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»Sachsen braucht Einwanderung«

Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2011

Am 14. Februar diesen Jahres meldete der mdr mit hörbarer Erleichterung, dass in Ägypten Entscheidungen gefallen seien. Die internationalen Verträge würden eingehalten, weshalb weiter Öl durch den Suezkanal transportiert werden könne. Das mache Anlegern Mut. Die Kurse seien im Schnitt um 2 Prozent gestiegen. Die Logik: Offene Seewege, sichere Gewinne, höhere Kurse. Der Erleichterung folgte jedoch Panik. Denn plötzlich eröffneten sich auch Menschen Seewege, wenn auch höchst unsichere mit kleinen Booten über das Mittelmeer von Afrika nach Europa. Da war keine Rede mehr von höheren Kursen. Vielmehr überstürzten sich die Überlegungen, wie man diese Seewege schnellstens und sicher blockieren könne. Das Öl aus den arabischen Ländern bringt Profit, die Menschen sind eine Last. Wem gehört aber dieses Öl? Sichert es in Europa, Nordamerika und einigen Ländern Asiens Profit, so ist es doch nicht verwunderlich, dass jene Menschen, die beim Öl wohnen, ohne ausreichend daraus Gewinn ziehen zu können, dem Öl hinterher ziehen. Das gilt natürlich ebenso für viele andere Ressourcen. Eine unendliche Geschichte, nicht erst seit heute, sondern seit Menschengedenken. Sichert das „Revier“ nicht mehr das Leben, zieht man weg. Zieht man weg, trifft man aber meist auf andere Menschen. Das gibt Konflikte, Konflikte, die man lösen kann, auf unterschiedlichste Art. Solche Konflikte zu schüren, ist mehr als fahrlässig. Es ist inhuman und einer zivilisierten Gesellschaft unangemessen. Ausländerfeindlichkeit schließt sich selbst aus der Debatte aus. Sie ist keine legitimierte Meinung, sondern letztlich nur krimineller Bruch aller Menschenrechte. In dieser Ausgabe wird die Frage nach Sachsen als Einwanderungsland gestellt (Lesen Sie dazu auch das Interview zur Situation russischer

Einwanderer in Sachsen auf der folgenden Seite). Kurt Biedenkopf hat schon zu seiner Amtszeit darauf hingewiesen, dass wir angesichts der demographischen Entwicklung unseren Wohlstand ohne Zuwanderung bald nicht mehr halten werden können. Heute gehört das zu den Allgemeinplätzen der Staatsregierung. Jetzt ist es ihr plötzlich ein Dorn im Auge, dass bei etwa 2 Prozent - 3 Prozent Anteil an Ausländerinnen und Ausländern in Sachsen verbreitet die Meinung herrscht, es seien um die 30 Prozent, und das seien zu viel. Bundesweit beträgt der Anteil ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger übrigens 8,1 Prozent. Man könnte jetzt weiter die Statistik durchforsten und käme zu erstaunlichen Ergebnissen. Z.B. beträgt der Anteil von Menschen mohammedanischen Glaubens in Sachsen gerade mal 0,1 Prozent. Oder: Die Gymnasialquote liegt bei vietnamesischen Kindern bei 75 Prozent, bei deutschen nur bei 50 Prozent. Scheinheilig ist die Position der Staatsregierung dennoch: Wie auch andere konservative Politiker will sie nur jene willkommen heißen, die Gewinn für die Wirtschaft versprechen oder zur Lösung struktureller Probleme beitragen können. Wohlstand geht so vor Menschlichkeit. Indische Ingenieure z.B. sind gefragt, tschechische Ärzte auch. Nicht gefragt wird aber, was das für Indien und Tschechien bedeutet. Es bedeutet Verlängerung der Armut in Indien und Zerstörung des Gesundheitswesens in Tschechien. Die Folge? Zurückgelassene Menschen ziehen hinter ihren Ingenieuren und Ärzten her, so wie andere hinter ihrem Öl. Diese aber weisen wir, so es nur irgend geht, ab. „Absaugen“ von Wohlstandsgarantinnen und -garanten aus anderen Ländern und dann Mauern gegen die Folgen errichten ist erstens Kolonialismus in neuem Gewande und wird zweitens nicht durchzuhalten sein. Jeder Mensch, der mit ehrlichen Wünschen und ehrlichen Absichten zu uns kommt, ist eine Bereicherung, auch wenn er zunächst Hilfe braucht. Das ist die einzig zulässige Maxime.


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links! im Gespräch

»Bücher bringen Leute zu uns!« links! sprach mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Kulturinstitutes Dresden (DRKI) Vitaly Kolesnyk im »Russischen Zentrum« in Dresden Herr Vitaly Kolesnyk, wir wollen über Migranten reden – woher kommen Sie selbst? Vitaly Kolesnyk: Ich komme aus der Ukraine aus Charkow und bin jüdischer Kontingentflüchtling.

vielen Menschen, die sich mit russischer Literatur beschäftigen den Weg zu uns finden. Man kann also sagen: Die Bücher bringen die Leute zu uns.

würden uns sehr freuen, wenn Russisch-Lehrer gelegentlich einen Text mit übersetzen würden – aber sie winken ab: Zu schwierig.

Wie ist es denn mit den Russisch-Kenntnissen bestellt in Sachsen, 20 Jahre nach der Wende“? Wenn Sie 700 russische Vokabeln beherrschen, können sie »Überlebens-Russisch« das

Gibt es denn so gar keinen Lichtblick? Aber doch, wenn ich an eine engagierte Lehrerin des Dresdner Erlwein Gymnasiums denke, die unglaublich gut ist. Auch in Oschatz, an

chen als ihre Eltern jemals Deutsch sprechen werden. Zumal sie es ohne Akzent sprechen – höchstens mit sächsischem Dialekt. Das Problem ist doch ein anderes: Diese Kinder werden vielleicht letzten Ende doch nicht mehr richtig Russisch sprechen. Eine Zeit hing man, auch was die Erwachsenenbildung betrifft, dem Irrglauben an, dass man um so rascher Deutsch lernt

Wann sind Sie gekommen und was haben Sie in Charkow gemacht? Im Jahr 2002 kam ich nach Deutschland. Ich habe an der staatlichen Universität studiert und bin Diplom-Philologe. Also ich bin dafür ausgebildet, Ausländern Russisch oder Ukrainisch beizubringen. Derzeit gibt es frisch und kostenlos beim Sächsischen Ausländerbeauftragten den „Jahresbericht 2010“ mit den aktuellsten Zahlen zu den Ausländern in Sachsen. Martin Gillo, der Ausländerbeauftragte also, erklärte beim Tet-Fest, dem asiatischen Frühlingsfest im DresdnerRathaus gerade, dass die Vietnamesen die stärkste Ausländergruppe in Sachsen seien. Im Heft spricht man von 8.926 Vietnamesen im Jahr 2009. Russen gibt es nur 7.424 – wie aussagekräftig sind solche Zahlen überhaupt? Nicht besonders aussagekräftig. Die vielen Aussiedler, von denen viele besser Russisch als Deutsch sprechen sind in der Statistik natürlich nicht enthalten, nehme ich an. Mein Chef, der Vorsitzende unseres Institutes Herr Schälicke spricht von 20.000 Personen mit russischer Muttersprache allein in Dresden. Ebenso viele sind es in Leipzig. Die meist gesprochene Sprache in Sachsen außer Deutsch ist Russisch. Wir kommen also zu den Aufgaben des Russischen Zentrums in Dresden … Ja! Wir möchten helfen, ein Verständnis für die Russische Sprache, für die Russische Kultur zu entwickeln. Wir sind also praktisch so etwas wie das Goethe-Institut, wobei wir am engsten mit dem Institut Francais zusammen arbeiten. Bemerkenswert ist, dass

entspricht der Sprachkundigenstufe A 1. Wenn sie 1.400 Vokabeln beherrschen, haben sie die nächste Stufe erreicht, die A 2. Ich fürchte, bei mir reicht es für die A 1 nicht mehr, wobei ich Zweifel habe ob ich im DDR-Abitur überhaupt jemals 700 Vokabeln beherrscht habe, auch wenn ich nicht besonders gut war – ich stand meist zwischen 2 und 3. In der Tat, die Sprachbeherrschung bei den Russisch-Lehrern der DDR war nicht besonders. Bei den Russisch-Tests sehen sie selbst regelmäßig schlecht aus, deshalb kann man auch berechtigt daran zweifeln, dass sie ihren Schülern es beigebracht haben, tatsächlich fließend Russisch zu sprechen. Wenn ich ehrlich sein soll: Die neue Ausbildung für Russisch-Lehrer an den Universitäten ist heute besser. Wer jetzt Russisch-Lehrer wird kann mehr als die alte Garde. Fast über 80 Prozent der Angebote des Russischen Zentrums sind zweisprachig. Wir

der Thomas-Mann-Schule ist man ganz engagiert bei der Sache. Übrigens wird dort mit viel Leidenschaft und Engagement, aber fast ohne Geld gearbeitet. Dort kümmern sich die älteren Schüler um die jüngeren. Bei mir im Hauseingang wohnt eine ältere russische Familie, nach der Statistik sind sie Deutsche, aber die Frau fühlt sich als Russin und ist es wohl. Sie ist fast 60, ihr Sohn hat jetzt im Internet eine Ukrainerin gefunden, geheiratet und nun sind zwei Kinder da. Dabei spricht ihr Sohn fast kein Deutsch und die Schwiegertochter gar nicht, jetzt sorgt sie sich um die Enkelkinder – wächst da ein Problem heran? Ich möchte nachdrücklich sagen, ein »türkisches Problem« wird es mit den aus Russland oder den GUS-Staaten Kommenden nicht geben. Die Kinder gehen mit Sicherheit bald in den Kindergarten und sie werden besser Deutsch spre-

um so schneller man sein Russisch vergisst. Dem ist aber nicht so. Was junge Menschen betrifft, ist es gerade wichtig, dass sie ihre Muttersprache gut beherrschen - um so besser werden sie dann in Deutsch. Aber das versteht man in Sachsen noch immer nicht überall. Integration wird gesagt und Assimilation gemeint. Dagegen wehren wir uns. Im Russischem Zentrum gibt es eine umfangreiche Bibliothek und viele Bildungsangebote. Sprache ist nicht zuletzt auch Identität und es schadet niemandem wenn man weiß, wo man seine Wurzeln hat. Sie führen ein offenes Haus. Wenn Klassen zu Ihnen kommen, wie ist das Vorwissen über Russland? Äußerst gering und zudem noch einseitig. Russland ist Wodka, Mafia und Korruption. Das ist so, wie wenn ein russisches Kamerateam in einer dunklen Ecke am Neustädter Bahnhof hier in Dresden dreht und am Ende wird im Beitrag die Botschaft aus-

gesandt: Deutschland, das ist Armut, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus. Aber ich frage Sie: Ist das Deutschland? Doch so berichten die Medien hierzulande überwiegend über Russland. Viele Kinder wissen zudem nicht mal, dass es zwei Kriege zwischen Russland und Deutschland gab. Doch den Kindern deshalb einen Vorwurf zu machen wäre mehr als dumm. Die können doch nichts dafür! Wie ist die Situation mit dem Deutschunterricht in Russland? Die Schüler lernen mit mehr Begeisterung vielleicht. Also wenn eine Fahrt nach Deutschland ansteht, dann geben sie sich vorher wirklich richtig Mühe – sie wollen sich auf Deutsch unterhalten können. Dennoch gibt es paradoxe Situationen. Zum Beispiel, wenn das ortsansässige Goethe-Insitut Reklame für München macht und die Schüler sich dann trotz der Dresden-Fahrt sehr mit München beschäftigen. Sie verstehen dann einfach nicht, dass es einen doch sehr erheblichen Unterschied zwischen München und Dresden gibt, und die Lehrer erkennen den Unterschied auch nicht problemlos an. Die paar hundert Kilometer, was soll das für einen Unterschied machen – in Russland macht es doch auch keinen großen ob man nun hier oder tausend Kilometer weiter weg wohnt. Aber Deutschland ist kleinteiliger, mit eigenen bayrischen, sächsischen und gelegentlich sogar noch ostdeutschen und westdeutschen Identitäten, und das muss man eben sowohl Schülern als auch Lehrern vermitteln. Was man auch feststellen muss: Die Bedeutung von Deutsch als Fremdsprache geht in Russland zurück. Die Lehrer sind schon in die Jahre gekommen zum größten Teil und manche würden, mal salopp gesagt, nicht mehr durch den Fremdsprachen-TÜV kommen. Was das Wissen nun über die hiesige Region angeht kommt hinzu, dass sich Dresden und Sachsen gerade in Russland sehr schlecht vermarkten. Dem ExMinisterpräsidenten Milbradt war das durchaus bewusst und er wollte daran etwas ändern … Das Gespräch führte Ralf Richter.


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100 Jahre sind vergangen, seit Clara Zetkin und Käte Duncker gegen den zum Teil heftigen Widerstand ihrer eigenen Genossen den ersten Frauentag begingen. Viel hat sich seitdem verändert: Frauen haben das aktive und passive Wahlrecht, nach Artikel 3 des Grundgesetzes sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz soll vor Diskriminierung schützen. Dennoch ist auch heute noch viel zu tun, bis Frauen und Männer tatsächlich gleichberechtigt sind. Vor kurzem trat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit Plänen an die Öffentlichkeit, noch in diesem Jahr eine gesetzliche Frauenquote für die bundesdeutsche Wirtschaft einführen zu wollen. Ausgerechnet eine CDU-Ministerin wollte tatsächlich per Gesetz eine Mindestquotierung von 30 Prozent in Unternehmen einführen, und zwar in Aufsichtsräten und Vorständen. Eine Mindestquotierung für Aufsichtsräte gibt es bereits im skandinavischen Raum, aber die Quote für Vorstände würde der deutschen Wirtschaft noch sehr viel weitergehende Gleichstellungsregelungen bescheren. Und es sollte noch besser werden: »Es ist wichtig, dass daran Sanktionen gekoppelt werden«, sagte von der Leyen dem Spiegel. »Sonst ist es weiße Salbe.« Die Tatsachen sind klar: Frauen sind in den Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft trotz guter Qualifikationen und formaler Gleichstellung noch immer nur in Einzelfällen anzutreffen; Russland, Brasilien und China sind dabei schon längst an Deutschland vorbeigezogen. Der drohende Fach-

kräftemangel lässt sich nicht verleugnen, und nach der Einführung einer gesetzlichen Quote sind die skandinavischen Länder nicht untergegangen. Sollte all das jetzt tatsächlich auch in Deutschland zu Veränderungen führen? Die SPD forderte sogleich eine Quote von 40 Prozent, und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Die FDP war natürlich dagegen und musste das noch nicht einmal inhaltlich begründen - schließlich sei man die Partei der Vertragsfreiheit, nicht der Emanzipation. Auch die Familienministerin Kristina Schröder bemühte sich eilig, ihr Feld zu verteidigen und sich gegen eine gesetzliche Regelung auszusprechen. Die Kanzlerin sprach ein Machtwort und pfiff ihre Arbeitsministerin zurück, man wolle doch zuerst auf Freiwilligkeit setzen und die Unternehmen zur Selbstverpflichtung anhalten. Die großen Erfolge der freiwilligen Vereinbarungen sind ja nur allzu deutlich: von den 80 umsatzstärksten deutschen Unternehmen hatte nur eines eine Frau im Vorstand, bei den stärksten 200 findet man gerade 3 Prozent Frauen in Führungspositionen. Dabei sehen die gesellschaftlichen Mehrheiten längst anders aus: nach einer Spiegel-Umfrage vom Anfang des Jahres befürworten 73 Prozent der weiblichen und 60 Prozent der männlichen BundesbürgerInnen die gesetzliche Quote. Die Grünen waren seinerzeit die erste Partei, die eine harte Quotierung für alle Gremien von mindestens 50 Prozent einführte. Die CDU hat es lieber etwas weicher und strebt

Illustration R B Gerd-Altmann-AllSilhouettes.com/pixelio.de

Das Kreuz mit der Quote

mit einer Soll-Regelung von einem Drittel eine Umsetzung von Gleichberechtigung an. Eine 40 Prozent-Quotierung für beide Geschlechter hält die SPD für notwendig, um in Punkto Gleichstellung voran zu kommen. Selbst die CSU ist nach zähem Ringen und der Erkenntnis, dass »Männerparteien« beim Wahlvolk an Beliebtheit verlieren, bei einer 40 Prozent-Soll Regelung für Kreis- und Landesebene angekommen. Ortsverbände bleiben freilich ausgenommen. In den programmatischen Eckpunkten, im Programmentwurf, in Wahlprogrammen und Positionspapieren definiert sich die LINKE als feministische Partei und tritt für die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern ein. In ihrem Statut

ist eine Quotierung von mindestens 50 Prozent festgeschrieben. Ausnahmen sind möglich, wenn der Anteil der weiblichen Mitglieder einer Struktur weniger als 25 Prozent beträgt. So weit, so gut - die Realität sieht jedoch auch bei der LINKEN zum Teil anders aus. Statuarische Regelungen werden nicht eingehalten oder mit Tricks umgegangen, schlimmer noch: Der Frauenanteil in der LINKEN sinkt - die GRÜNEN haben die LINKE bereits überholt. Quoten allein lösen dieses Problem nicht. Sie sind nur eine Krücke, aber eine, die beim Gehen auf dem Weg zu wirklicher Gleichstellung hilft. Eine Kombination aus Quote und aktiver Politik für Gleichstellung ist ein besserer Ansatz.

Sich allein auf Satzungsregelung zu berufen, hilft eben spätestens dort nicht weiter, wo Kandidatinnen und weibliche Mitglieder fehlen. Die LINKE versucht nun mit einem eigenen Konzept, ihre Politik nach innen und außen für Frauen attraktiver und gerechter zu gestalten. Dieses Gleichstellungskonzept muss nun auch auf die Landesebene heruntergebrochen werden dafür sind Ideen, Vorschläge und Meinungen der Mitglieder gefragt. Schließlich vertritt die LINKE den Anspruch, eine feministische Partei zu sein. Jetzt muss sie zeigen, dass sie es auch ernst meint. Es sollten nicht weitere 100 Jahre vergehen, bevor die Ziele von Clara und Käte Realität werden. Stefanie Götze

der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 2010 offenbar wurde – die vorsätzliche Vernichtung von originärem Kulturgut eigener Herstellung. Nach einem einstimmigen Beschluss des von Prof. Dr. Kurt Biedenkopf geleiteten Aufsichtsrates der Porzellanmanufaktur wurde eine Charge von »unverkäuflichen Altbeständen« zerschlagen. Man spricht von mehreren Tonnen Lagerbeständen Meißener Porzellans. Vor einem solchen Meißen-Fenstersturz war sogar Napoléon einst zurückgeschreckt. Eine Lappalie, sollte man meinen, wenn sich die Geschäftsführung bis heute nicht weigern würde, darüber Aufschluss zu geben, was in jener Nacht in Meißen tatsächlich geschah. Auch

die Sächsische Staatsregierung verschließt sich bislang hartnäckig, über ihren Staatsbetrieb diesbezüglich nähere Auskünfte zu erteilen und hat damit heftigen politischen Gegenwind bei der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag hervorgerufen. Angesichts dieses Schweigens ist die Befürchtung nicht ganz von der Hand zu weisen, dass das traditionsreiche Unternehmen von zwei Seiten gefährdet werden könnte: einerseits durch die massive Übernahme von porzellanfremden Produkten jenseits der »Gekreuzten Blauen Schwerter« und andererseits durch die Preisgabe des Manufakturcharakters bis tief in den künstlerisch-gestalterischen Bereich durch wei-

tere drohende Entlassungen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich unter dem Leitmotiv »Manu in Gefahr« Anfang Februar 2011 eine Bürgerinitiative aus namhaften ehemaligen Mitarbeitern gegründet hat, die den dramatischen Personalabbau, die mangelhafte Nutzung des Jubiläumspotenzials, die genannte Porzellanvernichtung und die großen Kommunikationsdefizite der neuen Geschäftsführung vehement kritisiert und zugleich konstruktive Gegenvorschläge zur Zukunftssicherung der Manufaktur unterbreitet. Man darf gespannt sein, wie diese grundsätzliche Auseinandersetzung ihren Fortgang nimmt. Volker Külow

Polterabend in Meißen Seit gut zwei Jahren befindet sich die Staatliche Porzellanmanufaktur Meißen unter ihrem im November 2008 neu berufenen Vorsitzenden der Geschäftsführung, Dr. Christian Kurtzke, im Umbruch. Wohl kaum ein kulturpolitisches Thema im Freistaat Sachsen ist allerdings derzeit ein besser gehütetes Staatsgeheimnis als die Frage, wie sich dieser Umgestaltungs- und Sanierungsprozess vollzieht. Letzterer irritiert bzw. verschreckt nicht nur die aktuelle Belegschaft und viele frühere Mitarbeiter, sondern mittlerweile auch die interessierte sächsische Öffentlichkeit. Bereits anlässlich des 300-jährigen Firmenjubiläums im Jahr 2010 - in dessen Umfeld über

180 Kolleginnen und Kollegen entlassen wurden - entstanden zahlreiche Fragen, die vom eklatanten Versagen der Staatsregierung zeugten. In Dresden hat man offensichtlich erheblichen Nachholbedarf, die Bedeutung der technisch-kulturellen Weltspitzenleistung von 1710 bis zum heutigen Tage richtig einzuordnen. Beispielsweise hielt es die Staatsregierung kommentarlos für angemessen, einen zerbrochenen Teller auf der Gedenkmünze als Symbol für die Manufaktur hinzunehmen. Man musste keineswegs böswillig sein, um darin einen hellseherischen Fingerzeig auf den gegenwärtigen Zustand der Manufaktur zu erblicken, wie er dann durch den sogenannten »Polterabend« in


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Essay

Dresden am 13. Februar 1945 – die „unschuldige Stadt“? Prof. Gerhard Besier reflektierte in einem Vortrag, welche gesellschaftlichen Diskurse hinter den Ereignissen rund um den 13. Februar in Dresden stehen. »Links!« dokumentiert Auszüge. In Dresden findet ein Konkurrenzkampf unterschiedlicher Vergangenheitsinterpretationen um Deutungshoheit statt. Warum gerade in Dresden? Bei den üblichen deutschen Deutungen des Nationalsozialismus handelt es sich um einen breit akzeptierten Schulddiskurs, der um die Komponenten Schuld, Tat, Täter und Opfer arrangiert ist. In Dresden dagegen hat sich – von der Goebbels-Propaganda über die DDR-Deutungen bis hin zu dem NPD-Politiker Jürgen Gansel – ein deutscher »Leidensdiskurs« etablieren können, der als heimliche Meistererzählung unterhalb der offiziellen Geschichtskonstruktion eine erhebliche Faszination entfalten konnte. Attraktiv ist dieser »Leidensdiskurs« allein schon deshalb, weil er sich als hoch risikobehaftete Untergrunderzählung versteht, als der eigentlich zivilcouragierte Akt deutschen Widerstands gegen die übermächtigen Anderen, denen sich die feige Mehrheit der etablierten Deutschen gefügt hat. […] Der geplante Erinnerungsmarsch der so genannten »Jungen Landsmannschaft Ost-

deutschland« soll die Funktion einer »Deckerinnerung« wahrnehmen, das heißt, ein Triumphzug soll das Vergessen unangenehmer Erinnerungen bewirken und zum authentischen Merkzeichen der Gegenerinnerung werden. Der Schulddiskurs wird über einen triumphal inszenierten Leidenskurs aufgehoben. Aber es wäre unredlich, die Verdrängungsmechanismen allein der rechtskonservativnationalistischen Szene zurechnen zu wollen. Weite Teile der Dresdner Bevölkerung leisteten der Umdeutung Vorschub, indem sie – seit Frühjahr 1945 – immer neue Entlastungsdiskurse erfanden. Diese von Gunnar Schubert als »Lügen« bezeichnete Diskurse – die Mär von der »unschuldigen Stadt«, von der »Sinnlosigkeit der Bombardements«, von der übertrieben hohen Opferzahl, von den Tieffliegerangriffen, von der »Kunst- und Kulturstadt« und auch die vom »Antifaschismus« – dienten allesamt dazu, den Ort und seine Bewohner mit einer besonderen Distinktheit zu versehen und Stereotypen zu bilden. Damit befriedigten sie ein tiefes menschliches Bedürfnis. […] Wie alarmierend unsicher die Akteure nicht nur hinsichtlich des Erinnerungsdiskurses, sondern auch im Blick auf den Rechtsstaat sind, zeigen die hilflosen Reaktionen auf das Urteil des Dresdner Ver-

waltungsgerichts vom Januar 2011. Danach hätte die Polizei 2010 den als Trauermarsch verbrämten Demonstrationszug der »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland« ermöglichen müssen; sie hätte – so das Gericht – dem Recht auf Demonstration Geltung verschaffen müssen. Alarmierend ist andererseits freilich auch, dass die Staatsanwaltschaft ausgerechnet bei den Fraktionsvorsitzenden der Linken aus Sachsen, Thüringen und Hessen ein Exempel statuieren möchte, anstatt alle »Blockierer« zur Verantwortung zu ziehen, die mit polizeilichen Mitteln identifiziert

werden konnten. Der Rechtsstaat hat natürlich ohne Ansehen der Person das Recht durchzusetzen. Wir stehen vor den Scherben einer unreflektierten Vergangenheitspolitik. In dieser verunsicherten Erinnerungslandschaft konnten alternative Deutungen leichter Fuß fassen als anderswo. Komplementär zum verfehlten Erinnerungsdiskurs müssen wir eine wenig überzeugende Rechtspolitik erleben, die einerseits dem Recht Geltung verschaffen will, andererseits aber diesen an sich sachgemäßen Ansatz dazu nutzt, um über selektive Ahndung eine bestimmte politische

Gruppierung zu stigmatisieren. Die wenig originelle Symbolpolitik ist an ihr Ende gelangt. In Zukunft wird es darauf ankommen, sich in die Niederungen inhaltlicher Erinnerungsarbeit zu begeben und mit guten Argumenten die Bürger zu überzeugen – in der Öffentlichkeit wie im Landtag. Nur so werden wir der Gespenster aus der Vergangenheit Herr und stärken das Demokratiebewusstsein wie die historischpolitische Urteilfähigkeit der sächsischen Bürger.

Es war einmal ein Staat, der weihte sich seine Jugendlichen selbst, indem er sie dazu brachte, ein Gelöbnis abzulegen. Es gibt ihn nicht mehr! Oder doch? Schon wieder! Sprachgeschichtlich gehören Wörter wie »loben«, »geloben«, »Gelübde«, »Gelöbnis« und »glauben« zusammen. Meist begegnen wir ihnen in religiösen Zusammenhängen. In den christlichen Kirchen gibt es Taufgelöbnisse, die bedingungslos an den Glauben binden oder Gelübde, sich in Liebe (gehört übrigens auch zur Wortfamilie) zu Gott bedingungslos vorgegebenen Regeln zu überantworten, wie z.B. bei Ordenseintritten. Wenn solches freiwillig geschieht, ist dagegen nichts einzuwenden und es geht am Ende auch niemanden etwas an. Solche Gelübde und Gelöbnisse fordern üblicherweise auch tätigen Widerstand gegen den Feind des Glaubens, der Gläubigen und ihres Got-

tes. »Widersagt Ihr dem Teufel?«, werden Katholiken gefragt - bei der Taufe, bei der Erstkommunion und bei der Firmung - »Wir widersagen!«, ist die Antwort. Ähnlich war es bei den Gelöbnissen zur Ju-

der DDR erfunden wurde, sondern lange zuvor, und auch das »Gelöbnis« brachten die Nähe zum Religiösen. Wie beim christlichen Taufgelöbnis antworteten die Jugendlichen: »Das geloben wir!« Es ist mit Recht zu fragen, ob eine solche Selbstüberhöhung des Staates gerechtfertigt sein kann, auch wenn seine Ziele noch so gut sind. Es erübrigt sich damit faktisch die Legitimation des Staates durch die Bürger, weil er sie mit dem Gelöbnis dazu bringt, ihn selbst und die Ideen, für die er steht, als Grundlage seiner Legitimität anzuerkennen. Nicht der Staat sichert seinen Bürgerinnen und Bürgern zu, dass ihre Würde unantastbar sei oder alle Macht vom Volke ausgehe - nein, der Bürger und die Bürgerin geloben, dass Staat und Staatsideen unantastbar seien und alle seine Macht vom Volk verteidigt wird. Im demokratischen Verfassungsstaat sollte eigent-

lich das Erstere gelten. Der Staat ist für seine Bürgerinnen und Bürger da, und zwar so, wie diese es wollen; Gelöbnisse und Glauben haben da keinen Platz. Engagement sehr wohl. Auch die heutige Jugendweihe folgt diesem Prinzip und hat das Gelöbnis abgeschafft. Dazu kann man die Jugendlichen nur beglückwünschen. Der Freistaat Sachsen - oder besser gesagt jene, die ihn derzeit repräsentieren und regulieren - wollen es anders. Sie haben ein Gelöbnis erfunden, das sich kurz »Extremismusklausel« nennt und dem sich Vereine und Verbände, vor allem aber Demokratieprojekte unterwerfen sollen, wenn sie Unterstützung und Geld vom Staat wollen. Der Text beginnt mit »Hiermit bestätigen wir, dass ...« - leicht ersetzbar durch »das geloben wir«, wenn das zu Bestätigende (Treue zum Grundgesetz) als Frage formuliert wäre. Der Text folgt auch im Weiteren

dem Gelöbnis, das jetzt üblicherweise das Ja zum Kampf gegen alles Feindliche fordert - »Wir widersagen«allem Extremistischen und »geloben«, es aufdecken zu helfen. Wir sind angekommen! Der Staat ein Objekt des Glaubens und Gelobens, ein Orden, in Gelübden seiner Mitglieder befestigt. Nichts mehr mit »Gesellschaftsvertrag«, keine Bindung mehr in demokratischer Übereinkunft. Allgemeine Verunsicherung, denn „das Böse ist immer und überall“. Ja, man könnte wirklich lachen, wäre es nicht so ernst. Wenn eine Partei, die sich zum Christentum bekennt, Staat und Glauben verwechselt, stellt sie übrigens auch ihren Glauben in Frage. »Gott hat dir nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit«, sei ihnen deshalb mit Timotheus (2;1,7) ins Gebetbuch geschrieben. Peter Porsch

Vom gelobten Staat und seinen Gelübden gendweihe in der DDR. Hier sollten die Jugendlichen in die Pflicht genommen werden, für den Frieden und für ein demokratisches Deutschland einzutreten und den Sozialismus auch im Kampf zu verteidigen. Es gab in der Zeit verschiedene Varianten dieses Gelöbnisses. Schon das Wort »Jugendweihe«, wenn es auch nicht in

Der komplette Vortrag ist auf der Internetseite www.linkssachsen.de nachzulesen.


Caren Lay erlütert die Notwendigkeit bezahl-

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Sachsens Linke

barer Strompreise auf Seite 5. Dr. Cornelia Ernst schildert das Problem

und die Auswirkungen des Wegfalls der EUStrukturfördermittel für Leipzig und Chemnitz ab 2013 auf Seite 7. Den doppelten Skandal bei den HartzIV-Verhandlungen

beschreibt Michael Leutert auf Seite 8. Und ebenfalls auf Seite 8 hinterfagt Sabine Zimmermann den Mythos des deutschen »Jobwunders«.

Dresden im Februar s zu den Ereignissen Berichte und Interview 2011 ar am 13. und 19. Febru

Ein Schritt nach vorn, drei zurück

»Festung Dresden« bitte zum letzten Mal! Wann endlich lernen Gerichte und eine hilflose Dresdner Stadtspitze aus den Fakten am DresdenGedenktag? Es hat doch geklappt!? Zumindest am 19.Februar, an dem die braune Szene die große Mobilisierung ihrer Wochenendnazis erhoffte, standen nur ein ratloser Haufen hinter dem Hauptbahnhof und ein wütender Haufen am Dresden-Plauener Rathaus eingeklemmt herum. Zum zweiten Mal nach 2010 haben Blockaden einen demonstrativen Marsch verhindert, auf den es den Rufern von »Nationaler Sozialismus jetzt!« so sehr ankommt. Ein Erfolg gegen die von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland JLO organisierten Nazis, ein Erfolg gegen die Stadtverwaltung und gegen Richtersprüche, die niemand mehr versteht. Aber um welchen Preis? Die guten Nachrichten zuerst. Die weitgehende Isolation der Nazis hat inzwischen dazu geführt, dass sich kaum noch ältere Dresdner spontan ihrem Zug anschließen, solche, die den Mythos eines einmaligen Kriegsverbrechens an ihrer

heiligen Stadt pflegten. Spontanitäten sind nun eher auf der anderen Seite zu beobachten. Viel zu wenige schienen sich am 13. Februar für die Menschenkette am Rathaus zu versammeln. Es lag wohl daran, dass dort ausgerechnet jener CDU-Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel sprach, der vier Tage zuvor beim Politikforum der ZEIT so unsäglich herumstammelte und jedes politische Bekenntnis vermissen ließ. Dann aber zerstreuten viele Passanten die Zweifel. Der Witz ist meist links, und so hielten Gewerkschafter am Volkshaus statt der verbotenen Mahnwache eine öffentliche Landesbezirksvorstandssitzung auf ihrem privaten Grundstückszipfel ab. Auch andere Verbote wurden geschickt umgangen. Auf friedlichen, manchmal fröhlichen Blockaden und Gegendemonstrationen traf man Bekannte, die sich nicht mit einem Gebet in sicherer Entfernung begnügen wollten. »Ich beklage, dass unsere Gerichte aus der Geschichte nichts gelernt haben«, rief allerdings am Schluss einer

Mahnwache vor der Kreuzkirche ein pensionierter Pfarrer. Das Urteil des Dresdner Verwaltungsgerichtes vom 20. Januar verlangte rückblickend auf 2010 den Schutz der von der JLO angemeldeten Demonstration um jeden Preis. Später legte dasselbe Gericht mit weiteren irrationalen Entscheidungen nach, als es die Zusammenlegung der drei angemeldeten Nazi-Märsche zu einem einzigen untersagte. Von diesen Urteilen ging eine verheerende Wirkung aus. Stadtverwaltung und Polizeidirektion gerieten in Panik und meinten, ihnen am besten durch möglichst weiträumige Trennung der Lager genügen zu können. Die Elbe wurde in schon fast bemitleidenswerter Naivität als Trennlinie definiert. Aus Angst verbot die Stadt auf der Altstädter Seite alles, ausgenommen bezeichnenderweise die CDU-Mahnwache an der Synagoge und die in den Kirchen. Ohne die erkrankte Oberbürgermeisterin Helma Orosz fand sich außerdem in der hilflosen Bürgermeisterriege niemand, der mit Blick auf den 19. Februar ein klares politisches

Bekenntnis zum Widerstand gegen die Nazi-Instrumentalisierung Dresdens abgeben wollte. Es hätte ja als rechtswidriger Aufruf zu Blockaden gedeutet werden können. Ein solches Trennungsgebot aber ist weder in Dresden noch anderswo durchzusetzen. Solange die ärgsten Verfassungsfeinde von der Verfassung geschützt marschieren dürfen, werden sich aufrechte Bürger dagegen empören und ihre Empörung nicht nur in der risikolosen Distanz einer Menschenkette zeigen wollen. Und auf unwiderstehliche Weise werden solche Provokationen die Radikalen im linken Spektrum anziehen, die ihre Kräfte gern sowohl mit den braunen Nationalisten als auch mit der Polizei messen wollen. Dass sie mit Steinwürfen und brennenden Barrikaden disziplinierten Blockierern in den Rücken fallen, scheint sie dabei nicht zu interessieren. »Wir kriegen kein flächendeckendes Sicherheitskonzept hin«, musste Polizeipräsident Dieter Hanitsch am Tag danach einräumen. Fortsetzung auf Seite 3

Die Staatsregierung will eine Staatsmodernisierung auf den Weg bringen. Wie schon bei der geplanten Reform der sächsischen Polizei, zäumt die Regierung das Pferd von hinten auf. Es gibt keine klare Aufgabenkritik und keine Analyse, warum welche Behörde nach welchem Ort verschoben wird. Die Regierung entscheidet ad hoc über Schließungen, Verlagerungen und Zusammenlegungen. Einst haben sich Verwaltungsbezirke danach gerichtet, wie schnell ein Bürger die Verwaltung erreichen konnte. Unter den heutigen Voraussetzungen von Mobilität, Flexibilität und technischem Fortschritt bei der Kommunikationstechnik sind nun überwiegend andere Anforderungen an die Verwaltungsorganisation zu stellen. Dennoch ist ein Umbau stets unter Beachtung der Bedürfnisse der Menschen vorzunehmen und nicht ausschließlich unter fiskalischen oder demografischen Faktoren. In der letzten Legislaturperiode haben wir im Landtag ausführlich unseren Vorschlag zur Einrichtung eines sachsenweiten Netzes von Bürgerämtern im Sinne von Servicezentren vorgestellt. Meiner Auffassung nach sollte es unabhängig davon, wer laut Gesetz für die Bearbeitung zuständig ist – ob der Landkreis, die Stadt, ein Zweckverband oder der Staat – einen einheitlichen, bürgerfreundlichen Anlaufpunkt geben. So wie es in den Großstädten Leipzig und Dresden längst erfolgreich gehandhabt wird. Diese Anlaufpunkte sollten so über das Land verteilt werden, dass Wege entstehen, die tatsächlich zumutbar sind.


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Glossiert

Das Rätsel Von Stathis Soudias Ein Schwan, der in Selbstmitleid versinkt. »… und ich wünsche alles Gute und viel Glück ihm selbst und seine Familie«. Dem sei nichts hinzu zu fügen. Doch politisch ist die Affäre noch lange nicht abgeschlossen. Denn die Kanzlerin so ziemlich alle mit Füßen tritt. Sie zertrümmert genau das, was sie für sich und ihre Partei in Anspruch nimmt und ad absurdum führt: mit einem Vokabular der Dolchstosslegende: »Keiner muss die CDU an Ehre und Anstand…«! Dazu erlaube ich mir eine kleine Episode einzufügen. Nennen wir sie »Oder an Angela«: Die Sitzung hatte noch nicht angefangen als ein Fremder den Raum betrat. Er sah sich um und fragte: „Sind sie allesamt anständige Menschen?“ Wir sahen uns an. Stirnrunzeln. „Ja, das sind wir“, antworteten einige. „Ich glaube ihnen, aber, können sie das auch beweisen? Haben sie darüber einen Ausweis?“ „Was für einen Ausweis?“ Alle sahen den Fremden an. „Einen Ausweis, der amtlich, mit Stempel und Gebührenmarke ihre Anständigkeit bestätigt“. „Nein, haben wir nicht. Wir haben die verschiedensten Ausweise, denken sie nur nicht, dass in diesem Land Menschen leben, die keinerlei Ausweise haben. Eigentlich kann man sogar sagen, dass wir mit Ausweisen ganz gut bedient sind. Aber, einen solchen Ausweis gibt es nicht“. „Nicht? In Deutschland wird per Gesetz geregelt. Und wenn kein Gesetz, dann Verordnungen, Richtlinien, Dienstanweisungen. Daher brauchen sie Ausweise, welche die Anständigkeit bescheinigen. Wie sonst können sie überall und jederzeit Ihre Anständigkeit beweisen? Betretenes Schweigen. Liebe Jana, meine Erzählung ist eine wahre. Genauer gesagt, sie ist eine wahrhaftig geklaute, ein Plagiat. Solltest du -oder irgendein Leser- mir sagen können, von wem ich geklaut habe, winkt ein Abendessen mit mir!

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

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Meinungen Enrico Hilbert zu Cornelia Falken „Wir brauchen im Parlament Erneuerung und Erfahrung“ in Sachsens Linke 1-2 /2011

Erstaunt hat mich mit welcher Inbrunst der Artikel, indem die Partei selbst und außerparlamentarische Fragen überhaupt keine Rolle spielen, geschrieben wurde und mit wie wenig Phantasie. Irritiert hat mich überdies der Zeitpunkt, als ob es keine anderen Probleme und Notwendigkeiten gäbe. Aus der Sicht von Frau Falken ist er mir jedoch trotzdem verständlich und sie hat sicher im Einvernehmen mit zahlreichen anderen hochdotierten Parlamentariern gehandelt. Um so mehr hatte mich der Beitrag von Genossin Gläß angeregt, mit meinen Gedanken in alten Zeiten zu schwelgen. In den Jahren des Anfangs der Partei (SED-PDS, PDS) gab es hitzige Diskussionen um Amt, Mandat, Begrenzung und gegen Dopplung, Partei oder Bewegung. Damals war bei den Sozialisten kaum Geld zu verdienen und trotzdem hatte ich den Eindruck, daß viele Genossinnen und Genossen angehalten waren mit zu tun, bei allen Fragen sich einzumischen, und Ideen einzubringen. Lang, lang ist´s her...?! Nein Cornelia Falken, die scheinbare Analyse und Plausibilität der im Artikel benannten Argumente greift nicht! (z.B. ging die Partei nicht unter als nur noch zwei Abgeordnete der LINKEN in Deutschland ihre Stimme im Bundestag liehen.) Es ist platt und ohne jegliche Phantasie, zu behaupten es geht nur so, wie es alle anderen auch tun! Namhafte Linke die einst viele Menschen begeistern konnten für eine sozialistische Idee waren niemals Abgeordnete und zahlreiche Abgeordnete lockten und locken heute keine Menschenseele aus der warmen Stube auf die Straße, geschweige denn, daß sie Begeisterung hervorrufen könnten und verdienen Geld mit Politik im Parlament. Wäre es nicht eine lohnenswerte und spannende Aufgabewenn alle Tage überall Menschen dadurch, daß sie so Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

intensiv eingebunden werden, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen? Anstatt also, abzulehnen, was nur aus Sicht eines bezahlten Politikers unmöglich erscheinen kann (Begrenzung der Mandatszeit), ist es gerade unsere Aufgabe das Unmögliche in die Tat umzusetzen. Basisgruppe Arnsdorf, Jochen Tannigel : Das Gesicht der Basis zuwenden! In seinem Artikel zur Vorstellung des Projektes »links!« fordert Peter Porsch auf: »Jede Leserin , jeder Leser kann jetzt ergänzen... Tatkräftiges, offenes, streitbares Mitschreiben ist gefragt. Unsere Basisgruppe unterstützt diese Aufforderung, indem wir in unserem Ort in der Öffentlichkeit politisch wirken, obwohl die meisten unserer Mitglieder bereits im höheren Rentenalter stehen. Erfolg konnten wir mit der Werbung von Abonennten des Magazins »clara« erzielen. In unserer Mitgiederzeitung »Links« wünschen wir uns einen lebendigen, konkreten und bereichernden Erfahrungsaustausch über Inhalt und erfolgreiche Methoden der politischen Arbeit von Basisgruppen in der Öffentlichkeit, vieleicht in einer ständigen Zeitungsrubrik »Aus der Parteibasis? Natürlich kann unsere Zeitung so eine Rubrik nur einrichten, wenn sie Zuschriften aus den Basisgruppen erhält. �Ein weiteres Problem: Viele Mitglieder und Sympathisanten der Linken sind weitgehend darauf angewiesen, sich in Fernsehen oder Tagezeitungen über die Aktivitäten des Bundesvorstandes der Linken und der Bundestagsfraktion zu informieren. Deshalb schlagen wir vor, in unserer Zeitung regelmäßig auch ausgewählte Informationen aus dem Bundesvorstand und der Bundestagsfraktion zu veröffentlichen. Immo Haensch per Mail Herzlichen Glückwunsch zur ersten Ausgabe der neuen Zeitung. Ich habe sie mit großen Interesse gelesen. Weiter so.

Auflage von 17.650 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Bodo Schulz schrieb: Letzte Woche bekam ich die neue Ausgabe von »Links« zugesandt, ehemals »so!« oder auch »!« – worüber ich mich übrigens immer sehr freue, auch für mich als Nicht-Parteimitglied eine immer lesenswerte, interessante Lektüre. Überrascht war ich dann allerdings, heute dieselbe Zeitung noch mal zugesandt zu bekommen – beide unterscheiden sich nur bei den letzten beiden Seiten. Von der Ausgabe die ich heute zugesandt bekommen habe, habe ich mal den WikiLeaks Artikel ausgeschnitten, weil ich damit inhaltlich nicht einverstanden bin. Das Credo von Julius Cäsar lässt mich dann doch fragen, ob er das vor oder nach seiner Ermordung durch seinen Sohn gesagt haben soll? Nun wenn die Schere im Kopf eines Guido Westerwelle derart fehlt, das er seine Partei mit unpassenden Ausführungen zu »spätrömischer Dekadenz« zumindest kurzfristig bei Umfragen unter 5 Prozent drückt, dann wird da auch kein WikiLeaks mehr helfen. Und er bleibt an der Macht kleben wie heute Hosni Mubarak... Dem Thomas Dudzak muss man schon vorwerfen, sich nicht ausreichend Gedanken zum Thema Journalismus gemacht zu haben. Der eigentliche Verdienst von WikiLeaks besteht doch darin, auf erhebliche Kriegsverbrechen der US-Amerikaner aufmerksam gemacht zu haben, im Irak als auch in Afghanistan. In der jetzigen Situation der offensichtlich konstruierten Verfolgung des WikiLeaks- Begründers wirkt dieser Artikel jedenfalls offen entsolidarisierend. Horst Szczodrok zur letzten Ausgabe Schlaglöcher: Wenn ich mir das Löcherkitten ansehe, da wird mir schlecht. Das Geld wird nie reichen, wenn man immer wieder den billigsten nimmt und nicht den mit Fachkompetenz. Die Löcher werden nicht gereinigt, Wasser entfernt, nicht vorgewärmt, sondern nur etwas reingepappt, wie soll das halten, reine Geldverschwendung. Internet unter www.sachsens-linke.de Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720

Dioxinskandal: Es stellt nur eine Profilierung der Verbraucherministerin und der Industrielobby dar, ändern wird sich nichts, ohne eines scharfen Strafkatalogs bis zur ersatzlosen Enteignung! Selbstkontrolle funktioniert in diesem lande nicht! Atomstromlobby: Aussage der Bundeskanzlerin, Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministers: »Atomkraftwerksverlänge rung ist erforderlich um die Strompreise stabil zu halten und den finanziellen Ausbau der erneuerbaren Energien durch die Energiewirtschaft zu sichern« Wirklichkeit: Strompreise steigen und den Ausbau von erneuerbaren Stromerzeugungen finanziert der Verbraucher. Bahn AG: Wegen angeblich fehlenden Mitteln sind die Winter- und Sommerpannen entstanden, nun Geschrei nach Mitteln vom Bund. Wie kann man Ausschüttungen ausführen und die Sicherheit vernachlässigen, handelt es sich hier nicht um eine strafbare Handlung! Steffen Name, Hennigsdorf per Mail mit einem Bericht aus Dresden Als auf der Augustusbrücke ab ca. 15:00 Uhr schon vereinzelt Personen passieren konnten teilte mir ein verantwortlicher Einsatzleiter, ein junger Polizeikommissar vom Polizeirevier Dresden-Blasewitz, auf zweimaliges Nachfragen wortwörtlich mit: »Ver.di-Mitglieder kommen bei mir hier nicht durch. Sie dürfen aus Sicherheitsgründen die Brücke nicht passieren, da für die Dresdner Altstadt ein generelles Veranstaltungsverbot ausgesprochen wurde.« Unabhängig davon, woher dieser Beamte wissen wollte, dass wir einer Veranstaltung beiwohnen wollten, ist es für mich als Gewerkschaftsmitglied unerträglich, im Jahr 2011 in Deutschland an der Ausübung meines im Artikel 8 des Grundgesetzes verankerten Grundrechts behindert zu werden. Ich finde es unmöglich, dass sich hier die Politik in schäbiger Art und Weise drückt, insbesondere die Dresdner Stadtverwaltung bis zur Oberbürgermeisterin, und die Verantwortung delegiert. In guter deutscher Tradition wurde selektiert, Gott gleich, denn es war nicht zu übersehen, wie dieser Beamte seine Macht genoss, denn während wir am Passieren der Brücke gehindert wurden, durften Dutzende von Menschen an dieser Stelle über die Brücke gehen.


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Dresden im Februar Verhinderter Naziaufmarsch in Dresden. Sie kamen nicht durch: Dank Euch!

Der für den 19. Februar geplante Nazi-Aufmarsch in Dresden konnte auch in diesem Jahr wieder erfolgreich verhindert werden. Viele tausend Menschen blockierten an wichtigen Schlüsselpunkten die Marschrouten der Faschisten. Ich danke allen, die sich trotz des kalten Wetters so zahlreich an den friedlichen Blockaden beteiligt hatten. Das zeigt, dass Zivilcourage das schaffen kann, wozu sächsische Politik und Dresdner Stadtverwaltung nicht in der Lage waren. Ich freue mich sehr, dass die Dresdnerinnen und Dresdner dabei von so vielen Genossinnen und Genossen aus Sachsen und aus anderen Bundesländern tatkräftig unterstützt wurden. SEK-Einsatz Indes am Abend, nach Ende der erfolgreichen Protestaktionen, stürmte plötzlich ein Sondereinsatzkomman-

do (SEK) der Polizei in voller Kampfausrüstung das »Haus der Begegnung« in Dresden. Dabei wurden sämtliche Türen des Hauses aufgebrochen, eingetreten oder aufgesägt. Betroffen waren u.a. die Dresdner Geschäftsstelle der LINKEN, eine Rechtsanwaltskanzlei, eine Privatwohnung und verschiedene Vereinsräume. Der (mündliche) Vorwurf lautete Verdacht auf Landfriedensbruch und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Eine schriftliche Durchsuchungsanordnung konnten die Polizisten jedoch nicht vorlegen. Die zum Zeitpunkt der Erstürmung im Haus anwesenden 15 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Diese Personen, darunter teils ältere Genossen, wurden nicht einmal über ihre Rechte belehrt. Das SEK agierte wie ein übermotiviertes Überfallkommando, und das offensichtlich ohne Einsatzleiter. Ein sich als solcher bezeichnender Beamter erschien erst Stunden später auf Forderung eines anwesenden Rechtsanwaltes vor Ort, und seine Erklärungen waren mehr als dürftig. Im Nachhinein stellte sich obendrein heraus, dass sich die Polizis-

ten offenbar in der Hausnummer irrten. Die richterliche (mündliche) Durchsuchungsanordnung bezog sich auf die Großenhainer Str. 86a, das Haus der Begegnung hat aber die Nr. 93. Im Ergebnis dieses offenbar völlig fehlgeschlagenen Einsatzes des Landeskriminalamts (LKA) bleiben Fragen offen: War das LKA eventuell Erfüllungsgehilfe des Sächsischen Verfassungsschutzes? War der Einsatz des SEK nach Lage der Dinge wirklich verhältnismäßig? Wer trägt hierfür die Verantwortung? Diesen völlig überzogen Polizeieinsatz und die dabei angewandten unverhältnismäßigen Mittel werden wir LINKEN uns nicht gefallen lassen. Darüber wird politisch, parlamentarisch und juristisch noch zu sprechen sein! In unserem Kampf gegen Neonazis werden wir uns außerdem davon nicht einschüchtern lassen. Aus diesem Grund werden wir, wenn notwendig, auch nächstes Jahr in Dresden auf die Straße gehen und friedlich protestieren - bis endlich Nazi-Aufmärsche in Dresden Geschichte sind! Rico Gebhardt

»Laut LKA liefen keine Ermittlungen« Die Polizeiaktion gegen das »Haus der Begegnung« am Abend des 19. Februar löste einen Sturm der Empörung aus. Sachsens Linke! sprach mit den beiden Vorsitzenden des Vereins Roter Baum e. V., Martin Krappmann und Anne Gieland, sowie mit der Geschäftsführerin Anja Stephan. Sie alle mussten das brutale Vorgehen der Polizei miterleben. Welcher Begriff passt am besten auf das Vorgehen der Polizei – „Razzia“, „Durchsuchung“, oder gar „Überfall“? Anja Stephan: Die unverhältnismäßige Härte der Stürmung unseres Jugendhauses legt Begriffe wie Razzia und Überfall schon sehr nahe. Dass dieses Haus ein öffentlich gefördertes Jugendfreizeitzentrum ist, wollten oder konnten die Beamten trotz der offensichtlichen jugendspezifischen Einrichtung und unseren deutlichen Aussagen mehrere Stunden lang nicht verstehen. Mit roher Gewalt und unter unwürdigen Bedingungen wurde gegen die jungen Menschen im Haus und gegen sämtliches im Weg stehendes Inventar vorgegangen. Wie geht es den durch die massive Polizeigewalt verletzten Personen? Anne Gieland: Alle Betroffenen sind vorerst versorgt. Das „Bündnis Dresden Nazifrei“ hat uns ebenso wie viele andere Organisationen juristischen Beistand angeboten. Zwei der Betroffenen mussten im Anschluss an die Polizeiaktion in einer Klinik behandelt werden. Um die körperlichen Schäden machen wir uns allerdings weniger Sorgen als um die bleibenden seelischen Schäden. Wir werden hier in enger Absprache mit den unrechtmäßig Festgenommenen prüfen, welche rechtlichen Schritte wir gegen Polizei und den Freistaat Sachsen einleiten werden. In den Zeitungen wurde euer Verein mit dem Verdacht auf „schweren Landfriedensbruch“ und „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ konfrontiert. Ist die

Fortsetzung von Seite 1 »Die Rechtssprechung stimmt mit der Lebenswirklichkeit nicht mehr überein«, fügte er hinzu. Wenn das schon ein Polizeipräsident oder sinngemäß auch die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch sagen, wie soll dann die große Mehrheit der Bürger solch irrationale Rechtssprechung nachvoll-

ziehen? Was die Polizei aus diesem Dilemma machte, ist nicht generell zu verurteilen. Es gab präventiv viel zu harte Übergriffe und sinnlose Anordnungen, wenn Busse schon auf der Autobahn festgehalten wurden. Und es gab die Rambos vom Sondereinsatzkommando des Landeskriminalamtes, für die der Hauptfeind immer links

steht und folglich im gesamten Dresdner Haus der Begegnung zu finden ist. Aber man konnte auch kluge Einsatzleiter wie etwa am Müllerbrunnen in Plauen beobachten, die mit gerade zwei Hundertschaften tausend Nazis in Schach hielten. Wenn Innenminister Markus Ulbig (CDU) jetzt über das Versammlungsrecht und ein Dresden-Konzept reden will, ist das

nicht nur eine Watsche für die unfähige Stadtspitze, sondern auch ein richtiges Vorhaben. Denn das schwarz-gelbe Versammlungsgesetz hat sich endgültig als Placebo erwiesen. Was Innenstaatssekretär Michael Wilhelm nur andeutet und noch niemand laut sagen will: Es muss dabei auch um ein mögliches Verbot des JLO-Aufmarsches etwa nach

Staatsanwaltschaft inzwischen offiziell an euch herangetreten? Martin Krappmann: Laut Aussagen von LKA und Staatsanwaltschaft liefen zu keinem Zeitpunkt Ermittlungen gegen unseren Verein. Dass heißt, dass entweder nicht richtig recherchiert oder aus politischem Interesse heraus bewusst gegen uns berichtet wurde. Leider steht eine öffentliche Erklärung von Seiten der Staatsanwaltschaft oder des LKA noch aus. Was sagt ihr zu den oben genannten Vorwürfen? Martin Krappmann: Wir halten diese für vollkommen absurd. Wenn bei dem Polizeieinsatz nicht Menschen, unser Jugendhaus und unser Verein Schaden genommen hätten, könnten wir uns glatt darüber amüsieren, dass man davon ausgeht, man könne mehr als tausend angebliche autonome Gewalttäter an einem Tag wie dem 19.02.2011 in Dresden zentral lenken und steuern. Der friedliche Aufruf des „Bündnis Dresden Nazifrei“, dem sich viele tausende Menschen anschlossen, soll hier gezielt kriminalisiert und mit Repressionen versehen werden. Speziell das Jugendhaus wurde in diesen Tagen von jungen Sanitätern genutzt, welche die Demonstrationen begleitet haben, um eventuellen Verletzten unparteiisch und ehrenamtlich zu helfen. Beim Sturm der Polizei entstand im Haus der Begegnung erheblicher Sachschaden. Wer muss nun dafür aufkommen? Ist eure Arbeitsfähigkeit gefährdet? Anja Stephan: Unsere Arbeitsfähigkeit ist im Moment massiv beeinträchtigt, wir hoffen daher auf viele Spenden und anderweitige Unterstützung. Wer für den entstandenen Schaden dann letztendlich aufkommt, ist leider noch offen. Von der breiten Anteilnahme und den Solidaritätsbekundungen uns gegenüber sind wir sehr berührt und danken allen, die uns bisher geholfen haben. Spendenkonto: Jugendverein »Roter Baum« e.V. Bank für Sozialwirtschaft BLZ 850 205 00 Konto 3 577 200 dem Modell des WunsiedelUrteils gehen. Und es müssen zivilgesellschaftliche Institutionen wie etwa »Bürger Courage« oder »Dresden Nazifrei« einbezogen werden. Wenn das verbleibende Jahr nicht genutzt wird, könnte Dresden an seinem wichtigsten Gedenktag 2012 wieder zum Schlachtfeld werden. Mark Spitz


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Programmdebatte

Sachliche, basisdemokratische Debatte?

Nun also haben wir einen konkurrierenden Entwurf, nicht aber einer ideologischen Plattform innerhalb der LINKEN, sondern von nur zwei Personen. Das Besondere ist, diese zwei Personen gehören zum geschäftsführenden Parteivorstand, der gerade hauptverantwortlich ist für die Organisation einer breiten demokratischen Debatte zum vorliegenden Entwurf. Natürlich könnte theoretisch jedes der ca. 75.000 Mitglieder seinen eigenen Entwurf der Redaktionskommission zuleiten - ohne viel »Tamtam«. Aber wenn zwei das Gleiche tun, ist es lang nicht dasselbe! Die Medienreaktion zeigt es. Die bisherige Debatte war und ist - wenn man von den profilneurotischen Vortragungsarten einiger Einzelpersonen absieht - alles noch Wortmeldung in einem ergebnisoffenen Diskussionsprozess. Auf dem Programmkonvent in Hannover wurde ein erster Versuch unternommen, die Vielfalt der Debatte öffentlich zu machen und gleichzeitig zu zeigen, dass darin Einheit und Geschlossenheit zu finden ist. Auch ich schrieb danach in »Sachsens Linke« im Dezember, dass Einigung möglich sei. Diese Zuversicht war nicht überall. Der Beschluss 07-2010 des neu gewählten Parteivorstan-

des war nicht angetan eine von breiter demokratischer Teilhabe gekennzeichnete Programmdebatte weiter zu befördern. Es war kein neuer Programmentwurf vor dem Leitantrag zum Bundesparteitag mehr zu erwarten, dadurch gab es Befürchtungen, es könnten Zuarbeiten »unter den Tisch« gefallen lassen werden. Der Prozess wurde intransparenter, der neu gebildeten Redaktionskommission wurde wenig zugetraut. Beiträge wurden über den Sommer intensiver und ausgefeilter. Der neue Parteivorstand scheint genau all dies zu spiegeln. Die beiden Autoren legen eine einfache Zuarbeit vor, ihrer erreicht nicht einmal das Niveau des offiziellen Entwurfs. Sie entwickeln richtigerweise das Problem der digitalen Welt, die neue Arbeitswelt und den »demokratischen Sozialismus« intensiver. Das sind Bereicherungen die aber schon längst in die Debatte eingespeist waren. Bedurfte es also der Zuspitzung durch einen öffentlich gemachten konkurrierenden Programmentwurf? Neben wirklich guten Ausführungen, denen man den Eingang in einen überarbeiteten Entwurf wünscht, gibt es aber eklatante Mängel: Wer den Kampf um die Erhaltung des Sozialstaates des späten 20. Jahrhunderts missversteht als »Beibehaltung der Bismarkschen sozialen Sicherungssysteme des 19. Jahr-

hundert«, hätte besser sich zur Sozialpolitik gar nicht geäußert. Die Ursachen für Politikverdrossenheit und die neue Qualität des Imperialismus werden verseichtigt. Außer einem schönen Ziel, wofür die LINKE kämpft, sind alle prüfbaren Kriterien für »erfolgreiche« linke Politik raus (Reformalternativen). Weder Mindestlohn noch (politischer) Streik finden sich! Das kann nicht als »Versehen« abgetan werden. Daneben übernehmen die beiden Autoren auch bereits problematisierte Passagen des offiziellen Entwurfs unkritisch wie den ungenauen Sprachgebrauch bei der Geschichtsbetrachtung. Die uns bereits auf die Füße fallende Problematik von Berufspolitik und Ehrenamt fehlt ebenfalls nun völlig. Eines sei den beiden Autoren »ins Stammbuch geschrieben«: Antoine de Saint-Exupéry sagte nicht, dass die Schiff bauenden Männer nicht jene handwerklichen Fähigkeiten bräuchten, um ihrer Sehnsucht nach dem Meer Gestalt geben zu können. Wir sind wieder bei ganz alten Debatten – Vision und praktische Politik zu verbinden, glaubhaft für die Gesamtpartei, für WählerInnen und für die gesellschaftliche Auseinandersetzung. Aber dies zu ermöglichen, zu organisieren, dazu sind sie eigentlich im Parteivorstand. Die beiden Autoren verstehen ihr (politisches) Handwerk (noch?) nicht! Ralf Becker

Programmdebatte in Chemnitz Die über 40 Mitglieder des Ortsverbandes Sonnenberg in Chemnitz, haben intensiv die Diskussion zum Entwurf des Parteiprogramms geführt. Grundsätzlich stimmt uns der Entwurf in seinen Grundaussagen optimistisch für die Bestimmung unseres Standpunktes und über die aufgezeigten Schwerpunkte künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen. Vor allem begrüßen wir die klaren Aussagen und Forderungen nach Vergesellschaftung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft sowie einer sozialistischen Perspektive in unserem Land. Von ganzem Herzen stützen wir die Forderung nach konsequenter Ablehnung von Militäreinsätzen und einer Abkehr von der NATO. Denn Kriege lösen keine Probleme – sie schaffen neue und weiter verschärfende Probleme(siehe Irak und Afghanistan; wobei zu beachten ist, dass sie mit faustdicken Lügen begonnen wurden!). Was wir für die notwendigen Veränderungen im Lande brauchen, ist eine klare linke Alternative, die frei ist von faulen Kompromissen zur Erlangen von Regierungsbeteiligungen. Deshalb erwarten wir auch, dass die Bedingungen für mögliche politische Beteiligung an der Macht eindeutig definiert werden und um deren Erhaltung im Program-

mentwurf gestritten wird. Wir erwarten ein Bekenntnis gegen Sozialkürzungen, gegen Privatisierungen staatlicher und kommunaler Einrichtungen und gegen Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst. Stärker sollte im Programm die Notwendigkeit des außerparlamentarischen Kampfes im Bündnis mit anderen progressiven Kräften für unsere gesellschaftspolitischen Zielsetzungen hervorgehoben werden. Parlamentarische Kompromisse dürfen nur unter strikter Einhaltung der Grundforderungen aus Wahlprogrammen geschlossen werden. Regierungsbeteiligungen um deren Selbstwillen sind auszuschließen. Der Entwurf sollte hinsichtlich unserer Begrifflichkeiten überarbeitet bzw. unter Beachtung historischer Wahrheiten differenzierter ausgestaltet werden. Dies mit Blick auf Verbrechen, Unrechtsstaat und Nationalsozialismus. Zu Letzterem: er war weder national noch sozialistisch – es war gewöhnlicher Faschismus. Äußerst bedenkenswert erscheint auch eine ausgewogenere historische Bewertung der Entwicklungen in Ost und West auf dem Hintergrund der Nachkriegsentwicklung und der unmittelbaren Machtausübung der vier Siegermächte und den damit verbundenen Entscheidungen für die politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung beider deutschen Staaten. Jens Heydecke

Professionelle Politik durch Mandatsbegrenzung! Natürlich muss man sich vor »vermeintlich einfachen Lösungen« hüten, wie Cornelia Falken in ihrem Beitrag in »SL 1-2 / 2011, S. 6 warnt. »Problematisch« jedoch ist nahezu jede »wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt«. Eine »Beschränkung des Wahlrechtes« aber ist die Mandatsbegrenzung ganz sicher nicht. Im Gegenteil gibt sie mehr Menschen die reale Möglichkeit, auch einmal in ein Mandat gewählt zu werden (passives Wahlrecht wird also für mehr Menschen Tatsache!). Der Einzelne allerdings, wird nicht mehr ständig wiedergewählt. Warum auch, es gibt genug andere ebenso kluge Köpfe. Das ist echte demokratische Teilhabekultur, die ja DIE LINKE auch in ihrem neuen Programm weiterhin vertreten will. Wohin die Berufspolitik indes führt, sahen wir an 40 Jahren Sozialismusversuch in der DDR und sehen es nunmehr

seit über 60 Jahren in der BRD. Das Grundproblem einer auf die Errichtung des »demokratischen Sozialismus« gerichtete Bewegung und Partei ist nicht »eine möglichst kompetente und schlagkräftige Fraktion«. Es geht politisch primär darum, Geburtshelfer einer neuen gesellschaftlichen Hegemonie zu sein. Dem muss die parlamentarische Tätigkeit untergeordnet werden. Die »reale Entwicklung« von 20 Jahren tatsächlicher »Schlagkraft« zeigt ohnehin erhebliche Defizite und Einbrüche in Sachsen wie auf Bundesebene. Hier sind wir erst am Anfang einer ehrlichen (Wahl-) Analyse. Selbstüberhebung von Parlamentariern ist das Letzte, was hier gebraucht wird. In den zurückliegenden 20 Jahren wurde deutlich, wie wenig eine linke Landtagsfraktion bewirken kann in dieser staatsrechtlichen Konstruktion und dem neoliberalen Machtgefüge.

Netzwerke, um die sich Cornelia Falken bemüht, müssen daher so aufgebaut sein, dass sie eben gerade ohne weiteres an »Nachfolger« übertragbar sind. Hier offenbart sich ein Kernproblem des Demokratieverständnisses der LINKEN: Wenn diese Netzwerke auf den Mandatsträger selber fixiert sind, dann sind sie falsch aufgebaut! Die Kunst ist, sie als selbsttragende, in die Gesellschaft hineinwirkende, expansive Strukturen aufzubauen. Wie schnell ein »Nachfolger« Anschluss findet, ist gerade Ausweis guter Arbeit seines Vorgängers! Bisher wurde genau hier wenig bewusst bzw. gar nicht gearbeitet. Hier fehlt also noch Kompetenz! Aber genau hier ließe sich Professionalität vervielfachen, also für die Partei gewinnen! Dann bekommen wir auch die richtigen Erfahrungen (Plural!) ins Parlament. »Absurd« ist einzig die personelle Alternativlosigkeit,

die Falken da argumentiert. Denn niemand soll ja nach dem Diätmandat »in der Versenkung verschwinden«! Das beweisen ja die vielen Ehrenamtlichen, ohne die es gar keine Mandate gäbe. Es geht um das Verhältnis von ehrenamtlicher und bezahlter Politik, um außerparlamentarische und parlamentarische Politik. Wenn diese »Sphären » in der bestehenden relativen personalen Trennung bleiben, wird es keine »Demokratisierung der Demokratie« geben. Und deshalb kurz und scharf: Alle von Falken namentlich Genannten (und noch mehr) sollten 2013, 2014 zum Ende ihrer laufenden Wahlperiode ihr Mandat geordnet abgeben. Zeit ist (noch) genug!Das aber liegt v. a. in der Hand der aufstellenden Gremien, die mit ihrer Entscheidung dem aufgeklärten Demokratieverständnis der Programmatik auch in Kandidatenentschei-

dungen zum Durchbruch verhelfen müssen. Die Genannten können aber auch einfach auf eine Wiederkandidatur aus demokratischer Gesinnung und aus Achtung vor ihren GesinnungsgenossInnen verzichten! Professionelle Politik ja, durch mehr Beteiligte - Berufspolitiker(innen) nein! Mandatsbegrenzung ist dafür ein wesentliches Steuerungselement der demokratischen Kultur, weitere sind notwendig. Auf die Ausführungen zu Medienreaktion, »Verschwendung« und »parlamentarische Selbstenthauptung« gehe ich nicht ein, da ich diese nicht mehr als sachlich einstufe! Für mich ist es kein Zufall, dass zu den vehementesten Gegnern der Mandatsbegrenzung Mandatsträger gehören! Befangenheit ist hier das Stichwort. Ralf Becker Mitglied der Grundsatzkommission


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SachsenAnhalt wählt. Am 20.03.2011 wollen die Genossinnen und Genossen in Sachsen-Anhalt die seit 9 Jahren andauernde CDUHerrschaft beenden. Unser dortiger MinisterpräsidentenKandidat Wulf Gallert und sein Wahlkampf-Team haben nun um unsere sächsische Wahlkampf-Hilfe gebeten.

Wir suchen daher nun nach fleißigen Unterstützern, die am 18./19./20. März mit uns nach Sachsen-Anhalt fahren und den Genossen vor Ort bei Materialverteilung und/oder Infoständen unter die Arme greifen. In Umfragen liegen wir derzeit bei 27 Prozent der Wählerstimmen, nur 4 Prozent hinter der CDU. Mit eurer Unterstützung können wir noch besser werden und für ein besseres Sachsen-Anhalt kämpfen! Wir hoffen auf viele Interessenten und bedanken uns für jede helfende Hand. Kontakt: Landesgeschäftsstelle DIE LINKE. Sachsen Robert Wünsche 0351 – 853 27 37 robert.wuensche@dielinkesachsen.de

Bezahlbare Strompreise für alle Zum Jahreswechsel haben viele Stromanbieter ihre Preise erhöht. 25 Millionen Privathaushalte müssen im Durchschnitt 7 Prozent mehr für Strom bezahlen. Immer mehr Menschen mit geringen Einkommen können sich die hohen Energiekosten nicht mehr leisten. Energie-Armut ist ein immer weiter verbreitetes Phänomen. Gerade im Winter heißt das für viele : Frieren oder Essen? Doch die Bundesregierung tut nichts gegen die EnergieArmut. Im Gegenteil: Mit dem Sparpaket wurde der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld gestrichen. Nicht ganz so bekannt ist, dass der Energieanteil im ALG 2-Regelsatz im Bundesdurchschnitt um 22 Prozent unter den realen Stromkosten liegt. In Sachsen übersteigen die Stromkosten das Hartz IV-Energiebudget sogar um 30 Prozent! Überteuerte Energiepreise tragen gerade bei einkommensschwachen Haushalten oft zur Überschuldung bei. Ein Wechsel zu einem eventuell günstigeren Stromanbieter bleibt vor allem Erwerbslosen häufig verwehrt. Denn viele Anbieter knüpfen die Stromlieferung an die Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden. Die Folge: Nach Schätzungen des Bundes der Energieverbraucher wurde allein im Jahr 2009 in ca. 840.000 Haushalten Strom oder Gas widerrechtlich gesperrt. Nun soll ausgerechnet die Ökostrom-Abgabe als Sün-

denbock für die exorbitanten Preiserhöhungen herhalten. Doch was die Strompreise in Wirklichkeit hochtreibt sind die Marktmacht der vier großen Stromkonzerne und die Spekulationen an der Strombörse. Seit der Abschaffung der Strompreisaufsicht sind die Preise rasant in die Höhe geschnellt – trotz kräftig gesunkener Großhandelspreise für die Stromlieferanten. Die großen Energieunternehmen fahren seit Jahren zu Lasten ihrer Kunden Milliardengewinne ein. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes bezahlen Verbraucherinnen und Verbraucher jährlich zwischen zehn und fünfzehn Milliarden Euro zu viel an die vier Monopolisten. Diese können dadurch Kapitalrenditen von

über 25 Prozent verzeichnen. DIE LINKE will eine bezahlbare und ökologische Energieversorgung für alle Menschen gewährleisten. Dazu muss der Strommarkt sozial gerecht, klimaschutzorientiert und verbrauchergerecht umgestaltet werden. Wir fordern soziale Tarife und eine effektive Preisaufsicht. Nicht Gewinnmaximierung, sondern Gemeinwohlorientierung muss die Maxime sein. Stromnetze gehören in die öffentliche Hand, deshalb setzen uns für die Rekommunalisierung im Energiebereich ein. Denn die Energieversorgung darf nicht zum Luxusgut werden. Caren Lay (MdB), verbraucherpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion und Bundesgeschäftsführerin der LINKEN

Liebe Frau L., Sie müssen nicht umziehen, Ihre Gedanken hierzu sind völlig richtig. Wäre es anders, müssten ALG-Empfänger nach Belieben der ARGE jederzeit mit Absenkung des Mietzuschusses rechnen oder umziehen, und das vollem Umfange wahrzuneh- eben auch dann, wenn die Gemen. samthöhe für die Wohnkosten Keine Zulassung zur Wahl hat gleich geblieben ist. Das macht unter anderem die Sarrazis- keinen Sinn. Glücklicherweise tische Partei erhalten, weil sieht es das Bundessozialgees an Unterstützungsunter- richt in einer neueren Entscheischriften fehlte ... Diese Par- dung (BSG v. 15.10.10.) genautei hat sich, wie zu erwarten, so. Das Gericht entschied, dass Sarrazins Megabestseller zur es bei der AngemessenheitsGrundlage für ihr Parteipro- prüfung eben gerade nicht auf gramm erkoren, ihre home- die Einzelpositionen ankommt, page startet mit dem Aufma- sondern allein auf die Angemescher »Ab sofort! Wir sind das senheit der Bruttokaltmiete. Volk!« Die SPV durfte schon Das kommt besonders Betroffebei den Bürgerschaftswahlen nen zugute, die - wie Sie - durch in Hamburg nicht antreten, sparsamen Verbrauch sehr geweshalb sie eine Verfassungs- ringe Betriebskosten erzeugen. klage einreichen will ... Die Re- Legen Sie also bitte gleich Wiformideen Sarrazins gedenkt derspruch gegen die Entscheisie behutsam, sanft und sach- dung der ARGE ein und lassen lich umzusetzen, ohne Rassis- Sie sich bei Bedarf von einer mus, sie sieht die Chance, sich sachkundigen anwaltlichen Verzur neuen große Volkspartei tretung unterstützen. zu mausern. Ihre Marlen Kestner Jayne-Ann Igel Anwältin für Sozialrecht

Der Tanz beginnt ... Impressionen aus der Pfalz Übrigens, auch im Ländsche stehen Landtagswahlen an, am 27. März, heuer inspizierte ich im Städtchen Edenkoben die Plakate, CDU, SPD, FDP ... - sie scheinen allesamt im Zentrum zu hängen, in der Weinstraße beispielsweise, dem Herz des Ortes, das hauptsächlich dem Wein verpflichtet (hier befindet sich das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet in Deutschland) und sich ob einer privaten Initiative auch zur Bücherstadt gemausert hat. Oder in der Tanzstraße, in der ein anderer Tanz statthat, die Händlerinnen und Händler um das Überleben ihrer Geschäfte kämpfen müssen ... Bücherstadt - das kommt nicht von ungefähr, Edenkoben beherbergt gleich zwei Künstlerhäuser, das Herren-

haus und das Künstlerhaus Edenkoben, in denen Literaten, bildende Künstler und Komponisten für ein knappes halbes Jahr als Stipendiaten gastieren, und einen hat das Städtchen gar für länger festgehalten, den 2007 verstorbenen Dichter Wolfgang Hilbig. Zurück zu den Wahlen, zwölf Parteien werben um die Wählerstimmen, was in Edenkoben kaum nachzuvollziehen, wo bisher nur drei Parteien plakatiert haben. Interessant erscheint mir, daß darunter z.B. auch die vor kurzem wiedererstandene Deutsche Demokratische Partei (ddp) zu finden ist, eine Partei, die sich in der Weimarer Republik durch eine gewisse Fortschrittlichkeit auszeichnete, beispielsweise in Bezug auf das Frauenwahlrecht. Jetzt annonciert sie mit

dem Slogan: Weder Sozialismus noch Kapitalismus! Der Landesverband hat sich 2010 gegründet. Sie will Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne beseitigen, zugunsten der Belebung des Binnenmarkts, und trägt dabei sogar eine leise Systemkritik vor. Das derzeitige vielgliedrige Steuersystem will die ddp durch eine reine Umsatzsteuer ersetzen, die Partei beruft sich dabei auf das in den USA praktizierte »Sales Tax« und prognostiziert durch die erhöhten Steuereinnahmen auf Grundlage der umsatzsteuerpflichtigen Inlandsumsätze entschuldete öffentliche Haushalte, die dann mit ausreichenden Mitteln ausgestattet wären, um ihre hoheitlichen Aufgaben (z.B. öffentliche Daseinsvorsorge) in

Sehr geehrte Frau Kestner, ich wohne in einer Wohnung im sanierten Plattenbau mit einer einfachen Ausstattung. Meine Miete liegt unter 308 Euro, weshalb die ARGE vor zwei Jahren einem Umzug auch zugestimmt hatte. Jetzt aber erhielt ich einen Bescheid, in dem mir die ARGE mitteilt, dass ich für die Miete 20 Euro weniger bekommen soll. Ich fragte gleich nach und die Bearbeiterin erklärte mir daraufhin, dass dies so richtig sei, weil jetzt nicht mehr die Angemessenheit der Gesamtmiete entscheidend sei, sondern die Positionen kalte Betriebskosten, Miete und Heizkosten jeweils gesondert auf „Angemessenheit“ geprüft werden. Da ich sehr darauf achte, sehr wenig zu verbrauchen, sind meine Betriebskosten sehr gering. Dafür ist aber die Wohnungsmiete selbst etwas über dem, was die ARGE nach der neuen Berechnung für angemessen hält. Ich verstehe das nicht. Soll ich jetzt trotz gleicher Miethöhe wieder umziehen, nur weil die ARGE die Berechnung ändert…? Ihre Sybille L. aus D


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Kompetenz ist weiblich! Im Bundestag gab es im Februar – wieder mal – eine Debatte, die eigentlich überflüssig sein dürfte. Es ging um die Quotierung der Besetzung von Spitzenpositionen in der Wirtschaft. Weniger als ein Prozent der Vorstände in den 100 größten deutschen Unternehmen sind weiblich. Insgesamt, so sagt man, besetzen Frauen maximal zehn Prozent der Posten in Aufsichtsgremien. Nicht dass dies den Spitzenfrauen wie Ministerin Schröder und Bundeskanzlerin nicht sauer aufstieße – nein nein! Aber sie setzen dabei auf die Freiwilligkeit – der Männer! Angesichts der Männerbündelei in den Aufsichtsräten und Vor-

ständen ist der Glaube an den Weihnachtsmann jedoch das wesentlich seriösere Projekt. Die Vorbehalte, die vor mehr als 100 Jahren gegen das Frauenwahlrecht vorgebracht wurden, können uns heute nur erheitern. Die Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir gab in ihrem Klassiker »Das andere Geschlecht« einen sehr amüsanten Überblick über die Argumente, die damals galten. Es hieß, die Frau würde ihren Charme verlieren, wenn sie wähle. Sie beherrsche den Mann doch auch ohne Stimmzettel. Oder: politische Diskussionen würden zur Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten führen.

Überzeugen konnten diese Argumente natürlich auf Dauer niemanden. Ein klassisches Abwehrmuster gegen eine Frauenquote in Spitzenpositionen besteht in der Unterstellung, es gebe nicht genügend kompetente Frauen. Das ist sehr bezeichnend. Auch als in Norwegen im Jahre 2006 die 40-Prozent-Quote eingeführt wurde, warnte manch einer vor einem Mangel an kompetenten Frauen. Die Praxis konnte diese Sorge ausräumen. Außerdem unterstellt dies, dass die Männer in den Aufsichtsräten und Vorständen ausschließlich ihrer Kompetenz wegen da sitzen – eine Behauptung, die

selbst bei vielen Männern dort für Schmunzeln sorgen dürfte. Bei einem anderen Mann/ Frau-Problem könnte ich mich jedoch sofort auf Freiwilligkeit verständigen: beim Punkt Bedarfsgemeinschaft in Sachen Hartz IV. Hier sollte es den Betroffenen tatsächlich selbst überlassen sein, wie sie ihre Lebensform einschätzen. Das Wort »Bedarfsgemeinschaft« ist Behördendeutsch und bedeutet, dass Menschen, die länger als ein Jahr zusammenleben, automatisch unterstellt wird, sie hätten eine eheliche Gemeinschaft, sodass ihre Einkommen im Hinblick auf die Höhe von Sozialleistungen angerechnet werden. Ein

selbstbestimmtes Leben ist so nicht möglich – im Gegenteil! Zum Beispiel wird es Alleinerziehenden, die Teilzeit arbeiten und deswegen auf Hartz IV angewiesen sind, faktisch unmöglich gemacht, eine neue Beziehung einzugehen. Denn wenn sie einen neuen Partner finden und mit diesem zusammenziehen wollen, wird dessen Einkommen sofort beim Kind angerechnet. Also weg mit der Bedarfsgemeinschaft – her mit der Frauenquote in wirtschaftlichen Spitzengremien! Wer meint, zum 100. Internationalen Frauentag gäbe es keine Ziele für den Kampf mehr, irrt gewaltig! Katja Kipping

Das war die XVI. RosaLuxemburg-Konferenz 2.000 Teilnehmer, »5.000 Polizisten« und jede Menge Kameras

TÄVE SCHUR feierte am 23. Februar in Kleinmühlingen seinen 80. Geburtstag. Foto Fiebelkorn/rore

1. Landestreffen im Jahr 2011 der LAG Sozialistische Linke Sachsen Am Samstag, den 22. Januar, traf sich die Sozialistische Linke Sachsen in Chemnitz zu ihrem Landestreffen. Im Mittelpunkt der Mitgliederversammlung standen Diskussionen um die politische Lage und um den Entwurf des Programms unserer Partei. Die Diskussionen haben gezeigt, dass der Wirtschaftsaufschwung XXL und die angeblich bevorstehende Vollbeschäftigung eine Lüge sind. Immer mehr Menschen müssen einer prekären Beschäftigung nachgehen. Fast die Hälfte aller Neueinstellungen war befristet. Fast ein Drittel aller unter 35-jährigen hatte nie einen festen Job. Gerade auch wegen dieser Fakten muss sich DIE LINKE an den diesjährigen Veranstaltungen zum 1. Mai wieder flächendeckend beteiligen! Auch der 100. Jahrestag des Weltfrauentages ist eine Gelegenheit, den Kampf für Gleichstellung der Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten mit dem Kampf gegen Überausbeutung durch Prekarisierung zu verbinden.

Ein weiterer Diskussionspunkt war die Lage innerhalb unserer Partei. Dabei kamen wir nicht umhin, auch über die Kommunismusdebatte und die Kritik an unseren Parteivorsitzenden zu sprechen. Mit großer Mehrheit waren wir uns einig, dass diese Debatte ein Ablenkungsmanöver ist, um die Linke in eine stalinistische Ecke zu stellen und für die kommenden Wahlen zu beschädigen. Für uns ist die Debatte um Klaus Ernst noch wichtiger. Hier soll ein Spaltkeil zwischen »Realos« und sogenannte »Radikale« getrieben werden. Als Porsche-Diskussion angeheizt, wird Klaus Ernst aber tatsächlich angegriffen, weil er für die Haltelinien unserer Partei steht und eben die Positionen vertritt, die wir auf dem Rostocker Parteitag beschlossen haben. Wir bekräftigten noch einmal unsere Forderung nach Einführung eines flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns; Abschaffung der Leiharbeit bzw. als Minimalziel, Begrenzung der Leiharbeit; Abschaf-

fung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes; Kampf um die Einführung des politischen Streiks! Weiterhin bekräftigten wir die Unterstützung des vorliegenden Programmentwurfs in seinen Grundzügen. Im Rahmen der Programmdiskussion hat die SL Sachsen einen Beschluss zum Thema Haltelinien/Bedingungen für Regierungsbeteiligungen beschlossen. Ein Abrücken von unseren zentralen Forderungen wie z.B. dem gesetzlichen Mindestlohn oder dem Nein zu Privatisierungen kann auch unter konkreten Situationen nur bedeuten, von den Alleinstellungsmerkmalen unserer Partei abzuweichen und an Glaubwürdigkeit für kommende soziale und politische Auseinandersetzungen zu verlieren. Das lehnen wir als Sozialistische Linke Sachsen entschieden ab! Wir werden uns in Form von Änderungsanträgen dazu an der Programmdiskussion beteiligen. Gabi Engelhardt und Thomas Netzer

Noch nie waren so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer da. Noch nie so viele Medienvertreter bei dieser Konferenz versammelt und noch nie gab es solch eine Aufmerksamkeit für die Rosa-Luxemburg-Konferenz bundesweit wie 2011. Das hatte natürlich nicht zuletzt mit der angekündigten Kommunismusdebatte, ihren Teilnehmerinnen (es waren durchweg Frauen, die Veranstaltung wurde von Ulla Jelpke moderiert) und dem vorhergehenden Auftritt von Gesine Lötzsch zu tun. Da hatte es die Vorsitzende der Linken gewagt, vom Kommunismus in einem Junge-WeltArtikel zu schreiben und den Wegen, die man nicht kennen könne, so lange man sich nicht aufmache, und schon rauschte es gewaltig im Blätterwald. Wer da war, konnte also Historisches erleben. Was die Internationale Beteiligung betraf, so gab es wiederum eine große Bandbreite – wie in jedem Jahr ging es um die Freilassungsinitiative für den mit dem Tode bedrohten afroamerikanischen USBürgerrechtler und Journalisten, der israelische Historiker Moshe Zuckermann sprach über neue Entwicklungen im Nahost-Prozess, Gaspar Miklos Tamas sprach über neue ungarische Entwicklungen, der Botschafter Venezuelas im Iran informierte über die Außenpolitik seines Landes, dazu spielten die aktuellen

Entwicklungen in Kolumbien und Griechenland eine Rolle, aber auch Vertreter der so genannten »Cuban Five« waren anwesend. Das Soli-Konzert für die Cuban Five bestritten Michael Weston King aus England und die Basisaktivistin und Rapperin Lucia Vargas aus Kolumbien. Eine Bibliothek des Widerstandes wurde vorgestellt und in einem Parallelprogramm ging es um »Bildung und Ausbildung im Abschwung?«. Die Zeit reichte freilich wie immer nicht, um auch nur die dringlichsten Probleme aufs Tapet zu bringen. So vermisste man schmerzlich afrikanische Beiträge – insbesondere vor dem Aufstand in der gesamten Maghreb-Region –, ebenso blieben aktuelle Entwicklungen in Asien ausgeblendet. Und dennoch: Mehr ist einem Tagesprogramm einfach nicht zu leisten. Der Moderator der Veranstaltung konstatierte am Ende, dass mit 2.000 Teilenehmerinnen und Teilnehmern so viele Menschen wie noch nie zuvor zu dieser Veranstaltungen gekommen seien. Außerdem haben – was nicht ganz ernst gemeint war – »5.000 Polizisten« die Veranstaltung gesichert. Im Internet findet man weitere Informationen und Beiträge auf www.rosa-luxemburgkonferenz.de Der Autor des Beitrages hat die Reden von Inge Viett und Gesine Lötzsch mitgeschnitten und bietet Interessenten an, sich an ihn zu wenden unter der Email-Adresse richterdd@hotmail.com bzw. an die Redaktionsadresse. Ralf Richter


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

3/2011  Sachsens Linke!

Es schwelte schon seit längerem in Ägypten. Es hat immer wieder Demonstrationen gegeben, meist unbeachtet von Politik und Medien in Europa. Diese kleineren Eruptionen der Unzufriedenheit über steigende Preise, über zu geringe Löhne, über die Arroganz der Macht und offenkundige Wahlfälschung konnten stets von den mehr als eine Million Mann starken Staatssicherheitskräften zum Schweigen gebracht werden. Auch Ende Januar rechneten die Initiatoren der Proteste selbst nicht mit dem gewaltigen Zustrom, der sich – inspiriert vom Erfolg der tunesischen Revolte und unterstützt durch neue technische Möglichkeiten der Vernetzung – im ganzen Land auf die Straßen wagte. Aktivisten berichteten mir auf dem Weltsozialforum, wie die Beharrlichkeit und die schiere Größe der Proteste schließlich die Staatsmacht ermüdete. Es war ein nicht von Einzelnen gesteuertes Aufbegehren. Als am letzten Tag des Forums der Rücktritt Mubaraks bekannt wurde, brach Jubel aus und ägyptische Fahnen wurden geschwenkt. Die sozialen und demokratischen Forderungen in Ägypten und Tunesien werden von vielen Menschen geteilt: Es geht um Gerechtigkeit, um Lebensund Erwerbsperspektiven, um würdige Arbeit und Mindestlöhne, um ein Ende von skrupelloser Bereicherung und Unterdrückung durch ein wenige Köpfe

zählendes Regime. Regimes, die sich vor allem deswegen so lange halten konnten, weil sie international ausgesprochen gut verankert sind. Sie sichern den Unternehmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, der USA und Russland den Zugang zu Öl und Gas und bedienen die Politik dieser Regierungen. Dazu gehört u.a. der Kampf gegen Terrorismus, die Unterstützung bei der Aufspürung und Blockade von Flüchtlingen sowie die Einfriedung des Palästinakonfliktes. Und hinzukommt: Nur 3 Prozent der Handelsbeziehungen Nordafrikas finden innerhalb der Region statt, der Rest ist komplett auf den Import ausgerichtet. Als Frankreichs Präsident Sarkozy mit Unterstützung von Frau Merkel vor ein paar Jahren die Mittelmeer-Union ins Leben rief, fragte keine der EU-Regierungen nach der demokratischen Legitimation der Partnerregierungen oder Lebenssituation der Bevölkerung. Sarkozy bekam sein Prestigeprojekt, das allenfalls ein Papiertiger blieb und heute als gescheitert gilt. Im Europäischen Parlament (EP) mahnte der CDU-Außenpolitiker Brok noch in der Woche nach dem Rücktritt Mubaraks zur Besonnenheit und zur Beibehaltung der Realpolitik in der Region. Für die Forderungen von uns linken EP-Abgeordneten, der im Assoziationsabkommen der EU mit den südlichen und östlichen

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Nordafrikas politischen Frühling bestärken

Mittelmeerstaaten verankerten »Wahrung der Menschenrechte« endlich eine aktive Bedeutung zukommen zu lassen, zeichnet sich noch keine Mehrheit ab. Das EP hat in Fragen der Außenpolitik noch kein Mitentscheidungsrecht, wohl aber bei der Ratifizierung von Handelsabkommen. Und mit Gaddafi verhandelten die europäischen Regierungen noch bis vor kurzem ein Abkommen, mit dem sie vor allem die Abschottung der Mittelmeergrenzen vor Flüchtlingen erreichen wollten. Stabilität, Rohstoffzugang und Flüchtlingsabwehr sind weiterhin zentrale Interessen der Außenpolitik von EU-Vertreterin Ashton und

der Außenämter in der EU. Die Forderung der Straße nach Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung unter paritätischer Einbeziehung auch aller bislang verbotenen Parteien und Vertretern der Protestbewegung, nach der raschen Umsetzung einer Liste sozialer Forderungen wie Mindestlohn und freien Gewerkschaften und nach Verringerung des Einflusses der Militärs dürften es am Verhandlungstisch schwer haben. Die demokratischen und fortschrittlichen Kräfte Ägyptens bitten um Unterstützung. Nicht um Bevormundung und Besserwisserei, aber um konkrete Hil-

fe bei Publikationen oder durch Besuche namhafter Delegationen. Die Linksfraktion im EP wird auf Antrag ihres Vorsitzenden Lothar Bisky in Kürze eine Delegation nach Ägypten entsenden. Mit Anträgen und Debattenbeiträgen im EP werden wir versuchen einen Beitrag dazu zu leisten, dass nicht schon bald wieder der Schnee kalter Realpolitik auf den nordafrikanischen Frühling fällt. Helmut Scholz ist Abgeordneter für DIE LINKE. im Europäischen Parlament und arbeitet dort in den Ausschüssen für Internationale Handelspolitik, für Auswärtige Angelegenheit und für konstitutionelle Fragen.

Zur Zukunft der Kohäsionspolitik – Fördermittel auf dem Prüfstand Seit 1991 profitieren viele Regionen von europäischen Fördermitteln. Mit den Programmen der Struktur- und Kohäsionspolitik (Kohäsion = Zusammenhalt) stellt die EU Finanzmittel zur Verfügung, um in einzelnen »schwachen« Regionen wirtschaftliche und soziale Strukturprobleme zu bewältigen. Allein in Sachsen sind seit Beginn der europäischen Förderung etwa 15 Mrd. Euro als Mittel für wirtschaftliche Entwicklung, in Technologien, für Arbeit, Bildung und in die Landwirtschaft beziehungsweise in die Entwicklung ländlicher Räume geflossen. 2013 soll nun Schluss damit sein. In der Europäischen Union wird derzeit über die Ausgestaltung der zukünftigen Strukturfonds und Förderperiode ab 2014 verhandelt und nach den festgelegten Förderkriterien fällt der Großteil der ostdeutschen Regionen weg, darun-

ter auch die Regionen Leipzig und Chemnitz. Doch trotz der erreichten Verbesserungen aufgrund der vergangenen Investitionen bestehen immer erhebliche Entwicklungsdefizite, die sich nicht einfach vom Tisch wischen lassen. Der aktuelle Bericht der Prognos AG »Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung« zeigt deutlich, dass nach wie vor die wirtschaftlich schwächsten Regionen in Ostdeutschland liegen und nur Jena, Dresden und Potsdam als Regionen mit Zukunftschancen bzw. »sehr hohen Zukunftschancen« eingestuft werden. Doch Ostdeutschland ist nicht Europa und die Gemeinschaft ist auf 27 Mitgliedstaaten angewachsen. In sechs Mitgliedstaaten ist das Bruttoinlandsprodukt (kurz BIP), welches das maßgebliche Kriterium ist um Förderung zu erhalten, unter einem Drittel des durch-

schnittlichen europäischen BIP. Um das System möglichst »gerecht« zu gestalten, sollen verschiedene Veränderungen in der Architektur der Strukturpolitik vorgenommen werden. So soll zukünftig die Kohäsionspolitik die Strategie »Europa 2020« unterstützen und das zielt zusammengefasst auf Wachstum, Wachstum und Wachstum ab. Im Zusammenhang der Haushaltsüberprüfung steht auch eine thematische Priorisierung zur Debatte. Doch wie soll so eine Liste mit Prioritäten denn konkret aussehen, wenn die Entwicklungsstände in den Regionen so different sind? Das erwähnte BIP ist bislang die ausschlaggebende Bemessungsgröße für die Förderfähigkeit. Wir wollen, dass auch andere Kriterien, wie beispielsweise der demografische Faktor, Beachtung finden, sozusagen ein BIP-plus.

Fraglich ist auch die Ausgestaltung von Übergangsregelungen für Regionen die aus der »Ziel Förderung« herausfallen werden. Das betrifft besonders die Regionen in Sachsen, z.B. Leipzig. Wir halten es für unterverantwortlich diesen Gebieten die Förderung abrupt zu entziehen und schlagartig zu beenden. Hier sind Übergangsregelungen oder auch die Schaffung von neuen Zwischenkategorien vorstellbar. Unter den Vorschlägen der Europäischen Kommission finden sich auch so genannte neue Konditionalitäten und finanzielle Sanktionen. De facto bedeutet dies, dass Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollen bestimmte Reformen durchzuführen, z.B. institutionelle Reformen für Strukturanpassungen um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Diese Bedingungen sollen die Voraussetzungen für die Aus-

zahlung von Kohäsionsmitteln werden und darüber hinaus sollen die Zahlungen aus dem EU-Haushalt sanktioniert werden. Wir als LINKE lehnen diese Forderungen strikt ab, konterkariert es doch die Intention von Strukturpolitik und das Prinzip der Solidargemeinschaft. Anfang April werden wir ebenenübergreifend ein Positionspapier zur europäischen Strukturpolitik vorstellen, um damit die Kompetenz unserer Partei zu dieser europapolitischen Fragestellung weiter zu stärken. Dr. Cornelia Ernst (MdEP)


Sachsens Linke!  3/2011

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Mythos Jobwunder Im Herbst letzten Jahres fiel die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit unter 3 Millionen und damit auf den niedrigsten Stand seit knapp zwanzig Jahren. Arbeitsministerin von der Leyen (CDU) sprach von einem »großem Erfolg«. Aber was steckt tatsächlich hinter dem sogenannten Jobwunder? DIE LINKE. befragte dazu die Bundesregierung. Die Antwort: Statt regulärer Vollzeitjobs wurden viele Teilzeit- und Minijobs geschaffen. Und: Ein Viertel der gemeldeten Arbeitslosen werden gar nicht von der Statistik erfasst. So lag die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit im Oktober 2010 bei 2,95 Millionen, die Unterbeschäftigung, bei der Erwerbslose in Maßnahmen und sonstigen Unterstatistiken mitgezählt werden, jedoch bei 4,06 Millionen. Gespaltene Statistik Wie stellt sich die Situation im Vergleich zu vor zwanzig Jahren dar? Im Oktober 1992 lag die Arbeitslosigkeit bei 2,98 Millionen, im Oktober 2010 bei 2,95 Millionen. Tatsächlich gibt es aber eine sehr gespaltene Entwicklung. In Westdeutschland hat die registrierte Arbeitslosigkeit zugenommen: von 1,70 auf 2,04 Millionen, die Unter-

beschäftigung (ohne Kurzarbeit) sogar von 2,14 Millionen auf 2,78 Millionen. Lediglich im Osten ist ein allgemein rückläufiger Trend zu verzeichnen. 1992 gab es dort 1,28 Millionen Arbeitslose, 2010 noch 0,9 Millionen. Aber nicht neue Jobs haben hier den Arbeitsmarkt entlastet, sondern Abwanderung und Verrentung. Und es gibt weiterhin eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung. „Wunder“ Demographie Deutlich entlastet wurde der Arbeitsmarkt in den letzten

men. Wohl gemerkt: es geht um das Arbeitskräfteangebot. Zugleich gehen immer mehr Frauen einer Erwerbsarbeit nach, treten also auf den Arbeitsmarkt ein. Aber was sind das für neue Job, die entstehen? Laut Statistik stieg die Zahl der Erwerbstätigen von 38,05 Millionen Erwerbstätigen im Jahr 1992 auf 40,65 Millionen im Jahr 2010 (jeweils 3. Quartal) also ein Plus von 2,6 Millionen. Die Beschäftigung hat jedoch abgenommen. Denn: Die gestiegene Erwerbstätigkeit beruht darauf, dass viele Jobs in mehrere kleine Jobs auf gesplit-

Dieter Schütz / pixelio.de

Oder: wie Demographie und Teilzeitjobs den Arbeitsmarkt schönen

fünf Jahren durch die demographische Entwicklung - 800.000 ältere Menschen mehr sind aus dem erwerbsfähigen Alter ausgeschieden als junge nachka-

tet wurden. Rechnet man das Arbeitsvolumen auf Vollzeitstellen um (Erwerbstätigkeit in Vollzeitäquivalenten), ergibt sich von 1992 bis 2010 ein Ver-

lust von umgerechnet 1,8 Millionen Erwerbsverhältnissen. Die Bundesregierung erklärt dies selbst durch »die wachsende Bedeutung der Teilzeitbeschäftigung«. Das Problem dabei: die meisten dieser Teilzeit- und Minijobs sind nicht existenzsichernd. Atypische Beschäftigung wächst Diese Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt werden durch weitere Zahlen der Bundesregierung untermauert. Seit Mitte der 1990er Jahre wächst die sogenannte atypische Beschäftigung (Zahlen vor 1996 liegen nicht vor). Neben den Teilzeit- und Minijobs gehört dazu die Leiharbeit und befristete Beschäftigung. Der Anteil atypischer Beschäftigung an allen Erwerbstätigen wuchs von 15 Prozent im Jahr 1996 auf 22 Prozent im Jahr 2009. Das Normalarbeitsverhältnis, also ein unbefristeter Vollzeitjob, macht nur noch 66 Prozent aus, vormals 75 Prozent. Gestiegen ist dagegen der Anteil der Selbständigen, darunter viele Solo-Selbständige, die oft in ungesicherten Verhältnissen arbeiten. Atypische Beschäftigung geht in der Regel mit schlechter Bezahlung einher. So verwundert es nicht, dass allein bei den Vollzeitbeschäftigten seit 2005, dem Einführungsjahr von Hartz IV, die Zahl der Niedriglöhner um etwa 400.000 zunahm und bundesweit bei 4,5 Millionen Menschen liegt. So viele Vollzeitbeschäftigte arbeiten 2009 zu einem Lohn, der unterhalb der Niedriglohnschwelle liegt, was schon jeder vierte bis fünfte Vollzeitbeschäftigte ist. 2,5

Die Hartz-IV-Verhandlungen – ein doppelter Skandal Mitte Februar sind im Vermittlungsausschuss die Verhandlungen über den neuen Hartz IV-Regelsatz abgeschlossen worden. Diese Verhandlungen und ihr Ergebnis sind im doppelten Sinne ein Skandal: Zum einen haben sich die anderen Parteien auf dem Rücken der sozial Schwachen auf einen offenkundigen Verfassungsbruch geeinigt. Dies ist der eine. Wie er zustande kam, ist der andere. Das Bundesverfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr eine Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze eingefordert. Die fehlende Transparenz in deren Berechnung sowie nicht ausreichende Gewährleistung der physischen Existenz und wenigstens eines Minimums an sozialer Teilhabe der Betroffenen ließen das Gericht zu diesem Urteil kommen. Die nun beschlossene Erhöhung von fünf Euro und zusätzlichen drei Euro 2012 setzt keine dieser Vorgaben um und ist deshalb erneut verfassungswidrig.

Ein Rechentrick der Regierung – anstelle der üblichen 20 Prozent wurden einfach nur noch die unteren 15 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte zum Vergleich herangezogen – dem schließlich auch die SPD folgte, diente als willkürliche Verhandlungsgrundlage für ein Ergebnis, das mit der Lebensrealität von Hartz-IV-EmpfängerInnen nichts zu tun hat. In den Wochen vor der Einigung in letzter Minute zuvor konnte man in den Medien verfolgen, wie sich CDU/CSU und FDP einerseits sowie SPD und Grüne andererseits den Schwarzen Peter für das Nicht-Zustandekommen einer Einigung auf unterstem Niveau zuschieben wollten. Erkennbar ging es darum, dem politischen Gegner eins auszuwischen. Um die Betroffenen dagegen ging es am allerwenigsten. Dies mag auch erklären, warum alle anderen Parteien DIE LINKE aus den Verhandlungen ausschließen wollten. Zu-

nächst beschlossen sie, dass DIE LINKE keine VertreterInnen in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat entsenden durfte. Es bedurfte erneut des Bundesverfassungsgerichts, um diese Entscheidung zu kippen. Offenkundig haben die grundsätzliche Kritik der LINKEN an den Verhandlungspositionen der anderen Fraktionen und unsere Vorschläge für eine verfassungskonforme Regelsatz-Erhöhung, denen sich CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne nun stellen mussten, gestört. Gerade SPD und Grüne mussten sich den Spiegel ihrer Strategie der Symptomkorrektur vorhalten lassen. Von CDU/ CSU und FDP wollen wir hier gar nicht reden. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf das Demokratieverständnis der anderen Parteien, dass sie DIE LINKE mit einem Verfahrenstrick daraufhin erneut ausgeschlossen haben, sie gründeten eine informelle Arbeitsgruppe, zu der DIE

LINKE natürlich nicht eingeladen wurde. Dass die Grünen am Ende dem im Vermittlungsverfahren ausgekungeltem Ergebnis doch nicht zustimmten und führende Köpfe der SPD mit bekannter «Ja, aber«-Haltung zwar verfassungsrechtliche Bedenken formulierten, im Bundestag jedoch bei ihrer Zustimmung zu dem Gesetz blieben, rundete das unwürdige Schauspiel der fünf Hartz-IV-Parteien nur ab. DIE LINKE hat als einzige Partei in den Verhandlungen die Interessen der Hartz-IV-BezieherInnen konsequent vertreten. Sie wird die anderen Parteien auch jetzt nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und sich für eine rasche gerichtliche Überprüfung des verfassungswidrigen Gesetzes einsetzen. Darauf, dass dies die anderen Parteien erneut stören wird, können wir leider keine Rücksicht nehmen. Um sie geht es hier nicht. Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen

Millionen davon sind Frauen. Was tun? In ihrer Antwort schreibt die Bundesregierung, ihr gehe »es nicht darum, bestimmte Ereignisse am Arbeitsmarkt »zu feiern«, sondern aus Fakten und Entwicklungen die richtigen Schlussfolgerungen für künftige politische Entscheidungen abzuleiten.« Die in der Antwort genannten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die »Arbeitsmarkterfolge« sind nicht das Ergebnis neuer Jobs, sondern der Aufsplitterung von Arbeitsplätzen in kleine Teilzeit- und Minijobs. Für viele Beschäftigte und ehemalige Erwerbslose entpuppt sich das angebliche Jobwunder so als ein Alptraum, denn sie finden nur noch Teilzeitstellen, und können von ihrer Arbeit kaum leben. Der Handlungsauftrag an die Politik ist klar: Schluss mit Hartz IV und dem Druck auf die Löhne. Wir brauchen endlich einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der vor Armut schützt. Leiharbeit muss gleich bezahlt und strikt begrenzt werden, Minijobs gehören abgeschafft. Nur so kann gute Arbeit und mehr Beschäftigung entstehen. Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag

Kommentiert An ihren Zwischenrufen … … sollst du sie erkennen. Offenbar fällt es zahlreichen Vertretern der anderen Fraktionen Im Bundestag noch immer schwer, sich auf eine inhaltliche Diskussion mit der LINKEN einzulassen. Da wird unseren Rednerinnen und Rednern im Plenum schnell pauschal jede inhaltliche Kenntnis abgesprochen, der „Kommunismus“Vorwurf in immer neuer Form erhoben und oft bis an den Rand der persönlichen Beleidigung gepöbelt. Und das quer durch alle anderen Fraktionen. Zugegeben, an Zwischenrufe sollte man nicht die selben Maßstäbe wie an inhaltliche Beiträge anlegen. Dennoch überraschen Ausmaß und Inhalt der Störungen. Man kann es aber auch andersrum sehen: Wenn sie bei Reden der LINKEN gar nicht mehr dazwischen riefen, würden wir auch was falsch machen. (Michael Leutert, MdB, Sprecher der Landesgruppe Sachsen)


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Rätedemokratie im Praxistest Vor 140 Jahren revoltierten die Kommunarden in Paris

Diskussionen über linke Ideen kranken oft an fehlenden Praxiserfahrungen. Deutlich wurde dies jüngst an der Kommunismusdebatte - diese hat das Fehlen historischer Referenzpunkte deutlich als Mangel offenbart; es gab schlichtweg noch nie eine kommunistische Gesellschaft, an der sich Diskurse orientieren könnten. Dennoch wurde oft das Gegenteil behauptet –erinnert sei nur an jene bürgerlichen Prediger, die etwa die DDR als »kommunistischen Staat« beschrieben, ohne verstanden zu haben, dass diese Bezeichnung ein Widerspruch in sich ist. Ganz zu schweigen davon, dass sie Kommunismus fälschlicherweise als Zustand – und nicht im Sinne von Marx und Engels als »wirkliche Bewegung« verstehen, mithin als Prozess, »welche den jetzigen Zustand aufhebt«. Dennoch verfügen linke Bewegungen in theoretischen Debatten über einige – wenn auch historische und daher nur begrenzt aussagefähige – praktische Erkenntnisse. So auch in der Diskussion um die beste Ausgestaltung einer demokratischen Ordnung, im Abwägen zwischen parlamentarischer und Rätedemokratie. Für letztere finden wir in der Geschichte einige Anläufe, etwa die Novemberrevolution 1918/19 oder die Antifa-Ausschüsse 1945. Das wohl bekannteste Beispiel jedoch ist die Pariser Kommune, die vor genau 140 Jahren – im März 1871 – entstand. Frankreich unterliegt Der deutsch-französische Krieg, vom deutschen Reichskanzler Bismarck unter geschicktem Taktieren vom Zaun gebrochen, war die wichtigste Voraussetzung für das Zustandekommen der Pariser Kommune. Am 1. September 1870 verlor die französische Armee die Schlacht von Sedan; tags darauf folgte ihre Kapitulation, Kaiser Napoleon III. wurde gefangen genommen. Am 4. September stürmten Pariser Arbeiter die gesetzgebende Körperschaft – die Deputiertenkammer - und riefen die Republik aus. Der daraufhin gebildeten »Regierung der nationalen Verteidigung« stand der Liberale Adolphe Thiers vor, den Marx später als »Schuhputzer des Bonapartismus« verdammte; Paris wurde ab dem 18. September 1870

belagert und mit Artillerie beschossen. Die bürgerliche Regierung Thiers befürwortete baldige Friedensverhandlungen; die republikanischen Kräfte forderten die Fortsetzung des Krieges, um die eben errungene republikanische Freiheit zu sichern, konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Am 28. Januar trat ein dreiwöchiger Waffenstillstand in Kraft; die Preußen forderten die Franzosen zur Wahl einer Nationalversammlung auf, die über Krieg oder Frieden entscheiden sollte. Die Monarchisten errangen einen klaren Sieg, der Waffenstillstand wurde bestätigt. Preußische Truppen hatten indes die Vororte von Paris besetzt; am 1. März zogen sie mit klingendem Spiel über den Place d‘Etoile und die Champs-Elysees bis zum Place de la Concorde. Doch während die reguläre französische Armee entwaffnet wurde, behielt die Pariser Nationalgarde – die

die Paris daraufhin Stück um Stück in ihre Gewalt brachten, läuteten den Beginn der Pariser Kommune ein. Auf dem Rathaus, den Kasernen und Regierungsgebäuden wehte die rote Fahne - der Versuch, die Hauptstadt nach sozialistischem Muster zu organisieren, konnte beginnen.

Geburt der Kommune Das Zentralkomitee der Nationalgarde rief die Bevölkerung für den 26. März zu Kommunal-wahlen auf. Diese brachten einen klaren Sieg der revolutionären Kräfte; die Kommune verkündete die allgemeine Volksbewaffnung und rief zur Verteidigung der Hauptstadt gegen die preußischen Invasoren und die bürgerliche Zentralregierung auf. Das zweite Ziel der Kommune war die Schaffung menschenwürdiger sozialer Verhältnisse. Durch radikale Maßnahmen bewiesen die Kommunarden, dass die sozi-

Trennung von Staat und Kirche wurde mit aller gebotenen Härte durchgesetzt: Zahlungen des Staates an die Kirchen wurden eingestellt, Kirchengüter enteignet, religiöse Symbole aus öffentlichen Gebäuden verbannt. Leerstehende Wohnungen wurden beschlagnahmt und den Opfern der Belagerung zugänglich gemacht; die Kommune adoptierte die Kinder gefallener Nationalgardisten und gewährte allen Verwundeten eine Pension. Richter sollten künftig vom Volk selbst gewählt werden.

Blutiges Ende Diese und andere fortschrittliche Maßnahmen waren jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Kommune unterschätzte ihre äußeren Feinde – in erster Linie die bürgerliche Zentralregierung in Versailles. Letztere brauchte viel Zeit, um ausreichend viele Soldaten um sich zu scharen; indes wäre es für

sailler Truppen gingen mit äußerster Härte gegen Überlebende vor; bis Juni 1871 dauerte die Zeit der Denunziationen und Massenhinrichtungen. 30.000 Menschen wurden ermordet, 40.000 eingekerkert oder zur Zwangsarbeit gezwungen. Was bleibt? Die äußeren Umstände, unter denen die Kommune entstand und scheiterte, können auf das Hier und Jetzt unmöglich übertragen werden – zum Glück. Dennoch sollten Linke die Pariser Kommune nicht in der »Mottenkiste« der Geschichte versenken. Denn sie hat gezeigt, wie sich grundlegende gesellschaftliche Reformen – die auch das Wesen der bestehenden Wirtschaftsordnung antasten – durchsetzen lassen, wenn auch auf einem relativ kleinen Gebiet. Die Linke wäre gut beraten, dem Rätegedanken mehr Bedeutung beizumessen, be-

Die Reste der Vendôme-Säule, die als Symbol der Herrschaft Napoléons von den Kommunarden umgestürzt worden war, im Vordergrund Barrikaden. Foto: Adolphe Eugène Disderi (1819 - 1889) CC-Lizenz Wikimedia

vorwiegend aus bewaffneten Arbeitern bestand, in ihrer politischen Zusammensetzung jedoch keineswegs einheitlich war – ihre volle Kampfkraft. Paris entwickelte sich immer mehr zur Keimzelle des republikanischen Widerstands; die Geschütze von Montmartre – wichtige Waffen der Nationalgarde – wurden rechtzeitig vor den preußischen Besatzern in Sicherheit gebracht. Der Versuch der bürgerlichen Regierung, sich dieser Batterien zu bemächtigen, scheiterte am 18. März am entschlossenen Widerstand der republikanischen Nationalgardisten. Die Regierung Thiers floh daraufhin nach Versailles; die revolutionären Nationalgarden,

ale Frage nur lösen kann, wer sich vor Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht scheut. Der Waffengang mit Versailles unterblieb jedoch; und so kam es, dass die bürgerliche Regierung Paris bereits unter Beschuss nahm, während die Kommune sich innenpolitischen Maßnahmen widmete. Dekrete erklärten die Nationalgarde zur einzigen waffentragenden Macht Frankreichs. Fabriken sollten nach und nach von »kooperativen Assoziationen der Arbeiter« übernommen und die Unternehmer dadurch enteignet werden; Frauen erhielten das Recht auf Arbeit und den gleichen Lohn wie Männer. Die

die Nationalgarde ein Leichtes gewesen, Versailles einzunehmen, Thiers zu verhaften und die Nationalversammlung aus der Welt zu schaffen. Dass die Kommunarden dies unterließen, bedeutete ihr Ende. Ab Mitte Mai 1871 rückten die Versailler Truppen unaufhaltsam nach Paris vor, Straße um Straße fiel an die Versailler Truppen. Zum Schluss standen auch die Kommunarden selbst auf den Barrikaden. Am 28. Mai 1871 war der letzte Widerstand gebrochen; nach nicht einmal drei Monaten war das demokratische Projekt blutig niedergeschlagen. Die »Blutige Maiwoche« hatte damit ein Ende gefunden, nicht aber der Terror. Die Ver-

sonders auf kommunaler Ebene; eine alternative, basisdemokratische Konzeption politischer Ordnung – in Verbindung mit bestehenden Gedanken zur Wirtschaftsdemokratie – stünde der Linken gut zu Gesicht. Der Geist der Kommune muss weiterleben, ganz im Sinne der »Resolution« von Brecht: »In Erwägung, dass wir der Regierung/Was sie immer auch verspricht, nicht trau´n/ Haben wir beschlossen, unter eigner Führung/Uns nunmehr ein gutes Leben aufzubau´n«. Das ist die wohl wichtigste Lehre für kommende Debatten, die die Pariser Kommune für uns bereithält. Kevin Reißig


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Termine Dresden, 9.3., 19 Uhr Buchvorstellung »Politisches Denken im Übergang zum 21. Jahrhundert« Mit Prof. Dr. Frank Deppe, Marburg WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 10.3., 18 Uhr Vortrag und Diskussion Wege ins 21. Jahrhundert. Die Lebens(t)raum-Gemeinschaft Jahnishausen Eine gemeinsame Veranstaltung der Gesellschaft für digitale Medien, Kunst und Kultur Leipzig (GdMKK) und des Rohrbacher Kreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Haus der Demokratie, Café, Berhard-Göring-Straße 152, 04277 Leipzig Chemnitz, 15.3. 18 Uhr „Naher Osten: Demokratiepotential oder reaktionäres Terrorismushinterland?“ Podiumsdiskussion mit Dr. Volkmar Kreißig Rothaus e. V., Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 15.3., 18 Uhr Vortrag und Diskussion Reihe: »Junge Rosa« Was bedeutet eigentlich Demokratie? Mit Enrico Pfau, Dresden WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

ße 210, 04347 Leipzig Leipzig, 17.3., 18 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST Akademische Freiheiten in der DDR und in der BRD – Lesung aus zwei neuen Büchern: »Marginalien zur Leipziger Universitätsgeschichte« und »Festschrift Hans Bohrmann« Mit Dr. Matthias John Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 17. 3., 18 Uhr Vortrag und Diskussion Rosa L. in Grünau Sozialismus und Kommunismus in der Debatte Mit Dr. Erhard Crome, Berlin Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Leipzig, 17.3., 20 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Staudamm oder Leben!« Indien: Der Widerstand an der Narmada Erschienen im Verlag Graswurzelrevolution Mit der Autorin Ulrike Bürger Veranstaltet von linXXnet e.V., der Buchhandlung el libro und der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen e.V. Weltladen Connewitz, Bornaische Straße 18, 04277 Leipzig

Dresden, 16.3., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Zur Programmdiskussion der LINKEN - Wohin treibt der Krisenkapitalismus? Mit Dr. Mario Candeias, Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 18.3., 20 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Königin im Dreck – Texte zur Zeit. Von Ronald M. Schernikau« Erschienen im Verbrecher Verlag Mit dem Herausgeber Thomas Keck Veranstaltet von linXXnet e.V., der Buchhandlung el libro und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V.linXXnet, Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig

Leipzig, 17.3., 18 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST »Er war doch nur ein neunjähriger Junge: Hans Richard Levy« Mit Tanja Grobitzsch und dem Autor Torsten Schleip In Zusammenarbeit mit Friedenzentrum e.V. Leipzig Bürgerbüro MdB Barbara Höll, MdL Monika Runge, Gorkistra-

Leipzig, 18.3., 19 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST Aktualität der altamerikanischen / andinen Produktionsweise »Bolivien im Umbruch. Der schwierige Weg der Neugründung« Mit den Autoren Helge Buttkereit, Dr. Muruchi Poma und Dr. Peter Gärtner

Impressum links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 17.650 Exp. ge-

20 Jahre RosaLuxemburgStiftung Sachsen

In Zusammenarbeit mit Quetzal Leipzig e.V. und dem Pahl-Rugenstein Verlag Rosa - Luxemburg- Stif tung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Zu sehen ist die Ausstellung vom 21.März bis 7.April zu den Öffnungszeiten des QUER BEET. QUERBEET, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Leipzig, 19.3., 16 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST Johann Knief – Ein unvollendetes Leben Mit dem Autor Gerhard Engel Moderation: Jörn Schütrumpf Veranstaltet vom Karl Dietz Verlag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Chemnitz, 22.3., 18 UhrBuchvorstellung und Diskussion Fabrikarbeit in der NS-Zeit. Arbeiter und Zwangsarbeiter in Chemnitz 1933-1945 Mit dem Autor Dr. Karlheinz Schaller Gemeinsam mit Rothaus e.V. und GBM e.V. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Leipzig, 19.3., 19 Uhr Buchvorstellung LEIPZIG LIEST Randgruppenmitglied Erschienen im Verbrecher Verlag Mit dem Autor Frédéric Valin Veranstaltet von linXXnet e.V., der Buchhandlung el libro und der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen e.V. linXXnet, Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig

Dresden, 23.3., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Kommunale Demokratiebewegung – Erfahrungen mit Stuttgart 21 Mit Alexander Schlager, RosaLuxemburg-Stiftung BadenWürttemberg, Stuttgart WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 20.3., 10 Uhr Lesung und Gespräch LEIPZIG LIEST Abenteuer DDR – Kubaner im deutschen Sozialismus Mit den AutorInnen: Wolf-Dieter Vogel und Verona Wunderlich und den Portraitierten für das Buch Lourdes Maria Serra Otero und Teresa Sánchez Bravo Veranstaltet vom Karl-DietzVerlag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 21. 3 bis 7.4. Ausstellung „ NEOFASCHISMUS IN DEUTSCHLAND“ Über 100 Todesopfer hat die neofaschistische Gewalt seit 1990 bereits gefordert. Die Ausstellung informiert über Ideologie und Praxis des Neofaschismus und benennt Ursachen und Zusammenhänge für die Ausbreitung rassistischen, nationalistischen und militaristischen Denkens und Handelns. druckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 28.2.2011 Die nächste Ausgabe erscheint am 15.4.2011. Die Zei-

Leipzig, 29.3., 18 Uhr Vortrag und Diskussion Die Antike als eine Quelle der europäischen Kultur Mit Prof. Dr. Klaus-Dieter Eichler Moderation: Prof. Dr. Horst Pickert Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 30.3., 18 Uhr Vortrag und Diskussion »Mittwochs-Attacke« Von der Finanzkrise zur Euro-Krise – Steht Euro-Land vor der Pleite? Mit MdB Dr. Axel Troost Eine Veranstaltung von attac Leipzig in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Schaubühne Lindenfels, KarlHeine-Straße 50, 04229 Leipzig

tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de

Am 23. März 1991 versammelten sich 108 Personen in der Leipziger Vereinshaus GmbH, Seeburgstr. 5-9, Leipzig, zur Gründung des Vereins zur Förderung einer RosaLuxemburg-Stiftung. Walter Markov, Helmut Seidel, Juliane Krummsdorf und Volker Külow hatten die Versammlung durch schriftliche Nachricht an einen großen Personenkreis einberufen. Bestandteil der Gründungsversammlung war eine Podiumsdiskussion zum Thema: »Das Prinzip Hoffnung am Ende?« Helmut Seidel gab mit 27 Thesen eine Diskussionsgrundlage. Zwanzig Jahre später sind wir mit dem Prinzip Hoffnung noch lange nicht am Ende. Nicht alle Hoffnungen haben sich erfüllt, aber vieles, was wir erreicht haben, hätten wir damals nicht zu hoffen gewagt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen kann in den 20 Jahren ihrer Geschichte auf insgesamt 3.232 Veranstaltungen mit 135.120 TeilnehmerInnen verweisen. Es erschienen 259 Publikationen, in denen 757 AutorInnen publizierten, viele mehrfach. Den Wissenschaftspreis unserer Stiftung, der dank einer Dotation unseres Vereinsfreundes Günter Reimann in Höhe von 40.000 DM erstmals 1996 verliehen wurde, erhielten bisher 40 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Zum 20. Jubiläum ist durch die Arbeit von Giesela Neuhaus, Hans Rossmanit, Peter Porsch, Boris Krumnow und anderen eine Ausstellung entstanden, die in 7 Tafeln im A1Format die Anfänge, die einzelnen Arbeitsfelder und die Gremien der Stiftung vorstellt. Dazu gibt es im Begleitmaterial einen Überblick über die veröffentlichen Publikationen, die Veranstaltungen im vergangenen Jahr und eine Zusammenstellung wichtiger Dokumente der Stiftungsarbeit. Und wer noch über kahle Wände im Büro klagt oder nach einer neuen Ausstellungsidee sucht: Die Jubiläumsausstellung und das passende Begleitmaterial kann man mieten. Kontakt Tel: 0341-9608531, Fax: 0341-2125877, Email: RosaLuxemburg-Stiftung.Sachsen@t-online.de Internet: www.rosa-luxemburg-stiftung-sachsen.de


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Es sorgte für einen Aufruhr – im Oktober 2010 erschien endlich die historische Aufarbeitung der Geschichte des (west)deutschen diplomatischen Dienstes. Für Wirbel hatten »Amtsinterne« Anzeigen 2004 gesorgt, bei denen Personen geehrt wurden in Todesanzeigen, die offenbar in Verbrechen im Dritten Reich verstrickt waren. Das wiederum stieß dem damaligen Außenminister Joschka Fischer auf, der eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte seines Hauses verlangte und diese liegt nun vor. Man mag über Frischer urteilen wie man will, aber es bleibt sein Verdienst die Aufarbeitung angeschoben zu haben – so wie es Kohls Verdienst bleibt in Verdun das Bündnis mit Frankreich vertieft zu haben. In einem jüngeren WDRBeitrag zur Erinnerung an Verdun berichtete Kohl darüber, wie sein Vater noch Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg hochschreckte, weil er die Bilder von Verdun in seinem Kopf nicht los wurde. Hätte Fischer sich mit Kohl über Verdun unterhalten, wäre er bei seinen außenpolitischen Seiltänzen in Bonn vielleicht vorsichtiger gewesen – seinen außenpolitischen Fehltritt bezahlen heute immer noch junge Deutsche mit einem Blutzoll. Doch Kriegstreiber waren die Diplo-

maten, wie das Buch von Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann beweist, schon 1933 – dies hat allerdings nicht wenig mit der unbewältigten Geschichte des Ersten Weltkrieges zu tun. Am 22. Juli 1940 kapitulierte Frankreich in einem Eisenbahnwaggon – es war der Gleiche, in dem das Deutsche Reich seine Kapitulation im Ersten Weltkrieg unterzeichnet hatte. Doch für Frankreich – das war die größte Demütigung – unterschrieb General Petain. Der einstige Held von Verdun wurde zum Kollaborateur des Nazis und einzig seine Verdienste im Ersten Weltkrieg retten ihn nach 1945 vor der Todesstrafe für seine Verbrechen in der Vichy-Regierung. Hier setzt die Kritik an dem Buch an. Es ist ein erster wissenschaftlicher Versuch der Aufarbeitung, abgeschlossen ist die Aufarbeitung damit noch längst nicht. Das Werk ist 880 Seiten stark – das reicht natürlich hinten und vorne nicht. Es hätte auf jeden Fall als ein mehrbändiges Werk angelegt werden müssen. Der Verdacht drängt sich somit auf, dass mit der vom obersten Dienstherrn des Auswärtigen Amtes angeordneten Aufarbeitung einer Forderung nach echter Aufklärung über die Geschichte des Amtes nur zum

Auswärtiges Amt, Neubau, Berlin Photo: Andreas Praefcke, CC-Lizenz wikimedia

Amtliche Aufarbeitung

Schein nachgekommen wurde. Es gibt zwei Hauptteile, die obendrein mehr als unglückliche Überschriften tragen: Teil 1 heißt: »Die Vergangenheit des Amtes« und Teil 2 sinnigerweise »Das Amt und die Vergangenheit«. Dabei geht es z.B. im ersten Teil um die Personen, also die Personalstruktur, Personalpolitik, Mitgliedschaften in Partei, SS und SA – bei diesem ganzen Klein-Klein bleibt völlig auf der Strecke, dass gerade die Außenpolitik Wirtschaftspolitik umzusetzen hatte. Worum ging es schließlich im

Russlandfeldzug? Hatte man da nicht die Ölfelder im Kaspischen Meer im Blick? Und war das nur eine Idee von Militärs oder steckten dabei viel mehr deutsche Wirtschaftsmagnaten dahinter? Die Verbindung: Wehrwirtschaftsführer – Außenpolitik sucht man vergeblich. Um das Buch als wissenschaftliche Arbeitsgrundlage nutzen zu können, aber auch um interessante Informationen für den interessierten Laien rasch aufzufinden, hätte es sich sich gehört ein Glossar an das Buchende anzufügen. Doch das Buch kommt nicht

nur ohne Fotos, ohne Graphiken daher – man hat sich auch das Glossar geschenkt. Um in dem Buch nun richtig arbeiten zu können bräuchte man es als Ebook, dort könnte man dann scannen nach Wehrwirtschaftsführern oder Wirtschaftspolitik – und würde mit einiger Sicherheit maßlos enttäuscht. Ralf Richter »Das Amt und die Vergangenheit« Die deutschen Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik Blessing Verlag 34,95 Euro

und darüber auch noch nachdenkt. So erfand er die fortpflanzungstechnisch überflüssige, aber wunderschöne romantische Liebe. Analog sollten wir uns, wenn es nach Precht geht, auch in der Gesellschaft gegenseitig das Leben schön machen –

durch anregende Gespräche und selbstverständliche Solidarität im Alltag. Justin Bräuer

Der Mensch ist gar nicht so schlecht Ein Buch über die Perspektive einer Gesellschaft netter Zeitgenossen Richard David Precht ist ein gern gesehener TalkshowGast, wenn’s um Ethik und Moral in Zeiten des globalen Turbokapitalismus geht. Der Mann, Jahrgang 1964, mit der Berufsbezeichnung »Philosoph/Publizist« gilt dem Mainstream der Medien als respektabler Linker und steht bei manchen Linken folglich im Verdacht, zu zeitgeistig zu sein. Ich bin süchtig nach seinen Büchern, habe »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« ebenso begierig von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen wie »Liebe. Ein unordentliches Gefühl«, »Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Meine kleine deutsche Revolution« und nun »Die Kunst, kein Egoist zu sein«. Seine »Philosophie fürs Volk«, wie sie halb anerkennend, halb spöttisch genannt wird,

ist wahrscheinlich deshalb so bestsellergeneigt, weil Precht als typischer Postmoderner im guten Sinn daher kommt: sanftmütig, aber selbstbewusst; spät verheiratet, umso konsequenter verliebt; in einer Patchworkfamilie lebend, deren Kinder teilweise von der Partnerin »übernommen«, teilweise gemeinsam gezeugt sind; schön wie ein Dandyhafter Schwuler, aber pragmatisch heterosexuell; im Diskurs nicht zu sehr polarisierend, gleichwohl im Konkreten unerbittlich (keine Soldaten nach Afghanistan!); durch und durch undogmatisch, jedoch keinesfalls beliebig. Und so ist er zugleich in Weltverbesserer-Foren wie im »Bild«-Interview zu Hause. Man kann ihn auch böse betrachten: Ein schlichter Bürgerlicher, der die Amoral in Ober- und Unterschicht geißelt und das klassische Ideal der gut gebildeten, familiär verankerten und sozial engagierten Mittelschicht predigt, die als wahre Stütze einer zivilisierten, humanen Gesell-

schaft gestärkt werden muss. Seine praktischen Vorschläge, die er aus seiner Strategie zur Überwindung des entfesselten Egoismus am Ende seines Buches präsentiert, sind gelinde gesagt reichlich naiv. Ob die Abschaffung der Bundesländer und die Direktwahl des Bundespräsidenten, wie u. a. von ihm empfohlen, der Stein der Weisen bei der Emanzipierung der Menschen aus den Fesseln eines bevormundenden Systems sind, darf bezweifelt werden. Precht frönt einer freundlichen Anthropologie. Der Mensch als höherer Affe ist im Großen und Ganzen auf Kooperation und friedfertige Interaktion angelegt, daran sollte die Gesellschaft organisatorisch anknüpfen. Die neoliberale Sicht des notdürftig kultivierten »Jeder gegen jeden« ist ihm ein Gräuel. Das Grund-Denkmuster des Autors kennen wir schon aus früheren Schriften: Was den Menschen von den meisten Menschenaffen unterscheidet, ist, dass er mehr Sex hat

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Links!  3/2011

Kirche Nicht nur beten, sondern handeln Nur ein einziger Schuss fällt am 24. März 1980 und Erzbischof Oscar Arnulfo Romero ist sofort tödlich getroffen. Er wurde bald zum Symbol für die »iglesia popular« in El Salvador, die Volkskirche. Er deckte die wahren Ursachen für die Not und das Elend der Menschen auf: »Unser Volk hat einen gemeinsamen Feind: die Oligarchie, das sind vierzehn Familien, geprägt von einer noch zunehmenden Unersättlichkeit. Ihnen rufe ich zu: öffnet eure Hände; gebt euer Gold freiwillig heraus, denn sonst wird die Zeit kommen, da man euch die Hände abhacken wird.« Er begrüßte das Zusammengehen der Kommunisten mit der Volksbefreiungsfront »Farabundo Marti« und den Streitkräften des Nationalen Widerstandes als einen Schritt zur notwendigen Einheit des Volkes. In jeder Predigt verlas er die Namen der von den Todesschwadronen Ermordeten und predigte Widerstand gegen die Junta. Die Gesellschaftskritik Romeros erwuchs aus der christlichen Lehre selbst, ordnet sich ein in die Linie, die mit der päpstlichen Enzyklika »Populorum progressio« von Papst Paul VI. auf dem II. Vatikanischen Konzil 1967 ihren Anfang nahm und in den Beschlüsse der Bischofskonferenzen von Medellin 1968 und Puebla 1979 ihre fortsetzung erfuhren. Die Katholiken Lateinamerikas sollten gegen die Ungerechtigkeiten vorgehen. Nelson Rockefeller warnte bereits 1969, als er die lateinamerikanischen Staaten im Auftrag Nixons bereiste: »Wir müssen vor der Lateinamerikanischen Kirche auf der Hut sein. Wenn sie die Entscheidungen von Medellin ausführt, handelt sie gegen unsere Interessen.« Es fehlte nicht an Morddrohungen, der katholische Sender »YSAX« wurde Anfang 1980 gesprengt und in den Kirchen fand man Bomben. Nach der Sprengung des Senders rief Romero am 23. März 1980 auch Soldaten zu Widerstand und Befehlsverweigerung mit Begründungen aus der Bibel auf. Bei der Gläubigkeit der Militärangehörigen war dies ein neuer gefährlicher Schlag gegen die Machthaber. Das Wort Erzbischof Romeros war gefährlicher als jede andere Gewalt, also musste es verstummen. Der Befehlsgeber für das Mordkommando ist 1983/84 bekannt gewor­den, auch die frühzeitige Kenntnis der Reagan- Regierung über die Mörderbande. Aber ihre Bestrafung erfolgte nicht. Ralf Becker

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Kunst wider das Vergessen Zum 105. Geburtstag der Dresdner Künstlerin Lea Grundig Kunst ist eine tragende Säule des Kampfes gegen Krieg und menschenverachtende Ideologien. Sie soll anklagen, Menschlichkeit einfordern und Grauen wie Hoffnung dokumentieren – Maßstäbe, die die politische Künstlerin Lea Grundig stets an ihr Werk anlegte. Selbst Verfolgte des Naziregimes, schuf sie mit ihren Bildern einzigartige Zeugnisse einer mephistophelischen Zeit. »Ich wollte die Menschen so darstellen, daß man ihr Elend, ihre Leiden erkannte und zugleich Zorn darüber empfand«, schrieb sie in ihrer Autobiografie. Lea Grundig wurde 1906 in der Dresdner Altstadt geboren und wuchs in einer jüdisch-orthodoxen Familie heran. Nach dem Besuch der Dresdner Kunstgewerbeakademie begann sie 1923 ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste. Drei Jahre später organisierte sie sich in der KPD und wirkte dort in der Frauenabteilung; 1928 heiratete sie den Maler Hans Grundig und bezog mit ihm eine Wohnung auf der Dresdener Melanchthonstraße. In den Folgejahren engagierte sie sich immer mehr im politischen Bereich, war Mitbegründerin der Künstlergruppe »Assoziation revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands« (ASSO) und gestaltete ab 1930 antifaschistische Bilderzyklen und Blätter unter Titeln wie »Krieg droht!«, »Unterm Hakenkreuz«, »Der Jude ist schuld!« oder »Im Tal des Todes«. Als Vertreterin »entarteter Kunst« mit Ausstellungsverbot belegt, wurde sie 1936

Musik Anti-Kriegs-Lieder bilden wahrscheinlich die größte Gruppe unter den politischen Musik-stücken. Ihre wohl wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass sie alle unvermindert aktuell sind – erst im Februar haben wieder drei junge deutsche Soldaten in Afghanistan den Tod gefunden. Abseits dessen sind sie jedoch keineswegs alle nach demselben Muster gestrickt. Einige Werke stechen schillernd aus der »großen Masse« hervor - dazu zählt fraglos auch der 1963 entstandene Song »Masters of War«. Er stammt von keinem Geringeren als Bob Dylan, einem der wichtigsten Musiker des vergangenen Jahrhunderts. Zwar gehört »Masters of War« zu den weniger bekannten Stücken Dylans; aufgrund seines klaren

Treblinka Aus dem Buch »Im Tal des Todes«, einer Folge von siebzehn Zeichnungen, entstanden 1942 bis 1943, gedruckt in der Druckerei „Haarez“,Tel–Aviv 1944.

wegen ihres Engagements in kommunistischen Organisationen inhaftiert und saß bis 1939 im Dresdner Gefängnis am Münchner Platz. Über Bratislava (Preßburg) emigrierte sie 1941 schließlich nach Palästina. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Künstlern, Intellektuellen und Schriftstellern, die das faschistische Deutschland ins Exil gezwungen hatte, kehrte sie nach dem Kriege nach Dresden zurück und arbeitete fortan als Professorin für Grafik an der Hochschule für Bildende Künste. In den Folgejahren prägte sie die DDR-Kulturpolitik genauso wie die Kunst in Dresden; sie bereiste China, Kuba und

Kambodscha. 1961 ordentliches Mitglied der Akademie der Künste der DDR, leitete sie von 1964 bis 1970 als Präsidentin den »Verband bildender Künstler«. Für ihre Werke erhielt sie zweimal den Nationalpreis der DDR. Lea Grundig starb 1977 während einer Mittelmeerreise. Begraben liegt sie auf dem Heidefriedhof in Dresden. Lea Grundig zählt zu jenen Künstlern, deren Werke in Deutschland fast vergessen sind. Ihre antifaschistischen Bilder machen nur einen kleinen Teil ihres gesamten künstlerischen Wirkens aus; allerdings sind sie auch der bekannteste. Besonders im Zeitalter des Wiedererstarkens fa-

schistischer Kräfte – auch und besonders in Sachsen – ist es von großer Wichtigkeit, an das Leben und Schaffen von Lea Grundig zu erinnern. Ihre Kunst ist ein beeindruckendes Beispiel für eine zutiefst humanistische Lebensauffassung; wie kaum eine andere deutsche Künstlerin hat sie den Leidensweg der jüdischen Bevölkerung Europas kämpferisch begleitet. Mit Bildern wie »Bluthunde«, »Treblinka« oder »Helft!« leistete sie einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen. Lea Grundig war der Hölle der Verfolgung entronnen; sie schuf all jenen ein Denkmal, für die es keine Flucht gegeben hatte. Paul Kühn

Maskierte Kriegstreiber und radikalen Bekenntnisses gegen die Drahtzieher staatlich organisierten Tötens ist es jedoch ein ganz besonderes Juwel in Dylans Schaffen. In einer Zeit des sich verschärfenden Kalten Krieges und allgegenwärtiger Aufrüstung klagt Dylan trotzig all jene Kräfte an, die im sicheren Hintergrund militärischer Auseinander-setzungen die Fäden ziehen und nicht wissen, was Krieg konkret bedeutet. Er tut dies nicht appellierend, sondern unverhohlen drohend, schreiend beinah: »Come you masters of war/You that build the big guns/…/I just want you to know/I can see through your masks” - eine wutschnaubende Attacke, ein verbitterter Fluch gegen den militärisch-industriellen Kom-

plex. Dylan entlarvt furchtlos die Kriegspropaganda (»Like Judas of old/You lie and deceive/A world war can be won/You want me to believe«) und die wahren Schuldigen («You hide in your mansion‘/ As the young people‘s blood/ Flows out of their bodies/And is buried in the mud.”). Das Lied endet mit der unverhüllten Hoffnung, dass die Verantwortlichen bald selbst sterben müssten; zum Schluss kündigt Dylan an, er wolle ihren Särgen folgen und mit sich einem Blick in ihre Gräber vergewissern, dass sie nie wieder aufstehen und junge Menschen in Schlachten schicken könnten. Dylan verkörpert zweifellos die amerikanische Protestgeneration der sechziger Jah-

re, doch anders als Musiker wie Woody Guthrie oder Pete Seeger erklärte er sich nie einer politischen Richtung oder gar Partei zugehörig. Stets der idiosynkratische Rebell, der in seinen (Protest-) Songs mal trotzig-offensiv, mal melancholisch-nachdenklich bestehende Missstände anklagt, verwahrte sich Dylan strikt dagegen, als politischer Aktivist oder gar als Agitator verstanden zu werden. Seine Botschaft ist dennoch klar: Krieg schadet immer nur denjenigen, die an ihm keine Schuld tragen. Oder, wie der ehemalige US-Präsident Herbert Hoover formulierte: »Ältere Männer erklären Krieg. Aber es ist die Jugend, die kämpfen und sterben muss.« Kevin Reißig


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