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»Wenn einer eine Reise tut«

Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juli/August 2011

Unlängst war ich in Brüssel. Da gibt es viel zu sehen - also kann man was erzählen: Zum Beispiel über das »Atomium«, neben dem »Manneken Pis« das bekannteste Wahrzeichen von Brüssel. 1958 zur Weltausstellung in Brüssel eröffnet, gilt es als Symbol für das »Atomzeitalter«. Groß und mächtig steht es noch da, klein, ja winzig aber ist die Euphorie über die »Nutzung der Urkraft im All«, wie man einst hören konnte, geworden. »Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt« möchte man mit Wilhelm Busch sarkastisch bemerken. Das Atomzeitalter begann mit den wohl größten je von Menschen ausgelösten Katastrophen, den Bombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki, sollte mit der friedlichen Nutzung der Kernkraft die Menschen in neue Dimensionen führen und muss jetzt nach Super-Gaus in Tschernobyl und Fukushima für beendet erklärt werden. Und doch können die Menschen von der Atomkraft noch immer nicht lassen - aus den unterschiedlichsten Gründen, wie die aktuellen Debatten zeigen. Die Ängstlichen, oder sind es nicht doch die Vernünftigen, warnen vor ungeahnten und Jahrmillionen währenden Folgen, gerät die Sache außer Kontrolle. Die Lobby meint aber, Sicherheit sei möglich. Die Profiteure schließen sich an, weil sie ihre Gewinne dahinschwinden sehen, bevor sich Ersatzinvestitionen rechnen. Die Technokraten beschwören notwendige Brücken in ein atomfreies Zeitalter und finden damit wieder Gehör bei den Profiteuren aus anderen Energiequellen. Das ist die Grundlage für einen Streit, der sich fast nur mehr um den Zeitpunkt des endgültigen Ausstiegs aus der Kernkraft für die Energiegewinnung dreht. Die einen wollen gar nicht raus, die andern 2034 oder 2023 oder 2018 oder 2014 oder sofort ... Ist »Eile mit Weile« Basis solider Lösungen, fragt man,

oder »Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«? Alte Weisheiten bringen uns hier offensichtlich nicht weiter. Genau hingesehen, lehrt mich die Erfahrung, gibt es in einer politischen Debatte keine Wahrheiten, die schließlich als Ergebnis zutage treten, sondern es geht um Interessen, die sich am Ende durchsetzen oder unterdrückt werden. Es gibt aber Wahrheiten auf der sachlichen Ebene. Da geht es auch um die Gefahren von Alternativen: Stündlich verbrauchen die Menschen 1 Milliarde Tonnen Erdöl. Der größte Teil davon wird wohl verbrannt. Dazu kommen Kohle und Gas und deren Verbrennung als Energiequellen. Erderwärmung, Treibhauseffekt und möglicher Klimawandel sind die Folgen. Wasserkraft zerstört unter Umständen Lebensräume, Windräder verschandeln die Natur und belästigen in ungebührlicher Weise in der Umgebung Wohnende. Biosprit bringt Hungersnöte. Einzig die Sonne scheint uns Energie ohne Nebenfolgen zu liefern. Die Ausbeute reicht aber bei weitem (noch) nicht, um die notwendige Versorgung auch nur annähernd zu sichern. Die Wüsten mit Solarzellen zuzupflastern, mag auch nicht erstrebenswert sein, und die dann notwendigen Fernleitungen sind gewiss keine ungefährliche Zierde. Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht los. Oder doch? Diese Ausgabe enthält ein Interview mit Günter Dietzsch, einem fleißigen Tüftler aus einem kleinen Dorf, pardon, einer kleinen Stadt am Rande Sachsens. Der macht sich Gedanken über die Welt - und handelt in seinem überschaubaren Lebensraum. Der Aufbau einer »energieautarken Region« in und rund um seine Heimatstadt Bad Düben ist sein Ziel. Wir lernen, dass der Abbau von Energieverschwendung momentan die ergiebigste Quelle für Energiegewinnung überhaupt sein könnte. Da wird so manches an Belastung vermeidbar. Zurück nach Brüssel: Das Atomium erinnert an vergangene Irrwege. Manneken Pis aber mahnt, dass auch der Mensch sich nicht auf Dauer gegen die Natur stellen kann.


Links! im Gespräch

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»Braunkohle sollte kein Brennstoff, sondern Rohstoff sein« Die Energiewende beginnt im Kleinen – zum Beispiel in Bad Düben. Dort arbeitet Günter Dietzsch (80) seit Jahren unermüdlich für ökologische Energiegewinnung. »Links!« hat sich mit dem »Öko-Pionier« über vergangene Erfahrungen, künftige Energiepolitik und seine ganz persönliche Geschichte unterhalten. Sie haben 1948 ihre Lehre als Heizungsmonteur abgeschlossen und sich danach zum Ingenieur für Wärmewirtschaft qualifiziert. Woher kommt Ihr besonderes Interesse an Ökologie? Ich habe den Zweiten Weltkrieg und auch die Bombenangriffe auf meine Geburts- und Heimatstadt Plauen bewusst erlebt. In der zu 85 Prozent zerstörten Stadt war es für einen 15 Jahre alten Jugendlichen fast unmöglich, eine konkrete berufliche Entwicklung zu planen; so war ich froh, als mir ein Bekannter eine Lehrstelle als Heizungsmonteur anbot. Mein Berufswunsch war das zum damaligen Zeitpunkt nicht, allerdings fand ich an der handwerklichen und fachlichen Ausbildung bald Interesse. Zwischen 1954 bis 1959 absolvierte ich ein Fernstudium in der Fachrichtung Wärmewirtschaft und Rohrleitungsbau an der Ingenieurschule Karl-Marx-Stadt. Danach habe ich in verschiedenen Funktionen im Kraftwerksanlagenbau gearbeitet. Ich hatte die Möglichkeit, an Planung und Aufbau von Braunkohlekraftwerken teilzunehmen, die Errichtung des Pumpspeicherwerkes Markersbach und des Kernkraftwerkes Lubmin mitzuerleben. Die DDR hat sich um Umweltschäden nicht oder wenig gekümmert. Die Region Bitterfeld-Wolfen – ganz in der Nähe von Bad Düben – gilt als Synonym für Umweltverschmutzung. Hält dieses Bild der Realität Stand? Niemand wird behaupten können, dass die Wirtschafts- und besonders die Energiepolitik der DDR von Umwelt- und Naturschutz oder ökologischem Handeln geprägt war. Ich habe selbst viele Jahre in Bitterfeld gearbeitet und drei Jahre mit meiner Familie dort gewohnt. Allein der Versuch, die ökologischen Missstände zu beschönigen, wäre unehrlich. Eine

von Reglementierung geprägte Planwirtschaft und eine unsinnige Preispolitik, die in keiner Weise das große vorhandene Einsparpotential im Energieverbrauch anregte, sondern zur Verschwendung von Energie führte, waren neben anderen Faktoren die Ursachen für das Nichtbeachten ökologischer Aspekte in der Energiewirtschaft der DDR. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, wie sich die politische Situation – der Kalte Krieg – auf die Wirtschafts- und Energiepolitik auswirkte. Gab es auch in der DDR Bestrebungen hin zu einer ökologischeren Energiegewinnung? Wäre diese – unter den damals gegebenen Umständen – überhaupt möglich gewesen? Bereits Mitte der 1960er gab es von führenden Politikern und Energieexperten der DDR Erkenntnisse und Ansätze zu einer Veränderung der Energiepolitik von der Braunkohle zur Nutzung sowjetischen Erdöls und Erdgases. Anlässlich eines Wirtschaftsforums in Leipzig prägte Walter Ulbricht den Satz »Braunkohle ist kein Brennstoff, sondern Rohstoff«. Um die damals vorgesehene Energieträgerumstellung auf sowjetisches Erdöl und Erdgas zu erschweren, sprach die damalige Bundesregierung das sogenannte Röhrenembargo aus und unterband die Lieferung von entsprechenden Stahlrohren, welche für den Auf- und Ausbau eines Rohrleitungsnetzes gebraucht wurden. Insgesamt fehlte es uns für die Durchsetzung einer ökologischen Energiepolitik nicht an qualifiziertem ingenieurtechnischem Potential, sondern vor allem am politischen Willen und der dazu notwendigen Wirtschaftsorientierung. In ihrer Heimatstadt gelten sie als Öko-Pionier und treibende Kraft hinter der »Ökologischen lokalen Agenda 21«, die Bad Düben zur ökologischen Kurstadt machen will. Anders als man vielleicht vermuten könnte, ging und geht die Initiative dabei jedoch nicht von den Grünen, sondern von den LINKEN aus. Auf Basis meines Studiums und meines Berufs hatte ich eine gute Ausgangsposition, mich nach der Wende mit

Günter Dietzsch im Garten seines Öko-Hauses.

der nunmehr für jedermann zugänglichen ökologischen Technik wie Solarthermie, Wärmepumpentechnik und Fotovoltaik in Theorie und Praxis zu beschäftigen. Im August 1990 ging ich in den Vorruhestand und hatte so auch die notwendige Zeit. Da ich bald darauf in Bad Düben zum Ortsvorsitzenden der PDS gewählt wurde und einige an ökologischer Politik interessierte Genossinnen und Genossen fand, war die »führende« Rolle des Ortsverbandes der PDS bei der Gestaltung einer ökologischen Kommunalpolitik ein logischer Schritt und wurde Schwerpunkt unseres Wahlprogramms. Die von unserem Ortsverband initiierte und von unserer Stadtratsfraktion erfolgreich gestaltete ökologische Kommunalpolitik hat konkrete Erfolge zu verzeichnen. Der jüngste ist die Inbetriebnahme des ersten Bürgersolarkraftwerkes in Bad Düben auf dem Dach der Heidegrundschule. Im Rahmen der von uns praktizierten Kommunalpolitik sind wir für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger offen und an einer breiten Zusammenarbeit interessiert. Auch ihr eigenes Haus gilt als Musterbeispiel für eine ökologische Energiegewinnung. Im Zeitraum von 1992/93 hatte ich die Möglichkeit, ein eigenes Einfamilienhaus auf der Basis meiner Vorstellungen zu gestalten. Dieses Haus hat keinen Schornstein, keinen Erdgasanschluss und keinen Heizöltank. Es wird mit einer

Wärmepumpe beheizt, hat eine solarthermische Anlage zur Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung, eine Fotovoltaikanlage und eine Regenwassernutzungsanlage. Das anfallende Abwasser wird über eine Pflanzenkläranlage entsorgt. Ich nutze dieses Haus, um für ökologisches Bauen zu werben. Sie haben im Sinne einer ökologischen Energiegewinnung große Erfolge erzielen können, indem sie konsequent auf regionale Energiekreisläufe setzen. Was empfehlen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in anderen Teilen Sachsens? Dass die Bundesregierung ihre Energiepolitik neu orientiert hat, ist eine logische Folge aus der Katastrophe von Fukushima. Eine konsequente und notwendige Dezentralisierung der Energieerzeugung und Energieverteilung ist aber nicht vorgesehen, darin besteht der größte Mangel. Eine hervorragende Möglichkeit, im Rahmen der Kommunalpolitik einen Beitrag zur Energiewende und zur Dezentralisierung der Energiewirtschaft zu leisten, sehe ich in der Schaffung energieautarker Regionen. Darin sehe ich auch eine gute Möglichkeit, in Sachsen durch entsprechende Bürgerinitiativen weitere Akzente zu setzen. Wir LINKE in Bad Düben unterstützen zudem aktiv den Aufbau einer energieautarken Region des Städtebundes Dübener Heide. Das Ziel ist, dass in diesem Gebiet rein rechne-

risch übers Jahr genauso viel Energie erzeugt wird, wie die Region verbraucht. Die Diskussionen um die Energieversorgung von morgen sind auch in Sachsen allgegenwärtig. Die Staatsregierung hat sich dafür ausgesprochen, nun den heimischen Rohstoff Braunkohle wieder intensiver zu nutzen. Ist das der richtige Weg? Nein. Neue Braunkohlekraftwerke zu errichten bedeutet, den Braunkohleabbau fortzuführen oder gar zu erweitern, weiter in Natur und Landschaft einzugreifen, Menschen umzusiedeln, ihnen ihre Heimat zu nehmen. Eine auf Braunkohle orientierte Energiewirtschaft ist falsch, denn Braunkohle sollte kein Brennstoff, sondern Rohstoff sein. Das Land Sachsen verfügt über beachtliche Braunkohlelagerstätten. Diese Ressource nicht sinnlos und umweltschädigend zur Energieerzeugung zu verbrennen, sondern langfristig als Rohstoff für die chemische Industrie zu nutzen, sollte das Ziel unserer Wirtschaftspolitik sein. Wir haben heute alle technischen, technologischen und vor allem die wirtschaftliche Voraussetzung, unsere Energieerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien umzusetzen. Die Fragen stellte Kevin Reißig.


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Kriminalisierungstango 2.0 Nach der Pflicht die Kür Es war alles so schön vorbereitet für die Konferenz der Innenminister aus Bund und Ländern in Frankfurt am Main. Der neue LKA-Chef Rolf Michaelis hatte bei seinem Amtsantritt das Stichwort geliefert, sein Amt werde künftig entschlossener gegen die angeblich drastisch steigende »linksextremistische Gewalt« vorgehen. Und prompt sollte genau dies das Hauptthema der Innenministerkonferenz sein. Die Notwendigkeit wurde – fast wie bestellt – im Umfeld der Demonstration gegen die Konferenz geliefert. Zwar verlief der Marsch selbst friedlich, doch danach flogen Böller, brannte bengalisches Feuer. Und so erklärte Sachsens Innenminister Markus Ulbig am frühen Nachmittag des 22. Juni: »Wir treten jeder Form von Extremismus mit aller Entschiedenheit entgegen. Auch für den Freistaat Sachsen ist im ersten Quartal ein Anstieg der politisch motivierten Kriminalität links zu verzeichnen. Ich begrüße den Beschluss der Innenministerkonferenz, dass es unter Federführung des BKA wieder eine Koordinierungsgruppe geben wird, die die gewaltbereite linksextreme Szene analysiert.« »Gewaltbereite linke Szene«? Inzwischen sind sieben der Gewalttäter als Zivilbeamte enttarnt. Sie sollen sich vermummt unter die Demonstrierenden gemischt und von dort aus Feuerwerkskörper in Richtung Polizei geworfen haben. Für diese Behauptung gibt es nicht nur Augenzeugenberichte, sondern auch den Dienstausweis eines Beamten der Bundespolizei, den dieser bei seiner Enttarnung verloren hatte. Doch: Lügen haben lange Beine. Die Berichte darüber kamen erst, nachdem die Aktion ihren Zweck bereits erfüllt hatte. »Analyse« der gewaltbereiten linksextremen Szene? Damit durfte sich der Innenminister nach seiner Rückkehr aus Frankfurt beschäftigen. Denn nicht sein Auftritt in Hessen interessierte in Sachsen, sondern vielmehr das Handeln seiner Polizisten am 19. Februar in Dresden. 138.000 Telefonverbindungen, so der damalige Kenntnisstand, waren durch die Sonderkommission (SoKo) 19/2 im Rahmen einer Funkzellenauswertung analysiert worden. Weite Teile Dresdens wurden über einen Zeit-

raum von mehreren Stunden auf Kommunikation durchleuchtet. Eine solche Maßnahme ist überhaupt nur dann zulässig, wenn es sich um Fälle von schwerer Kriminalität handelt. Ein versuchter Totschlag ist ein solcher Fall. Nur wurde ein solcher Fall im Innenausschuss des Landtages, der sich mehrfach mit dem 19. Februar beschäftigt hatte, nie genannt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ruchbar wurde der Vorgang übrigens nur, weil die gesammelten Daten auch in Ermittlungsverfahren einflossen, für die sie nie hätten genutzt werden dürfen. Und dies nicht nur

ge! Und vertraut auf die entsprechenden richterlichen Beschlüsse. Das kann doch kein Skandal sein. Eine moderne Polizei nutzt auch moderne und zeitgemäße Ermittlungsmethoden«, schrieb er in einer Pressemitteilung nach der Landtagssitzung am 29. Juni. Von Problembewusstsein keine Spur. Auch keine Entschuldigung dafür, dass er noch wenige Stunden zuvor versucht hatte, in einer von der LINKEN beantragten Aktuellen Debatte das Parlament in die Irre zu führen. Stattdessen im Kreis der Regierungsparteien das Vertrauen darauf, dass Lügen

sich schnell eines Schlechteren belehrt. Ausgerechnet Justizminister Martens wiederholte sie in einer Pressekonferenz im Zuge der Affäre Datenklau. Und unmittelbar nach der Landtagssitzung konnte auch der CDU-Innenpolitiker Volker Bandmann, der es definitiv besser weiß, nicht mehr an sich halten: »Der Schutz der Bevölkerung vor Gewaltorgien, wie sie am 19. Februar in Dresden stattfanden, hat oberste Priorität. Wenn Steine und Molotowcocktails gegen Menschen und Gebäude fliegen oder gar Eisenstangen auf Polizisten geworfen werden, dann

in einem oder wenigen Fällen, sondern in mehr als 40 Verfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Das wiederum ist kein Fall schwerer Kriminalität, sondern ein so genanntes Bagatelldelikt. Inzwischen ist unbestritten, dass nicht nur die SoKo 19/2 in einer Weise geschnüffelt hat, die sich nicht einmal George Orwell hätte vorstellen können. Knapp 900.000 Verbindungsdaten hat das LKA – auch am 19. Februar – für seine Ermittlungen gegen eine ominöse kriminelle Vereinigung, an die niemand außer dem LKA selbst glaubt, gesammelt. Und hierbei wurden dann auch Gespräche direkt abgehört. Betroffen davon waren mehr als 300.000 Personen. Das sind immerhin rund zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung Sachsens. Wer hat hier was von Verhältnismäßigkeit gesagt? Innenminister Ulbig jedenfalls nicht. »Die Polizei spioniert nicht! Die Polizei handelt auf rechtsstaatlicher Grundla-

lange Beine haben. Wer geglaubt hatte, die öffentlich verbreitete Mär von den Molotowcocktails, die am 19. Februar gegen Polizisten geworfen worden seien, sei nach dem Dementi in der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses erledigt, sah

muss der Rechtsstaat zur Tat schreiten und die Gewalttäter ausfindig machen. Die Funkzellenabfrage hat sich dabei als ein Mittel bei der Ermittlungsarbeit bundesweit bewährt.« Da waren sie wieder, die Molotowcocktails. Lügen haben lange Beine.

Aber, so wird uns doch immer wieder erklärt, im Gegensatz zur »zweiten deutschen Diktatur«, der DDR, sei die Bundesrepublik ein Rechtsstaat? Hören wir, was die großbürgerliche, konservative »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, hinter der bekanntlich immer ein kluger Kopf steckt, dazu sagt. Sie spricht von »sächsischer Datengier«, kommt zu dem Schluss: »Die Versprechen und Beteuerungen, dass es doch nur um wenige Schwerstkriminelle ginge, klingen im Angesicht der Massenerfassung der Teilnehmer einer politischen Demonstration wie hohle Notlügen«. Rechtsstaat? Die FAZ sieht es anders: »Man erzeugt Profile, wie sie sonst nur in Diktaturen missbraucht werden.« Das ist starker Tobak. Aber er ist noch steigerungsfähig. Das Blatt weiter: »Der Ort dieser Geschichte ist aber nicht Teheran, Damaskus oder Minsk, die Hauptstadt der weißrussischen Diktatur. Es ist Dresden, die Hauptstadt des Freistaates Sachsen, mit einem demokratisch gewählten Innenminister. Und es ging nicht um Revolten, es ging vielmehr um eine … geradezu zivilgesellschaftlich vorbildliche Demonstration gegen Rechtsradikale.« Die FAZ besaß also sogar die Weisheit, zwischen einem »demokratisch gewählten Innenminister« und einem demokratischen zu unterscheiden. Hier glaubt jemand die Lügen nicht mehr. Bleibt nur eine Frage: wann wird in Sachsen die FAZ im Verfassungsschutzbericht als »linksextremistische Organisation« geführt? Oder noch besser: Kann eine Zeitungsredaktion nicht auch eine kriminelle Vereinigung sein? Volkmar Wölk


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Verrohung der Gesellschaft Dimensionen rechts motivierter Gewalt

Über acht Monate ist es nun her, dass Kamal K. In Leipzig von zwei Neonazis erstochen wurde. Am 17.6.2011 begann vor dem Leipziger Landgericht der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter, Marcus E. und Daniel K.. Letzterer ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt – er soll Kamal am Morgen des 24.10. geschlagen, mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt und zu Boden gerissen haben. Marcus E. wird der gefährlichen Körperverletzung und des Totschlags beschuldigt. Für die Staatsanwaltschaft war das, was sich in jener Nacht im Oktober zugetragen hat, ein »Unfall«. Das sehen Familie und Freunde von Kamal anders, ebenso wie politisch sensibilisierte Menschen. Für sie ist klar, dass ein rassistisches Tatmotiv in Betracht gezogen werden muss. Und sie bestehen darauf, dass dies bei der Anklageerhebung und im Prozess eine größere Rolle spielen muss. Schließlich liegt ein neonazistischer Hintergrund der beiden mutmaßlichen Täter auf der Hand. Daniel K. war um die Jahrtausendwende in Leipzig in die rechte Szene eingestiegen, Marcus E. in der als besonders rassistisch und militant bekannten Kameradschaft Aachener Land aktiv. Letzterer macht nicht nur äußerlich keinen Hehl aus seiner »nationalen Gesinnung«, suchte während seines langjährigen Gefängnisaufenthaltes aktiv Kontakt zur »Hilfsorganisation für nationale Gefangene«, die inhaftierte Nazis in der Szene halten will. In seiner Wohnung in Erfurt wurden mehrere Kisten mit Nazi-Devotionalien beschlagnahmt. Beide Angeklagte tragen auf ihrem Körper einschlägige Tätowierungen, die etwa das Haken- und Keltenkreuz sowie SS-Symbolik zeigen. Trotz all dieser Indizien ließ der Leipziger Oberstaatsanwalt schon wenige Wochen nach dem Mord verlautbaren, dass es keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen rassistischen Tathintergrund gebe. Die Anwälte der Nebenklage, die vor Gericht die Interessen der Familie vertreten, plädieren vor diesem Hintergrund dafür, dass eine Verurteilung wegen Mordes aus niederen Beweggründen bzw. gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht kommen sollte. Am zwei-

ten Verhandlungstag gab der Richter diesem Antrag zumindest in Teilen statt und erteilte in Richtung von Marcus E. den rechtlichen Hinweis, dass für ihn auch eine Verurteilung wegen Mordes in Frage käme. Es wird sich zeigen, ob die Justiz einmal mehr ein Verbrechen entpolitisieren und dem Schweigen über die Dimension rechter Gewalt Vorschub leisten will. Schließlich ist Kamal einer von mehr 150 Menschen, die in Deutschland seit 1990 durch rechts motivierte Gewalt ums Leben kamen. In Sachsen waren es im selben Zeitraum mindestens dreizehn. Nimmt man nicht die von Medien und Initiativen recherchierten, sondern die offiziellen Zahlen her, gibt es bundesweit allerdings »nur« 47 und in Sachsen sieben Menschen, die sterben mussten, weil sie einen Migrationshintergrund hatten, homosexuell, links oder obdachlos waren. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurden die Erfassungskriterien für rechts motivierte Kriminalität im Jahr 2001 verändert. Wurden bis dahin nur Delikte erfasst, die sich gegen die staatliche Ordnung richteten, gelten nun Straftaten als politisch motiviert, »wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person gerichtet sind wegen ihrer politischen Einstellung, Nati-

onalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status«. Nach dieser Reform schnellte die Statistik rechts motivierter Straftaten in die Höhe, die offensichtliche Lücke in Sachen rechts motivierter Morde wurde allerdings nicht geschlossen. Denn Grundlage der Zählung blieb die Handhabung und Bewertung solcher Taten durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte vor Ort. Und diese entpolitisieren und verdrängen gern. In zahlreichen Fällen führten erst Öffentlichkeitsarbeit und Proteste von Initiativen dazu, dass die Motive solcher gewaltsamer Todesfälle und einschlägige (Neonazi-)Biografien von Tätern transparent und diskutierbar gemacht wurden. In einigen Fällen führte dies auch zur nachträglichen Kategorisierung als rechts motivierte Gewalttat. Dass der Mord an Kamal Eingang in die Statistik rechts motivierter Kriminalität findet, ist zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Und so könnte sich das fortsetzen, was seit nunmehr zwanzig Jahren offizielle Praxis ist: Das statistische Kleinrechnen rechts motivierter Gewalt. Von fünf (bzw. mit Kamal sechs) offensichtlich durch

Nazis verübten Morden in Leipzig wird nur einer offiziell als solcher geführt, nämlich der Mord an Nuno Lourenco. Der Gastarbeiter aus Portugal wurde 1998 nach einem EM-Fußballspiel, bei dem die deutsche Nationalmannschaft verloren hatte, von einer Neonazi-Gruppe so schwer geschlagen und misshandelt, dass er wenige Monate später an den Folgen starb. Die offizielle Anerkennung als Opfer rechter Gewalt erfolgte aufgrund massiven Drucks seiner Witwe und der Medien erst im Nachhinein. Die Statistik vergisst dagegen Klaus E., der ein paar Nazis als asozial galt und darum 1994 in seiner Wohnung in LeipzigLindenau zu Tode geprügelt und getreten wurde. Vergessen sind auch Achmed Bachir - 1996 von zwei Nazis in einem Gemüseladen in der Leipziger Südvorstadt erstochen - und Bernd Grigol, der offen homosexuell lebte und 1996 darum von Nazis vor seiner Wohnung gequält, misshandelt und erstochen wurde. Auch KarlHeinz Teichmann, der im August 2008 auf einer Bank am Schwanenteich an der Leipziger Oper von einem 18-jährigen Neonazi-Sympathisanten misshandelt wurde, wird von der Statistik nicht erfasst. »Du hast hier nicht zu schlafen«, beschimpfte der Täter sein Opfer und malträtierte ihn mit über zwanzig Schlägen, so dass der Obdachlose zwei

Wochen später an den Folgen seiner schweren Verletzungen starb. Gerade die Gewalttaten gegen sozial Schwache haben in beängstigender Weise zugenommen und betten sich in ein zunehmend feindliches gesellschaftliches Klima ein. So warnt der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer mit Blick auf die Ergebnisse seiner Landzeitstudie »Deutsche Zustände«, dass das Abwertungsdenken gegenüber sozial Schwachen in bedenklichem Maße wächst. Erst vor wenigen Wochen starb in Oschatz der 50-jährige Andre K. Der Obdachlose wurde von sechs Männern mit Schlägen und Tritten schwer misshandelt. Wie sich inzwischen herausstellte, gehörte mindestens einer der Täter der NPD-Jugendorganisation JN an. Das Schweigen über die Motive solch menschenverachtender Gewalt muss gebrochen werden. Dafür braucht es engagiertes Handeln, das nicht bei der Forderung nach einer lückenlosen statistischen Erfassung und Aufklärung von neonazistischen Gewalttaten stehen bleiben darf. Es muss uns um eine Politik gehen, die für bedingungslose soziale Gleichstellung aller Menschen und für ein gesellschaftliches Klima, das von gegenseitiger Achtung und Solidarität geprägt ist, einsteht. Juliane Nagel


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Sommerakademie: SuperWochenende, das Spaß macht. »Ja, ich würde nächstes Jahr wiederkommen«, so hieß es übereinstimmend unter den rund 45 Teilnehmern der ersten LINKEN Sommerakademie, die vom 17. bis 19. Juni in Krögis bei Meißen stattfand. Im Mittelpunkt der Sommerakademie stand das Lernen derer, die sich in linken Strukturen engagieren oder dies vorhaben. Leider mussten die Seminarangebote etwas reduziert werden, aber es blieben genügend Inhalte, die die Akteure im linken Spektrum nutzen konnten, um sich in Partei, Vereinen, Initiativen oder Bündnissen sinnvoll einzubringen. Die Teilnehmerinnen und teilnehmer trafen sich dazu in einem fast romantischen Gutshof in der Nähe von Meißen. Zwölf Seminarangebote, wie etwa Argumentationstraining anhand der aktuellen Debatte der sogenannten Euro-Krise und die erwarteten Konsequenzen aus der aktuellen Situation in Griechenland, kollegiales Beraten oder die Nutzung moderner Medien zur Kommunikation und Meinungsbildung untereinander standen zur Auswahl. Rene Jalaß lobte etwa das Argumentationstraining zur Griechenlanddebatte: »Es wurden dazu verschiedene Standpunkte, Parolen und Vorurteile angesprochen und widerlegt. Das Seminar ist dafür sehr gut vorbereitet.« Anja Drescher

fand es hilfreich, zu lernen, wie den üblichen Argumenten dann fundiert begegnet werden kann. Die Seminare sind thematisch genau richtig, man merkt der Bedarf in der Partei und im Jugendverband ist groß, fand auch Sebastian Heydrich. Und ergänzte, »dass man aber auch die Leute, die in Verantwortung sind und Bedarf an der Weiterbildung haben, zu solchen Seminarwochenenden »herzwingt«. Max Kretzschmar lobte die Kompaktheit des Wochenendes als ein «tolles Angebot in der politischen Bildungsarbeit.« Ina Leonhardt wünschte sich fürs nächste Jahr, dass der Workshop zur Kampagnenarbeit stattfindet, der in diesem Jahr wegen Terminschwierigkeiten leider entfallen musste. Mehr Mitsprache bei den Inhalten würde sich Ralf Thonfeld im Vorfeld wünschen. »Erkenntniszuwachs ist gesichert«, urteilte knapp Ralf Becker. Die Landesgeschäftsführerin Antje Feiks freute sich über die positiven Rückmeldungen und sieht die Sommerakademie als Erfolg: »Atmosphäre, Inhalte, Seminare, alles stimmt«. Dem kann sich der ausrichtende Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. nur anschließen. Fürs nächste Mal sollen die Termine zeitiger bekanntgegeben werden. Und das vegetarische Essenangebot sollte größer sein. Rico Schubert

MDR-Intendant: Forderungen und Anforderungen Jahrelang kämpfte MDR-Intendant Udo Reiter für einen ARD-Jugendkanal. Es sei naheliegend, neben dem KI.KA sowie den Jugendwellen im Radio ein »öffentlich-rechtliches junges Vollprogramm« anzubieten. »Man kann nicht auf der einen Seite immer einen mangelhaften Informationsstand junger Leute und niedrige pädagogische Ansprüche mancher Privatprogramme beklagen und andererseits nichts dagegen tun.« Am 23. Mai, einem Montag, legte Udo Reiter seine Forderung zu den Akten. Sie sei wünschenswert, aber nicht umsetzbar. Ein Jugendprogramm sei »alles in allem eine tolle Möglichkeit - es bleibt aber eine Illusion.« Sowohl unter den Intendanten als auch in der Medienpolitik seien die Widerstände zu groß. Im März antwortete Udo Reiter in der Berliner Zeitung auf Fra-

ge, ob er seine volle Amtszeit bis zum 30. Juni 2015 erfüllen wolle: »Ich habe nichts anderes vor.« Am Donnerstag, drei Tage nachdem er das öffentlichrechtliche Jugendprogramm beerdigt hatte, verkündete er, seinen Platz beim MDR zu räumen. Er sei mit 67 Jahren zum einen der dienstälteste Intendant und habe durch 45 Jahre im Rollstuhl gesundheitliche Probleme. Zudem sei die Betrugsaffäre beim KI.KA, für den der MDR verantwortlich zeichnet, weitgehend geklärt. Mit diesem Schritt hatte er auch jeglicher Rücktrittsforderung den Boden entzogen. Am Freitag, einen Tag später, offerierte bild.de schon die ersten fünf Intendanten-Kandidaten. Weitere Zeitungen folgen mit weiteren Kandidaten. Es ist sogar von einer Absprache zwischen Sachsen-Anhalt

und Thüringen die Rede: Thüringen könne den Intendanten stellen, wenn Sachsen-Anhalt den derzeit offenen Posten des Verwaltungsdirektors besetzen dürfe. Doch ganz so einfach ist es nicht. Um gewählt zu werden muss man zweimal eine ZweiDrittel-Mehrheit gewinnen: im Rundfunkrat und im Verwaltungsrat. Vier der sieben Verwaltungsräte sind Mitglied der CDU. Wer Intendant wird, ist noch unklar. Am 5. September will der Verwaltungsrat seinen Vorschlag öffentlich bekannt geben. Klar ist, dass es keine öffentliche Ausschreibung gibt. Die Sächsische Staatskanzlei hatte sich vom Leipziger Rechtsprofessor Christoph Degenhart ein Gutachten erstellen und dem Verwaltungsrat zukommen lassen. Gegen eine öffentliche Ausschreibung

gebe es »verfassungsrechtliche Bedenken«. Allerdings wurden allein in diesem Jahr schon zwei Intendantenposten öffentlich ausgeschrieben – beim SWR und beim Saarländischen Rundfunk. Die Wahl wird offenbaren, wem der MDR in Zukunft dienen soll. Soll der MDR der Demokratie »dienen«, soll er öffentliche Meinungs- und Willensbildung fördern? Die Freiräume des MDR haben sich in den letzten Jahren immer weiter eingeschränkt. Allein das ERSTE hat einen Etat von 1,6 Mrd. Euro – Tendenz steigend. Nur ein starker und in der ARD anerkannter Intendant ist in der Lage, mit anderen Intendanten Bündnisse in der ARD zu schmieden, die auch im Interesse des MDR sind. Das ist eine Grundvoraussetzung, um den MDR zukunftsfähig zu gestalten. Doch was, wenn der MDR dem

Machterhalt der Regierungen dienen soll? Schließlich erreicht der MDR-Hörfunk über die Hälfte der Bevölkerung, dass MDR Fernsehen mehr als ein Fünftel. Eine entsprechende Berichterstattung kann dafür sorgen, dass sich die Waage der wahlentscheidenden Mehrheiten auf der Regierungsseite neigt. Das kann nur ein Regierungskandidat mit entsprechender Personalpolitik garantieren. Vor 8 Jahren wurde erstmals eine Frau als Intendantin gewählt. Wird nun, nach 20 Jahren Einheit, erstmalig ein Ostdeutscher Intendant? Das entscheidet der Rundfunkrat am 26. September. Heiko Hilker Aktuelle Informationen zum Personal- und Sachstand immer im Medienblog unter www. dimbb.de


Hintergrund

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Antisemitismus und Israelkritik. Das Konzept der Grauzone Die aktuelle mediale Debatte, scheinbar wissenschaftlich untermauert durch eine bisher nicht endgültig publizierte Studie, schien eines deutlich gemacht zu haben: Die LINKE hat ein Problem mit Antisemitismus. Nach den öffentlichen Stellungnahmen einiger Politikerinnen und Politiker aus dem Reformer-Flügel und insbesondere nachdem die Fraktion in einer Erklärung gegen Antisemitismus beschlossen hatte, sich nicht wieder an der Gaza-Flottille zu beteiligen und keine Aktionen zu unterstützen, die israelische Produkte boykottieren oder sich für eine Einstaatenlösung in Palästina/Israel einsetzen, schien dies auch parteioffiziell bestätigt. Umso heftiger war jedoch die Gegenwehr, beispielsweise in der »Jungen Welt« und von Seiten eher traditionslinker Gruppierungen und Personen innerhalb der Partei. Dort wurde der Antisemitismusvorwurf als bloßes Kampfmittel zurückgewiesen. Beide Pole in dieser Diskussion sind so hochgradig ideologisiert (und bestimmen damit leider auch die Dynamik der Auseinandersetzung), dass sie das Wesen des Problems nicht erfassen, obwohl es doch dringend einer diesbezüglichen kritischen Selbstreflexion bedürfte. Denn während klar ist, dass der in den Mainstreammedien und in der Studie von Salzborn/ Voigt aufgebrachte Vorwurf eines antizionistisch-antisemitischen Konsenses in der Linken wegen klar anderslautender Beschlüsse, hochgradig differierender Meinungen und einem latent schon länger geführten konflikthaften Diskurs um die Thematik so nicht haltbar ist, rührt er doch an einen rationalen Kern. Um diesen zu verstehen, muss man sich zunächst bewusst machen, dass Antisemitismus weit mehr sein kann als explizite negative Einstellungen zu und Vorurteile gegenüber Jüdinnen und Juden. Dieses Problem spielt unter Linksaktiven ohnehin bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Ebenso ist der stalinistische Versuch, »jüdisch-zionistische Verschwörungen« für Probleme des Sozialismus verantwortlich zu machen, heute von vorrangig historischem Interesse – als ein trauriger Bestandteil des linken Erbes. Antisemitismus, und hier stellt sich das Problem für die Linke, kann

Zeltlager im Gazastreifen. Die kleine Stück Land am Mittelmeer gilt als Symbol eines Konflikts mit komplexen Ursachen, der auch von der deutschen Linken differenziert, sachlich und ohne Ideologisierungen und Diffamierungen diskutiert werden muss.

aber auch als individuell nicht intendierte Struktur auf der Bedeutungsebene des gesellschaftlichen Diskurses entstehen. Dabei gibt es gerade im Kontext der Israelkritik keine einfachen Kriterien, die bestimmte Ideen, Einstellungen oder Handlungen als eindeutig antisemitisch oder nicht klassifizieren, sondern es hängt vom jeweiligen Äußerungsund Rezeptionskontext ab, ob die entsprechenden Dinge anschlussfähig an den Antisemitismus sind. Mit dem Begriff der Anschlussfähigkeit wird auf die Mehrdeutigkeit vieler Positionen im Themenfeld hingewiesen, bei denen Intentionen, manifester Aussagegehalt und Rezeptionsweisen weit auseinanderklaffen können und eine sehr breite Grauzone bilden. Anstatt Antisemitismusvorwürfe inflationär zu verbreiten oder als bloße Unterstellung abzuwehren, gilt es, eine Sensibilität für die jeweiligen Kontexte zu entwickeln, ein Gespür dafür, als was eigenes Tun und Lassen jeweils gedeutet werden kann. Die Problematik stellt sich für Linke hauptsächlich in der Nahostdiskussion. Das wichtigste Einfallstor für antisemitische Anschlüsse ist eine in der Palästinasolidarität gründende Israelkritik, die in einer zugespitzten Freund-FeindLogik Augenmaß, Distanz und damit letztlich auch den

Menschenrechtsuniversalistischen Anspruch der allgemeinen Emanzipation aufgibt. Verschiedene bisher aufgestellte Kriterien können bei der Sensibilisierung hilfreich sein, auch wenn sie keine eindeutigen Antworten zu vermitteln in der Lage sind. Palästinasolidarische Menschen sollten sich folgende Fragen stellen und möglichst mit »ja« beantworten: Werden an Israel die gleichen Kriterien wie an andere Länder/ Konflikte angelegt? Werden die legitimen Interessen aller beteiligten Menschen, auch der Israelis, mit bedacht? Wird eine Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus vermieden? Wird die besondere Bedeutung der Shoa und des Antisemitismus als ein Grund (unter anderen!) der Entstehung Israels anerkannt? Ist man in der Lage, die Konfliktparteien nicht nur als homogene Blöcke zu sehen, sondern auch ihre innere Widersprüchlichkeit wahrzunehmen und auch die unterstützte Konfliktpartei in verschiedenen Punkten zu kritisieren? Schließt man Bündnisse mit rassistischen und antisemitischen Kräften aus? Werden keine antisemitischen Stereotype verwendet? Werden nicht fälschlich Jüdinnen und Juden für die israelische Politik verantwortlich gemacht oder Antisemitismus mit der israeli-

schen Politik rationalisiert? Letzteres ist das wohl klarste Indiz für eine rassistische antisemitische Position. Die Schwierigkeit des Agierens in der Grauzone sei abschließend kurz an der Forderung nach dem Boykott israelischer Produkte erörtert. Diese ist definitiv nicht an sich antisemitisch, sie hat keinen kontextfreien Wesenskern. Angesichts der klaren Völker- und Menschenrechtsbrüche, den die Aufrechterhaltung und andauernde Vertiefung der Besatzung darstellt, gehört sie zum zu erwägenden strategischen Repertoire einer Bewegung gegen die Besatzung, und insbesondere dann, wenn sie sich gegen Waren aus den komplett illegalen und illegitimen Siedlungen richtet. Und doch, wer wollte Dieter Graumann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden widersprechen, wenn er zum Thema Boykott (und gerade in Deutschland) sagt: »Man möge uns Juden verzeihen, dass wir manchmal eine schmerzliche, 70 Jahre alte Erinnerung haben«. Man könnte dies vielleicht als »Befindlichkeit« abtun, da es beim Boykott ja um Israel und nicht um die Jüdinnen und Juden als solche geht. Vielleicht ginge das, wenn es in Deutschland keinen Antisemitismus gäbe (aber es gibt eine weite Verbreitung in der gesamten Gesellschaft vom

rechten Rand bis in die Mitte und auch links) und wenn es in allen politischen Lagern wirklich die immer geforderte klare Trennung zwischen Israel und dem Judentum gäbe. Doch solange es ein weit verbreitetes Verständnis dafür gibt, dass man wegen der israelischen Politik Jüdinnen und Juden »unsympathisch« findet (auch das zeigen Meinungsumfragen immer wieder), muss man das klar ablehnen. Und diejenigen, die glauben, sich angesichts des schrecklichen palästinensischen Leids einfach über solche jüdische »Befindlichkeiten« hinwegsetzen zu können, jene, die unbeschwert boykottieren oder sich mit offen antisemitischen Kräften verbrüdern (auch dafür gibt es leider viele Beispiele in der Linken), sind in der Grauzone unterwegs nach rechts. Peter Ullrich Dr. Peter Ullrich ist Soziologe und lebt in Berlin. 2007 veröffentlichte er »Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt« (Berlin, AphorismA-Verlag). Er promovierte 2008 zum Thema »Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland« (Berlin, Dietz).


Juli-August 2011

Sachsens Linke

Zum Thema plurale und pluralistische

partei diskutieren Ralf Becker und Hans-Georg Trost auf Seite 6. Dr. Cornelia Ernst

schreibt zur Verantwortung Europas für die Flüchtlinge auf Lampedusa auf Seite 11. Katja Kipping stellt auf Seite 14 das modell der sogenannten »Kulturloge« vor.

Und Volker Külow, der Vorsitzende der Leipziger LINKEN berichtet über einen konkreten ökologischen Umbau, die Installation von Solarzellen auf dem Liebknecht-Haus auf Seite 9.

Programmdebatte debatte. Beiträge zur Programm

Polizeistaat in Aktion Wir müssen Kultur vor allem als Kommunikation verstehen

Der aktuelle Skandal um die Abhöraktion von kompletten Funkzellen am 19. Februar in Dresden bei der Demo gegen den Aufmarsch der Rechten – wobei sämtliche Personen innerhalb eines Gebietes und innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens belauscht wurden – hat eine lange Vorgeschichte. Schließlich ist diese Abhöraktion nur ein Bestandteil der in Sachsen bevorzugten Rasterfahndung – die Polizei erfüllt dank Personalmangel nicht mehr ihre eigentlichen Aufgaben und sucht Täter oder ermittelt gezielt auf der Basis von Spuren sondern sie rastert zunehmend. Egal was passiert: Ob eine Frau ihr Baby tötet oder ein Kind vergewaltigt wird: Stets ist es »das Mittel der Wahl« der Polizei in Sachsen die Gesamtbevölkerung eines Gebietes unter Generalverdacht zu stellen. Mal sollen alle Frauen im Alter von 18 bis 30 in einem Kreisgebiet zur DNA-Analyse, ein anderes Mal sind alle Männer im Alter von 25 bis 49 in bestimmten

Dresdner Stadtteilen aufgefordert ihre DNA abzugeben. Am liebsten würde das Innenministerium das isländische Modell auf die sächsische Bevölkerung übertragen, glaubt man. Dort wurden sämtliche Einwohner genetisch in einer Datenbank erfasst – das sind die heimlichen Träume aller Verfassungsschützer, Geheimdienste und polizeilicher Terror-Bekämpfer. Die Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen aber bedeutet, dass der Staat mit undemokratischen Mitteln sein Volk kontrolliert. Mit versteckten wie offenen Kameras und Mikrofonen, Email, SMS und Gesprächsüberwachung. Nie wurde in Sachsen so viel und so intensiv überwacht wie heute – allein die Kameradichte in den Innenstädten lassen jede Sächsin und jeden Sachsen zu Hauptdarstellern in Überwachungsfilmen wider Willen werden, in einem Ausmaße wie nie zuvor. Mit ihrer Überwachung am 19. Februar »checkte« die Polizei

nicht nur Rechte und Linke flächendeckend in bestimmten Arealen der Dresdner Innenstadt sondern natürlich auch alle Bürger, die »unschuldig« in ihren Wohnungen saßen. Touristen aus China, Russland und den USA, die über die Prager Straße schlenderten, Besucher aus Bayern oder Hamburg, die nur mal Elbflorenz besuchen wollten und solche Leute wie mich, die für ihren youtube-Kanal (TheEastfreak) eine Bild-Ton-Dokumentation erstellten, mitdemonstrieren und Konstantin Wecker hören wollten. Ich stand mal in der Nähe von Klaus Ernst, dann wieder neben Claudia Roth – auch diese »Promis« und ihre Eskorte wurde mit überwacht. Dabei waren auch Katja Kipping, Cornelia Ernst, die Genossen Porsch und Hahn. Bislang mussten alle diese Personen noch nicht ihre DNA abgeben, immerhin kam nun jede/r schon mal in den »Genuss der Rasterfahndung«. Ich finde, es sollte allen Personen, die sich am 19.

Februar in dem Gebiet aufgehalten haben das Recht eingräumt werden, Einsicht zu bekommen in ihren von der Polizei dokumentierten smsVerkehr und die aufgezeichneten Gespräche (Ich selbst habe mindestens 20 SMS verschickt.) - und alle Überwachten sollten Strafanzeige gegen das Innenministerium stellen können. Da die Personen in der Innenstadt ihre SMS in Gegenden schickten, die hunderte bis tausende Kilometer entfernt waren, erlaubt sich das sächische Innenministerium übrigens gleich noch die Bürger anderer Bundesländer und des nahen wie fernen Auslandes gleich mit zu überwachen. Was werden eigentlich die chinesischen Gäste über den sächsischen Polizeistaat sagen? »Pekinger Polizei-Präsident als Bauernopfer«, hätten deutsche Blätter gehetzt, wäre in der chinesischen Hauptstadt unter solchen Umständen nur der Polizei-Präsident »versetzt« worden ... Ralf Richter

Auf dem Kleinen Parteitag der sächsischen LINKEN in Dresden diskutierten wir den Entwurf der kulturpolitischen Leitlinien, die uns von dem Landesweiten Zusammenschluss Kultur vorgelegt wurden. Bereits in der Präambel des kulturpolitischen Papiers heißt es: »Kultur ist ebenso wie ihr Pendant die Bildung für die sächsische LINKE nicht nur die Angelegenheit eines abgegrenzten Ressorts, sondern als Querschnittsaufgabe gemeinsames Anliegen vieler Ressorts. Bewusst betrachten wir Kulturpolitik in Verbindung mit sozialen Fragen als Gesellschaftspolitik zur weiteren Ausgestaltung eines demokratischen Gemeinwesens. Die Akzente, die wir dabei setzen, ergeben sich aus unserem grundsätzlichen Eintreten für eine sozial gerechtere, demokratische und friedliche Welt.« Die Relevanz der Thematik Kultur ergibt sich für die sächsische LINKE zum einen aus der Erkenntnis, dass die Sachsen ein kulturliebendes Volk sind, was vor allem auf das Land und die Kulturvielfalt stolz ist. Zum anderen ist es aber auch für die innerparteiliche Kultur der sächsischen LINKEN von Fortsetzung nächste Seite


Sachsens Linke!  7-8/2011 Fortsetzung „Wir müssen...“ Bedeutung. Denn Kultur sollten wir vor allem als Kommunikation verstehen. In diesem Sinne sollte unser Anspruch sein, die sozialen und kulturellen Grundlagen einer dialogfähigen, gerechten Gesellschaft zu sichern und auszubauen. Wir wollen eine Politik der Umverteilung – als den sozialen Aspekt – und eine Politik der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen und Identitäten als den kulturellen Aspekt. In und mit Kultur werden gesellschaftspolitische Fragen verhandelt, die unser Leben definieren. Eine LINKE, die sich vor allem als eine kulturelle LINKE versteht, wird sich immer auf ein größeres Gesellschaftsprojekt einlassen, als allein auf eine bessere Umverteilung des Reichtums, wie es die Sozialdemokratie macht. Kulturpolitik kann als emanzipative Politik verstanden werden, in der es darum geht, Freiräume zu gewährleisten und Menschen zu ermutigen. Vor allem in den sozial stabilen Stadtteilen und Kommunen in denen die Menschen Arbeit haben und sozial integriert sind, gibt es die meisten eigenen kulturellen Initiativen. Dieses Bild sollte aber auch in schwächeren Regionen in Sachsen zu sehen sein. Letztendlich geht es uns darum Veränderungen in den Produktions- und den Lebensweisen zu schaffen. Denn in einer wissensbasierten Gesellschaft, sind Bildung, Kultur und Wissenschaft die Produktivkräfte, deren Mobilisierung in größerem Ausmaß als bisher die Entwicklung moderner Gesellschaften bestimmen. Unser Papier macht in 16 Punkten deutlich, was Kultur bedeutet. Bildung, Wissenschaft und Kultur definieren die Sachsen, daher ist es richtig einen Kulturlandesentwicklungsplan zu fordern, genauso wie ausreichende landesweite öffentliche Förderung. Das Papier soll weiter diskutiert werden und auch hier möchte ich, dass wir unsere kulturpolitischen Leitlinien vor dem Hintergrund diskutieren, dass wir uns breiter aufstellen, ohne zu vergessen, dass das Soziale für uns der Markenkern bleiben muss.

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01127 Dresden

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Meinungen Michael Pivec per Email

Meiner Meinung nach laufen in diesem Land einige Räder gewaltig im Dreck. Dabei will ich mich nicht mal auf die aktuellen Themen wie Atomausstieg beziehen. Eine meiner Ideen bezieht sich auf den steigenden Lastenverkehr. Wieso baut man nicht landesweit, an entsprechend günstigen Standorten RoLaTerminals auf? Man müßte die LKW-Maut entsprechend erhöhen und für lange Transportstrecken wirtschaftlich unattraktiv machen. Das hätte meiner Meinung nach ein paar Vorteile. 1. weniger Güterverkehr auf der Strasse/Autobahn und dem entsprechend weniger Belastung der Strassen, 2. ich bin kein Fachmann diesbezüglich, aber ich vermute, dass dadurch auch die Umweltbelastung sinken sollte, 3. könnte man die entsprechenden Kontrollen sozusagen zentralisieren und LKW´s, die sich trotzdem auf die unwirtschaftliche Tour begeben, haben irgendetwas zu verbergen, 4. und das ist ein Punkt, den man nicht unterbewerten sollte, würde man die Fahrer entlasten. Wie ich schon sagte...ich bin kein Fachmann. Aber ich denke, dass diese Punkte die durch weniger LKW-Maut geringeren Einnahmen wett ma-

chen würden. Natürlich sehe ich das nur als groben Rahmen an und es müßte mit dem entsprechenden Wissen und der nötigen Kompetenz aufgebessert werden. Aber als Anregung ist das sicher nicht das Schlechteste. Rita Kring aus Dresden zu »Der beschleunigte Atomausstieg« (Sachsens Linke! 6/2011, S. 1) Der Regierungsbeschluss ist kein schneller Atomausstieg, sondern nur eine Sicherung des Weiterbetriebs vieler Atomkraftwerke. Der Netzausbau ist nur bei Beibehaltung einer zentralen Energieversorgung zugunsten der großen Konzerne auf Kosten der Bevölkerung notwendig. Damit bleiben die Abhängigkeiten erhalten. Demokratie wird wie bei den bisherigen Großkraftwerken verhindert. Das ist anders, wenn Einzelpersonen oder Gruppen gemeinsam entscheiden, wie sie sich am besten mit Energie versorgen. Das können z.B. kleine Photovoltaik-, Solarthermie-, Windkraft-, Erdwärmeoder Biogasanlagen aus Abfällen mit Kraft-Wärme-Kopplung sein. So wird nicht nur Demokratie gestärkt, es ist auch kostengünstiger. Und Abhängigkeiten werden verringert.

Uwe Schnabel aus Coswig zu »Zensus 2011« (Sachsens Linke! 6/2011, S. 6) Jemand hat mit meinem Namen auf Kredit eingekauft und nicht gezahlt. Dadurch bekam ich Ärger mit einem Inkassobüro und der Schufa. Spätestens seitdem bin ich vorsichtig mit der Herausgabe meiner Daten. Die zuständige Erhebungsstelle konnte mir auch nicht beantworten, wozu Namen und Geburtsdatum benötigt werden. Die Adresse wird benötigt, um zusammen mit der Wohnraumzählung herauszubekommen, wer mit welcher Bildung wo wohnt. Ob dies wichtig ist, bezweifle ich. Die ausgefüllten Erhebungsbögen werden eingesammelt oder in einen Briefkasten am Rathaus eingeworfen, von dort zur Erhebungsstelle und dann zur elektronischen Erfassung in den Westen transportiert. Die Erhebungsstellenleiterin konnte mir keine Möglichkeiten nennen, wie sie oder ich kontrollieren können, dass auf diesem Weg oder anschließend die Daten nicht anderweitig genutzt werden. Mit meinen offenen Fragen soll ich mich an das statistische Landesamt (0800/8099880) wenden. Außerdem sind die Ausweise der Erhebungsbeauftragten leicht zu fälschen (http://zensus11.de/2011/05/volkszahlerdienstausweise-sicher/). Einige Personen wollen auch die Fragen in Prosa beantworten. Dazu kann http://generator.zensus11.de/ genutzt werden. Und Post kann verlorengehen.

Die Postkarten können in der Landesgeschäftsstelle bestellt werden, sieher Artikel auf Seite 9

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 17.650 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Internet unter www.sachsenslinke.de

Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 2.7.2011. Die nächste Ausgabe erscheint am 1.9 2011.

Glossiert Von Stahis Soudias

Historische Woche Zurückblickend wird diese letzte Juni-Woche des Jahres 2011 noch eine wichtige Rolle spielen. Was ist passiert? Das deutsche Parlament hat mit sehr großer Mehrheit den zweiten, widerruflichen, Atomausstieg beschlossen. Zur Erinnerung: Es waren die Abgeordneten der CDU, der SPD, der FDP und der Bündnis-Grünen, im Ganzen 513 Stimmen. Die Abgeordneten der LINKEN haben mit »Nein« gestimmt, acht haben sich enthalten. Fortsetzung folgt. Und, das griechische Parlament hat den Forderungen der EU mehrheitlich zugestimmt. Nebenbei gemerkt: Giorgos Papandreou hat viele Gemeinsamkeiten mit Herrn Gorbatschow. Beide haben Missstände festgestellt, beide haben mit dem Finger die Wunde berührt, beide wollten vieles ändern, etwas Gutes tun, beide hatten keinen Plan, wie man es besser macht, beide sind gescheitert. Griechenland hat etwa 300 Milliarden Euro Schulden. Doch das Land steht nicht alleine da, nein. Hellas hat Freunde, Partner, Verbündeten! Und diese wollen helfen. Dies sieht nun so aus: Die Löhne und Gehälter werden weiter gekürzt, nunmehr bis etwa 30 Prozent. Die Renten bis 35 Prozent. Die Mehrwertsteuer wird dagegen drastisch erhöht. Von diesem Geld, was den Bürgerinnen und Bürgern weniger in die Tasche bleibt, soll die Wirtschaft angekurbelt werden, dadurch das Steueraufkommen des Staates um 28 Milliarden erhöht! Und weil das nicht reichen wird, soll Hellas die Flug- und Marinehäfen, Staatsunternehmen und Inseln(!!!) verkaufen. Wie sagte Herr Dr. Ackermann? »Schweren Herzens« wird er die Filetstücke des griechischen Eigentums unter die Nägel reißen. So viel Altruismus hätte ich einem Banker nicht zugetraut. Egal welches Milchmädchen da rechnet, diese Rechnung wird nicht aufgehen. Griechenland wird bis zum letzten Pfennig ausgequetscht und der deutsche Steuerzahler wird doch die »Ausfälle« der Banken zahlen müssen. Apropos Milchmädchen. Ich muss Peter Porsch widersprechen (siehe Mai Ausgabe). Frau Merkel, lieber Herr Professor, tut nicht so obwohl, sondern weil sie Tochter eines christlichen Geistlichen ist.


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Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel Die neue Qualität am sächsischen Arbeitsmarkt

Unser genialer Wirtschaftsminister Morlok hat die Eierschecke als neue Wunderwaffe für den sächsischen Arbeitsmarkt erfunden. Vielleicht träumt er ja davon, die 219.000 nach wie arbeitslosen Sächsinnen und Sachsen zu Eierscheckebäckern umzuschulen, damit sie dann als Ich –AG, Minijobber oder als Leiharbeiter für einen Hungerlohn die Fachkräfte von der A 72 locken können. Denn sie werden sich sicher freuen, dass sie dann im blühenden Sachsen arbeiten können – allerdings für 10 bis 20 Prozent weniger Lohn als in Bayern oder Baden-Württemberg. Festzuhalten ist, dass von den offiziell knapp unter 3 Millionen Arbeitslosen - die tatsächliche Zahl liegt noch weit darüber - immer noch jeder fünfte aus dem mitteldeutschen Wirtschaftraum kommt -dabei 219.000 aus Sachsen, 99.000 aus Thüringen und 134.000 aus Sachsen-Anhalt. Und es ist auch richtig, dass sich die Nachfrage nach Arbeitskräften mit der Erholung im Konjunkturzyklus verbessert. Allerdings werden dabei auch die Versäumnisse der Arbeitsmarktpolitik von Bund und Land deutlich.

Sowohl Unternehmer als auch Verantwortliche in den Arbeitsagenturen klagen immer mehr darüber, dass für eine ganze Reihe von offenen Stellen keine geeigneten Bewerber zu finden sind. Die Unternehmen haben sich zu lange auf eine von der sächsischen Staatsregierung mitpropagier te Niedriglohnstrategie

festgelegt und außerdem zu wenig in Qualifizierung und nachhaltige Personalentwicklung investiert. Auf der Seite der Arbeitsverwaltung lag der Fokus immer auf der kurzfristigen Vermittlung, und sei es in noch so schlechte und prekäre Beschäftigung. Eine längerfristige und an den Zukunftsmärkten ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik, mit ent-

sprechenden Umschulungen und qualitativ hochwertigen Anpassungsmaßnahmen, ist lange Zeit kein Schwerpunkt gewesen. D a s

führ t jetzt zu strukturellen Verwerfungen. Zum einen ist die Langzeitarbeitslosigkeit unverändert hoch; Arbeitslose, die lange Zeit vom

Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren, haben kaum Chancen auf einen akzeptablen Arbeitsplatz. Zum anderen gibt es in immer mehr Berufsgruppen nicht mehr nur bei den Ärzten - einen echten Fachkräftemangel. Das hat zur Folge, dass sich der Arbeitsmarkt immer mehr der Form einer Sanduhr nähert. Im oberen Bereich der kurzfristigen Arbeitslosigkeit und bei einigen Berufssparten, etwa in der Solarbranche, dem verarbeitenden Gewerbe, aber auch bei Kraftfahrern, Pflegeberufen und Erziehern gibt es eine relativ dynamische Entwicklung, die den Arbeitnehmern auch mehr Verhandlungsmacht in Fragen der Lohnentwicklung und Arbeitsbedingungen beschert. Die übergroße Zahl der Langzeitarbeitslo sen kann davon nicht profitieren - und bleibt weiterhin vom Arbeitsmarkt ausges chlos sen. D i e

Durchlässigkeit nimmt immer weiter

ab. Ein weiterer Aspekt in der veränderten Struktur des Arbeitsmarktes ist die territoriale Differenziertheit der Arbeitslosigkeit. So liegt in Sachsen

immer noch Leipzig mit 12,3 Prozent an der Spitze der Arbeitslosigkeit, Annaberg-Buchholz hingegen hat nur 8,9 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Thüringen und SachsenAnhalt. Die Diskussion um den Fachkräftemangel - wenn man sie überhaupt so führen will, denn noch steigen die Löhne nicht in dem Maße, wie es bei einem echten Mangel sein müsste ist eher aus einer anderen Perspektive zu sehen. Seit Mitte der 90er Jahre – mit ihren extrem geburtenschwachen Jahrgängen - war absehbar, dass Sachsen und die mitteldeutsche Wirtschaftsregion einmal vor dem Fachkräfteproblem stehen würden. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt relativ konstant bei um die 1,4 Millionen; die Abgangszahlen aus den Schulen gehen allerdings stark zurück. Allein in meinem Heimatort Taucha haben in diesem Jahr 34 Schülerinnen und Schüler das Abitur abgelegt - in anderen Jahren gab es bis zu 120 Absolventen. Somit ist für Sachsen damit zu rechnen, dass etwa ab 2014/15 mehr Arbeitskräfte regulär aus dem Arbeitsprozess ausscheiden werden, als neu aus der Ausbildung in den Arbeitsprozess einmünden. Dabei ist allerdings noch nicht berücksichtigt, dass sich auch weiterhin einige der jungen Menschen in der Hoffnung auf besser bezahlte und anspruchsvollere Arbeitsplätze auf den Weg machen und dabei wohl lieber beim Wegfahren als beim Zurückkommen in die leckere Eierschecke á la Morlok beißen werden. Thomas Kind

Kirchentag 2011 – Die AG Religion war dabei Vom 1. bis 6. Juni 2011 fand in Dresden der 33. Evangelische Kirchentag statt, an dem sich unsere Partei, wie schon in den Vorjahren, sowohl auf dem »Markt der Möglichkeiten« wie auch auf Diskussionsforen und Podien beteiligte. Unsere Arbeitsgemeinschaft engagierte sich an der Standbetreuung auf dem »Markt der Möglichkeiten«, den wir im Marktbereich »Bürgerschaftliches Engagment« hatten. Die Organisation hatte die Bundesgeschäftsstelle übernommen, da dies unsere Kapazitäten bei weitem überstiegen hätte. Am 1. Juni fand nach dem Eröffnungsgottesdienst ein Empfang unserer Bundestagsfraktion gemeinsam mit unserer Fraktion im Landtag statt, auf dem zum erstenmal ein Ratsvorsitzender der EKD (Nikolaus Schneider) anwesend war. Das zeigt, das unsere Partei zunehmend auch als Ge-

sprächspartner der Kirchen ernst genommen wird. Hauptredner waren hier Gregor Gysi und André Hahn. Auf dem »Markt der Möglichkeiten« waren neben Bundestagsabgeordneten (Raju Sharma, Christine Buchholz), auch Bodo Ramelow und viele Mitglieder unserer sächsischen Landtagsfraktion vertreten, denen namens unserer Arbeitsgemeinschaft ausdrücklich für ihr Engagment gedankt wird. Die Gespräche mit den meisten Besuchern waren offen, viel Neugier und Interesse, einige der Interessenten entpuppten sich dann als Genossinnen und Genossen aus den alten Bundesländern, die häufig in Kirchenvorständen sitzen. Die »ewig Wendebewegten«, die ihren ganzen »DDR–Frust« loswerden und Lernprozesse bei den LINKEN nicht zur Kenntnis nehmen wollten, waren eine absolut verschwin-

dende Minderheit. An dieser Stelle allen Beteiligten aller Ebenen, die zum Gelingen beitrugen, ein herzliches Dankeschön. Unsere Arbeitsgemeinschaft trifft sich am Samstag, den 6. August 2011 um 11.00 Uhr in

Wartha (bei Guttau nahe Bautzen) zu einer Wanderung vor dem Zentrum des Biosphärenreservats. Neue Gesichter sind herzlich willkommen. Unter dem Motto: »Ein Sozialist kann Christ sein, ein Christ muss Sozialist sein« gibt es in

den nächsten Jahren für unsere AG noch jede Menge Arbeit. Kontakt: Matthias Gruber matthias.gruber@die-linke-klingenthal.de Gregor Janik: gregor.janik@ linksmail.de


Sachsens Linke!  7-8/2011

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Debatte

DIE LINKE lernt: »Marx is muss« Im Programmentwurf bezeichnet sich die LINKE selbst als lernende Partei. Hoffnungsvoll ist auch die Schaffung eines Bereiches politische Bildung beim Parteivorstand im vergangenen Jahr, der inzwischen schon sehr aktiv diverse Weiterbildungsveranstaltungen zum Programmentwurf, wie zu grundlegenden Themen linker Politik veranstaltete. Dem »Lern-Image« entgegen stehen Praktiken der gegenseitigen Demontage von »führenden Genossen« (ja, maskulin v. a.), wie sie erst jüngst im Mai durch PV-Beschluss beendet werden mussten. Ob das die Lernfähigkeit bei manchen »führenden Genossen« anregt, bleibt abzuwarten. Was ist zu lernen? Vor allem wohl muss erst einmal in einer von ihren Quellen her tatsächlich pluralen (!, nicht pluralistischen) Partei das Anerkennen und Akzeptieren verschiedener Sichtweisen, Herangehensweisen und auch nach Mehrheitsbeschluss bleibender Differenzen gelernt wer-

den. Demokratischer Umgang mit Meinungsminderheiten muss gelernt werden. Demokratie ist eben nicht - wie Lafontaine immer mal wieder verkürzt sagt, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Das wäre nur Diktatur der Mehrheit. Demokratie ist erst dort, wo die Mehrheitsinteressen sich nur soweit durchsetzen, als sie legitime Minderheitsinteressen nicht beschädigen - Minderheitenschutz. Das kann man schon bei Montesquieu finden, der ist mehr als 250 Jahre tot. Ja, DIE LINKE hat viel zu lernen - erst einmal für ihre eigene innere demokratische Verfasstheit. Und sie lernt auch, wenn es auch in ihrer offiziellen Politik und ihrem Erscheinungsbild gegenwärtig nicht so wahrnehmbar ist: In den o. g. Veranstaltungen des Bereiches politische Bildung kommen (v. a. ehrenamtlich) in den Gebietsverbänden tätige Mitglieder zusammen aus dem ganzen Bundesgebiet. Sie lernen

einander kennen und schätzen (!), in ihren jeweils anderen Erfahrungen mit der Parteiarbeit als Bereicherung empfinden. Und natürlich eignen sie sich gemeinsam auch neues Wissen an. Es gibt auch andere Bildungsveranstaltungen von der parteinahen Stiftung und dem Kommunalpolitischen Forum, letzteres bemüht sich sehr um die Bildung der linken Kommunalpolitiker. Doch hier könnte die Nutzung solcher Angebote durchaus systematischer und breiter sein. Dann gibt es inhaltlich arbeitende Zusammenschlüsse der LINKEN und in der gesellschaftlichen »Linken«. Beispielsweise ist die regelmäßige Sommerakademie der Sozialistischen Linken eine gut besuchte Weiterbildungsveranstaltung, deren gegenseitig respektvolle Kultur im wohltuenden Gegensatz zu den o. g. jüngsten Entgleisungen einiger »führender Genossen« steht. Das Netzwerk Marx 21 veranstaltet seit Jahren eine Konferenz namens »Marx is muss« mit dau-

erhaft gutem und steigendem Interesse. Referenten und Gesprächspartner kommen aus allen pluralen Richtungen der LINKEN. So war Gregor Gysi 2009 schon da, verschiedene andere Mitglieder der Bundestagsfraktion und von Landtagsfraktionen der LINKEN, Professoren - emeritierte und aktive - sowieso. Aber wichtig ist, dass hier viele junge, links orientierte Menschen einander Wissen vermitteln, sich mit hoher Kultur zuhören und dennoch scharf in der Sache kritisieren. Die Älteren sind eindeutig Minderheit, aber der Dialog der Generationen funktioniert beidseitig weitgehend herrschaftsfrei. Das wünschte man den o. g. Veranstaltungen mehr. Die diesjährige »Marx is muss« - Konferenz am ersten Juniwochenende bot wieder mehr als 60 Seminare und Podiumsdebatten zu historischen, aktuell politischen und wissenschaftlich-theoretischen Themen. Ein Höhepunkt war ohne Zweifel die Debatte mit O. Lafontaine, der

den »Green New Deal« als Mogelpackung entlarvte und den Atomausstieg ins Grundgesetz haben will. Oskar machte auch den historischen Liberalismus als Quelle des Sozialismus aus. Das wird noch Stoff zum Nachdenken geben. Er widerlegte auch den Trotzkismus-Vorwurf gegen das Netzwerk 21 (Berliner Verfassungsschutzbericht), denn mit den bekannten Kriterien wären auch der gegenwärtige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und der Verfassungsschutz selber trotzkistisch (Entrismus) tätig. Als Teilnehmer solcher Veranstaltungen - fügt man die Sommerakademie von attac noch hinzu - möchte man sie »führenden Genossen« zur Pflichtweiterbildung erklären, damit diese politische Kultur und Pluralität neu und anders lernen. Das Andere kennen, respektieren, mitdenken, nicht in jedem Falle akzeptieren - so kann aus Pluralität vielleicht doch noch Strategie werden. Ralf Becker

durch die Mitglieder frei gebildet werden. Sie sind keine Gliederungen der Partei ... Zusammenschlüsse bestimmen selbständig den politischen und organisatorischen Beitrag, den sie zur Politik der Partei ... leisten. Sie sind entsprechend ihren Schwerpunktthemen aktiv in die Arbeit von Parteivorstand, Kommissionen und Arbeitsgremien aller Ebenen einzubeziehen ...« Damit wird zugleich deutlich, dass solche innerparteilichen Zusammenschlüsse zur Politik der Partei beitragen und sie dem Anliegen der Partei als Ganzes verpflichtet sind. Darum heißt es in der Satzung § 7 (8) auch: »Zusammenschlüsse, die in ihrem Selbstverständnis, in

ihren Beschlüssen oder in ihrem politischen Wirken erheblich und fortgesetzt gegen die Grundsätze des Programms, der Satzung oder Grundsatzbeschlüsse der Partei verstoßen, können ... aufgelöst werden.« Das unterstreicht die oben grundsätzlich bereits betonte These aus organisatorischer Sicht, dass Pluralismus nicht zu Beliebigkeit in der Partei führen kann und darf. Beispiele für bundesweite Zusammenschlüsse sind die AG Betrieb und Gewerkschaft, das Forum demokratischer Sozialismus, Geraer Dialog, Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE, Sozialistische Linke sowie etwa weitere 20 Zusammenschlüsse. Dabei sei angemerkt, dass sich nur ein geringer Teil der Mitglieder der LINKEN in Strömungen organisiert hat. Strömungen dürfen sich nicht zu Parteien in der Partei entwickeln. Für sie gilt auch, was über Grenzen oder Haltelinien des Pluralismus ausgeführt worden ist. Entscheidend ist für die Partei als Ganzes die Fähigkeit zu und das Praktizieren von Toleranz, verschiedene Ansichten im Rahmen des Programms nicht nur auszuhalten, sondern vielmehr produktiv für die Politik der Partei zu machen. Insofern bietet Pluralismus eine Chance für die Entwicklung der Partei. Hans-Georg Trost

Zum Problem Pluralismus in der LINKEN Gegenstand des Pluralismus und seine Grenzen Bereits im 2003 beschlossenen Programm der PDS heißt es: »In der PDS wirken unterschiedliche linke demokratische Kräfte zusammen. In ihr haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden. Unser Eintreten für den demokratischen Sozialismus ist an keine bestimmte Weltanschauung, Ideologie oder Religion gebunden.« Niemann meint, dass in »den seit der Vereinigung mit der WASG verbindlich geltenden Programmatischen Eckpunkten der plurale Charakter einerseits erweitert und zugleich eingeschränkt (wird). »Wir wollen unterschiedliche Auffassungen zur Analyse, Politik, Weltanschauung und Strategie, zu Widersprüchen und Gemeinsamkeiten produktiv aufgreifen und sie als Stärke der neuen Partei entwickeln. Die neue Partei ist plural, wie DIE LINKE plural ist.« In diesem Pluralitätsverständnis vereinige DIE LINKE alles, was ‚demokratisch und sozial, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und

tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend’ sei.« Damit ist auch ausgesprochen, dass Pluralismus nicht jede beliebige Auffassung in der Partei zulässt. Beispiele für seinen Rahmen stehen im vorigen Satz. Alle in der Partei vertretenen Auffassungen müssen dem beschlossenen Programm und der Satzung entsprechen. Zugleich ist damit Pluralismus in der Partei eindeutig gegen Positionen abgegrenzt, die dem Programm und der Satzung widersprechen. Das heißt zugleich auch: Pluralismus heißt auf keine Weise Beliebigkeit in den Auffassun-

gen oder Ansichten der Mitglieder der Partei – bei aller Verschiedenartigkeit im Detail – sondern Übereinstimmung im Grundsätzlichen. Pluralismus und Strömungen in der Partei und ihr Umgang miteinander Ein äußerer Ausdruck des Pluralismus, eine organisatorische Konsequenz des Pluralismus in der Partei ist die Existenz von Strömungen, Plattformen oder Zusammenschlüssen, wie sie nach der Satzung der LINKEN möglich sind und auch praktiziert werden. In der Satzung heißt es dazu unter §7: »Innerparteiliche Zusammenschlüsse können


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Geschichtsrevisionismus in Zittau auf dem Vormarsch »Am 8. Mai 2011 eröffnet die Aktion gegen das Vergessen eine Bildungs- und Begegnungsstätte im derzeitigen Dreiländereck BRD-Polen-Tschechien mit einer öffentlich zugänglichen Dauerausstellung über Vertriebenenverbrechen an Deutschen«, so die Ankündigung von Jürgen Hösl-Daum in seinem Januarheft »Vergißmeinnicht«. Neben der Ausstellung sollen nach seinen Angaben ebenfalls eine Bibliothek im Haus des »Nationalen Jugend Blocks Zittau« in der Äußeren Oybiner Straße 4b eingerichtet werden. Nicht zufällig wählt Hösl-Daum als Eröffnungstag den 66. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Damit erhofft er sich Aufmerksamkeit, die ihm und der »Aktion gegen das Vergessen« seit 2004 nicht mehr zu Teil wurde. Vor dem jetzigen Versuch, Aufmerksamkeit zu bekommen, versuchte er es mit der Anmeldung einer Kundgebung am 19. Februar 2011 in Dresden. Diese stand unter dem Motto »Gedenken an die in Dresden den Bombenangriffen zum Opfer gefallenen Flüchtlinge aus Ostdeutschland« und fand mit 350 Teilnehmern auf der Bayrischen Straße statt. Doch was war im Jahr 2004? In der Nacht zum 22. Juli 2004 wurden bei einer Autokontrolle im polnischen Boleslawiec drei deutsche Männer fest-

genommen, die zuvor in verschiedenen polnischen Orten Holzkreuze aufgestellt und revanchistische Plakate geklebt hatten. Neben einem Bautzener Neonazi zählten die zwei anderen Festgenommenen zur »Prominenz« der deutschen Naziszene. Beide, Stephan Roth aus Oybin und Jürgen HöslDaum, waren und sind langjährig Aktive im Spektrum der völkischen und bündischen Neonaziszene. Hös-Daum war damals Bundesvorsitzender der Schlesischen Jugend und in Görlitz Stadtrat für die DSU. Stephan Roth ist mittlerweile Bundes-«führer« der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO). Im Herbst 2005 begann der Prozess gegen Hösl-Daum und seine zwei Mitnazis vor dem Landgericht in Jelenia Góra. Sehr schnell wurden die drei zu einer Geldstrafe verurteilt. Es wurde dabei inhaltlich nicht weiter nachgehakt, so dass jenes Strafmaß durch das reine illegale Anbringen der Plakate zu Stande kam. Jedoch wurden sie von der Staatsanwaltschaft wegen Verunglimpfung der Polnischen Nation und Rassenhass angeklagt. Diese Vorwürfe lassen ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren zu. Den Nazis ging es jedoch darum, aus dieser Tat einen politischen Prozess zu machen, der natürlich auch inhaltlich durchgenommen werden

Dresden. 13. Februar 2011

musste. So wurde direkt nach der Aktion in Polen und dem nachwirkenden Pressewirbel eine Website angemeldet. Informationen über den Prozessverlauf wurden dann nicht nur auf dieser Homepage dargeboten, sondern auch auf relevanten anderen sächsischen und bundesweiten Nazi-Infoportalen. So gingen die Nazis in Revision und der Prozess wurde neu aufgerollt. Dabei spielten jetzt auch Gutachten und Historikeraussagen eine Rolle. Letztendlich wurden

die Nazis im April 2006 zu Bewährungsstrafen von bis zu 10 Monaten verurteilt. Nachdem es unter anderem wegen personeller Querelen zeitweise recht ruhig um HöslDaum geworden war, versucht er nun erneut seinen Fuß in der revisionistischen Tür zu haben. Dabei verwundert seine Kooperation mit dem Nationalen Jugendblock Zittau nicht. Mit seinem Co-Aktivisten Stephan Roth verfügt er über beste Kontakte zum NJB. Und so geht Hösl-Daum gleich

in die Vollen. Mit der Ausstellung und Bibliothek will er nichts weniger als einen »europaweiten Aufschrei provozieren«, schreibt er in »Vergissmeinnicht«. Davon wird natürlich keine Rede sein können. Dennoch ist das Projekt geeignet, zur weiteren Vernetzung und Verstetigung der Zusammenarbeit zwischen Neonazis der verschiedenen Spektren beizutragen. Peter Conrady und Jens Thöricht

Zeitreisen sind keine Illusion – Jeder kann sie unternehmen! Wie wäre es mit einer solchen Zeitreise in das Jahr 1989/1990? Wer weiß denn heut noch so genau, wie alles angefangen hat mit der Partei DIE LINKE in Sachsen? Wer kennt ihre Vorgängerparteien, wer kennt die Macher der ersten Stunden? Wer weiß, was damals an »Runden Tischen« ausgehandelt wurde? Wie sind die Ideen dieser Jahre umgesetzt worden in der Politik? Genau darum lohnt es sich, ein historisches Archiv zu betreiben, und einer der Macher der ersten Stunde für den Aufbau des Archivs des Landesvorstandes Sachsen war Manfred Seifert, der genau

wusste, dass diese Fragen zukünftig gestellt werden. Er begann unverzüglich mit der Arbeit und sammelte die wichtigsten Dokumente. Im Landesparteiarchiv befinden sich Akten, die vor allem schriftliche Zeitzeugen sind. Es sind Informationsträger, die vergangene Arbeit der Mitglieder der Bezirksvorstände Dresden, Leipzig und Chemnitz widerspiegeln, die alle Schwierigkeiten und Probleme beinhalten, mit denen die Genossinnen und Genossen damals zu kämpfen hatten. Bis zum 1. Landesparteitag im Juli 1990 ist allerhand passiert, und wer es wissen will, findet alle Ereignisse im Ar-

chivgut dokumentiert. Das Archiv ist im Rahmen der Archivlandschaft im Freistaat Sachsen als »Freies Archiv« einzuordnen. Freie Archive haben gegenüber den etablierten staatlichen Archiven eine sehr wichtige Aufgabe. Sie dokumentieren mit ihrem Archivgut kritische bzw. distanzierte Haltungen zum Staat. Ohne die Materialien dieser Archive wäre die Geschichte der Bewegungen nur aus den Akten der Justiz, der Polizei und anderer Herrschaftsinstitutionen zu rekonstruieren. Das Parteiarchiv, dessen Gesamtbestand Dokumente des Zeitraumes 1989 bis 2005

umfasst, reflektiert die spezifische Sicht der LINKEN auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Das ist aus historischer Sicht sehr bedeutsam. Das Parteiarchiv bewahrt jene Dokumente, die kollektives Handeln positiv vergewissern und das kollektive Gedächtnis der neuen Partei darstellen. Es hat die wichtige Funktion, die Partei vor Verdrängung und kollektivem Vergessen sowie vor Ausblendung unangenehmer Teile der eigenen Geschichte zu bewahren. Dass sich DIE LINKE. Sachsen zu ihrem Archiv positioniert und sich damit zu ihrer eigenen Vergangenheit bekennt,

ist die wichtigste Aufgabe, die im Rahmen der Sicherung der Überlieferungen jetzt erforderlich ist. Ein Beschluss des Landesvorstandes, der die Position des Gremiums zum Archiv deutlich macht und den Erhalt des Archivs festlegt, ist überfällig. Historische Zeugnisse gehen verloren, wenn diese Entscheidung noch länger verzögert wird. Um Schadensbegrenzung wird sich jetzt schon bemüht, denn viele Dokumente wurden bereits ungesehen vernichtet, sie sind schon jetzt nicht mehr beschaffbar. Marina Brandt, Diplomarchivarin


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Gewerkschaften

»Wir schulden nichts, wir verkaufen nichts, wir zahlen nichts« Am 17. und 18. Juni fand in Leipzig die 3. Gewerkschaftspolitische Konferenz der AG Betrieb&Gewerkschaft (B&G) statt. Sie stand vor allem im Zeichen der Ereignisse in Griechenland, aber auch von Spanien, Portugal oder Irland. Inhaltlich befasst sich die Konferenz mit der Krise, Exportüberschüsse, Kürzungsprogramme in der BRD und in Europa – wo bleibt die gewerkschaftliche Alternative? Gäste dieser Konferenz waren u. a. der griechische Genosse Costas Ysichos von Synapismos, der die Lage in Griechenland dramatisch und authentisch darstellte. Es wurden Plakate und Aufkleber mit der bezeichnenden Formulierung »Wir schulden nichts, wie verkaufen nichts, wir zahlen nichts« verteilt. Die internationalen Gäste aus Griechenland und Spanien bekamen in der Diskussion und in den Foren viel Solidarität und Unterstützung der Konferenzteilnehmer. Costas formulierte in einem seiner Redebeiträge:«Es gibt zwei Deutschlands, dass der Angela Merkel und das Deutschland der Solidarität am heutigen Abend – und das ist mein Deutschland«. Cornelia Falken, stellv. Landesvorsitzende und eine der LandessprecherInnen der

AG B&G in Sachsen, eröffnete die Konferenz am Freitagabend. Im Anschluss diskutierten man im Podium mit den GenossInnen aus Spanien und Griechenland gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Eurobetriebsrates von HapagLloyd und unserer EU-Abgeordneten Sabine Wils. Am Samstag eröffnete Mike Lätzsch, einer der Bundesprecher der AG B&G aus Chemnitz, den zweiten Tag der Konferenz und konnte u. a. als Gast den sächsischen Landesvorsitzenden Rico Gebhardt begrüßen. Im anschließenden Plenum konnte Michael Schlecht (gewerkschaftspolitischer Sprecher des Bundesvorstandes DIE LINKE) in einem analytischen Vortrag einige Fakten untersetzen. Er beleuchtete die Hintergründe und Zusammenhänge der deutschen Exportüberschüsse (die u. a. durch die Standartsenkungen der Agenda 2010 zustande kommen) und den Verbindlichkeiten der anderen ins Wanken geratenen Staaten. Deutschland sei mit über 4 Prozent Reallohnsenkung in den vergangenen Jahren eine europäische Ausnahme. In fast allen anderen Ländern der Union waren Lohnsteigerungen von bis über 20 Prozent zu verzeich-

nen. Am Samstagnachmittag diskutierten die Teilnehmer in drei verschiedenen Foren; u. a. über die Durchsetzbarkeit von gewerkschaftlichen Forderungen oder dem politischen Streik. Im Forum 1 skizzierte Susi Neumann ( Ich putze Deutschland ) anschaulich und wohl einmalig den Alltagsdruck als Reinigungskraft und Betriebsrätin. Sie bewies auch, dass mit außergewöhnlichen Aktionen die KollegInnen zur Gegenwehr zu motivieren

sind. Im Forum 2 wurde das Gesundheits(NICHT)system diskutiert. Im Podium hatte dazu auch Jörg Uksa, Chemnitzer Genosse und Betriebsrat des Klinikums Chemnitz, einen Beitrag geleistet. Er zeigte die aktuellen Entwicklungen und Zusammenhänge der Tarifauseinandersetzung des städtischen Klinikums und den Alltag eines Personalvertreters in so einer Auseinandersetzung. Am Nachmittag, nach den Foren, konnte die Parteivorsit-

zende Gesine Lötzsch begrüßt werden. Sie ging u. a. nochmal auf die Krise in Europa ein. Sie berichtete aber auch von der momentanen Verfasstheit der Partei und mahnte zur Geschlossenheit. Im Schlusswort bedankte sich Mike Lätzsch vor allem bei den Leipziger GenossInnen, die trotz des Parteitages des Stadtverbandes, die Konferenz personell mit absicherten. Mike Lätzsch, Chemnitz – Bundessprecher der AG Betrieb&Gewerkschaft

»Spartengewerkschaften« – wem nutzt die »Differenzierung der Tariflandschaft«? Erst vor wenigen Tagen hat der ver.di-Gewerkschaftsrat beschlossen, die Unterstützung und Mitwirkung an einer gemeinsamen Initiative von DGB und BDA (Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände) für eine Einschränkung des Streikrechts und Eingriffe in die Koalitionsfreiheit im Namen der Tarifeinheit einzustellen. Im DGB-Bundesvorstand soll auf eine Kehrtwende in diesem Sinne hingewirkt werden. Klar scheint zu sein, dass damit diese Initiative gescheitert ist, bevor überhaupt das Gesetzgebungsverfahren eröffnet wurde. Das heißt aber nicht, dass damit die Auseinandersetzung um die Konkurrenz zwischen DGB-Gewerkschaften und den diversen Fachoder Spartengewerkschaften an Bedeutung verloren hat.

Viele – auch im Lager der Linken im weitesten Sinne – haben Organisationen wie die Lokführergewerkschaft GdL, die Ärzteorganisation Marburger Bund oder die Pilotenvereinigung Cockpit eine positive, weil offensive Rolle im Vergleich zu den großen Branchengewerkschaften des DGB eingenommen. Gestützt auf die Schlüsselfunktionen, die ihre Mitglieder in den jeweiligen Betrieben innehaben, und die Tatsache, dass diese nicht ohne weiteres ersetzt oder ausgetauscht werden können, und auf hohe Organisationsgrade und Durchsetzungswillen ihrer Mitglieder haben sie vergleichsweise bessere Ergebnisse durch Arbeitskämpfe durchgesetzt. Sie stellten dabei die spezifischen Interessen einzelner Berufsgruppen

über die Solidarität aller Beschäftigten in den jeweiligen Betrieben. Dass ein wesentliches Ziel von Gewerkschaften darin besteht, die Konkurrenz zwischen allen abhängig Beschäftigten aufzuheben, spielte dabei eine keine Rolle. Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Strategie im Arbeitgeberlager und ihrer politischen Vertreter, durch Maßnahmen der Prekarisierung und Flexibilisierung kollektive Rechte der abhängig Beschäftigten Schritt für Schritt abzubauen. Die Kampagne gegen die DGB-Gewerkschaften (»die größte pPage in diesem Land« – so Westerwelle) war notwendiger Bestandteil dieser Strategie. Freilich wollten sie dadurch nicht eine Überbietungskonkurrenz wie durch die oben ge-

nannten Berufsgewerkschaften forcieren. Ihrer Zielsetzung entsprach vielmehr die Unterbietungskonkurrenz wie sie von den »christlichen« Pseudogewerkschaften praktiziert wird. Ohne betriebliche Verankerung und ohne Bereitschaft und Fähigkeit zum Arbeitskampf und aus dubiosen Quellen finanziert organisieren sie mit Gefälligkeitsverträgen Lohn- und Sozialdumping. Mehrfach wurden ihre zum Teil offensichtlich kriminellen Machenschaften durch Gerichte geahndet, Gefälligkeitstarifverträge für nichtig erklärt und Fälle von Korruption offen gelegt. Entschieden ist diese Auseinandersetzung aber so lange noch nicht. Den DGB-Gewerkschaften muss es gelingen, Mehrheiten in den Betrieben unter allen abhängig Beschäf-

tigten und Handlungsfähigkeit zu gewinnen, um die Schmutzund Unterbietungskonkurrenz zurückzudrängen. Transparente, demokratische Entscheidungen auf allen Ebenen und breite Beteiligung aller, um deren Interessen es geht, werden dafür ein wichtiger Schlüssel sein. Das zeigen die Erfahrungen in den Betrieben, wo Gewerkschaften – zum Teil im »Häuserkampf« – wieder in die Offensive kamen. Auf Dauer wird dies auch das entscheidende Argument gegen die Überbietungskonkurrenz der Spezialistengewerkschaften sein. Denn sie können auf Solidarität nur so lange verzichten wie ihre besondere Rolle ihnen Vorteile verschafft. Bernhard Krabiell


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»Come together!« LINKE aus Pirna und Remscheid machen es vor

Beim traditionellen »Fest der LINKEN« am 28. Mai 2011 fand eine Talkrunde zum Thema: »Come together« – Neugier auf Ost und West in der LINKEN statt. Ausgerechnet uns – Fritz Beinersdorf aus Remscheid (NRW) und Anja Oehm aus dem KV Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – hatten die GenossInnen aus Berlin eingeladen, um auf der Bühne mit den Parteibildungsbeauftragten Halina Wawzyniak und Ullrich Maurer zu diskutieren. Der Grund: unsere Zusammenarbeit gilt als Vorzeigemodell. Wie ist es dazu gekommen? Begonnen hatte alles 2006, als wir uns bei einem Bundestreffen der AG betrieb & gewerkschaft kennen lernten. Wenn Pirna und Remscheid schon eine Städtepartnerschaft verbindet, warum sollten da nicht auch wir uns zusammentun? 2008 kamen die Remscheider erstmalig zu uns zum Pirnaer Stadtjubiläum. Auf der Festmeile liefen sie der offiziellen Remscheider Delegation in die Arme. Deren Erstaunen war groß. Diese ungeliebten LINKEN hier und dann auch noch mit viel mehr Leuten als

sie selbst? Wir LINKEN haben gemeinsam gegrillt und nächtelang über uns erzählt. Wie wenig kannten wir doch voneinander! Was wussten wir, wie sich die GenossInnen im Westen gefühlt haben, als sie ausgesperrt oder mit Berufsverboten belegt wurden? Die Älteren erzählten Episoden, wie sie bei der Bundeswehr Funksprüche des Warschauer Vertrages abhören oder auf Soldatenattrappen mit dem roten Stern an der Mütze schießen sollten, was sie verweigerten. So mancher hatte ein mehr als bewegtes Leben, geprägt durch Antikommunismus hinter sich

und keinerlei Illusionen mehr über das kapitalistische System. Diese GenossInnen sind mit uns in der LINKEN, weil sie das Kämpfen nie verlernt, niemals die Hoffnung aufgegeben haben, dass eine andere Welt möglich ist. Im nächsten Jahr hatten uns die Remscheider zu ihrem 1. Mai eingeladen. Gemeinsam reihten wir uns in einen Demozug 3000 wütender Menschen ein, deren Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Am Rednerpult versuchte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) gegen Buhrufe und Trillerpfeifen anzukämpfen und

wir spürten: in dieser Stadt der 119 Nationen geht es ungleich kämpferischer zu, als im beschaulichen, eher monokulturellen Pirna. Im Jahr darauf unterstützten uns die Remscheider beim Wahlkampf. Zum 1. Mai 2010 fuhren unsere GenossInnen aus Pirna wieder nach Remscheid und wurden beim Arbeitnehmerempfang von der SPD-Bürgermeisterin empfangen. Da es die Remscheider nun geschafft hatten, in Fraktionsstärke in den Stadtrat einzuziehen, gehörte Fritz Beinersdorf 2010 zur offiziellen Remscheider Delegation zum Pirnaer Stadtfest. Im Oktober 2010 gelang eine gemeinsame Schulung unserer Kommunalpolitiker. Wir stehen in ständigem Kontakt und nehmen Themen des anderen auf unsere homepages. Ein Höhepunkt soll bald eine Podiumsdiskussion mit den beiden Fraktionsvorsitzenden der LINKEN in den jeweiligen Landtagen, Wolfgang Zimmermann und Andrè Hahn zum neuen Parteiprogramm werden. Es macht einfach Spaß, mit verlässlichen Partnern gemeinsam `was auf die Beine zu stellen. Wir können allen anderen nur empfehlen: tut es auch: »come together«. Anja Oehm

Auf Campustour Vom 17. Mai bis 28.6 war die Hochschultour der Fraktion auf verschiedenen Stationen in Sachsen anzutreffen. Der wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecher und Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien, Prof. Gerhard Besier war unterwegs, um vor Ort gemeinsam mit den linken Hochschulgruppen und Abgeordneten das Gespräch mit den Hochschulangehörigen zu suchen. Zur Diskussion steht derzeit vor allem der aktuelle Entwurf des Hochschulentwicklungsplanes Sachsen (HEP), den das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vorgelegt hat. Er sieht unter anderem vor, den Standort Reichenbach zu schließen und die einzelnen Studiengänge, also die Architektur und die Textil- und Ledertechnik auszulagern, zum Beispiel nach Zwickau. Auch die weiteren Ideen der Expertengruppe des Ministeriums, z.B. die Einführung von verschiedenen Wissenschaftsräumen, wirken eher wie gewür-

felt als durchdacht. »Exzellenz für alle« – so lautet der provokante Titel der Broschüre, mit der die Fraktion ihr hochschulpolitisches Modell vorstellen will und die auf der Hochschultour verteilt wird. Zwei Punkte seien im Folgenden kurz vorgestellt. Eine Sache, der mir besonders am Herzen liegt, ist die Gleichstellung an den Hochschulen. »Nach wie vor sind Frauen in den Leitungspositionen von Hochschulen stark unterrepräsentiert – mit jeder weiteren Karrierestufe rückt Gleichstellung weiter in die Ferne.« Aus eigener Erfahrung – ich hatte in meinem gesamten Studium nur drei Dozentinnen – und, weil auch bzw. selbst der wissenschaftliche Raum immer noch von althergebrachten Männerbünden dominiert wird, ist es wichtig, dass sich DIE LINKE für eine aktive Gleichstellungspolitik an den Hochschulen stark macht. Dazu gehört die Förderung von jungen Wissenschaftlerinnen genauso wie die Einführung einer Frauenquote in den Gremien

der akademischen Selbstverwaltung. Leider scheitert man zur Zeit selbst an der Stimme der Studierenden. Aber die linken Hochschulgruppen vor Ort werden nicht müde, auf dieses Problem aufmerksam zu machen, und arbeiten mit Partei und Fraktion Hand in Hand. Ein weiteres immerfort aktuelles Thema sind die Studiengebühren. »Was, in Sachsen haben wir doch gar keine!« mögt ihr nun denken. Das stimmt, aber der Koalitionsvertrag sieht Langzeitstudiengebühren vor, und es können derzeit schon Gebühren für ein Zweit-

studium erhoben werden. Hier ist die einzig richtige Antwort ein klares Nein! Individuelle Lerngeschwindigkeit, ehrenamtliche Tätigkeit (auch) außerhalb der Universität und auch die - leider notwendige Erwerbsarbeit müssen berücksichtigt werden. Auf der Homepage der Landtagsfraktion kann man die Stationen der Tour noch einmal nachverfolgen, sich die Broschüre in Gänze durchlesen und sich auch mit Bildern von der geglückten Tour überzeugen lassen. Kristin Hofmann

Konzept zur Hochschule Auf seiner Juni-Sitzung diskutierte der Landesvorstand der sächsischen LINKEN ein vom hochschulpolitischen Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Gerhard Besier, zur Diskussion gestelltes Papier mit dem Titel »Zur Hochschulentwicklung in Sachsen«. »Die sogenannte »Bildungsrepublik Deutschland« wird auf jeden Fall nicht in Sachsen geschaffen!«, meint der Vorsitzende der sächsischen LINKEN, Rico Gebhardt. Denn schon die Investitionen des Bundes bleiben weit hinter den angekündigten Eckdaten. Sachsen nimmt aber mit seinem erfolgreich als vorbildlich verkauften Sparhaushalt in der Kürzungspolitik – auch auf dem Sektor Wissenschaft und Forschung – eine negative »Vorreiterstellung« ein. Das Hochschulkonzept der Staatsregierung basiert offenbar auf Kaffeesatz, Annahmen und Vermutungen, nur so lässt sich erklären, wie die Staatsregierung meint, mittelfristig etwa ein Viertel des heutigen Haushaltsvolumens einsparen zu können, weil laut Prognosen zum Einen – trotz deutschlandweiter Anwerbung – die Studierendenzahlen sinken, zum Anderen durch Exzellenzinitiativen und Kooperationen mit der Industrie den Hochschulen neue Mittel zufließen würden. Das ist auch dahingehend kritisch zu sehen, da die Bedürfnisse und Interessen der Wirtschaft und Industrie zu einer klaren Ökonomisierung der Hohen Schulen führen werden. Das Papier zur Hochschulentwicklung weist dagegen neue Wege auf. Statt Rasenmäherkürzung wäre ein Ausbau etwa bestimmter Bereiche des Bafög-Systems zu überdenken: Die besten Absolventen eines Studiengangs sollten das Angebot eines staatlichen Stipendiums (1.000 Euro) für drei Jahre erhalten, um zu promovieren. Das Land muss dazu eine Initiative entwickeln, um das BAföG breiter aufzustellen. Unser Vorschlag ist, ein Hochschulkonzept zu entwickeln, das als Ziel haben sollte, Sachsens zentrale Lage in Europa zu nutzen und sich somit zum mitteleuropäischen Bildungszentrum zu entwickeln und als grenzüberschreitendes Gravitationszentrum seine Stärken auszuspielen. An einem innovativen Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Sachsen wird der Landesvorstand zukünftig mit der Landtagsfraktion intensiv zusammenarbeiten.« Rico Schubert


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Politik im »Land der lachenden Rehe« Die Vorzeichen waren denkbar schlecht: der mittlerweile traditionelle Veranstaltungsort in Srbska Kamenice – im tschechischen Hochwasser-Sommer 2010 zerstört; langjährige Erfahrung in der Organisation – durch personelle Wechsel im Orga-Team Mangelware; das neue Camp in Doksy – weiter weg und einfach unberechenbarer, weil eben unbekannt. Es mutet also wie ein kleines Wunder an, dass das Pfingstcamp 2011 der Linksjugend Sachsen dennoch ein voller Erfolg geworden ist. Wie schon in den vergangenen Jahren fanden sich über das Pfingstwochenende ca. 400 junge Menschen zusammen, um unter dem diesjährigen Motto »Pfingstcamp 2011 – Im Land der lachenden Rehe« ein Wochenende vollgestopft mit Workshops, Seminaren, Konzerten und Partys zu verbringen. Wenn man über das Pfingstcamp spricht, hört man von Menschen die meist selbst nie dabei waren oft das Vorurteil, die Linksjugend würde sich damit nur einen Vorwand schaffen, um ein verlängertes Wochenende zusammen viel zu Trinken und zu Feiern. Doch das war, ist und bleibt eine unzulässige Reduktion dessen, für was das Pfingstcamp wirklich steht. Natürlich wird gefeiert – so soll es sein, wenn man sich nur einmal im Jahr zu diesem Anlass

und in solchem Rahmen zu Gesicht bekommt. Aber wenn man sich das Bildungsangebot des Pfingstcamps zu Gemüte führt und zur Kenntnis nimmt, dass oft mehr als 40 TeilnehmerInnen bei den Seminaren aufgeschlagen sind, ergibt sich ein weitaus differenzierteres Bild. Es war aber auch für jeden Geschmack etwas dabei. Von schöpferischen Angeboten (StreetArt, Beutel nähen), über Sport (Klettern, Fußball), lebenspraktischen Inhalten (Tschechisch für Anfänger, Erste-Hilfe-Kurs), politischen Seminaren (Mit Hartz IV glücklich leben?, 1,2 oder 3 – Partei ist schon vorbei?) bis hin zu nicht immer ganz ernst gemeinten Seminartiteln (Was

tun wenn die Zombieapokalypse kommt?). Die Bandbreite war also nahezu atemberaubend, der organisatorische Aufwand damit allerdings auch. Es galt, sich in unbekanntem Terrain zu Recht zu finden, sich mit anderen Gästen im Camp in Doksy zu arrangieren, den reibungslosen Ablauf zu garantieren und am Ende alles zur Zufriedenheit aller auch wieder abzuwickeln. Diese Aufgabe zu erledigen gelang nur durch viel Engagement und Motivation im Orga-Team rund um Jugendkoordinator Rico Knorr – ein großer Dank an dieser Stelle für den unermüdlichen Einsatz aller HelferInnen. Als Fazit lässt sich festhalten,

Termine Jugendverband ProvinzParade quer durch Sachsen vom 11. bis 22. Juli 2011

dass gerade für all die Menschen, die zum ersten Mal ein Pfingstcamp besuchten – und deren Anzahl war durchaus imposant – das Pfingstcamp ein voller Erfolg war. Nur wer zuvor schon einmal in Srbska mit war, bemerkte das Fehlen des letzten kleinen I-Tüpfelchens durch die einmalige Atmosphäre in diesem ganz speziell gelegenen Camp. Unabhängig davon, wo wir im kommenden Jahr die Pfingstcamp-Tradition der Linksjugend Sachsen weiter leben lassen, verhilft eine Erkenntnis über alle auftretenden Entzugserscheinungen hinweg: Nicht mal ein Jahr und dann ist schon wieder Pfingstcamp-Zeit! Silvio Lang

Klima- und Energiecamp in der Lausitz

Vom 7. bis 14. August findet bei Jänschwalde ein internationales Klimacamp statt, welches sich gegen die Pläne von Vattenfall richtet, CO2 aus Kohlekraftwerken unter die Erde zu pressen (sog. CCS-Verfahren). Wir (DIE LINKE Sachsen) haben auf unseren letzten Landesparteitag beschlossen, diese gefährliche und unausgereifte Technologie nicht zu unterstützen und für eine Energieversorgung ohne Kohlekraft bis 2040 zu streiten. Damit sind wir auch auf unsere GenossInnen in Brandenburg kritisch eingegangen, die zusammen mit der SPD die Landesregierung stellen und sich für die CO2 Speicherung und gegen einen

schnellen Kohleausstieg ausgesprochen haben. Die linksjugend [‚solid] Sachsen unterstützt das Camp mit 500 € und ist aktiv an den Vorbereitungen beteiligt. Wir teilen die Forderungen für eine klimagerechte Welt. Die Energiekrise kann nur gelöst werden, wenn sparsamer und effizienter mit unserer elektrischen Energie umgegangen und diese aus erneuerbaren Quellen und Erdgas (als wahre Brückentechnologie) bezogen wird. Gerade jetzt, wo sich scheinbar alle einig sind aus der Kernkraft aus zusteigen, ist es um so wichtiger nicht neu in die Kohlekraft einzusteigen. Man darf

die Pest nicht mit Cholera bekämpfen, denn der menschengemachte Klimawandel ist mind. genauso verheerend wie ein atomarer Unfall! Dezentrale erneuerbare Energiestrukturen und sozial verträgliche Stromtarife sind der einzige Weg in eine lebenswerte Zukunft. Neue zentrale Großkraftwerke (egal ob Kohle oder Atom) behindern dieses Ziel. Informationen zu den Aktionen und Diskussionen gibt es unter www.lausitzcamp.info Marco Böhme Mitglied des Beauftragtenrates der linksjugend [‚solid] Sachsen, Bundessprecher ökologische Plattform DIE LINKE

linksjugend [‚solid] Sommercamp - 30. Juli bis 07. August 2011 auf der Rabeninsel bei Jena Eine sonnige Woche am See, zahlreiche Workshops, Konzerte, Partys und Filme… alles das erwartet euch auch dieses Jahr wieder beim Sommercamp. Hier erlebt ihr spannende 8 Tage mit tollen Leuten aus der ganzen Welt. Seit 2009 findet das Sommercamp der Linksjugend [‚solid] auf der Rabeninsel im idyllischen Saale-Tal bei Jena (Thüringen) statt. Als emanzipatorischer Jugendverband setzen wir auch dieses Jahr wieder auf die Selbstverwaltung des Sommercamps. Sowohl in der Organisation als auch beim Ablauf seid ihr alle aufgerufen zum Erfolg dieses Megaevents beizutragen. Mit eurer Hilfe soll das Camp jedes Jahr größer und großartiger werden. Anmeldung und Programm unter www.raveisland.de Beauftragtenrat (BR) Sitzung - 14. August, ab 12:00 in der WahlFabrik, Großenhainerstraße 101, Dresden Landesjugendplenum – vom 01. bis 02. Oktober 2011 im A & O Hostel Leipzig, mit dem Themenschwerpunkt Mitbestimmung, soviel sei schon verraten ;)


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»Wir müssen die Macht der großen Stromer brechen« Im Gespräch mit Dr. Volker Külow (MdL und Vorsitzender der LINKEN in Leipzig) über den ökologisch-sozialen Umbau der Gesellschaft und die Energieversorgung der Zukunft Am 13. August, zum Sommerfest der Leipziger LINKEN, soll die neue Solaranlage auf dem Dach des Liebknecht-Hauses offiziell in Betrieb gehen. Vollzieht DIE LINKE damit ihre Energiewende? Nun, große gesellschaftliche Umbrüche beginnen immer im Kleinen. Aber im Ernst: Die Solaranlage führt vieles zusammen. Eine gute Idee, an der lange gearbeitet wurde. Die Spenden vieler Genossinnen und Genossen, denen dafür Dank gebührt. Belange des Denkmalschutzes, denn schließlich wurde Hochtechnologie auf einem Baudenkmal installiert. Es geht nicht zuletzt um ein deutlich sichtbares und wirkungsvolles Zeichen, dass es DIE LINKE ernst meint mit dem ökologisch-sozialen Umbau der Gesellschaft. Da haben die politischen Konkurrenten aber schon kräftig vorgelegt ...

Sie haben Wind gemacht und sich mit zwei halsbrecherischen politischen Pirouetten innerhalb von nur sechs Monaten vor allem in Aktionismus geübt. Durchdacht ist das Wenigste. Es kann ja schlecht jemand bestreiten, dass die sogenannte Energiewende der

Berliner Koalition überfallartig kam und für genaues Hinsehen zunächst kaum Gelegenheit bot. Wo setzt die linke Kritik an? Dort, wo in der Tat ein MegaZukunftsthema im HauruckVerfahren und technokratisch angepackt wird. Was wirklich gebraucht wird, das ist, den notwendigen Umbau auf den Gebieten Energie und Umwelt nicht technokratisch durchzuziehen, sondern mit einer neuen Qualität der Teilhabe zu verbinden. Die Energieversorgung der Zukunft ist zu wichtig, als dass sie den Konzernzentralen überlassen werden könnte. Energie geht alle an. Deshalb muss die Herausforderung vor Ort angepackt werden. Meinetwegen mit Stadtwerken, wenn sie wirklich ökologisch und nachhaltig im Interesse »ihrer« Kommunen agieren, besser aber mit genossenschaftlichen Lösungen, die eine Dreieinigkeit neu buchstabieren: sichere Anlagen auf dem Stand der Technik, umweltverträgliche Lösungen, für jedermann bezahlbare Versorgung. Energie ist eine Lebensfrage der Menschheit, bezahlbare Energie ist eine Überlebensfrage der Gesell-

schaft. Aktiv sind ja vor allem die Stromriesen. Sie versuchen mit Milliarden zu überzeugen, die sie investieren können. Das ist in der Tat eine famose Argumentation. Mit Milliarden,

die den Verbrauchern auf dem Wege hoher Stromrechnungen aus der Tasche gezogen wurden oder die aus dem Weiterbetrieb abgeschriebener Kernkraftwerke stammen oder vom Staat als Subventionen erpresst wurden, lässt sich trefflich investieren. Was wir im Moment sehen, ist doch nichts anderes als die vorauseilende Aufteilung des wahrscheinlich größten Zukunftsmarktes unter die sattsam bekannten vier marktbeherrschenden Konzerne. Beim Thema Brennelementesteuer ließen sie ihre Maske ja bereits fallen. Die Konzerne als Verursacher und Nutznießer wollen nicht zahlen, weil sie das Wohl ihrer Aktionäre im Blick haben. Das sagen sie ganz unverfroren selber. Und das kann einfach nicht der Weisheit letzter Schluss sein, selbst wenn zum Kreis dieser Aktionäre auch die eine oder andere Kommune zählt. Also soll als Teil der Energiewende auch die Macht der Energiekonzerne gebrochen werden? Unbedingt. Wer nur einen Momemt nachdenkt, wird merken, dass die vier großen Stromer in keinster Weise die Wohltäter sind, für die sie sich ausgeben. Wer wüsste das besser als die Menschen im Osten? 1990 bekamen wir den Stromvertrag übergestülpt, die klassische Aufteilung eines Marktes per Vertrag. Von Wettbewerb keine Spur. Im Jahr 2000 folgte die Liberalisierung des Energiemarktes mit dem erneuten Mantra von fallenden Strompreise durch Wettbewerb. Zahlt heute irgendjemand eine niedrigere

Stromrechnung? Im Jahr 2010 nun schließlich die Energiewende. Fällt jemandem auf, wer gerade die größten Windparks baut und die Geothermie erforscht? Es sind die selben Konzerne, die sich mit den nun obsoleten Kraftwerken dumm und dämlich verdient haben. Ich jedenfalls halte es für keine gute Idee, auf einem lebenswichtigen Gebiet alle zehn Jahre alte Fehler zu wiederholen. Wenn irgendwo Nachhaltigkeit absolut unverzichtbar ist, dann im Energiesektor. Haben wir dafür die passenden Lösungen? Das müssen die Techniker beantworten, die vor einer Riesen-Herausforderung stehen. Aber wenn Werner von Siemens vor 130 Jahren kleinmütig gewesen wäre, würde wohl

selbst der Elektromotor noch heute ein exotisches Gut sein. Mein Ansatz ist ein anderer: Wir haben in Leipzig die VNG, wir haben eines der größten deutschen Stadtwerke, außerdem die Strombörse, die Fachmesse Enertec und die Energietechniker der HTWK. Wir nennen uns Energiezentrum. Wie schön wäre es, wenn in einer Umbruchsituation wie der heutigen kooperativ an ganz neuen Ansätzen für die Versorgung der Zukunft gearbeitet würde - wissenschaftlich, technisch und ökonomisch. Ich hielte es für wichtig, von Leipzig aus ein Zeichen zu setzen. DIE LINKE hängt sich in das Thema rein. Unsere Solaranlage auf dem LiebknechtHaus setzt da ein gutes Zeichen. Die Fragen stellte Rico Schubert.

Alle reden von der Energiewende…. »Alle reden über eine Energiewende… die sächsische LINKE will einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft, erklärt der Vorsitzende der sächsischen LINKEN, Rico Gebhardt bei der Vorstellung der drei neuen Ökologie-Postkarten. »Bereits mit den Energiepolitischen Eckpunkten, die die sächsische LINKE auf ihrem Parteitag im vergangen November vorgelegt hatte, haben wir darauf hingewiesen, dass es nicht reicht, über eine Energiewende nur zu reden. Denn dieser Umbau betrifft nicht nur die energetische Basis der industriellen Produkti-

on oder die Netzinfrastruktur. Er betrifft sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, u. a. eine umweltgerechte Entwicklung von Mobilität, Tourismus, Land- und Forstwirtschaft, die Ressourcenwirtschaft, darüber hinaus die Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung, die Kommunikationsmöglichkeiten, die Wärmedämmung und Wärmeversorgung von Wohnungen und Gebäuden.« Die Postkarten können in dert Geschäftsstelle bestellt werden.


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Digitale Gesellschaft und Urheberrecht Das Internet ist zum prägenden Medium der menschlichen Kommunikation geworden: Sehr viele Menschen nutzen heute das Web für die eigene Information, zum Arbeiten, Gestalten, zur Unterhaltung und Lebensorganisation. Neue Möglichkeiten der Interaktion und neue Formen der Öffentlichkeit werfen aber zugleich neue Fragen auf, wie sich immer wieder zeigt gerade auch bezüglich des Urheberrechtes. Denn die Möglichkeit der digitalen Vervielfältigung trennt gewissermaßen den Inhalt von seinem Träger (CD, DVD etc.) der bislang verkauft werden konnte. Fragen nach Entlohnung und Urheberrecht stellen sich auf neue Weise. So können die reinen Datensätze nahezu unbegrenzt hochund runtergeladen werden. Die Frage nach Wertschätzung und Entlohnung der Kulturschaffenden im Zusammenhang mit dem bestehenden Urheberrecht muss also auf neue Weise gestellt werden. Das bundesdeutsche Urheberrecht will in seinem bisherigen Herangehen die Werke der Kulturschaffenden und ProduzentInnen vor unberechtigter Vervielfältigung schützen. Ein rechtlicher Flickenteppich ist entstanden: der Download wird nicht verfolgt, Upload von Dateien gilt als strafrechtlich relevant. Nach Telemediengesetz haften die Unterhalter/innen von Internetanschlüssen, was mancherorts für Überraschungen gesorgt hat. Im Zeitalter des allgemeinen Daten-

107 Jahre

Lina Utz, die älteste LINKE der Welt, lebt in Leipzig. Die am 15. Juli 1904 in Schwäbisch-Hall Geborene trat in den zwanziger Jahren in die KPD ein und engangiert sich seit 80 Jahren für linke Bewegungen, wie etwa »Frauen für den Frieden«. Seit den 1960er Jahren lebt sie in Leipzig. Noch mit 100 Jahren hat sie sich in der Bibliothek des Altenheimes engagiert. Mehr in Nr.7 von Leipzigs Neue.

austausches wird versucht, mit Hilfe von Anwaltskanzleien gegen Downloads und vermeintliche wie tatsächliche Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Spezialisierte Kanzleien haben sich bei den Gerichtsständen angesiedelt, die im Sinne des alten Urheberrechtes bescheiden. Wichtig für die Verfolgung von Urheberrechtsdelikten ist dabei, auf die Identifikationsdaten der Internetnutzer/innen zugreifen zu können. Ohne Vorratsdatenspeicherung ist die Verfolgung von Datenupload nur stichprobenartig, etwa durch LiveScanning, möglich bzw. kann durch die Abmahnung der Hoster vorgegangen werden. Diese Situation verunsichert jedoch »normale« Nutzer/innen, die häufig nicht mehr wissen, ob sie sich im Zweifel auf der straf-

rechtlich sicheren Seite befinden. Eine so rechtsunsichere Lage kann nicht beibehalten werden. Die Musikindustrie hat bekanntlich vor allem mit dem Ruf nach härteren Strafen und drakonischen Kriminalisierungskampagnen reagiert. Heute werden NutzerInnen außerhalb gerichtlicher Wege wegen Uploads abgemahnt und mit hohen Ausgleichsforderungen belegt. Insofern greifen die Forderungen zur Datenspeicherung im Interesse des Urheberrechts auf die grundsätzliche Verfasstheit des Internets zu. Auch aus diesem Grund ist es notwendig, Neuregelungen zu treffen, die der technologischen Entwicklung entsprechen. Ebenso ist dies im Interesse der Kulturschaffenden nötig. Es wäre z.B. möglich, in

Richtung eines Künstler/innengrundeinkommens zu denken, wie es das z.B. in Frankreich gibt. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die digitale Vernetzung für Kulturschaffende auch eine Menge Chancen mit sich bringt : über die Sozialen Netzwerke lassen sich Musik, Videos, Bilder und Texte viel schneller und kostensparender unter ein großes Publikum und an die eigenen Anhänger/innen bringen. Unter den Bedingungen der Verwertung in Warenform muss aber auch über die finanzielle Absicherung und Entlohnung des Schaffens nachgedacht werden. Die gegenwärtige Diskussion steht jedoch im Kontrast zu diesen Potenzialen. Das mag auch daran liegen, dass sich vor allem die Musikkonzerne, nicht die Künstler/innen

zur Sache zu Wort melden. Die Konzerne kommen in der neuen Situation ihren ursprüngliche. Funktionen gleichsam nicht mehr nach: junge Musikprojekte zu stützen und zu entwickeln, durch die Tätigkeit im Bereich z.B. zu seiner redaktionellen Begleitung beizutragen usw. Das Musikfernsehen hat seine besten Tage leider längst hinter, das Radio ist je nach Region fast ausschließlich zum Dudelfunk verkommen. Dies sind die Faktoren, die u.a. auch zu einem veränderten Nutzerverhalten führen. Der interessierte Musiknutzer wird immer häufiger das Internet als Medium wählen und sich damit dem traditionellen Musikmarkt entziehen. Die Folge: Musikunternehmen klagen über Absatzverluste und drängen auf restriktive Strafen. Der Einfluss der Musikgroßindustrielobby auf die Politik der Bundesregierung ist hierbei offensichtlich. In erster Linie sollte es bei Fragen des Urheberrechts aber auf die Position der KünstlerInnen ankommen, denn schließlich sind Sie die eigentlichen SchöpferInnen. Zu der Frage einer möglichen notwendigen Reform des Urheberrechts haben wir daher vor einiger Zeit eine Onlineumfrage gestartet, um Informationen von den Kreativen selbst einzuholen. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor und werden ausgewertet. Julia Bonk

10 Jahre Krieg in Afghanistan – DIE LINKE bleibt dabei: Bundeswehr raus! 2011 jährt sich der Jahrestag des Afghanistankrieges und damit auch die deutsche Zustimmung zu diesem Krieg zum 10. Mal. Die Bilanz ist verheerend. Die Zahl der zivilen Toten und der getöteten Soldaten ist 2010 auf einem Höchststand. Wiederaufbau findet kaum statt, statt dessen hält die NATO ein korruptes und unbeliebtes Regime an der Macht. Die anderen Bundestagsparteien ziehen keine Konsequenz aus dem Scheitern des Krieges. Es reden zwar alle von Abzug, was auch als Erfolg der LINKEN und der Friedensbewegung zu werten ist. Allerdings ist das Reden vom Abzug leider nur ein verbales

Zugeständnisses der Kriegsparteien an die Abzugswünsche der deutschen Bevölkerung und keinen Bruch mit dem Kriegskurs der vergangenen Jahre. Das Afghanistanmandat wurde mit ähnlichen Mehrheiten wie die gesamten letzten Jahre im Februar erst wieder verlängert. Ende November findet in Bonn eine NATO-Konferenz zu Afghanistan statt. Die Regierung will diese Konferenzen nutzen, um Perspektiven für »nach 2014« zu werben. Allerdings sagt sie auch, dass bis dahin die Truppen nur abgezogen werden, wenn es »die Sicherheitslage erlaubt«. Die bittere Wahrheit ist allerdings, dass sich die Präsenz

der NATO die Sicherheitslage nur weiter verschlechtern wird. Aber selbst wenn die offenen Kriegshandlungen eingestellt werden sollten, geht die Regierung davon aus, dass dennoch über 2014 hinaus Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert bleiben. Die Regierung will mit der Bonner Konferenz ihr »Dauerhaftes Engagement glaubwürdig begründen«. Angesichts der zu erwartenden Rhetorik müssen wir unser Profil schärfen und deutlich machen, dass es nur einen Weg gibt für Frieden, Aussöhnung und Wiederaufbau und der heißt Bundeswehr raus aus Afghanistan.

Das ist seit 10 Jahren unsere erste Antwort auf die Fortsetzung des Krieges durch die Bundestagsmehrheit. Und es ist der einzig richtige Beitrag zur Debatte um Wege zum Frieden in Afghanistan. Deswegen hat der AK VII auf seiner Klausur am 28.2. und 1.3. in Chorin einhellig beschlossen der Fraktion eine zeitlich begrenzte Kampagne zum 10. Jahrestag vorzuschlagen. Wir können auf eine höchst glaubwürdige Arbeit in den letzten 10 Jahren zurückblicken. Das sollten wir herausstellen. Jan van Aken, Christine Buchholz, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

7-8/2011  Sachsens Linke!

Lampedusa: Europa hat eine Verantwortung für die Flüchtlinge

Erstaunen und Begeisterung über die Revolutionen in Nordafrika ergriff zu Beginn des Jahres auch Europa. Hochrangige europäische Politiker ließen sich feiern und schworen, Unterstützung zu leisten. Die Begeisterung verebbte jäh, als die ersten Flüchtlinge aus dem wirtschaftlich zusammengebrochenen Tunesien und später aus dem umkämpften Libyen europäischen Boden betraten. Als im März schließlich gut 6000 Tunesier die kleine Insel Lampedusa ankamen, waren sie weniger als willkommen. Nicht die Überforderung Italiens, sondern eine unmenschliche Hinhaltepolitik gegenüber den Flüchtlingen, war die Ursache für die dramatische Situation auf Lampedusa im März 2011. Dass Menschen auf der Flucht vor Krieg, Elend, Hunger und Verfolgung, mit Booten über das Mittelmeer nach Europa kommen, ist nicht neu. Nach jahrelang steigenden Zahlen wurde 2008 mit gut 30.000 Flüchtlingen ein vorläufiger Höchststand erreicht, bevor FRONTEX und das italienisch-libysche »Freundschaftsabkommen« schließlich auch diesen Weg nach Europa abriegelten. Mit den nordafrikanischen Revolutionen war dieses Abkommen obsolet und viele Bürgerkriegsflüchtlinge, aber auch

ehemalige Gastarbeiter ergriffen die Möglichkeit, nach Europa zu kommen. Die Herkunft der meisten Flüchtlinge sind zentralafrikanische Ländern, die zu den ärmsten des Kontinents gehören. So unterschiedlich die Situation dieser Menschen ist, sie landen fast alle in der Sackgasse von Asylbewerberheimen. Statt sich der konkreten und den sehr verschiedenen Problemlagen dieser Menschen anzunehmen, wurden die Flüchtlinge, beginnend mit Berlusconis Weigerung tunesische Flüchtlinge auszunehmen und der

Diskussion um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengenraum, zur Verschiebemasse der EU. Davon zeugt auch die völlig unnötige »Mitteilung der Kommission zur Migration« vom 4.5.2011.Das Einschwören auf Solidarität mit Italien und anderen betroffenen Mitgliedsstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen, brachte diesen immerhin 25 Mio. zusätzliche Euro ein, die u.a. aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds bereitgestellt werden. Rückkehrhilfen bis zu 100 Mio. Euro stellen die Mitgliedstaaten zur Verfügung.

FRONTEX soll verstärkt werden, um »Grenzabschnitte zu entlasten« sprich: effizientere Abschiebungen vorzunehmen. Dass es kein Konzept für den Umgang mit Migration auf europäischer Ebene gibt, beweist das von der Kommission verkündete Ziel, »eine ordnungsgemäß gesteuerte legale Migration« fördern zu wollen, die sie von so genannter »irregulärer Migration« unterscheiden will. Sie teilt die Flüchtlinge ein in »gute« Asylsuchende und »schlechte Wirtschaftsflüchtlinge«. Bis zum heutigen Tag gibt es übrigens keinerlei Defi-

nition von »Wirtschaftsmigranten oder -flüchtlingen«. Der Solidaritätsgedanke endet vermutlich vor den Toren Europas. Da bleibt die notwendige Solidarität mit den mehr als 700.000 Flüchtlingen in den tunesischen und ägyptischen Flüchtlingslagern, die dringend humanitäre Unterstützung brauchen, zweitrangig. Die Notwendigkeit einer grundlegenden Kurswende in der EU-Migrations- und Asylpolitik liegt auf der Hand. Grundsätzlich müssen die Voraussetzungen für Arbeitsmigration in der EU erleichtert werden, wohlweislich aber nicht zu Dumpinglöhnen, sondern bei Gleichstellung mit einheimischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Eine weitere Notwendigkeit ist die unverzügliche Abschaffung von Dublin II, um dem Grundrecht auf Asyl nachkommen zu können. Die Stärkung der Rechte von Flüchtlingen, ihre zügige Integration, die Nutzung der Neuansiedlungsprogramme der EU und der Beginn einer neuen Nachbarschaftspolitik sind längst überfällig. Diese Aufgaben sind von historischer Dimension und letztlich nur europäisch zu lösen. Dr. Cornelia Ernst MdEP, GUE/NGL, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres

GUE/NGL stellt sich vor – Marisa Matias, Portugal, Bloco de Esquerda Du bist.... Marisa Matias, 35 Jahre alt und aus Coimbra, Portugal. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich in einem Dorf mit nur 120 Einwohnern gelebt. Bevor ich MdEP wurde, habe ich in verschiedenen Bereichen gearbeitet. So habe ich mit 16 angefangen zu arbeiten und habe gleichzeitig bis zur Promotion studiert. Ich habe geputzt, war Sekretärin, Koordinatorin von Herausgebern einer wissenschaftlichen Zeitschrift und die letzten zehn Jahre habe ich an der Universität von Coimbra geforscht. Außerdem habe ich in zahlreichen internationalen Forschungsnetzwerken gearbeitet und Feldforschung in den Bereichen Gesundheit und Umwelt nicht nur in Europa sondern auch Lateinamerika und den USA durchgeführt. Dabei war ich schnell in verschiedenen Umwelt- und Bürgerbewegungen involviert genauso wie in die 10 Kampagnen für die Entkriminalisierung der Abtreibung in Portugal.

Was kannst du uns über deine Partei erzählen? Der Linksblock ist vor elf Jahren entstanden und versammelt Leute aus kleineren linken Parteien mit unterschiedlichen ideologischen Herangehensweisen (Marxisten, Leninisten, Trotzkisten, Maoisten...) genauso wie Leute aus unterschiedlichen sozialen Bewegungen, vor allem LGBT, Frauenrechts-, Bürgerund Umweltbewegungen. Er entstand zu einem Zeitpunkt als verschiedene fragmentierte Parteien und Gruppen sich von den bestehenden Parteien nicht mehr repräsentiert fühlten und so bot der Linksblock die Möglichkeit, der Linken in Portugal gemeinsam einige neue Stimmen hinzuzufügen. Ich selbst wurde erst 2004 Parteimitglied (bin seit 2005 Mitglied des Parteivorstandes), obwohl ich vorher schon an einigen Initiativen teilgenommen hatte und bei verschiedenen Gelegenheiten als Unabhängige auf der Linksblockliste bei

Wahlen kandidierte. Was sind deine persönlichen Ziele im EP? Ich arbeite vor allem im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und im Ausschuss für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Ernährungssicherheit (ENVI). Im erstgenannten bin ich Obfrau der GUE/ NGL. Ich bin auch in Delegationen engagiert, so bin ich Vize-Vorsitzende der MashrekDelegation und nehme an den Delegationen für die Beziehungen mit Palestina und mit Südafrika teil. Neben der normalen Arbeit der Abgeordneten - Berichte, Schattenberichterstatterin, Mitorganisation der Mashrek-Delegation - bin ich auch noch im Fraktionsvorstand und fungiere als Koordinatorin der Linksblock-Delegation innerhalb der Fraktion. Ich versuche immer, die Zeit zu finden, um Bürger in das EP zu bringen, zum Beispiel indem ich Schulen vor allem aus den ärmsten Gegenden

Portugals nach Brüssel einlade und Veranstaltungen für die Bürger organisiere. Ich war für die Richtlinie zum Thema gefälschte Medikamente verantwortlich, für die Europäische Initiative für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen und bin im Augenblick für den Bericht zum Grünbuch für den strategischen Rahmen der zukünftigen Finanzierung von Forschung und Innovation zuständig. Das heißt natürlich nicht, dass ich die ganze Arbeit alleine mache, sondern gemeinsam mit anderen - Mitarbeitern und Abgeordneten arbeite. Wenn ich in Portugal bin, gilt meine Priorität dem direkten Kontakt mit Schulen und öffentlichen Diskussionen. Meine persönlichen Ziele sind dieselben wie die von anderen - ich versuche mein Bestes und vertrete so gut ich kann diejenigen, die von unseren Entscheidungen am meisten betroffen sind. Dazu versuche ich auch so gut wie möglich den Inhalt

von Resolutionen, Berichten etc. zu beeinflussen damit soziale, wirtschaftliche und Umweltgerechtigkeit eine Rolle in allen Vorgängen spielen. Was sind deine größten Wünsche für die Linke in Europa? Ein gemeinsamer und aktiver Ansatz für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und Umverteilung. Gemeinsame Ziele hin zu Zusammenhalt und gegen nationalen Egoismus. Parteien spielen da eine Schlüsselrolle aber ohne die Menschen und deren aktive Beteiligung kann nichts erreicht werden.


Sachsens Linke!  7-8/2011

DIE LINKE im Bundestag

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Der Kahlschlag geht weiter

Oder: Die schwarz-gelbe Arbeitsmarktreform

Am 25. Mai hat die Bundesregierung ein Gesetz zur »Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt« vorgelegt. Dreist benutzt die Regierung diesen Titel und streicht zugleich zahlreiche Arbeitsmarktmaßnahmen und baut Rechtsansprüche der Erwerbslosen ab. Für uns LINKE ist klar: Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik führen nicht zu besserer Vermittlung! Gute und nachhaltige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen ausreichend finanziert werden. Nur so sind langfristige, wirkungsvolle Weiterbildungsprogramme und öffentlich geförderte Beschäftigung möglich. Nur so lässt sich die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen. Um den Druck zur Aufnahme schlecht bezahlter und prekärer Arbeit zu beseitigen, ist zugleich die Zumutbarkeit bei der Vermittlung in Arbeit neu zu regeln.

Hintergrund der Reform sind beispielslose Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik, die die Bundesregierung schon letztes Jahr beschlossen hat. Durch die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen will Sie von 2011 bis 2014 16 Milliarden Euro einsparen. Sechs Milliarden davon im Bereich Hartz IV (SGB II), zehn Milliarden im Bereich des Arbeitslosengeldes I (SGB III). Die Folgen dieser Kürzungen sind immer stärker zu spüren. In Sachsen fiel in der Beruflichen Weiterbildung die Zahl der neubegonnen Maßnahmen seit Jahresbeginn gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 46 Prozent auf nur noch 5.401 Teilnehmer/innen (April 2011). Diese Einbrüche in der Weiterbildung sind nicht mit der zurückgehenden Arbeitslosigkeit zu rechtfertigen. Denn diese nahm deutlich weniger ab und lag im April 12 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Insbesondere Hartz IV-Empfänger (SGB II) sind betroffen. Hier sinkt die Arbeitslosigkeit nur langsam, im April 2011 gegenüber 2010 um nur 10.616 oder 6 Prozent. Ähnlich dramatisch sind die Ein-

brüche in der öffentlich geförderten Beschäftigung. Diese Zahlen dokumentieren: Die Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik gehen weit über die zurückgehende Arbeitslosigkeit hinaus. Der Kahlschlag ist in vollem Gange! Auf der Strecke bleiben vor allem Langzeiterwerbslose, die vom Aufschwung abgekoppelt werden. DIE LINKE. will einen grundlegenden Kurswechsel in der Ar-

beitsmarktpolitik und legt dafür ein 6-Punkte-Programm vor. Weiterbildungsangebote sind auszubauen und die Zumutbarkeitsregeln neu zu regeln, um eine Vermittlung in prekäre Beschäftigung zu verhindern. Kürzungen der Arbeitsmarktgelder sind zurück zu nehmen, gute öffentlich geförderte Beschäftigung ist zu ermöglichen. Wir haben dazu bereits im April in den Bundestag einen eigenen Antrag ein-

Dialogtour »Wir brauchen wirksame Instrumente zur Bekämpfung der Armut« Bereits in der Antike war der Dialog eine bewusst eingesetzte Methode, die zur Vermittlung von Erkenntnissen und zur Erörterung von Problemen im Sinne der klassischen Dialektik von These und Antithese entwickelt wurde. In diesem Sinne startete wir sächsischen Bundestagsabgeordneten der LINKEN gemeinsam mit unseren Landtagskolleg_innen am 16. Mai 2011 zu einer fünftägigen Dialog- und Sozialtour durch Sachsen. Zahlreiche Veranstaltungen in Leipzig, Frohburg, Chemnitz, Schneeberg, Hoyerswerda, Bautzen, Machern, Dresden, Zwickau und Plauen boten hierzu Gelegenheit. Im Mittelpunkt stand der Austausch mit Wissenschaftler/innen und Fachkräften der sozialen Arbeit, Betroffenen, Vertreter/innen der Verwaltung, sowie Vereinen und Verbänden. Wichtige Themen waren Strategien gegen Kinderarmut, das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung sowie die Kindergrundsicherung als alternatives Modell zum gegenwärtigen Leistungssystem. Zudem führten wir mit Fachkräften des Kinder- und Jugendtourismus einen Dialog

über die Frage der Notwendigkeit und Förderung bezahlbarer Urlaubsangebote für Kinder- und Jugendliche aus finanzschwachen Familien. »Wir brauchen wirksame Instrumente zur Bekämpfung der Armut«, so Katja Kipping (MdB). Zu zögerlich behandle Sachsen das Thema. Die Lage in Sachsen ist alles andere als entspannt, »von einem Musterländle kann keine Rede sein«. Die Kinderarmut im Freistaat liegt bei 26,1 Prozent, die der jungen Erwachsenen gar bei 33 Prozent. »Damit rangiert Sachsen weit

über dem Durchschnitt von Deutschland«, so Kipping. Klaus Tischendorf (MdL) kritisierte die soziale Spaltung beim Thema Ferienfreizeit für Kinder und Jugendliche im Freistaat. Die Zahl der Teilnehmer geht seit 1996 kontinuierlich zurück, von ehemals 146.000 auf zuletzt 62.000 pro Jahr. Gemeinsam mit dem bundesweiten Bündnis »Kindergrundsicherung« diskutierten wir an der Evangelischen Hochschule in Dresden über die Einführung einer Kindergrundsicherung. Vor dem Hintergrund des Karlsruhe-Urteils zum Grundbedarf für Kinder regte Katja Kipping die Überarbeitung des drei Jahre alten Kindergrundsicherungskonzepts der LINKEN im Bundestag an. Mehr noch als alle anderen Themen bestimmte die Ausrichtung und Umsetzung des Bildungs- und Teihabepaketes unsere Gespräche vor Ort. Ein Grundtenor wurde dabei deutlich: »Das Bildungspaket erreicht seine Ziele nicht«. Annekatrin Klepsch bewertete das Paket aus dem Hause von der Leyen im Gespräch mit den Sozialdezernenten und Leiter/innen der Jobcenter, Sozial- und Jugendämter aus

den Landkreisen Nordsachsen und Leipzig im Schloss Machern als stigmatisierendes Bürokratiemonster und blieb mit ihrer Kritik nicht allein. In der Podiumsdiskussion »Weg aus der Armut« im Leipziger Bürgerzentrum Messemagistrale mit Diana Golze, Dr. Barbara Höll (beide MdB) und Heike Werner (MdL), kritisierte der Leipziger Jugendamtsleiter und bekennende Anhänger der Kindergrundsicherung, Dr. Siegfried Haller, dass in Leipzig bislang nur 17 Prozent der Berechtigten die Beihilfen des Bildungspakets beantragt haben. Parallel zum Tour-Programm fand die kreative Aktion »Leben in die Box« im Rahmen der Woche statt. Ein interaktives Kinderzimmer forderte von Montag bis Freitag Kinderund Jugendliche zum kreativen Dialog auf dem Dresdner Postplatz und dem Chemnitzer Neumarkt heraus. Mit der Aktion machte die Leipziger Medienkünstlerin Andrea Günther auf die soziale Situation von Kindern und Jugendlichen in unserem Land aufmerksam und warb für die Einführung einer Kindergrundsicherung. Michael Leutert, MdB

gebracht. Eins ist klar: nur gesellschaftlicher Druck kann einen Politikwechsel bewirken. Neben den Erwerbsloseninitiativen kritisieren auch Sozialverbände und Gewerkschaften die Pläne der Bundesregierung. Jetzt gilt es, gemeinsam Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Dafür streitet DIE LINKE. Sabine Zimmermann (MdB) Arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.

Kommentiert Links ist sexy, ... das wussten wir ja. Aber das LINKE-Bundestagsabgeordnete aus Sachsen besonders sexy sein sollen, das ist doch mal was Neues. Schaut man sich das Ergebnis der wenig charmant formulierten Frage »Mit welchem Politiker oder welcher Politikerin würden Sie...?« auf sexybundestag.de an, finden sich Namen wie Caren Lay und Katja Kipping bei den Frauen sowie mein eigener bei den Männern unter allen Fraktionen jedenfalls ganz vorne. Nun kann man das als eine witzige Abwechslung im politischen Alltag betrachten oder sich darüber ärgern, dass sich ausgerechnet mit einem solchen Thema Schlagzeilen machen lässt. Mir wäre es auch lieber, die Medien würden mehr über unsere politischen Inhalte und Konzepte berichten. Aber vielleicht dient diese etwas andere Aufmerksamkeit auch dazu, dass der eine oder die andere mal hinter die hübsche Oberfläche schaut. Michael Leutert, MdB, Sprecher der Landesgruppe Sachsen


Geschichte

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7-8/2011  Links!

Ein Pyrrhussieg Als vor 50 Jahren die Berliner Mauer errichtet wurde, konnte sich kaum einer vorstellen, dass dieses Bauwerk die bestehende deutsche Teilung im wahrsten Sinne des Wortes auf Jahrzehnte zementieren würde. Die komplette Abriegelung der Grenze nach Westberlin am 13. August 1961 und der anschließende Bau der Mauer dienten der Aufrechterhaltung des politischen Systems in der DDR. Die Parteiund Staatsführung sah keine andere Möglichkeit, der anhaltenden Übersiedlungsund Flüchtlingsbewegung in die Bundesrepublik und dem damit verbundenen Verlust hochqualifizierter Arbeitskräfte Einhalt zu gebieten. Es war das Eingeständnis, den zuvor propagierten Wettbewerb der Systeme bei offenen Grenzen nicht bestehen zu können. Die Mauer und die Grenzbefestigungsanlagen haben in den folgenden dreißig Jahren fast einhundertfünfzig Menschen das Leben gekostet, Tausende bei Fluchtversuchen ins Gefängnis gebracht, Millionen Menschen das Recht auf Reisefreiheit genommen und zahllose Familien getrennt. Der Bau der Berliner Mauer offenbarte das grundlegende Problem des Herrschafts- und

Gesellschaftssystems in der DDR: Das Verständnis eines autoritären Staatssozialismus, in dem die Bevölkerung als Objekt behandelt wird, dem die Partei- und Staatsführung ihre Ziele aufzwingt. Dies steht im Gegensatz zu einem selbstbestimmten und demokratischen Sozialismus. Die Hoffnung von Teilen der DDRBevölkerung, darunter auch mancher namhafter Künstler und Intellektueller, die DDRGesellschaft könne nach dem Mauerbau ohne Störungen von außen erfolgreich aufgebaut und reformiert werden, zerstob im Verlauf eines knappen Jahrzehnts. Der Mauerbau war zugleich ein Produkt des Kalten Krieges und der nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen bipolaren Weltordnung von Ost und West. Die Teilung Deutschlands und Berlins war besiegelt und wurde auch von den Westmächten befördert. John F. Kennedys Aussage, die Mauer »sei keine schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg« illustriert knapp diesen Sachverhalt. Die sowjetische Führung und im Gefolge die DDR entschieden sich 1961 zum Mauerbau, um einen Krieg zu verhindern. Dieser war angesichts der fort-

Niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten, hatte Walther Ulbricht noch am 15. März 1961 vor der internationalen Presse erklärt.

schreitenden Destabilisierung der DDR und unter den Bedingungen der militärischen Konfrontation in Mitteleuropa nicht auszuschließen. Die Mauer hätte auch nicht über Jahrzehnte bestehen können ohne die Tolerierung und Akzeptanz durch die westlichen Besatzungsmächte (USA, Großbritannien, Frankreich), für die damit der bestehende Status quo gesichert wurde. Die Mauer war längst brüchig, bevor sie fiel. Ihr tatsächlicher Fall wurde der Schlussstein des Niedergangs der DDR-Gesellschaft. Bis heute

haben die LINKE und die Arbeiterbewegung am Erbe des Mauerbaus zu tragen. Die Idee des Sozialismus ist missbraucht und diskreditiert worden. Dies nutzen Verteidiger des kapitalistischen Systems bis heute dazu, jegliche Suche nach grundlegenden Alternativen als einen Weg in Mauer und Stacheldraht zu kriminalisieren. Darüber hinaus verfestigte der Mauerbau über Jahrzehnte die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung. Die Nachwirkungen sind bis heute spürbar. Ein ehrliche Debatte über

die Berliner Mauer erfordert ebenfalls eine Auseinandersetzung mit neuen Grenzen und mit Festungsmentalitäten, die heute bestehen und aufbaut werden. Tausende Menschen starben in den letzten Jahren bei dem Versuch, die um Europa zur Abwehr ökonomischer und politischer Flüchtlinge errichteten »Mauern« zu überwinden. Für Millionen Menschen in unserem Land mit geringem Einkommen gibt es die Reisefreiheit nur auf dem Papier. Es ist verlogen, immer wieder auf den Mauerbau 1961 zu verweisen und zugleich neue Mauern zu errichten oder zu rechtfertigen. Dass Freiheit, Demokratie und Sozialismus für alle Zukunft untrennbar verbunden sein müssen, bleibt für uns im 50. Jahr nach dem Mauerbau die wichtigste Lehre. Klaus Kinner Der Autor ist Mitglied des Sprecherrates der Historischen Kommission beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE und Mitautor der Erklärung der Kommission zum 50. Jahrestag des Mauerbaus. Der vorstehende Text stützt sich wesentlich auf diese Erklärung.

90 Jahre Gongchandang Als sich am 1. Juli 1921 in Shanghai 13 junge Männer trafen, um eine kommunistische Partei zu gründen, wusste die Geheimpolizei schon Bescheid. Und reagierte mit sofortiger Verfolgung. Denn groß war die Angst, dass das nicht mehr zu stoppen sein würde: 1905 Revolution in Russland, 1911 Revolution in China, 1917 Revolution in Russland, 1919 anti-imperialistische 4.-Mai-Bewegung in China. Und nun wollten diese Kommunisten – so wenige es auch waren – mit der Komintern gemeinsam die Weltrevolution vorantreiben. Inzwischen ist sie 90 Jahre alt, die Kommunistische Partei Chinas, die Gongchandang. Aus den 13 Mitgliedern vom Anfang – Mao Zedong war unter ihnen – sind 80 Millionen geworden. Perry Anderson, souveräner marxistischer Weltanalytiker, findet darum die seit 1990 gebetsmühlenartig wiederholte Rede vom Zusammenbruch des Kommunismus »ein wenig eurozentrisch«. Und verweist auf den Platz, den die von der Gongchandang geführte Volksre-

publik China sechs Jahrzehnte nach ihrer Gründung am 1. Oktober 1949 in der Welt einnimmt: Als Lokomotive der Weltwirtschaft; als Exportweltmeister; als Inhaber der weltgrößten Währungsreserven; als ein Land, das seit einem Vierteljahrhundert auf die höchsten Wachstumsraten verweisen kann. Natürlich ist die Gongchandang voller Widersprüche, natürlich ist es die VR China auch. Ob es denn gerechtfertigt sei, dass sie sich immer noch kommunistisch nenne, diese die VR China führende Partei, wird gefragt. Die Frage ist berechtigt angesichts der Vergangenheit mit Großem Sprung nach vorn und nachfolgender Hungersnot Anfang der 1960er Jahre, Großer Proletarischer Kulturrevolution 1966-1976 und der Zerschlagung der Studentenproteste am 4. Juni 1989 - wie auch angesichts der Gegenwart mit der sich rasant vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich, mit Aufschwung auf der einen und schärfsten Ausbeutungsverhältnissen auf der anderen Seite. Nur:

Wer will, wer darf da NamensSchiedsrichter sein? Zu dramatisch in ihrer Widersprüchlichkeit ist die Geschichte der kommunistischen Bewegung, als dass da anderes herauskommen könnte als Beckmesserei. Die stalinistische KPdSU und die von ihr beherrschte Komintern; die Parteien des Eurokommunismus mit ihrem antistalinistischen Grundgestus und ihrer den Kapitalismus stabilisierenden Kompromissbereitschaft; die maoistischen und K-Gruppen in der alten Bundesrepublik, die die DDR revolutionär zu überholen trachteten und aus deren Reihen es einige später zu höchsten Regierungsweihen gebracht haben; die SED, in der die Kommunisten den Sozialdemokraten keine Chance ließen und am Ende vor den Trümmern ihrer Herrschaft standen: Alle sind sie Vergangenheit, und wer will da ernsthaft behaupten, er habe Maßstäbe gesetzt, an denen sich die Chinesen messen müssten? Die Gongchandang hat China aus tiefster Demütigung zur Weltmacht geführt. Mit ihrem

Widerstandskampf hatte die Gongchandang entscheidenden Anteil daran, dass Japan 1941 nicht mehr in der Lage war, die dem Bündnispartner Deutschland versprochene zweite Front gegen die Sowjetunion zu eröffnen. Und es war auch dieser Widerstandskampf, der der Gongchandang im chinesischen Volk einen solchen Rückhalt verschaffte, dass sie im Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 einen überwäl-

tigenden Sieg erringen konnte. 90 Jahre Gongchandang. Das beeindruckende Jubiläum einer Partei, die mehr Mitglieder hat als Deutschland Einwohner. Und in der tatsächlich darüber nachgedacht wird, was heute und morgen in dieser Welt Sozialismus sein kann. Wolfram Adolphi Der Autor im Netz: www.asiaticus.de

Mao mit weiteren Führern der kommunistischen Bewegung in China, 1930er Jahre.


Links!  7-8/2011

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»Das Private ist politisch«

Intelektuelle bei Friedenskundgebung, 1948.

Die Ausnahme und die Regel »Was nicht fremd ist, findet befremdlich! Was gewöhnlich ist, findet unerklärlich! Bild Bundesarchiv Commons

ken« nannte er es. Der Mensch sei nicht zum Denken da, sondern Denken solle ihm die Existenz erleichtern, müsse also praktisch folgenreich sein. Ein solches Denken muss vermittelt werden. Weltanschauungen waren für Brecht Arbeitshypothesen, weil die Klarheit der Erkenntnis gerade bei solch umfassenden Problemen wie der gesellschaftlichen Entwicklung am Beginn eines Vorhabens lange nicht so sicher ist, wie die Begründungen eines erfolgreichen Handelns im Nachhinein glauben machen wollen. Richtiges Denken stellte für Brecht immer kommunikatives Handeln dar – das eigene Denken müssten andere mit ihrem Denken zur Kenntnis nehmen und verarbeiten. Er unterschied drei Dimensionen richtigen, also eingriffsfähigen Denkens, die zusammengehören: Das auf den Aufbau der Person gerichtete Denken, das technische bzw. Sachund Fachdenken und das politische Denken. Diese stehen nicht nebeneinander, sondern es sind sich durchdringende Herangehensweisen, Denkstile. Für Brecht war po-

Bild Bundesarchiv Commons

Am 14. August jährt sich der Todestag Bertolt Brechts zum 55. Male. Als Dramatiker und Lyriker bekannt, war er auch Philosoph und Politologe. Brecht war nie Mitglied einer Partei, hat aber viel über die Rolle der kommunistischen Partei nachgedacht. Namentlich für eine Partei, die eine humanere gesellschaftliche Alternative zu den bestehenden Verhältnissen programmatisch verfolgt, bleibt Brechts Denken vom richtigen Denken höchst aufschlussreich. Brechts Werk war Lehrstoff im staatssozialistischen Deutschunterricht und auch Bestandteil des Lehrplans im Philosophiestudium, mindestens in Leipzig. Seine spezifische ästhetisch-politische Betrachtungsweise bewahrte ihn vor Verflachungen, wie sie der staatsoffizielle Marxismus-Leninismus vollzog. Er wendete den historischen und den dialektischen Materialismus als Methode für eingreifende Theaterkunst an. In seinen Schriften zur Politik und Gesellschaft entwickelte er Betrachtungen zur Dialektik des die Wirklichkeit erfassenden Denkens - »eingreifendes Den-

litisches Denken Bestandteil des alltäglichen Denkens der Menschen. Jeder einzelne also muss, will er in gesellschaftliche Strukturen eingreifend denken, bewusst denkend den Raum des Politischen erschließen bzw. den des Privaten, des bloß Selbstbezogenen verlassen. Dabei ist »das Politische« mehr als eine bloße fachpolitische Kompetenz. Die Emanzipationsbewegung innerhalb der Achtundsechziger hat dies später in dem Slogan »Das Private ist politisch« erkannt. Hier sei nur angemerkt, dass ein Politiker sehr, sehr weit weg sein kann vom so bestimmten politischen Denken, auch ein »linker« Politiker! Ein solches Denken führt zu anderen Strukturen und Arbeitsmethoden. Brecht selbst wäre sicherlich einer der ersten gewesen, der auf die gravierenden verzerrenden Veränderungen hinsichtlich des »historischen Subjekts« im

Staatssozialismus aufmerksam gemacht hätte. Denn er fixierte algorithmisch »Voraussetzungen für die erfolgreiche Führung einer auf soziale Umgestaltung gerichteten Bewegung«, die gerade die langfristige Machtkonzentration in den Händen einer Partei, einer sozialen Schicht oder weniger Persönlichkeiten zu verhindern geeignet sind: Führungsdenken aufgeben, Einzelinitiative immer ermöglichen, klassische bürgerliche Ethik ernst nehmen, Verzicht auf ideologisierende Propaganda, stattdessen Beweisführung und Ehrlichkeit. Und für die politische Praxis gibt er noch einen weiteren, höchst aktuellen Hinweis: Ein Kompromiss ist, wenn Wein und Wasser aus zwei getrennten Gläsern getrunken werden! Ein Brecht wäre auch heute ein Gewinn für die Linke. Wer seiner gedenken will, sollte ihn studieren! Ralf Becker

klagt wegen »Beihilfe zur Verfolgung«, wird der Regisseur später freigesprochen. Ein Hamburger Richter, der als Nazi-Sonderrichter zwanzig Todesurteile fällte, sprach ihn frei, notiert der Sohn: »Der Mordgehilfe blieb Richter in Deutschland.« Der Harlan-Sohn hat ein unerbittliches Gedächtnis: »Heilig waren auch, unschuldig, die Kriegsverurteilten, die Mörder aus der Union der Sowjetrepubliken, die KZ-Schergen, die Buchenwalder, die Gestapo-Beamten aus den weißrussischen Kommandozentralen, die Blutrünstigen, die sich in Friedland um Adenauer scharten«. Kaum wahrgenommen hat das Feuilleton, dass der Sohn Waffen aus der Slowakei nach Isra-

el geschmuggelt hatte, »wegen Dir«, dem Vater. Dass er nach Frankreich floh, um nie wieder Deutsch zu sprechen, dass er vier Jahre in Polen lebte, um deutsche Kriegsverbrechen zu dokumentieren, dass man ihm daraufhin den westdeutschen Pass entzog, dass man ihn »kommunistischer Tendenzen« zieh, lange bevor er der Gruppe »Lotta Continua« angehörte, der linken, radikalen Vereinigung von italienischen Arbeitern und Studenten. Bald bekommt das neue Deutschland ein Museum der Vertreibung. Ob sie dort auch von der Reise Erika Manns berichten, »durch Pommerland« wie Thomas Harlan erinnert, »... und in ihren Artikeln für britische Zeitungen die Vertreiber

Was da üblich ist, das soll euch erstaunen. Was die Regel ist, das erkennt als Missbrauch Und wo ihr den Missbrauch erkannt habt, Da schafft Abhilfe!« (B. Brecht: In: Stücke. Aufbau Verlag, Berlin. u. Weimar 1968, Bd. V, S. 231)

An der Kette Ein Buch wie ein Messer, in den Rippen eines Deutschland steckend, von dem das plätschernde Feuilleton nichts mehr wissen will, in Wahrheit nie hatte etwas wissen wollen. In einer Sprache gehämmert, die in der deutschen Literatur kaum Gleiches findet – so berichtet Thomas Harlan vom Sterben und Leben des Vaters: »Veit«, so lautet auch der Titel des Buches, das vom Ende des Regisseurs Harlan handelt, von dessen Film »Jud Süß« und auch vom Vater-Sohn-Konflikt und eigentlich vom Konflikt der Söhne mit ihren Nazi-Vätern. Nicht alle hatten Väter, die mit einem Film der Judenvernichtung Vorschub leisteten. Aber fast alle beerbten treue Soldaten, brave Mitläufer, kleine

Rädchen im Kriegs- und Vernichtungsapparat. Und die Westrepublik beerbte, auch daran lässt Thomas, der Sohn, keinen Zweifel, das HenkerReich. In Capri stirbt Veit Harlan, der Freund von Goebbels, der Lieferant von Nazi-Filmen, von »Jud Süß« bis hin zu »Kolberg«, dem Durchhalte-Drama, im Januar 1945 in Berlin und dem eingeschlossenen Kriegshafen La Rochelle aufgeführt. »Veit«, schreibt der Sohn, der bei den Dreharbeiten dabei war, »probte den Kessel. Er probte den Tod.« Tausende abkommandierte Soldaten singen für diesen Film »Das Volk steht auf ...« Bald sollte es auf der Schnauze liegen. In zwei Prozessen, ange-

beklatschte, die Güterwagen beklatschte, die tollwütigen Hunde beklatschte, welche fremde Länder gequält hatten.« Alles, alles erinnert der junge Harlan: Den Kiesinger, den er in der scheinbar neuen Republik als Nazi-Strippenzieher erlebt hat; die FDP jener Zeit, die im Grunde ein Sammelbecken von Nazis war und damals eine Generalamnestie für alle NS-Vebrecher forderte, auch das Zu-Schweigen der Schuld: »Mein Vater wollte das alles nicht wissen.« Thomas Harlan starb im Oktober des letzten Jahres, kurz nach der Vollendung des Buches. Wir müssen ihn vermissen. Uli Gellermann, Thomas Harlan: Veit. Rowohlt Verlag. 160 S., geb., 17,95 €.


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Wie heißt er denn nun richtig, Sachsens längster Kanal - »Elbe-Elster-Floßkanal« oder »Grödel-ElsterwerdaerFloßkanal«? Wer dem 22 Kilometer langen Wasserweg von der Elbe aus folgt, wird beiden Schreibweisen begegnen; der Wechsel erfolgt exakt am KS- bzw. KP- Grenzstein 180 in Gröditz, wobei KS für Königreich Sachsen steht und KP für Königreich Preußen. Bis dorthin lautet die Schreibweise auf der sächsischen Seite »Elbe-Elster-Floßkanal«. Als man 1742 unter dem Baumeister Johann Müller mit dem Kanalbau begann, war freilich Preußen noch ganz weit weg. Dresden und Meißen brauchten dringend Holz für Wohnungen und die aufkommende Industrie, doch die Waldbestände des Erzgebirges waren bereits unter August dem Starken verfeuert worden - und böhmisches Holz war zu teuer. 1735, zwei Jahre nach dem Tod Augusts des Starken, wurde eine Regierungskommission eingesetzt, die zu dem Schluss kam, dass aus den Waldungen um Elsterwerda, Senftenberg sowie aus Schraden jährlich 9.000 Festmeter Holz entnommen werden könnten, ohne die Waldungen oder den Wildbestand zu schädigen (Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang, dass der Schraden als »Wild-

bretkammer« Sachsens galt). Schon 1736 führte das Sächsische Militär die Planierarbeiten durch. Auf der Schwarzen Elster und der Pulsnitz wurde das Holz bis nach Elsterwerda geflößt, wo es auf dem Holzhof bearbeitet und auf Kähne verladen wurde. Von dort fuhren die Kähne das Holz bis nach Grödel in der Nähe von Riesa an die Elbe. Die Preußen kamen erst nach der Völkerschlacht in Leipzig 1815 in Spiel – und so wurde aus dem größten Kanal Sachsens ein Kanal, der in Teilen nach Preußen hineinreichte. Doch Sachsen verlor nach 1815 mehr als seine Wildbrettkammer – insgesamt bekam Preußen zwei Drittel des Sächsischen Territoriums zugesprochen … Wer heute von Dresden kommend bei Grödel hinter Nünchritz den Elbe-Radweg verlässt und sich auf das weitgehend unbekannte Abenteuer Elbe-Elster-Floßkanal einlässt, erlebt auf dem Kanalweg ein Flair, wie man es sonst nur im Spreewald vermutet. Große Fische (Karpfen) schwimmen im klaren Wasser, Reiher sind zu beobachten, tanzende farbige Libellen faszinieren ebenso wie knallgelb blühende Wasserpflanzen. Gelegentliche Stille, alte Uferbäume und einsame verschlungene Wege machen den Abstecher zu einer klei-

Bild solidether@flickr.com

Spreewald-Feeling am längsten Kanal Sachsens

nen Romantik-Tour. Das ganze Gewässer wird heute von Anglern des Deutschen Anglerverbandes (DAV) betreut. Riesaer, Strehlaer, Gröditzer und Elsterwerdaer Petri-Jünger teilen sich das Gewässer, das einst nicht nur dem Transport von Holz und Eisen (das Eisenwerk in Gröditz nutzte ebenfalls diesen Wasserwerk) diente, sondern auch zur Bewässerung der Gärten und Felder. Die Jugend hatte mit dem Kanal immer ein »Freibad« im Dorf, und im Winter einen »Eis-Kanal« zum Schlittschuhlaufen. Romantischer ist die Kanaltour in Sachsen, informativer aber in Preußen. Das beginnt bereits in Prösen, wo man an der dortigen Schleuse erfährt, dass schlechte

Baumaterialien, miserable Arbeitsmoral und Eigentümerstreitigkeiten den Kanalbau um viele Jahre verschleppten. Erst am 2. Dezember 1748 konnte der Kanal erstmalig befahren werden. Das letzte Schiff durchfuhr ihn am 24. Juli 1947, aber schon seit 1815 war es mit der Flößerei vorbei gewesen – nicht zuletzt aus politischen Gründen. Außer der Schleuse bietet die Preußische Seite auch weitere interessante Informationstafeln an, z.B. zu den Bomätschern, den Männern, die die Schiffe ziehen mussten. Und auch ein Kahn-Umriss kann betrachtet werden. Endpunkt der Kanal-Tour ist Elsterwerda, wo man das wieder hergerichtete Schloss zumindest von außen besichtigen kann - und

dann mit den Rädern am besten die Regionalbahn besteigt, um auf der Eisenbahnstrecke Elsterwerda-Riesa darüber nachzusinnen, wie deren Bau 1875 dazu führte, dass der Kanal seine Funktion als Transportweg endgültig verlor. Etwas schade mutet es schon an, dass man den Kanal so gar nicht touristisch mit dem Boot »erfahren« kann, obwohl man vereinzelt mal ein kleines Boot im oder am Kanal sieht. Immerhin bleiben die Angler auf diese Weise ungestört, ebenso die »Kanal-Biber«, die hier und dort ihre Spuren hinterlassen haben. Und es sind nur wenige Besucher, die auf dem nicht immer gut ausgeschilderten Elbe-Elster-Floßkanalweg eine Wanderung oder Radtour machen. Ralf Richter

einem Workshop eingeladen. Ziel der Veranstaltung war es, Partnerinnen und Partner zu finden, die ebenso für dieses Projekt richtig Feuer fangen. Und wer kann besser dafür sorgen, dass der Funke überspringt, als jemand der selbst dafür brennt. Mit der Begründerin der Berliner Kulturloge, der Kulturjournalistin Angela Meyenburg, hat diese Idee eine mitreißende Botschafterin. Dieses Feuer ist auch notwendig, um das Projekt, ist es erst einmal gestartet, auch zu bewältigen. Das Beispiel Berlin zeigt, dass Angebote und Nachfrage in kürzester Zeit förmlich explodierten. Innerhalb von 14 Monaten wurden etwa 5.000 Gäste in eine elektronische Datei aufgenommen. In dieser Datei ist vermerkt, für welche Art Kultur sich die potentiellen BesucherInnen besonders interessieren. Und das Angebot ist vielfältig. Pro Monat werden inzwischen ca. 2.000 Plätze

vermittelt. Einzige Voraussetzung, um als Gast in die Datei der Kulturloge aufgenommen zu werden ist, sich bei einer der Vermittler schriftlich anzumelden. Bei dieser Anmeldung ist nachzuweisen, dass man nicht mehr als 900 Euro im Monat zur Verfügung hat. Wie eine wissenschaftliche Evaluierung der Berliner Loge zeigt, gelang es dem Projekt, neue Kreise für Kultur zu begeistern. So hatte die Hälfte der Kulturloge-Gäste bisher ein Theater noch nie oder maximal einmal von innen gesehen. Aber die begeisternde Ansprache der Ehrenamtlichen aus dem Team um Angela Meyenburg hat sie letztlich überzeugt. Ohne ehrenamtliches Engagement und »die Freude anderen Freude zu schenken«, wie Angela Meyenburg das ausdrückte, ist diese Aufgabe kaum zu stemmen. Denn die wirkliche Brücke zu den Gästen der Kulturloge ist das persönliche Ge-

spräch. Sobald ein Kulturveranstalter freie Plätze an die Kulturloge gibt, heißt es für die ehrenamtlichen VermittlerInnen ran an die Telefone. Jeder Theater- oder Konzertbesuch wird persönlich vermittelt. Und das Besondere: Jeder Gast erhält 2 Karten, denn wer geht schon gern alleine aus. Diese zweite Karte ist auch an keine Einkommensgrenze gebunden. Man kann also beispielsweise auch mal seine gutbetuchte Nachbarin einladen und sich damit fürs Babysitten bedanken. Fazit der Veranstaltung: tolle Idee – das hätten wir gern auch für Dresden! Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter von Kultur- und Sozialeinrichtungen waren sich da einig. Jetzt geht es »nur« noch darum das Team zu finden, welches dem Berliner Beispiel folgen möchte. Katja Kipping

Brücke zu Kunst und Kultur Die Idee der Kulturloge nach Sachsen holen Kultur ist ganz wichtig – soweit die allgemeine Meinung. Allerdings wird sie für nur 8 Prozent der Bevölkerung gemacht. Die anderen 92 Prozent nutzen die vielfältigen Kulturangebote selten. Und das liegt nicht nur am mangelnden Interesse, sondern wenn die Haushaltskasse schrumpft, wird zuerst in diesem Bereich gespart. Da ist das ältere Ehepaar, dessen schmale Rente für den geliebten Opernbesuch nicht mehr reicht. Da sind die jungen Eltern, deren Haushaltskasse den Zirkusbesuch zu viert nicht hergibt. Es sind aber auch Menschen, die zuletzt als Schüler im Theater waren. Danach wuchs die Hemmschwelle, ein Schauspielhaus überhaupt zu betreten. Doch da der Mensch ja bekanntlich nicht

vom Brot alleine lebt, verbreitet sich gerade republikweit eine Idee, die diesen Menschen wieder eine Brücke zu Kunst und Kultur bauen kann. Die Idee nennt sich »KULTURLOGE« und ist verblüffend einfach: Kulturelle Einrichtungen geben Eintrittskarten für nicht ausverkaufte Veranstaltungen kurzfristig kostenlos ab. Der Effekt: Einkommensarme Menschen kommen einerseits in den Genuss von Kultur und anderseits müssen Künstler nicht vor halbleeren Häusern spielen. Koordiniert wird das ganze von Kulturlogen. Das sind Zusammenschlüsse von aktiven Bürgerinnen und Bürgern mit Theatern, Bibliotheken, Musik- und Sportveranstaltern. Um diese Idee auch nach Sachsen zu holen hatte ich gemeinsam mit Anne-Kathrin Klepsch Mitte Juni verschiedene VertreterInnen von Kultureinrichtungen und sozialen Initiativen zu


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine 6. Juli, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Militärforschung an zivilen Universitäten Im Rahmen der Ringvorlesung Ethische Ideen in den Wissenschaften Mit Dr.-Ing. Dietrich Schulze, Beiratsmitglied NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit In Zusammenarbeit mit Integrale Hörsaal 251, Potthoff-Bau, Haus 2, Hettnerstraße 1, 3, 01069 Dresden 8.-9. Juli, Freitag 16.0020.00 Uhr, Sonnabend, 11.00-15.00 Uhr Lektüreseminar Theodor W. Adorno: »Marginalien zu Theorie und Praxis« Eine Veranstaltung des RosaLuxemburg-Clubs Chemnitz. Raum D101, Technische Universität Chemnitz, Reichenhainer Str. 70, 09126 Chemnitz »Nicht wissen, was man tun soll« war und ist eine Reaktion auf die Krise von Praxis. Die Studentenbewegung von 1968 wusste hingegen scheinbar genau, was zu tun war und zog damit die Kritik Theodor W. Adornos auf sich. In seinem 1969 erschienen Aufsatz »Marginalien zu Theorie und Praxis« verurteilte er den reflexionslosen Aktionismus und die Theoriefeindschaft vieler damaliger Studierender und forderte ein Verständnis des Bezugs von Theorie und Praxis, dass sich jenseits der Dogmen von Einheit und absoluter Getrenntheit bewegt. Das zweitägige Lektüreseminar, in dem der 16-seitige Text gemeinsam gelesen wird, soll einen Einstieg in das Werk von Adorno ermöglichen und in die Frage nach der Möglichkeit von Praxis in Subkulturen und sozialen Bewegungen münden. Relevant bleibt die Problemstellung, da auch widerständige Praxis sich zunehmend als Transformationsriemen neuartiger kapitalistischer Wertschöpfung begreifen muss, der mit Nai-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

vität nicht mehr beizukommen ist. 13. August, 10 Uhr Vortrag und Diskussion 50 Jahre Mauerbau – Zur Erklärung der Historischen Kommission Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Mitverfasser der Erklärung der Historischen Kommission, Leipzig Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig 25. August, 18 Uhr Vortrag und Diskussion 50 Jahre Mauerbau – Zur Erklärung der Historischen Kommission Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Mitverfasser der Erklärung der Historischen Kommission, Leipzig Bürgerbüro MdB Barbara Höll, MdL Monika Runge, Gorkistraße 210, 04347 Leipzig 1. September, Veranstaltung zum Weltfriedenstag Chemnitz, den genaue Ort und die Zeit finden Sie unter www. sachsen.rosalux.de oder Tel: 0371-5382718

Linken in ihrer geschichtspolitischen Dimension. Zwei im Dietz Verlag erschienende Bände dokumentierten den Diskussionsstand.Die Konferenz verdeutlichte das Bedürfnis nach einer weiterführenden Diskussion. Dem wollen wir in dieser Veranstaltung und dem vorliegenden Band »Nichtorthodoxe Linke. Von Havemann bis Dutschke« gerecht werden. Das Jubiläum des X. Ständigen Kolloquiums soll uns zudem Anlass sein, Bilanz zu ziehen über zwanzig Jahre historische Sozialismus- und Kommunismusforschung im Umfeld der sächsischen Rosa-Luxemburg-Stiftung seit deren Gründung 1991. Auf der Grundlage von drei Impulsreferaten schlagen wir eine freie Diskussion vor, die sich an den Beiträgen des vorliegenden Bandes und dem aktuellen geschichtspolitischen Diskurs orientiert. Die Autoren des Bandes werden gebeten, ihre Beiträge thesenartig vorzustellen. Ablauf 13.00 -14.00 Uhr Moderation: Prof. Mario Kessler, Potsdam Prof. Klaus Kinner Leipzig: Die Linke. Erbe und Tradition. Geschichtspolitik und linkes Erbe in Ost und West Dr. Stefan Bollinger, Berlin: Geschichte, Programme und Politik Prof. Jürgen Hofmann, Berlin: Bruch mit dem Stalinismus. Rückblick auf eine notwendige Diskussion

1. September, 13 bis 19 Uhr X. Ständiges Kolloquium zur historischen Sozialismus- und Kommunismusforschung Die Linke. Erbe und Tradition. Geschichtspolitik und linkes Erbe in Ost und West Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Leipzig; Dr. Stefan Bollinger, Berlin und Dr. Jürgen Hofmann, Berlin Moderation: Prof. Dr. Mario Kessler, Potsdam Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Im Februar 2010 eröffnete die Veranstalterin mit ihrer Konferenz: »Die Linke. Erbe und Tradition. Eine historisch-kritische Standortbestimmung« die Programmdiskussion, der

7. September, 18 Uhr Vortrag und Diskussion 50 Jahre Mauerbau – Zur Erklärung der Historischen Kommission Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Mitverfasser der Erklärung der

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 17.650 Exempla-

ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 9.6.2011 Die nächste Ausgabe erscheint am 1.9.2011. Die Zei-

14.00 – 15.30 Uhr Diskussion 15.30 – 16.00 Uhr Kaffeepause 16.00 – 19.00 Uhr Diskussion Ab 19.00 Uhr Freundliche Begegnung in den Räumen der Stiftung

Historischen Kommission, Leipzig WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden 8. September, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Die Linke und der Nahostkonflikt Extreme Identifikationen und Probleme ei-

nes linken Universalismus Mit Dr. Peter Ullrich, Soziologe und Kulturwissenschaftler, Berlin Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Philosophie und Wirklichkeit. Zur Herausbildung der marxistischen Philosophie »Zu den spezifischen Kenntnissen eines Philosophen gehöre es, kein Professor der Philosophie zu sein, zu denen eines Philosophieprofessors, kein Philosoph, heißt es ketzerisch bei Feuerbach. Doch der Leipziger Universitätslehrer Helmut Seidel (19292007) war beides. Vielleicht hatte genau das zur Folge, dass seine von Alfred Kosing betreute Habilitationsschrift von 1966 damals ungedruckt blieb. Dank der Sächsischen Rosa-Luxemburg-Stiftung (an deren im März 1991 erfolgten Gründung Helmut Seidel gemeinsam mit Walter Markov entscheidend beteiligt war) und zwei Dutzend Sponsoren liegt diese nunmehr von Volker Caysa herausgegebene Monographie auf Punkt und Komma genau und unter dem Originaltitel »Philosophie und Wirklichkeit. Zur Herausbildung der marxistischen Philosophie« endlich gedruckt vor. Deren Quintessenz, vor allem aber deren Folgerungen für das seinerzeitige Philosophieren hatte ihr Autor in einem Leitartikel des Oktoberheftes der DDR- Philosophiezeitschrift von ebenfalls 1966 unter der Überschrift »Vom praktischen und theoretischen Verhältnis der Menschen zur Wirklichkeit. Zur

tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de

Neuherausgabe des Kapitels I des I. Bandes der »Deutschen Ideologie« von K. Marx und F. Engels« veröffentlicht. In dieser längeren Abhandlung, die als Beitrag in der geistigen Auseinandersetzung um den »Weg zum künftigen Vaterland der Deutschen« gedacht war, und zwar in der Hoffnung, »dass vom deutschen Boden, aus dem unvergänglichen Schätze der Menschheitskultur erwuchsen, nie mehr Krieg ausgeht«, war eben auch eine aus Marxens eigenem Weg zum Marxismus begründete Grundkritik der in jenen Jahren gängigen Konzeption sich als marxistisch verstehender Philosophie enthalten. Das rief seinerzeit einige Revisionismusriecher (Gropp/Römer/Wrona, gemildert Hertzberg) in konzertierter Aktion auf den Plan. Zwar konnte Seidel entgegen den damaligen Bräuchen immerhin noch replizieren, verzichtete dann aber doch auf weitere Versuche, das marxistische Philosophieren von dem überhand nehmenden Kategoriengeklapper systematich zu entlasten; stattdessen wandte er sich dem etwas sichereren, weil arbeitsaufwendigeren Gebiet der Philosophiegeschichte zu. [...]« Hermann Klenner Volker Caysa (Hrsg.): Philosophie und Wirklichkeit. Zur Hersausbildung der marxistischen Philosophie, Leipzig, 2011, S. 248. Kostenbeitrag: 13,50€ ISBN: 978-3-89819-325-2 Bestellungen Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V., Tel: 0341-9608531, Fax: 03412125877, E-Mail: RosaLuxemburg-Stiftung.Sachsen@t-online.de


Rezensionen

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Das Dunkle oder die Vordringlichkeit von Tatsachen

Zu Wolfgang Hilbig (1941 – 2007)

Ich kannte schon seinen Namen, bevor wir uns das erste Mal sahen. Von jenen Freunden, die aus M., einem etwa dreißig Kilometer entfernten Industriestädtchen, nach Leipzig gezogen waren. Von ihnen hatte ich auch erfahren, dass er schrieb, und es war nichts Ungewöhnliches für mich, dass es in der Öffentlichkeit von einem, der schrieb, nichts zu lesen gab – schrieben von uns doch fast alle. Zumindest jene von uns, die sich 1974 über einen vom Kulturbund im Club der Intelligenz in Leipzig installierten Schreibzirkel kennen gelernt hatten, aus dem sich dann ein eigenständiger und in Teilen noch heute existierender Freundeskreis entwickeln sollte. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich Wolfgang Hilbig das erste Mal vor dem Klubhaus Steinstraße begegnet bin – 1979, als sein Debüt »Abwesenheit« gerade bei s.fischer erschienen war. Wahrscheinlicher scheint mir, dass er schon zuvor gelegentlich in unserer Runde, die sich seit Mitte der Siebziger ziemlich regelmäßig traf, aufgetaucht ist. Als Abwesende, Außenseiter oder Aussteiger wurden gern Personen aus Kreisen tituliert,

in denen auch wir verkehrten, Personen, die sich nicht vereinnahmen ließen oder in irgendeiner Weise vom System nicht subsummierbar waren. Hilbig, der doch allen Kriterien entsprach, um als Erfolgsbeispiel eines Schreibenden Arbeiters gelten zu können, als Beispiel für die Sinnhaltigkeit jener von oben inszenierten breitenkulturellen Kampagne Greif zur Feder, Kumpel, die man auf der Bitterfelder Konferenz 1959 beschlossen hatte, war von Verlagen, öffentlichen Einrichtungen und der Druckgenehmigungsbehörde offenbar ignoriert worden. Und man konnte nur Vermutungen anstellen, was sie an diesem Arbeiter und Dichter störte: Das Dunkle oder Abgründige, das sie zu erkennen glaubten und das tatsächlich gleich Einschlüssen in einem Gestein in seinen Texten opalisierte, etwas, das für sie nicht einzuordnen war, das sie verunsicherte. Und weil der Autor dieser Texte weit über das hinausgegangen, was man von einem Autor seiner Provenienz erwartete, er kein Realist in ihrem Sinne war. Bis in die 70er Jahre wirkte in Rudimenten eine Doktrin fort, die als Sozialistischer Realismus in die Geschichte eingegangen ist und Parteilichkeit einforderte, im Sinne der Sache - vor allem in den Amtsstuben und Behörden verschiedenster Couleur,

als einer, der dennoch im Lande blieb. Möglicherweise ist er es gewesen, er vor allem, der uns von unseren Nirvana- und Beatnik-Trips Mitte der siebziger Jahre, Schopenhauer, Stirner in die Schichtungen der Gegenwart, die Gegenwart von Tagebaurevieren, Kellern, aufgelassenen Flächen, Fabrikhallen zurückgebracht hat. In eine Gegenwart, aus deren Nährböden, Mitgift er das Wesentliche bezog, das, was seine Existenz bestimmte, aus den Nährböden, Nährlösungen, unverhohlen unterwegs im Tagebruch. Während wir noch darüber spekuliert hatten, ob es nicht eher von Nachteil, ortbar zu sein, in dieser Zeit, wir uns an Vorbildern aus Bauernkrieg oder Vormärz orientierten, an Gestalten, die sich mittels wechselnder Identitäten dem drohenden Zugriff der Häscher zu entziehen gewusst … Jayne-Ann Igel

die noch von alten Kadern dominiert, ihrem proletarisch verbrämten Kulturbegriff. Ich muss gestehen, so viele Gedanken habe ich mir damals nicht gemacht, es war eher meiner Sensibilität für Ungerechtigkeiten geschuldet, dass ich wahrnahm: Hier ist einer beiseite geschoben, ignoriert worden, weil er nicht in die von Partei- und Staatsführung indizierte Wirklichkeitssicht passte und das, was er schrieb, einfach unannehmbar war, diese Vielzahl weißer oder dunkler Flecken, die in seinen Texten heraufbeschworen wurden. Flecken, die, wie sie meinen mochten, dieser jungen Republik nicht gut anstehen konnten. Im Innersten war ich nicht einverstanden mit dem Buchtitel und hatte das wohl auch gelegentlich geäußert. Ich verfiel erst nach wiederholtem Lesen darauf, dass der Titel womöglich die Abwesenheit eines ganz Anderen, einer anderen Dimension in dieser Wirklichkeit umriss oder bezeichnete. Wahrscheinlich war ich eine der wenigen, die einerseits von den Gedichten gefangen genommen wurden, die ich zum Teil mit der Hand abschrieb, und sich zugleich an diesem Titel rieb, der geeignet schien, den Autor zu denunzieren, seine Wahrnehmungsintensität und Verbindlichkeit ad absurdum zu führen.

Der Braunkohlebagger steht symbolisch für jene Leipziger DDR-Lebenswelt, in der Hilbig damals sein literarisches Schaffen begann.

te nicht mehr der Fall zu sein. Noch immer grassiert ein Privatisierungswahn – auch wenn er jetzt nach der Finanzkrise etwas überholt scheint. Noch immer wird der Staat von einigen Leuten als unfähiger Ressourcenverschwender angesehen. Judt bringt Beispiele, die all dies widerlegen. Interessant und wohl für jeden nachvollziehbar fordert Judt Vertrauen, Altruismus, Anstand, kurz Moral ein, weil nur diese »unserem Handeln einen höheren Sinn« zu geben vermögen. Und er steht neben Stephane Hessel, wenn er eine neue Art von Widerspruchsgeist, der sich von vermeintlichen Experten nicht gleich einschüchtern lässt, einfordert. Das klingt heute manchmal etwas antiquiert, zeugt aber wohl nur von der »Verkommenheit der politischen Verhältnisse«. Judt zeigt, dass in den Län-

dern, die dem angelsächsischen Wirtschaftsmodell folgen - wie Großbritannien oder die USA -, die Armut – gemessen an Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, Zugang zu medizinischer Versorgung, regelmäßiger Arbeit und verfügbaren Einkommen – seit den 70er Jahren erheblich zugenommen hat. »Unsere Großeltern würden die Symptome sozialer Dysfunktion sofort erkennen«, schreibt er. Und: Die soziale Frage steht wieder auf der Agenda. Interessant ist sein Ansatz, dass die Linke heute immer etwas zu bewahren hat. Normalerweise wird links nicht mit bewahrend assoziiert, sondern steht für radikal, zerstörerisch und erneuernd. Die frühen Sozialisten befeuerte das Verlustgefühl, das Gefühl, dass das Wirtschaftsleben moralischen Gesetzen zu folgen habe. Heute ist das seiner

Dabei erschien mir unausweichlich, was von ihm zu lesen war: »ihr habt mir ein haus gebaut/laßt mich ein anderes anfangen …« Ein Gedicht, das 1965 entstanden war und uns in unserem Lebensgefühl traf – wir versuchten in unserem Kreise nichts anderes. Hier hatte einer zehn, zwölf Jahre vor uns im Stillen vorformuliert, was uns umtrieb, beunruhigte, was wir zu beanspruchen gedachten: Nichts weniger als auszubrechen aus den uns zugedachten Strukturen, aus dem Rahmen zu fallen, dem vorgefertigten. Und hatte diese Zeilen verfasst

Wie geht es uns heute? Im Februar hat der HanserVerlag das letzte Buch von Tony Judt veröffentlicht. Der Erich-Maria-Remarque-Professor für Europäische Studien an der New York University warnte in seiner letzten großen Rede davor, Ideale wie Gerechtigkeit und Chancengleichheit der sogenannten Logik des Marktes zu opfern. Aus dieser Rede entstand etwas erweitert - sein letztes Buch. Bereits sterbenskrank, diktierte er den Text. Als Brite, der lange in den USA gelehrt und gelebt hat, verstand er unter den Begriffen Liberalismus und Sozialdemokratie etwas anderes als wir; die Zukunft der Sozialdemokratie zu beschreiben, war Anliegen des Buches. Dabei gelingt ihm auch, den Begriff Sozialismus in der heutigen Zeit zu definieren. Die aktuelle Finanzkrise oder vielmehr die Krise der Ban-

ken hat die Risiken eines entfesselten Marktes deutlich gezeigt. Judt ruft ins Bewusstsein zurück, wie viel der sorgende, ja, der sozialdemokratische Staat des 20. Jahrhunderts bedeutet hat - denn in der Krise werden eben die sorgenden Elemente radikal zurückgefahren. Judt benennt kein konkretes Land, sondern erläutert an vielen Beispielen aus der gesamten westlichen Welt, was alles verloren geht oder schon gegangen ist. Warum geht es also dem Land schlecht? Auf der einen Seite erreichen Menschen heute einen geradezu unvorstellbaren Reichtum, auf der anderen Seite sieht man auch in unseren Städten teilweise unvorstellbare Armut. Noch im 19., aber vor allem im 20. Jahrhundert war es unbedingte und vornehmste Aufgabe des Staates, eben diese Armut zu bekämpfen. Das scheint heu-

Ansicht nach anders, die Linke muss auch die Errungenschaften bewahren. Zusammenfassend lässt sich vielleicht feststellen: Judts letztes Werk ist kein Sachbuch, sondern ein Traktat. Er kämpft nicht gegen den Kapitalismus, er kämpft für einen starken Staat, für eine Renaissance des Öffentlichen und gegen den Privatisierungskult. Judt konnte das Buch nur noch mit Hilfe seiner Familie und Freunde fertig stellen, schwer gezeichnet durch eine schwere Krankheit. Das ist ihm leider manchmal anzumerken, besonders wenn man andere Bücher des Autors gelesen hat. Dennoch, diesem Buch sind viele Leser zu wünschen. Rico Schubert Tony Judt, Dem Land geht es schlecht. Ein Traktat über unsere Unzufriedenheit – Hanser Verlag


Kultur

Sag mir, wo Du stehst... Nein, dieser Artikel handelt nicht vom Oktoberklub, obwohl sich einige ältere (Zeit) Genossinnen und -Genossen vom Titel her vielleicht an die DDR-Polit-Songgruppe erinnert fühlen mögen. Nein, wir gehen weiter zurück in der Geschichte, ins US-amerikanische Harlan County im Jahr 1931. Dort entstand ein zorniges, aber zugleich hoffnungsvolles Lied, das – ähnlich wie das eingangs erwähnte Oktoberklub-Lied – wissen will: »Which side are you on?« – Auf welcher Seite stehst Du? Geschaffen während eines blutigen Arbeitskampfes in einer Kohlemine, wurde es zu einer kleinen Hymne der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung. Sam Reece, führendes Mitglied der United Mine Workers – damals die Gewerkschaft der in den Kohleminen Beschäftigten – gehörte zu den Organisatoren eines erbitterten Streiks gegen die Eigentümer der Kohlemine. In dem Bestreben, die Rädelsführer der meuternden Arbeiter einzuschüchtern, engagierte die Minengesellschaft Provokateure, die auch Sam Reece’s Familie heimsuchten und terrorisierten. Voller Wut schrieb Florence Reece – seine Frau – den Text von »Which Side are you on?« auf einem Kalender nieder und veröffentlichte ihn auf ihrem Album »Coal Mining Women«. Bekannt wurde das Lied indes vor allem durch den Folk-Musiker Pete Seeger, der es 1967 interpretierte. Obwohl es über achtzig Jahre alt ist und die Arbeitskämpfe – zum Glück – unblutig geworden sind, beschreibt das Lied eine Situation, die noch heute in den kapitalistischen Betrieben vorherrscht. Denn stehen Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitsbedingungen an, müssen sich die Beschäftigten fragen (lassen): «Will you be a lousy scab/or will you be a man?” – Willst du ein lausiger Streikbrecher sein, oder willst du deinen Mann stehen? Reece’s Antwort: »Don´t scab for the bosses/don´t listen to their lies./Us poor folks haven´t got a chance/unless we organize” – Brich nicht den Streik, hör nicht auf die Lügen der Bosse! Wir armen Leute haben keine Chance, wenn wir uns nicht organisieren! Letzteres gilt in indes nicht nur in den Betrieben. Kevin Reißig

Hochburg der Liedermacher: Burg Waldeck Ende der 60er Jahre begann das Waldecker Festival »Chanson Falklore International« das deutsche Lied- und Folkrevival auszulösen. Sänger, Instrumentalisten und Interpreten pilgerten zur Burg Waldeck, um dort ihre Erfahrungen auszutauschen. Alles dies basiert auf alter Tradition. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begaben sich die damals sogenannten »Wandervögel« (im weitesten Sinne Freigeister) auf den Hunsrück, um dort Landwirtschaft zu betreiben, frei jedweder Gesellschaftsnormen. So machten sich zum Beispiel die »Nerother Wandervögel« singend auf in die weite Welt, um dort neue Lieder kennen zulernen, die sie in den 20er und 30er Jahren zurück nach Hause brachten. Diese neue Form von Lebensart sprach sich nicht nur in Deutschland rum, selbst aus dem Ausland zog es neugierige Gleichgesinnte auf die Burg. Selbst der berühmte indische Dichter und Philosoph Rabindranath Tagore besuchte die Waldeck am 1. August 1930 und hielt eine beeindruckende Rede über die Einheit von Mensch und Natur. Nach Hitlers Machtergreifung wollten die Nazis Einfluss auf die Waldecker Jugendbewegung gewinnen, doch mit der Hitlerjugend wollte man nichts zu tun haben. Es begann eine Verfolgungsjagd und Überfälle von SA und Hitlerjugend blieben nicht aus. Viele kamen ins Konzentrationslager, andere gingen ins Exil. Der Bundes-

Platz für den Adressaufkleber

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Musik

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gründers und -führer Robert Oelbermann wurde im KZ Dachau ermordet. In den Nachkriegsjahren fand man sich wieder zusammen und es entstand die Idee, die inzwischen legendären Chanson- und Folkfestivals ins Leben zu rufen. So entwickelte sich die Burg Waldeck zu einem musikalisch kulturellem Zentrum. Theateraufführungen, Liedermachertreffen zu Ostern oder Pfingsten, Bilderausstellungen und immer wieder politische Diskussionsrunden finden seit dem statt. Hier traf Walter Moßmann Franz-Josef Degenhardt, Hannes Wader, Schobert & Black, Christoph Stählin, Hein & Oss Kröher und selbst Reinhard Mey schrieb einsam am Talesrand seine ersten Songs auf einer Bank sitzend, die heute noch als die seine bekannt ist.

Mitbegründer dieser Veranstaltungen war der legendäre Liedersammler und Sänger Peter Rohland (22.02.1933 – 05.04.1966) der unumstritten als Wegbereiter des deutschen Chanson- und Folkrevival bezeichnet werden kann. Gerade die Bewegung des Folkrevival distanzierte sich radikal von missbräuchlichen Umgang mit dem Liedgut alter Zeiten, wie auch von der als Volksmusik bezeichneten kommerziellorientierten Schlagerbranche. Peter Rohland hat sich am intensivsten mit deutschen Volksliedern demokratischen Charakters auseinander gesetzt. 1963 sang er die Lieder der 1848er Revolution und befasste sich mit Jiddischen Songs (Vorreiter von bekannten Interpreten wie Zupfgeigenhans [ehem. BRD] oder Aufwind [ehem. DDR]). Des

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weiteren kümmerte er sich um das von der konservativen Volksliedpflege verachtete Repertoire der Handwerksgesellen oder interpretierte oppositionelle Soldatenlieder. Peter Rohland starb sehr jung, 1966. Auf der Waldeck wird sein Nachlass bis heute gepflegt. Es erschienen mehrere Langspielplatten mit ihm. Der jährliche Singwettstreit nebst einer Stiftung, die sich der Förderung junger Sänger widmet, wurden nach seinem Namen benannt. Mein Ensemble »Pojechaly« und ich hatten Mitte der 90er einige erfolgreiche Auftritte auf der Burg und im nahegelegenem Koblenz. 1999 gastierte die »Leipziger Folksession Band« um Jürgen B. Wolff (Duo Sonnenschirm), deren Mitglied ich bis zu deren Auflösung war, neben H. E. Wenzel und Manfred Maurenbrecher, ebenfalls auf der Burg zum Festival Ost trifft West unter dem Motto »Leipzig im Herbst 1989 (Die Liedermacher und die Wende)«. »Die Burg der tausend Möglichkeiten« wie die Waldeck, im Hunsrück gelegen, liebevoll genannt wird, wird mir und allen die sie kennen gelernt haben, in positiver Erinnerung bleiben. Ein Besuch, auch außerhalb der vielen Festivals, lohnt sich garantiert und bleibt ein unvergessliches Erlebnis. Jens-Paul Wollenberg Buchempfehlung: Hotte Schneider, »Die Waldeck« Lieder, Fahrten, Abenteuer Verlag für Berlin-Brandenburg


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