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„ICH WÜRDE MICH PLATONIKER NENNEN“ Im Gespräch KOLT trifft Menschen aus der Region zum Gespräch über ihren Beruf. Die aktuelle Serie dreht sich um den Bildungsbereich. Ob Professor, Werkklasslehrerin oder Kindergärtner: Ihre Arbeit ist eine Investition in die Zukunft.
THOMAS HENZI, 47, IST REKTOR UND LEHRER AN DER KANTONSSCHULE OLTEN UND INTERESSIERT SICH VOR ALLEN DINGEN FÜR DIE GRIECHISCHE PHILOSOPHIE. ZURZEIT UNTERRICHTET ER ETHIK, SEIN STAMMGEBIET IST ABER LATEIN UND ALTGRIECHISCH. VIELLEICHT WIRD ER ABER DOCH NOCH LOKFÜHRER. von Pierre Hagmann und Yves Stuber (Foto)
Thomas Henzi, was wollten Sie werden, als Sie ein kleiner Junge waren? Natürlich wollte ich zunächst Lokführer werden. Während der Zeit am Gymnasium habe ich dann lange geschwankt zwischen den Gebieten „Alte Sprachen“ und „Chemie/Mineralogie“. Ich bin sehr breit interessiert, mir hats gestunken, dass man nach der Matur mit vielen Fächern aufhören musste. Weshalb haben Sie sich für Sprachen und gegen die Naturwissenschaften entschieden? Ich habe keine Ahnung mehr. Das andere ist aber Hobby geblieben. Ich habe meinem Sohn kürzlich einen Chemiekasten gekauft. Sie sind dann im Lehrerberuf gelandet. Zufall oder präzise Karriereplanung? Nein, das war keine präzise Karriereplanung. Mein Hauptinteresse war und ist die griechische Philosophie. So studierte ich Philosophie im Nebenfach, Griechisch und Latein im Hauptfach. Mit diesen Fächern zeichnet es sich ab, dass man Lehrer wird. Parallel dazu habe ich aber viel Musik gemacht, ich besitze ein Blasmusikdirigentendiplom, ich hat-
te eine Bigband. Es stand lange auf der Kippe, auf welche Karte ich setzen wollte. Was reizt Sie an toten Sprachen? Das wahre Interesse, das dahintersteckt, ist wirklich die griechische Philosophie. Ich würde mich Platoniker nennen, mit allem, was dazugehört. Platon hat die wesentlichen philosophischen Fragen alle schon gekannt. Das andere ist die Literatur. Ich bin ein Viel- und Schnellleser – die griechische und römische Literatur sind der Anfang unserer europäischen Literatur. Wie gut kann man diese toten Sprachen wirklich beherrschen? Angenommen, man schickt Sie per Zeitmaschine ins alte Rom – könnten Sie sich fliessend mit den Menschen auf Lateinisch unterhalten? Nach einer gewissen Angewöhnungszeit wäre das möglich, ja. Beim Altgriechischen ginge es länger, weil es noch viel komplexer ist. Welchen Stellenwert hat Latein als Schulfach heute noch? 1998 haben die neuen Lehrgänge begonnen, seither ist Latein für das Sprachprofil nicht mehr obligato-
risch. Das führte natürlich zu einem Rückgang. Im progymnasialen Bereich sind es schweizweit etwa 30 Prozent der Schüler, die sich für Latein-Unterricht entscheiden. Ausserdem kommt eine Schülerin heute vielleicht noch auf vier Jahreswochenstunden, während es früher sechs waren. Eine Entwicklung, die Ihnen nicht gefallen kann. Es heisst oft: Latein braucht man ja heute nicht mehr. Es kann aber nicht die einzige Aufgabe eines Gymnasiums sein, die Wirtschaft zu bedienen. Wenn man etwas über die eigene Herkunft erfahren will, müsste Latein eigentlich dazugehören. Damit kommt man heute bei Politik und Verwaltung aber nicht mehr durch. Mir ist aber auch klar, dass die Schüler heute ganz anderen Ansprüchen ausgesetzt sind als früher, ein leichter Rückgang war daher nicht zu vermeiden. Sie sind auch als Rektor der Profile L, M und Untergymnasium tätig. Administration oder Unterricht vor der Klasse: Was macht Ihnen mehr Spass? Der Spassfaktor ist beim Unterrichten grösser. Ich bin aber jemand,
der sein Umfeld gerne mitgestaltet, und darum bin ich auch gerne Rektor. Und welchen Teil Ihres Jobs würden Sie gerne ersatzlos streichen? Ich könnte gut darauf verzichten, Schüler wegen Lappalien strafen zu müssen. Ich propagiere: Die Regeln sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Regeln. Haben Sie auf beruflicher Ebene noch konkrete Ziele – oder sind die schon alle erreicht? Ich bin im richtigen Alter, um sich noch einmal Gedanken zu machen, was man will. In diesem Prozess befinde ich mich zurzeit. Es ist also denkbar, dass Sie die Kanti eines Tages verlassen werden, um doch noch Musiker oder Lokführer zu werden? Würd ich nicht restlos ausschliessen. Zur Person: Thomas Henzi lebt mit seiner Frau und seinem Sohn Silvan, 11, in Trimbach. Er hat an der Uni Bern studiert und arbeitet seit 22 Jahren als Lehrer an der Kantonsschule Olten, seit 3 Jahren als Rektor.