St.Galler Corona-Bibel überrascht «Keine brave Bibel – die St.Galler Corona-Bibel. Rund 1000 Schreibende, darunter auch Kunstschaffende, haben seit Beginn des Lockdowns bis Ende Mai eine ‹andere› Bibel gestaltet: Sie ist viel näher am Leben», sagt Uwe Habenicht, evangelisch-reformierter Pfarrer von Straubenzell. Zusammen mit Roman Rieger und dessen Team der katholischen Cityseelsorge lancierte er das Projekt, die ganze Bibel abzuschreiben. «Die Schreibenden machten eine spirituelle Erfahrung: Durch das langsame Abschreiben zog der Text einen hinein, wurde die Kraft der Worte erlebbar. Alle haben mit ihrer eigenen Handschrift und in ihrer jeweiligen Muttersprache geschrieben. So sind in der Corona-Bibel nun rund 30 Sprachen vertreten», erklärt Uwe Habenicht. «Wir haben den Schreibenden einen grossen Frei-
raum gelassen, zum Beispiel in der Wahl der Bibelübersetzungen. Zudem haben wir die Deutungshoheit abgegeben, Kommentare nicht zensuriert. Wir wollten bewusst die Verschiedenheit zulassen.» So wurde nicht nur ein historischer Schatz reproduziert, sondern das Erleben des Textes stand im Vordergrund; es ist wohl noch lange abrufbar. Roman Rieger zitiert eine Frau, die dankbar sagte: «Ich habe eine ganz andere, offene Kirche erlebt durch dieses gemeinsame Werk.» Sich auf Fremdes eingelassen «Ein Kunstschaffender wollte sich zunächst nicht auf seinen Bibeltext einlassen. Doch dann kämpfte er mit ihm, hat ihn abgeschrieben und sich mit ihm auseinandergesetzt, bis er sich im Fremden wiederfand», erzählt Pfarrer Habenicht. «Andere haben in ihren
Ausgabe Nr. 10 | 1. bis 31. Oktober 2020
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