KOLT Sommer 2018

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KOLT braucht deine UnterstĂźtzung. Mehr dazu liest du auf Seite 34. Dank Dir schon im Voraus!

Dein


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EDITORIAL Sommer 2018

Liebe LeserInnen

Dieser Sommer wird ereignisreich: Nicht nur wegen der Theaterspektakel, dem OltenAir oder der Chilbi, sondern auch wegen der Highland Games Mittelland, welche in Wolfwil stattfinden werden. In Hägendorf gibt es ein paar HighlanderInnen, die KOLT zum Training empfangen haben. Der Autor Lukas Maisel hat sich Muskelkater geholt beim Stossen von Steinen und Baumstämmen; darüber lesen könnt ihr auf Seite 24. Ich wünsche euch einen schönen Sommer und eine gute KOLT-Lektüre! Nathalie Bursać

IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Pierre Hagmann, Ueli Dutka (ud), Joshua Guelmino, Karola Dirlam, Lucas Maisel ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke, Jamie Aspinall FOTOGRAFIE Ruben Hollinger, Lucas Ziegler, Yves Stuber KORREKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 170.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2018, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.

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Cover fotografiert von Ruben Hollinger

Ihr erinnert euch sicher noch an die KOLT-Titelgeschichte von vor genau einem Jahr: Die Autorin Nora Zukker übernachtete im Hotel Europe, dem Hotel mit den wenigsten und miesesten Internetbewertungen in Olten. Das Feedback auf die Hotel-Reportage war riesig und die Ausgabe vom Juli 2018, die Nr. 87, ist mittlerweile vergriffen – uns freute das natürlich! Ein Jahr später habt ihr nun wieder die Sommer-Doppelnummer vor euch liegen. Der Link zwischen den beiden Ausgaben ist schwach, aber nicht unbedeutend: Auf dem Platz, wo heute das Hotel Europe steht, stand nämlich 1918 noch das Volkshaus, Gründungsort des berühmten «Oltener Aktionskomitees», das beim Landestreik im gleichen Jahr eine Schlüsselrolle spielte. Doch worum ging`s da eigentlich genau? Keine Sorge: Dass ihr den Wikipedia-Beitrag nicht lückenlos wiedergeben könnt, ist keine Schande. Im Interview mit dem Historiker Peter Heim auf Seite 10 könnt ihr nachlesen, was sich beim Landesstreik eigentlich genau zutrug und was er Gutes bewirkt hat.


Fertig lustig!

INHALT

Immer auf mich!

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Haarscharf!

Gähn!

Im Gespräch Käthi Vögeli regiert in alten Schlossmauern

10 Vor hundert Jahren

Meine Frau!

Der Landesstreik 1918 wurde von Olten aus orchestriert, mit Olten selber hatte er aber wenig zu tun. KOLT sprach mit dem Historiker Peter Heim über das Jahrundertereignis.

KOLUMNEN

GENUSS 16

32 Kilian Ziegler #dasdarfnichtwahrsein

Film Horror reloaded Fertig lustig!

17 Hallå

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Musik Rock ohne viel Geschrei

Petra & Barbara «E-Mail-Verkehr und Abschiedsgrüsse»

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20 Kampfklötze

STADT

Kubb hat die Pärke und Vorgärten erobert. Worum geht's bei diesem Spiel mit Holzklötzen? KOLT liefert die Spielanleitung und das Insider-Vokabular.

8 Off The Record Viel Lärm um Lärm

Literatur Entführt in eine argentinische Kleinstadt

34 Haarscharf!

Gähn!

Der koltige Monat Mach mit!

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Meine Frau!

Meinung Vorurteile

24 Schwere Sache

Es gibt eine Sportart, bei der schmeissen Menschen in Kilts Äxte und Baumstämme durch die Gegend. Ein Trainingsbesuch bei den Highlandern.

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DAS GESPRÄCH

«Die Erfüllung eines langgehegten Traums» Die Theaterregisseurin Käthi Vögeli ist mitten in den Proben für ihre zweite ShakespeareInszenierung auf dem Schlosshof Falkenstein. Warum Schlösser als Bühne alles andere als verstaubt sind und ob sie sich Sorgen macht, dass ihr Stück neben den anderen grossen regionalen Theaterspektakeln untergehen könnte, erzählt sie im Interview. Interview von Nathalie Bursać Foto von Yves Stuber

K

äthi Vögeli, ist es eine leichte oder eine schwierige Aufgabe, mit 40 AmateurDarstellerInnen ein Shakespeare-Stück aufzuführen? Weder noch. Es ist anspruchsvoll, ja, aber für mich ist diese Arbeit vor allem faszinierend und inspirierend. Einige Ensemblemitglieder haben wenig Bühnenerfahrung, andere haben sogar Theaterausbildungen. Gerade Letztere suchen bei uns neue Herausforderungen. Und die kriegen sie auch. Hinter der Bühne, von der Choreografin bis zu den Übersetzern des Stücks, sind lauter Vollprofis involviert. Sind also alle Beteiligten aus Liebe und Spass am Theater dabei? Der Spass ist auf beiden Seiten vorhanden. Profis arbeiten nicht mit AmateurInnen, wenn sie nicht offen für die Vielfalt sind, die diese mit sich bringen. Klar raufen wir uns hie und da die Haare, doch das täten wir auch mit BerufsschauspielerInnen. Viele Leute konnten wir gewinnen, weil wir eben ein Profi-Leitungsteam sind. Sie haben die Erwartung, dass es eine Herausforderung für sie wird und wir sie dabei unterstützen, ihr Potenzial entfalten zu können. Die beiden Autoren Adi Blum und Ueli Blum haben «Ein Sommernachtstraum» in die Mundart übersetzt. Das klingt, als hätten alleine die Übersetzungsarbeiten viele Monate in Anspruch genommen. «Ein Sommernachtstraum» ist ein faszinierender Text, und für die Übersetzer war es eine riesige Arbeit. Bei Shakespeare sprechen die Figuren je nach Gesellschaftsschicht in Versform oder in Prosa. So reden nun auch in unserer schweizerdeutschen Fassung die Herrschaften und die Elfenwelt in Versform und die Handwerker in Prosa. Und dort, wo es sich bei Shakespeare reimt, reimt es sich auch bei uns. Sie machen seit über 30 Jahren Theater. Da ist Ihnen Shakespeare sicher schon sehr früh begegnet. Ich habe meine Theaterausbildung in Paris absolviert, wo Ariane Mnouchkine als Theaterregisseurin aktiv war. Sie ist eine unglaublich tolle Regis-

seurin, und dank ihr konnte ich mehrere aussergewöhnliche Shakespeare-Inszenierungen sehen. So entdeckte ich meine Faszination für diese Stücke. Dass ich an den Schlossspielen 2016 «Romeo und Julia» und dieses Jahr den Sommernachtstraum inszenieren kann, ist die Erfüllung eines langgehegten Traums. «Ein Sommernachtstraum» hat eine komplexe Handlung. Können Sie das Stück in einem Satz zusammenfassen? Es handelt von Irrungen und Wirrungen; die Komödie ist ein Verwirrspiel um Liebe und Vernunft, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit.

«Die Kostüme, die Sprache, der Umgang – alles haben wir in die Gegenwart geholt.» Sommer ist Freilicht-Saison. Wieso sind Schlösser und Klöster eine beliebte Theaterkulisse? In ihnen entsteht ein interessantes Spannungsfeld. Oft werden in Schlössern historische Themen aufgegriffen, doch darauf hatte ich keine grosse Lust. Shakespeare ist zwar 400 Jahre alt, aber wir inszenieren sein Stück modern. Die Kostüme, die Sprache, der Umgang – alles haben wir in die Gegenwart geholt. Dies im alten Schlosshof zu sehen, lässt einen umso mehr spüren, dass gewisse Themen über viele Jahrhunderte die gleichen geblieben sind. Apropos Bühne: Alte SBB-Werkstätten, industrielle Brachen – diesen Sommer gibt es mit «1918.CH»

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und «Sektor1» zwei riesige Produktionen in spektakulären Kulissen. Haben Sie keine Angst, dass ein Schlosshof da etwas abfällt? Ich behaupte, unser Stück kommt mindestens genauso frisch daher wie die anderen. Unsere Angst war mehr, dass wir nicht genügend SpielerInnen finden würden. Doch wir hatten unglaublichen Zulauf beim Casting, vor allem aus jüngeren Generationen: Die Hälfte unseres Ensembles ist unter 30 Jahre alt, das ist wunderbar und ergibt eine tolle Dynamik. Wir haben 200 Plätze, das Landestreik-Projekt 500 und Karl Kühnes Gassenschau 1400. Wir alle wollen die Tribüne füllen. Mal sehen, ob es uns auch gelingt. Nennen Sie mir einen triftigen Grund, mehr ins Theater zu gehen. Eine Aufführung muss etwas in mir bewegen und zu einem Dialog werden mit dem Publikum. Ich muss zugeben, dass ich als Theaterbesucherin während der letzten Jahre wählerischer geworden bin. Sogar Produktionen in angesehenen Theaterhäusern konnten mich nicht immer berühren. Ich empfehle, sich Insidertipps zu holen, um auf den Geschmack zu kommen.

Käthi Vögeli (*1956) ist seit 30 Jahren selbstständige Theaterschaffende. Sie arbeitet als Regisseurin, Theaterausbildnerin und Theaterpädagogin und leitet Seminare für Körpersprache und Auftrittskompetenz. Sie ist Mitgründerin des Oltner Kinder- und Jugendtheaters «THEATER JUcKT» und war acht Jahre lang Mitglied des kantonalen Kuratoriums für Kulturförderung. Über sich selbst sagt sie, dass sie sehr viel arbeite, vor allem auch nachts. Die Balance hält sie u.a. dank Schwimmen in der Oltner Badi. Letztes Jahr erhielt Käthi Vögeli den Anerkennungspreis der Stadt Olten. «Sommernachtstraum» Schlossspiele Falkenstein Niedergösgen 9. August bis 1. September



OFF THE RECORD

Viel Lärm um Mensch

I

n der «Schweiz am Wochenende» vom 16. Juni war zu lesen, dass das Bundesgericht vielleicht den definitiven Entscheid darüber sprechen könnte, ob das Oltner Restaurant Schlosserei Genussfabrik eine Dachterrasse errichten darf oder eben nicht. Dies, obwohl die örtlichen Herren vom Baudepartement eine solche bewilligt hatten. Die Beschwerdeführerin ist eine entfernte Nachbarin, die in der Altstadt wohnt, und befürchtet, «die Kundschaft könnte übermässig laut werden».

Der sogenannte Oltner Boulevard-Plan, der die Öffnungszeiten pro Stadtzone regelt, bestimmt, wie lange an besagtem Ort im Aussenbereich gewirtet werden darf. Es ist Sommerzeit. Die Zeit, die schon im Mai mit dem Streetfood-Festival beginnt, der Stadt im Juni das Beachvolleyballturnier beschert und danach bis und mit Chilbi praktisch fortlaufend einen weiteren Anlass nach dem anderen mit sich bringt: Street-Soccer, OltenAir und heuer gar Sektor 1. Die Badi ist geöffnet und verursacht eine Geräuschkulisse, die sich mit dem Wind bewegt. Leute, es ist Sommer! Die Menschen bewegen sich im Sommer gerne draussen und geniessen bevorzugt bis in die Abendstunden die Wärme. Die Menschen sind nicht leise. Sie sprechen miteinander. Sie lachen. Der Grönemeyer hat’s künstlerisch auf den Punkt gebracht: «Und es ist, es ist OK – Alles auf dem Weg, – Und es ist Sonnenzeit – Unbeschwert und frei – Und der Mensch heißt Mensch – Weil er vergisst, – Weil er verdrängt– Und weil er schwärmt und stählt – Weil er wärmt, wenn er erzählt – Und weil er lacht, – Weil er lebt . . .»

Es sollte absolut egal sein, wie die Meinung einer einzelnen Anwohnerin lautet. Es muss egal sein. Und es sollten keine öffentlichen Ressourcen dafür aufgewendet werden, abzuklären, wie wenig richtig die hoffnungslose Beschwerde einer einzelnen Anwohnerin ist. Es sollte nicht erlaubt sein, dass eine einzelne Person ein

Die Altstadt ist als Wohnort nicht geeignet für Menschen, die sich an anderen Menschen und deren Geräuschen stören.

Projekt über Jahre hinweg aufhalten kann, indem sie öffentliche Ämter auf Trab hält. Es gibt Ohrstöpsel, es gibt gute Lautsprecher für zuhause, und es gibt in Olten genügend Wohnungen, die sich nicht inmitten des Stadtlärms befinden. Die Altstadt ist als Wohnort nicht geeignet für Menschen, die sich an anderen Menschen und deren Geräuschen stören. Es soll erlaubt sein, sich zu beschweren, um seine Ruhe zu erhalten – wenn es denn akut wirklich

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einen Grund dafür gibt. Und dann, wenn mehr als nur ein Individuum gestört wird, wenn also mehrere AnwohnerInnen sich beschweren. Dies macht eine Lärmklage glaubwürdig, den Anspruch respektabel. Es darf nicht möglich sein, dass neue Ideen bereits vor deren Realisierung mit Lärmklagen verunmöglicht werden, denn Lärm gilt es zu beweisen. Die Toleranz gilt es ebenso zu beweisen. Rein objektiv betrachtet ist die Schlosserei kein Ort mit explizit lauter Klientel. Die Schlosserei befindet sich in enger Nachbarschaft zur Badi, zur Aussenterrasse von Lotti’s Bar und zum Kulturzentrum Schützenmatte sowie dessen Vorplatz. In diesem Areal unter den gegebenen Umständen im Vorfeld Lärm einzuklagen, ist absurd. Im Rahmen der Diskussion über den Standort der von KOLT initiierten «EnzoMöbel» hat die Stadt in einer Besprechung darauf aufmerksam gemacht, dass sie selber bereits auf Parkbänke in der Altstadt verzichtet habe. Nämlich aus dem triftigen Grund, dass sich dort dann Menschen treffen würden. Und wo sich Menschen treffen, werde es laut. Und dies würde die Altstadtbewohnerschaft gewiss nicht langfristig tolerieren. Wirklich, das hat die Stadtverwaltung so gesagt. Unbeschwert und frei. Und weil er lacht. Weil er lebt. Einen genussvollen und erholsamen Sommer allerseits!


MEINUNG

Matthias Borner (36) wuchs in Winznau auf und arbeitet als Ökonom und Finanzanalyst. Er sitzt für die SVP im Oltner Gemeindeparlament sowie im Solothurner Kantonsrat. Nach Olten verschlug es ihn wegen der Liebe. Die Liebe ist verflogen, er ist in Olten geblieben.

Vorurteile G

ewisse Dinge lassen sich nicht ewig aufschieben... Ich musste meine Haare schneiden lassen. Wie immer ging ich zu meiner Coiffeuse, MyHang. Sie ist stets sehr nett, und für ihren Haarschnitt bekomme ich regelmässig Komplimente – ein bisschen Eitelkeit darf auch ich mir gönnen. Ich betrat den Salon und stellte fest, dass sie noch beschäftigt war. Folglich setzte ich mich, um zu warten. Ihre Arbeitskollegin musterte mich kurz, schritt zu den Magazinen, suchte etwas und drückte mir wortlos ein GEO in die Hand. Dies stürzte mich in eine Vor-Midlife-Crisis. Wie interessant, jung und dynamisch muss ich auf diese junge Dame gewirkt haben, dass sie mich als typischen GEO-Leser einstufte? Ausgerechnet eine Coiffeuse, die ja aufgrund ihres Berufs sicher eine gute Menschenkenntnis entwickelt hat. Vorurteile und kurze Einschätzungen begleiten uns ständig. Gerade heute, wo Dating-Apps mit einem Bild in wenigen Sekunden über Erfolg oder Misserfolg bei der Partnerwahl entscheiden. Laut einer Studie beträgt die Zeitspanne, welche darüber entscheidet, ob wir jemand überhaupt unsere Aufmerksamkeit schenken, acht Sekunden – Tendenz sinkend. (Sagen Sie dies einmal einem Politiker.) Bei Vorstellungsgesprächen wurde zudem nachgewiesen, dass der Entscheid meistens schon nach 2 bis 3 Minuten gefällt wird. Von da an versucht man bloss noch,

sich das Bild des ersten Eindrucks bestätigen zu lassen. Somit stützt sich unsere Einschätzung fast nur auf Erfahrungen und Vorurteile ab.

«Vorurteile sparen Zeit. Man muss sich mit nichts auseinandersetzen, und die gefestigten Bilder müssen nicht neu verarbeitet oder gar revidiert werden.» Gerade ich, ein im urbanen Olten wohnhaftes SVP-Mitglied, das kein Auto besitzt, aus einer Lehrerfamilie stammt und zudem eine ausländische Freundin hat, fühlte mich schon des Öfteren zu Unrecht mit Vorurteilen konfrontiert. Zu Beginn meiner politischen Karriere hat mich das noch sehr beschäftigt. Ich bekam ständig von anderen zu hören, wie ich sein soll. Sich darum be-

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mühen, mich wirklich kennenzulernen, tun die Wenigsten. Ich muss aber anfügen, dass mich dieser Umstand nicht mehr stört. Viele sagen mit ihren Vorurteilen mehr über sich selbst und über ihr Weltbild aus als über mich. Dies kann auch ein Vorteil darstellen: Oft ist es ja so, dass ich schon nur nach einem «Hallo» als ein Gemässigter gelte. Vorurteile sparen Zeit. Man muss sich mit nichts auseinandersetzen, und die gefestigten Bilder müssen nicht neu verarbeitet oder gar revidiert werden. Darum sind sie auch so praktisch. Gelegentlich erwische ich mich selber bei diesem Verhalten. Entgegen aller Klischees, es gibt sie: «Freitag»-Taschen-Träger, die kein iPhone besitzen; Mitglieder der SP, die die RS absolviert haben; Italiener, die nicht die eigene Lasagne die beste finden; Grüne, die gerne auf ihren Motorrädern über unsere Pässe brausen; Journalisten, die SVP wählen; Fussballer und Bartträger, die kein Tattoo haben – Ja, es gibt sie! Nehmen wir uns doch öfters Zeit, um uns mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen. Sind es nicht die Widersprüche und Gegensätze, die den Menschen interessant machen? Haben wir den Mut und begegnen unseren eigenen Vorurteilen! Ich bin Matthias, und wer sind Sie?


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«Für die Linke war es ein Notschrei einer verelendenden Arbeiterschaft» Das nationale Theaterstück «1918.CH – 100 Jahre Landesstreik» ist momentan in aller Munde. Einer der historischen Berater des Projekts ist der Historiker und ehemalige Oltner Stadtarchivar Peter Heim. KOLT hat ihn gefragt, worum es beim Landesstreik überhaupt ging.

Interview von Karola Dirlam Fotos von Lucas Ziegler


Das Einzige, was in Olten an den Landestreik erinnert: Die Plastik von Schang Hutter in der Schützenmatte. Eingeweiht wurde sie anlässlich des 90. Jahrestages des Streiks.

Peter, du warst lange Jahre Hauptlehrer für Geschichte an der Kantonsschule Olten. Der Landesstreik von 1918 war ein nationales historisches Ereignis. Hast du es mit deinen Schulklassen behandelt? Zu meiner Zeit als Geschichtslehrer habe ich den Landesstreik sehr wohl im Unterricht thematisiert, auch wenn dies im Lehrplan nicht ausdrücklich verlangt wurde. Die Entstehung und Entwicklung des Sozialstaates Schweiz hielt ich für ein wichtiges Thema. Wir hatten damals mehr Lektionen zur Verfügung, als dies heute der Fall ist, und zudem grosse Freiheit bei der Gestaltung des Unterrichts. Was reizte dich an diesem Thema? Für bürgerlich-konservative Kreise war der Landesstreik noch lange Zeit ein von Moskau finanzierter und von dort aus gesteuerter kommunistisch-bolschewistischer Revolutionsversuch. Für die Linke war er ein Notschrei der verelendenden Arbeiterschaft. Wer hatte nun recht? Wie war die Situation in der Schweiz am Ende des Ersten Weltkriegs? Welches war der Grund und Boden, auf dem der Landesstreik gedeihen konnte? Die Schweiz blieb vom Ersten Weltkrieg zwar verschont, aber die Bevölkerung machte eine schwere Zeit durch, vor allem die Lohnabhängigen in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Die Gehälter waren knapp, stagnierten oder sanken sogar. Und dann kam eine Teuerung, sodass ein Grossteil der Bevölkerung nicht mehr wusste, wie er sich durchschlagen sollte. Teile der Industrie und die Landwirtschaft hingegen profitierten von der Kriegsentwicklung. Ein Oltner Beispiel dafür war die Motorwagenfabrik Berna, die ihre Lastwagen zahlreich ins In- und Ausland verkaufen konnte. Die Landwirtschaft profitierte vom Wegfall der ausländischen Konkurrenz. Kriegsgewinne ver-

sus soziale Not, das provozierte die Benachteiligten. Hinzu kam die Grippe-Pandemie, die ab Juni 1918 schweizweit über 20‘000 Todesopfer forderte und das Leben der Bevölkerung noch weiter erschwerte und bedrohte. Und dann kam es also mit dem Landesstreik vom 12. bis 14. November 1918 zum grossen Knall? Es begann eigentlich Anfang 1918 mit der Zivildienstvorlage. In ihr schlug der Bundesrat vor, dass die gesamte Schweizer Bevölkerung vom 14. bis zum 60. Altersjahr zivildienstpflichtig sein soll – Männer wie Frauen. Für die Linke war dies ein Versuch, die Arbeitswelt zu militarisieren und das Koalitionsrecht auszuhebeln. Um die Vorlage zu bekämpfen, gründeten SP und Gewerkschaftsbund einen Ausschuss, der unter dem Namen «Oltener Aktionskomitee» (OAK) in die Geschichte einging. Das Komitee sollte mit dem Bundesrat verhandeln und – als politisches Druckmittel – einen landesweiten Generalstreik vorbereiten. Als dann im Sommer 1918 unter dem Druck des OAK eine geplante Milchpreiserhöhung wieder rückgängig gemacht wurde, wähnte man sich auf gutem Weg und hoffte auf soziale Reformen. Doch im Herbst verschärfte sich die Lage erneut. Wodurch? Eine wichtige Rolle spielte die Entwicklung in Zürich, wo ein Streik des Bankpersonals das Bürgertum alarmierte. Kurz darauf trafen die Meldungen über die revolutionären Entwicklungen in Deutschland und Österreich ein. Unter dem Druck von Bankenkreisen und besonders der Armeeführung verfügte der Bundesrat die militärische Besetzung Zürichs und brach die Verhandlungen mit dem OAK ab. Daraufhin proklamierte dieses einen 24-stündigen Proteststreik in 19 verschiedenen Städten, unter anderem auch in den Solo-

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«Als Drehscheibe des Schienenverkehrs spielte Olten eine wichtige Rolle. Wenn das Bahnpersonal streikt und keine Züge mehr fahren, kommen die Arbeiter nicht in die Fabriken.» thurner Gemeinden Olten, Solothurn und Grenchen. Diese Aktion verlief im Allgemeinen überall friedlich. Statt diese nach 24 Stunden abzubrechen, beschloss die Zürcher Arbeiterunion aber eigenmächtig die Fortsetzung des Streiks, bis die Truppen aus Zürich abgezogen seien. Jetzt blieb dem OAK nichts anderes übrig, als den unbefristeten landesweiten Generalstreik auszurufen. Durch den massiven Militäreinsatz eskalierte die Lage vielerorts, in Grenchen gab es sogar Tote. Nach drei Tagen musste die Aktion zur grossen Enttäuschung der Streikenden ergebnislos abgebrochen werden, um ein Blutbad zu verhindern. Vor kurzem hast du eine Oltner Lokalstudie zum Landesstreik verfasst. Welche Rolle spielte Olten – abgesehen davon, dass der Ausschuss der Linken, der mit dem Bundesrat verhandeln sollte, «Oltener Aktionskomitee» genannt wurde?


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Als Drehscheibe des Schienenverkehrs spielte Olten eine wichtige Rolle. Wenn das Bahnpersonal streikt und keine Züge mehr fahren, kommen die Arbeiter nicht in die Fabriken. Zudem gab es in Olten einen sehr gut organisierten, weitgehend gewaltlosen und erfolgreichen lokalen Streik, an welchem sich rund 6000 Arbeitnehmende beteiligten. Das OAK hatte mit der Stadt eigentlich nichts zu tun und erhielt seinen Namen lediglich deshalb, weil es im einstigen «Volkshaus» an der Mühlegasse in Olten gegründet worden war. Vor allem Gewerbetreibende meinten damals, der Komiteename bringe die Stadt in Misskredit, der Stadtname werde von den «Revolutionären» missbraucht. Sogar über eine Namensänderung wurde diskutiert – nicht des Komitees, sondern der Stadt! In Olten wurde am 11. November 2008 zum 90. Jahrestag des Landesstreiks das erste Denkmal eingeweiht, das an diesen Streik erinnert. Gibt es heute in Olten noch weitere sichtbare Spuren des Landesstreiks? Das Denkmal sollte damals eigentlich am Bahnhof aufgestellt werden, was aber wegen der geplanten Neugestaltung des Bahnhofplatzes nicht möglich war. Also platzierte man die wunderschöne, filigrane Plastik des Solothurner Künstlers Schang Hutter auf dem Schützi-Parkplatz. Ansonsten gibt es in Olten leider keine Spuren des Landesstreiks mehr. Das Volkshaus, wo das «Oltener Aktionskomitee» gegründet worden war, wurde später abgerissen. Dort steht heute das Hotel «Europe». Lagern denn im Oltner Stadtarchiv noch Landesstreik-Schätze? Der wichtigste Schatz ist eine Fotografie von 17 Eisenbahnern, die von der Linken als «Helden» gefeiert wurden. Sie waren inhaftiert worden, weil sie sich am Landesstreik beteiligt hatten. Das hätten sie eigentlich nicht tun dürfen, weil das Bundespersonal unter Militärrecht gestellt worden war. Dann besitzen wir die Archive der SP Olten und vieler Gewerkschaften, sodass wir über die Vorgänge in Olten ziemlich gut Bescheid wissen. Weiss man heute alles über den Landesstreik? Oder gibt es immer noch Aspekte, die erforscht werden müssen?

«Während die Wirtschaft aus dem Streik gelernt hat und zum Teil bedeutende Zugeständnisse an die Arbeitnehmenden machte, blieb die Politik knallhart.»

Man weiss über manches noch zu wenig. Forschungslücken bestehen etwa bezüglich der Betrachtung des Themas aus der Sicht der Unterschichten und aus der Genderperspektive. Unklar ist zum Teil auch die Haltung der Wirtschaftsverbände und der Finanzwelt. Ausserdem sollte der transnationale Kontext stärker gewichtet werden. Auf der anderen Seite wären weitere Lokalstudien durchaus erwünscht. Der Landesstreik wurde nach nur drei Tagen abgebrochen. Was wurde aus den Forderungen des Oltener Aktionskomitees? War er nun ein Erfolg oder nicht? Und was ist sein gesellschaftliches Erbe? Der Forderungskatalog des OAK – zum Beispiel 48-Stundenwoche, Frauenstimm- und Wahlrecht, Alters- und Invalidenversicherung – liest sich wie ein Programm der sozialpolitischen Entwicklung im 20. Jahrhundert. Insofern kann man den Landesstreik aus linker Sicht durchaus als Erfolg bezeichnen. Trotzdem war er nicht auf allen Ebenen erfolgreich: Während die Wirtschaft aus dem Streik gelernt hat und zum Teil bedeutende Zugeständnisse an die Arbeitnehmenden machte, blieb die Politik knallhart. Sie grenzte die SP aus und stempelte Sozialdemokraten als Bolschewisten ab. Dies führte zu einer Verhärtung der politischen Fronten. Wie äusserte sich diese Verhärtung der Fronten? Die Rechte organisierte bewaffnete Bürgerwehren – paramilitärische Organisationen, die in allen Gemeinden für «Ordnung» sorgen sollten. Die Linke dachte daraufhin über Arbeiterwehren nach. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn man das umgesetzt hätte. Vielleicht hätte das Bürgerkrieg bedeutet. Erst angesichts der Bedrohung durch die faschistischen Mächte rückten bürgerliche Parteien und Sozialdemokratie in den späten 1930er -Jahren nach und nach zusammen. Gemeinsam mit anderen Historikern aus der ganzen Schweiz hast du als historischer Berater am Theaterprojekt «1918.CH – 100 Jahre Landesstreik» mitgewirkt. Wie kam es dazu? Was genau war dabei deine Rolle? Die Initiantin und Leiterin des Theaterprojekts hatte mich bereits im Vorfeld kontaktiert. Ich habe mich bemüht, ihr Türen zu den Solothurner Behörden zu öffnen. Ausserdem informiere ich sie – wie es viele meiner KollegInnen auch tun – über neue Forschungen und Publikationen zum Thema, an welchen ich zum Teil selbst beteiligt bin. Mit der Umsetzung des Projekts an sich habe ich sonst nichts zu tun. Sollte historischer Stoff vermehrt künstlerisch aufbereitet werden? Ja, natürlich. Künstlerisch aufbereiteter Stoff kann besser ins Bewusstsein der Bevölkerung dringen und somit besser verstanden und eingeordnet werden. Grundsätzlich eignet sich jeder historische Stoff dafür. Entscheidend ist die Frage der Relevanz. Die Erinnerung an den Landesstreik zum Beispiel spielt sich vor dem Hintergrund des aktuellen sozialpolitischen Diskurses ab. Die

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«Die sozialen Errungenschaften, die der Landesstreik brachte, werden heute von der politischen Rechten wieder in Frage gestellt.» sozialen Errungenschaften, die der Landesstreik brachte, werden heute von der politischen Rechten wieder in Frage gestellt. Du bist seit 2012 pensioniert. Bist du auch in Ruhestand? Mit welchen Dingen beschäftigst du Dich heute? Ich erforsche historische Themen, vor allem die Regionalgeschichte liegt mir am Herzen. Eben habe ich eine Arbeit über die weiblichen Hausangestellten um die Jahrhundertwende abgeschlossen. Viel zu tun gibt auch das Projekt Firmenarchive – in kaum einem anderen Kanton wird das wirtschaftliche Kulturgut sorgfältiger gepflegt als im einstigen Industriekanton Solothurn. Und schliesslich helfe ich mit, meiner Frau für ihre politische Arbeit im Nationalrat den Rücken frei zu halten. Das hält uns beide ganz schön auf Trab.

Peter Heim (*1944) studierte Schweizergeschichte, Allgemeine Geschichte, Deutsche Philologie, Französische Philologie und Philosophie an der Universität Basel sowie Geschichte und Deutsche Philologie an der Universität Göttingen. Er promovierte 1971 in Basel in Schweizer- und allgemeiner Geschichte und neuerer deutscher Literaturgeschichte. Von 1971 bis 1973 war er Lehrbeauftragter für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Liestal und von 1973 bis 2006 Hauptlehrer für Geschichte und Deutsch an der Kantonsschule Olten. Von 2003 bis 2012 war er Stadtarchivar von Olten. Zudem leitet er zusammen mit Verena Schmid Bagdasarjanz das von ihm initiierte Projekt Firmenarchive des Historischen Vereins des Kantons Solothurn, dessen Vorstand er auch angehört. Peter Heim ist mit der Politikerin Bea Heim verheiratet, hat drei Kinder und sieben Grosskinder und wohnt in Starrkirch-Wil. Zusammen mit anderen Fachleuten ist er historischer Berater für das Theaterprojekt «1918. CH – 100 Jahre Landesstreik». Kürzlich verfasste er eine Oltner Lokalstudie zum Landesstreik, die im Herbst im Jahrbuch für Solothurnische Geschichte erscheinen wird.


SERIE

FILM

Der letzte Schrei Mit Filmen wie «Get Out» und «A Quiet Place» hat sich das Horrorgenre vom Trash-Image entfernt. Und der Höhepunkt des aktuellen Revivals folgt erst.

Die Erwartungen an «The Alienist»

waren gross, geht es doch um die Verfilmung des Bestsellers «Die Einkreisung» von Caleb Carr. Die Geschichte spielt in New York, kurz bevor das 20. Jahrhundert anbricht und damit die Moderne. Es brodelt in der Stadt: die Mächtigen, der Geldadel, der korrumpierte Polizeiapparat – sie alle spüren, dass sich das gesellschaftliche Gefüge verändert. Und mittendrin sucht ein deutschstämmiger Psychiater – der abschätzig «Alienist» genannt wird – zusammen mit dem gescheiterten Künstler John Moore sowie der ersten weiblichen Angestellten des PolizeiDepartements, Sara Howard, und den beiden Detektiven Marcus und Lucius Isaacson nach einem Killer, der Kinderprostituierten die Kehle durchschneidet und die Augäpfel aussticht. Die Begeisterung über «The Alienist» hielt sich im Feuilleton und auch in den einschlägigen Foren in Grenzen: Die Serie sei zwar imposant inszeniert, die Figuren jedoch nicht greifbar, Daniel Brühl in der Hauptrolle ein schlechter Sherlock Holmes. Über diese Kritik kann man streiten – zuerst sollte man aber alle zehn Episoden gesehen haben. Dann wird nämlich klar, dass es hier weniger um Spannung geht, sondern vielmehr um ein grosses Thema: Emanzipation – und das bei jeder einzelnen der Figuren. (nb)

The Alienist

1+ Staffel, 10 Episoden Krimi-Drama/TNT, Netflix/2018

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von Pierre Hagmann

T

otgeglaubte leben länger. Das Horrorgenre erlebt einmal mehr eine beeindruckende Renaissance. In den 90er-Jahren war es der Slasher «Scream», dem unzählige Teenies zum Opfer fielen und der eine neue Horror-Welle im Kino auslöste. Nun, 20 Jahre später, erleben wir den nächsten Gruselboom. Mit ambitionierten Werken hat sich das Genre vom Trash-Image befreit und sich damit auch für Nichtfans interessant gemacht: 2017 war für Hollywood das kommerziell erfolgreichste Horror-Jahr der Geschichte. Alleine «Es», die Verfilmung von Stephen Kings Kultbuch, brachte über 300 Millionen Dollar ein. Der überraschendste (und beste) Hit des letzten Jahres war indes «Get Out». Selten hat ein Horrorfilm derart schön und bissig Zeitkritik betrieben und dabei noch beste Unterhaltung geboten. Durch den gekonnten Einsatz filmischer Mittel Schrecken zu verbreiten, das reicht nicht mehr. Heute werfen die ambitiösen Filmemacher gerne Mystery-Elemente ein und zeichnen ein düsteres Bild einer Welt in naher Zukunft, die uns droht, so die Botschaft, wenn wir so weitermachen wie bisher. Die L.A. Times hat kürzlich Horror als das Filmgenre der Trump-Ära bezeichnet. Und so geht die hohe Zeit der Dystopien auch 2018 weiter. Fulminant etwa John Krasinkis «A Quiet Place». Da lebt eine ganz normale Familie in

ALBEN MEINES LEBENS

Rammstein Rosenrot Das erste Album in meiner Plattensammlung. Es hat mich sofort mitgerissen und brachte mich dazu, bewusst Musik zu hören.

einer gar nicht mehr normalen Welt. Es ist das Jahr 2020, und abscheuliche Kreaturen haben die Erde heimgesucht. Sie sehen nichts, aber hören fast alles. Und was sie hören, das zerstören sie. Und so lebt die Familie in Stille, kommuniziert in Gebärdensprache, geht barfuss, steckt das schreiende Baby in eine mit Sauerstoff versorgte geschlossene Wiege. Jedes Geräusch kann fatal sein; es ist eine Welt, die nichts verzeiht, die den Menschen zu permanenter und totaler Selbstkontrolle zwingt; eine an sich nicht mehr lebenswerte Welt, doch bleibt den Menschen die stille Liebe untereinander. Der Film ist ein geglücktes Experiment, der vorläufige Zenit des aktuellen Horrorrevivals steht aber offenbar noch bevor. Ab Mitte Juli läuft «Hereditary – Das Vermächtnis», das Debüt von Jung-Regisseur Ari Aster (1987), in den Schweizer Kinos. Wiederum geht es um eine ganz normale Familie. Als die Grossmutter stirbt, kommt das Grauen. Es entwickelt sich eine beklemmende Geschichte um Schuld und Kummer – und um Geister. In den USA ist die Rede vom besten Horrorfilm des Jahrzehnts.

«Hereditary – Das Vermächtnis» läuft ab 19. Juli bei youcinema

von Selbstbedienung

Die Ärzte Planet Punk Stundenlang, immer wieder die gleichen Lieder rauf- und runter hören – funktioniert! Die Ärzte haben es mit dieser Platte bewiesen.

Ska-P ¡¡Que corra la voz!! Obwohl ich kein Wort Spanisch beherrsche, kann ich jeden einzelnen Song auf diesem Album ohne Probleme mitsingen. Eine Hammer-Scheibe!

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Linkin Park Hybrid Theory Die Texte sprechen mir aus der Seele und die Gitarrenriffs, wie auch die Stimme von Chester, ziehen in den Bann. R.I.P. Chester Bennington.

Sex Pistols Never Mind the Bollocks Laut, schrill, provokativ und leidenschaftlich. Ein Meilenstein der Musikgeschichte.


MUSIK

ICH TRAGE B A RT L O M E .

Weltmeister der Klänge Dass es keinen schreienden Frontsänger braucht, beweist Leech seit über 20 Jahren.

von Marc Gerber

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ch erinnere mich, wie ich als Teenager Leech zum ersten Mal an einer Hundsverlochete in Zofingen sah: Leech, die Götter des Instrumental Post-Rock, schafften es, die 30 Leute vor der Bühne allein mit ihren sphärischen, langatmigen Rock-Operetten zu begeistern. Ich fand’s geil. Zu diesem Zeitpunkt war die Band in der Szene schon lange Kult, nicht nur unter den LiebhaberInnen im Mittelland, denn Leech tourte die letzten Jahre über den ganzen Globus. Die Gründungsmitglieder Marcel, Urs und Serge sind sehr sympathisch: Als junger Journalist war ich vor vielen Jahren an einem Open Air in Aarau und fand es eine super Idee, aufgrund des Lärms das Interview mit Leech auf das ruhigere Männer-WC zu verlegen. Wir verbrachten 30 Minuten dort, und sie beantworteten höflich alle meine Fragen – trotz Gestank und Pinkelgeräuschen. Mir war damals nicht bewusst, welche MusikGrössen ich zum Interview auf das Klo gezerrt hatte. Das wurde mir im gleichen Sommer klar, als ich Mogwai vor dem Mikrophon hatte. Auf die Frage, wer sie beeinflusst habe, nannten sie neben Godspeed You! Und Black Emperor – ihr

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erratet es – Leech. Ich antwortete: «Leech from Switzerland?» Und sie: «Yeah sure buddy, they must be huge here.» Leech mit ihrem unglaublich abwechslungsreichen Instrumental-Sound sollten eigentlich noch viel berühmter sein, als sie es jetzt schon sind. Glaubt mir, es ist nicht einfach, nur mit Sound und ohne Gesang ein Publikum über eine Stunde lang zu fesseln. Leech kann das, und wie! Das Zusammenspiel der Musiker kommt so leichtfüssig daher, als würden sie im Bandraum üben. In Wahrheit steckt dahinter 23 Jahre Routine plus viel, viel, viel Talent, Willen und Kreativität, wie ich dies live zuletzt nur von den Isländern Sigur Rós erlebt habe. Leech ist diesen Sommer in Bewegung und serviert euch ein schmackhaftes Musikmenü. Im September ist Plattentaufe (das neue Album ist noch streng geheim), doch davor spielen die Aargauer am 4 Juli am Olten Air bei der Schützi. Dieses Konzert ist Pflichtprogramm für alle, die nur einen Hauch Bock auf epische Musik à la Sigur Rós, Mogwai, Tool, Camera, Soundgarden oder Radiohead haben.

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Herr Blaser trägt eine Steinbrille von Rolf

Bartlomé Optik AG Brillen und Kontaktlinsen Hauptgasse 33 - 4600 Olten www.bartlome-optik.ch


BUCH

..................... KOLT liest .....................

von Daniel Kissling

Freunde, Gewehre und eine Bar

DUNKEL, FAST NACHT von Joanna Bator

2012 erschien dieser Roman im Heimatland der Autorin Bator, einer preisgekrönten Publizistin und Schriftstellerin. Wałbrzych ist die Stadt ihrer Kindheit und auch der Ort, in dem ihre Protagonistin, die Journalistin Alicja Tabor aufwuchs. Es war eine verwahrloste Kindheit, ihre ältere Schwester war der einzige Halt, die Mutter verschwunden, der Vater ein kauziger Schatzsucher, der sich kaum um seine beiden Töchter zu kümmern vermochte. Als Erwachsene kehrt Alicja ins Haus ihrer Eltern zurück, um für ihre Reportage über die verschwundenen Kinder von Wałbrzych zu recherchieren. Unheimliche, gute Unterhaltung! Nathalie Bursać, KOLT-Chefredaktorin

DIE KRAFT von Jonas Lüscher

Ein Preisgeld von einer Million Dollar ist ausgelobt für die Antwort auf die Frage, warum alles, was ist, gut ist und dennoch verbessert werden kann. Der Held dieser Geschichte steckt in einer existenziellen Krise und könnte das Preisgeld gut gebrauchen. Mit voller Kraft geht’s also voraus ins Silicon Valley, wo ihm die grosse Chance winkt. Yves Stuber, KOLT-Verleger

In Auflösung von Hernán Ronsino

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as macht ein Buch spannend? Genauer: Was macht dieses Buch so spannend? Das fragte ich mich ziemlich schnell, als ich «In Auflösung», den neusten Roman des argentinischen Autors Hernán Ronsino, zu lesen begann. Zugeben: Dass bereits auf den ersten 20 Seiten zwei Menschen erschossen werden, ist sicher keine schlechte Ausgangslage. Doch sind die beiden Vorfälle, beides Unfälle, schnell geklärt. Weder stellt sich die Frage nach dem Schützen, noch nach dessen Motiv. Trotzdem konnte ich das Buch nicht weglegen. Trotzdem musste ich, nachdem mich Hernán Ronsino in die argentinische Kleinstadt Chivilcoy entführt hatte, wissen, wie es weitergeht. Wie es weitergeht mit Abelardo, dem Ich-Erzähler und einem der beiden Todesschützen, und mit Bicho, seinem Freund. Und was zwischen ihren jetzigen und ihren früheren Ichs passiert, denn als LeserInnen folgen wir den beiden Freunden nicht nur dabei, wie sie sich kurz vor der Pensionierung zum Grillieren treffen, sondern auch, wie sie sich Mitte 20 kennenlernen. Was passierte damals, danach, dazwischen, und was passiert jetzt? Indem Ronsino uns unvermittelt hineinwirft ins Geschehen, lässt er uns zwar ganz nah ran, beantwortet aber keine Fragen, erklärt nichts. Lesend sind wir dort, in diesem nach

Benzin und Schweiss riechenden Städtchen im Nirgendwo, als wären wir aufgrund einer Autopanne ungewollt dort gelandet. Und wissen nichts, noch weniger als die Hauptfigur Abelardo. Und lesen genau deswegen weiter; weil wir plötzlich neben den Figuren stehen, ihnen über die Schulter schauen und ihren Atem spüren. Als Erneuerer der lateinamerikanischen Literatur wird Ronsino momentan bezeichnet. Ob es daran liegt, dass er auf einer einzigen Seite eine Geschichte (à la Jorge Luis Borges) schildern kann, die man auch als Parabel für einen ganzen Kontinent lesen kann? Oder daran, dass er Land, Leute, Stimmungen so plastisch beschreibt, dass man sich fragt, wie man aus der langsam zerfallenden Kleinstadt im Nirgendwo wieder nach Hause kommt? Dabei will man dort gar nicht weg, aus dem Städtchen, will Bicho zusehen, wie er endlich wieder die Gitarre in die Hand nimmt. Und hofft dabei auf eine gutdeutsche, sprich langweilige Strategie, der man mit einem Bier in der Hand Stück für Stück folgen kann.

Hernán Ronsino

In Auflösung

Bilger Verlag, 2018. 127 S. 978-3-03762-072-4


WO SPIELT DIE MUSIK? AM TRESEN

Rund um den Oltner Stadtturm ist es an diesem Dienstagabend ruhig, die alten Gemäuer fangen noch die letzten Strahlen der Sonne ein, die gegen sieben Uhr noch knapp über die Dächer der Altstadthäuser zu strahlen vermag. Beim chinesischen Restaurant sitzt der Patron im Schutze der gestapelten Stühle, giesst sich aus einer Flasche Weissen ins Glas, raucht. Und vor dem Restaurant Waadtländerhalle sitzen an den paar Tischen ein paar Leute, die so früh am Abend Hunger verspüren auf eine Butterrösti. Rita macht sie. Und das erst ab 18 Uhr, steht auf der Homepage geschrieben. Wer in den frühen Feierabend entflieht, der darf halt warten und kann sich mit einer Stange für unter vier Stutz die Zeit vertreiben, oder einem Gläsli Chianti für noch weniger Bares.

Die Preise auf der Getränkekarte erinnern an alte Zeiten, sind vielleicht sogar ein guter Grund für den Vorsatz, wieder vermehrt abseits der grossen Stadt zum Apéro zu gehen. Und die Fassade des Altstadthauses, in dem die Waadtländerhalle untergebracht ist, lässt einen zum Schluss kommen, dass man hier unbestreitbar in der schönsten Oltner Beiz sitzt.

Waadtländerhalle Marktgasse 23 Olten

In der nördlichen Hemisphäre ist die Festival-Saison schon voll im Gange. Für Schweizer Indie-Liebhaber-Innen muss die Bad Bonn Kilbi in Düdingen und das B-Sides in Kriens natürlich im Kalender stehen. Aber was für Indie-Festivals gibt es denn eigentlich ausserhalb der Schweiz? Klar gibt es unzählige gute, aber im Folgenden soll es um ein Open Air gehen, das vor allem durch sein Line-Up besticht: Das Desert Daze-Festival etwas ausserhalb von Los Angeles. Während die grossen Festivals seit Jahren die gleichen Headliner hin- und her schieben, wurde Desert Daze zum Nabel der internationalen Indie-Szene. Auch dieses Jahr reisen einflussreiche Bands von heute in die kalifornische Wüste. Sie werden an einem einzigartigen Festival spielen, das Noisey wie folgt beschreibt: «A surrealist’s playground that reminds us what festivals were like before festivals were festivals». Vielleicht wird ja Desert Daze zu deinem Spätsommer-Abenteuer? Das Fest findet vom 12. bis 14. Oktober statt, es bleibt also noch Zeit zum Planen. (ud)

OLTENAIR 3.–4.8.

MOST WANTED

Jugendbibliothek Für all diejenigen, die finden, in der Badi, am Seeufer oder am Strand wimmle es nicht schon genug: Das beliebteste Buch in der Kinder- und Jugendbibliothek ist momentan von

«Das SommerWimmelbuch» Rotraut Susanne Berner; es bietet eine Extra-

Portion Gewimmel. Zum Anschauen, drüber meditieren und Geschichten spinnen.

Stadtbibliothek Sie war eine der reichsten Frauen der Schweiz, Mäzenin und Bundesratstochter. Ihre Biografie geht in allerkürzester Version ungefähr so: Sie verliebte sich und wurde in die Psychiatrie gesteckt. Diese gut erforschte Geschichte ist der Ausgangspunkt für von . Ferienlektüre für all diejenigen, deren Gedanken trotz Sommerhitze nicht ins Schlingern kommen, denn einfache Kost ist es nicht – in der Stadtbibliothek ist der Roman aber dennoch ein Favorit. (nb)

«Ein Bild von Lydia» Lukas Hartmann

INFO: OLTENAIR.CH VVK: EVENTFROG.CH/ OLTENAIR2018


Immer auf mich! Immer auf mich!

Kampf der Holzklötze Gähn!

Kubb regiert über Olten! Eben erst fand die zweite Kubb-Meisterschaft auf der Oltner Bifangmatte Gähn! statt. Doch was steckt hinter dem beliebten Spiel mit den Hölzern?

Meine Frau!

Text von Joshua Guelmino Illustrationen von Jamie Aspinall

I

n der Mitte steht er, stolz, der grösster aller Holzklötze. Mal um Mal zischen kurze runde Wurfhölzer um seine Ohren, sein Unheil mit jedem Wurf näherbringend. Ein Klotz nach dem anderen geht zu Boden und wird wieder ins Feld geworfen. Bis sie alle liegen bleiben. Dann ist das Ende nah. Ein Schatten erhebt sich über die hölzerne Krone, zwei Beine wie Baumstämme stellen sich breitbeinig in die Sonne, der Oberköper beugt sich nach vorne – Klock. Der König ist gefallen. «Schachmatt» würde man beim Brettspiel sagen. Beim Kubb klatscht man ab, gibt sich die Hand oder stösst an – wie richtige Wikinger halt. Denn dort, so will es die Legende, hat Kubb seinen Ursprung. Es wird angenommen, dass es vor über 1'000 Jahren von den nordischen Eroberern auf ihren Beutezügen in ganz Nordeuropa verteilt wurde. Den Namen hat die vermeintliche Geburtsstätte Gotland, eine Insel in der Ostsee, gegeben: Kubb ist Schwedisch und bedeutet ganz

Fertig lustig!

einfach Holzklotz. Vermutlich war es ursprünglich ein Spiel, um die Wikinger-Kinder während der Suche nach Feuerholz etwas bei Laune zu halten. Doch so wirklich weiss das niemand. Mit den 23 Holzteilen, aus denen ein Kubb-Set besteht, hätte man sicherlich ein ordentliches Feuer hingekriegt. Obwohl etwas sperrig für den Transport, wird das Wikinger-Schach immer beliebter. Kubb ist einfach zu verstehen, schnell aufgestellt und hat ein hohes Suchtpotenzial. Dazu gesellt sich ähnlich intensiver Körpereinsatz wie bei Darts oder Boccia: also wenig. Man füge einen Sack für die Klötze, rund 25 Meter Schnur, ein paar Quadratmeter freie Rasenfläche hinzu, und schon kann der Spass losgehen. Aus dem gesellschaftlichen Spiel unter Freunden in den Pärken und Gärten hat sich ein regelrechter Hype entwickelt. Mittlerweile werden Tur-

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Meine SchattenFrau!

Ein erhebt sich über die hölzerne Krone, zwei Beine wie Baumstämme stellen sich breitbeinig in die Sonne, der Oberköper beugt sich nach vorne – Klock. Der König Haarist gefallen. scharf!


Kubb ist einfach zu verstehen, schnell aufgestellt und hat ein hohes Suchtpotenzial. Dazu gesellt sich ähnlich intensiver Körpereinsatz wie bei Darts oder Boccia: also wenig.

ähn!

Du musst in Vikinger ein, aber es hilft!

Meine Frau!

Flitzis mehr Chancen auf einen Turniersieg einzuräumen. Denn der Unterschied punkto Können zwischen Hobby-KubberInnen und ambitionierten SpielerInnen ist gewaltig.

niere mit mehreren hundert Teilnehmern durchgeführt. Auch Das Dreitannen-Open auf der Bifangmatte Mitte Juni entwickelte sich zu einem Hotspot für Kubb-Fans. Rund 80 Teams warfen im Juni auf 36 markierten Spielfeldern in zwei separaten Turnieren mit Klötzen um sich. Zum ersten Mal traten die Flitzpiepen, wie Kubb-Neu-

linge von den erfahrenen und ambitionierten SpielerInnen liebevoll genannt werden, an einem eigenen Turnier an. Am Jánoscup, gewidmet einem verstorbenen Mitglied des Kubb Klub Olten, spielten Teams mit klangvollen Namen wie «Team Rainbow», «Kubba Libre» und «Schatz! No es Bier gärn…». Die Idee dahinter war es, den

Dienstagabend, Training mit ein paar Jungs vom Kubb Klub Olten: Mit viel Drall um die eigene Achse fliegt der Kubb durch die feuchtwarme Sommernachtluft. Meisterhaft bohrt er sich in den Rasen der Bifangmatte und bleibt punktgenau dort liegen, wo er aufschlägt. Für das Entwickeln dieser Wurftechnik hat Patrik Wyss fast drei Jahre gebraucht. Seit fünf Jahren feilt er

Fachsimpeln wie echte KubberInnen:

Du spielst Kubb, bist aber grad voll am abloosen oder willst mit deinem Fachwissen imponieren? Kein Ding, mach deine spielerischen Mängel mit coolen Klugscheisser-Sprüchen wett:

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«Rainbow»: Wurf in hohem Bogen. Ziel ist es --------------alle 5 zu «Helikopter»: Ein regelwidriger treffen. Wurf mit horizontaler Drehung. --------------«Björne»: Einen ungünstig gelegenen Feldkubb während der ersten Setzrunde mit einem Kubb rauskicken, damit man ihn in der zweiten Setzrunde nochmal werfen und besser platzieren kann. --------------«Vögi»: In der Setzrunde einenist Treffen kein Feldkubb so treffen, dass derSeich! geworfene Kubb abprallt und wegspickt.

«Flitzpiepen» oder «Flitzi»: Kubb-AnfängerInnen. Wird verwendet, wenn ein Spieler schlecht wirft. --------------«Zero»: Wurf ohne vertikale Drehung. --------------«180»: Wurf mit vertikaler Drehung um 180 Grad.

Dieser wurde schon getroffen.

Den König braucht es erst am Schluss.

Er muss rückwärts durch die BeineKOLT getroffen Sommer 2018 21 werden.

«Erwachsenedoublette»: Mit einem Wurf wird ein Feldkubb und ein Basekubb abegräumt. --------------«Y»: In der Setzrunde einen Feldkubb und zwei Basekubbs abräumen. --------------«Blankzieh»: Die letzten verbleibenden Basekubbs werden abgeräumt. --------------«Sure Shot»: Königswurf zwischen den Beinen hindurch. --------------«E Packig»: Wenn man ein Team klar besiegt hat, hat man eine Packung verteilt.


Du musst kein Vikinger sein, aber es hilft!

1 Ziel ist es alle 5 zu treffen.

Treffen ist kein Seich!

Dieser wurde schon getroffen.

Den König braucht es erst am Schluss.

Er muss rückwärts durch die Beine getroffen werden.

KUBB 3 2

2

Diese werden aufgestellt und müssen zuerst getroffen werden!

Erst jetzt geht es auf die anderen los!

Gruppe 2 wirft zuerst die gefallenen Hölzer ins Gegner-Feld

4

5

Werden die eigenen Hölzer nicht alle getroffen, dürfen die Gegner vorrücken!

So geht es weiter bis eine Mannschaft alle 5 gegnerischen Hölzer getroffen hat. Für den König braucht es einen speziellen FüdliSchuss!

Immer auf mich!

ALLES KLAR?

Wird der König zu früh umgeworfen, hat man verloren.

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Haarscharf!

Gähn!

So spielt ihr Kubb: Haarscharf!

MeineGähn! Frau!

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ls erstes braucht ihr 2 bis maximal 12 Leute. Gespielt wird in zwei Teams. Als nächstes sucht ihr euch ein Fleckchen Rasen. Der Garten der Eltern tut‘s im Notfall auch. Das Spielfeld misst im Normalfall 8 auf 5 Meter und wird mit einer Schnur abgesteckt. Nun darf jedes Team sechs Mal werfen; je nach Teamgrösse ergibt dies 1 bis 6 Würfe pro Person und Runde. Beim Werfen darf der grosse Zeh die Schnur Fertig an der Grundlinie übertreten. Aber nur der grosse Zeh. Diese Regel kann aber von lustig! Turnier zu Turnier variieren. Geworfen wird immer mit einer Bewegung von unten nach oben. Wer das Wurfholz zu Beginn des Spiels am nächsten beim König zu liegen bringt, ohne dass dieser umfällt, darf das Spiel beginnen.

mit seinen Freunden Dario Ackermann, Fabian Baumgartner, Lukas Leuenberger und Marco Aerni an der perfekten Wurftechnik. Jeder im Team hat seine Stärken: Patrik setzt die Feldkubbs punktgenau, Lukas ist auf die Basekubbs spezialisiert und Fabian besticht mit einer hohen Trefferquote. Unter seinen Kollegen geniesst Fabian Kultstatus. «De het voll en Fäbu gmacht» heisst es, wenn ein Spieler während dreier Spiele hintereinander eine Trefferquote von 100 Prozent auf die Basekubbs aufweist. Scheinbar ein Ding der Unmöglichkeit. Haarscharf! Zusammen gewannen die Oltner als Team «Horstcrew» letztes Jahr die Kubbtour und holten den Pokal zum ersten Mal nach Olten. Die Tour ist zu vergleichen mit derjenigen im Tennis. An verschiedenen Turnieren sammeln die Teams Punkte, und das Team mit den meisten Punkten gewinnt die Tour. Neben dem Titel des Schweizermeisters ist die Tour die zweithöchste Trophäe, die man in der Schweiz gewinnen kann. An der diesjährigen 14. Schweizermeisterschaft in Murten stand Patrik mit seinem «Aare drii Team» im Finale und scheiterte am Schluss an «Breitizone» aus Zurzach. Als nächstes steht die WM in Gotland auf dem Programm. Wie an Kubb-Turnieren üblich, können sich auch dort alle Interessierten anmelden. Vom «Flitzi» bis zum alten Kubb-Hasen ist also alles an einer WM anzutreffen. Die Stimmung erinnert dabei eher an ein Festival oder Grümpeli-Turnier als an einen Sportanlass. Aber die SpielerInnen gehen durchaus ambitioniert ans Werk. Das Publikum ist angeheitertet dabei und feuert die Teams an. «Da ist schon auch eine Portion Ehrgeiz dabei», meint Patrik.

Ziel ist es, alle fünf Kubbs auf der Grundlinie, die Basekubbs, abzuräumen. Hat Team A einen Basekubb getroffen, muss Team B die Kubbs in die Platzhälfte von Team A werfen. Dabei ist es von Vorteil, wenn die Kubbs möglichst nahe beieinander zu liegen kommen. Landet ein Kubb ausserhalb des Feldes, darf der Wurf ein zweites Mal versucht werden. Landet der Kubb beim zweiten Mal immer noch nicht im Feld, darf das gegnerische Team den Kubb platzieren.

rische Team bei den nächsten Würfen ab der Höhe des Feldkubbs, welcher der Grundlinie am nächsten ist, werfen. Wer am Ende alle Basekubbs abgeräumt hat, muss mit einem Wurf zwischen den Beinen hindurch den König in der Mitte des Feldes treffen. Wird der König bereits vorher von einem Team umgeworfen, verliert dieses sofort das Spiel.

Als nächstes muss Team B nun versuchen, die Feldkubbs umzuwerfen. Erst wenn alle Feldkubbs umgeworfen sind, darf auf die restlichen BaseHallå kubbs geworfen werden. Wenn nicht alle Feldkubbs umgeworfen werden, darf das gegneFertig lustig!

Mit viel Drall um die eigene Achse fliegt der Kubb durch die feuchtwarme Sommernachtluft. Meisterhaft bohrt er Gähn! sich in den Rasen der Bifangmatte und bleibt punktgenau dort liegen, wo er aufschlägt. Haarscharf!

Die WM wird seit 1995 immer in Gotland durchgeführt und war bis 2012 fest in skandinavischer Hand. Legendenstatus haben sich die Schweden von Team Ekeby erkämpft. Ganze elf Mal durften sie sich als Weltmeister krönen. Vor sechs Jahren durchbrachen dann «Kubb’Ings» aus Deutschland zum ersten Mal die nordische Dominanz. Wer weiss, vielleicht kommt der goldene Kubb ja bald nach Olten?

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Hallå

Die Top-Turniere ----------------------------------------------------Kubbtour: An 17 Turnieren können Punkte gesammelt werden. Das Team Meine mit den meisten Punkten am Ende gewinnt. Die mögliche Punktzahl hängt mitFrau! der Anzahl Teilnehmer zusammen. Je mehr Teilnehmer, desto mehr Punkte sind möglich. Gähn! Schweizermeisterschaft: Der Gewinner darf sich Schweizer Meister nennen. Das diesjährige Finalspiel mit Oltner Beteiligung («Aare drii Team») kann auf der Facebookseite der Kubbtour nachgeschaut werden. Weltmeisterschaft: Jedes Jahr versammeln sich KubberInnen aus der ganzen Welt in Gotland und messen sich. Das Turnier ist offen für alle und lockte 2017 176 Teams auf die Insel in der Ostsee. Das Turnier findet dieses Jahr am 3. und 4. August statt.


Steinwerfen und andere schwere Dinge

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Unser Autor hat weder lange Haare noch starke Oberarme. Trotzdem hat er sich ins Training der Highlander begeben.

Text von Lukas Maisel Fotos von Ruben Hollinger


Seinen ersten Stein holte er auf einer Baustelle: François Baeriswyl, Beizer, ehemaliger Kugelstosser.

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ein erstes Training habe ich bei François, einem hemdsärmligen, stämmigen Beizer über fünfzig. Das graue Haar hängt ihm zusammengebunden über den Rücken. Ich folge ihm auf eine Wiese zwischen jungem Mais, Strauchwerk und Autobahn, und als erstes fällt mir eine metallene Vorrichtung auf, die einer Hochsprunganlage ähnlich sieht, bloss stehen die Pfosten näher beieinander und zwischen ihnen liegt keine Matte. François öffnet den aus verwittertem Grauholz bestehenden Schrank, in dem die Gewichte verstaut sind. Als erstes nimmt er ein Gewicht für den Hochwurf zur Hand, einen eisernen Zylinder, der mit einem Ring zum Greifen versehen ist. Er stellt sich unter die metallene Vorrichtung und wuchtet das Gewicht mehrere Meter hoch in die Luft, über die Stange. Dann soll ich es ihm nachmachen. Ich frage ihn, ob sich dabei noch niemand verletzt hat. Einem Teilnehmer, das hat er erlebt, ist das Gewicht bei einem Wettkampf beinahe auf den Kopf gefallen. Nachdem er es losgelassen hatte und das Scheppern der Stange hörte, blickte er nicht mehr hoch. Was er nicht sah: Das Gewicht prallte gegen die Stange und fiel dorthin zurück, von wo es geworfen worden war. Das Gewicht streifte seinen Kopf und traf die Schulter. Immer nach oben schauen, nachdem du das Gewicht losgelassen hast, sagt François. François kommt das erste Mal vor mehr als einem Jahrzehnt mit den Highland Games in Berührung. Der ehemalige Zehnkämpfer bekommt die Resultate eines Wettkampfs in die Hände, und er kann nicht glauben, dass der Beste den siebzehn Kilogramm schweren Stein bloss sechs Meter fünfzig weit gestossen hat. Von einer Baustel-

François sagt, meine unbewusste Angst davor, dass mir das Gewicht auf den Kopf fallen könnte, lasse es mich zu spät loslassen. Unbewusste Ängste, stelle ich fest, sind eigentlich gar nicht so schlecht. le besorgt er sich einen Stein desselben Gewichts, und beim Üben zuhause im Garten merkt er, dass er ihn weiter werfen kann. Als er mit dem Training beginnt, gibt es erst eine einzige Klasse, erst später kommt eine mit leichteren Gewichten hinzu und jene für Athleten über vierzig Jahre. François hat den Ehrgeiz, dem Alter zum Trotz jedes Jahr seine Höhen und Weiten zu halten, und, im besten Falle, noch zu verbessern.

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Breitbeinig solle ich mich so unter die Vorrichtung stellen, dass die vorgestellte Verlängerung meines Rückens sich schneidet mit der oben liegenden Stange. Ich nehme das Gewicht mit einer Hand, nur mit den Fingern haltend, den Handrücken nach vorne, schwinge es zwischen den Beinen vor und zurück, beginne, mit den Füssen zu wippen. Das sei nicht gut, sagt François, ein fester Stand sei wichtig. Schliesslich lasse ich das Gewicht los, werfe es aber statt nach oben hinter mich. François sagt, meine unbewusste Angst davor, dass mir das Gewicht auf den Kopf fallen könnte, lasse es mich zu spät loslassen. Unbewusste Ängste, stelle ich fest, sind eigentlich gar nicht so schlecht. Er gibt mir ein leichteres Gewicht, jenes, das die Frauen werfen. Ich schaffe tatsächlich, es über die Stange zu werfen, die auf zwei Meter fünfzig liegt, und ich bin ein wenig stolz. Als Nächstes drückt François mir den Hammer in die Hand und macht vor, wie er zu schwingen und zu werfen ist. Es handelt sich bei diesem Gerät um eine Eisenkugel, in die ein biegsamer Stiel getrieben ist. Man lässt den Hammer in einer geneigten Umlaufbahn um den Kopf kreisen, als wäre er dessen Trabant. Arme strecken, ruft François mir zu, und nachdem ich den Hammer


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Legt beruflich Platten, in der Freizeit schleudert er Baumstämme: Simeon Brügger, Gründer des Black Sheep-Clans Hägendorf.

losgelassen habe, meint er, die Richtung stimme schon einmal. Danach landen mehrere meiner Würfe im Acker. Kraft ist notwendig, natürlich, aber sie ist nutzlos, wenn die richtige Technik sie nicht in Höhe und Weite umsetzt. Die Verbesserungen fänden teilweise sprunghaft statt, wie Simeon Brügger betont, ein weiterer Highlander, den ich bei meinem zweiten Training kennenlerne. Eine einfache technische Veränderung könne schon viel bringen — etwa der ausgestreckte linke Arm, der die Drehung des Körpers beim Steinstossen mitmacht. Simeon, 37, Plattenleger, stiess vom Klettern zum Highland-Sport und gründete vor drei Jahren den «Black Sheep»-Clan. Er und seine Freundin Stefanie Frey, genannt Steffi, 34, sind neben François jene, die am häufigsten auf der Weide in Hägendorf stehen, um zu trainieren. Vor vier Jahren beginnt Simeons damalige Frau mit dem Dudelsackspielen, welches ein Teil der traditionellen schottischen Highland Games ist, die

Du musst den Stein lesen, sagt mir François, du musst ihn in die Hand nehmen und herausfinden, wie du ihn am besten werfen kannst. nicht nur aus athletischem Wettkampf bestehen. So sieht er zum ersten Mal diesen Sport, der im Grunde kein Sport ist, sondern ein archaisches Kräftemessen, ein Sport avant la lettre, eine rohe Gegenbewegung zur hochverfeinerten Leichathletik oder dem von der Werbung vereinnahmten Fussball. Es gibt dennoch ein Reglement, das festschreibt, wie schwer die Gewichte zu sein haben. Die Gewichte aber, mit denen der Black Sheep

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Clan trainiert, sind nicht auf Gramm und Millimeter geeicht, denn sie sind selbstgemacht. Ihr Hammer etwa besteht aus einer Kugelstosskugel, die man aufbohrte, um einen Holzstiel hineinzutreiben. Einmal, erzählt mir Simeon schmunzelnd, habe sich eine solche Kugel vom Stiel gelöst und sei durch die Windschutzscheibe eines auf dem nebenliegenden Parkplatz stehenden Autos geflogen. Die Steine aber, die gestossen werden, sind bei jedem Wettkampf andere, sie unterscheiden sich in Grösse und Form. Du musst den Stein lesen, sagt mir François, du musst ihn in die Hand nehmen und herausfinden, wie du ihn am besten werfen kannst. An seinen ersten Spielen nimmt Simeon als Wasserträger teil, der Zusammenhalt zwischen den Wettkämpfern, die sich gegenseitig Ratschläge geben, beeindruckt ihn. Er entscheidet, selber teilzunehmen. François zeigt ihm am Anfang die Techniken, doch bald entwickelt Simeon grossen Ehrgeiz, schaut sich auf Youtube Videos an und geht dann auf den Trainingsplatz, um diese Techniken auszuprobieren. Seine Partnerin Steffi lernt er in einem Tanzlokal kennen. Später dann kann er sie für den archaischen Sport begeistern. Letztes Jahr wurde Steffi bereits Schweizermeis-


Meisterin im archaischen Kräftemessen: Stefanie Frey entdeckte beim Armdrücken ihr Talent für gewichtige Herausforderungen.

terin, und ihr Ziel ist es, an der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr teilzunehmen. Sie will sich bis dahin vor allem technisch verbessern. Zum Training, das jeden Mittwoch um halb sieben vis-à-vis des Schützenhauses in Hägendorf stattfindet, tragen die Black Sheeps keinen Kilt, jenes traditionelle Kleidungsstück der schottischen Clans, an dessen Muster ablesbar ist, welchem Clan man angehört. Simeon und Steffi aber besitzen einen Kilt mit eigenem Muster. Einer nach dem anderen nimmt den Hammer, dessen Stiel mit Harz eingerieben wurde, schwingt und wirft, die anderen schauen zu und geben Ratschläge. Simeon ruft Schatzi oder Hübschi über die Wiese, und rät seiner Freundin dann, früher oder später loszulassen, anders zu stehen, einen kleineren Schritt zu machen. Steffi hat muskulösere Arme als ich, sie sind mit farbigen Tattoos übersät. Auf ihrem rechten Unterschenkel ist das Gesicht ihrer französischen Bulldogge — kein Mops, wie sie betont — Adi zu sehen. Steffi begann als Armdrückerin. Als es bei einem Wettbewerb, bei dem ihre Freundin teilnimmt, zuwenige Armdrückerinnen gibt,

Im Spielreglement steht zum Baumstammwurf geschrieben: Ein Wettbewerbsbaumstamm soll so lang und schwer sein, dass nur die besten Wettkämpfer ihn drehen können. nimmt sie teil und gewinnt. Einige Jahre lang drückt sie gegnerische Arme nach unten, bis sie dessen müde wird und mit Fitness beginnt, das vom Laien mit Bodybuilding verwechselt werden kann. Bei Fitness sind Muskelmasse und De-

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finition aber nicht das höchste Ziel, sondern vielmehr ein gleichmässig muskulöser Körper. Auch mit Bankdrücken beginnt sie, also dem Stemmen von schweren Gewichten in liegender Haltung. Um ihr Gewicht zu halten und so in einer bestimmten Gewichtsklasse antreten zu können, achtete Steffi stets sehr auf ihre Ernährung. Eine Zeitlang habe sie nur Salat und Fleisch gegesssen, jeden Tag, keine Kohlenhydrate. Das Protein des Fleisches soll beim Muskelaufbau helfen, dabei würden Kohlenhydrate, die mitunter als Fett eingelagert werden, nur stören. Bei den Highland Games aber richten sich die Klassen nach dem Gewicht der Geräte, nicht nach jenem der Athleten. Dass sie nun nicht mehr so sehr auf ihre Ernährung achten müsse, emfpinde sie als befreiend. Das Baumstammwerfen ist für den Zuschauer wohl die spektakulärste Disziplin und die einzige, bei der es nicht um Höhe oder Weite geht.


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Kugel und Hammer: zwei der Gegenstände, die im Highlander-Sport gestossen und geworfen werden.

Die Axt ist am Ende zu halten, man holt über den Kopf aus, macht einen Schritt nach vorne und lässt sie los. Die einzige Gefahr besteht hier darin, sich beim Ausholen nach hinten den Schädel zu spalten. Das Ziel besteht darin, den Stamm sich einmal so überschlagen zu lassen, dass er auf zwölf Uhr vor einem zu liegen kommt. Und auch wenn das Ziel nicht darin besteht, den Stamm möglichst weit zu werfen, so verlangt auch das Balancieren und der Überschlag viel Kraft. Wenn der Stamm, so François, nach hinten fallen sollte, dann solle ich ihn fallen lassen, und nicht versuchen, ihn mit dem Schlüsselbein aufzufangen, sonst sei das Schlüssenbein entzwei.

Im Spielreglement steht zum Baumstammwurf geschrieben: Ein Wettbewerbsbaumstamm soll so lang und schwer sein, dass nur die besten Wettkämpfer ihn drehen können. Ich beginne mit dem mit pinker Farbe bemalten Frauenstamm, nehme diesen zwischen Schulter und Arm, und François hebt ihn in meine verschränkten Hände. Eigentlich müsste ich den Stamm selber aufnehmen. Geh ein, zwei Schritte nach vorne, sagt er, und wenn du merkst, er fällt, dann ziehst du die Hände hoch. Die ersten Versuche gelingen mir nicht, der Baumstamm will sich nicht überschlagen. François, der in sicherem Abstand steht, mich aber genau beobachtet, weiss, woran es liegt. Statt dem Stamm den Impuls zum Drehen zu geben, stosse ich ihn nach oben. Keine offizielle Disziplin ist der Axtwurf, sie dient bei Wettkämpfen dem Zeitvertreib. François nimmt die zweischneidige Axt aus dem Holzverschlag und entfernt die ledernen Schutze auf beiden Seiten. Es ist eine Axt der schwedischen Marke Gränförs. Das Ziel ist ein Brett, auf

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das eine Zielscheibe gesprayt ist, die von Dutzenden Axtwürfen bis zur Unkenntlichkeit zerhackt ist. Die Axt ist am Ende zu halten, man holt über den Kopf aus, macht einen Schritt nach vorne und lässt sie los. Die einzige Gefahr besteht hier darin, sich beim Ausholen nach hinten den Schädel zu spalten. Meine ersten Würfe gehen zu tief, treffen nicht einmal das Brett. Als ich dann einen einigermassen gelungenen Wurf schaffe, meint François, das wäre jetzt die Halsschlagader. Nach einigen weiteren Versuchen dann spalte ich meinem Feind mit einem Wurf den Schädel. Völlig miserabel kann ich mich nicht angestellt haben, denn am Ende des Trainings bietet François mir an, regelmässig zum Training zu kommen und an einem Wettkampf in sieben Wochen im Wolfwil teilzunehmen. Ich werde es mir überlegen, sage ich zu ihm.


KILIAN ZIEGLER

NaRr

Das darf nicht wahr sein! von Peter Kalvar

Ich gehe immer diesen Weg. Ich ging immer diesen Weg. Oder jedes zweite Mal, den Trampelpfad. Ich nahm immer diesen Weg, jeden Morgen, zur Arbeit, im Sommer zumindest, wenn es trocken war zumindest. Eine Schönwetter-Abkürzung, fünf Minuten mehr, mehr Schlaf oder unter warmem Wasser stehen. Wenn es schneite, verschwand er. Abends nahm ich ihn nie, diesen Weg, abends blieb ich auf dem Asphalt, vielleicht weil zuhause niemand auf mich wartete. Jetzt nehm ich diesen Weg nicht mehr. er ist verschwunden, nicht nur, bis der Schnee geschmolzen ist, sondern für immer. Jetzt kann ich ihn nicht mehr nehmen, diesen Weg. Erst standen die Visiere dort, aus Holz, später die Gitter aus Metall, und Bauarbeiter, dann Wände. Ihn nie in die andere Richtung beschritten zu haben, das bereue ich.

Peter Kalvar (*1978) unterrichtet Französisch und Deutsch an einem Gymnasium in der Ostschweiz und würde lieber mehr schreiben, u.a. fürs Narr. www.dasnarr.ch

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igentlich wollte ich bloss den Balkon auf Vordermann bringen: Pflanzen giessen, Kram entsorgen, Boden kehren. Es war nicht so, dass ich tatsächlich putzen wollte, vielmehr suchte ich Gründe, meiner Steuererklärung auszuweichen. So stand ich also mit meinen berüchtigten Kumpeln Schüfeli und Bäseli auf dem Balkon, und gerade, als ich so richtig loslegen wollte, stiess ich mir den Zeh am Geländer. Todesschmerz wand sich durch meinen Körper, impulsiv hob ich die Hände: «Das darf nicht wahr sein!», schoss es aus mir hinaus. «Endlich sagt’s mal einer!» Ich blickte zur Strasse hinunter und sah zwei ältere Männer. «Recht hat er, das darf wirklich nicht wahr sein!», polterte der Eine, vom Nicken des Anderen bekräftigt. Eine Joggerin hielt neben ihnen an und erkundigte sich, warum denn so geschrien wurde. «Der da oben», man zeigte auf mich, «der versteht uns! Er weiss, gerade mit der Politik und so, darf das doch alles nicht wahr sein!» «Was ist denn hier los?», fragte ein Vierter. Ein Fünfter, Sechster, Siebter kam dazu, bis wenig später eine stetig wachsende Menschenmasse unter meinem Balkon stand, bei der sich alle einig waren: Es durfte nicht wahr sein. Ich war also zum Meinungsmacher, vielleicht sogar zum Anführer avanciert, der diesen Trubel zu verantworten hatte, dabei wollte ich gar keiner sein (höchstens von der Prokrasti-Nation, dem einzigen Land, das sich nicht um Steuern kümmert). «Ich fühle mich ein wenig missverstanden», versuchte ich zu klären. «Ja, wir auch! Du sprichst uns aus der Seele. Niemand versteht uns.» «Niemand ausser dir da oben», ergänzte

jemand. Die Situation geriet ausser Kontrolle: Aus Dutzenden wurden Hunderte, dann Tausende. «Es!darf!nicht!wahr!sein!», wurde skandiert. Am Rand formierte sich eine Gegendemo: «Es darf wahr sein!» Eine dritte, kleine Gruppe stand teilnahmslos daneben: «Üs isch glich! Wir sind neutral! Hopp Schwiiz!» Die ganze Medienlandschaft versammelte sich unter meinem Balkon: Tagi, NZZ, Weltwoche, Tierwelt. Die Arena strahlte live eine Sondersendung aus, im Internet diskutierte man heftig (#dasdarfnichtwahrsein), Polizei und Militär fuhren ihre Geschütze auf. Eins war klar, bevor die Lage eskalieren würde, musste ich etwas unternehmen. Doch was sollte ich tun? Wie Evita von Balkon hinabsingen («Don’t cry for me Balkontina»), oder zur grossen Rede ansetzen («Niemand hat die Absicht, einen Balkon zu errichten»)? Ich entschloss mich, wie man das als Machthaber wohl so macht, die Menschen zu adressieren: «Liebes Volk», unter meinem Balkon wurde es still, «die Zeiten sind hart. Doch mein Balkon ist eigentlich recht sauber. Und ich würde gerne reingehen und ein bisschen lesen. Gut? Gut! Adieu mitenand.» Der Pulk löste sich auf, Achseln wurden gezuckt, Hände geschüttelt, Resümees ausgestrahlt. Nur meine Steuererklärung blieb unausgefüllt.

«Liebes Volk, die Zeiten sind hart. Doch mein Balkon ist eigentlich recht sauber. Und ich würde gerne reingehen und ein bisschen lesen. Gut? Gut! Adieu mitenand.»

Eine gute Zeit Kilian Ziegler PS: «Liebes Volk, wer hilft mir mit den Steuern?», schrie ich einen Tag später vom Balkon auf die leere Strasse runter. Niemand reagierte – das durfte nicht wahr sein!

www.bijouterie-maegli.ch

AnziehungskrAft

liegt in unserer nAtur.


PETRA & Barbara

E-Mail-Verkehr und Abschiedsgrüsse von Barbara Kohler (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)

H

and aufs Herz: 80 Prozent der E-Mails, die verschickt werden, bewegen sich irgendwo zwischen überflüssigem Tastenaktionismus und völlig entgrenztem ccWahnsinn. Am meisten quält mich jedoch nicht die fehlende Relevanz, sondern die Abschiedsgrüsse. Da liest man ja die wildesten Dinge. Zeig mir deinen Abschiedsgruss und ich sage dir, wer du bist. Hast du schon einmal «es liebs Grüessli» von jemandem bekommen, den du ernst nehmen kannst? «Es liebs Grüessli» ist doch für jene, die zuhause immer noch Diddl-Mäuse auf dem Fenstersims haben, ein Bastelblog führen und den grossen Traum in sich tragen, irgendwann im Leben ein richtig schönes Kinderbuch rauszugeben, mit tausend farbigen Illustrationen und pädagogisch wertvollem Inhalt. Leider sind das auch heute noch meistens Frauen. Und leider kann man sich mit einem lieben Grüessli von Anfang an in die Ecke der beruflich Ambitionslosen stellen. Ein Abschiedsgruss, der in letzter Zeit geradezu viral geht, ist «herzlich». Ursprünglich stammt er aus der Chefetage einer betimmten Sorte Unternehmen, nämlich mit freundschaftlicher, flachhierarchischer Firmenkultur – und er war weiblich. Mit «herzlich» kombinierte die Chefin am Ende des Emails raffiniert professionelle Distanz und Menschlichkeit. Heute ist

«herzlich» für all jene, die zumindest im Unterbewusstsein selber gern Chef wären. Was auch gar nicht geht, sind «sportliche Grüsse» und ähnliche Schöpfungen. Ich meine, was ist ein sportlicher Gruss – ist der zu mir in die Inbox gerannt, statt elektronisch übermittelt worden zu sein? Es macht einfach keinen Sinn. «Beste Grüsse» sind nicht besser. Müssen sich jetzt selbst Grüsse dem Leistungsdiktat unterordnen? Darf man – auch als Gruss – niemals damit aufhören, nach dem Superlativ zu streben? Was können beste Grüsse, was weniger gute weniger gut können?

Man möchte jetzt sagen: Lieber viele gut gemeinte Grüsse statt ein bester. Aber «viele Grüsse» sind eindeutig zu viele. Ich stelle mir vor, wie eine Armee von Grüssen aus dem Computer in mein Büro schwärmt wie tausend kleine, surrende Drohnen, um mich rücksichtslos zu überwältigen. Nein, drei bis fünf Grüsse wären für mich das Maximum. Ob sich die «fünf Grüsse» jemals etablieren werden, steht in den Sternen. Aber eigentlich gibt es eh nur drei akzeptable Abschiedsgrüsse, je nach Nähe respektive Distanz zwischen Schreiber und Empfänger: «freundliche Grüsse», «liebe Grüsse» und «herzliche Grüsse». Richtig eingesetzt, hinterlässt der klassische Abschiedsgruss ein stimmiges Gefühl, ohne dass man ihn als Adressat bewusst wahrnehmen muss. Und genau so soll es sein. Alles andere stiftet nur unnötig Verwirrung und lenkt vom Inhalt ab, der ja doch in immerhin rund 20 Prozent der Emails relevant ist.

Barbara Kohler,1980 in Bern geboren, hat Anglistik studiert und schliesslich doch wieder zur Muttersprache zurückgefunden. Sie tritt mit berndeutschen Texten auf, fürs Schreiben bevorzugt sie Hochdeutsch.

THOMAS MÜLLER Inhaber/CEO

MEHR ALS EINE DRUCKEREI DIETSCHI PRINT&DESIGN AG Ziegelfeldstrasse 60 4601 Olten T 062 205 75 75 www.dietschi-pd.ch


DER KOLTIGE MONAT

Hilf mit, das KOLT weiterzuentwickeln! Kurze Variante

B

itte schreib uns auf hallo@kolt.ch oder per Post an Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, was du an KOLT schätzt, was du nicht liest, was du gerne in deinem Lokalmagazin lesen würdest und was du uns schon lange einmal hast sagen wollen. Blicke dabei bitte auch über die Stadtgrenze hinaus. Wir freuen uns, deine Meinung zu erfahren und werden uns bei dir für deine Mithilfe belohnen, indem wir deinen Input in irgendeiner Form in das erneuerte KOLT einfliessen lassen.

Lange Variante

I

m Oktober publizieren wir die 100. Ausgabe von KOLT. Nächstes Jahr wird KOLT zehn Jahre alt. KOLT hat all die Jahre überstanden, weil der herausgebende Verlag sein Know-how an Unternehmen verkaufte und das so verdiente Geld in die Subventionierung des hauseigenen Magazins steckte. Wir haben das Magazin inhaltlich stetig verbessert und entwickelt. Das Geschäftsmodell wurde jedoch kaum verändert; mal abgesehen von einer stetigen Erhöhung des Abonnementpreises. Und: Das ursprüngliche Verkaufsargument war die integrierte Veranstaltungs-agenda. Diese wurde später zur separaten Beilage des Magazins und vor zwei Jahren unter dem neuen Namen «AUSGEHEN in Olten» zu einer eigenständigen Publikation, die unabhängig vom KOLT-Magazin funktioniert. Dieser Schritt erweiterte den redaktionellen Spielraum von KOLT, das sich nun unabhängig vom Monatsrhythmus und von aktuellen kulturellen Veranstaltungen weiterentwickeln kann. Genau daran arbeiten wir seit ein paar Monaten. Und das niedrig gesteckte Ziel ist: Wir wollen das interessanteste und lesenswerteste Schweizer Lokalmagazin produzieren. Was heisst denn konkret das «interessanteste und lesenswerteste»? Um diese Frage zu beantworten, benötigt KOLT deine Unterstützung. Teil uns mit, was du an KOLT schätzt, was du nicht liest, was du gerne in deinem Lokalmagazin lesen

würdest und was du uns schon lange einmal hast sagen wollen. Blicke dabei bitte nicht nur, aber auch, über die Stadtgrenze hinaus. Olten ist das Paradebeispiel einer Schweizer Kleinstadt, mitten im Land gelegen. Olten ist regelmässig Untersuchungsobjekt der Wissenschaft. So stand die Stadt beispielsweise im Zentrum der legendären Studie «Die Schweiz – Ein städtebauliches Portrait» des ETH Studio Basel der Architekten Roger Diener, Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Marcel Meili und Christian Schmid. Olten ist Stoff für Ideen und Geschichten, für ein Magazin! Für deine Meinung sind wir dir sehr dankbar. Wir für unseren Teil werden unsere Vorgehensweise in der Heft-Planung und -Produktion so verändern, dass wir dir noch mehr Inhalt, höhere Qualität und mehr Tiefgang bieten können. Und wir verändern unser langjähriges Team. Wir waren beispielsweise bei unseren beiden neuen Grafikern in Luzern zu Besuch für ein erstes grosses Brainstorming – auf der Suche nach dem perfekten KOLT. Auch haben wir unsere künftige Co-Bildredaktorin getroffen, die mit uns neue Bildkonzepte erarbeiten und uns Zugang zu noch mehr ausserordentlichen FotografInnen ermöglichen wird. Wir arbeiten intensiv an unseren Rubriken. Sie bilden das Gerüst rund um unsere grossen Geschichten. Sie sind dein Halt, um dich im KOLT

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zurechtzufinden. Sie geben dir das wohlige Gefühl, das KOLT zu kennen. Eine Rubrik ist dir sympathisch oder nicht. Du liest sie aus Interesse immer als erstes oder eben überhaupt nicht. Hier setzen wir an. Auch hier können wir das Niveau mit einem kreativen Zugang zu Unterhaltung, Kultur und Genuss anheben. Die erste Ausgabe dieses neuen KOLTMagazins wirst du im Dezember erhalten. Sofern du uns dann noch abonniert hast. Was wir natürlich sehr hoffen. Wir gehen jetzt in den Urlaub, Energie tanken. Wenn wir Mitte Juli zurückkehren, würden wir uns schampar freuen, in unserem Postfach (hallo@kolt.ch) eine Mail von dir zu finden. Denn dann wird das koltige Team nicht nur die Septemberausgabe planen, sondern auch die Ausgabe Nummer 100 sowie die nigel-nagel-neue Dezember-Ausgabe. Wir sind voll motiviert! Wir machen das für dich und für uns. Wir waren etwas ermüdet nach neun Jahren und sind nun wieder voller Tatendrang und wissen: Das interessanteste und lesenswerteste Schweizer Lokalmagazin wird ab Dezember 2018 aus Olten kommen! *

Einen wunderbaren, genussvollen, erholsamen, koltigen Sommer allerseits! Dein KOLT *Wie eh und je, haha!


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