UFA-Revue 7-8/2010

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MANAGEMENT

Die WTO im Fokus von Radio Eriwan MEHR SCHEIN ALS SEIN Das fiktive Radio Eriwan entlarvte früher die Tücken des Sozialismus mit fingierten Frage- und Antwortspielen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer gerieten die bei Regimekritikern beliebten Sketche in Vergessenheit. Dabei eignet sich Radio Eriwan nicht nur für den Sozialismus. Auch die World Trade Organisation, die WTO, ist eine gute Zielscheibe.

Eveline Dudda

Am 17. Juni 2010 behandelte der Ständerat fünf Standesinitiativen der Kantone Freiburg, Neuenburg, Waadt, Genf und Jura, welche alle ein Einfuhrverbot für Produkte forderten, die unter sozial und ökologisch unhaltbaren Produktionsbedingungen hergestellt wurden. Zudem plädierten die Initianten dafür, dass sich die Schweiz bei Verhandlungen mit der WTO und der EU für gerechte Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktionsverfahren einsetzen soll. Bedingungen wie im spanischen Almeria, wo illegale Immigranten unter teilweise sklavenähnlichen Zuständen Gemüse für den Export produzieren, sollten damit unterbunden werden. Doch die Kommission für Wirtschaft und Abgaben WAK empfahl die Standesinitiativen abzulehnen. Aus Gründen, die von Radio Eriwan stammen könnten: Ein extra dazu verfasster Bericht des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW kam nämlich zum Schluss, dass es die angeprangerten Zustände eigentlich gar

nicht geben dürfte. Denn die meisten Staaten kennen bereits umfangreiche Vorschriften für eine menschen-, tierund umweltgerechte Produktion. Zudem haben alle WTO-Mitglieder die Uno-Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Das Almeria-Problem hat demzufolge andere Gründe. Weil man nun einmal nichts verbieten oder verändern kann, das vom System her gar nicht

vorgesehen ist, lehnte der Ständerat die Standesinitiativen schliesslich mit 7 zu 22 Stimmen ab. Frage an Radio Eriwan: Sind die Forderungen der Standesinitiativen an die WTO einzigartig? Antwort: Im Prinzip ja. Alle anderen haben wir vergessen. WTO-Experte Andreas Schmidt von der Generaldirektion Handel der EU-

Hier die Verträge – dort die Realität Das WTO-Vertragswerk besteht aus drei Hauptverträgen: dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), dem Allgemeinen Dienstleistungsabkommen (GATS), dem Abkommen über handelsrelevante Aspekte der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS) sowie diversen Sonderabkommen über Landwirtschaft, Gesundheit, technische Handelshemmnisse, Dumping und Subventionen. Würden alle diese Abkommen eingehalten, dürfte ein Unternehmen wie «Fonterra» gar nicht existieren. Denn Fonterra vermarktet 99 % der neuseeländischen Milch und hat ergo eine Monopolstellung. Auch ein Staatshandelsunternehmen wie das kanadische «Wheat Board» ist aus WTO-Sicht ein Unding, weil nicht erlaubt. Dauerhafte Ausnahmeregelungen sind ebenfalls nicht vorgesehen. Trotzdem wendet die EU seit sieben Jahren die «besondere Schutzklausel» für Zucker an. Die Reihe der nicht-WTO-konformen Beispiele liesse sich beliebig fortsetzen.

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ED

7-8 2010 · UFA-REVUE


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