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Betteln als Arbeit in einer anderen welt Nr.1

I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s Aufgrund dessen sei es beispielsweise unmöglich deren Kinder zu erziehen oder zu bilden. Sie werden als Nomadenvolk eingeordnet, welches einer rückständigen und primitiven menschlichen Entwicklungsstufe entspricht. Hinsichtlich der teils auftretenden mutterrechtlichen Zügen welche im Gegensatz zu den patriarchalen Struktur der Mehrheitsbevölkerung stehen, wurde die „Zigeunermutter“ als weiteres Indiz für unterentwickelte Menschen gesehen.

Diese Schaffung des Zigeunerstereotyps sowie die rassistischen Sichtweisen wurden in den Lexika und Enzyklopädien bis in das späte 20. Jahrhundert weiter ausgebaut. So schreiben verschiedene Lexika in der Mitte des 20. Jahrhunderts immer noch anhand des Begriffes Rasse von einem asozialen und parasitenhaften Wesen. Auch in der 1994 erschienenen Volksausgabe des Brockhaus wird von einer Unfähigkeit zur Integration geschrieben. So

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mit wird weitläufig bis heute versucht die gesellschaftliche Ausgrenzung auf eine rassistische Unterschiedlichkeit zurückzuführen. Diese erfundenen Annahmen klammern bewusst die historische Anpassung von Roma und Sinti aus: Viele Gruppen pflegen beispielsweise bereits seit langem eine sesshafte Lebensweise oder sind seit Jahrhunderten katholischer Konfession. Das Verständnis des Wortes „Zigeuner“ hatte für diese Tatsachen keinen Platz. Deshalb liegt es an jeder einzelnen Person die falschen Annahmen nicht weiter zu transportieren, somit Bevölkerungsgruppen rassistisch abzustempeln und zu diskriminieren.

Iris Wigger: Ein eigenartiges Volk. Die Ethnisierung des Zigeunerstereotyps im Spiegel von Enzyklopädien und Lexika. In: Hund, Zigeuner, 1996, S. 37- 66.

Julian Kaser

Im Rahmen der Vorlesungsreihe „Anthropologie des öffentlichen Raumes“ kam es im aktuellen Semester an der Universität in Brixen zu einem Gastvortrag von Catalina Tesar: „Betteln zwischen Wohltätigkeit und Arbeit - Überlegungen zum Betteln der Rumänischen Roma in Italien“ thematisierte eine von ihr durchgeführte Forschung. Die am University College in London angestellte Anthropologin partizipierte insgesamt 18 Monate in den Lebensverhältnissen der Roma-Gruppe „Cortorari“ in Rumänien. Einige Wochen begab sie sich dabei mit ihnen in verschiedene norditalienische Städte zum Betteln als Arbeit in einer anderen Welt Nr.1

I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s I n t e r n o s Betteln, um ein ganzheitliches Bild der Cortorari beschreiben zu können. Wie andere Roma sind auch die Cortorari eigens zu betrachten: Sie haben eigene Traditionen, Sitten, Gesetze und differenzieren sich auch durch die bunte Kleidung von anderen Roma-Gemeinschaften. Die Vielfältigkeit gehört genauso wie die einheitliche Sprache ( „ R o m a - nes“) zu den herausra g e n d e n Merkmalen der Roma. Um die Leb e n s v e r - h ä l t n i s s e der Cortorari verstehen zu können ist es teilweise nötig vertraute Annahmen beiseite zu schieben. So gibt es beispielsweise in der internen Rechtsprechung der Cortorari kein Gesetz welches wahr oder falsch besagt, wodurch der Verhältnismäßigkeit mehr Gewicht gegeben wird. Des Weiteren gibt es in der Art und Weise des Wohnens keine herkömmliche Trennung von öffentlich und privat. Vielmehr wird das gesamte Dorf der Cortorari als gemeinschaftlicher Raum betrachtet. Diese gemeinschaftliche Ausrichtung resultiert aus einem sozialen Beziehungsnetz welches durch

Heirat beschlossen wird und ein vielschichtiges Verwandtschaftssystem entstehen lässt. Bei der Heirat spielt dabei der Tausch von Gaben eine wichtige Rolle: damit eine Cortorari-Frau heiraten darf, kann es nötig sein der Familie des Bräutigams fünf bis zehntausend Euro als sogenannte „Mitgift“ zu überreichen. Diese Mitgift kann dann mitunter der Grund für eine mehrw ö c h i g e B e t t e l r e i - se in eine fremde Welt sein. Zur Stärkung der sozialen Bindung im Dorf wird ein Teil des erbettelten Geldes auch häufi g in ein gemeinsames Essen investiert. Während des Bettelns hingegen steht das Sparen für die einzelnen Cortorari im Vordergrund. Aufgeteilt in verschiedenen Städten sind die einzelnen Familien zusätzlich auf sich alleine gestellt, wenn bei schwierigen Verhältnissen unter freiem Himmel geschlafen wird. Nicht nur dabei gilt es Gefahren aus dem Weg zu gehen, sich auf die vorherrschenden kulturellen Umstände einzulassen und situationsgerecht zu handeln. Dies sind genauunter der Grund für eine mehrw ö c h i g e B e t t e l r e i - se in eine fremde Welt sein. Zur Stärkung der sozialen Bindung im Dorf wird ein Teil des

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