SachsenMagazin 2017 (Auszug)

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Faszination Handwerk

Aufstellung genommen haben. Wer sich seine Sporen redlich verdient hat, bekommt von ihr den schwarzen Helm mit Gold verbrämt. Eine Ehre für jeden Nussknacker, der etwas auf sich hält. So leicht und fluffig, wie es aussieht, ist das Malen dann aber doch nicht. Das kann man in der Schauwerkstatt sogar selbst ausprobieren und aus verschiedenen hölzernen Bastelsets wählen, was gebaut und bemalt werden soll: Räucherhäuschen, Rauchmann oder Nussknacker. Bewaffnet mit Kleber, Schleifpapier und speziellen Acrylfarbstiften – die Pinsel bleiben den Profis vorbehalten – geht es ans Werk. Nun heißt es leimen, passen, glätten, polieren, stricheln, tupfen, prüfen, „Schnee“ aufstäuben, pusten, lachen, staunen. Nach einer Stunde hält man stolz die erste selbstgebaute Erzgebirgsfigur im Arm.

Foto: Näumanns, Seiffen

Holzspielzeugmacherin Melanie Schneider sorgt für den festen Stand der Nussknacker.

Michael Näumann geht mit seiner Seiffener Galerie neue Wege in stilvollem Design.

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Tradition trifft Moderne Der Weg nach draußen führt vorbei am großen Fenster der Schauwerkstatt, hinter dem der Spanbaumstecher seinem Handwerk nachgeht. Mit großzügigen, sicheren Bewegungen schiebt er Span um Span von einer gedrechselten Spindel nach oben, bis sich die Späne zu kleinen Löckchen kringeln. Eine einzigartige Kunst, die es nur im Erzgebirge gibt. Die Spanbäume zieren nicht nur Pyramiden und Schwibbögen, sondern sind auch solo schmucke Accessoires für weihnachtliche Szenen. Davon können sich die Besucher im stilvoll dekorierten Ladengeschäft der Schauwerkstatt ein Bild machen, wo sie auch die bärtigen Nussknacker wiedertreffen. „Traditionelle Figuren sind nach wie vor überaus beliebt“, weiß Andreas Bilz, Geschäftsführer der Seiffener Volkskunst eG. „Unser klassisches Nussknacker-Sortiment ist seit Jahrzehnten der Renner.“ Doch auch Neuem gegenüber sind die über 40 Mitarbeiter aufgeschlossen. So wurde die Seiffener Volkskunst eG schon mehrfach beim Designwettbewerb Tradition & Form ausgezeichnet, der herausragende Gestaltungen der erzgebirgischen Volkskunst würdigt. „Wussten Sie übrigens, dass wir hier die Ureinwohner des Erzgebirges entdeckt haben?“, fragt Andreas Bilz mit einem Augenzwinkern und verweist auf die haarigen „Urkugler“, die es sich zusammen mit einer grimmig-witzigen Räucherdrachenfamilie in einer Höhle gemütlich gemacht haben. In Zusammenarbeit mit dem Designer Karsten Braune entstehen in Seiffen die lustigen Kugelfiguren – schier unglaublich zu sehen, was man aus einer Kugel alles machen kann. „Eigentlich sind es ja nur Holzkugeln. Aber sie leben durch ihre Ausstrahlung“, weiß Bilz. Das ist die große Kunst: Einem Stück Holz ein lebendiges Wesen einzuhauchen. Eine Kunst, die man im Erzgebirge seit Jahrhunderten beherrscht. Wie das früher aussah, darüber gibt ein Besuch im Seiffener Freilichtmuseum Aufschluss. Am Rande des Ortes erstreckt sich eine eigene kleine Streusiedlung, die zu einer Reise in vergangene Zeiten einlädt. Besucher entdecken die Stellmacherei und die Spankorbmacherwerkstatt, ein Bergmannswohnhaus und die Werkstatt des Massedrückers. Das Highlight ist immer wieder das Reifendrehwerk. Angetrieben von einem schnurrenden Riemen, der vom Wasserkraftwerk im Untergeschoss des Hauses in Schwung versetzt wird, dreht sich der Holzreifen unter dem Werkzeug des Drechslers, das Millimeter um Millimeter ein rätselhaftes Profil in die Oberfläche fräst. Das Geheimnis dieses Profils offenbart sich erst, wenn der Ring wie ein Brotlaib aufgeschnitten wird. Plötzlich erkennt auch das ungeübte Auge, was sich im Querschnitt der Reifenform verbirgt: Kühe und Schafe, Pferde und Ziegen, Hunde und Hühner – das berühmte Seiffener Reifenvieh. In vergangenen Jahrhunderten reisten die hölzernen Tiere in Millionenzahl in die Welt. Das Reifendrehen war sozusagen eine clevere Form der Serienproduktion, um das „Pfennigvieh“ in großen Stückzahlen effizient herzustellen. Erzgebirgischer Erfindergeist in Reinstform. Aus einem Reifen ließen sich so 50 bis 60 Tiere abspalten. Heute sind die Reifentiere, von Hand nachbeschnitzt und liebevoll bemalt, eine Rarität. Nur noch eine Handvoll Handwerker beherrscht die alte Kunst, lediglich mit ihrer Vorstellungskraft einen Reifen so zu gestalten, dass sein Querschnitt fantasievolle Formen freigibt.


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