18-20 Wiedervereinigung:Layout 1 25.05.09 15:31 Seite 19
FOTO: MICHAEL SCHWARTZ
20 JAHRE WIEDERVEREINIGUNG
20 Jahre Wiedervereinigung · Aus der DDR in die Elbvororte
Der Sprung ins neue Leben War die DDR ein riesiger Knast oder doch eher ein kuschliger, kleiner Staat, in dem keiner fürchten musste Job oder Wohnung zu verlieren? Beides ist wohl richtig. 20 Jahre nach dem Mauerfall erinnern sich heute in den Elbvororten lebende ehemalige DDR-Bürger an das Land ihrer Kindheit und Jugend ganz unterschiedlich.
E
inige begriffen ganz schnell. Wer leben will, wie die meisten Westdeutschen, der muss seine Heimat, die zerfallende DDR, verlassen. Viele von denen, die blieben, lamentieren auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch, fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Andere nahmen ihr Schicksal in die Hand, fanden in den alten Bundesländern Arbeit und eine neue Heimat. Um einen differenzierten Blick auf ihre alte Heimat bemüht sich Jacqueline Parthum aus Sachsen. Kurz nach der Wende packte sie ihre Sachen, ging nach Franken und führ auf Kreuzfahrtschiffen zur See. „Ich wollte mir die Welt anschauen“, so die heute 38-jährige. Damit bringt sie auf den Punkt, worunter viele DDR-Bürger neben dem Mangel an kleinen Dingen des Alltags litten: Die ungestillte Sehnsucht nach fremden Ländern. Nachdem sie lange gereist war, wurde die junge Frau aus Sachsen vor fünf Jahren in Nienstedten sesshaft. Als studierter Historiker blickt der Bürgerrechtler Dr. Hans Krech, wenige Tage vor dem Fall der Mauer von der DDR abgeschoben, eher zornigen Blicks zurück. Bei seinem Fazit, die DDR sei ein „kommunistisches Konzentrationslager“ gewesen, werden selbst viele DDR-kritische Geschichtswissenschaftler Widerspruch einlegen. Deutlich spürbar ist Krechs Enttäuschung über die Aufarbeitung des SED-Unrechtssystems. Die DDR-Bürgerrechtler, zu ihnen gehörte auch Krech, „sind die Verlierer“. Der Historiker und Verfasser zahlloser Bücher zu Konflikten in der islamischen Welt muss erleben, dass die alten Stasi-Schergen sich wieder organisiert haben und sich
Jacqueline Parthum kam aus Zwickau nach Nienstedten: „Als Jugendliche in der DDR hatte ich Sehnsucht nach fernen Ländern, hatte aber ansonsten eine unbeschwerte Kindheit mit einer guten Ausbildung. Ich war sehr froh als die Wende kam und ging bereits 1990 nach Hof, später zur Ausbildung nach Würzburg und fuhr dann zur See, um mir die Welt anzuschauen. Seit fünf Jahren lebe ich nun in Nienstedten, leite das Wellness Spa in der Elbschlossresidenz. Schade finde ich, dass die Menschen im Westen so wenig über das Leben in der DDR wissen – und trotzdem urteien. Schade finde ich auch, dass mit der Wende so vieles der DDR für schlecht befunden und abgeschafft wurde, was heute mühevoll „neu erfunden“ wird. Traurig macht mich, dass man 20 Jahre nach der Wende als Ossi oft immer noch belächelt wird. Kaum einer weiß, dass große Erfindungen wie der Kühlschrank, die Waschmaschine, die Armbanduhr, die Kleinbildkamara, der Teebeutel, ja selbst die Tageszeitung aus Sachsen stammen. Richtig ist, dass der Sozialismus nicht funktioniert hat, in keinem Land. Im Kapitalismus hingegen stehen alle Türen und Tore offen. Man kann reisen, alles kaufen, alles lernen, tun worauf man Lust hat – wenn man Geld hat. Hier regiert der Markt. Dabei stimmt mich die derzeitige Wirtschaftskrise nachdenklich. Mir stellt sich die Frage nach einem gerechten Gesellschaftssystem. Mein Fazit: Ich habe mich als Kind in der DDR wohlgefühlt und ich bin froh, dass mit meinem 18. Lebensjahr die Mauer fiel und mir zur richtigen Zeit großartige Wege eröffnet wurden.“ Jacqueline Parthum lebt und arbeitet in Nienstedten.
Klönschnack 6 · 2009
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