95 Jahre Landkreis Gotha

1922 – 2017 95 Jahre Landkreis Gotha

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Inhalt

Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort: Konrad Gießmann (Landrat)

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Vorstellung der Autoren

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Dr. Hans-Jörg Ruge: Zur Entstehungs­geschichte des Kreises Gotha in der Zeit der Weimarer Republik

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Dr. Karl-Eckhard Hahn: Ansprache zum 90. Gründungsjubiläum des Landkreises Gotha

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Quellen für Fotos | Karten

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Haftungsausschluss | Impressum

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ich freue mich sehr über Ihr Interesse an unserer Broschüre, die anlässlich des 95. Jahrestages der Gründung des Landkreises Gotha aufgelegt wird.

Auf den folgenden Seiten erwartet Sie keine chronologische Abfolge der Ereignisse zwischen 1922 und 2017. Vielmehr haben wir für Sie zwei sehr lesenswerte Beiträge ausgesucht, die sich eingehend mit der Entstehungs- und der späteren Entwicklungsgeschichte unseres Landkreises befassen. Und das aus unterschiedlichen Perspektiven heraus, die nicht zuletzt den Veröffentlichungsdaten beider Texte geschuldet sind: Während Hans-Jörg Ruge die frühen Jahre in der Weimarer Republik beleuchtet und darauf zurückschaut, worin die Wurzeln dereinst lagen, widmet sich Dr. Karl-Eckhard Hahn den langen Linien der Landkreisgeschichte vor allem unter dem Aspekt des Werdens, Verschwindens und der Rückkehr der kommunalen Selbstverwaltung.

Letztere ist unzweifelhaft ein Garant für die gedeihliche Entwicklung einer Region. Und so lässt sich diese Publikation auch als bewusste Wortmeldung verstehen. Schließlich fällt der 95. Geburtstag in eine Zeit, in der die Landesregierung versucht, die Landkreise im Freistaat neu zu ordnen und über Fusionen eine neue kommunale Struktur zu etablieren. Zum Redaktionsschluss dieser Broschüre stand noch nicht fest, in welcher Form an diesem oft kritisierten und vor Gericht zunächst verworfenen Vorhaben der Kreisgebietsreform festgehalten wird oder nicht. Die Beiträge dieses Heftes legen es nahe: Der Landkreis Gotha hat die Stürme des 20. Jahrhunderts überdauert. Er steht heute wirtschaftlich, kulturell und eingedenk der sozialen Angebote weit vorn im Vergleich der Regionen Thüringens. Er ist Heimat und leistungsfähige Verwaltung in einem.

Deshalb stehen, in meinen Augen, die Chancen nicht schlecht, in fünf Jahren einen großen runden Geburtstag zu feiern.

Ich wünsche Ihnen eine angenehme und aufschlussreiche Lektüre.

Ihr Konrad Gießmann Landrat

Vo r w o r t

L i e b e L e s e r i n n e n , l i e b e L e s e r,

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Autoren

Vo r s t e l l u n g d e r A u t o r e n

Dr. Hans-Jörg Ruge, Jahrgang 1953, Historiker und Archivar, promovierte an der FriedrichSchiller-Universität Jena zur Geschichte des Stadt- und Landkreises Gotha 1933 – 1939.

Er war Archivar im Thüringischen Staatsarchiv in Gotha und ist heute freiberuflich tätig. Dr. Ruge lebt in seinem Heimatort Zimmernsupra, wo er das Kleine Schiller-Museum betreibt.

Der Beitrag „Zur Entstehungsgeschichte des Kreises Gotha in der Zeit der Weimarer Republik“ wurde zuerst veröffentlicht im Gothaer Museumsheft zur Regionalgeschichte, Museen der Stadt Gotha, 1991.

Dr. Karl-Eckhard Hahn, Jahrgang 1960, Historiker, promovierte an der Universität Göttingen mit einer Arbeit zu deutschlandpolitischen Kontroversen in der Regierung Adenauer. Er war Pressesprecher des Thüringer Landtags sowie Thüringer Regierungssprecher und leitet heute die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag. Hahn ist unter anderem Mitglied der Historischen Kommission für Thüringen.

Der Textbeitrag ist das Manuskript der Festrede, die Dr. Hahn anlässlich des 90. Gründungstages des Landkreises Gotha am 2. Oktober 2012 im LouisSpohr-Saal hielt.

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Entstehungsgeschichte

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Zur Entstehungs­ geschichte des Kreises Gotha in der Zeit der Weimarer Republik In den letzten Jahren hat unter großen Teilen der Bevölkerung das Interesse an der historischen Entwicklung der engeren Heimat spürbar zugenommen, wobei besondere Schwerpunkte auf dem Gebiet der Ortsgeschichte bzw. Ortschronik liegen. In der Beschäftigung damit wird zwangsläufig auch die Problematik der politisch-administrativen Einbindung eines Ortes oder eines Kreises innerhalb der übergeordneten territorialen Einheiten berührt. Der folgende Beitrag, der in erster Linie den Charakter einer Dokumentation besitzt, unternimmt daher den Versuch, die tiefgreifenden verwaltungsgeschichtlichen Veränderungen, denen der Gothaer Raum vor allem während der Weimarer Republik – aber auch in den darauffolgenden Jahrzehnten – unterworfen war, in gestraffter Form chronologisch zu erfassen.1) Da sich verwaltungsgeschichtliche Veränderungen immer auf konkrete territoriale Einheiten mit den für sie typischen Merkmalen ihrer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklung beziehen, sollen zunächst einige Grundzüge dieser Entwicklung im Vordergrund der Betrachtung stehen.

Durch die Novemberrevolution von 1918 und die damit verbundene Beseitigung der Monarchie in Deutschland eröffneten sich in Thüringen günstige Bedingungen, die überkommene partikularistische Zersplitterung des Territoriums zu überwinden. Ansätze dazu gab es vor allem seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder.

Zum genannten Zeitpunkt existierten auf thüringischem Boden die folgenden acht Einzelstaaten: das Großherzogtum Sachsen (Sachsen-Weimar-Eisenach), die Herzogtümer Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg sowie Sachsen-Coburg und Gotha, ferner die Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß älterer und Reuß jüngerer Linie. Die nunmehr entstandenen Freistaaten bzw. Republiken verhandelten bald schon über einen Zusammenschluss, wobei unter anderem die Frage der Einbeziehung der preußischen Gebietsteile erörtert wurde. Zu Preußen gehörte damals der Regierungsbezirk Erfurt – als Teil der Provinz Sachsen – mit den Stadtkreisen Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen sowie den Landkreisen Erfurt, Heiligenstadt, Langensalza, Mühlhausen, Grafschaft Hohenstein, Schleusingen, Weißensee, Worbis und Ziegenrück. Ebenfalls preußisch war der Kreis Schmalkalden (Regierungsbezirk Kassel, Provinz Hessen-Nassau).

Als einer der insgesamt 18 Gliedstaaten des damaligen Deutschen Reiches nahm Thüringen nach Größe, Einwohnerzahl, Wirtschaft usw. eine mittlere Position ein.

Durch die Lösung der thüringischen Frage in Form der „klein-thüringischen Variante“ der Herstellung der Einheit des Landes war kein einheitlicher, in sich geschlossener Verwaltungskörper entstanden, sondern ein Gebilde, das im Wesentlichen aus zwei Teilen bestand: im Norden das kleinere Gebiet um Sondershausen und im Süden das bedeutend größere mit der neuen Landeshauptstadt Weimar. Nach wie vor gab es eine Reihe von Exklaven und Enklaven.5) Dieser Zustand sollte in der Folgezeit die Verwaltung des Territoriums nicht unbedingt erleichtern.

Zwischen den ehemals selbstständigen Staaten existierten aufgrund ihrer spezifischen Entwicklungen nicht zuletzt in zahlreichen rechtlichen sowie politischadministrativen Fragen erhebliche Unterschiede, die es anzugleichen bzw. zu überwinden galt. Dieser Prozess sollte einige Jahre in Anspruch nehmen; in seinen entscheidenden Teilabschnitten war er bis Frühjahr 1923 abgeschlossen. Dabei nahm die Schaffung einer Neugliederung des Territoriums einen besonderen Stellenwert ein. So wurde auf der Grundlage der „Verfassung des Landes Thüringens“ vom 11. März 19216) am 16.06.1922 das „Gesetz über die Neuabgrenzung der Kreise und Gemeinden (Kreiseinteilungsgesetz)“7) erlassen, welches gemeinsam mit der am 20.07.1922 verabschiedeten „Gemeinde- und Kreisordnung für Thüringen“8) am 1. Oktober 1922 in Kraft trat. Nunmehr gliederte sich Thüringen in neun Stadtkreise – 1926 kam Zella-Mehlis als Zehnter hinzu (vgl. Anlage 1) – sowie 15 Landkreise9) und die sogenannte Kreisabteilung Camburg10). Damit wurde die vor allem auf dynastische Teilungen zurückgehende historische Grenzziehung in einem hohen Maße überwunden. Unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, verkehrstechnischer und geographischer Faktoren war eine zweckmäßige Verwaltungsstruktur entstanden, wenngleich die Verhandlungen zwischen den Vertretern der ehemaligen Einzelstaaten im Vorfeld der Verabschiedung des Kreis­einteilungsgesetzes teilweise sehr zäh verliefen und nicht frei von Auseinandersetzungen waren.

Aus dem einstigen Herzogtum Sachsen-Gotha bzw. dem Freistaat Gotha entstanden unter Abtrennung zahlreicher Ortschaften der Stadt- und der Landkreis Gotha. Zählte das gothaische Gebiet bis zu diesem Zeitpunkt 153 Städte und Landgemeinden, so waren es nunmehr (vorerst) 108 (Anlage 1). Nach einer Reihe von Gemeindezusammenlegungen bzw. Wiederausgemeindungen, die bis 1925 ganz Thüringen erfassten11), bestand der Landkreis bis 1933 aus 104 und bis 1945 aus 103 Ortschaften, darunter vier Kleinstädte (Anlage 2).

Entstehungsgeschichte

Nachdem die Verhandlungen mit Preußen Mitte 1919 endgültig gescheitert waren, kam es auf der Grundlage eines entsprechenden Reichsgesetzes vom 30.

April 19202) mit Wirkung vom 1. Mai 1920 zur Bildung des Landes Thüringen durch den Zusammenschluss von sieben Einzelstaaten: Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Gotha3), Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und Reuß4).

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Entstehungsgeschichte

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Die damaligen Veränderungen erfassten die verschiedenen Bereiche staatlicher Administration. So wurde beispielsweise auf der Grundlage des „Gesetzes über die Sitze und Bezirke der ordentlichen Gerichte im Lande Thüringen“ vom 15. Juli 192312) die Justizverwaltung neu geordnet. Auch Gotha wurde Sitz eines Landgerichts, dem sowohl die auf gothaischem Kreisgebiet liegenden Amtsgerichtsbezirke Waltershausen, Ohrdruf, Gotha und Gräfentonna unterstanden, als auch die Amtsgerichtsbezirke Arnstadt, Ilmenau und Gehren.13) Gräfentonna beherbergte eine der thüringischen Landesstrafanstalten, die aus Frauenzuchthaus und Frauengefängnis bestand. Der Stadt- und der Landkreis Gotha waren dem Bezirk der Handwerkskammer in Weimar sowie dem Bezirk der Mittelthüringischen Industrie- und Handelskammer – ebenfalls mit dem Sitz in Weimar – angeschlossen.

Vergleicht man die thüringischen Stadt- und Landkreise unter Gesichtspunkten der Siedlungsgeographie sowie der Bevölkerungsentwicklung und -verteilung miteinander, so wird eine Reihe von Disproportionen sichtbar. Das zeigt sich einmal besonders deutlich hinsichtlich der Anzahl der Orte, die den einzelnen Landkreisen zugeordnet waren, zum anderen in der Bevölkerungsdichte. Markant für den Landkreis Gotha war die Tatsache, dass er mit nur knapp über 100 Gemeinden beständig die höchsten Einwohnerzahlen aufzuweisen hatte, zumindest bis 1950. Zahlreiche seiner Dörfer zählten zwischen 800 und über 2000 Einwohner; hinzu kamen die vier Kleinstädte Waltershausen, Friedrichroda, Ohrdruf und Tambach-Dietharz14) mit einer Gesamtbevölkerung von durchschnittlich 25 000 in den zwanziger und dreißiger Jahren.

Die Herausbildung der spezifischen Siedlungs- und Bevölkerungsstrukturen hängt in einem hohen Maße von den natürlichen Bedingungen ab, die ein bestimmtes Territorium aufzuweisen hat. Günstige geologische und klimatische Voraussetzungen sowie eine damit zusammenhängende hohe Bodengüte haben seit Jahrtausenden schon die agrarische Produktion in weiten Teilen des Thüringer Beckens befördert. Daher bildete nicht zufällig im nördlichen und zentralen Teil des Landkreises Gotha die Landwirtschaft seit Generationen die ausschließliche bzw. wichtigste Existenzgrundlage der dort lebenden Bevölkerung. In der Wirtschafts- und Sozialstruktur dominierten in den dreißiger Jahren dieses [20., d. Red.] Jahrhunderts die Mittelbauernwirtschaften (5-20 ha). Fast 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche befanden sich in den Händen dieser Schicht. Im Gegensatz dazu waren Kleinbesitz (2-5 ha) sowie Zwerg- und Parzellenbesitz (weniger als 2 ha) typisch für die Orte im Süden des Landkreises15). Ein starkes Mittelbauerntum gab es dort nicht. Dafür war der proletarische Anteil an der Dorfbevölkerung zum Teil erheblich höher. Die zumeist weniger ertragreichen Böden brachten es mit sich, dass viele Einwohner eine zweite Erwerbsmöglichkeit suchen mussten bzw. die Landwirtschaft von vornherein als Nebenbeschäftigung betrieben. Jedoch bot die Randzone des Thüringer Waldes aufgrund des Holzreichtums und des Vorkommens abbauwürdiger Steine, Erden und Erze eine gute Basis für verschiedene Gewerbe. Traditionell waren beispielsweise die Spielzeug- und Puppenherstellung, die Korbflechterei, die Köhlerei, Sägemühlen und andere holzverarbeitende Klein- und Mittelbetriebe weitverbreitet.

Heimarbeit war nahezu überall anzutreffen. Einige Orte erlangten bereits im 19. Jahrhundert für den Fremdenverkehr überregionale Bedeutung.

Ein charakteristisches Merkmal der Wirtschaftsstruktur des Landkreises Gotha (es traf prinzipiell für ganz Thüringen zu) bestand in einer vergleichsweise hohen Exportorientierung und damit Exportabhängigkeit einiger Produktionszweige. Der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 erfasste daher das Territorium in nicht geringem Maße. Mit der stetig wachsenden Arbeitslosigkeit verschlechterte sich die soziale Lage weiter Kreise der Bevölkerung immer mehr. Mit jedem Jahr nahm die Zahl der Empfänger von Arbeitslosen- bzw. Wohlfahrtsunterstützung zu. Einschließlich der mit zu ernährenden Familienmitglieder waren Ende 1932 fast 40 % der Einwohner des Landkreises auf diese Unterstützung angewiesen.16) Der Stadtkreis Gotha wurde nicht weniger von der allgemeinen Depression erfasst.

Produktionseinschränkungen, Betriebsstilllegungen, Konkurse, Vergleichsverfahren und Massenentlassungen standen auf der Tagesordnung. Nur wenige Betriebe hatten in diesen Jahren durchgängig über 100 Beschäftigte zu verzeichnen. Zu diesen gehörten:17) 1.5.1930

1.5.1931

1.10.1932

1.4.1933

Gothaer Waggonfabrik

669

506

323

237

Blödner & Vierschrodt

875

716

418

393

Reichsbahnausbesserungswerk

863

862

582

561

August Blödner

400

312

192

204

Mitropa

245

212

182

178

Lebensversicherungsbank

342

385

411

Feuerversicherungsbank

151

150

162

Die Ausgaben der Stadt für Unterstützungszahlungen erhöhten sich ständig und erreichten 1932 ihr Maximum. Die Haushaltsbilanz wies ein ständig steigendes Defizit aus. Der Wohnungsbau stagnierte, Räumungsklagen und Kündigungen häuften sich.

Diese katastrophalen Verhältnisse in Stadt und Land führten zu einer Zunahme des ökonomischen und politischen Kampfes der von Krisenerscheinungen besonders hart betroffenen Bevölkerungskreise. Dies spiegelte sich nicht zuletzt Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre in der sich ständig ändernden Kräftekonstellation zwischen den einzelnen politischen Parteien und Strömungen wider, was allein schon anhand der Ergebnisse der zwischen 1928 und 1933 stattgefundenen Reichtstags-, Landtags-, Kommunalsowie Reichspräsidentschaftswahlen nachvollziehbar ist.18) Seit Jahrzehnten war der Gothaer Raum ein Zentrum der Arbeiterbewegung in Thüringen. Die SPD und später die USPD bzw. KPD zählten zu den stärksten Parteien. In

Entstehungsgeschichte

Die relativ gut entwickelte Industrie verteilte sich schwerpunktmäßig auf die Einzugsbereiche der drei Städte Waltershausen, Ohrdruf und Tambach-Dietharz.

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Entstehungsgeschichte

der Gothaer Stadtverordnetenversammlung stellten die Kommunisten sogar die größte Fraktion, bis zum Wahlerfolg der NSDAP Mitte 1930.

Zu den führenden bürgerlichen Parteien gehörten über viele Jahre die Deutschnationale Volkspartei sowie die Deutsche Volkspartei. Darüber hinaus hatte besonders im nördlichen und im zentralen Teil des Landkreises der Gothaer Bauernbund, der organisatorisch mit dem Thüringer Landbund verbunden war, eine dominierende Position inne. Die NSDAP begann erst seit etwa 1929 eine größere Rolle im politischen Geschehen zu spielen, parallel zu der während der Weltwirtschaftskrise in ganz Deutschland zu verzeichnenden Rechtsentwicklung.

In Thüringen kam es am 23. Januar 1930 erstmals zur Regierungsbeteiligung der NSDAP in einem deutschen Land, als der spätere Reichsinnenminister, Dr. Wilhelm Frick, thüringischer Innen- und Volksbildungsminister wurde. Und ca. zweieinhalb Jahre später (fünf Monate vor dem 30. Januar 1933) konnte eine Regierung unter dem Gauleiter und künftigen Reichsstatthalter, Fritz Sauckel, die Führung im Lande übernehmen, die fast ausschließlich aus Mitgliedern der NSDAP bestand.

Anmerkungen

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1) Vergl. auch: Helmut Roob: Die Gothaischen Ämter im 19. Und 20. Jahrhundert, in: Gothaer Museumsheft. Abhandlungen und Bericht des Heimatmuseums Gotha, Gotha 1966, S: 33-47. – Im Interesse einer möglichst abgerundeten Darstellung ergaben sich zwangsläufig einige unvermeidbare Wiederholungen dessen, was bereits H. Roob behandelt hatte, wofür der Verfasser um Nachsicht bittet.

2) „Gesetz, betreffend das Land Thüringen“, in: Reichsgesetzblatt, Berlin 1920, Nr. 97, S. 841 f.

3) Im Ergebnis der in Sachsen-Coburg im November 1919 durchgeführten Volksabstimmung sprach sich die Bevölkerung mehrheitlich gegen eine Verbindung mit Thüringen aus. In der Folgezeit wurde der Anschluss an Bayern schrittweise vorbereitet und mit Wirkung vom 1. Juli 1920 vollzogen.

4) Die beiden Reuß hatten sich bereits im April 1919 zum Volksstaat Reuß zusammengeschlossen.

5) Eine Exklave ist der von einem fremden Staatsgebiet vollständig umschlossene Teil des eigenen Staates, eine Enklave der vom eigenen Staatsgebiet umschlossene Teil eines anderen Staatsgebietes.

6) Gesetzsammlung für Thüringen (im Folgenden: Ges. S. Th.), Weimar 1921, Nr. 10, S. 57-64.

7) Ebenda, 1922, Nr. 29, S. 297-305.

8) Ebenda, S. 305-322.

9) Darunter befand sich der Landkreis Jena-Roda mit der Stadt Roda als Verwaltungsmittelpunkt. Mitte 1925 erfolgte die Umbenennung des Ortes in Stadtroda. Seit Ende desselben Jahres hieß der Landkreis ebenfalls Stadtroda. – Vgl. Amts- und Nachrichtenblatt für Thüringen, Teil I, Weimar 1925, Nr. 52, S. 244 und Nr. 106, S. 421.

10) Die Kreisabteilung Camburg – ehemals meiningisches Gebiet – hatte einen etwas anderen Status als ein Landkreis. – Mit Wirkung vom 1. April 1939 wurde die Kreisab-

Gotha Gräfentonna Ohrdruf Waltershausen (Zella-Mehlis

43 Gemeinden sowie der Stadtkreis Gotha 12 Gemeinden 16 Gemeinden 22 Gemeinden 1 Gemeinde: Oberhof)

Die Zusammensetzung der Amtsgerichtsbezirke seit 1925 ist unter anderem zu entnehmen dem: Staatshandbuch für Thüringen 1926, Weimar 1926, S. 122-125.

14) Die Stadt Tambach-Dietharz entstand mit Wirkung vom 01.02.1919 durch die Vereinigung der beiden Landgemeinden Tambach und Dietharz. – Vgl. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar. Außenstelle Gotha, Landratsamt Ohrdruf 5000, unfol., unter dem 08.01.1919.

15) Thüringen-Atlas der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, hrsg. v. Johannes Müller, Gotha 1942, Karte 39.

16) Vgl. Alex Panse: Die Notlage der handarbeitenden Bevölkerung des Kreises Gotha in den Jahren vor der Machtergreifung, in: Gothaer Jahrbuch 1942, Heimatkalender für den Stadt- und Landkreis Gotha, hrsg. v. Rudolf Umbreit, Gotha 1941, S: 96-100.

17) Stadtarchiv Gotha, 2/10 473, unfol.

18) Vom 02.12.1928 bis 05.03.1933 fanden zehn Wahlen statt, davon sechs allein im Jahre 1932.

Anlage 1 Übersicht über diejenigen Gemeinden des Gothaer Gebietes, die im Zuge der Kreiseinteilung von 1922 anderen thüringischen Landkreisen zugeordnet wurden Das gothaische Territorium zählte am Vorabend der thüringischen Kreiseinteilung 153 Städte und Landgemeinden mit einer Einwohnerzahl von 187 643 (nach der Bevölkerungszählung vom 08.10.1919). Davon wurden mit Wirkung vom 01.10.1922 44 Ort-

Entstehungsgeschichte

teilung Camburg aufgelöst und in den Landkreis Stadtroda eingegliedert. – Vgl. Ges. S. Th., 1939, Nr. 4, S. 11.

11) Unter den von der SPD geführten thüringischen Landesregierungen überwog 1922/23 die Tendenz der Gemeindezusammenlegungen bzw. Eingliederungen, während die Anfang 1924 gebildete bürgerliche (sogenannte) Ordnungsbund-Regierung auf der Grundlage des „Notgesetzes über die Verschmelzungen von Gemeinden“ vom 18.03.1924 (Ges. S. Th., Nr. 18, S. 179) die meisten Eingemeindungen rückgängig machte. – Auf politische Ursachen und Hintergründe kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

12) Ges. S. Th., 1923, Nr. 41, S. 449-476.

13) Lediglich die Kreisgemeinde Oberhof war dem Amtsgerichtsbezirk Zella-Mehlis und damit einem anderen Landgerichtsbezirk zugeordnet. – Zum Zeitpunkt der Einführung des in Anmerkung 12 genannten Gesetzes zählte der Landkreis Gotha 94 Gemeinden, die sich wie folgt auf die Amtsgerichtsbezirke verteilten:

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Entstehungsgeschichte

schaften (mit 42 244 Einwohnern per 08.10.1919) folgenden Landkreisen zugewiesen: 1. Arnstadt – 22 Gemeinden mit insgesamt 18 750 Einwohnern: Arlesberg, Bittstädt, Eischleben, Elgersburg, Frankenhain, Gehlberg, Gera, Gossel, Gräfenroda (mit Dörrberg), Haarhausen, Holzhausen, Ichtershausen, Kettmannshausen, Liebenstein, Manebach, Molsdorf, Neuroda, Rehestädt, Rippersroda, Sülzenbrücken, Thörey, Traßdorf 2. Eisenach – 15 Gemeinden mit insgesamt 5903 Einwohnern: Deubach, Ebenshausen, Ettenhausen, Frankenroda, Hallungen, Hastrungsfeld, Kahlenberg, Kälberfeld, Lauterbach, Nazza, Neukirchen, Sättelstädt, Schönau an der Hörsel, Sondra, Thal 3. Sondershausen – 5 Gemeinden mit insgesamt 3898 Einwohnern: Hohenbergen, Kleinkeula, Körner, Menteroda, Obermehler 4. Weimar – 1 Gemeinde mit 835 Einwohnern: Werningshausen

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5. Meiningen – 1 Stadt mit 12 858 Einwohnern: Zella-Mehlis (Zella-Mehlis entstand mit Wirkung vom 01.04.1919 durch die Vereinigung der beiden Städte Zella St. Blasii und Mehlis. Aufgrund eines Beschlusses des Thüringer Landtages in der Sitzung vom 08.07.1926 wurde dem Ort der Status eines Stadtkreises verliehen.

– Quellen: Gesetz-Sammlung für den Staat Gotha, Gotha 1919, Nr. 9, S. 31. – Ges. S. Th., 1926, Nr. 36, S. 388.)

Quelle: Die neue Kreiseinteilung des Landes Thüringen vom Jahre 1922, hrsg. v. Thüringischen Statistischen Landesamt, Weimar 1922, S. 7 f., 27 f. und 37 f.

Anlage 2 Gemeindezusammenlegungen, Ausgemeindungen sowie Namensänderungen von Ortschaften im Stadt- und Landkreis Gotha 1922-1933

Quellen: Ges. S. Th., 1922-1925. – Amts- und Nachrichtenblatt für Thüringen, Teil I: Regierungsblatt, Weimar 1933, S. 361 und 462.

01.10.1922

Neue Bezeichnungen der Gemeinden

Anschluss von Siebleben, Stadtkreis Gotha Sundhausen, Boilstädt und Uelleben an den Stadtkreis Gotha

01.12.1922

Waltershausen, Ibenhain

Waltershausen

01.04.1923

Großtabarz, Kleintabarz, Cabarz

Tabarz

Bischleben, Stedten

Bischleben

Altenbergen, Catterfeld

Altenbergen-Catterfeld

Dietendorf, Neudietendorf, Kornhochheim

Neudietendorf

Schwarzwald, Stutzhaus

Schwarzwald-Stutzhaus

01.10.1923

16.10.1923

Ausgemeindungen mit Wirkung vom

Sonneborn, Brüheim

Sonneborn-Brüheim

Gräfenhain, Nauendorf

Gräfenhain

Großenbehringen, Oesterbehringen

Großenbehringen

Tabarz, Langenhain

Tabarz

Ausgemeindete Ortschaften, revidierte Zusammenlegungen

Ausgemeindet aus, Trennung von

29.03.1924

Langenhain

Tabarz

01.04.1924

Kornhochheim

Neudietendorf

Großenbehringen, Oesterbehringen

Großenbehringen

01.05.1924

Dietendorf, Neudietendorf

Neudietendorf

Sonneborn, Brüheim

Sonneborn-Brüheim

Gräfenhain, Nauendorf

Gräfenhain

Cabarz

Tabarz

Uelleben, Boilstädt

Stadtkreis Gotha

01.08.1924

Schwarzwald, Stutzhaus

Schwarzwald-Stutzhaus

01.02.1925

Sundhausen

Stadtkreis Gotha Altenbergen-Catterfeld

01.05.1925

Altenbergen, Catterfeld

01.07.1933

Mit Wirkung dieses Tages erfolgte die Verschmelzung von Dietendorf und Neudietendorf zu einer Gemeinde, neuer Namen: Neudietendorf.

21.08.1933

Das Thüringische Ministerium des Innern erteilte der Gemeinde Rödichen die Genehmigung, künftig den Namen Schnepfenthal-Rödichen zu führen.

Entstehungsgeschichte

Gemeindezusammenlegungen Alte Bezeichnungen mit Wirkung vom der Gemeinden

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Entstehungsgeschichte

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Anlage 3 Weitere territoriale Veränderungen von 1945 bis 1952 01.07.1945 Ausgliederung der Gemeinden Mühlberg, Wandersleben und Röhrensee aus dem Kreis Weißensee und Eingliederung in den Landkreis Gotha 01.10.1945 Ausgliederung der Gemeinde Kleinschmalkalden aus dem Landkreis Gotha und Eingliederung in den Kreis Herrschaft Schmalkalden, neuer Name: Pappenheim 01.07.1946 Eingliederung von Cabarz in die Gemeinde Tabarz 01.07.1950 Aufhebung des Stadtkreises Gotha Bischleben und Rhoda gehen vom Landkreis Gotha zum Stadtkreis Erfurt

Röhrensee geht an den Landkreis Arnstadt Auflösung des Kreises Weißensee und Bildung des Landkreises Erfurt, sieben Gemeinden des Landkreises Gotha werden Bestandteil desselben: Apfelstädt, Gamstädt, Herbsleben, Ingersleben, Kornhochheim, Neudietendorf, Töttelstädt

Tröchtelborn geht vom Kreis Weißensee an den Kreis Gotha

Craula geht an den Kreis Mühlhausen

Oberhof kommt zum Kreis Suhl 01.07.1950

Gemeindezusammenlegungen innerhalb des Kreises Gotha:

Alte Bezeichnungen

Neue Bezeichnungen

Catterfeld, Altenbergen

Catterfeld

Ernstroda, Cumbach

Ernstroda

Finsterbergen, Engelsbach

Finsterbergen

Grabsleben, Großrettbach u. Cobstädt

Grabsleben

Großenbehringen, Oesterbehringen und Wolfsbehringen Uelleben, Boilstädt

Behringen

Waltershausen, Wahlwinkel, Schnepfenthal-Rödichen und Langenhain Winterstein, Schmerzbach

Waltershausen

Stutzhaus, Schwarzwald

Stutzhaus

Uelleben

Winterstein

01.03.1951 Änderung des Namens der Gemeinde Stutzhaus in: Luisenthal 25.07.1952 „Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe im Lande Thüringen“.

Durch dieses Gesetz erfolgt die Auflösung des Landes Thüringen und die Bildung der drei Bezirke Erfurt, Gera und Suhl, bestehend aus insgesamt vier Stadt- und 32 Landkreisen. Der Kreis Gotha zählt für einige Zeit 62 Ortschaften. Etwas später kommen die Gemeinden Ebenheim, Friedrichswerth, Haina und Weingarten vom Kreis Langensalza wieder zurück zum Kreis Gotha, während sich Schmerbach von Winterstein löst.

Entstehungsgeschichte

Mit Wirkung vom 01. Juli 1950 gliedert sich das Land Thüringen in vier Stadt- und 21 Landkreise. Der Kreis Gotha umfasst (vorerst) fünf Städte und 76 Landgemeinden.

Quellen: Regierungsblatt für (die Provinz) das Land Thüirngen, Teil I: Gesetzsammlung, Weimar 1945-1952.

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Festrede zum 90. Jahrestag

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Ansprache zum 90. Gründungsjubiläum des Landkreises Gotha Feiert der Landkreis Gotha vorsichtshalber seinen 90. Geburtstag, weil er fürchtet den 100. nicht mehr zu erleben?

Der Gedanke kam mir zuerst in den Sinn, als Herr Weber anfragte, ob ich aus diesem Anlass etwas zur zeitgeschichtlichen Einordnung sagen könnte. Der Bitte bin ich trotzdem gerne nachgekommen. Ich will uns in den kommenden 30 Minuten die Rahmenbedingungen vergegenwärtigen, in denen sich der Kreis Gotha entwickelt hat. Dabei stehen zwei Aspekte im Zentrum: • Wie und warum haben sich die Kommunalstrukturen verändert?

• Welche Wandlungen hat es bei den Kommunalverfassungen gegeben?

Beides hängt unmittelbar zusammen und wird entscheidend von den jeweiligen politischen Zielen beeinflusst. Die waren in den 90 Jahren höchst unterschiedlich. Das Wesen der wechselnden politischen Systeme zeigt sich auch in diesem geschichtlichen Spezialthema recht deutlich. Auf was müssen wir dabei besonders achten? Es sind vor allem drei Maßstäbe: • Gibt es überhaupt so etwas wie eine kommunale Selbstverwaltung und welche Substanz hat sie?

• In welchem Verhältnis stehen Selbstverwaltungsaufgaben und staatliche Auftragsangelegenheiten zueinander und wie ist die Kontrolle ausgestaltet?

• Wie weit reicht der Einfluss der Kommunalparlamente gegenüber den Verwaltungen?

Am Ende des Durchgangs will ich Ihnen dann auch gerne eine Prognose für den 100. Geburtstag geben.

Schauen wir also zunächst auf den Anfang. 1920 entstand Thüringen aus sieben Kleinstaaten. Auf einer Fläche, die rund ein Drittel kleiner ist als unser heutiger Freistaat, denn das preußische Thüringen war noch nicht dabei. Diese Ursprungsstaaten waren keine geschlossenen Gebilde, sondern vielfach miteinander verwoben. Aus dem Jahr 1867 gibt es eine anschauliche Beschreibung der politischen Landkarte Thüringens. Es heißt da: „Wir glauben, die deutsche Narrenkappe, ein wirres Gemisch bunter Lappen, tritt uns entgegen.“ Es ging dabei allerdings keineswegs um ästhetische Fragen. In diesem kleineren Thüringen tummelten sich 30 Landkreise oder Kreisfreie Städte. Jeder Kleinstaat brachte unterschiedliches Kommunalrecht mit. Auch andere für die Kommunen wichtige Gesetze stimmten nicht überein. Die Bauordnungen zum Beispiel.

Jeder sah, dass das nicht ging – aber zunächst wollte keiner konsequent eingreifen.

Erst die Regierung des Sozialdemokraten August Frölich packte das Thema entschlossen an. Sie kam im Oktober 1921 ins Amt, und zwar als eine von der Kommunistischen

Was strebte Frölich an?

• Gemeinden und Kreise, die eine umfassende Kommunalwirtschaft aufbauten.

• Ein Maximum an kommunaler Selbstverwaltung mit einem Minimum an staatlichen Steuerungsmöglichkeiten.

• Größtmöglichen Einfluss der Kommunalparlamente auf die Kommunalverwaltungen und ihre Leiter.

Dahinter standen so genannte gemeindesozialistische Vorstellungen, die auf eine gesellschaftliche Umgestaltung zielten. Dazu bedurfte es vor allem wirtschaftlich leistungsfähigerer Kreise.

In einer Denkschrift zur geplanten Kreiseinteilung polemisierte die Regierung heftig gegen Widersacher und wollte sich – so wörtlich – von „Gefühlsstörungen der vom Kleinstaatengeist noch Angekränkelten“ nicht hindern lassen. Angesprochen fühlen durfte sich die bürgerliche Opposition, die eher für eine Flurbereinigung unter weitgehender Rücksichtnahme auf gewachsene Strukturen eintrat. Angesprochen fühlen durften sich aber auch die Verfasser von gut 450 Gesuchen zur neuen Kreiseinteilung. Sie blieben weitgehend ungehört. Am 1. Oktober 1922 trat die Kreiseinteilung in Kraft.

Gotha war ein eher unkomplizierter Fall. Seine 104 Gemeinden hatten alle zum früheren Herzogtum Gotha gehört. Zumindest territorial baute der Kreis auf festen historischen Fundamenten auf. Nur 39 Orte gingen an Nachbarkreise. Ein Teil davon frühere Exklaven. Andere Neukreise hatten keine vergleichbar gute Grundlage. Sie entstanden aus Gemeinden unterschiedlicher früherer Kleinstaaten. Immerhin eine Fußnote wert ist noch folgende Episode: Es war kein anderer als die Gebietsregierung Gotha selbst, die diesen Ausgang fast vereitelt hätte. Jene Regierung also, die das Gebiet des früheren, mit der Gründung Thüringens untergangenen Freistaats Sachsen-Gotha für eine Übergangszeit repräsentierte. Die hätte nämlich am liebsten neben dem Kreis Gotha noch einen Kreis Ohrdruf gebildet. Mit dem Argument, dass die Waldbevölkerung ihren eigenen Waldkreis braucht. Zum Glück erkannte die Landesregierung, dass das keine wirklich gute Idee war.

Am gleichen Tag trat auch die neue Gemeinde- und Kreisordnung in Kraft. Die Regierung setzte das eben skizzierte Programm darin konsequent um. Das war in dieser reinen Form einmalig im damaligen Deutschland. Der Verwaltungshistoriker Heinrich Heffter spricht von einem „extremen kommunalen Parlamentarismus, der den radikalen demokratischen Prinzipien weit mehr als den praktischen Bedürfnissen moderner Verwaltungsarbeit entsprach“. Sogar die Kommunalaufsicht machte die Regierung zur Selbstverwaltungsangelegenheit. Die Kehrseite der Medaille muss ich Ihnen als erfahrenen Kommunalpolitikern nicht näher erläutern. Als unterste Ebene für eine

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Partei Deutschlands (KPD) tolerierte Minderheitenregierung. Sie folgte einem entschieden sozialistischen Reformkurs. Zusammen mit Sachsen und Braunschweig verstand sie sich als sozialistische Speerspitze in Deutschland. Die Ausrichtung zeigte sich vor allem in der Schulpolitik, aber ebenso in der Kommunalpolitik. Dadurch erhielt die erste Gebiets- und Kommunalreform eine heftige politische Schlagseite.

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kraftvolle staatliche Verwaltung waren die Kreise nur bedingt tauglich. Die Konsequenz war unter anderem die Gründung von Spezialbehörden, die mangels fehlender Mittelbehörde direkt dem Innenministerium unterstellt waren.

Es lag auf der Hand, dass eine derartige Kommunalordnung nur geringe Überlebenschancen hatte, sollten sich die politischen Konstellationen ändern. Dabei gingen praktische und ideologische Motive ineinander über. Denn das Thüringen der Weimarer Republik war politisch tief gespalten: in ein linkes und ein bürgerlich-nationales Lager. Es war zugleich politisch instabil. Die Regierung Frölich kam nicht ohne die Duldung und dann Beteiligung der KPD aus. Ab 1924 folgten bürgerliche Kabinette, die wiederum nicht ohne Duldung durch Völkische und dann Nationalsozialisten auskamen. Nur eine Wahlperiode endete ohne vorgezogene Neuwahlen: die von 1924 bis 1927. 1930/31 regierten Nationalsozialisten erstmals mit, sogar in den Schlüsselbereichen Inneres und Bildung. Im August 1932, also noch vor der Machtergreifung im Reich, führten sie in Thüringen eine Regierung an, mit Fritz Sauckel an der Spitze.

Die Kreisaufteilung fassten die Regierungen nach 1924 nicht wieder an. Sie war sachgerecht. Aber die Kommunalverfassung bauten sie in mehreren Schritten bis 1930 um. Sehr vereinfacht gesagt, setzten diese Regierungen folgendes durch: • Die Selbstverwaltungsangelegenheiten und staatlichen Auftragsangelegenheiten werden klarer getrennt.

• Die Aufsicht wird staatlich und gestärkt.

• Staatliche Spezialbehörden werden zunächst an die Kreisverwaltungen an- und dann eingegliedert. Heraus kam das Kreisamt als unterste staatliche Verwaltungsbehörde.

Wichtigste Reform war eine neue, 1926 beschlossene Gemeinde- und Kreisordnung. Der Schwerpunkt hatte sich komplett verschoben. Der Landrat erledigte zwar auch noch die Selbstverwaltungsaufgaben, war aber vor allem staatlicher Verwaltungsbeamter. Selbstverständlich waren diese Reformen politisch hoch umstritten und im Landtag heiß umkämpft. Doch die Bandbreite der Positionen bewegte sich noch im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung.

Das war nach dem 30. Januar 1933 grundsätzlich anders. Ziel Hitlers und der Nationalsozialisten war, Demokratie, Parteienpluralismus und den verhassten Parlamentarismus restlos zu beseitigen und das Führerprinzip durchzusetzen. Das zielte zugleich auf den Lebensnerv der kommunalen Selbstverwaltung. So kam es denn auch. Vom Frühjahr 1933 wurden die demokratischen Institutionen Schritt für Schritt geschleift. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) war bald die einzige noch erlaubte Partei. 1934 endete die staatsrechtliche Existenz der Länder. Ihre Hoheitsrechte gingen auf das Reich über. Die Macht hielten die neu eingerichteten Reichsstatthalter in den Händen.

Für Gemeinden und Städte bildete die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 den Schlusspunkt der Entwicklung. Mit ihr wurde das Führerprinzip durchgesetzt. Bürgermeister wählte künftig je nach Größe der Gemeinde der Reichsstatthalter oder Landrat

Aufschlussreich ist, dass eine vergleichbare Deutsche Kreisordnung nicht zustande kam. Der vom Thüringer Innenminister zum Reichsinnenminister aufgestiegene Wilhelm Frick wollte starke Landratsämter mit überzeugten Nationalsozialisten an der Spitze, denen aber keiner hineinreden sollte. Damit scheiterte er an den Interessen anderer Ministerien, an der NSDAP, die mehr Einfluss für ihre Kreisleiter anstrebte, und nicht zuletzt an Hitler. Der hatte nach dem Motto „teile und herrsche“, eine Vorliebe für Sonderbeauftragte und Sonderbehörden. Im Dritten Reich herrschte Verwaltungschaos. Gemessen am ambitionierten Ziel, kam eine überschaubare Reform heraus: Ganz auf die Person und das Führerprinzip abgestellt, hießen die Kreisämter von 1939 an nur noch „Der Landrat“. Das Verhältnis zwischen den Landräten und den Kreisleitern als Parteifunktionären der NSDAP blieb ungeklärt und damit oft konfliktträchtig.

Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Parteiherrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), auf die sich die Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach einem in Ansätzen demokratischen Intermezzo von 1945 an hinbewegte. Auch für diesen kurzen Weg von aufkeimen demokratischer Hoffnungen zu einer neuen Diktatur kann das Kommunalrecht als eine Art Indikator dienen. Wie sieht der zeitgeschichtliche Hintergrund aus? Die Sowjetunion hielt die künftige Entwicklung bis etwa Mitte 1948 in ihrer Besatzungszone noch offen. Nicht zuletzt, um deutschlandpolitisch ein paar Trümpfe in der Hand zu behalten.

• Die Überschrift hieß „Antifaschistisch-demokratische Umwälzung“.

• Die staatsrechtlichen Formen waren an die der parlamentarischen Demokratie und die föderale Ordnung angelehnt.

• Den Inhalt hatte Walter Ulbricht schon 1945 so beschrieben: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Je mehr sich die Teilung Deutschlands und Europas und die Blockbildung verfestigten, desto weniger Rücksicht nahmen die SED und die sowjetische Besatzungsmacht. Die Entwicklung mündet 1952 schließlich in den so genannten „Aufbau des Sozialismus“.

Synchron dazu entwickelten sich die Kommunalpolitik und das Kommunalrecht. 1945 besetzte die Sowjetische Militäradministration in Thüringen zunächst die Landrats- und Oberbürgermeisterposten fast durchgängig mit Kommunisten und Sozialdemokraten.

Im September und Oktober 1946 wählten die Bürger die Kommunalparlamente und einen Thüringer Landtag. Sie führten in einigen Kreisfreien Städten zu Mehrheiten der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDUD), wie etwa in Erfurt, Weimar, Jena und auch in Gotha. Im Dezember 1946 billigt der Thüringer Landtag eine Kreis- und Gemeindeordnung. Sie

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aus einer Dreierliste aus, die der örtliche Beauftragte der NSDAP zusammenstellte. Dieser Beauftragte bestellte auch die Gemeinderäte. Sie hatten nur noch zu beraten, nicht aber zu beschließen. Das ist übrigens ein praktisches Beispiel dafür, wie die NSDAP im Staatsund Kommunalrecht ganz unmittelbar Einfluss nahm. Auch im Dritten Reich gab es eine Parallelstruktur der Partei, von den Ortsgruppenleitern, über die Kreisleiter bis zu den Gauleitern.

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steht in der Tradition der Kommunalverfassung von 1922. Das heißt, sie ist radikal demokratisch, und die Selbstverwaltung ist stark ausgeprägt.

Der damit angedeutete Frühling der Selbstverwaltung konnte jedoch keine Blüten treiben, geschweige denn Früchte hervorbringen, denn der Ansatz stand komplett quer zu zwei politischen Entwicklungen.

• Zum einen zur Einführung der Planwirtschaft von 1947 an, • zum anderen zu der 1948 einsetzenden Stalinisierung. Die SED selbst wandelt sich zur „Partei neuen Typus“. Der Marxismus-Leninismus wird zur verbindlichen Ideologie und der sogenannte demokratische Zentralismus zum maßgeblichen Strukturprinzip.

Ein Schlüsseljahr der Entwicklung ist 1950. Und zwar aus drei Gründen: • Die Wahl der Kommunalparlamente und der Volkskammer nach Einheitslisten im Oktober markiert das Ende teils mühsam aufrechterhaltener Hoffnungen auf Demokratie.

• Mit dem Beschluss der SED für einen ersten Fünfjahresplan wird im Juli der Weg zu einer „langfristigen und zentralgeleiteten Planwirtschaft“ zementiert.

• Und im Dezember reformiert die Volkskammer das öffentliche Haushaltswesen.

Die Haushalte der Länder und Kommunen werden im Staatshaushalt der DDR etatisiert. Damit ist die Selbstverwaltung in der Praxis endgültig ein Muster ohne Wert, selbst wenn ihr Ende erst 1957 formal besiegelt wurde.

Erstmals änderte die SED 1950 aber auch die Kreiszuschnitte in Thüringen wieder. Dafür sprachen zunächst durchaus sachliche Gründe. Die alten Grenzen zwischen dem Land Thüringen und dem preußischen Thüringen bildeten sich noch immer in der Kreisstruktur ab, und zwölf Kreisfreie Städte waren sicherlich zu viel. Das spielte jedoch weder im Gesetz noch in der Begründung eine Rolle. Die bestehenden Grenzen „der Länder, Kreise und Gemeinden“, so Innenminister Willy Gebhardt (SED), sollten den Bedürfnissen der Planwirtschaft und dem Volkswirtschaftsplan angepasst werden.

Bereits zwei Jahre später sollte sich zeigen, dass es sich dabei lediglich um einen Zwischenschritt gehandelt hatte. Im Juli 1952 verkündete die SED den „Aufbau des Sozialismus“ und erklärte die Staatsmacht zum entscheidenden Werkzeug der Staatspartei SED. Im gleichen Monat werden die Länder de facto aufgelöst, Bezirke eingeführt und Gemeinden und Kreise zu rein staatlichen Verwaltungseinheiten umgebaut. Die Zahl der Thüringer Landkreise wird um ein Drittel von 21 auf 32 erhöht – und das in einem um das Altenburger Land verkleinerten Territorium! Der Landkreis Gotha schmolz bei beiden Reformschritten auf noch 66 Gemeinden zusammen und musste in alle Himmelsrichtungen Kommunen abtreten.

Die Räte – also Verwaltungen – in den Gemeinden, Kreisen und Bezirken waren formal den jeweiligen Volksvertretungen verantwortlich, vor allem jedoch dem nächsthöheren Rat. Es gab in diesem, den Grundsätzen des sogenannten demokratischen Zentralismus folgenden System zwar Artikulationsmöglichkeiten von unten nach oben, aber

Die Geschichte der folgenden Monate ist oft erzählt. Mit der Volkskammerwahl am 18.

März 1990 und den Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 hat die demokratische Revolution ihr wesentliches Ziel erreicht. Die Volkskammer stellte mit der von ihr am 17. Mai 1990 verabschiedeten Kommunalverfassung für die DDR die kommunale Selbstverwaltung wieder her. Rund ein halbes Jahr waren die Kreistage und die von ihnen gewählten Landräte bereits im Amt, als schließlich auch die Landtage gewählt und Landesregierungen gebildet werden. Das verschaffte ihnen eine starke politische Position, für die der erste Präsident des Landkreistages stand, der Gothaer Landrat Dr. Dieter Reinholz.

Sie versuchten den Landkreisen einen weiten Spielraum zu sichern und nahmen vor allem auf die Programmatik der CDU in diesem Sinne Einfluss. Schließlich gehörten sie ihr alle an.

Das beeinflusste anfangs auch die Debatte um die Gebiets- und Verwaltungsreform.

Die CDU hatte zwar den Aufbau der Landesverwaltung und einer leistungsfähigen Bündelungsbehörde auf der Tagesordnung, aber keine Kreisgebietsreform. Just die Debatte über die Einrichtung der erwähnten Bündelungsbehörde nutzte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) am 7. Mai 1991, um massiv auf eine Kreisgebietsreform zu drängen. Den Angriff führte der Gothaer Abgeordnete Helmut Rieth (SPD). Die SPD könne, so wörtlich, „der geplanten Errichtung eines allgewaltigen Landesverwaltungsamtes, als eine Art Krücke, für eine möglichst nicht in dieser Legislaturperiode vorzunehmende Gebietsreform nicht zustimmen“.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörg Schwäblein wies dies energisch zurück. Er wandte sich dagegen, Strukturen gleich wieder zu zerschlagen, die gerade erst durch Kommunalwahlen legitimiert worden waren. „Deshalb haben wir unseren Landräten eindeutig gesagt, in dieser Legislaturperiode keine Gebietsreform“, so Schwäblein wörtlich.

Freiwillige Zusammenschlüsse werde die Fraktion jedoch selbstverständlich befördern.

Wie Sie meist bereits aus eigener Anschauung wissen, räumte die CDU diese Position Schritt für Schritt. Als Josef Duchač nach einem Jahr erstmals Bilanz zog, bezeichnete er eine Gebietsreform auf Gemeinde- und Kreisebene als „unbestreitbar notwendig“.

Sie sollte freilich freiwillig und von unten stattfinden.

Es war schließlich Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), der in diesem Punkt gleich zu Beginn seiner Amtszeit mehr als nur eine Akzentverschiebung ankündigte. „Die allseits geforderte Gebiets- und Verwaltungsreform gehört zu den wichtigen Vorhaben, und wir werden sie beherzt einleiten“, so in seiner Regierungserklärung am 26. Februar 1992. Es zog sich dann freilich noch. Die SPD drängte, die Landesregierung versuchte

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die Anweisungen gingen von oben nach unten. Die SED unterhielt eine Parallelstruktur zu den staatlichen Institutionen. Die eigentlichen Entscheidungsträger waren die 1. Sekretäre der SED-Kreisleitungen. So ausgeklügelt und perfekt dieses System auch im Nachhinein noch erscheint, das Verlangen nach Freiheit und den Überdruss am kärglichen Leben in der DDR konnte es auf Dauer nicht eindämmen. Die gefälschten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 stehen für den Anfang vom Ende des SED-Regimes.

Plötzlich wurde das so genannte „Zettelfalten“ zum Stein des Anstoßes.

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den absehbar schwierigen Prozess zu moderieren. Schließlich lag am 11. Mai 1993 der Entwurf für das Neugliederungsgesetz vor. Als Zielgröße waren Kreise zwischen 80 000 und 150 000 Einwohnern vorgesehen. Für diesen Rahmen warb die Landesregierung mit dem Argument, dass nur ausreichende Verwaltungskraft der kommunalen Selbstverwaltung die nötige Substanz verleihe und verhindere, dass Zuständigkeiten von den Kommunen zum Staat abwanderten. Auch den Kostengesichtspunkt hatte sie im Blick.

Die Verwaltungserfahrung lehre, „dass die Verwaltungskosten in kleinen und ganz großen Kreisen hoch“ seien.

Der Landkreis Gotha konnte der Diskussion entspannt entgegensehen. Er ging als größter und einwohnerstärkster Landkreis in das parlamentarische Verfahren hinein, und er kam nach der Einwohnerzahl am oberen Ende des gesetzlich vorgesehenen Rahmens wieder heraus. Fast alle Gemeinden, die neu hinzukamen, hatten bereits einmal zum alten Landkreis Gotha gehört. Wenn ich richtig gezählt habe 13 von 14. Das war eine nicht unerhebliche Korrektur der Gebietsabtretungen von 1950 und 1952.

Andere Kreise und in ihrer Funktion bedrohte Kreisstädte hatten es weniger leicht, wie die Heftigkeit der Debatte zeigte. Vor allem um die Kreiszuschnitte in SüdwestThüringen, die Kreissitze und die Eingemeindung von Umlandgemeinden gab es heftigsten Streit. Größte Änderung am Regierungsentwurf war schließlich die bleibende Selbständigkeit von Hildburghausen und Suhl. Am 15. Juli 1993 passierte das Werk den Landtag.

Am gleichen Tag verabschiedete der Landtag nach gut dreimonatiger Debatte auch die Thüringer Kommunalordnung. Neu gegenüber der von der Volkskammer 1990 beschlossenen und vom Landtag novellierten Kommunalverfassung war vor allem die Direktwahl der Bürgermeister und Landräte. Die Wahlperioden wurden verlängert, die Anzahl der Mandate reduziert. Es verdient Erwähnung, dass die Landesregierung ihren Entwurf ausdrücklich als Fortentwicklung der Thüringer Gemeinde- und Kreisordnung von 1926 verstand und dabei unter anderem, auf die „klare Unterscheidung zwischen Selbstverwaltungsangelegenheiten und staatlichen Auftragsangelegenheiten“ hinwies.

Auch der Gegenentwurf der Linken Liste – Partei des demokratischen Sozialismus (LLPDS) für die Kommunalordnung ist aufschlussreich. Die gedanklichen Anleihen bei der von der linkssozialistischen Regierung Frölich 1922 durchgesetzten Gemeinde- und Kreisordnung fallen unmittelbar ins Auge. Die Gesetzesvorbehalte und der Umfang der staatlichen Weisungsmöglichkeiten sollten zugunsten eines ausgedehnteren Entscheidungsrechts der Gemeinderäte und Kreistage zurücktreten und die Verwaltung sollte enger an die Vorgaben der kommunalen Volksvertretungen gebunden werden.

Ein schönes, wenn auch etwas randständiges Beispiel für die zuweilen langen historischen Linien.

Wenn wir den Befund zusammenfassen, so können wir festhalten: Gebietsreformen und durchgreifende Änderungen am Kommunal- und Verwaltungsrecht waren stets die Begleiter tiefgreifender politischer Umbrüche. Damit ist einstweilen nicht zu rech-

Was ist im Angebot? Ich beschränke mich auf die am weitesten auseinanderliegenden Positionen. Zappenduster dürften die Aussichten sein, wenn sich die Vorstellungen des Rechnungshofpräsidenten Sebastian Dette durchsetzen. Danach würden in einem zweistufigen Verwaltungsaufbau Mittel- und Sonderbehörden weitgehend wegfallen.

Damit die Kreise einen Großteil der Aufgaben übernehmen können, soll es nur noch vier Landkreise geben; angelehnt an die Planungsregionen, zuzüglich Erfurt als Kreisfreie Stadt. Da können sich dann das Barocke Universum Gotha und die Deutsche Seelenbadeanstalt Weimar um den Kreissitz streiten. Ich wünsche viel Vergnügen.

Trübe Aussichten verheißt auch das Modell der LINKEN. Sie will Städte und Gemeinden stärken und ihnen mehr Aufgaben übertragen. Die Mittelbehörden und Sonderbehörden sollen entfallen und in acht sogenannte Regionalkreise integriert werden. Sie sind als „reine Verwaltungsbehörden ohne Publikumsverkehr“ gedacht und sollen im Wesentlichen die Aufgaben der heutigen Mittelbehörden wahrnehmen. Das heißt diese Kreise sind nicht nur größer, sondern haben auch nichts mehr mit der kommunalen Selbstverwaltung zu tun, die auf Gemeindeebene konzentriert wird.

Ein konsequentes Gegenmodell, das die Überlebenschance der jetzigen Landkreise erhöht, vertritt die CDU. Sie will erst die Verwaltung reformieren und das Landesverwaltungsamt als Mittelbehörde stärken. Durch die Überprüfung von Aufgaben und Standards soll der Verwaltungsaufwand sinken und durch einen Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit kostengünstiger getragen werden können. Erst wenn sich danach bestehende Strukturen als nicht tragfähig erweisen, sollen sie angepasst werden.

Wie sieht es also mit dem 100. Geburtstag aus? Die Prognose ist nicht schlecht. Zwar bleibt einerseits auf mittlerer Frist nichts so wie es ist, aber andererseits ist das Wesen demokratischer Politik der Kompromiss. Anders als manch anderer Landkreis hat der Landkreis Gotha tiefe historische Wurzeln. Den Kreis Gotha bilden Gemeinden, die eine gemeinsame Prägung durch das Großherzogtum Sachsen-Gotha erhalten haben.

Im Wappen des Landkreises ist diese Tradition aufgenommen. Dort blinkt ein Stern, der auch im Thüringer Landeswappen seinen Platz hat. Der Kreis ist ausreichend groß, ausreichend einwohnerstark und wirtschaftlich gesund.

Wagen wir es also. Stoßen wir auf einen jung gebliebenen 90-Jährigen an und wünschen wir ihm weitere Jahrzehnte guten Gedeihens.

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nen. Doch wir haben es mit einem anderen Umbruch zu tun. Er vollzieht sich schleichend. Es ist die Bevölkerungsentwicklung mit all ihren Folgen. Über das Ob, Wie und Wann einer Funktional- und Gebietsreform – so etwa steht es im Koalitionsvertrag von 2009 – wird heftig debattiert. Eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission soll dazu ein Gutachten vorlegen. Und in diesem Zusammenhang, verehrte Festversammlung, wird dann auch die Frage geklärt, ob der Kreis Gotha den 100. Geburtstag noch feiern wird – oder eben nicht.

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Quellen | Haftungsausschluss

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Quellen für Fotos | Karten: Titel: Feuerwerk über dem Orangerietor

Thomas Ritter, Gotha

Konrad Gießmann (Landrat)

Lutz Ebhardt, Gotha

Dr. Hans-Jörg Ruge

Pressestelle Landratsamt

Dr. Karl-Eckhard Hahn

CDU-Landtagsfraktion

Kartenmaterial

Kreisarchiv

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Ausdehnung des Landkreises Gotha 1936

Der damalige Landkreis umfasste noch Kleinschmalkalden und Oberhof (beide heute Landkreis Schmalkalden-Meiningen) im Süden sowie Craula (heute Wartburgkreis) und Herbsleben (heute Unstrut-Hainich-Kreis) im Norden, während die Gemeinden rund um die Drei Gleichen als preußisches Gebiet nicht zum Landkreis Gotha zählten.

Ausdehnung des Landkreises Gotha nach 1952 bis 1994

Infolge der Neuzuschnitte zu DDR-Zeiten verlor der Kreis insbesondere 1950 und 1952 zahlreiche Gemeinden an neu ent­ stehende oder zu erweiternde Kreise im Umland.

Ausdehnung des Landkreises Gotha seit 1994

Die Gebietsreform des Jahres 1994 brachte eine Vergrößerung des Kreisgebietes mit sich, unter anderem durch die Wiederzuordnung der Fahner´schen Gemeinden im Norden, mehrerer Gemeinden des aufgelösten Kreises Erfurt-Land im Osten sowie die Rückkehr Crawinkels im Süd-Osten.