Finanzielle Auswirkungen einer Krebserkrankung
Betreuungsstandard für Fachpersonen der stationären und ambulanten onkologischen Praxis
05/2024

Betreuungsstandard für Fachpersonen der stationären und ambulanten onkologischen Praxis
05/2024
Institut für Angewandte Pflegewissenschaft Institut für Modellbildung und Simulation Institut für Soziale Arbeit und Räume
Praxispartner:
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Titelbild istock.com
Icons von nounproject.com
Target by wira wianda, place by Jivan, group by Oksana Latysheva, event by Larea, Flag by Delwar Hossain, Network by Yoon Ro
Krebsbedingte finanzielle Notlagen werden von Betroffenen selbst als auch von Gesundheitsfachpersonen oft spät erkannt oder unterschätzt.
Das vorliegende Dokument soll Gesundheitsfachpersonen über finanzielle und soziale Risiken einer Krebserkrankung informieren. Ferner unterstützt es sie dabei, das Thema anzusprechen und solche Risiken bei Betroffenen zu erkennen. Dadurch können frühzeitig entsprechende Massnahmen eingeleitet werden.
Eine Krebserkrankung ist mehr als eine Krankheit
• Etwa die Hälfte der Betroffenen berichten neben den körperlichen Auswirkungen der Krebserkrankung und therapie von nichtmedizinischen Problemen.
• Rund ein Viertel kündigt nach der Krebsdiagnose den Arbeitsplatz. Sie haben ein höheres Risiko für Langzeitarbeitslosigkeit.
• Bei einem bedeutenden Teil der Betroffenen verschlechtern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Behandlungskosten bei reduziertem Pensum oder Arbeitsunfähigkeit. Damit verbundene Sorgen und Ängste belasten die Gesundheit langfristig und können das Mortalitätsrisiko erhöhen.
• Wirtschaftliche Engpässe können dazu führen, dass Arztbesuche unterlassen oder Medikamentenverordnungen und Behandlungsempfehlungen nicht eingehalten werden. Das kann schwere Folgen nach sich ziehen.
• Trotz der grossen Bedeutung finanzieller Folgen von Krebs, sprechen sowohl Betroffene als auch Gesundheitsfachpersonen sie häufig nicht an.
• Untersuchungen zeigen, dass Betroffene entlastet sind, wenn ihre finanziellen Fragen bereits zu Beginn der Behandlung von einer Fachperson angesprochen werden.
Arbeitssituation
• Manche Menschen beginnen rasch wieder zu arbeiten oder arbeiten zu viel, um ihre Ausgaben decken zu können. Dies kann langfristig Symptome im Zusammenhang mit der Krankheit oder Therapie verstärken und zu erneutem Arbeitsausfall und finanziellen Engpässen führen.
• Selbstständig Erwerbstätige oder Personen im Stundenlohn sind oft ungenügend versichert.
• Bei einer Anstellung in einem kleineren Unternehmen kann es vorkommen, dass weniger flexible Arbeitsmodelle oder unterstützende Dienste zur Verfügung stehen.
• Ein geringeres Arbeitspensum vor der Krebsdiagnose führt zu einem reduzierten Krankentaggeld.
Hohe Symptomlast/Komorbiditäten
Viele Betroffene leiden auch nach dem Krebs unter langjährigen Folgen der Erkrankung und der Therapien, wie unter der Cancer Related Fatigue (CRF) oder anderen chronische Krankheiten. Dies kann den langfristigen beruflichen Wiedereinstieg erschweren.
Soziales Netzwerk
Wer nur wenig tragende Beziehungen hat, kann in Krisenzeiten nicht mit Unterstützung rechnen. Entlastung im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung muss bezahlt werden und belastet das Budget zusätzlich. Oder finanzielle Engpässe können nicht mit Hilfe von Angehörigen oder Freunden überbrückt werden.
Migrationshintergrund
Ein Teil der Menschen mit Migrationshintergrund ist finanziellen Problemen und Folgebelastungen nach einer Krebsdiagnose verstärkt ausgesetzt. Gering Qualifizierte haben oft prekäre Arbeits und Einkommensverhältnisse. Mit dem Gesundheitssystem und der Bürokratie nicht vertraut zu sein sowie sprachliche Hürden oder ein kleines Unterstützungsnetzwerk können die Probleme deutlich verstärken.
Finanzielle Verpflichtungen
Laufende Kosten, die nicht vermieden oder reduziert werden können, wie Unterstützung von Familienmitgliedern, Rückzahlung von Schulden.
Fehlender Versicherungsschutz
z.B. Krankentaggeldversicherung, Erwerbsausfallversicherung
Hohe Franchise
Kann eine hohe Franchise Ende Jahr nicht rechtzeitig reduziert werden, müssen auch im folgenden Jahr, zuweilen innerhalb kurzer Zeit, hohe Kosten selbst übernommen werden. Können diese nicht mit einem hohen Einkommen oder Erspartem gedeckt werden, droht Verschuldung.
Fehlende Ersparnisse
Keine finanziellen Rücklagen, auf die z.B. bis zur IVAuszahlung zurückgegriffen werden kann, können bei erhöhten Behandlungskosten ebenfalls Verschuldung nach sich ziehen.
Anzeichen drohender finanzieller Notlagen
• Die Person äussert Sorgen und Ängste über unvorhersehbare Kosten und wie diese zu bezahlen sind.
• Die Person ist selbständig erwerbstätig oder im Stundenlohn angestellt. Sie hat keine Krankentaggeld oder Erwerbsausfallversicherung.
• Die Person ist alleinstehend oder alleinerziehend. Sie hat keine Ersparnisse.
• Die Person nimmt Einsparungen vor, die Auswirkungen auf ihre körperliche und psychische Gesundheit haben können.
• Die Person empfindet finanziellen und gesellschaftlichen Druck, wieder zu arbeiten. Sie läuft Gefahr, sich zu überlasten und in der Folge längerfristig arbeitsunfähig zu sein.
Einflussfaktoren auf die finanzielle Situation
• Zeitpunkt und Umfang der Rückkehr an den Arbeitsplatz, abhängig von Diagnose und Symptomlast
• Finanzielle Situation: Verfügbare Ersparnisse; Möglichkeit vorübergehend Einsparungen vorzunehmen (z.B. bis zum IVEntscheid)
• Arbeitssituation und Anstellungsverhältnis
• Familiäre Situation: Alleinstehend oder in einer Partnerschaft; Kinder im selben Haushalt, Alter der Kinder
• Anspruch und Auszahlung von Versicherungsleistungen oder Dauer bis zum positiven IVEntscheid
• Persönliche Eigenschaften: Wissen und Erfahrung mit administrativen Angelegenheiten; Gesundheitskompetenz («Health Literacy»); Bereitschaft, Hilfe annehmen zu können; Belastbarkeit in Krisen (Resilienz)
• Verfügbarkeit und Belastbarkeit des eigenen sozialen Netzes
• Unterstützung durch den Arbeitgeber
• Zusammenarbeit von und mit Fachpersonen wie z.B. Case Manager der Krankenversicherung, Sozialarbeiterinnen im Spital, bei Krebsliga, Pro Infirmis, Psychoonkologie, Pro Senectute und weiteren.
Primäre Nutzerinnen und Nutzer
• Pflegefachpersonen
• Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN
• Onkologinnen und Onkologen
Zielgruppe
• Menschen mit und nach einer Krebserkrankung
Zielsetzung
• Risikofaktoren für finanzielle Probleme erkennen UND
• Sozialberatung frühzeitig involvieren
Anwendungsort
• Onkologische Station
• Ambulatorium
Nutzen
• Einschätzung der finanziellen Situation sowie deren Auswirkungen und Ableitung geeigneter Massnahmen
• Vorbereitung von Gesprächen über die sozioökonomischen Auswirkungen der Krebserkrankung gemeinsam mit Betroffenen
• Unterstützung, um das private und fachliche Betreuungsnetzwerk aufzugleisen und zu koordinieren
Anwendungszeitpunkte
• Zu Beginn der Behandlung, nach der Diagnosestellung
• Als Followup während der laufenden Therapie und Betreuung; der Zeitpunkt für das Followup liegt im Ermessen der Gesundheitsfachperson.
• Als Ergänzung zum Assessment mittels Distress Thermometer
• Zum Abschluss der Behandlung
Wir empfehlen die Anwendung des nachfolgenden Instruments für Menschen mit Krebs gemeinsam mit einer Gesundheitsfachperson. Die Fachperson kann im Gespräch die Werte auch selbst ins Instrument eintragen.
Ziel ist es, mögliche Massnahmen wie eine vertiefte Sozialberatung frühzeitig einzuleiten. Die abgeleiteten Massnahmen können im entsprechenden Textfeld notiert werden.
Das Instrument besteht aus zwei Teilen in denen Punkte für jede Antwort vergeben werden. Die Punkte werden dann aus beiden Teilen zusammengezählt. Aus der Summe leitet sich die Indikation für eine Sozialberatung ab.
Auswertung und Massnahmen
Punktetotal
3 und mehr Punkte
1-2 Punkte
Ergebnis
Teil 1 beinhaltet Fragen (16) aus dem DistressThermometer. Wurde das DistressThermometer bereits angewandt, übertragen Sie bitte die entsprechenden Punkte in die untenstehende Tabelle (ja=1, nein=0). Wurde das DistressThermometer nicht angewandt, sollten die entsprechenden Probleme hier erfragt und die Punkte notiert werden.
Teil 2: Fahren Sie im Anschluss bitte mit den Fragen 712 fort. Die kleinen Ziffern unter “ ja“, „nein“ und „weiss nicht“ geben an, wie viele Punkte die Antwort für jede Frage ergibt.
Sozialberatung indiziert
Sozialberatung empfohlen
0 Punkte keine Indikation zur Sozialberatung
Anweisung
Eine Sozialberatung wird ausdrücklich empfohlen und es werden entsprechende Adressen abgegeben. Bitte vermerken Sie die abgeleiteten Massnahmen im entsprechenden Textfeld. Wird trotz höherer Punktezahl keine Beratung empfohlen, begründen Sie dies bitte auch im Textfeld.
Eine Sozialberatung wird angeboten und auf Wunsch werden Adressen abgegeben. Das Screening sollte zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden.
Im Moment wird kein Bedarf gesehen; auf Wunsch werden Beratungsadressen abgegeben. Das Screening sollte zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden.
1. Bitte geben Sie an, ob Sie in einem der folgenden Bereiche in der letzten Woche einschliesslich heute Probleme hatten. Kreuzen Sie für jeden Bereich JA oder NEIN an.
JA (1Pkt) NEIN (0 Pkt) PUNKTE
Nr. Praktische Probleme
1 Wohnsituation
2 Versicherung
3 Arbeit/Schule
4 Beförderung (Transport)
5 Kinderbetreuung
6 Im Umgang mit den Kindern
2. Bei den folgenden Fragen können Sie auch „weiss nicht“ wählen, wenn Sie unsicher sind: JA NEIN weiss nicht PUNKTE
Nr.
7 Ich habe mir bereits Gedanken gemacht, dass meine Krebserkrankung finanzielle Auswirkungen haben kann.
8 Ich kann Kosten im Zusammenhang mit meiner Krebserkrankung mit meinem Einkommen oder Vermögen sicher decken. 0 3 3
9
Ich kann meine Verpflichtungen (am Arbeitsplatz und privat) je nach gesundheitlicher Verfassung reduzieren oder erhöhen.
0 2 2
10 Mit meinem Einkommen muss ich nur für mich selbst aufkommen. 0 1 1
11
Ich habe Verwandte oder Freunde, die mir beistehen und auf die ich mich verlassen kann (z.B. finanziell oder im Haushalt, im Alltag).
0 1 1
12
Ich weiss, wo ich verständliche Informationen zu meiner Gesundheit und meiner finanziellen Situation erhalte. Ich weiss, an wen ich mich wenden kann. Ich kann solche Angebote in Anspruch nehmen.
Total Punkte (Teil 1 + Teil 2)
Sozialberatung empfohlen
keine Indikation zur Sozialberatung
Kommentar/Massnahmen
0 1 1
1. Bitte geben Sie an, ob Sie in einem der folgenden Bereiche in der letzten Woche einschliesslich heute Probleme hatten. Kreuzen Sie für jeden Bereich JA oder NEIN an. JA (1Pkt) NEIN (0 Pkt) PUNKTE
Nr. Praktische Probleme
6 Im Umgang mit den Kindern x 0
2. Bei den folgenden Fragen können Sie auch „weiss nicht“ wählen, wenn Sie unsicher sind:
NEIN weiss nicht PUNKTE
Nr.
7
Ich habe mir bereits Gedanken gemacht, dass meine Krebserkrankung finanzielle Auswirkungen haben kann.
8 Ich kann Kosten im Zusammenhang mit meiner Krebserkrankung mit meinem Einkommen oder Vermögen sicher decken.
9
Ich kann meine Verpflichtungen (am Arbeitsplatz und privat) je nach gesundheitlicher Verfassung reduzieren oder erhöhen.
Mit meinem Einkommen muss ich nur für mich selbst aufkommen.
Ich habe Verwandte oder Freunde, die mir beistehen und auf die ich mich verlassen kann (z.B. finanziell oder im Haushalt, im Alltag).
Ich weiss, wo ich verständliche Informationen zu meiner Gesundheit und meiner finanziellen Situation erhalte. Ich weiss, an wen ich mich wenden kann. Ich kann solche Angebote in Anspruch nehmen.
Total Punkte (Teil 1 + Teil 2)
Sozialberatung empfohlen
keine Indikation zur Sozialberatung
Kommentar/Massnahmen
Gebe Adresse und empfehle, die Sozialberatung möglichst rasch aufzusuchen.
<Dienststelle/Beratungsstelle>
<Vorname Name:
Funktion
Telefon
Postadresse PLZ Ort>
<Dienststelle/Beratungsstelle>
<Vorname Name:
Funktion
Telefon
Postadresse PLZ Ort>
Krebsliga Schweiz
Effingerstrasse 40
Postfach
CH3001 Bern
T +41 31 389 91 00
krebsliga.ch