Links! Mai 2011

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» Engagiert für gut bezahlte Arbeit «

Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Mai 2011

Stéphane Hessel - ein 93-jähriger Franzose - ruft in seinem jüngst veröffentlichten Manifest »Empört Euch!« dazu auf, sich politisch zu engagieren. Am 1. Mai liegen die Gründe für Empörung auf der Hand. Geht für gut bezahlte und für menschenwürdige Arbeit auf die Straße! Die neoliberale Gesellschaftsstrategie – mit der Agenda 2010, der Deregulierung der Märkte und einer bis dato nie gekannten Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bei gleichzeitigem Abbau des Sozialstaates - hat zur Fragmentierung der gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse in der modernen Industriegesellschaft Deutschland und zu wachsender Armut geführt. Ganz nach dem alten Motto – »Teile und herrsche!«. Solidarisches Verhalten und Empathie mit denjenigen, die ohne Chance auf einen Arbeitsplatz sind, unter unwürdigen Bedingungen für einen Hungerlohn ohne Kündigungsschutz arbeiten oder mit Hartz IV in Armut leben, sind zunehmend verloren gegangen. Es gibt genügend Gründe, sich am 1. Mai nicht nur zu empören, sondern für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und gut bezahlte Arbeit zu demonstrieren – gemeinsam mit den Gewerkschaften, mit sozialen Bewegungen und anderen sozial engagierten Vereinen, Verbänden und Parteien. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse breiten sich ebenso aus wie Mini- und Midi-Jobs und befristete Beschäftigung zu Niedriglöhnen. Die Leiharbeit wächst genauso wie ihr Missbrauch, Dumpinglöhne sind an der Tagesordnung. Noch immer erhalten Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn als Männer und haben geringere Aufstiegschancen. Noch immer haben Kinder aus sozial schwachen Familien schlechtere Bildungschancen. Ab dem 1. Mai 2011 dürfen Menschen aus den süd-osteuropäischen Mitgliedsländern der Europäischen Union ohne Beschränkungen in Deutschland arbeiten. Das ist

kein Grund zur Panik. Es muss selbstverständlich sein, dass wir diesen Menschen das gleiche Recht auf Freizügigkeit zugestehen, das wir Deutschen selbst stark nutzen - Tausende wandern auf der Suche nach einem Arbeitsplatz oder nach besserer Bezahlung in Nachbarstaaten oder nach Kanada und Neuseeland aus. Allerdings sollte es genauso selbstverständlich sein, dass die Freizügigkeit nicht von skrupellosen Unternehmern ausgenutzt werden darf, die ihren Profit über Dumpinglöhne maximieren. Leider sind die Schutzmechanismen gegen diesen Missbrauch der europäischen Grundfreiheit unzureichend. Für eine flächendeckende Finanzkontrolle und den Kampf gegen Schwarzarbeit fehlen die Mitarbeiter. Zudem verweigert die Schwarz-Gelbe Bundesregierung den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der Lohndumping verhindern könnte. Deshalb muss der Druck auf die Bundesregierung erhöht werden, eine verbindliche Lohnuntergrenze endlich auch in Deutschland einzuführen! In 20 von 27 EU-Mitgliedsländern gibt es einen solchen gesetzlichen Mindestlohn. Warum nicht bei uns? Die Schwarz-Gelbe Bundesregierung verfolgt die Strategie, den deutschen Unternehmen in Europa durch Lohndumping noch mehr Wettbewerbsvorteile zu verschaffen - zusätzlich zur höheren Arbeitsproduktivität. Mit dieser aggressiven Exportstrategie trägt die Bundesregierung dazu bei, das Außenhandelsdefizit der anderen EU-Länder noch weiter zu vergrößern und deren Staaten in die Verschuldungsfalle zu treiben. Denn erst durch die entstandene Schieflage zwischen Import und Export der hoch verschuldeten EU-Mitgliedsstaaten wird der Euro als gemeinsame Währung gefährdet. Wir brauchen daher in der EU eine gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besseren Schutz gegen Lohndumping. Demonstrieren wir am 1. Mai für gut bezahlte Arbeit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Deutschland und in der EU!

Dr. Monika Runge Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen


Links! im Gespräch

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»Nie wieder Krieg! Das ist die wichtigste Botschaft« Der 8. Mai ist jedes Jahr Anlass, an Krieg zu erinnern und der Toten zu gedenken. Regelmäßig finden Diskussionen über den Sinn des Gedenkens statt - und darüber, ob man es mit politischen Diskussionen verbinden sollte. LINKS! sprach mit Nora Lang (80), die den Bombenangriff auf Dresden erlebte und sich seit Jahren für ein aktives und verantwortungsvolles Gedenken einsetzt. Erinnern Sie sich noch an den 8. Mai 1945? Bis ins Detail natürlich nicht, aber so ein Tag bleibt schon im Gedächtnis. Das war ja eine große Aufregung: Der Krieg ist zu Ende, die Russen kommen - was geschieht jetzt? Meine Familie war zwar mit dem Leben davongekommen, aber wir waren ausgebombt. Uns wurde Wohnraum in einem kleinen Haus zugewiesen, dessen Besitzer vor den sowjetischen Truppen geflüchtet waren. Wir hängten ein weißes Betttuch aus dem Fenster, das haben die Nachbarn als »würdelos« bezeichnet. Daran sieht man, wie unterschiedlich die Leute damals dachten. Das waren schon Sachen, die in Erinnerung geblieben sind. Trauer war sicherlich das bestimmende Gefühl. Ich glaube nicht, dass die Leute damals getrauert haben. Sie hatten ja keine Zeit, sie mussten schließlich überleben, irgendwie. Trauern kann man erst mit einigem Abstand, erst später eine Bilanz ziehen. Und die lautete erstmal: Du hast überlebt! Wir haben in Johannstadt gewohnt, auf der Holbeinstraße, und da ist nichts stehen geblieben. Wir sind wirklich durch die Hölle gegangen. Diese Gefühle kann man als Außenstehender nur schwer nachvollziehen. Danach war alles auf das Überleben ausgerichtet. Es ging um die einfachsten Dinge, zum Beispiel darum, ein Bett zu haben. Hunger und Kälte waren furchtbar, es gab nichts zum Heizen - da hatte man keine Zeit zum Trauern. Dennoch hatte meine Familie großes Glück, denn wir sind alle am Leben geblieben. Angesichts dieses Gemetzels, bei dem Millionen umgekommen sind, könnte man fast einen Freudentanz beginnen. Daher trifft für mich auch das Trauern

in dem Sinne, wie es einem manchmal eingeredet wird, nicht zu. Ich kenne viele, die ihre Eltern, ihre Familie verloren haben. Meine Freundin ist nach sechzehn Stunden als einzige im Keller aufgewacht. Das ist sehr viel schlimmer, da habe ich ganz großes Mitleid, natürlich. Dresden ist nur eine von vielen Städten, die zu großen Teilen zerstört wurden. Können Sie sich erklären, warum gerade Dresden eine besondere Trauerkultur entwickelt hat, die für Außenstehende oft nicht ganz nachvollziehbar ist? Das kann man nicht in wenigen Worten erklären. Zunächst muss man sagen, dass der Luftangriff auf Dresden perfekt war. Hamburg, Berlin und Köln zum Beispiel sind auch ganz stark bombardiert worden, aber hier ist alles perfekt gewesen, sind innerhalb ganz kurzer Zeit 25.000 Menschen ums Leben gekommen. Außerdem war Dresden eine sehr schöne Stadt, mit vielen berühmten Bauten - und die Reichen und Schönen stehen eben immer im Mittelpunkt. Andere Städte wurden auch dem Erdboden gleich gemacht und sind dennoch kaum bekannt - wie Wielun, mit dessen Bombardierung der Zweite Weltkrieg begann, oder Guernica. Die Nazis haben das Schicksal Dresdens hochgeputscht und es als einen Anschlag auf die Kultur gewertet, damit hat es angefangen. Auch in der DDR stand Dresden im Mittelpunkt des Gedenkens. Der 13. Februar ist auf diese Weise zum »Mythos« geworden. Der offensichtliche Missbrauch dieses Datums erfolgt durch die Neonazis. Einige politische Akteure, insbesondere die Dresdner CDU, argumentieren jedoch, dass auch Antifaschisten diesen Tag in ihrem Sinne benutzen. Seit einigen Jahren bestimmen die Nazis, was in Dresden gemacht wird. Da muss man sich fragen, woran das liegt. Was unterscheidet die Stadtpolitik, das Gedenken der städtischen Politiker, vom Gedenken der Nazis? Beide haben doch das Recht dazu. Man muss klarstellen, worin sich beides unterscheidet.

Sicherlich in der politischen Dimension. Die Nazis sehen die Bombardierung als alleinstehendes Ereignis und verleugnen ihre Ursachen. Man müsste jeden Beteiligten fragen: Reicht stilles Gedenken aus? Eine Demo gegen Nazis allein reicht jedenfalls auch nicht. Daran sieht man, dass etwas falsch gelaufen ist, dass man sich nicht genügend Gedanken gemacht hat. Der 13. Februar ist eine kleine Episode in einem großen Völkermord. Da kann man sich doch nicht in den Mittelpunkt stellen und sagen, dass Dresden das größte Leid erfahren hätte. 1945 hat jeder gesagt: Nie wieder Krieg! Das ist die wichtigste Botschaft. Mein eigentliches Trauma sind die Kriege, die danach geschehen sind. Denken Sie an Hiroshima, an Vietnam oder Korea - die Liste ist unendlich lang. Dresden wäre wie kaum eine andere Stadt prädestiniert, Friedensinitiativen zu starten, und das nicht nur zum 13. Februar. Dass das nicht geschieht, ist das eigentlich Schlimme an den alljährlichen Auseinandersetzungen um das Gedenken. Unsere Losung als Zeitzeugen war und ist: die Gedenkmärsche der Nazis nicht in unserem Namen. Aber wenn die Auseinandersetzungen mit den Nazis nur am 13. Februar und nur auf der Straße stattfinden, ist das doch irgendwie sinnlos. Ich würde es gut finden, wenn alle Seiten bereit wären, über das Geschehene zu debattieren. Das ist immer das beste Mittel. Der Kampf gegen rechtes Gedankengut, gegen die Leugnung der Verbrechen

kann nur stattfinden, indem man sich mit den Nazis argumentativ auseinandersetzt? Ja, ich denke, dass das gar nicht anders geht. Man sollte vor allem auch mit Jugendlichen arbeiten. Dass junge Menschen kaum etwas von den Hintergründen wissen, kann man ihnen nicht übelnehmen. Es wird ja nichts dafür getan. Das heißt, Sie kritisieren auch die Gedenkarbeit des Freistaates und das Bildungssystem? Ja, das Bildungssystem wird nicht dem Anspruch gerecht, die jungen Menschen zum Frieden zu erziehen. Es wird aber auch immer schwieriger, die Jugendlichen für das Thema zu interessieren. Die Arbeit mit Zeitzeugen kann zum Beispiel dabei helfen. Wir haben schon mehrmals die Überlebenden von Wielun hierher eingeladen, ich war auch schon zweimal dort. Das ist wichtig - denn keiner kennt Wielun, aber jeder kennt Dresden. Wir als Dresdner haben eine Verantwortung, solche Geschichten bekannt zu machen. Das trifft auch auf das Schicksal von Guernica oder Lidice zu. Sie hatten 2005 die Idee, die Weiße Rose als Symbol des Gedenkens zu etablieren. Wie kam es dazu? 1999 sollte ich das erste Mal nach Guernica kommen. Da habe ich überlegt, was ich aus Dresden dorthin mitnehme. Da habe ich mich an den Porzellanteller erinnert, den mein Vater und mein Bruder kurz nach dem Angriff in einem zerstörten Keller gefunden ha-

ben. Darauf sind zwei Rosen zu sehen, eine ist durch das Feuer schwarz gefärbt worden. Ich habe den Teller nach Guernica mitgenommen und ihn den dortigen Überlebenden überreicht. Beim 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens haben wir nach einem Symbol gesucht, und da habe ich vorgeschlagen: Nehmen wir eine Rose für alle Opfer von Krieg, Terror und Gewalt. Auf einem Treffen der demokratischen Kräfte wurde dann die Weiße Rose daraus. Die weiße Farbe gibt der Rose eine neue Dimension - sie dokumentiert ein Engagement für Frieden und Versöhnung, für die Überwindung von Rassismus, Krieg, Terror und Gewalt. Was wünschen Sie sich für den 13. Februar 2012? Keine Straßenschlachten mehr! Es müsste grundlegend darüber diskutiert werden, was der 13. Februar bedeutet. Und vor allem darüber, was man daraus lernen kann. Für mich ist es der unbedingte Wille zum Frieden, und ich hoffe, dass ich noch ein bisschen dafür arbeiten kann. Die Fragen stellten Rico Schubert und Kevin Reißig.


Die dritte Seite

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Extremismusklausel und kein Ende Im Sommer 2010 leitete CDUBundesfamilienministerin Kristina Schröder einen wirkungsmächtigen Paradigmenwechsel in Sachen Demokratieförderung ein. Die von Rot-Grün um die Jahrtausendwende eingeführten Förderprogramme wurden nicht nur finanziell weiter abgespeckt, sondern inhaltlich schwerwiegend verändert. Ging es vorher noch um die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, weitete Schröder den Fokus im neuen Förderprogramm »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« auf das Vorgehen »gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus« aus. Und nicht nur das: Im Herbst vergangenen Jahres brachte sie die »Extremismusklausel« ins Spiel. Vereine und Initiativen, die Fördermittel aus dem Programm des Familienministeriums beziehen wollen, müssen eine Erklärung unterschreiben, mit der sie sich zur »Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung« bekennen und bestätigen, dass sie eine dem Grundgesetz förderliche Arbeit leisten. Außerdem müssen sie dafür Sorge tragen, dass auch ihre ProjektpartnerInnen dies tun. Weder die vehemente Kritik von respektabler Organisationen der Zivilgesellschaft - wie dem Zentralrat der Juden -, noch verfassungsrechtliche Zwei-

fel von renommierten Juristen oder vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beeindruckten die Bundesministerin. Sachsen ist bis dato das einzige Bundesland, das die Extremismusklausel adaptiert und auf die Vergabe von landeseigenen Fördermitteln übertragen hat. Die Klausel ist nicht nur ein Bespitzelungsinstrument, das Misstrauen unter zivilgesellschaftlichen, antifaschistischen Akteuren säen und die Spaltung in »gute« und »böse« Arbeit gegen Nazis und Diskriminierung befördern

wird. Sie trägt zudem eine zutiefst reaktionäre, autoritäre Idee von Staatlichkeit in sich. Die Abhängigkeit von staatlicher Förderung und die Umstrukturierung der Förderprogramme gegen rechts haben zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen ihren kritischen Stachel schon gezogen. Die Extremismusklausel fordert von zivilgesellschaftlichen Akteuren Linientreue und Loyalität zum Staat – und greift direkt in die Meinungsfreiheit ein. Allerdings machen zahlreiche Reaktionen auf die Extre-

mismusklausel klar, dass man sich dem konservativen Rollback nicht fügen sollte. Angefangen mit der spektakulären Ablehnung des Sächsischen Demokratiepreises durch den Pirnaer Verein AKuBiZ im November 2010 und der breiten Beteiligung am Aktionstag gegen die Extremismusklausel am 01.02.2011 gibt es in der Landes- und Kommunalpolitik auch positive Beispiele. So legte das Land Berlin Widerspruch gegen die Kopplung der Extremismus-Klausel an die Förderung der Träger ein. Der Landtag Nordrhein-

Westfalen folgte einem Antrag der LINKE-Landtagsfraktion, mit dem die Klausel abgelehnt wird, und der Stadtrat im brandenburgischen Neuruppin befasst sich derzeit mit einem Antrag der Grünen, der auf Ablehnung der Klausel zielt. In Leipzig haben sich am 22.3.2011 zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Einzelpersonen zusammengefunden und die Stadt mit einem Schreiben aufgefordert, auf die Abforderung der Extremismusklausel zu verzichten - und sich gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass die Klausel zurückgenommen wird. Besonders die Debatten auf kommunaler Ebene müssen vorangetrieben werden. Auch auf Landesebene konstituiert sich derzeit ein Bündnis, das die »Anti-ExtremismusKlausel«-Arbeit verstetigen will. Letztendlich ist der Zwang zur Unterzeichnung der Klausel nur zu umgehen, wenn auf Fördergelder verzichtet wird. Dies gilt sowohl für antragstellende Initiativen als auch für Kommunen und Bundesländer, über die Geldflüsse abgewickelt werden. Diese Situation sollte für eine offensive öffentliche Auseinandersetzung genutzt werden. Denn widerspenstig zu sein, ist und bleibt ein essentieller Bestandteil einer lebendigen demokratischen Kultur. Juliane Nagel

der Arbeit«. Selbst die katholische Kirche kam nicht umhin, 1955 den 1. Mai zum Festtag des »Heiligen Josef, des Arbeiters« zu machen. Die Nazis versuchten auf den Zug aufzuspringen und erklärten den 1. Mai zum »Feiertag der nationalen Arbeit«. Was davon wirklich zu halten war, war schnell zu bemerken. Im Jahre 1933 als solcher zum ersten Mal begangen, folgte ihm schon am Tag darauf das Verbot der Gewerkschaften. Zwölf lange und schreckliche Jahre mussten dann vergehen, bevor am 8. Mai 1945 der Spuk endgültig zu Ende war. Zu recht verstehen wir diesen Tag als den »Tag der Befreiung vom Faschismus«. Und wir haben einen guten Zeugen dafür - Richard von Weizsäcker. Am 8. Mai 1985 bestätigte er als Bundespräsident in einer Rede diesen Tag als »Tag der Befreiung vom menschenverachten-

den System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.« Dies ist umso bemerkenswerter, als dem Sohn eines Diplomaten des faschistischen Deutschland und dem Offizier der Wehrmacht, der vom ersten Tag des Krieges mit dabei war und auch zur Blockade vor Leningrad stand, diese Einsicht nicht in die Wiege gelegt war. Wir sollten ihm den Lernprozess abnehmen. Umso wichtiger ist seine Erkenntnis. Sie wird nicht von allen geteilt. Für nicht wenige ist der 8. Mai nur der Tag des Kriegsendes. Dazu gab es auch Streit im Sächsischen Landtag. Einen gibt es sogar, für den ist der 8. Mai weder Tag der Befreiung noch der Tag des Kriegsendes. Es ist der Eisheilige jüngster deutscher Geschichte, Hubertus Knabe. Mit dem üblichen Schaum vor dem Mund erklärt er uns den 9. November 1989, den Tag der

»Maueröffnung«, zum eigentlichen Tag der Befreiung und des Endes des Zweiten Weltkrieges. Wäre es nicht der Missbrauch dieses geschichtsträchtigen Datums, so könnte man ja gnädig mit Schweigen über so viel Unsinn hinweg gehen. Aber die Nazis haben den Tag, an dem z.B. 1918 Ebert die »Deutsche Republik« und Liebknecht die »Deutsche Räterepublik« ausriefen, für immer geschändet, mit dem Marsch zur Feldherrenhalle 1923, mit der Gründung der SS 1925 und endgültig mit der so genannten Reichskristallnacht 1938. Kein späteres Ereignis an diesem Tag kann dies je vergessen lassen. Und gerade deshalb bleibt auch der 8. Mai unwiderruflich ein Tag der Befreiung. Wie bei den Bauernregeln lehrte das die Erfahrung und ganz anders als bei den Bauernregeln stimmt es für immer. Peter Porsch

Der Mai ist gekommen ... und wird als »Wonnemonat« in vielen Liedern besungen. »Lasst das Haus kommt heraus, windet einen Strauß« schlägt uns 1818 Hermann Adam von Kamp vor. Es war die Zeit, in der die Städte anfingen, grau zu werden vom Kohlenruß und dem Dampf der aufkommenden Fabriken. Einher damit ging die Sehnsucht nach Licht und Luft, nach dem Verlassen der immer enger werdenden städtischen Quartiere und eben nach dem Mai. Denn schon immer wussten die Bauern, »Mitte Mai ist der Winter vorbei«. So wonnig, wie er besungen wird, ist der Mai aber gar nicht - nicht in der Jahreszeit und nicht in der Geschichte. Für die Jahreszeit bekunden das die Bauernregeln: Sie beschwören das gute Wetter für den 1. Mai, weil »wenn‘s Wetter gut am 1. Mai, gibt es viel und gutes Heu.« Fakt ist aber ebenso, »Mai kühl und

windig, macht die Scheune voll und pfündig«. Wir kennen die Eisheiligen, die uns vom 11. bis 14. Mai noch mit Frost daherkommen können. Es folgt ihnen der Regen der »feuchten Sophie«. Die entsprechenden gereimten Weisheiten gibt es zuhauf. Nach Expertenmeinung stimmen sie in etwa zwei Drittel der Fälle. Es liegt ihnen nicht zu unterschätzende Erfahrung zugrunde. Linke schauen auf zwei besondere Daten im Mai, auf den 1. Mai und auf den 8. Mai. Übrigens eine Woche, für die wir dieses Jahr, geht es nach den Bauernregeln, kein gutes Wetter erwarten können. »Der Mai kommt so gezogen, wie der November verflogen.« Das hieße für diesmal Schnee und Kälte. Der 1. Mai galt und gilt vielen als »Kampftag der Arbeiterbewegung«; bei jedem Wetter. Manchen ist er schlicht »Tag


Hintergrund

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Zwischen Finanzierungsdesaster und Entwicklungschance Der City-Tunnel Leipzig, das wohl ehrgeizigste Infrastrukturvorhaben des Freistaates Sachsen, ist aufgrund seiner gigantischen Mehrkosten und der verkehrlichen Bedeutung umstritten. Nach seiner Fertigstellung wird er für das zukünftige Mitteldeutsche SBahn-Netz eine zentrale Rolle einnehmen. Daher besteht ein erhebliches öffentliches Informations- und Aufklärungsinteresse an den baulichen und finanziellen Belangen sowie an den realisierbaren Nutzungsmöglichkeiten für den Schienenverkehr. Auf Initiative des Haushaltsund Finanzausschusses des Landtages hat der Rechnungshof das Projekt unter die Lupe genommen. Das Ergebnis der Prüfung bestätigt nun vor allem die Kritiker des Projekts. Maßgeblich der Freistaat Sachsen hatte seit 1995 den City-Tunnel gewollt und manche Bedenken beiseite geschoben. Die Staatsregierung wollte den Bund und die Bahn mit dem Tunnel zwingen, eine Zug-Fernverkehrsanbindung über Leipzig bis nach München zu realisieren. Dies bleibt offenbar eine Illusion. Nunmehr attestiert der Rechnungshof dem Freistaat und somit der Staatsregierung Versagen in mehrfacher Hinsicht. Versagen Nummer eins: Mit dem Rahmenvertrag von 2002 übernimmt der Freistaat die Finanzrisiken. Der Vertrag ist die Ursünde und Ausdruck der damals selbstherrlichen Arroganz der CDU-Alleinherrschaft in Sachsen. Ein Jahrzehnt später kommt uns diese Arroganz teuer zu stehen. Der Freistaat muss die Mehrkosten tragen. Der Bund und auch die Deutsche Bahn, die Eigentümerin des Tunnels wird, bleiben von den Risiken freigestellt. Versagen Nummer zwei: Das Ministerium hat weder die Kosten noch offensichtlich die Abläufe des Bauprojektes im Griff gehabt. Bereits bei der Risikoabschätzung in der Bauplanung hat der Bauherr versagt und sich von trügerischem Freundlichschätzen übermannen lassen. Versagen Nummer drei: Die Staatsregierung hat es nicht zustande gebracht, rechtzeitig nach Feststellung der ersten Kostenexplosionsstufe

Ende 2007/Anfang 2008 die EU-Förderung des Projektes durch die Deutsche Bahn auf den Weg zu bringen. Der erste Antrag auf Förderung ist erst am 5. Februar 2010 beim Bundesverkehrsministeri um eingegangen, und das mit siebenmonatiger Verspätung gegenüber dem Forderungszeitpunkt in der sogenannten Bauherrenrunde. Zudem wissen wir noch nicht, wann und ob dieser Antrag durch die EU positiv beschieden wird. Und viertens versagt der heutige zuständige Staatsminister als Bauherr und als Interessenvertreter der steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger des Freistaates. Bisher hat sich Minister Morlok als unfähig erwiesen, Schadenersatzansprüche zugunsten des Freistaates durchzusetzen. Ministerpräsident Tillich sollte nun alles unternehmen, um die Interessen des Freistaates und seiner Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Er ist bei diesem größten Verkehrsinfrastrukturvorhaben des Freistaates eben nicht nur fürs Sekttrinken und Banddurchschneiden zuständig. Der Bund und vor allem die Deutsche Bahn müssen in die Pflicht genommen werden. Denn die DB AG erhält für einen Mitfinanzierungsanteil von insgesamt 18 Mio. Euro (prognostizierte Gesamtkosten 960 Mio. Euro) einen modernen Eisenbahntunnel mit vier Stationen als Eigentum. Obendrauf werden durch den Zweckverband ZVNL (Schienenverkehr) für jeden Stationshalt und jede Zugdurchfahrt künftig entsprechende Trassen- und Stationspreise zu zahlen sein. Bleibt nach Finanzierungsdesaster und Regierungsversagen die Frage, ob denn dem City-Tunnel etwas Gutes abzuringen wä-

r e ? Fernverkehre werden wohl kaum den Tunnel passieren, obwohl gerade diese die ursprüngliche Zielsetzung waren. Mit dem Verkehrsleistungsvertrag zum

Die Baustelle im Februar 2006. Auch wenn die Baustelle künftig nicht mehr so unmittelbar sichtbar sein wird, werden die Folgen des Projektes den Freistaat noch lange beschäftigen. Mitteldeutschen S-Bahn-Netz vom 7. Februar 2011 wird der Tunnel vor allem die Aufgabe übernehmen, eine neue Qualität für den SPNV/ÖPNV in der Metropolregion Mitteldeutschland zu sichern. Denn mit insgesamt 5 S-Bahn-Linien werden Hoyerswerda, Bitterfeld mit Dessau und Wittenberg, Halle, Altenburg, Zwickau, Plauen, Geithain und gegebenenfalls sogar Hof mit Leipzig verbunden. Das wird mit erheblichen Fahrzeitverkürzungen und teilweisen Taktverdichtungen einhergehen – so für die Linie S 1 zwischen Wurzen und Leipzig-Grünau. Das kann die Attraktivität des SPNV/ÖPNV gegenüber automobil dominierten Pendlerströmen stärken. Darin besteht die Chance für die Region, für den Verdichtungsraum Leipzig-Halle und für eine tiefere Verflechtung

und Kooperation in der Metropolregion. Enrico Stange

Tunnelbesoffenheit In der Nachwendeeuphorie und der sie prägenden Leuchtturmphilosophie war der Glauben an gigantische Infrastrukturprojekte nicht nur in Sachsen nahezu grenzenlos. Kein Wunder also, dass sowohl in Leipzig als auch bei der Staatsregierung in Dresden regelrechte Tunnelbesoffenheit herrschte. Nur eine Partei - die damalige PDS - scherte bei der Beschlussfassung im Leipziger Stadtrat am 14. Juni 1995 aus und stimmte gegen den Grundsatzbeschluss zum Bau des City-Tunnels Leipzig (CTL). Trotz aller vorgetragenen Vorbehalte war allerdings damals noch einmal ansatzweise zu erahnen, dass sich das Projekt in den folgenden 15 Jahren zum größten Debakel der

sächsischen Verkehrspolitik entwickeln sollte. Mit dem nunmehr vorgelegten Gutachten des Landesrechnungshofes zum CTL wird den Verantwortlichen im Freistaat nicht nur

hinsichtlich der Kostenexplosion von 572 auf 960 Millionen Euro ein miserables Zeugnis ausgestellt. Auf 97 Seiten listen die Rechnungsprüfer akribisch ein Register von Planungsfehlern, ein Wirrwarr an Zuständigkeiten, einschließlich der Fördermittelbeantragung, sowie miserables Management der komplexen Abläufe auf. Damit wird die grundsätzliche Kritik der LINKEN an dem unsinnigen CityTunnel zum ersten Mal auf der Basis eines komplexen unabhängigen Gutachtens nachdrücklich bestätigt. Das überteuerte Großprojekt erweist sich als Steuergeld verschlingender Moloch, der schlecht geplant war, in einer Reihe von Details bedenklich ausgeführt wurde und mit dem aktuellen Streit um den Ausbau bestimmter überirdischer Stationen seinen verbliebenen Rest-Nutzen endgültig zu verlieren droht. Wenn es im gesamten Ablauf des CTL mit all seinen Irrungen und Wirrungen überhaupt eine Konstante gegeben hat, dann die, dass ein immer größerer Zahlbetrag beim Freistaat Sachsen hängen bleibt, und zwar mit äußerst zweifelhaftem Nutzen. Volker Külow/Dietmar Pellmann


Die aktuelle Programmdebatte, die

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Sachsens Linke

man auch eine Personalkdebatte nennen könnte und wie es weitergehen soll. Seite 3

Dr. Cornelia Ernst beschreibt wie unsozial Europa und insbesondere Sachsen mit den nordafrikanischen Flüchtlingen verfährt. Seite 6 Michael Leutert zeigt, welche geheimen Ver-

handlungen vor dem sogenannten Atomkompromiss liefen. Seite Und Ralf Richter hat nach dem Abgang KTs Ludwig Renns »Adel im Untergang« wiedergelesen. Seite 23

Programmdebatte debatte. Beiträge zur Programm

Der Mai ist gekommen, und keiner will heraus Nachdenken über freiwillige und Zwangsmobilisierungen am Tag der Arbeit »Alles heraus zum 1.Mai!« Wer in der DDR ein Witzbold war, sich Dissidententum leisten konnte oder über eine gute Ausrede verfügte, nahm die Losung wörtlich und unternahm einen Ausflug. Auch dann, wenn er Grund gehabt hätte, den ursprünglichen Intentionen der Arbeiter in Australien und Amerika aus dem 19.Jahrhundert zu folgen und für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten. Zwang lässt eben den Sinn vergessen. Freiwilligkeit setzt Erkenntnis voraus. Welche Chance für den ersten Mai! Denn die meisten Untertitel und Interpretationen dieses Feiertages bieten nach wie vor jede Menge Anknüpfungspunkte zumindest für Selbstreflexion,

wenn nicht für demonstrative Entäußerungen. Naja, »Kampfund Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus« klingt jetzt doch zu anachronistisch und grenzt außerdem die Bevölkerungsmehrheit aus, die von Vermögen oder Transfers lebt. Und fiele den Vaterlandsverteidigern am Hindukusch in den Rücken oder besser in den Arm. Aber auch in Sachsen heißt der erste des Wonnemonats »Tag der Arbeit« wie meistenteils in Deutschland. Und dazu muss doch jedem von Mobbing bis Mindestlohn etwas einfallen! Bei Wikipedia kann man übrigens lernen, dass die Bundesländer die Bezeichnung dieses Tages eigenständig festlegen. Im ehemals arbeitergeprägten NordrheinWestfalen heißt er immer noch »Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde«. Das ist nicht nur Grundgesetz pur, sondern schon Weltethos, und es

fehlt eigentlich nur noch das Bekenntnis zu Freibier und NächstInnenliebe. Warum verfällt auch der Autor bei der Aufzählung von Werten und Idealen in Ironie? Nichts scheint dem in uns spukenden Zeitungeist suspekter als sich mit Leidenschaft, gar Pathos zu Grundsätzen, Werten, Idealen, großen Zielen zu bekennen. Wo wir doch in der Besten aller Schlechten oder der Schlechtesten aller Besten angekommen sind und das Ende der Geschichte schon einmal nahen sahen. »Gutmensch« lautet eines der beliebtesten Schimpfwörter. Wer noch an irgendetwas glaubt, ist selber schuld. Den Kummer darüber teilen die unbekehrbaren Überzeugungsdenker und Sozialromantiker und Maifeierer mit anderem Nischenpersonal. Der 17.Juni erfuhr im Westen bald die gleiche Metamorphose wie der 1.Mai nach der Wende im Osten. Ein arbeitsfreier Tag eben, für die allermeisten vom Anlass längst entkoppelt. Mit den kirchlichen Hochfesten, die unseren säkularisierten Kalender nach wie vor bestimmen, verhält es sich nicht anders. Wer weiß eigentlich, wie es kam, dass zur heidnischen Wintersonnenwende die Geburt eines göttlichen Kindes – das ist doch jedes, oder? – den Einschlag junger Tannenbäume und hektische Kaufaktivitäten auslöste? Und wer begreift noch, warum honorige Herren mit Zylinder auf geputzten Gäulen am Ostersonntag fremde slawische Lieder durch die Lausitz tragen? Osterreiter bieten immerhin noch einen weit höheren Unterhaltungswert als Ostermarschierer! Damit nicht genug der Widrigkeiten, die neuerlichen Manifestationen Hunderttausender am 1.Mai entgegenstehen. Den Kick der Stadtguerillas einmal ausgenommen, sich bei dieser Gelegenheit in Berlin und anderswo wieder einmal mit den Scheißbullen messen zu

können. Das Bänkellied »Bolle reiste jüngst zu Pfingsten …« gehört heute auf den 1.Mai datiert, zumindest die Keilerei betreffend. Im Ernst: Der Leidensdruck scheint nicht einmal an den Rändern der Gesellschaft groß genug, als dass chronische Probleme der verweigerten oder der gnädig gewährten Arbeit zum Protest auf die Straße drängten. Spätestens mit Hartz IV reifte die fatale Erkenntnis, dass ein schwindender Teil der betroffenen Bevölkerung überhaupt noch willens und in der Lage ist, die eigenen Interessen wahrzunehmen. Gefragt sind stattdessen Stellvertreter, Anwälte und Sündenböcke. Und Ossis schlucken bekanntlich alles, wie der ehemalige Musterossi Stanislaw Tillich mit Blick auf den Leipziger City-Tunnel und andere Großprojekte glauben machen wollte. Aber, aber so pessimistisch? Gibt es nicht »Stuttgart 21«, ist nicht die »21« zu einer Dachmarke von zivilgesellschaftlichen Protesten verschiedenster Couleur geworden? Da ist Hoffnung, auch wenn diese Themenfelder mit der sozialen Frage weniger zu tun haben. Erscheint die »Dachmarke »1.Mai« zu abstrakt? Und dann fällt der Tag der Arbeit in diesem Jahr auch noch auf einen Sonntag! Dafür gibt es in diesem Jahr einen sehr konkreten Anlass, Haltung und vielleicht sogar Präsenz zu zeigen. Die vom 1.Mai an geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU nehmen die Jünger der 1933-er zum Anlass, wieder einen »Tag der nationalen Arbeit« auszurufen. So nannten ihn die Nazis, die peinlicherweise erst den Feiertag für alle gesetzlich festlegten. Heute ziehen sie gegen die »Fremdarbeiterinvasion« zu Feld. Dagegen kann man nicht mit einem Maiwiesenpicknick protestieren. Korrigieren wir eine der parodistischen Mailosungen aus der DDR: »Es ist noch viel zu tun, warten wir es nicht ab!« Mark Spitz

Solide Politik Die aktuellen Debatten in der LINKEN versperren manchmal den Blick. So ist weithin untergegangen, dass wir einen weiteren hauptamtlichen LINKEN Bürgermeister – den 11 in Sachsen - haben. Bereits am 27. März wurde Harald Wendler in Geyer im ersten Wahlgang mit 69 Prozent in das Amt des Bürgermeisters gewählt. Geyer befindet sich wie die meisten Kommunen in einer schwierigen Situation: Verwaltung und Stadtrat rechnen damit, dass die Stadt sich noch bis Ende 2014 in einer finanziellen Ausnahmesituation befinden wird. Das liegt nicht »nur« an den Fördergeldrückzahlungen – der Freistaat Sachsen verlangte 2,9 Mio. Euro Fördermittel zurück - sondern auch an Kreditschulden von fast 6 Millionen Euro. Umso ambitionierter sind die Ziele von Harald, der ab 1. Januar 2015 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen will.. Kommunalpolitik schärft den Blick auf die Realität, denn die Lage in den Kommunen ist teilweise bedrohlich und wirft viele Fragen auf. Was ist mit der verfassungsmäßigen Selbstverwaltung? Welche finanziellen Spielräume bleiben? Wie lässt sich der demografische Wandel von links «angehen”? Trotzdem lassen sich linke Ziele mit solider realistischer Sachpolitik angehen, Ziele wie Solidarkommune, Demokratisierung von Haushaltspolitik, kommunale Demokratieprojekte oder Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen. Auch wenn es in Geyer zunächst um existenzielle Fragen geht, ist diese Politik gefragt, denn das Ergebnis war eindeutig. Wir gratulieren Harald aufs Herzlichste und wünschen viel Erfolg! Antje Feiks


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Meinungen Rita Kring, Dresden zu »Wachstumsbranche Vernunft« (SL 4/11) Bei uns existiert keine Demokratie (Volksherrschaft), sondern eine Diktatur des Kapitals, oder laut Marx des Besitzbürgertums. Eine solche kann natürlich herbeigebombt werden. Die zivilen Bombenopfer und die Zerstörung der Infrastruktur wird dann gern in Kauf genommen. Dies erzeugt neue Absatzmärkte für die Produkte aus den Bomberstaaten. Außerdem wird so der Zugriff auf das Öl erleichtert. Bei Gaddafi bestand immer die Möglichkeit, dass er das Erdöl unter eigene Kontrolle stellte. Deshalb wird nur Libyen bombardiert. Wenn es dagegen um die Verhinderung von Massakern geht, so sind die NATOStaaten für viel mehr Tote verantwortlich als Muhamar al Gaddafi. Somit müssten nach dieser Logik zuerst die NATOStaaten bombardiert werden. Dies lehne ich auch ab. Tilo Hellmann zum Leserbrief von Waldemar Peine zur Mandatszeitbegrenzung Wir sollten in unserer Partei aufhören, dem Irrglauben zu verfallen, dass aktive Politik, vor allem auf Landes- und Bundesebene, lediglich als altruistischen Gründen praktiziert werden soll. Es ist ein Karriereweg, den man allerdings nur mit einer gewissen Passion einschlagen kann. Waldemar Peine ist sich anscheinend nicht bewusst, was gerade für junge, gut ausgebildete Parteimitglieder der Schritt in die aktive Politik bedeutet. Wir sind hier nicht in CDU und FDP, wo nach dem Ausscheiden aus Parlamenten ein auskömmliches Leben in irgendwelchen Chefetagen gesichert scheint. Wenn die Partei jungen engagierten Menschen die Perspektive nimmt, so wird es uns zunehmend schwerer fallen, fähige Parlamentarier zu akquirieren. Die älteren, verdienten Genossen, denen wir das dann zu verdanken haben, können in diesem Fall aber auch nicht mehr einspringen.

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeber: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Klaus Dietrich, Bautzen zur »Personaldebatte in der Linken Jetzt?« Eine Personaldebatte oder gar Auseinandersetzung zwischen Personen lehnen wir ab. Sicher haben wir nicht das stärkste Führungsduo unter Federführung eines Gregor Gysi an die Parteispitze gewählt. Auch aus dem KarlLiebknecht-Haus sind derzeit nicht die vorwärtsweisenden Impulse zu verspüren. Egal ob Ernst oder Lötzsch sich wechselweise ein Fettnäpfchen aussuchten, sie traten mit Sicherheit hinein und hinterließen nicht immer einen souveränen Eindruck (Gehaltsdiskussion, Kommunismusdebatte). Es ist an der Zeit, sich strategisch mit der Entwicklung der politischen Ausrichtung in der Linken zu beschäftigen. Viele unserer Mitglieder fragen sich, was wollen die als Reformer in der Partei bezeichneten Funktionäre und Abgeordneten an wirklichen gesellschaftlichen Veränderungen erreichen? Wie erzielen sie einen hohen Glaubwürdigkeitsgrad in der Bevölkerung? Zieht es viele von ihnen gar lieber zu grün-sozialdemokratischen Beziehungsgeflechten und damit zur Therapie am Heilungsprozess des mehr als kranken Finanzmarktkapitalismus? Koalitionen auf dem Weg in einen demokratischen Sozialismus sollen natürlich mit der Linken gebildet werden! Aber nicht mit dem Preis des Verrats an unserer Idee! Dann muss auch einmal eine Koalition verlassen werden! Uwe Schnabel, Coswig zu »Zukunft der Arbeit« (SL 4/11) Ein bedingungsloses Grundeinkommen beseitigt zuerst die Existenzangst und den Zwang zur sinnlosen Tätigkeit. Damit wird die Zeit und die Möglichkeit gegeben, sich für die eigene Emanzipation und die anderer Menschen einzusetzen. Das schließt auch den Einsatz zur Überwindung der von Sabine Zimmermann kritisierten Verhältnisse mit ein.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer

Dagegen führt es nicht automatisch zur Überwindung von Erwerbsarbeit, speziell von abhängiger Beschäftigung. Aber es vermittelt die Einsicht, dass ein menschenwürdiges Leben nicht an Erwerbsarbeit gebunden ist. Außerdem kann es zunehmend nichtmonetär (z.B. kostenlose öffentliche Verkehrsmittel, kostenlose Bildung, kostenlose Gesundheitsversorgung) gestaltet werden. Zudem ermöglicht es im begrenzten Rahmen alternative Wirtschaftskreisläufe, die nicht auf Erwerbsarbeit beruhen (z.B. Nachbarschaftshilfe). Neben der erwähnten stärkeren Möglichkeit zu politischen Aktivitäten fördert somit ein bedingungsloses Grundeinkommen die Überwindung der Erwerbsarbeit. Jürgen Eibicht für DIE LINKE, Basisgrupe Neukirchen/Jahnsdorf In den Bundesländern BadenWürttemberg und RheinlandPfalz, in denen Arbeitslosigkeit und Hartz IV so gut wie keine Rolle spielt, ist allein mit sozialen Themen kein Blumentopf zu gewinnen. Gerade in diesen beiden Ländern muss die LINKE auch gesellschaftpolitische und wirtschaftspolitische Kompetenz nachweisen. Gesine Lötzsch hat zum Beispiel von den Berichten aus Japan von »einer Dauerwerbesendung für die Grünen« gesprochen. Aber wir haben doch auch etwas zum Atomausstieg zu sagen. Es kann doch kein Problem sein, von der Nordsee bis nach Bayern neue Überlandleitungen zu bauen. Das ist doch schon in der Zeit des »marodem Scheinsozialismus« gelungen. Im Osten stehen die Leitungen vom Ural bis nach Tschechien. Warum macht sich die LINKE nicht stark für eine europäische Eisenbahn unter staatlicher Aufsicht angesichts der über 400 Privatbahnen, die es allein schon in Deutschland gibt. Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden zu Uwe Schaarschmidts Artikel »Wachstumsbranche Vernunft« (SL 4/11) Der Bundesvorstand der Linkspartei nahm am 20. März

Auflage von 17.650 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Tom Schumer, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Jörg Teichmann, Ralf Richter Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Internet unter www.sachsenslinke.de

zur imperialistischen Aggression gegen Libyen Stellung. Der Beschluss gefällt Uwe Schaarschmidt nicht. Worin bestehen die von Schaarschmidt prophezeiten Sünden? Die Linkspartei wende sich mit deutlichen Worten gegen die Luftangriffe auf die libysche Armee. Die Linkspartei behaupte, dass man Demokratie nicht herbeibomben könne. Die Linkspartei empfehle, Sanktionen gegen Gaddafi zu verhängen, statt Bomben zu werfen – Entspricht das aber nicht dem Völkerrecht, das Schaarschmidt mit keinem Wort erwähnt? Gisela Tegler zum Artikel von Rico Gebhardt »Die richtigen Lehren ziehen« Auch wenn es den Linken nicht gelungen ist, in die Landtage von Mainz und Stuttgart einzuziehen, zeigen doch die Wahlkämpfe an der Basis, die Partei hat sich weiterentwickelt. Dort wo die Genossen sich offen und ehrlich dazu bekennen, dass diese Partei angetreten ist, um dieses Land sozialer und friedlicher zu machen, stellen sich auch Wahlerfolge ein. 20.000 mehr Stimmen als 2006 in SachsenAnhalt ist doch kein schlechtes Ergebnis. Wir brauchen keine neuen Themen, diese sind gesetzt. Was wir aber tun müssen: diese noch intensiver den Bürgern erläutern. Damit das auch gelingt, müssen die Genossen an der Basis viel mehr theoretische Hilfe und Unterstützung erhalten. Meines Erachtens gilt es sich noch stärker mit der unglaubwürdigen Politik der SPD und der Grünen auseinanderzusetzen. Die inhaltliche Auseinandersetzung, um eine friedliche Außenpolitik, die Stärkung des Sozialstaates, um Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse, die Neuordnung der Weltfinanzmärkte, um eine umweltgerechte Energiepolitik muss weitergehen. Überall dort, wo wir ohne Schnörkeleien mit Offenheit uns zu unserer Herkunft und Zukunft bekennen und nicht nur nach Wahlerfolgen schielen, werden wir Erfolg haben.

Kontakt: kontakt@dielinkesachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 19.4.2011. Die nächste Ausgabe erscheint am 9. 6. 2011.

Glossiert Die Filmkunst der Bundes-Uschi

Von Uwe Schaarschmidt Nun haben wir es amtlich: Hartz IV-Empfänger sind nicht nur rauchende, saufende Asoziale, sondern auch noch Rabeneltern dazu. Seit einigen Wochen rührt die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, die Werbetrommel für ihr so genanntes Bildungs- und Teilhabepaket. Kaum eine Talkshow oder Pressekonferenz, während der die Ministerin nicht mit Plissee auf der Stirn die Worte »warmes Mittagessen« als »Waaarmes Mittak Esssen« aussprach und dabei in die Linse illerte, wie Nina Hagen auf Speed. Kinobesucher und Menschen, die sich Nachrichtenvideos im Internet ansahen, wurden durch vorgeschaltete Beiträge des Ministeriums um Spaß und Informationsgehalt gebracht, in denen traurige Kinder im Verlauf des Filmchens zu kleinen Fußballstars und »Jugend forscht!«Aspiranten mutierten. Und jetzt wollen die Eltern das alles nicht! Sagen jedenfalls die für die Zuweisung der Gutscheine verantwortlichen ARGEN und Jobcenter. Gerade mal 2 Prozent der Anspruchsberechtigten hatten Mitte April die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragt. Ein gefundenes Fressen für die reichsblonde Qualitätsmutter mit der Vorliebe für betroffene Grimassen: Schuld sind natürlich die Eltern! Tatsächlich – die Hartz IV-Mütter und Väter hatten es versäumt, sich bei ihren Kinobesuchen und auf ihrer täglichen Nachrichtenjagd auf SpiegelOnline und Welt.de umfassend und in Farbe über ihre kommenden Paketdienstleistungen informieren zu lassen. Die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping hatte es geahnt und deshalb vorgeschlagen, alle Eltern der 2,5 Millionen bezugsberechtigten Kinder anzuschreiben und umfassend über ihre neuen Rechte zu informieren. Dies wurde selbstverständlich abgelehnt. Stattdessen wurden 2,6 Millionen Euro in die Videound Plakatkampagne gesteckt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Informationschaos, und »Bild«, Deutschlands Fachmagazin für Altersgeilheit und lumpenproletarischen Neid, hat Stoff für die nächste Hetzkampagne. Das Frau von der Leyen nun nach öffentlichem Druck doch plant, die Familien persönlich anzuschreiben zeigt zweierlei: wie unausgegoren die gesamte Planung des Projektes ist – und wie wichtig es ist, die Tricksereien der Bundesregierung nicht widerspruchslos hinzunehmen.


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Kritik als Wert an sich Wir befinden uns als Partei schon seit längerem in einer Identitätskrise. Seit Ende 2009/2010 haben wir gleichzeitig ein Problem mit unserem Führungspersonal. Viel Zeit und viel Kraft wurde investiert, um dieses Problem zu bewältigen. Gelungen ist es uns bis heute nicht. Die Identitätskrise kann man auch erklären mit unserer, im Moment nicht geklärten Aufgabe und Rolle im Parteienspektrum. Nun hat sich die Debatte innerhalb und außerhalb der Partei in den letzten Wochen verstärkt. Kritik, auch an meinen Äußerungen, nehme ich ernst und will an dieser Stelle noch mal einige Positionen deutlich machen. In einem von mir mitverfassten Papier, welches die Überschrift trägt »Konsequent sozial bleiben und neue Schritte gehen«, habe ich mich dazu bekannt, »dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben nachzuvollziehen, in welche Richtung die LINKE gehen will, welche Positionen es gibt und welche Wege diskutiert werden. In diesem Sinne wünschen wir uns endlich eine Kultur, die Kritik als einen Wert an sich begreift.« Damit spreche ich mich für eine öffentliche Debatte über unsere Strategie aus. Jedoch setzt dies voraus, dass wir einen offenen und solidarischen Umgang in der Debatte pflegen. So schreiben wir weiter im schon erwähnten Text »Kritik und Debatten sind substantiell wichtig für die Entwicklung einer linken Partei. Dies als schädlich für die Partei zu bezeichnen und das Beharren auf dem Status Quo führt

zu Stillstand, Langeweile und schließlich zur Unfähigkeit auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.« »Wir brauchen eine Debatte über die Adressatinnen unserer Politikangebote. Sind wir nur die Interessenvertreterinnen von sozial Ausgegrenzten und Arbeitnehmerinnen? Oder gibt es ein sehr viel breiteres gesellschaftliches Spektrum, das sich an einer Veränderung der Gesellschaft beteiligen würde, wenn wir uns dafür öffneten? Das würde erfordern, Themen wie Demokratie, Ökologie (nicht nur Atomkraft) und Geschlechtergerechtigkeit nicht länger zu eher unwichtigen Randerscheinungen der ‚eigentlich‘ linken Politik zu degradieren, sondern sie stattdessen als Bestandteil des sogenannten Markenkerns zu behandeln, zu kommunizieren und nach innen authentisch zu leben. Das ist etwas anderes als einfach ergänzend weitere Forderungen zu erheben.« schreiben MdB Cornelia Möhring und MdB Ulrich Maurer in einem Papier an alle Bundestagsabgeordneten. Da kann ich beiden AutorInnen nur zustimmen und nicht anders habe ich es gegenüber der »Leipziger Volkszeitung« vom 8. April 2009 gesagt, als ich darauf hingewiesen habe, dass wir auch andere Themen brauchen. Uns als LINKE würde es z.B. gut zu Gesicht stehen, das Thema Demokratie mehr in den Mittelpunkt unserer politischen Agenda zu rücken. In der »Freien Presse« vom 12. April konnte man lesen, dass wir auch Lösungsansätze bei den Fragen Energiepolitik, bei Öko-

logie, Strukturwandel und bei der Globalisierung anbieten müssen, immer verbunden mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit. Von uns. Den LINKEN! Weil wir die Einzigen sind, die dies authentisch machen können, so wie die Grünen authentisch den Atomausstieg fordern und vorantreiben können. Dies muss ihnen weder vorgeworfen, noch mit radikaleren Forderungen überboten werden. Die Botschaft von Gesine Lötzsch vom 16. April 2011 »Nur wenn die Energiewende sozial verträglich angegangen wird, ist sie auch ökologisch.« geht genau in die richtige Richtung. Im Übrigen hat der letzte Landesparteitag der LINKEN in Sachsen sich mit dem Thema Energiestrategie für Sachsen beschäftigt und da findet ihr den Satz: »Der Sozialtarif soll mit einem Bonus von 500 Euro pro Jahr und Haushalt aus-

gestattet sein und der darüber liegende Verbrauch muss bezahlt werden, um einen Anreiz zum Energiesparen zu signalisieren.« Hier verbinden wir unsere Positionen mit konkreten Vorschlägen. Die Idee dafür haben wir in Belgien gefunden. Also, ich will die soziale Frage als Kerngeschäft der LINKEN nicht in Frage stellen. Ich will jedoch vermeiden, dass wir in der Öffentlichkeit das Bild vermitteln, immer nur die gleichen Antworten zu geben, denn aufgrund neuer Rahmenbedingungen brauchen wir immer wieder auch neue Antworten. Auch hier bin ich wieder sehr bei Cornelia Möhring und Ulrich Maurer, die in dem erwähnten Papier schreiben: »Wie wir unsere Ziele erzählen, wie wir taktisch agieren, ist einem stetigen Wandel ausgesetzt«. Deswegen: Denkverbote darf es nicht geben,

zu keiner Zeit! Und wenn wir es versäumt haben, zum richtigen Zeitpunkt neue Antworten zu geben, dann müssen wir darüber reden. Neben unserem thematischen Profil müssen wir natürlich über die Aufgabe und Rolle der LINKEN und ihrer Verankerung im außerparlamentarischen und parlamentarischen Raum sowie ihre Zweckbestimmung für die WählerInnen und Wähler sprechen. Vieles von dem von mir angesprochenen machen wir gerade in Sachsen. Vielleicht müssen wir noch mehr darüber reden. Was ich von der Bundesebene einfordere, habe ich vorher mit den Mitgliedern des Landesvorstandes und vieler weiteren Gremien angeschoben und zum Teil umgesetzt, auch aus diesem Grund können und sollten wir uns als Sachsen zu Wort melden. Rico Gebhardt

angedeutet, aber nicht nachvollziehbar ausgeführt und ins Verhältnis zu unserer praktischen Politik gesetzt. Schon die Auseinandersetzung mit den von Lenin beschriebenen Hauptmerkmalen einer revolutionären Situation würde, so man sie anerkennt, erhebliche Auswirkungen auf unser Wirken auf allen Ebenen haben. Z.B. das Merkmal »Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus« rückte zahlreiche unserer Kämpfe und Erfolge, genannt sei nur der wichtige und zentrale Kampf um Mindestlöhne, in ein anderes Licht. Solange jedenfalls das Entstehen einer revolutionären Situation nur als wage Erwartung benannt wird, spielt sie keine prakti-

sche Rolle für unsere Politik. Die nun auch ohne Beschlüsse des Parteivorstands (der diese bald sicher nachholen wird) bevorstehende strategische Debatte muss unser Profil als sozialistische Partei schärfen. Das Thema der sozialen Gerechtigkeit muss auf allen Politikfeldern durchgearbeitet, konzeptuell untersetzt und artikuliert werden. Die LINKE muss sich dabei als Partei beweisen, in der man nachdenken und darüber reden darf, die also interessant und attraktiv ist. In der also Pluralität linken Denkens fest verbunden ist mit einer Kultur der gegenseitigen Anerkennung, der Ermöglichung und der Beteiligung. Dann klappt’s auch wieder mit den WählerInnen. Stefan Hartmann

Braucht DIE LINKE eine Strategiedebatte? In der Parteivorstandssitzung nach den Wahlen in BadenWürttemberg und RheinlandPfalz war dies einer der zentralen Diskussionspunkte. Eine Minderheit der Vorstandsmitglieder, zu denen auch ich gehörte, brachte zum Ausdruck, dass die Auswirkungen der Katastrophe in Japan als Erklärung für unser schlechtes Wahlergebnis nicht ausreicht. Vielmehr sei ein bereits länger andauernder Prozess zu beobachten, in dem unsere Anerkennung bei Wählerinnen und Wählern langsam, aber konstant schrumpft. Dem entgegen gehalten wurde, wer jetzt eine Strategiedebatte wolle, schade der Partei. Hinter den Forderungen danach würde das Interesse stehen, sich der SPD anpassen und dafür unser Pro-

fil weichspülen zu wollen. Ich bin der Auffassung, dass eines unserer größten Probleme darin besteht, immer mehr als SPD light wahrgenommen zu werden. Dieses Land braucht keine zweite sozialdemokratische Partei, weder in der Schröder-Variante, noch in der Vor- bzw. Nach-Schröder-Spielart. Unsere richtige Ablehnung von HartzIV, von Rente erst ab 67 oder von Kriegseinsätzen bedarf dringend der öffentlich wahrnehmbaren Untersetzung jenseits von Vorstellungen, die ebenso ein Sozialdemokrat entwickeln könnte. Die Konzentration unserer politischen Arbeit auf die Auseinandersetzung mit der SPD macht uns auf Dauer nur zu deren Spiegelbild. Sozialistische Politik bedarf der Erar-

beitung eigener Substanz, also tagespolitisch orientierter Konzepte, die zugleich einen transformatorischen Charakter haben. Diese sind nur dann glaubwürdig, wenn sie sich an den Bedürfnissen und Interessen ausrichten und zugleich auch als umsetzbar erscheinen. Es gibt in unserer Partei ausreichend viele Ideen für solche transformatorischen Ansätze, sei es im Bereich der sozialen Frage in Verbindung mit der ur-linken Kritik der Lohnarbeit, des wachstumskritischen Denkens, der Demokratieentwicklung usw. Vorstellbar ist auch eine weitere Variante, nämlich die rationale Auseinandersetzung mit dem Thema eines revolutionären Umbruchs. Diese wird immer mal


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Debatte

Die Verfasser dieses Beitrages haben sich das Ziel gestellt, einen bescheidenen Beitrag zur Diskussion des Parteiprogramms zu leisten. Wir wollen vor allem Anregungen zur Diskussion, besonders auch zum Thema »Erwerbsarbeit«, liefern.

Klassenkampf von unten wagen! Welche politischen Ziele wollen wir anstreben und wie wollen wir diese Ziele erreichen? Reichen hierfür Demonstrationen und Unterschriftensammlungen aus? Oder können erst die in Gewerkschaften organisierten Erwerbstätigen mit machtvollen Streiks (einschließlich Generalstreiks) diese politischen und sozialen Ziele erkämpfen? Sehr wichtig sind auch die im Vergleich zu den sozialen Protesten machtvollen Demonstrationen von Bürgerbewegungen gegen die Auswüchse des staatsmonopolistischen Kapitalismus (z.B. Kampf gegen die staatliche Förderung der Kernenergie, gegen staatliche Überwachung, gegen superteure Bauvorhaben). Welche Alternativen gibt es zu »Hartz IV«? »Hartz IV muss weg« – diese Losung ist richtig! Welche Sozialpolitik wollen wir aber ent-

gegensetzen? Soll es nur eine bessere materielle Versorgung der Langzeit-Erwerbslosen sein ? Oder wollen wir uns dafür einsetzen, dass jeder Arbeitslose, der es wünscht, wieder eine Erwerbsarbeit entsprechend seinen Fähigkeiten erhält? In dieser Frage sollte es kein Entweder-Oder geben. Wir fordern eine sanktionsfreie armutsfeste Grundsicherung. Das Recht auf Beschäftigung, von der man leben kann, und ein Leben in Menschenwürde sind wichtige Grundpfeiler linker Politik. Wehren wir uns gegen die Spaltung der erwerbsfähigen Bevölkerung in eine bis zur physischen und psychischen Erschöpfung ausgebeutete Stammbelegschaft, prekär Beschäftigte und Dauer-Arbeitslose. Erste Schritte sind ein gesetzlicher Mindestlohn von 10 € / Stunde und eine gleiche Entlohnung von Leiharbeitern wie die Stammbelegschaft ab der ersten Arbeitsstunde. Es gibt nicht zuwenig Arbeit, sondern es wird zuwenig Arbeit bezahlt! Oftmals hört und liest man als Begründung für die immer noch dauerhafte hohe Arbeitslosigkeit, es würde zuwenig Arbeit geben. Auch hier es wieder das Gegenteil der Fall. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht fällt demnächst auch der Zivildienst weg. Damit gibt

Foto: Rita Köhler @Pixelio

Für eine revolutionäre Reform

es einige Tausend Zivildienstleistende weniger, die bis jetzt im Gesundheitswesen und Altersheimen eingesetzt wurden. Die Regierung denkt jetzt über Freiwilligendienste nach. Absolventen von Schulen, aber auch Rentner, sollen demnächst für ein geringes Taschengeld diese gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten verrichten. Die Jugendlichen werden damit auch weiterhin materiell von ihren Eltern abhängig sein. Es wird endlich Zeit, dass die politisch Verantwortlichen die Arbeitsplätze

der Zivildienstleistende in versicherungspflichtige Arbeitsplätze umwandeln. Für einen konstruktiven und sachlichen Meinungsstreit ohne Denkverbote ! Die gegenwärtige Entwicklung in unserer Partei betrachten wir mit Sorge. Angriffe von Mitgliedern des Bundesvorstandes oder der Bundestagsfraktion tragen höchstens zur Verunsicherung und Verwirrung der eigenen Mitglieder und der Wählerinnen und Wähler bei. Wir fordern Sacharbeit und keine Grabenkämpfe, kei-

ne persönlichen Angriffe untereinander. Liebe Genossinnen und Genossen im Bundesvorstand, wollt ihr die Wahlen in diesem Jahr durch derartige Angriffe gefährden? Wo bleibt die inhaltliche Arbeit, was wird den Bürgern vermittelt? Jede und jeder muss das Recht haben, sich über die Zukunft der Gesellschaft Gedanken zu machen. Dazu gehört auch, sich über die Gestaltung einer sozialistischen / kommunistischen Gesellschaftsordnung und den Weg hierzu zu äußern. Frank Urban, Bernd Trepte

Linke heute befleißigt. Dennoch ist eine linke Kulturpolitik keine gänzlich unpolitische, das kann sie auch nicht sein. Wenn Faber das anders sieht, dann liegt das an seinem Kulturverständnis. Dem Kulturbürgermeister ist zu entgegnen, dass es die Kultur im Singular nicht gibt. Die eine, »allen Generationen und allen sozialen Milieus zur Verfügung« stehende Kultur ist eine Fiktion. Welche wäre das? Kultur als eine Gesamtheit aufzufassen, egal ob als »ein gesellschaftliches Gut« oder als die »Summe unseres geistigen Lebens«, entspricht einem traditionellen Kulturverständnis, das modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften längst nicht mehr gerecht wird. Linke Kulturpolitik basiert auf einem pluralen Kulturverständnis: Kultur im Sinne einer Vielfalt (alltags)kultureller Praktiken und deren jeweiliger symbolischer Dimension. Das Augenmerk liegt hier auf den kulturellen bzw. künstlerischen Alttagspraktiken der Subjekte, die mit ihrem Tun

Kulturen schaffen und soziale Wirklichkeiten hervorbringen. Weniger die integrative Funktion von Kultur auf der Basis einer Gemeinsamkeit von Werten und Bedeutungen wird hier betont als vielmehr deren Mannigfaltigkeit und Unterschiedlichkeit, die schließlich ihre Kontroversität und Konflikthaftigkeit bedingen. Die Konfliktaustragung hat freilich auf eine spielerische Weise zu geschehen. Kultur ist - mit anderen Worten - ein stets umkämpftes Feld. Sie ist nichts, was unveränderlich und von allen geteilt über der Gesellschaft steht; sie ist vielmehr in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingebettet und geht aus diesen hervor. Der soziale Kampf setzt sich in der Sprache und in den Texten als ein Kampf um die Bedeutung fort. Für Theater- und Opernaufführungen gilt dasselbe, ebenso wie für Musikund Lebensstile etc. Der umkämpften Symbolik sozialer und kultureller Unterschiede war sich schon Gottfried Keller bewusst, der sie in seiner Novelle Kleider machen Leu-

te aus dem Jahr 1856 verarbeitete. Als eine umstrittene und umkämpfte Praxis ist Kultur in dauernder Veränderung begriffen. Auf der linken Seite des politischen Spektrums spricht man deshalb von einer »Politik des Kulturellen«. Wobei das Kulturelle sowohl die Praxis der Kulturarbeit, einschließlich der Künste, als auch die kulturellen Alltagspraktiken und Lebensweisen der Menschen, den Warenund Medienkonsum z.B. und die Entstehung von Lebensstilgemeinschaften umfasst. Das Politische daran meint eine kulturelle und künstlerische Praxis der intellektuellen und politischen Selbstermächtigung und nicht der Unmündigkeit und Unterwerfung unter das Bestehende. Zu dem Zweck bemüht sich DIE LINKE, die sozialen und kulturellen Grundlagen einer dialogfähigen, gerechten Gesellschaft zu sichern und auszubauen. Faber selbst ist dafür das beste Beispiel. Oder schreibt ihm Leipzigs LINKE vor, wie er kulturpolitisch zu agieren hat? Jochen Mattern

Unpolitische Kulturpolitik? Unter der Überschrift »Kulturelle Liberalität« äußert sich Michael Faber, Leipzigs Kulturbürgermeister, im Interview mit Links!, der Zeitung für »Politik und Kultur in Sachsen« vom April 2001, zu seinen Vorstellungen von Kultur und Kulturpolitik. Auf die Frage, warum er Bürgermeister für die Linke geworden sei und ob es für seinen Entschluss »korrespondierende kulturpolitische oder weltanschauliche Positionen« gebe, antwortet Faber, dass er einen anderen kulturpolitischen Ansatz verfolge als die Linke. Worin seiner Ansicht nach der Unterschied zur Kulturpolitik der Linken besteht, erläutert er folgendermaßen: »Die Kultur sollte nicht politisch administriert sein. Kultur ist ein gesellschaftliches Gut, das allen Generationen und allen sozialen Milieus zur Verfügung steht, und wenn wir nun einmal in einer Gesellschaft leben, die sich stark über Sozial- und politische Verbände definiert, dann sollte Kultur möglichst fraktionslos sein.« Fabers Äußerungen sind gleich in mehrfacher Hin-

sicht kurios. Sie offenbaren ein reichlich antiquiertes Kulturverständnis, und sie beruhen auf der Unterstellung, die Linke wolle Kultur politisch administrieren. Dass Faber als Verwaltungspolitiker, als Administrator also, bekundet, Kultur nicht politisch administrieren zu wollen, kann hier dahin gestellt bleiben, handelt es sich doch um einen Selbstwiderspruch. Nur so viel dazu: Ohne Administration geht es in Kulturdingen nicht ab. Kulturpolitik hat die Aufgabe, die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer eine vielfältige kulturelle und künstlerische Betätigung möglich ist. Nichts Anderes tut ein Kulturbürgermeister. Dass Faber der Linken jedoch unterstellt, und hier kann ja wohl nur die parteipolitisch organisierte LINKE gemeint sein, sie wolle politisch Administrieren, Kunst und Kultur folglich ans parteipolitische Gängelband legen, kann nicht unwidersprochen bleiben. Ein solches Ansinnen widerspricht der kulturpolitischen Praxis, derer sich die


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LINKE auf dem Kirchentag Erstmalig wird der Deutsche Evangelische Kirchentag vom 1. - 5. Juni 2011 in Dresden stattfinden – nach Leipzig 1995 zum zweiten Mal in einem ostdeutschen Bundesland. Die evangelischen Kirchentage verstehen sich als Laienbewegung im Protestantismus, die nach 1945 an die 1939 verbotenen Bibelwochen der Bekennenden Kirche (BK) anknüpften. Von Beginn dem Wort des Bruderrates der Evangelische Kirche (1947) verpflichtet, stimmten sie der Losung von Buchenwald zu: »Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg«. Kirchentage wollen Räume für kritische Dialoge sein, an dem Parteien und Stiftungen teilnehmen können. Sie sind Orte der aktiven, religiös gebundenen Bürgerschaft, all jener, die vor allem in sozialen Bereichen der Gesellschaft arbeiten oder ehrenamtlich tätig sind, also jene, die mit den Folgen sozialer Polarisierung, zunehmender Armut und individuellen Scheiterns konfrontiert sind. Das macht Kirchentage zu einer Möglichkeit, dass Linke jenen begegnen, die nicht parteipolitisch, aber aus religiöser Überzeugung gesellschaftlich aufgeschlossen und aktiv sind. Der Dresdener Kirchentag steht unter der Losung: »… denn wo Dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein«. Dieses Wort aus der Bergpredigt (Matth. 6, 21) habe – so Dr. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Ev. Kirchentags – den »Menschen in Diktaturen Orientierung gegeben«. D.h. Fragen der Wiedervereinigung, gesellschaftliche Aufbrüche, unterschiedliche Transformationen in postsozialistischen Staaten

sollen diskutiert werden. Im Programm gibt es kaum aktuelle soziale Fragen in Europa. Ob es bei dieser Zurückhaltung bleibt, ist vor dem Hintergrund der bedrohenden atomaren Katastrophe in Japan und der gesellschaftlichen Aufbrüche in den nordafrikanischen Ländern noch offen. Obwohl seit Jahrzehnten auf Kirchentagen ein klares Nein zu Atomwaffen und Atomkraft proklamiert wurde, ist noch offen, ob es zum Thema Aktionen geben wird. So demonstrierten 2006 in Köln über 50.000 Teilnehmer des Kirchentags zeitgleich gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm, 2011 kann Dresden zu einem Zeichen gegen Rechts, gegen Atomkraft und Krieg werden. An diesem Kirchentag aktiv beteiligt zu sein, sehen wir als konstruktive Herausforderung der Linken. Präsentation der Rosa Luxemburg Stiftung: Die RLS wird das Motto des Kirchentags: »Wo Dein Schatz ist … da wird Dein Herz sein« gesellschaftskritisch hinterfragen. Uns geht es darum, Strukturen aufzuzeigen, dass die »Schätze« der Gesellschaft - wie z.B. ein Leben in Würde und sozialer Sicherheit, gesunder Umwelt, Bildung, Arbeit, Gesundheit und Kultur etc. allen BürgerInnen zugute kommen müssen. Zusammen mit Christen werden wir protestieren gegen soziale Ungleichheit - lokal, regional, europaweit und global. Der für das Kirchentagsprogramm zentral gesetzte Begriff der »Freiheit«, soll kritisch aufgegriffen werden: Wie viel Freiheit aber auch Gleichheit braucht es, um allen BürgerInnen eine würdige Existenz zu sichern? Gleichzeitig fra-

gen wir, was es bedeutet auch für Afghanistan ein friedliches Leben in Freiheit und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Welche Verantwortung gilt es einzufordern? Welche gemeinsamen Strategien sind möglich und notwendig in Sachen Frieden und Gerechtigkeit? Wir freuen uns auf alle Begegnungen und Diskussionen auf dem Kirchentag. Susann Scholz-Karas

derbare« – Warum ich Stipendiat bei der Rosa Luxemburg Stiftung bin

Termine

Linkes Seminar zum Kirchentag Freitag, den 3. Juni 2011, Podiumsdiskussion 15.00 Uhr »Integrationsdebatten in Deutschland - Religion muss Teil der Lösung sein!« Mit Rabbiner Walter Homolka (Potsdam), Aiman Mazyek (Zentralrat der Muslime in Deutschland, Aachen), Pastorin Elfriede Begrich (Alt-Pröpstin, Erfurt/Berlin), Christine Buchholz (MdB DIE LINKE), Bodo Ramelow (MdL DIE LINKE, Erfurt) Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung (Bund und Sachsen)

Stand der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem »Markt der Möglichkeiten«: Halle 4 Stand B15 (Messegelände) Vom Donnerstag, den 2. Juni 2011 bis Sonnabend, den 4. Juni 2011 von 10.00 bis 18.00 Uhr Gespräche am Stand Donnerstag, den 2. Juni 2011, 15.30 - 16.30 Uhr Podiumsveranstaltung auf dem Markt der Möglichkeiten: Unchristliche Löhne, tendenziell keine Mitbestimmung? – Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse – welche Rechte haben Beschäftigte in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen? Mit: Raju Sharma, MdB DIE LINKE, Religionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Veranstalter: DIE LINKE. Marktplatz vor Halle 4 (Messegelände) Donnerstag, den 2. Juni 2011, 14.00 – 15.00 Uhr »Zur Linken Gottes oder der Glaube an das Verän-

Mit: Jonathan Böhm (stud. thol.), Christoph Krasemann (Stipendiat der RLS) und Dr. Hella Hertzfeldt, Dr. Jane Angerjärv (RLS) Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Stiftung (Bund und Sachsen) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

musikalische Umrahmung 17.00 Uhr Uwe X. Handgestrickt und liederlich Podiumsdiskussion 18.00 Uhr »Friedenswege für Afghanistan« Mit Andreas Zumach (Journalist, Genf), Pastorin Elfriede Begrich (Alt-Pröpstin, Erfurt/Berlin), Dr. André Brie (DIE LINKE, Wuster-Terhofen), Dr. Cornelia Ernst (MdEP DIE LINKE, Dresden) St. Pauli Salon der Theaterruine Dresden, Hechtstraße 32, (HH), 01097 Dresden (www. theaterruine.de)

Kurz Wahlen Auf der Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind die Wahlnachtbericht von Horst Kahrs und Prof. Benjamin Hoff zu den Landtagwahlen in BadenWürttemberg und RheinlandPfalz veröffentlich. h t t p ://w w w. r o s a l u x .d e/ news/37441/der-trend-istderzeit-kein-genosse-1.html

Kirchentag in Bremen 2009. Foto: dheuer@flickr

Mentoringprogramm für aktive und engagierte Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren, Theorie und Praxis, von September 2011 bis Juni 2012. Es stehen 16 Plätze zur Verfügung, je Landesverband einer. Es fallen keine Kosten für die Teilnahme an. Bewerbungsschluss ist am 15. Mai 2011. www.die-linke.de

Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Kestner! Ich betreibe einen kleinen Wäscherei-Shop. Da der Laden in der Anfangszeit nicht so gut läuft, habe ich zusätzlich Leistungen bei der ARGE beantragt. Mir wurde gesagt, ich müsse sparsam wirtschaften, insbesondere dürfe ich keine Werbung bezahlen oder Mitarbeiter beschäftigen. Außerdem soll ich bei jeder Ausgabe über 100 Euro drei Kostenvoranschläge vorlegen und mir dafür die Zustimmung einholen. Eigentlich kann ich den Laden dann gleich zumachen. Ohne Werbung ist es unmöglich, neue Kunden zu gewinnen. Mit den Kostenvoranschlägen funktioniert das auch nicht: Meine Maschinen sind alt und wenn ein Defekt auftritt, kann ich nicht erst warten, bis die ARGE darüber entschieden hat. Bezahle ich die Reparatur oder erwerbe gar eine neue Maschine, wird diese Ausgabe nicht als notwendig anerkannt, sagte mir die Dame vom Amt. Das alles führt dazu, dass ich überlege, das Geschäft aufzugeben. Erika R. (Dresden) Sehr geehrte Frau R, die Auskünfte des Jobcenters entbehren jeglicher rechtlicher Grundlage. Richtig ist zwar, dass Sie im Leistungsbezug besonders sparsam wirtschaften müssen. Dennoch können Sie notwendige Ausgaben tätigen und haben insoweit auch eine unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Sie müssen vor einer Investition nicht das Jobcenter um Erlaubnis fragen, wenn dies die betrieblichen Abläufe behindert. Für dieses Verlangen des Amtes gibt es keine rechtliche Grundlage. Natürlich dürfen keine Luxusgüter angeschafft werden; beim Neuerwerb von Maschinen ist daher das preisgünstigere Modell zu wählen. Auch dürfen Sie natürlich Werbung machen, soweit dies unerlässlich ist, um neue Kunden zu finden. Wenn die Behörde in ihrer vorläufigen Entscheidung Betriebsausgaben nicht anerkennt und deshalb ein viel zu hohes Einkommen anrechnet, rate ich dringend: Legen Sie Widerspruch ein und beantragen Sie eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht Dresden. Ihre Marlen Kestner


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Rentenbesteuerung – die Verunsicherung bleibt schen übergeben nämlich die Rentenversicherungsträger auch den sächsischen Finanzämtern detaillierte Rentenbezugsmitteilungen. Allein für die Jahre von 2005 bis 2009 erhielten die sächsischen Finanzämter mehr als 8,2 Millionen solcher Dokumente und dürften damit über die Einkommensverhältnisse der meisten Rentnerinnen und Rentner im Freistaat umfassend informiert sein. Bisher wurden jedoch erst knapp 1,2 Millionen dieser Mitteilungen von den Finanzämtern geprüft, meist solche, wo die Betreffenden von sich aus Steuererklärungen eingereicht hatten. Erst ab der zweiten Hälfte dieses Jahres soll es zur Prüfung der anderen und künftiger Mitteilungen kommen. Das Ergebnis ist offen, könnte jedoch für manche mit einer bösen Überraschung enden. Die sächsische Staatsregierung sollte daher auf die Finanzämter einwirken, dass jeder Einzelfall mit nötigem Augenmaß behandelt wird, zumal viele Betroffene aus Unwissenheit bisher keine Steuererklärung abgege-

ben haben. Besser noch wäre es, wenn sich die Staatsregierung auf Bundesebene dafür einsetzen würde, das seit 2005 geltende Alterseinkünftegesetz so zu ändern, dass Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Unterschied zu anderen Ein-

künften überhaupt nicht besteuert werden. Schließlich haben die Rentnerinnen und Rentner auf ihre Löhne auch schon in der DDR Lohnsteuer gezahlt. Beim schon jetzt absehbaren zusätzlichen Personal- und Verwaltungsaufwand wäre zudem zu prüfen, ob es

unter dem Strich überhaupt zu finanziellen Mehreinnahmen für den Staat kommt. Auf jeden Fall dürfte mehr zu holen sein, wenn sich die Finanzprüfer auf die Spur der wirklichen Steuerhinterzieher begäben. Dietmar Pellmann

Foto: Rente byBernd-Lang@pixelio

Es gibt wohl kaum einen Bereich, der derart undurchschaubar und kompliziert ist, wie das Rentenrecht. Dazu haben die verschieden zusammengesetzten Bundesregierungen in den letzten zehn Jahren erheblich beigetragen. Die zahlreichen als Reformen titulierten Veränderungen haben nicht nur zu einer gewollten Absenkung der Rentenansprüche und zu einer wesentlich höheren Fehlerquote bei Rentenbescheiden geführt, sondern erheblich zur Verunsicherung der Rentnerinnen und Rentner selbst beigetragen. Davon zeugen nicht nur die jüngst bekannt gewordenen Verstöße gegen die Regelungen zur Riester-Rente, sondern vor allem die hohen Rückforderungen an einen Teil derer, die sich für die RiesterRente als zusätzliche Altersvorsorge entschieden haben. Vielmehr schwebt über einer heute noch nicht genau zu beziffernden Anzahl von Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentnern die Gefahr der rückwirkenden Besteuerung ihrer Einkünfte. Inzwi-

Bürger-Daten im Polizeispeicher – Auskunft verlangen!

Sächsische Polizei unterhalt ausführliche Datenbank über alle Bürger/ innen. Verfahrensregeln werden nicht veröffentlicht Es gehört auch in Sachsen zu den grundlegenden Elementen der Demokratie, dass das Parlament das Verwaltungshandeln der Behörden kontrolliert, deshalb verfügen die Abgeordneten über ein Auskunfts- und Fragerecht gegenüber den Verwaltungsinstitutionen. Im besonderen Maße sollte dies für den Bereich des Datenschutzes gelten, denn immer wieder steht hier das Problem: wie viel sollte der Staat von den Bürgerinnen und Bürgern wissen können und unter welchen Vorraussetzungen – gerade angesichts des Profilierungsverbotes im Volkszählungsurteil, dem zufolge keine umfassende Datenerhebung erfolgen darf? In der Antwort auf eine gemeinsame Kleine Anfrage von Johannes Lichdi und mir verweigert die Staats-

regierung wiederholt Auskünfte zur polizeilichen Datenspeicherung in Sachsen. Ein parteiübergreifendes Bündnis, der Arbeitskreis Datenbanken, hat sich bereits seit einiger Zeit das Ziel gesetzt, über den Umfang amtlicher Datenspeicherung aufzuklären. Der Arbeitskreis wendet sich gegen die ausufernde polizeiliche Erfassung der Bürgerinnen und Bürger. Im Zentrum der Kritik steht das so genannte integrierte Vorgangsbearbeitungssystem (IVO) der sächsischen Polizei. Es handelt es sich dabei um das zentrale Verfahren zur Erfassung, Speicherung, Weiterverarbeitung und Auswertung aller polizeilich relevanten Daten im Freistaat. Es sind über sieben Mio. Datensätze über Einwohnerinnen und Einwohner des Freistaates in dieser Datenbank erfasst doppelt so viele, wie es Einwohner/innen gibt. Da die Errichtungsanordnung der Öffentlichkeit noch immer unbekannt ist, können wir also nicht wissen, was al-

les gespeichert werden kann. Als Arbeitskreis und mithilfe der Kleinen Anfrage verlangen wir die Herausgabe der genauen Errichtungsanordnung von IVO, die mit Verweis auf Gründe der Geheimhaltung zurückgehalten wird. Es ist nicht nur in meinen Augen ein Skandal, dass der Öffentlichkeit und den Abgeordneten des Landtags die Einsichtnahme bzw. Unterrichtung über die Einrichtungsverordnung zum integrierten Vorgangsbearbeitungssystem verweigert wird - zumal wir ja wohl keine Geheimpolizei in Sachsen haben. Wie sollen die Abgeordneten ihr Kontrollrecht wahrnehmen, wenn ihnen wichtige Informationen vorenthalten werden? Es bleiben daher schwer wiegende offene Fragen an die Datenerfassung im IVO: Nicht nur das Kriterium ‚polizeilich relevant‘ reichlich schwammig formuliert ist, zudem wird das IVO über Schnittstellen mit dem Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen (PASS), dem In-

formationssystem der Polizei des Bundes und der Länder (INPOL) und in bestimmten Fällen mit den kommunalen Kernmelderegistern und der Visadatei (AZR/VISA) verknüpft. Löschungen werden nicht systematisch durchgeführt und Ermittlungsvorgänge künstlich über einen langen Zeitraum offen gehalten. Hinzu kommt, dass der genannten Datenbank der Polizei «PASS« die notwendige gesetzliche Grundlage fehlt. Zur Behebung dieses rechtsunsicheren Zustands fordert nicht nur DIE LINKE, dass unverzüglich ein Gesetzentwurf vorgelegt wird. Grundsätzlich ist die Polizei aber verpflichtet, Auskunft über die gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen. Jede Bürgerin und jeder Bürger Sachsens haben die Möglichkeit über ein sogenanntes Auskunftsersuchen (ein Formular steht unter www.akdatenbanken.de zum Download zur Verfügung) Auskünfte über die zu ihrer Person

gespeicherten Daten zu erlangen. Es ist unser Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger Sachsens weiterhin über ihre Rechte zu informieren, und sie zu ermutigen, diese gegenüber den Behörden in Anspruch zu nehmen. Dann kann man auch die Löschung solcher Daten beantragen. Verlangt Auskunft! Julia Bonk Weitere Informationen unter www.akdatenbanken.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

5/2011  Sachsens Linke!

GUE/NGL – Was ist das eigentlich? Nachdem Ihr in den letzten Ausgaben einige Kollegen von mir und ihre Arbeit im Europäischen Parlament kennenlernen konntet, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Euch die gesamte Fraktion etwas näher vorzustellen. GUE/NGL steht für Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken. Unsere Fraktion besteht aus 35 Mitgliedern aus 13 europäischen Mitgliedsstaaten und 17 politischen Parteien. Fraktionsvorsitzender ist Lothar Bisky von der LINKEN. Konföderalismus bedeutet für uns die Achtung und Wahrung der Vielfalt der Identitäten und Meinungen unserer Mitglieder, die unterschiedlichen Parteien und »Parteifamilien« zugehörig sind. In der GUENGL organisieren sich Abgeordnete mit kommunistischer, linkssozialistischer und nordisch/grünlinker Parteienzugehörigkeit sowie Parteilose. Der konföderale Charakter ist konstituierend für unsere Fraktion und bestimmt den gleichberechtigten Umgang untereinander. Uns verbindet die Vision eines sozial gerechten und nachhaltigen europäischen Integrationsprozesses, auch wenn es zur Europäischen Union selbst zum Teil konträre Positionen in der GUENGL gibt. Die Stärke unserer Fraktion besteht vor allem darin, sich entschieden für ein friedliches Europa einzusetzen und die sozialen Fragen der Menschen in den Vordergrund zu stellen. Wir sind berechenbare Partner/innen für Flüchtlinge und ihre Vertretungen, für den Kampf gegen ethnische Diskriminierung und Rassismus sowie für den Respekt vor der Vielfalt der Lebens-

entwürfe. Wir sehen es als eine unserer Aufgaben an, die Europäische Union für mehr Menschen, transparenter und greifbarer zu machen. Mehr direkte Demokratie und aktive Beteiligung der Bürger/innen ist daher eine unserer Kernforderungen. Wir engagieren uns

für gleiche Rechte von Frauen und Männern und für die konsequente Durchsetzung der Bürger- und Menschenrechte. Die Unterschiedlichkeit der Herkünfte schließt aber auch die Existenz unterschiedlicher Sichten in Sachfragen ein. Gerade deshalb ist es wichtig, in strittigen Fragen die Debat-

te zu suchen und vernünftige Kompromisse auszuhandeln. Das ist auch deshalb bedeutsam, weil als es im Europäischen Parlament keine festen Mehrheiten in zahlreichen Fragen gibt, so dass es nicht selten auf unsere Stimmen ankommt. Cornelia Ernst

Vorhaben der GUENGL Fraktion und der Delegation DIE LINKE im Europaparlament Die GUENGL-Fraktion plant n ein Forum Soziales Europa »Neoliberalismus versus Soziales Europa« am 29. und 30. Juni 2011 in Brüssel und n eine Konferenz zu Regulierung der europäischen und weltweiten Finanzmärkte am 19. und 20. Oktober 2011 in Brüssel. Im Spätherbst findet eine Umweltkonferenz und im Dezember die jährliche Kurdenkonferenz der GUENGL-Fraktion in Brüssel statt. Die Herbst-Studientage der GUENGL-Fraktion finden in Dresden/Usti vom 7. bis 10. November 2011 statt. Die Delegation DIE LINKE plant n als Hauptveranstaltung der Delegation in diesem Jahr: Konferenz «Europa - alternativ am 8. und 9. Juli 2011 in Köln, Hearing »Radical Right Gaining Ground« am 21. Juni 2011 in Brüssel, n eine bundesländerübergreifende Konferenz zur Zukunft der Struktur- und Regionalpolitik in Erfurt am 23. Juni 2011. Geplant ist ein Europäischer Roma-Kongress am 10. Dezember 2011 in Berlin. Weitere Veranstaltungen sind zu den Themen Nukleare Abfälle, Euratom, Arbeitszeitpolitik, Partnerschaft Polen/Tschechien geplant sowie ein Hearing «Wie Europa den Krieg vorantreibt«. Initiativen von einzelnen Abgeordneten sind Veranstaltungen zu Frontex, Initiativen zum Datenschutz, europäische Industriepolitik, Studie EU-Grundrechtscharta «Wettbewerb-Streikrecht-Kirche”, Rüstungsbroschüre und zu Afghanistan, Studie zu Schiffbau und Initiativen zu sozialen Mindeststandards in der EU sowie zur Armutsproblematik.

Panik um Flüchtlingsströme

Sachsen profiliert sich inhuman

In Europa herrscht Panik, es ist gar der Aufschrei zu hören, dass Schengen in Gefahr sei. Seit Beginn des Jahres suchen vor allem Menschen aus Tunesien und Libyen den Weg nach Europa. Laut Pro Asyl sollen es 23.000 seit Beginn der Revolutionen in Nordafrika sein, die vor allem auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa kommen. Hunderte schafften es erst gar nicht, weil sie auf dem Weg dahin umkamen. Ita-

liens Regierungschef Berlusconi fordert die Beteiligung der anderen EU-Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen, welche er durch vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen in den Schengenraum, insbesondere nach Frankreich loszuwerden hofft. Frankreich will diese Menschen aber auch nicht und verschärft die Grenzkontrollen zu Italien, damit auch wirklich niemand durchkommt. Statt den Flüchtlingen wirkungsvolle Hilfe zu leisten, machen Berlusconi und Sarkozy auf dem Rücken der Flüchtlinge Politik und die anderen Län-

der schauen zu. Die europäische Gemeinschaft muss endlich Verantwortung zeigen, indem sie sich an der Unterstützung der Flüchtlinge beteiligt, auf faire Asylverfahren hinwirkt und eine nachhaltige Entwicklungspolitik in den Herkunftsländern befördert. Insofern sind die Lobesworte von Außenminister Westerwelle für die nordafrikanischen Revolutionen nur heiße Luft. Bundesminister Friedrich glaubt gar, mit der Aufnahme von 100 Menschen, die in Malta angekommen sind, sei der »deutsche Beitrag« erledigt. Auch der sächsische Innen-

minister Markus Ulbig sekundiert die Hardliner-Position des Bundesinnenministers und tut gegenüber der Öffentlichkeit so, als ob die Flüchtlingswelle vor den Toren Sachsens stünde. Fakt ist, dass die gegenwärtige Situation eher angeheizt, als denn gelöst wird. Sie ist Spielball der verschiedensten Abschottungskonzepte, wie der Verschärfung der Grenzkontrollen und der angedrohten Aufhebung des Schengen-Systems. Gerade Sachsen stünde es gut zu Gesicht, ein Zeichen von Humanität und Weitsicht zu zeigen, z.B. indem die Ab-

schaffung der so genannten Dublin-2-Regelung in die Waagschale geworfen wird. Weltoffenheit, mit der sich der Freistaat so gern schmückt, sieht eben anders aus. Cornelia Ernst, MdEP


Sachsens Linke!  5/2011

DIE LINKE im Bundestag

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Bezahlbare Ferien für alle?! Brauchen wir sozialen Tourismus in Deutschland?

Immer mehr Menschen können sich immer weniger Urlaub leisten. In erster Linie betroffen davon sind Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehende. In Deutschland leben ca. 2,3 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre in sogenannten Bedarfsgemeinschaften, Tendenz steigend. Armut in Deutschland hat viele Seiten. Sie manifestiert sich als Mangel an Bildung, Gesundheit, Mobilität, Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, Kultur und Sport, und sogar als Mangel an gesunder Ernährung. Armut ist Ausdruck von sozialer Benachteiligung, d.h. geringeren Möglichkeiten der Mitgestaltung des eigenen Lebens. Diese Form der Ausgrenzung finden wir auch im Bereich des Fraktion vor Ort:

Dialog- und Sozialtour Für eine neue soziale Idee. 16.5. bis 20.5.2011

mehr Infos unter:

linke-landesgruppe-sachsen.de

www.

Dresden, 17. Mai, 18 Uhr Podiumsdiskussion »Kindergrundsicherung. Wege aus der Armut?« gemeinsam mit RLS Sachsen u.a. mit Barbara König, (GF) Zukunftsforum Familie e.V., Prof. Dr. Uwe Hirschfeld, Evangelische FH Dresden, Matthias Ritter-Engel, Bundesverband AWO und Cornelia Spachtholz, stv. Bundesvorsitzende Verband Berufstätiger Mütter e.V. Evangelische Hochschule, Semperstraße 2a Leipzig, 17. Mai, 18 Uhr Podiumsdiskussion »Wege aus der Kinderarmut?« u.a. mit Dr. Siegfried Haller, Jugendamt Leipzig und Uta Knospe, Diplomsozialpädagogin, Bürgerververein Messemagistrale e. V. Straße des 18. Oktober 10 a Chemnitz, 19. Mai, 18 Uhr Podiumsdiskussion: »Ferien für alle?« Erholung und Ferien für Kinder und Jugendliche aus finanzschwachen Familien u.a. mit FachverbandsvertreterInnen, Gewerkschaftshaus, Jägerstraße 5

Reisens. «Die Urlaubsreise ist kein Allgemeingut mehr«, stellte die Stiftung für Zukunftsfragen 2010 fest. Dabei ist die Möglichkeit zu Reisen eine wichtige soziale Errungenschaft der heutigen Zeit. In einer modernen Gesellschaft sollte diese Chance für alle unabhängig von Armut oder anderen sozialen oder gesundheitlichen Hindernissen gesichert werden. In Zeiten wachsender sozialer Probleme sollten die Möglichkeiten im Bereich des Sozialtourismus eher ausgebaut, auf keinen Fall alternativlos zusammengestrichen werden… »Urlaub rückt in weite Ferne – Sachsen streicht Förderung von Familienreisen – Betroffene sind vor allem Kinder!« schrieb die Leipziger Volkszeitung am 9. Februar. Die Regierungskoalition streicht den Landeszuschuss für die Familienerholung Bedürftiger und durchkreuzt damit die Chance auf den Zuschuss von 7,50€/Kopf und Tag (!) für viele Alleinerziehende, einkommensschwache oder kinderreiche Familien für eine ersehnte und auch nötige Auszeit vom Alltag und den alltägli-

chen 4 Wänden. Bleibt die prinzipielle Frage?: Dient das Recht des Einzelnen (bedürftig oder gut situiert) auf Reisen und Ferien seinem körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehen und das (s) einer sozialen Gruppe? Dann ist damit Reisen und Ferien ein menschliches Grundrecht zur Aufrechterhaltung der körperlichen, geistigen und sozialen

Gesundheit jedes Einzelnen! Fazit: Der Sozialtourismus muss in Bund und Ländern politisch gewollt sein!!! Daher löst der Sozialtourismus immer auch eine politische Diskussion um die zu schaffenden Rahmenbedingungen aus. Deshalb fordert DIE LINKE: Wir brauchen ein klares inhaltliches Konzept für den Sozialtourismus. Der Sozialtourismus ist kein

Die Energiewende– gibt es linke Zugänge zum Thema? Umwelt- und Energiethemen sind keine Themen, mit denen DIE LINKE gewinnen kann – so sieht es jedenfalls aus, wenn wir auf Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schauen. Für 53 beziehungsweise 42 Prozent der Wählerinnen und Wähler war die Atompolitik angesichts der Katastrophe in Japan das ausschlaggebende Thema, weit vor der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dies erklärt das Ergebnis der Grünen. Sollte DIE LINKE der Umwelt- und Energiepolitik also wenig Gewicht beimessen, weil es ihr sowieso nichts bringt, und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren? Nein. Eine moderne Linke braucht einen klaren umweltpolitischen Standpunkt. Sollte sich linke Politik darin erschöpfen, die Forderungen der Grünen nur noch radikaler zu stellen? Auch das nicht, denn gerade die Debatte um die Atompolitik zeigt, dass es originär linke Zugänge zu Umweltund Energiethemen gibt. Im Hauruckverfahren, ohne gesellschaftliche Debatte und in enger Absprache mit den Atomkonzernen hat vor sieben Monaten die Bundesregierung, die jetzt ein Moratorium der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verkündete, ebenjene beschlossen. Am Bundestag

vorbei waren die Eckpunkte in einem Geheimvertrag festgelegt worden. Den Stromkonzernen wurde eine großzügige Laufzeitverlängerung eingeräumt und im Ausgleich dafür die Einführung einer Kernbrennstoffsteuer und Zahlungen der Atomindustrie in einen Fördertopf für regenerative Energien beschlossen. Diese Zahlungen wurden jedoch durch zahlreiche Abzugs- und Minderungsmöglichkeiten verwässert, die wiederum den Atomkonzernen zugute kommen. Das Zustandekommen der Laufzeitverlängerung wirft ein Schlaglicht auf einen linken Zugang zum Thema: Umwelt- und Energiethemen sind nicht auf ökologische Aspekte zu reduzieren. Wer von Atompolitik spricht, muss immer auch die Frage nach Demokratiedefiziten und der Begrenzung von Kapitalmacht stellen. In der aktuellen Diskussion um Atomausstieg und Energiewende haftet den verschiedenen Berechnungen der Kosten für die Verbraucher der Makel an interessengeleitet zu sein. Während beispielsweise die Industrie- und Handelskammer vor einem Preisanstieg warnt, verneint Greenpeace diese Gefahr. Wer hat nun Recht? Es ist Aufgabe der LINKEN, ausgehend von der Forderung nach einem un-

Billigtourismus und sein sozialer Nutzen ist weit höher zu bewerten als seine wirtschaftliche Rentabilität. Es ist die Förderung von Bündnissen oder Partnerschaften von öffentlichen, gesellschaftlichen, privaten und kommerziellen Trägern anzustreben. Es muss eine stärkere Bündelung aller im Sozialtourismus engagierten Kräfte geben. Organisationen und Verbände, auch die Kirchen, besonders aber die Gewerkschaften und Betriebe müssen in die Belange des Sozialtourismus einbezogen werden. Die Mitwirkung der Bundesregierung auf internationaler Ebene, z.B. an der Weltsozialtourismusorganisation (OITS), muss eingefordert werden. Wir brauchen auch die Reiseveranstalter. Die OITS bietet da mit seinen 140 Mitgliedern, von denen einige Unternehmen sind, ein geeignetes Forum. Es sollte also nicht unterschätzt werden, dass der Sozialtourismus durch seine vordergründige Ausrichtung auf soziale und ökologische Ziele auch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung von örtlichen und regionalen Tourismusstrukturen im In- und Ausland und zu Beschäftigung und wirtschaftlicher Entwicklung leisten kann. Jörn Wunderlich

Kommentiert Kann eine Institution Würde haben? verzüglichen Atomausstieg, die Voraussetzungen für eine sozialverträgliche Energiewende zu analysieren. Die Behauptung, dass Atomstrom billiger sei, ist falsch. Seit Jahrzehnten wird er gefördert, die Kosten für den Atommüll kommen noch hinzu. Zudem ist der Preis an das teuerste Kraftwerk gekoppelt, was ihn künstlich erhöht. Vor allem aber wurde durch die Liberalisierung des Strommarktes und die Abschaffung der Preisaufsicht durch die Wirtschaftsministerien der Bundesländer 2007 einem rasanten Preisauftrieb Tür und Tor geöffnet. Dies sind einige Ausgangspunkte, um unsere Forderungen nach einer wirksamen Preisaufsicht und der Entwicklung einer sozial verträglichen Tarifgestaltung durch tragfähige Konzepte zu unterlegen. Auch die aktuelle Debatte zeigt somit einen linken Zugang zum Thema: Energiewende und soziale Frage gehören zusammen. DIE LINKE hat Kernkompetenzen, sie machen unseren Markenkern aus. Die Debatte um den Atomausstieg macht deutlich, wie wir ihn mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen verbinden können. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Unverwechselbar. Michael Leutert, MdB

Offenbar, denn auf Beschluss von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen müssen im Bundestag diejenigen mit empfindlichen Geldstrafen rechnen, die eine »nicht nur geringfügige Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages« begehen. Dies kann man als ‚Lex Linke‘ betrachten, denn der Beschluss zielt beispielsweise auf das Hochhalten von Schildern mit den Namen von Opfern, wie es unsere Fraktion in der Debatte um den Luftangriff in Kunduz gemacht hat. Welcher Schluss lässt sich daraus ziehen? Zum einen der, dass nach Ansicht der anderen Fraktionen die Würde des Parlaments nicht durch die Zustimmung zu völkerrechtswidrigen Kriegen verletzt wird. Zum anderen der, dass gesellschaftlicher Protest doch bitte schön vor den Türen des Reichstagsgebäudes zu bleiben hat. Wie ich das finde? Würdelos! Michael Leutert, MdB, Sprecher der Landesgruppe Sachsen


Geschichte

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5/2011  Links!

Das Joch abschütteln Sophie Scholl zum 90. Geburtstag

Zuerst habe sie ihr Gewissen mit dem Glauben beruhigt, dass sie jung gewesen sei und von den Verbrechen nichts gewusst habe, erklärte Gertraud Junge kurz vor ihrem Tod in einem Interview. Dann jedoch, bekannte die ehemalige Sekretärin Adolf Hitlers, sei sie an einer Gedenktafel für Sophie Scholl vorbeigegangen – und habe sich eingestehen müssen, dass sie trotz ihrer Jugend etwas hätte unternehmen können. Ihre Passivität teilte Gertraud Junge mit zu vielen ihrer Zeitgenossen. Zu den letzteren zählte anfangs auch Sophie Scholl. Am 9. Mai 1921 im württembergischen Forchtenberg geboren, genoss sie zwar eine christlich-humanistische Erziehung, ließ sich jedoch – wie ihr Bruder Hans - vorerst von der NS-Ideologie beeinflussen. Sie wurde Mitglied im »Bund Deutscher Mädel«

und begann 1940 eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Kurz darauf zum »Reichsarbeitsdienst« zwangsverpflichtet, zweifelte sie immer stärker an der ihr vorgelebten »Gemeinschaft« und am Nazi-Weltbild; sie wandte sich christlichen Schriften zu, die ein Übriges zu ihrer Abkehr vom Nationalsozialismus beitrugen. Sie begann ein Studium der Biologie und Philosophie in München; über ihren Bruder stieß sie zu einem Zirkel studentischer Widerständler, in dem sie fortan mitarbeitete. Die »Weiße Rose«, wie sich die Gruppe schließlich nannte, erarbeitete insgesamt sechs Flugblätter, die die Bevölkerung zum Widerstand gegen das faschistische Regime auf-

riefen. Die Schriften beeindrucken durch Klarheit, Elo-

quenz und intellektuellen Anspruch; alle sind mit Zitaten großer Dichter und Denker versehen. Schiller, Goethe, Lao-Tse, Aristoteles und Novalis untermauern die eingängigen Appelle der Gruppe an die Menschlichkeit ihrer Mitmenschen. Die bittere, wütende Sprache der studentischen Widerständler erschüttert noch heute: »Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren’ zu lassen«. Furchtlos wird die Propaganda eines menschenverachtenden Regimes entlarvt: »Täglich fallen in Rußland Tausende. Es ist die Zeit

der Ernte, und der Schnitter fährt mit vollem Zug in die reife Saat. Die Trauer kehrt ein in die Hütten der Heimat und niemand ist da, der die Tränen der Mütter trocknet, Hitler aber belügt die, deren teuerstes Gut er geraubt und in den sinnlosen Tod getrieben hat«. Immer eindringlicher werden die Aufrufe zum passiven Widerstand, zur Sabotage bei jeder Gelegenheit. Allzu oft verhallen sie ungehört. Im Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl bei einer Flugblattaktion an der Münchner Universität von der Gestapo festgenommen. Am Ende eines grässlichen Schauprozesses unter der Leitung des berüchtigten Roland Freisler stand das Todesurteil. Am 22. Februar 1943 wurde Sophie Scholl zusammen mit ihrem Bruder Hans und ihrem Weggefährten Christoph Probst im Strafgefängnis MünchenStadelheim umgebracht. Ihre Gedanken jedoch leben - und sind Verpflichtung für uns alle. Kevin Reißig

„An Stelle des Klassenkampfs ist die Volksgemeinschaft getreten“ Die Besetzung der Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 gilt als die Aktion, mit der die Zerschlagung der freien Gewerkschaften und damit aller unabhängigen Arbeiterorganisationen im faschistischen Deutschland besiegelt war. Ein Aktionsbefehl von Robert Ley, dem Organisationsleiter der NSDAP, war Grundlage für die konzertierten Aktionen im gesamten Reich, die unter anderem die Beschlagnahmung des Gewerkschaftsvermögens und »Schutzhaft« für die Verbandsvorsitzenden und die Bezirkssekretäre mit sich brachten. Wenige Tage später, am 10. Mai, wurde die faschistische Deutsche Arbeitsfront (DAF) gegründet. Die rechtlichen Restriktionen (Ermöglichung von Kündigungen gegen alle, bei denen Verdacht auf staatsfeindliche Einstellung bestand; Auflösung von Betriebsräten, usw.), die faktische Aufhebung des Streikrechts, die »spontanen« Besetzungen von Gewerkschaftshäusern durch die SA, der Terror gegen Kommunisten und Sozialdemokraten - alle Repressionen, die seit Hitlers Machtübernahme und nach dem Reichstagsbrand ergriffen worden, hatten noch nicht zum Ziel geführt. Noch im März hatte die NSBO (Nationalsozialistische Betriebsorganisation) bei Betriebsratswahlen lediglich 3% der Stimmen erreicht.

Die Arbeitsfront, eine auf Zwangsmitgliedschaft beruhende korporatistische Organisation, die straff von oben nach unten strukturiert war, sollte die Aufgabe der »Erziehung zum Nationalsozialismus« übernehmen. Dies konkretisierte sich in der Indoktrination der Arbeiterschaft und ihrer Überwachung in Zusammenarbeit mit Polizei und SS. Schritt für Schritt wurden alle Rechte von Gewerkschaften und Betriebsräten abgeschafft. Mit einer Vereinbarung zwischen Arbeitsfront und dem Reichsverband der Industrie über einen achtwöchigen »Wirtschaftswaffenstillstand« wurde ein Streikverbot durch-

gesetzt. Getreu dem FührerGefolgschaftsprinzip wurden Bezirks- und Betriebsleiter zur »Ordnung der Tarifverhältnisse und zur Überwachung des Arbeitsschutzes und Arbeitsrechts« eingesetzt. Mit dem »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« vom 20. Januar 1934 wurde die Arbeiterschaft endgültig entmündigt und aller Rechte beraubt, Betriebsräte endgültig abgeschafft. In der Folge wurden Betriebslöhne durch die »Betriebsführer« (Unternehmer) in Übereinstimmung mit den durch die Arbeitsfront eingesetzten »Treuhändern der Arbeit« festgesetzt. Diese Betriebslöhne konnten

betriebsintern weiter differenziert werden – die »Gleichmacherei« des alten Tarifsystems sollte weggefegt werden. Die Zerschlagung ihrer Organisationen, die Aufhebung aller demokratischen Rechte und Freiheiten und die massive Verfolgung von Gewerkschaftern und Aktiven der Arbeiterparteien war ein Schlüssel, um die aggressive und zerstörerische Politik nach innen voranzutreiben. Die materiellen Folgen für die Arbeiterschaft waren unübersehbar. Zwischen Hitlers Machtübernahme und dem Sommer 1935 sanken die Löhne um durchschnittlich 25 bis 40 Prozent. Sozialleistungen lagen unter

Robert Ley (zweiter von links), Hauptorganisator der »Deutschen Arbeitsfront«, mit Hitler und Göring. Im Hintergrund (in zivil) Ferdinand Porsche.) Quelle Bundesarchiv

dem Niveau aus der Weimarer Zeit, Beiträge wurden erhöht. Seit August 1934 wurden die Arbeitsämter ermächtigt, der Entlassung von Frauen und Unverheirateten unter 25 Jahren zuzustimmen. 130.000 verloren daraufhin ihre Arbeit. Die 400.000 Menschen, die 1934 zum Hilfsdienst herangezogen wurden, erhielten zu ihrer Arbeitslosenunterstützung lediglich Naturalleistungen. Junge erwerbslose Frauen, die in den Haushalten bürgerlicher Familien oder in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, hatten keinen Anspruch auf Lohn. Das war die bittere Realität der »Volksgemeinschaft«. Eine ideologische Traditionslinie zu den Nazis von heute ist offensichtlich. So schrieb der NPD-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Hameln-Pyrmont–Holzminden, Heiko Gerold Ebbenga, 2005 auf www. abgeordnetenwatch.de: »Wir wollen wie die meisten Deutschen die Schaffung eines echten Arbeitsmarktes mit Vollbeschäftigung. Dies geht nur durch die Zerschlagung der Tarifdiktatur der Gewerkschaften«. Bernhard Krabiell Zum Weiterlesen Thomas Blanke, Rainer Erd, Ulrich Mückenberger, Ulrich Stascheit (Hrsg.): Kollektives Arbeitsrecht – Quellentexte zur Geschichte des Arbeitsrechts in Deutschland, Band 2, Reinbek, 1975


Links!  5/2011

Rosa-Luxemburg-Stiftung

Termine Leipzig, 2.Mai, 17.00 Uhr Zur Programmdiskussion Geschichtspolitik und Programmdebatte Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Leipzig Grünauer Allee 76, 04209 Leipzig

Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, des Bildungsverein der KPÖ Steiermark, der Alfred-Klahr-Gesellschaft und des KSV Graz Karl-Franzens-Universität, Universitätsplatz 3, 8010 Graz

Chemnitz, 3. Mai, 18.00 Uhr Demokratisierung der Wirtschaft – Vom Mindestlohn zur Wirtschaftsdemokratie?! Mit Prof. Dr. Peter Porsch Eine Gesellschaft die gemessen wird am Grad ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, sollte auch durch demokratische Prozesse der wirtschaftlichen Steuerung und Teilhabe bestimmt sein. Dieser Ansatz ist wesentlicher Bestandteil der Forderungen und Vorstellungen der Linken. Doch was beinhaltet dieses konkret? Ist die betriebliche Mitbestimmung nicht ein historischer Irrtum? Wer sind in einer demokratisierten Wirtschaftsordnung die Akteure und Subjekte in der Marktsteuerung und somit einer modernen Arbeitspolitik; und ist letztendlich eine Wirtschaftsdemokratie als gesamtgesellschaftliches Konzept machbar? Rothaus e.V., Lohstraße 2, 09111 Chemnitz

Leipzig, 7. Mai, 10.00 Uhr Kolloquium ArbeitsGesellschaft im Wandel Mit Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Ludwigshafen, Dr. Alexandra Wagner, Berlin Dr. Cornelia Heintze, Leipzig, Dr. Andreas Willnow, Leipzig, Dr. Horst Hesse, Leipzig Enrico Stange (MdL), Leipzig Moderation: Dr. Dieter Janke, Dr. Horst Hesse, Prof. Dr. Joachim Tesch Teilnahmebeitrag 5,00 Euro Massenarbeitslosigkeit als Dauerphänomen gehört seit den späten siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Erscheinungsbild entwickelter kapitalistischer Industriestaaten. Trotz verheißungsvoller Ankündigungen wurde auch mit der neoliberalen Deregulierung keine Trendwende hin zu einem Beschäftigungsaufbau eingeleitet. Vielmehr werden vor dem Hintergrund eines mit dem technologischen Umbruch verbundenen Rationalisierungsschubs vor allem in der Bundesrepublik Deutschland politische Strategien verfolgt, die zu einer besorgniserregenden Erosion von existenzsichernden »Normalarbeitsverhältnissen« führen. Geht der Gesellschaft die Arbeit aus? Welche Zukunft hat die »Erwerbsarbeit«? Solche und ähnliche Fragen werden auch im linken Spektrum der Gesellschaft verstärkt diskutiert. Der Wirtschaftswissenschaftliche Arbeitskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen will sich daher dem Thema »ArbeitsGesellschaft im Wandel« mit einer ganztägigen Veranstaltung zuwenden. Eine Publikation der Beiträge wird angestrebt. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Graz, 6. Mai, Podiumsdiskussion Linke Geschichtswissenschaft heute im Lichte von Leben und Werk von Walter Markov Mit Dr. Helmuth Markov (Stellv. Ministerpräsident und Minister der Finanzen des Landes Brandenburg), Dr. Gerald Diesener (Karl-LamprechtGesellschaft Leipzig), Dr. Monika Runge (Vorsitzende der Rosa - Luxemburg- Stif tung Sachsen und Mitglied des Sächs. Landtags), Prof. Manfred Neuhaus (Leiter der Berliner Arbeitsstelle der MEGA), Prof. em. Hans Hautmann (Alfred-Klahr-Gesellschaft, Linz) und Mgr. David Mayer (Inst. für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien: Geschichte marxistischer Historiographie)

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Großenhainer Str. 101, 01099 Dresden

Dresden, 11. Mai, 19.00 Uhr Vortrag und DiskussiNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 17.650 Exempla-

on Überfall auf die Sowjetunion – Großverbrechen der deutschen Eliten*** Mit Prof. Karl-Heinz Gräfe, Historiker, Freital Vor 70 Jahren, am 22. Juni 1941, überfiel Nazideutschland die UdSSR. Jahre und Monate im Voraus vorbereitet liefen diese »geheimen« Annexionspläne ab Juli 1941 unter dem Tarnnamen »Unternehmen Barbarossa«. Generalstabsmäßig wurde dieser Überfall von der Mehrheit der deutschen Politiker, Militärs, Diplomaten, Beamten, Kirchen und Oligarchien des Industrie - und Finanzkapitals unter aktiver oder zumindest wohlwollender Anteilnahme vorbereitet und durchgeführt. Der »Barbarossa-Plan« führte zur Vernichtung von Menschen, Kulturgütern und Naturressourcen von zuvor unvorstellbarem Ausmaß. Fast die gesamte jüdische Bevölkerung Osteuropas sowie 30 Millionen Sowjetbürger fielen dem deutschen Expansion- und Vernichtungswahn oder der industriellen Verwertung in Form von Zwangsarbeit zum Opfer. Viele Europäer verloren in Folge dieses Krieges Ihre Heimat. Dies zeigt, wie eine rechtsnationale bürgerliche bzw. faschistische Ideologie im Verein mit ökonomischen Interessen eines Industrie- und Finanzkapitals einen Krieg legitimiert, der letztendlich zur Massenvernichtung von Menschen und zur Ausplünderung anderer Völker führte. Bis heute wird versucht, die deutsche Schuld bzw. die maßgeblichen Kräfte am Überfall auf die Sowjetunion 1941 zu relativieren/leugnen, diesen in einen »Präventivkrieg« umzudeuten oder als »privaten« Krieg zweier Diktatoren darzustellen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, Dresden Leipzig, 19. Mai, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion Am Rande Europas. Die Republik Moldova Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Leipzig/Klagenfurt Rosa-Luxemburg-Stiftung,

ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.) Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84 38 9773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluß: 19.4.2011 Die nächste Ausgabe erscheint am 9.6.2011. Die Zei-

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Kindergrundsicherung – Wege aus der Armut? Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 24. Mai, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion Zwischen ‚Ost‘ und ‚West‘: Japans Weg(e) in die Moderne Mit Prof. Dr. Steffi Richter, Japanologin, Leipzig Moderation: Prof. Dr. KarlHeinz Schwabe, Leipzig Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 25. Mai, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion Wirtschaftsdemokratie heute Mit Prof. Dr. Klaus Dörre, Universität Jena WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Diese in der Gewerkschaftsbewegung der 1920er Jahre entstandene Forderung zielte auf die innerbetriebliche Demokratie und Mitbestimmung in den Unternehmen, aber auch auf den Ausbau demokratischer Einflussmöglichkeiten in Wirtschaft und Wirtschaftspolitik überhaupt. »Mehr Wirtschaftsdemokratie« sollte eine auf Partizipation zielende Antwort auf von Kapitaleignern dominierte Entscheidungsprozesse in der Wirtschaft sein. Ist diese Forderung mit der Gewerkschafts- und Betriebsverfassungsgesetzgebung und der modernen parlamentarischen Vertretungsdemokratie erfüllt? Was wäre heute unter Wirtschaftsdemokratie zu verstehen? Wie kann heute Partizipation auf dem Gebiet der Wirtschaft entwickelt werden? Klaus Dörre ist Mitbegründer des Instituts Solidarische Moderne und Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologe an der Universität Jena. Leipzig, 26. Mai, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion Reihe: Rosa L. in Grünau Gibt es eine Nation Europa? Mit Susanna Karawanskij, Politikwissenschaftlerin Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig

tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service 0351-84389773 Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank Internet www.links-sachsen.de

Das Bundesverfassungsgericht hat vor über einem Jahr die Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil hätte der Startschuss zu einer neuen Politik sein müssen. Stattdessen hat die Bundesregierung mit der Neuregelung der Hartz IV-Gesetze die Situation nicht verbessert – der Regelsatz für erwachsene Betroffene wird kaum erhöht, die Kinderregelsätze bleiben niedrig.Das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket löst weder die Probleme der Bildungsfinanzierung noch der sozialen Ausgrenzung von Kindern im Hartz-IV-Bezug. Frei verfügbares Geld wird ersetzt durch diskriminierende Gutscheine, die bürokratisch teuer beantragt werden müssen. Im Mittelpunkt eines am Nachmittag stattfindenden Fachgespräches stehen Konzepte gegen Kinderarmut mit Blick auf Alternativen und Zukunftsprojekte. Ziel ist auch eine thematische Vernetzung zwischen entsprechenden außerparlamentarischen Initiativen, Wissenschaftler_innen, Politiker_innen der LINKEN und der Rosa - Lu xemburg - Stif tung Sachsen. Mit der Podiumsdiskussion »Kindergrundsicherung – Wege aus der Armut?!« sollen politische Fragen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts und zur Novellierung der Hartz-IV-Gesetze beleuchtet werden. Darüber hinaus sollen Handlungsoptionen zur Sicherung des kindlichen Existenzminimums und Konzepte gegen Kinderarmut diskutiert werden. Im Anschluss an die Diskussion macht der Film: »Zirkus is nicht« deutlich, was heißt, arm zu sein. Portraitiert wird der achtjährige Dominik, der mit seinen zwei jüngeren Geschwistern und der alleinerziehenden Mutter in Berlin-Hellersdorf lebt. Da die arbeitslose Mutter ist mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert ist, muss Dominik zunehmend Verantwortung übernehmen. Seine schulischen Leistungen leiden unter dem ständigen Stress. Dresden, 17. Mai, 18 Uhr Podiumsdiskussion u.a. mit Barbara König, (GF) Zukunftsforum Familie e.V., Prof. Dr. Uwe Hirschfeld, Evangelische FH Dresden, Matthias Ritter-Engel, Bundesverband AWO und Cornelia Spachtholz, stv. Bundesvorsitzende Verband Berufstätiger Mütter e.V., Evangelische Hochschule, Semperstraße 2a Leipzig, 17. Mai, 18 Uhr Podiumsdiskussion u.a. mit Dr. Siegfried Haller, Jugendamt Leipzig und Uta Knospe, Diplomsozialpädagogin, Bürgerververein Messemagistrale e. V. Straße des 18. Oktober 10 a


Rezensionen

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5/2011  Links!

Wieder gelesen: Ludwig Renn „Adel im Untergang“ Das Buch – 1960 erschienen im Aufbau-Verlag – drängt sich nach der Guttenberg-Affäre förmlich auf: »Adel im Untergang«. Geschrieben hat es ein Autor, der offenbar in seiner Geburtsstadt Dresden gezielt dem Vergessen anheim gegeben wird: Ludwig Renn. »Adel im Untergang« ist nur eines seiner autobiographischen Werke, weitere heißen »Krieg« oder »Nachkrieg«. In Kindlers Literatur-Lexikon heißt es dazu: »Ihre ungewöhnlich hohen Auflagen verdanken Renns Autobiographien dem Umstand, daß ihr unpathetischer Zweifel an Krieg und reaktionäre Politik der skeptischen Neuen Sachlichkeit entsprach, die auch den Kriegsbüchern Remarques und Glaesers zu durchschlagendem Erfolg verhalf.« Nach 30 Jahren stelle ich fest: Renn kann man nicht nur als 17jähriger lesen, sondern durchaus auch als 47jähriger. Und auch ein 77jähriger wird so manchen Gewinn daraus ziehen, wenn er das Buch einmal wieder aus dem Regal zieht. Gerade vor dem Jahr 2013! Denn da wird in Sachsen von militärhistorischen Vereinen wie »Route Napoléon de Saxe 1813« Napoleon gefeiert – während auf Körners Grundstück in Dresden das Schillerhäuschen in sich zusammen fällt. Der Imperator wird geehrt und dem heimischen Kämpfer des Befreiungskrieges – man könnte aus ihrem Erbe in der heutigen Zeit einiges über den Sinn sowie über gerechte und ungerechte Kriege erfahren – wird kaum Würdigung zuteil. Mit Staunen liest man in Renns »Adel im Untergang«, wie in Leipzig 1913 – 100 Jahre nach der Völkerschlacht – mit großem Pomp das Jubiläum be-

War - Krieg

Ivens und Hemingway bei Ludwig Renn, Chef der XI. Internationalen Brigaden in Spanien. Quelle Bundesarchiv

gangen wird. Eingeladen sind die Abgesandten der siegreichen Länder von 1813 und in Sachsen tut man so, als wäre man schon immer auf der »richtigen Seite« gewesen – dabei basiert das »sächsische Königtum« hart gesagt auf Landesverrat. Nach der verlorenen Schlacht von Jena und Auerstedt hatte der Kurfürst panisch die Seiten gewechselt und wurde darauf hin per napoleonischem Dekret zum König erhoben. Dass davor auf den Schlachtfeldern die Söhne des Landes für die Unabhängigkeit und Freiheit Sachsens verblutet waren, focht den hiesigen Adel nicht an – man stellte sich Napoleon mehrheitlich willfährig im Russland-Feldzug als Vasallen zur Verfügung. Erst in Leipzig wechselten zwei Brigaden der sächsischen Armee wieder die Seite zur anti-napoleonischen Koalition, was aber die Preußen »Friedrich August

dem Gerechten« nicht durchgehen ließen – er wurde preußischer Staatsgefangener und Sachsen verlor im Ergebnis zwei Drittel seines Territoriums und die Hälfte seiner Bevölkerung an Preußen. Das adlige sächsische Offizierskorps stand fast bis zuletzt an der Seite des Imperators, während bürgerliche Freischärler sich um die Befreiung des Landes verdient machten. Renn hat die Sicht des adligen Offiziers und als solcher ist er als Vertreter seiner Kaste glaubwürdiger als irgendein NichtAdliger, schon von daher sind die Innenansichten über den Adel einmal mehr lesenswert. 1928 wechselte Arnold Friedrich Vieth von Golßenau zu den Linken und nannte sich fortan nur noch Ludwig Renn. Es wäre schön, wenn in Bautzen künftig auch eines großen politischen Häftlings gedacht würde: Ludwig Renn kam im Januar 1934 »Wegen Vorberei-

tung zum Hochverrat« dorthin. Der Vater Ludwig Renns war als »Prinzen-Erzieher« bestens vertraut mit den Gepflogenheiten des Sächsischen Hofes. Spannend liest sich auch die eingeflochtene Story der volkstümlichen »Lady Di« Sachsens, Louise von Toscana, die mit ihrem FranzösischLehrer durchbrannte und ihrem königlichen Schwiegervater den Rücken kehrte. Ihr Buch über ihre Flucht war damals ein Bestseller, erfährt man bei Renn, der viel über die Auflösungstendenzen im morbiden Adel am Vorabend des Erstens Weltkrieges berichtet. Das Buch ist zuletzt 2001 im Verlag »Das Neue Berlin« erschienen und es liest sich gut als Pendant zum »Radetzkymarsch« von Joseph Roth, in dem dieser die Verkommenheit des österreichischen Adels in Offizierskreisen zur gleichen Zeit schildert. Ralf Richter

Von der Ästhetik des Schwarz-Weiß-Fernsehens Ab und an verfolgt er mich noch, jener Albtraum vom Fernsehgerät, das sich nicht abschalten lässt - ich hatte solch ein Gerät bis weit in die siebziger Jahre hinein besessen, und die Bildröhre sollte erst entgültig verlöschen, wenn ich nach mehrmaliger Betätigung der Taste den Stecker zog ... Ich denke an die Zeit, als das Fernsehen in der DDR eingeführt wurde, das war 1952, kurz vor meiner Geburt. Und als Fernsehgeräte noch die Namen berühmter Maler trugen, Rembrandt oder Rubens, einen Dürer gab es wohl auch, und dieser hatte mit seinen Zeichnungen und colorierten Holzstichen noch am

Musik

ehesten mit der Ästhetik des Schwarz-Weiß-Sehens zu tun, trotz Farbe - erinnere mich an Kunstpostkarten mit verschossenen Grün-, Rot- und Brauntönen, die ich in meiner Jugendzeit sammelte. Die ersten Fernseher, die ich Ende der fünfziger Jahre kennenlernte, hatten winzige Bildröhren, die grünstichige Aufnahmen wiedergaben. Die Bildröhren waren eingefasst in ein Passepartout, das in eben diesem verschossenen Graugrün schimmerte. Was gesendet wurde, waren Aufnahmen vom Mars, auch das Sandmännchen musste von weither kommen ... Anfang April 1961 war es auch für unsere vierköpfige Familie

soweit - unser Fernseher, den die Eltern in der Stadt kauften, nannte sich prosaisch Start 2, ein Produkt von Rafena, wobei die Ziffer sich auf jene geheimnisvolle dritte Taste bezog, die schon eingebaut war, um später einmal das zweite Programm des Deutschen Fernsehfunks zu empfangen. Doch das sollte erst 1969 Realität werden, zusammen mit der schrittweisen Einführung des Farbfernsehens. Das erste Fernseherlebnis, an das ich mich erinnere, war die vormittägliche Wiederholung eines Spielfilms, unser Gerät gab die Grautöne exakt wieder, übte uns ein in die Ästhetik der Abstufungen des Grau, die mir bald realistischer

dünkten als jede Farbphotographie oder die Farben der Filme, die im Kino zu sehen waren. Ihnen eignete, so empfand ich, mehr Authentizität, Differenziertheit und Klarheit, eine Differenziertheit, mit der die Farbdarstellung nicht zu konkurrieren vermochte. Mir war, als sähe ich durch eine millimeterdicke, unbewegte Wasserschicht ... Und dann sollten wir am 12. April 1961 live Juri Gagarins Erdumkreisung verfolgen, wir empfingen die Signale aus dem Orbit, lauschten der Stimme des Kommentators, der mit Akzent sprach ... Jayne-Ann Igel

Mit Reggae assoziieren wohl die meisten Hörer lediglich Sonnenstrände und Gras. Die bassbetonte Musik und die Betonung auf dem zweiten Takt, dem sogenannten Offbeat, lassen auch nur an Entspannung und gute Laune denken. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, denn entgegen aller Klischees ist Jamaika noch heute ein Dritte-Welt-Land mit hoher Arbeitslosigkeit. Und von der Gewalt in den bitterarmen Vierteln Kingstons, den Shanty Towns handelten bereits frühe Stücke der sogenannten Rude Boys in den 60ern bis hin zu den heutigen, teilweise wegen ihrer Homophobie stark umstrittenen, Dancehall-Künstlern. Ebenso verbinden sicher die meisten Reggae mit Bob Marley. Er begann seine Karriere in den 60ern als Rude Boy und hatte schon damals einige Hits, wohl noch vorwiegend lokal in Jamaika und natürlich, aufgrund der vielen jamaikanischen Einwanderer, in England. Innerhalb der Rude Boy Kultur gab es zwei Richtungen, die einen propagierten die Gewalt, die anderen den Weg des (religiösen) Bewusstseins, den sogenannten concious-Stil. Sie waren im festen Glauben, dass die Gewalt für die Rudees und die Bewohner der Shanty Towns der falsche Weg ist. Bob Marley ging diesen Weg. Auf seiner achten Studio-LP erschien 1976 das Lied War. Marley fand in den Jahren davor zur Religion des Rastafari, einer Religion, die u.a. den äthiopischen König Haile Selassie I. als den Messias, also die Wiederkehr Gottes auf der Erde ansahen. Und ebendieser Haile Selassie hielt 1963 vor der UNO eine Rede, in der er in eindringlichen Worten Toleranz und gegenseitige Unterstützung forderte. Selassie hielt diese Rede wenige Wochen nach der Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Marley nahm faktisch nur einen Teil der Rede und daraus entstand eines der stärksten Stücke auf der LP. Der Text wurde kaum abgewandelt, Marley steigerte aber die Intensität, indem er das Wort war – Krieg ergänzte. Unterlegt von einem typischen concious-Beat und Bass (Aston „Family Man“ Barrett zeichnete wohl für die musikalische Umsetzung, insbesondere die Bassmelodie verantwortlich, was leider nach Marleys Tod in unappetitlichen Urheberrechtsstreitereien endete) hatte Marley als einer der ersten bedeutenden Dritte-Welt-Künstler mit diesem Lied großen Erfolg in der westlichen Welt. Rico Schubert


Kultur

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Welterbgebirge Höchst selten kommt man im Sächsischen Landtag als LINKE in den Genuss, einen Erkenntnisprozess der Regierungsfraktionen erleben zu dürfen. Und wenn es dann geschieht, reifen gewöhnlich die Ideen bei CDU und FDP sehr langsam. Doch immerhin: manchmal reifen sie. Eine Woche, nachdem am 4. April 2011 im zuständigen Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien, die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag ihren Antrag »Aufnahme der Montanregion Erzgebirge in das UNESCO-Welterbe unterstützen« (Drucksache 5/3036) acht ausgewiesenen Fachleuten zu einer öffentlichen Anhörung präsentierte und dabei nahezu einhellige Zustimmung erfuhr, überraschten uns die schwarz-gelben Kollegen mit

einem eigenen Antrag zum industriekulturellen Erbe des Freistaates, der bereits am 19. April im hohen Haus diskutiert wurde. Einen Plagiatsvorwurf erhob ich in der Debatte nicht, denn wenn die Verwerter eines Themas beim Initiator desselben Anleihen nehmen, schimmern ja wenigstens Denkprozesse durch. Endlich, möchte man gutwillig sagen, wurde von der Koalition - zwar mit wolkigen Formulierungen – eingestanden, dass Sachsen nicht immer nur mit barocker Pracht zu präsentieren ist, sondern sich auf diejenigen Gewerbe zu besinnen hat, in denen die Werte für die Prachtentfaltung überhaupt erst geschaffen wurden. Gleichwohl ließ der CDU/FDPAntrag zum industriekulturellen Erbe wesentliche Fragen offen, denn noch immer tut

sich die Staatsregierung mit dem Thema UNESCO-Welterbe recht schwer. Gerade so, als wäre es peinlich, Weltgeltung damit erlangt zu haben, dass sich die erste Fabrik auf dem europäischen Kontinent in Chemnitz befand oder dass der intensive Bergbau im Erzgebirge die Gründung der ersten montanwissenschaftlichen Hochschule der Welt in Freiberg 1765 nach sich zog. Es gibt bekanntlich viel zu zeigen im Erzgebirge, und zwar woher der Reichtum einst kam, mit dem sich Dresden schmückt, welche Erfindungen erforderlich waren, um all die Schätze zu heben, und wie eine europäische Region frühe Zusammenarbeit praktizierte, zwischen dem sächsischen und dem böhmischen Teil des Gebirges. Noch immer leckt die Staats-

regierung in einer geschichtsbewusster werdenden Zeit augenscheinlich alte Wunden, die vom Debakel des Welterbes Dresdner Elbtal herrühren. Dabei ist es töricht, ein Feindbild UNESCO zu zeichnen. Der universalen Wissenschafts- und Bildungsorganisation der UNO ist ein bigottes Geschichtsbild fremd. Die Welterbe-Spezialisten wissen, dass die erhaltenswerten Stätten menschlicher Tätigkeit und Schöpferkraft meist sehr nahe an den Stellen heutigen Wirkens liegen. Die Staatsregierung täte nunmehr gut daran, die Lehren aus der Blamage mit dem Dresdner Elbtal - der ersten Aberkennung eines Erbe-Titels weltweit - dahingehend zu ziehen, dass mit der erneuten Chance diesmal taktisch klüger umgegangen wird. Im Jahr 2011 müssen die

entscheidenden Weichen gestellt werden, nachdem sich bereits 1998 für das Vorhaben offiziell von Sachsen beworben wurde. 13 Jahre fruchtloser sächsischer Regierungsdebatten zum Welterbe der Montanregion Erzgebirge nehmen sich innerhalb von über 800 Jahren Bergbaugeschichte dieser Region zwar gering aus, doch im politischen Geschäft mit klaren Meinungen bedeuten sie eine Ewigkeit. Wer die sächsische Geschichte als Ganzes zeigen und eine einseitige Sichtweise auf höfisches Gepränge vermeiden will, kommt an der Einmaligkeit dieser Region und ihrer Leistungen nicht vorbei. Eine erneute Blamage offizieller sächsischer Welterbe-Politik und Industrie-Kulturlosigkeit gilt es unbedingt zu verhindern. Volker Külow

Zwischen Zweifel und Linientreue In der Abiturklasse 1956 ( ABF II in Halle) holte mich der sehr gute Deutschlehrer Köhler nach vorn, ich sollte das Gedicht von Becher »Tübingen oder die Harmonie« interpretieren. Das war die Hausaufgabe gewesen; ich hatte nicht den blassesten Schimmer, weil ich fest überzeugt war, nicht dranzukommen. Ich stotterte also los, die Hälfte der Klasse griente über beide Backen, weil meine Lage auf der Hand lag, Köhler übersah es und mich in gelassener Erwartung an. Ich las sehr langsam den Text vor, um Zeit zu gewinnen. Das Gedicht sprang mich an, könnte man sagen, Köhler war schließlich sehr zufrieden, und ich weiß seitdem, dass Johannes R. Becher ein bedeutender deutscher Dichter ist. Er war ein zutiefst zerrissener, ein problematischer Mensch – für sich selbst und für andere. Die Begleitumstände seines Lebens: Zwei Weltkriege, Revolutionen – siegreiche und nur halb vollendete, Faschismus, Terror, Exil in der Sowjetunion, Trümmer und Neuaufbau waren dramatisch, grausam und unmenschlich. Er selbst schwankte sein Leben lang zwischen Anspruch und Irritation, Selbstüberhöhung und Selbstpreisgabe, Aufruhr und Unterwerfung. 1891 als Sohn eines späteren Landgerichtspräsidenten in München geboren, wird Becher ein bedeutender Vertreter expressionistischer Dichtung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Hochgespannte Metaphorik und Sprach-

zertrümmerung im lyrischen Ausdruck sind ihm auch Angriff auf die Gesellschaft, die er auch zertrümmern möchte. Sein Anspruch ist gleichzeitig überhöht: Von seinem pazifistischen Lyrikband »An Europa« erwartete er, er würde die Soldaten des Weltkrieges zum Niederlegen der Waffen veranlassen. Leider hat er diesen Teil seines dichterischen Werkes später grundsätzlich verworfen. Mit 24 Jahren hat er 7 Bücher vorgelegt; er hat aber auch einen Selbstmordversuch begangen, bei dem er seine Partnerin, eine 26-jährige Zigarettengeschäftsinhaberin, tödlich trifft, selbst aber nach drei Schüssen auf sein Herz schwer verwundet überlebt. Seine MorphiumAbhängigkeit zwingt ihn zu mehreren Klinikaufenthalten. Zwar hat er 1919 mit der Herausgabe des Aufrufes »An alle Künstler« seine Wende zum Sozialismus vollzogen (schon 1917 hatte er die russische Oktoberrevolution mit dem Gedicht »Gruß des deutschen Dichters an die russische Föderative Sowjetrepublik« begrüßt), trat in die KPD ein und wurde Reichstags-Abgeordneter. Doch dies alles unter beträchtlichem Hin- und Hergerissensein, so extrem, dass man es fast nicht glauben möchte. An den Grafen Keßler schrieb er unter dem 15. 11.1918: »... ich die Revolution weder auf der Barrikade noch als Redner mitmachte. Zustände, die erreicht sind, sind für mich erledigt«. »Ich arbeite sehr viel für die KPD«, heißt

Am 4.7.1950 begrüßte Johannes R. Becher eine sowjetische Schriftsteller-Delegation. (v.l.n.r.) Konstantin Fedin, Nikolai Tichonow, Petr Pawlenko, Alexander Twardowski, Johannes R. Becher.

es ein halbes Jahr später. Und am 26.3.20 schreibt er: «Denn ich bin reaktionär ebenso wie revolutionär, Deutschen-Hasser ebenso wie unerhört sehnsüchtig nach dem Idealbild des Deutschen«. Vielleicht ist das eine gute Beschreibung seiner Zerrissenheit, derer er sich bewusst ist und die er hinter sich lassen möchte durch eine ergebene Hinwendung zu seiner Partei, deren ideologische Überzeugung er allerdings teilt. 1927 fährt er zum ersten Male in die Sowjetunion und spricht von der »glücklichsten Zeit seines Lebens«. Nach zwölf Jahren Emigration in der Sowjetunion, in denen er eine ganze Reihe von großartigen Gedichten schreibt und das Theaterstück »Winterschlacht« (das ich in der Insze-

nierung von Brecht am Berliner Ensemble gesehen habe), kehrt er als einer der ersten von rund 250 emigrierten Schriftstellern nach Deutschland zurück. »Es sei«, schreibt er an den Freund Hans Carossa, »die Hölle gewesen«. Becher entfaltet eine riesige Aktivität; er ist der Ansicht, dass man den Deutschen durch Dialog und Verständnis aus Faschismus und Niederlage heraus helfen muss und kann. Er gründet den »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands«, die Akademie der Künste und mit Wiegler deren Zeitschrift »Sinn und Form«, den AufbauVerlag und ist von 1954-1958 Kulturminister. »Ein Glücksfall für die DDR«, schreibt dazu Hans Mayer. Und er schuf ge-

meinsam mit Hanns Eisler die »Neuen deutschen Volkslieder«, für deren Würdigung hier kein Raum ist. Mir werden sie immer groß bleiben und sehr nahe sein. Andererseits: Nachdem die SED ihre Deutschlandpolitik grundsätzlich geändert hatte, und Becher sich vor dem ZK einer Selbstkritik wegen seiner positiven Haltung zu Georg Lukacz beim ungarischen Aufstand unterziehen musste, war Becher praktisch mundtot gemacht. Er wolle noch einmal emigrieren, soll er Freunden anvertraut haben. Als er 1958 starb, wurde für ihn ein Staatsbegräbnis ausgerichtet, was er ausdrücklich nicht wollte. Uns, seinen Lesern, wurde sein Wunsch nicht mitgeteilt. Jochen Kretschmer


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