amatom31 – Zeitschrift von und für kritische Medizinstudierende

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Frieden & Krieg

M wie Militär Über die ungesunde Liaison zwischen Rettungsdienst und Polizei und die Erhebung des Attributs militärisch zum Gütesiegel

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ie Berufe im Gesundheitswesen genießen einen anhaltend guten Ruf in der Gesellschaft. Den Angehörigen der unterschiedlichen Disziplinen wird großes Vertrauen entgegengebracht. Auf ihre Hilfe, ihre Verschwiegenheit und ihre Neutralität kann man sich verlassen. Was passiert aber, wenn diese Professionen und die staatliche Ordnungsmacht zusammenrücken? Was, wenn der Rettungsdienst – die verlässliche Hilfe in der Not – zum verlängerten Arm der Polizei wird? Von Jeremia Weber

• §§22, 23, 26 Nds. SOG Durchsuchung von Personen und Sachen sowie Sicherstellung von Sachen • §24 Nds. SOG Betreten und Durchsuchen von Wohnungen

Der Einsatz unmittelbaren Zwangs und Fesselungen sind erhebliche Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Person und sind deshalb nur zulässig, wenn eine ärztliche Einweisung und die Anordnung des zuständigen Ordnungsamtes vorliegen. Abhängig von dem Bundesland1 und des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt werden den zu Vollzugsbeamten bestellten Personen weitere Befugnisse erteilt:

Aus diesen Befugnissen ergibt sich ein hohes Maß an Rechtssicherheit für die Rettungsdienstmitarbeiter*innen im Einsatz. Daraus folgt aber auch ein Missbrauchspotenzial und eine veränderte (Selbst-) Wahrnehmung. Das Ideal des Gesundheitswesen, unterschiedslos Hilfe zu leisten, wo sie gebraucht wird, wird aufgegeben. Anstatt erbetene Hilfe zu leisten, erlauben die o. g. Gesetze Hilfe durchzusetzen. Mit der Möglichkeit im Hintergrund, die Grundrechte einer (Hilfe suchenden) Person einzuschränken, erhöht sich das in einem rettungsdienstlichen Einsatz ohnehin schon vorhandene hierarchische Gefälle von Rettungsdienstmitarbeiter*in zu Patient*in: Zum Einen ist die Auffindesituation häufig eine intime (im Bett, gestürzt auf dem Boden, in der geschützten Wohnung) und die Kommunikation in diesen Situationen erfolgt im Wortsinne von oben herab. Zum Anderen liegt das Wissen um die Erkrankung bzw. die Schwere einer Verletzung beim Rettungsdienstpersonal. Viele dieser Punkte gelten ebenso für andere Bereiche der Gesundheitsversorgung und gute gesundheitsdienstliche Arbeit zeichnet sich auch dadurch aus, dieses Gefälle abzumildern und den Patienten nicht bewusst werden zu lassen. Auf den ersten Blick scheint das auch zu funktionieren. Allerdings gelingt es meiner Beobachtung nach im rettungsdienstlichen Umfeld seltener. Im Gegenteil wird das Machtgefälle missbraucht, um Autorität aufzubauen. Genauso wie das Bild der Polizei als Freund und Helfer die Sicht marginalisierter Menschen und solcher Menschen, die schlechte Erfahrung mit der Polizei gemacht haben, unterschlägt, gilt das auch für den Rettungsdienst.

• §12 Nds. SOG2 Befugnisse zur Befragung • §13 Nds. SOG Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen • §17 I Satz 1 Nds. SOG Platzverweis • §18 Nds. SOG Gewahrsamnahme

Die Gründe dafür, weshalb die Möglichkeit Dominanz auszuleben ergriffen wird, sind sehr vielschichtig. Dabei ist es, wie immer, wenn es darum geht, Tendenzen zu beschreiben, schwer, nicht alle über einen Kamm zu scheren.

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauftrag

mitarbeiter*innen zu Vollzugsbeamten geändert.

Das deutsche Hilfeleistungssystem gliedert sich in die polizeiliche und die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, wobei alle Akteure als Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauftrag (BOS) zusammengefasst werden. [1] Es gibt also bereits von Vornherein eine organisatorische Nähe zwischen Polizei und Rettungsdienst, die durch gemeinsame Einsätze noch verstärkt wird. Einsätze, an denen beide Organisationen beteiligt sind, werden streng aufgabenteilig abgearbeitet: Während die Polizei beispielsweise die Regelung des Verkehrs übernimmt und den Unfallhergang ermittelt, versorgt der Rettungsdienst verletzte Personen. Soweit so unproblematisch. Inzwischen sind viele Rettungsdienstmitarbeiter*innen mit sog. Vollzugsbeamtenscheinen ausgestattet und damit zu polizeilichen Maßnahmen befugt. Das heißt nicht, dass diese Mitarbeiter*innen plötzlich anfangen, bei Verkehrsunfällen den Verkehr zu regeln und die Patientinnen und Patienten links liegen lassen. Es bedeutet viel mehr, dass diese Mitarbeiter*innen bei Zwangseinweisungen unmittelbaren Zwang, d. h. körperliche Gewalt, anwenden (dürfen) und selbstständig Patientinnen und Patienten fixieren, d. h. fesseln, dürfen. Bisher waren Zwangsmaßnahmen der Polizei vorbehalten und Transporte, bei denen ein Patient fixiert werden muss, polizeibegleitet. Es gab also eine klare Aufgabentrennung und es war immer möglich, zwischen den handelnden Akteuren zu differenzieren. Das hat sich mit den Bestellungen einzelner Rettungsdienst-

Auch in seiner Erscheinung hat sich der Rettungsdienst der Polizei angeglichen. Beide tragen dunkelblaue Cargohosen, schwere Koppeln mit allerhand Holstern und Ausrüstung wie Taschenlampen etc. und schwere Stiefel. Zudem steht der Rettungsdienst bei Demonstrationen – sicher auch zu seinem Schutz – auf der Seite der Polizei, was den Eindruck erwecken kann, die rettungsdienstliche Hilfe sei zuerst für die staatstragende/-schützende Seite da. Daraus entsteht ein Spannungsfeld, welches möglicherweise einen Teil der Übergriffe auf Rettungsdienstpersonal erklärt, aber nicht legitimiert!

Neue Befugnisse und geänderte Wahrnehmung


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