KOLT Juni 2018

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Mariann Bühler (*1982) ist Geschäftsführerin der Sofalesungen und Produktionsleiterin des Internationalen Lyrikfestivals Basel. Sie glaubt, dass es immer wieder Themen gibt, die zu einer bestimmten Zeit öfter literarisch bearbeitet werden. Aktuell fällt ihr auf, dass verschiedene jüngere Schreibende, Männer sowie Frauen, sich mit der Generation ihrer Grosseltern auseinandersetzen.

«Dass sie mutig sind und noch mutiger werden. Dass sie die Möglichkeiten wie Mentorate, Literaturinstitute und Lektorate nutzen. Dass sie genauso selbstbewusst Werkbeiträge beantragen wie ihre Kollegen. Dass sie sich von alten Hasen nicht einschüchtern lassen und sich Rat holen bei KollegInnen, VeranstalterInnen.»

brauch des Computers bei der jüngeren Generation sodann auch in deren Syntax. Es entstünden kurze, definitionsartige Sätze, deren Kontext abhandengekommen sei. «Fliehen in Birkenstocks ist nur schwer vorstellbar», liest die ältere Frau laut, mit rollendem R aus Schiblis Werk vor – nach Felders Meinung ein beispielhafter «Computersatz». Manche Unterschiede beim Schreiben der Autorinnen, wie etwa die Recherche-Arbeit oder die Veränderungen des Schreibens mit dem Alter der Schreibenden, sind wiederum nicht auf einen Generationenunterschied zurückzuführen, sondern eher individuell zu verstehen. Die vier Schriftstellerinnen verbindet das Beobachten von Menschen und Situationen und die spätere Arbeit am Text: Sie überarbeiten das Geschriebene immer wieder, lesen sich die Texte vor, weil beim Hören besser klar wird, ob und wie Rhythmus, Inhalt und Struktur stimmen. Und Judith Keller fügt an: «Ich glaube, ich brauche ein Material an Sätzen oder Gedanken, von denen ich weiterdenken kann. Ich brauche aber auch einen gedanklichen Leerlauf, um wieder schreiben zu können, ich muss mich ein bisschen langweilen.»

Sichtbar und hörbar sein Debüts gab es an Solothurner Literaturtagen jedes Jahr zu hören. Wichtig ist aber, dass sich die jungen Autorinnen in der Zeit nach ihrer ersten Veröffentlichung weiterentwickeln können. Dafür müssen sie gleich stark gestützt werden wie die Männer. Hierfür braucht es weiterhin ein Umdenken im Literaturbetrieb. Dieses Umdenken kann freilich nicht losgelöst von weiteren gesellschaftlichen Entwicklungen statt-

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finden. Hanna Johansen glaubt denn auch, dass sich das neue Interesse an Schriftstellerinnen zu einer neuen Normalität ausgewachsen habe, die es aber ganz ohne Einschränkungen noch nicht geben könne. Mariann Bühler wünscht sich von der jüngeren Autorinnengeneration daher umso mehr: «Dass sie mutig sind und noch mutiger werden. Dass sie die Möglichkeiten wie Mentorate, Literaturinstitute und Lektorate nutzen. Dass sie genauso selbstbewusst Werkbeiträge beantragen wie ihre Kollegen. Dass sie sich von alten Hasen nicht einschüchtern lassen und sich Rat holen bei KollegInnen, VeranstalterInnen». Dass sie sich sichtund hörbar machen – auch auf die Gefahr hin, frech und arrogant zu wirken. Aber auch, dass die VeranstalterInnen ihnen eine Bühne geben, damit sie den Weg zu ihren LeserInnen finden. Es ist vorauszusetzen, dass die jüngeren Schreibenden dabei nicht vergessen, was Hanna Johansen wie folgt ausformuliert: «Wir Menschen bestehen aus alten Geschichten, und das nicht nur, wenn wir erzählen». Zugleich ist zu hoffen, dass die neue Generation auch eigene Verantwortung übernimmt und sich getraut, Wege den Rändern entlang und abseits der vorherrschenden Strömung, jenseits der Bestsellerlisten zu gehen. «Mir scheint, dass wir 2018 weniger erzählt als errechnet werden, und dann finden wir uns zwar als Resultat einer Rechnung wieder, aber wir sind darin nicht aufgegangen. Wir gehen nicht auf», stellt Judith Keller fest und fordert von ihrer Generation: «Wir sollten uns gut überlegen, was geschieht, wenn wir schreiben. Am Ende erfinden wir die Welt, wie sie schon ist. Und das wäre ja schade.»


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