047-102_5_Anwendungsbeispiel_D.qxp:Lignatec
27.7.2010
14:31 Uhr
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5.9
Erdbebengerechte mehrgeschossige Holzbauten
Folgerungen
Für die Auslegung des horizontalen Aussteifungssystems des viergeschossigen Holzbaus in der höchsten Erdbebenzone Z3b in der Schweiz wird nicht allein Erdbeben, sondern fallweise auch Wind massgebend. Bei der Gebrauchstauglichkeit ist der Wind massgebend, während bei der Tragsicherheit die Anforderungen an die Erdbebensicherheit dominieren. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass ein erdbebengerechtes, duktiles Tragwerk (Tragwerkstyp D gemäss Norm SIA 265 (2003), Tabelle 10) gewählt wird. Bei einem nicht duktilen Tragwerk (Tragwerkstyp A) würden sich die Erdbebenbeanspruchungen verdoppeln. Grundsätzlich verhalten sich Gebäude mit relativ weichem horizontalem Aussteifungssystem günstig bezüglich Erdbeben, wobei zur Erfüllung der Gebrauchstauglichkeitsanforderungen bezüglich Wind eine minimale Steifigkeit vorgehalten werden muss. Je nach Kombination der zahlreichen Bemessungsparameter für Erdbeben und Wind wird einmal die eine oder die andere Einwirkung massgebend. Mit zunehmender Geschosszahl werden die Windbeanspruchungen dominanter gegenüber den Erdbebenbeanspruchungen. Bei Gebäuden mit nicht duktilem Tragwerk wird auch in den niedrigen Erdbebenzonen das Erdbeben die massgebende horizontale Einwirkung. Dies trifft insbesondere bei wenigen Geschossen und grosser horizontaler Steifigkeit zu. Für die Vorbemessung eines horizontal relativ weichen Aussteifungssystems eines Gebäudes empfiehlt es sich, vorerst die vergleichsweise einfachen Gebrauchstauglichkeitskriterien für Wind anzuwenden. Anschliessend sind die Nachweise der Tragsicherheit für Wind und Erdbeben durchzuführen. Mehrgeschossige Holzbauten mit horizontal weichen Aussteifungssystemen weisen lange Grundschwingzeiten in horizontaler Richtung auf, die in denjenigen Bereich des Bemessungsspektrums fallen, in dem die Erdbebeneinwirkung mit zunehmender Grundschwingzeit stark zurückgeht. Folglich wird eine genauere Berechnung der Grundschwingzeit an einem Tragwerksmodell unter Berücksichtigung wirklichkeitsnaher Steifigkeiten der Holzbauteile und deren Verbindungen wichtig.
Die Schätzformel (261.38) der Norm SIA 261 (2003) ergibt für mehrgeschossige Holzbauten generell zu niedrige Grundschwingzeiten und folglich zu hohe Erdbebenbeanspruchungen. Dagegen liefert die Schätzformel (261.39) der Norm SIA 261 (2003), die auf einer vereinfachten Rayleigh-Methode beruht, beim Anwendungsbeispiel wesentlich bessere Resultate, da die Kriterien für die Regelmässigkeit erfüllt sind. Die Schätzformel (261.39) genügt oft für die Vorbemessung. Für die definitive Bemessung wird eine Berechnung der Grundschwingzeiten nach der Rayleigh-Methode am Mehrmassenschwinger unter Berücksichtigung wirklichkeitsnaher Steifigkeiten empfohlen. Unregelmässigkeiten im Tragwerk wie sprunghafte Veränderungen über die Höhe von Horizontalsteifigkeit, Torsionsbeanspruchung oder flexible Deckenscheiben müssen mit dem Antwortspektrenverfahren analysiert werden, wobei oft ein dreidimensionales Tragwerksmodell erforderlich wird. Bei einem regelmässigen Tragwerk ergeben sich beim Ersatzkraft- und beim Antwortspektrenverfahren ähnliche Resultate, wie für das Anwendungsbeispiel in diesem Heft im Kapitel 5.7 aufgezeigt. Bei einem unregelmässigen Tragwerk können grössere Unterschiede auftreten. Im Sinne der Effizienz empfiehlt es sich bei Rahmenbauweise, das Tragwerk entweder für eine hohe Duktilität (Tragwerkstyp D mit einem Verhaltensbeiwert von q = 3,0 für Holzrahmenbauten, siehe Figur 51) oder für eine kleine Duktilität (Tragwerkstyp A mit einem Verhaltensbeiwert von q = 1,5) auszulegen. Das nicht duktile Tragwerksverhalten ist jedoch nur dann zu empfehlen, wenn das Erdbeben gegenüber dem Wind nicht massgebend wird. Allgemein gilt, dass bei Missachtung der Regeln des erdbebengerechten Entwurfs mit erheblich grösseren Erdbebenbeanspruchungen zu rechnen ist. Dies hat einen Zusatzaufwand beim Tragwerk zur Folge.