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Berufung aus vollem Herzen
BERUFUNG AUS
VOLLEM HERZEN
Viele Menschen haben einen Schicksalsort. Da, wo das Leben eine entscheidende Wendung nahm. Für Meike Großmann, die in Dresden geboren wurde und in OttendorfOkrilla lebt, ist es Radeberg. Hier traf sie einen Menschen, der sie – indirekt – zu der Aufgabe führte, die ihr Leben heute mit Sinn erfüllt. Doch der Weg zum Beruf mit Berufung führte über Umwege und Hindernisse.
Alles beginnt in den 90er Jahren in Dresden. Meike Großmann studiert an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Landespflege. Sie, die von sich selbst sagt, sie lasse sich von ihren Gefühlen leiten, will mit dem, was sie lernt, „die Welt retten“. Nach dem Abschluss als Diplom-Ingenieurin folgte sie ihrem Freund und späterem Ehemann nach Mainz. Sie folgt ihm auch in die Firma, wo sie in der Kalkulationsabteilung arbeitet und neue Ideen einbringt. Fast zehn Jahre bleiben sie in Rheinland-Pfalz. „Von dem Traum, die Welt zu retten, hatte ich mich irgendwann verabschiedet”, erinnert sich Meike Großmann. 2012 ziehen die Großmanns aus familiären Gründen zurück nach Sachsen.
Meike Großmann ist da 37 Jahre alt. Sie hat einen neuen Job als Projektleiterin, sitzt im Großraumbüro und immer lauter meldet sich der Gedanke: Das kann es nicht gewesen sein! „Jetzt ist die Zeit, das Ruder rumzureißen“, sagt sie zu sich selbst. Sie sucht einen „Beruf, der Sinn hat“ – sie sucht ihre Berufung. Dann hilft ihr der Zufall. Oder ist es Fügung? An einem Vormittag 2013 muss sie mit ihrem Sohn zum Kinderarzt in Radeberg. Gleich in der Nähe, in der Stolpener Straße 12, gibt es den Werksverkauf der Kleinwachauer Werkstätten. Als sie den Laden betritt, wird sie gleich von einem Klienten angesprochen. „Was ich damals noch nicht wusste: Der ältere Herr ist ein Kleinwachauer Original. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Da wusste ich: Das ist es”, erzählt
Meike Großmann. Und weiter: „Als Dresdnerin kannte ich Kleinwachau nicht. Ich ließ mir den Weg beschreiben, schnappte mir meinen halbkranken Sohn, bog auf dem Nachhauseweg nach Liegau-Augustusbad ab und stellte mich in der Personalabteilung vor.“ Dann die erste Enttäuschung: Sie wird abgelehnt.
Meike Großmann: „Aber ich wollte mich nicht entmutigen lassen. Ich spürte ganz genau, dass die Arbeit mit diesen besonderen Menschen die Aufgabe

war, die ich suchte.“ Sie bewirbt sich um ein Praktikum – und wird angenommen. Es sind drei Wochen, die ihr Leben verändern. Meike Großmann lernt die Klientinnen und Klienten in der Keramikwerkstatt, in der Industriemontage und in der Förder- und Betreuungsstätte kennen. In letzterem Bereich steht die einfühlsame Begleitung von Menschen im Mittelpunkt, die aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung nicht am Arbeitsleben teilnehmen können. Sie lernt, mit starken Gefühlen und menschlichen Bedürfnissen natürlich umzugehen: Speichelfluß und der Wechsel von Inkontinenzmaterial sind jetzt Teil ihrer Berufung. Es folgen die nächsten Dämpfer. Niemand will ihre Ausbildung finanzieren, sie als Diplom-Ingenieurin könne doch nicht als Pflegerin arbeiten, hört Meike Großmann von verschiedenen Stellen. Sie bewirbt sich erneut auf eine Stelle als ungelernte Mitarbeiterin in Kleinwachau, dann fährt sie mit ihrer Familie in die Ferien.
Für Meike Großmann ist das Studieren von Fachbüchern nach der Arbeit zur Normalität geworden. Sie macht gerade eine nebenberufliche Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Es ist der August 2013. Im Urlaubsdomizil im Bayerischen Wald klingelt plötzlich ihr Handy. Es ist die damalige Werkstattleiterin von Kleinwachau, die sie zu einem Vorstellungsgespräch einlädt. Meike Großmann unterbricht ihre Ferien, aber drei Tage später – wieder zurück am Urlaubsort – kommt die Absage. Für Meike Großmann bricht eine Welt zusammen, sie ist kurz davor, ihren Traum aufzugeben. Doch dann das Unerwartete: einen Tag später ein erneuter Anruf aus Kleinwachau. Man habe sich das nochmal überlegt. Sie könne sofort anfangen, allerdings nur für die nächsten drei, vier Monate. Und dann fällt der Satz, den Meike Großmann nie vergessen wird: „Sie sind die Frau mit Herz!”

Zunächst hangelt sie sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten – zwei Jahre lang. 2015 wird für den gerade gegründeten Förder- und Betreuungsbereich (FBB) neues Personal gesucht, und Meike Großmann darf ihren ersten unbefristeten Arbeitsvertrag in Kleinwachau unterschreiben. Aber da ist dieser Traum. Sie will nicht nur unqualifizierte Mitarbeiterin sein. Aus der Berufung soll ihr Beruf werden. Sie wünscht sich eine berufsbegleitende Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Meike Großmann: „Das, was ich jeden Tag instinktiv richtig machte, sollte für mich auch ein professionelles Fundament bekommen.“ So richtig aber nimmt niemand ihr Anliegen wahr. Dann liest sie den Newsletter des damaligen Kleinwachauer Geschäftsführers Martin Wallmann. Es geht um Fachkräftemangel und die Schwierigkeit, neues Personal zu gewinnen. Sie denkt sich: Das darf doch nicht wahr sein, ich will doch Fachkraft werden. Meike Großmann fasst sich ein Herz und schreibt an den obersten Chef. Mit Erfolg.
Heute ist Meike Großmann im letzten Jahr ihrer berufsIch spürte ganz genau, begleitenden Ausbildung zur staatlich geprüften Heilerdass die Arbeit mit diesen ziehungspflegerin und fast am Ziel ihres Traumes, der 2013 begann. Zweimal in der Woche drückt sie jetzt die besonderen Menschen die Schulbank im DRK Bildungswerk in Dresden. „Natürlich Aufgabe war, die ich suchte. ist es anstrengend, Ausbildung, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Aber ich bin Kleinwachau so dankbar, dass meine Qualifizierung hier unterstützt wird und ich mir meinen Traum erfüllen kann. Ich bin stolz, dass ich drangeblieben bin”, freut sich Meike Großmann. Sie ist eine von sechs Mitarbeitenden, die sich im Epilepsiezentrum Kleinwachau nebenberuflich zu Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern qualifizieren. Ein Aufwand, der sich auch nach einem ersten Berufsleben lohnen kann.

ZERTIFIZIERTE BERUFLICHE BILDUNG
Berufsbildungsbereich unter neuer Leitung.
Robert Kunze hat für den Berufsbildungsbereich noch einiges vor. Wichtig ist ihm die Motivation der Klientinnen und Klienten.
„Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.” Dieses Zitat von Albert Einstein – er soll es 1941 einem Studenten geschrieben haben – könnte auch ein Satz sein, von dem sich Robert Kunze und sein Team leiten lassen. Robert Kunze ist in Radeberg aufgewachsen und seit einem Jahr Leiter des Berufsbildungsbereichs in den Werkstätten des Epilepsiezentrums Kleinwachau. Gefragt nach seinem Auftrag hat er eine klare Antwort: „Die Klientinnen und Klienten auf konkrete Arbeitsgebiete vorbereiten und ihnen Fähigkeiten und Wissen vermitteln, um letztlich auch am Arbeitsmarkt bestehen zu können“, bilanziert Robert Kunze, der kurz und schnell spricht, „denn: ein Arbeitsplatz bringt Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein.”
Bereits Mitte 2016 hatte man in Kleinwachau mit der Umstrukturierung des Berufsbildungsbereichs begonnen. Das Epilepsiezentrum ging damit den Weg vom klassischen zu einem eher innovativen Berufsbildungsbereich, der an die Erfordernisse des allgemeinen Arbeitsmarktes angepasst ist. Damit wurden auch die Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) realisiert. Der Berufsbildungsbereich wurde eine eigenständige Abteilung, die zum Bereich Arbeit und dort zur Aus- und Weiterbildung gehört. Die pädagogischen Inhalte orientieren sich an den Grundlagen gesetzlicher Ausbildungsrahmenpläne, um nah an den Gegebenheiten der regulären Ausbildung zu sein und so letztlich die Vermittlungschancen für Menschen mit Behinderung zu erhöhen.
„Unsere Klientinnen und Klienten kommen zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr meist direkt von der Förderschule oder auch aus einer anderen sozialen Einrichtung zu uns und stehen dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht, noch nicht oder nicht wieder zur Verfügung”, skizziert Robert Kunze die Ausgangslage seiner Bildungsabteilung. „Es liegt an uns, die Ziele der Klientinnen und Klienten herauszufinden. Diese sind natürlich individuell verschieden“, sagt Robert Kunze. Klingt irgendwie nach Lehrbuch, deswegen holt er nochmal Luft und bringt ein praktisches Beispiel: „Wenn der Klient sagt, er will zum
Mond fliegen, dann wissen wir, dass er dieses Ziel nicht erreichen kann. Schließlich sind wir nicht Cape Canaveral. Und Raumanzüge haben wir auch nicht. Aber das Motiv ist hier entscheidend – und das muss uns bewusst werden. Das Motiv des Klienten oder der Klientin hilft uns später, sie oder ihn zu motivieren.”
Die berufliche Bildung in den Kleinwachauer Werkstätten erfolgt auf den Grundlagen des Projektes „PRAXIS-
BAUSTEIN“, das 2014 in der Trägerschaft der Diakonie Sachsen entwickelt und vom Freistaat gefördert wurde.
In Sachsen wird mit dem Verfahren „PRAXISBAUSTEIN“ Menschen mit Behinderung, die als nicht ausbildungsfähig und nicht selbstständig gelten, eine standardisierte berufliche Bildung in den dafür vorgesehenen Werkstätten angeboten. Die besondere Grundidee des Projektes ist nämlich die These, dass jeder Mensch mit Handicap eine berufliche Betätigung erlernen kann. Robert Kunze: „Der Lernstoff wird in verschiedene Module unterteilt. Das erlernte Wissen und die erworbenen fachlichen Fertigkeiten und Kompetenzen werden in einer prüfungsähnlichen Form abgefragt.” Sachsenweit gibt es für die
Praxisfelder Küche und Service, Reinigung, Wäscherei, Holzbearbeitung, Verpackung, Lager, Logistik, Montage und Bürodienstleistungen dann Leistungsnachweise, die auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anerkannt und für Unternehmen eine wichtige Entscheidungshilfe für
Einstellungen sind. „In Kleinwachau bieten wir derzeit zwei zertifizierte Bausteine: Metallmontage und Reinigung. Ich bin gerade dabei, die Praxisfelder Küche/Service, Lager/Logistik/Verpackung und Büro/Bürokommunikation/Mediengestaltung aufzubauen”, plant Robert Kunze schon voraus.
Nach Ansicht von Sachsens Sozialministerin Petra Köpping habe das Projekt die berufliche Bildung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung im Freistaat revolutioniert. „Wir haben mit diesem Projekt viel mehr erreicht, als erwartet“, lobte die SPD-Politikerin unlängst in einem Grußwort. Zum ersten Mal in der Geschichte der Werkstätten sei das wichtige Ziel erreicht worden, Menschen mit Behinderung Abschlüsse in die Hand zu geben, die von Sachsens Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern zertifiziert worden sind. Robert Kunze, der trotz seiner jungen Jahre auf eine lange, bewegte und erfolgreiche Karriere in der Autozulieferer- und Gießereiindustrie zurückblicken kann, sagt: „Wir dürfen nicht vergessen, dass dabei die Motivation der Klientinnen und Klienten immens wichtig ist. Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Die Mondfahrt werden wir nicht realisieren können, aber vielleicht schaffe ich es ja, die Person fit zu machen für einen Job auf dem Flughafen. Realistische Ziele treiben schließlich an.“
Am Ende ginge es darum, sagt Robert Kunze, dass man sich nicht nur als bloße Behindertenwerkstatt begreife, sondern als Kompetenzzentrum: „Wir wollen kein Mitleid, wir wollen eine echte Chance. Es muss für alle – Beschäftigte, Betreuende, potentielle Arbeitgeber – klar sein: Wer in den Kleinwachauer Werkstätten ausgebildet wird, hat das Rüstzeug für ein selbstbestimmtes, strukturiertes Arbeitsleben.” Zertifizierte Bildung schafft also berufliche Teilhabe.
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