Steiermarkmagazin Klipp 2012/03

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G e su n d h e i t

Weltweit einmalige Therapie an der Kinderklinik im LKH Graz: Von der Ernährungssonde zur festen Mahlzeit

Picknick im vierten Stock Täglich pünktlich um 12 Uhr wird hier diniert: auf großen weißen, am Boden ausgebreiteten Tüchern stehen zahlreiche bunte Schüsselchen mit verschiedensten breiigen und festen Speisen. Die Wände zieren großformatige „Foodscapes“ des Fotografen Carl Warner – herrliche Landschaften aus Lebensmitteln.

Die Umstellung gelingt: schmeckt offensichtlich ganz gut

Von Michaela Vretscher

sicht auf die jedem Kind angeborene Fähigkeit, Hunger und Sättigung selbst zu regulieren. „Es geht also hier darum“, rät Marguerite DunitzScheer, „den erwachsenen Fütterungspersonen und deren Ratgeber aufzuzeigen, dass sie – wie bei den meisten kindlichen Entwicklungsschritten – nicht mehr und nicht weniger zu tun haben, als sich zurückzuziehen und ein entwicklungsmotivierendes und förderliches Umfeld zu schaffen haben …“

E

ine Mahlzeit einnehmen – für die meisten Menschen ein ganz selbstverständlicher Vorgang, für jene kleinen Gäste, die an diesem Picknick im vierten Stock der Abteilung für Psychosomatik an der Universitätsklinik für Kinderund Jugendheilkunde Graz teilnehmen, bedeutet dies eine gewaltige Herausforderung, eine wichtige Etappe im Prozess eines „Neu­ beginns“. „Gäste“ dieses „SpieleEssens“ – Teil eines dreiwöchigen Intensivprogramms zur Sondenentwöhnung – sind Eltern samt Kindern, welche seit ihrer (Früh-)Geburt oder später aufgrund von physischen Beeinträchtigungen die normale Nahrungszufuhr entbehren müssen. Zugewiesen von Ärzten, bezahlt von den jeweiligen Versicherungsträgern oder Hilfsorganisationen. „Unsere Tochter hatte zwei Herzoperationen“, berichten die Eltern

von Anna, achteinhalb Monate alt. Sie musste danach eine spezielle fettfreie Diät mittels Sonde erhalten. „Jetzt darf sie alles essen“, freut sich das Paar. Und es ist wahrlich ein Vergnügen, miterleben zu dürfen, wie sich Anna per Löffel das Mus einverleiben lässt. An diesem Tag kann man acht Patienten im „Food Lab“ – wie der Raum genannt wird, beim genüsslichen Vertilgen von angebotenen Speisen beobachten. Anwesend ist auch das spezialisierte interdisziplinäre Team der psychosomatischpsychotherapeutischen Station. Das Intensivprogramm wurde unter

Pünktlich um 12 beginnt das gemeinsame Mittagessen. 44

der Führung der Univ.-Professoren Dr. Marguerite Dunitz-Scheer und Dr. Peter Scheer durchgeführt. Am „Grazer Modell“ zur Sondenentwöhnung nehmen jährlich 80 bis 100 Kinder im Alter bis zu sechs Jahren stationär teil und ebenso viele über Internet. Es umfasst eine Ergo-, Logo-, Musik-, Spiel- und Psychotherapie sowie Eltern-KindSchwimmen. In angenehmer Atmosphäre, ohne (Nach-)Druck oder spezielle Vorgaben, wird gemeinsam gegessen, den sorgen- und angstbelasteten Eltern in diesem Rahmen Sicherheit und Vertrauen gegeben – auch in Hin-

Grazer sind weltweit „Spitze“ Und die international anerkannte Professorin weiter: „Ich möchte aber betonen, dass unsere kleinen Patienten ganz extreme Fälle sind. Sie kommen sogar aus Australien, weil wir weltweit die Spezialisten für diese Therapie sind.“ Die Kinder von der Sonde zu entwöhnen – diese Entscheidung treffen die Mediziner. Sie aber dann von der Abhängigkeit zu befreien – das ist Aufgabe der Therapie. „Es gibt da eine mentale und eine physische Abhängigkeit.

Expertenduo Marguerite Dunitz-Scheer (li.) mit ihrem Mann Peter Scheer

KLIPP April 2012


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