22 Hausbesuch_kloen 14.03.13 15:33 Seite 22
HAUSBESUCH
Wo genau Gudrun Derlin mit ihren Tieren lebt, bleibt ein Geheimnis.Nur so viel wird verraten: Es ist im Wilden Westen, wo sich laut Hausherrin „Fuchs und Hase Gute Nacht sagen“. Gern kuschelt sie mit dem Chinesischen Seidenhuhn „Federfein“ auf dem Sofa.
Gudrun Derlin, Ex-Muse, Vorleserin und Eierfrau
Die mit dem Huhn kuschelt Nach turbulenten Jahren und einem Unfall findet Gudrun Derlin heute ihren inneren Frieden im Zusammensein mit Tieren, dem Märchenlesen und dem Harfenzitherspiel.
Klönschnack 4 · 2013
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ie Hausherrin sieht einer, sonst die Elbvororte prägenden, „Eisente“ so wenig ähnlich, wie ein Schwan einem Huhn. Denn sie trägt eigene Kreationen und Kleider von der Gotik bis zu den 50er-Jahren. So zieht sie auch mal mittelalterlich gewandet, mit einem Zwerghahn oder Schäfchen unter dem Arm, durch Blankenese. Statt in einer luxuriösen Handtasche verstaut, hängen bei ihr die wichtigsten Utensilien in kleinen, ledernen Taschen am Gürtel ihres blumigen Kleides. Auf dem kleinen Selbstversorgerhof wird sie freudig von ihren Tieren, Hühnern und Hähnen verschiedener Rassen, Tauben, drei Schafen sowie einem Truthahn begrüßt. Seit der Marder im Stall wütete und den „größten Teil meiner gefiederten Freunde tötete, habe ich eine Seniorenresidenz für Hühner“, sagt die Frau mit der facettenreichen Biografie. Es ist nur eine von vielen Geschichten, die Gudrun Derlin erzählt. Die Episoden aus ihrem Leben illustriert sie mit Fotos. Ende der 60er-Jahre spielte die junge Frau eine skandalumwitterte Rolle am Lübecker Stadttheater, absolvierte eine Ausbildung zur MTA, jobbte als Fotomodell.
„Das Modellleben hatte ich bald satt. Ich wurde Biopionierin und wohnte in einer Künstlerkommune“, erzählt die Frau mit dem langen Zopf. Anfang der 80er Jahre lebte sie als Kulturmanagerin und Muse eines Malers ein aufregendes Leben aus Koffern zwischen Wien und Hollywood. Die Zeitung mit den vielen bunten Bildern titelte später: „Vom Nacktmodell zur frommen Eierfau“. „Nackt war ich aber nur im Namen der Kunst auf der Bühne und im Atelier,“ erklärt sie. Das ist alles stark verkürzt und trifft das Leben der so nachdenklichen wie vielseitigen Frau nur sehr grob. Für sie bietet der Rundgang durchs Quartier, mit Eierkorb am Arm, Gelegenheit aus der selbstgewählten Isolation herauszutreten und mit Menschen ins Gespräch zu kommen: „Ich möchte Gartenbesitzer ermutigen, einige Hennen zu halten. Sie sind gelehrig, pflegeleicht und Allesfresser.“ Da brauche man keine Biotonne mehr und wisse, woher das Ei stamme, das auf dem Frühstückstisch landet. „Chinesische Seidenhühner zum Beispiel gackern kaum, werden steinalt und man kann sogar mit ih-
nen kuscheln.“ Seit einem unverschuldeten Unfall 2009 sind der Rückzug zu ihren Tieren und das Lesen von Märchen zur Therapie geworden. Manchmal liest sie im Freundeskreis Märchen vor oder spielt auf ihrer Harfenzither. Ihr Gesang dazu berührt die Menschen auf wundersame Weise. Das Trauma ihres Unfalls wird durch die Gesellschaft ihres Geflügels und der Schäfchen gelindert. Voller Überzeugung sagt sie: „Tiere geben nur, sie nehmen nicht.“
www.harfenzither.de Autor: helmut.schwalbach@ksv-hamburg.de
ZUR PERSON Gudrun Derlin wurde Anfang der 50er-Jahre in Lübeck geboren. Neben der Arbeit als MTA arbeitet sie später als Fotomodell und Messehostess. Von 1980 bis 1986 lebte sie als Muse und Managerin eines Malers zwischen Österreich und den USA aus dem Koffer. Die Mutter einer 25-jährigen Tochter lebt in Blankenese.