dem Fenster.

Ein junger Bote lief gerade an ihrem Baum vorbei. Er trug eine dicke Wollmütze. „Alle mal herhören!“, rief er, während er regelmäßig die Glocke schlug. „Über Nacht hat ein Eissturm hier bei uns großen Schaden angerichtet. Der Sturm hat sich gelegt, doch die Kälte ist geblieben und nimmt weiter zu.“

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Rubinia erschrak. Was hatte

das alles zu bedeuten?

„Wer nichts Dringendes zu erledigen hat, wird gebeten, zu Hause zu

bleiben“, verkündete der Elfenbote weiter. „Die Elfenkinder haben heute schulfrei!“

In Rubinias Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie wollte schnell zu Florentine in

die Konditorei hinunterlaufen, da fiel ihr Blick auf ihren Nachttisch. Der orangefarbene Edelstein auf ihrem Amulett leuchtete. Es war aus Holz gemacht und ringsum mit wunderschönen Edelsteinen besetzt. Jeder Stein hatte eine ganz besondere Bedeutung.

Das Amulett selbst besaß keine magischen Fähigkeiten. Doch die wunderschönen Edelsteine hatten Rubinia schon oft dabei geholfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen und Gerechtigkeit und Harmonie im Wald herzustellen. Denn genau dies war Rubinias Aufgabe und deshalb hatte sie das Amulett erhalten.

Aber warum leuchtete der Stein gerade jetzt? Was hatte das zu bedeuten? Rubinia wusste es

nicht. Sie befestigte das Amulett an ihrem Gürtel

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und lief zu Florentine. Es duftete bereits köstlich

nach warmen Pflaumenpfannkuchen.

Die Konditorin legte ihr einen Pfannkuchen auf den Teller. Sie machte ein besorgtes Gesicht. „Gut, dass ich gestern wenigstens noch die Pflaumen gepflückt und ins Warme geholt habe. Die Nachbarn haben erzählt, dass am Waldrand die Kartoffeln und Karotten in der Erde erfroren sind!

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Nicht auszudenken, wenn das mit allem Obst und Gemüse passiert, das gerade reif ist! Dann haben wir nichts zu essen und ich kann keine Vorräte für

den Herbst und Winter einkochen!“

„Und was machen erst die Tiere?“, rief Rubinia

entsetzt.

Florentine nickte. „Auch die frieren in ihrem Sommerkleid. Vorräte haben sie noch

nicht. Und was ist mit den Vögeln, die gerade brüten? Oh, ich mag gar nicht weiterdenken!“ Florentine schlug sich die Hände vors Gesicht.

Alles in der Natur

hängt zusammen, überlegte Rubinia. Wenn der Kreis der Jahreszeiten gestört ist, hat dies viele schlimme Auswirkungen.

Sie dachte an das Leuchten ihres Steins. Hatte

ihre Aufgabe diesmal etwas mit dem Eissturm zu tun? Doch was sollte sie als kleine Elfe gegen

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etwas so Großes und Mächtiges wie das Wetter ausrichten?

„Aquarius!“, fiel es ihr plötzlich ein. Wenn einer sich mit dem Wetter auskannte, dann war es ihr Freund, der Wassertropfen. Sie musste zum Fluss, um ihn zu finden! Eilig aß sie ihren Teller leer, dann stand sie auf.

„Wo willst du denn hin?“, fragte Florentine erstaunt. „Du hast doch gehört, was der Bote gesagt hat: Heute ist schulfrei und alle sollen zu Hause

bleiben!“

„Ich will auch nicht zur Schule“, antwortete Rubinia. „Aber ich habe etwas Dringendes zu erledigen!“

Ehe Florentine etwas erwidern konnte, flitzte sie nach draußen. Hui, war das kalt! Rubinia rieb sich die Arme und flog schneller. „Aquarius?“, rief Rubinia, als sie am Fluss angekommen war. Hoffentlich war ihr Freund nicht schon zu Eis gefroren!

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„Ich bin hi-hier!“, ertönte es und der Wassertropfen kam angeschwommen. „Brrr! Wenn das so weitergeht, ende ich bald als Eiszapfen!“

Er verdrehte die Augen und streckte die Zunge heraus. Das sah urkomisch aus. Rubinia lachte.

Dann wurde sie wieder ernst.

„Ich muss dich etwas fragen“, sagte sie. „Kannst du mir erklären, wie mitten im Sommer ein Eissturm entstehen kann?“

„Leider nein“, erwiderte ihr Freund. „Aber frag doch mal Tempa, die Wetterelfe! Ich habe sie vorhin beim Teich gesehen. Sie kennt sich gut mit dem Wetter aus.“

„Tempa kenne ich gar nicht“, sagte Rubinia nachdenklich.

„Sie kommt nur sehr selten zu uns in den Wald. Darum kann es gut sein, dass ihr euch bisher nicht begegnet seid. Aber sie kann dir bestimmt weiterhelfen.“

Rubinia bedankte sich bei Aquarius. Wenn sie sich beeilte, war Tempa vielleicht noch am Teich!

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