IPPNW-Forum 183/September 2025

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ippnwforum

das magazin der ippnw nr183 sept 2025 4,50€ internationale ärzt*innen für die verhütung des atomkrieges – ärzt*innen in sozialer verantwortung

- Nie wieder kriegstüchtig!

- Der Ruf nach der Eurobombe

- Freiheitsentzug als Konzept: Abschiebeknäste

Zivil-militärische Verknüpfungen: Atomausstieg und Abrüstung gehören zusammen

Schenken Sie Ihren Liebsten

ein Stück Frieden

Schenken Sie in diesem Jahr mehr als Worte: Wünschen Sie Ihren Liebsten ein Stück Frieden – mit einer IPPNW-Kunstkarte. Die Motive stammen von unserer ehemaligen Abrüstungsreferentin und Geschäftsstellenleitung Xanthe Hall.

Die Karten „Friedenstaube“ und „Peace“ sind als Päckchen in unserem Shop erhältlich – jeweils fünf Klappkarten A6 mit Umschlag für 5 Euro zzgl. Portokosten. Bestellen unter: shop.ippnw.de shop. ippnw.de

„FRIEDENSTAUBE“
„PEACE“

Dr. Christoph Dembowski ist Mitglied im Vorstand der deutschen IPPNW.

Ein Blick in die Geschichte und Gegenwart des Atomzeitalters zeigt: Die zivile und militärische Nutzung der Atomindustrie sind untrennbar miteinander verknüpft. Die Entwicklung der Atomenergie begann militärisch.

Zur langfristigen Aufrechterhaltung und Entwicklung ihrer Atomwaffenarsenale verfügen die fünf großen Atomwaffenstaaten über ein komplexes System einer zivil und militärisch genutzten, eng miteinander verwobenen Atomindustrie. Zwar muss nicht jedes Atomenergieprogramm zwangsläufig zum Bau einer Bombe führen. Doch jede Atomanlage kann ein Schritt auf dem Weg zur Atomwaffe sein.

Patrick Schukalla gibt einen Überblick über die „lebendigen Beweise“ dieser zivil-militätischen Verschränkung (S. 22f.) und resümiert: „Auch dort, wo eine militärische Nutzung heute wirklich keine Option zu sein scheint, können sich die politischen Bedingungen bereits morgen geändert haben. Deshalb gehört zu einer langfristig effektiven nuklearen Abrüstung auch der Ausstieg aus der Atomstromproduktion.“

Die Verwicklungen sind nicht nur historisch erkennbar: Das zeigt ein brandaktuelles Beispiel aus Frankreich, wo geplant ist, ein ziviles Atomkraftwerk von EDF in Civaux zur Tritiumproduktion für das nationale Atomwaffenprogramm zu nutzen. Diese Planungen werfen komplexe rechtliche Fragen auf (S. 26f).

Edwin S. Lyman erläutert die komplexe Thematik rund um das iranische Atomprogramm. Ein Punkt, der in der aktuellen Debatte um eine mögliche Atomwaffenproduktion oft übersehen wird, ist, dass der iranische Vorrat von hochangereichertem Uran (HEU) prinzipiell bereits waffenfähig ist, auch wenn das Material nicht zu 90 Prozent, sondern nur zu 60 Prozent auf Uran 235 angereichert ist. Sein Fazit: Nur Verhandlungen können den Bau einer iranischen Atombombe langfristig verhindern. (S. 24f).

Juliane Hauschulz hat eine Bestandsaufnahme der politischen Diskussion zur Europäisierung von Atomwaffen erarbeitet. Zwischen Deutschland und Frankreich ist ein „strategischer Dialog“ über eine gemeinsame nukleare Abschreckung angelaufen, auch wenn eine Umsetzung derzeit wenig realistisch scheint. „Statt über eine Kooperation bei der nuklearen Abschreckung zu diskutieren, sollten die EU-Staaten sich stärker für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung einsetzen“, so Hauschulz (S. 28f).

Eine interessante Lektüre wünscht – Ihr Christoph Dembowski

Dr. Angelika Claußen ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.

Für die Verhütung eines europaweiten Krieges ist die Aufnahme von Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den USA und Russland unabdingbar. Darauf müssen Deutschland und die EU drängen.

Das Ukraine-Treffen zwischen US-Präsident Trump und Russlands Präsident Putin im August 2025 war ein erster Schritt zu Verhandlungen für einen Waffenstillstand im Ukrainekrieg und eine diplomatische Lösung des Konflikts. Um aber zu einer nachhaltigen Lösung zu kommen, müssen sowohl Ukraine als auch die EU zeitnah an den Verhandlungen beteiligt werden. Wünschenswert wäre die Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz, mit Beteiligung der BRICS-Staaten unter dem Dach der UNO. Dabei muss es sowohl um die Beendigung des Ukrainekrieges gehen als auch um neue Abkommen zur Rüstungskontrolle.

Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass der New-START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Trägersysteme und Atomsprengköpfe im nächsten Jahr endet. Zudem ist ein Wettrüsten bei Mittelstreckenwaffen in vollem Gang. Mit den ab 2026 geplanten Marschflugkörpern, Raketen und Hyperschallwaffen sollen erstmals seit 1991 wieder Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden stationiert werden, die Ziele weit in Russland treffen können. Die Bundesregierung plant den Kauf des mobilen Startsystems „Typhon“, von dem Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von über 1.600 Kilometern gestartet werden. Damit wären konventionelle Angriffe auf die russische militärische Infrastruktur und das russische Frühwarnsystem möglich.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat Anfang August als Reaktion auf die geplante Mittelstreckenwaffenstationierung in Deutschland angekündigt, russische Hyperschallwaffen vom Typ Oreshnik in Belarus stationieren zu wollen. Diese Raketen können Atomsprengköpfe transportieren. Nach dem Ausstieg der USA und Russlands aus dem INF-Vertrag muss ein neuer Vertrag ausgehandelt werden.

Die Beendigung des Ukrainekrieges scheint derzeit nur unter Bedingungen möglich, deren Eckpunkte durch die Gespräche von Trump und Putin vorgegeben werden. Die Ukraine braucht stabile Sicherheitsgarantien gegen erneute Angriffe von Russland – es darf aber auch keinen NATO-Beitritt durch die Hintertür geben. Im Ukrainekrieg dagegen einseitig auf Aufrüstung zu setzen, birgt die hohe Gefahr einer Eskalation – bis hin zum Atomkrieg. Teil von Verhandlungen könnte beispielsweise der gegenseitige Verzicht auf die Stationierung von Mittelstreckenwaffen sein.

Bundesregierung muss nichts gegen Drohnenkrieg unternehmen

Bei einem US-Drohnenangriff im Sommer 2012 wurden zwei Mitglieder der Familie bin Ali Jaber im jemenitischen Dorf Khashamer getötet. Eingebunden in den Angriff war die US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz. Die Bundesregierung weist bisher jedoch jede Mitverantwortung für den Tod dieser und anderer Zivilist*innen bei USDrohnenangriffen zurück.

Im März 2019 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster noch: Deutschland muss darauf hinwirken, dass die USA bei der Nutzung von Ramstein das Völkerrecht einhalten. Damit gab das Gericht drei Mitgliedern der Familie bin Ali Jaber in wichtigen Punkten Recht. Die Bundesregierung legte Revision ein – und im November 2020 kippte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Urteil aus Münster. Demnach seien diplomatische Bemühungen der Bundesregierung im Hinblick auf völkerrechtliche Probleme bei US-Drohneneinsätzen ausreichend. Die Kläger reichten dagegen eine Verfassungsbeschwerde ein. Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Dezember 2024 entschied das Bundesverfassungsgericht jetzt, dass die Bundesregierung keine Konsequenzen aus der Nutzung des US-Luftwaffenstützpunkts in Ramstein im US-Drohnenkrieg ziehen muss. Obwohl unbestritten ist, dass die USLuftwaffenbasis Ramstein eine zentrale Rolle bei der Steuerung solcher Einsätze spielt, sieht das Gericht keine rechtliche Verpflichtung Deutschlands, gegen die Nutzung für Drohnenangriffe durch die USA vorzugehen.

Das Urteil im Wortlaut finden Sie unter: bundesverfassungsgericht.de

Charité: Protest gegen Militarisierung des Gesundheitssystems

Unter dem harmlos klingenden Titel „Zivile Verteidung der Berliner Krankenhäuser“ hatte die Charité am 21. Juli 2025 alle Beschäftigten der Berliner Krankenhäuser zu einer Informationsveranstaltung am Charité Campus Mitte eingeladen. Mit dabei: Oberst Urs Zimmermann von der Bundeswehr. IPPNW-Mitglieder protestierten am Eingang mit einem Banner „Nein zur Militarisierung des Gesundheitswesens“ und verteilten Flyer „Gesundheitswesen bleibt zivil“.

Laut Veranstaltern handelte es sich um die Auftaktveranstaltung zu Fortbildungen, die künftig dreimal jährlich stattfinden sollen. In seinem Vortrag skizzierte Oberst Zimmermann ein Bedrohungsszenario mit Blick auf Russland. Anschließend wurde die Mehrbelastung beschrieben, die im Verteidigungsfall auf die Beschäftigten des Gesundheitswesens zukommen könnte und der Rahmenplan für Zivile Verteidigung vorgestellt. Mitglieder des Bündnisses „Gesundheit statt Profite“ entrollten im Saal ein Banner mit der Aufschrift „Kein Militär im Gesundheitssystem“.

Der Entwurf eines „Gesundheitssicherstellungsgesetzes“ soll Ende des Jahres veröffentlicht werden. Es zielt darauf ab, das Gesundheitswesen auf kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten. Bereits in den 1980er Jahren war ein solches Gesetz vorbereitet worden. Unter dem Motto „Wir werden euch nicht helfen können“, machte die IPPNW deutlich, dass alle Vorkehrungen für die Zivilbevölkerung im Kriegsfall unrealistisch sind. Damals wurde das Gesetz verhindert.

Mehr im Forum intern auf S. 8f.

Rosatom testet Technologien zur Uranverarbeitung in

Tansania

Das Bergbau-Unternehmen „Uranium One” hat im Juli 2025 eine Pilotanlage in Tansania eingeweiht, die Technologien zur Uranverarbeitung testen soll. Das Mukju-River-Projekt, ein Uranbergbauvorhaben im Süden Tansanias, ist seit fast 15 Jahren im Besitz von „Uranium One“, das zum staatlichen russischen Atomkomplex Rosatom gehört. Bis jetzt wurden allerdings kaum mehr als Erkundungen und Tests von Abbaumethoden durchgeführt. Die Entscheidung für eine Abbaumethode – im offenen Tagebau oder im „In-Situ-Verfahren“ – steht offenbar noch aus. Ab 2029 rechnet Rosatom eigenen Angaben zufolge mit einer jährlichen Produktionskapazität von bis zu 3.000 Tonnen Uran aus dem Projekt. Rosatom-Generaldirektor Alexey Likhachev erklärte, er wolle „Tansania bei einem entscheidenden Schritt zur Integration in die globale Atomenergielandschaft unterstützen”. Umweltorganisationen wie die Tanzania Uranium Awareness Mission kritisieren die Pläne zum Uranbergbau und verfolgen die Entwicklungen mit Sorge.

Die Wirtschaftlichkeit der tansanischen Vorkommen ist bei den gegenwärtigen Uranpreisen umstritten. Ob es Rosatom darum geht, tatsächlich zeitnah in den Abbau einzusteigen oder vor allem strategische Verbindungen in die Region zu stärken, ist daher ungewiss. Der Zeitpunkt der Eröffnung ist vermutlich auch politisch motiviert. Die tansanische Präsidentin Samia Suluhu Hassan, die im Herbst zur Wiederwahl antritt, verkündete: „Dies ist ein Meilenstein für unser Land. Zum ersten Mal tritt Tansania mit der Fähigkeit auf, ein strategisches Mineral zu liefern, das für eine sichere und nachhaltige Energieerzeugung weltweit unerlässlich ist.“

NACHRICHTEN

Studie untersucht Folgen ökonomischer Sanktionen des Westens

Wirtschaftssanktionen sind tödlich. Sie führen zu fünfmal so vielen Toten wie durch Kriege. Das belegt eine in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet im August 2025 veröffentlichte Studie. Demnach seien von 1971 bis 2021 jährlich schätzungsweise 564.000 Menschen infolge von Wirtschaftssanktionen gestorben – durch Kampfhandlungen in Kriegen waren es durchschnittlich 106.000. Unilaterale Sanktionen werden von den USA oder der EU gegen Länder des globalen Südens verhängt – offiziell, um Demokratie, Menschenrechte oder Frieden herbeizuführen. Tatsächlich geht es meistens darum, unliebsame Regierungen zu stürzen. Die Folge sind der „Kollaps der Wirtschaft in den Zielländern“ und eine Kollektivbestrafung ihrer Bevölkerungen, so Ökonomieprofessor Francisco Rodríguez, einer der Autoren der Studie, gegenüber dem Center for Economic and Policy Research.

Die Wirtschaftswissenschaftler haben die Sterblichkeitsraten nach Altersgruppen in 152 Ländern untersucht. Neben einer jährlichen Übersterblichkeit von mehr als einer halben Million Menschen konnten die Autoren auch eine erhöhte Säuglingsund Müttersterblichkeit nachweisen. Denn wirtschaftliche Sanktionen hätten erhebliche negative Effekte auf die Gesundheitsversorgung sowie den Zugang zu Medikamenten und Lebensmitteln. Vulnerable Gruppen seien besonders betroffen – laut der Studie sind 51 Prozent der Gestorbenen unter fünf Jahre alt.

Mehr unter: thelancet.com

Prinzipien für eine friedliche Welt: 50 Jahre Schlussakte von Helsinki

Garching: Gericht bestätigt weiteren Betrieb mit atomwaffenfähigem Uran

Vor 50 Jahren, am 1. August 1975, endete die erste Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Das Abschlussdokument – die Schlussakte von Helsinki – legte den Grundstein für Dialog und Vertrauensaufbau und leitete das Ende des Eisernen Vorhangs 1989/90 ein. Der Gipfel von Helsinki erkannte die Notwendigkeit an, die politischen und militärischen Spannungen zwischen Ost und West abzubauen und Leitprinzipien für die Beziehungen zwischen den Ländern festzulegen. In dem umfassenden Dokument werden Prinzipien wie Gewaltverzicht, die souveräne Gleichheit, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse, die Selbstbestimmung der Völker, die internationale Zusammenarbeit und die Einhaltung des Völkerrechts betont.

Heute, 50 Jahre später, sind Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in weite Ferne gerückt. „Es liegt an der Zivilgesellschaft weltweit, unsere Stimmen für die Wiederbelebung und Ausweitung der Prinzipien und des Geistes der Helsinki-Abkommen zu erheben. Wir müssen uns zusammenschließen, um Druck auf unsere Staats- und Regierungschefs auszuüben – wie es 1975 geschehen ist – damit sie die Risiken der gegenwärtigen Situation erkennen und dringend Maßnahmen ergreifen, um Diplomatie, Dialog und Vertrauensbildung als wesentliche Instrumente zur Bewältigung der vielschichtigen Krise und zur Abwendung der Katastrophe zu priorisieren“, erklärte IPB-Direktor Sean Connor anlässlich des Jahrestages.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerde des Bund Naturschutz Bayern auf Zulassung einer Revision zur Prüfung der Zulässigkeit des Einsatzes von hochangereichertem, atomwaffenfähigem Uran als Brennstoff für den Atomforschungsreaktor FRM II in München-Garching abgelehnt. Damit wird das Urteil aus der vorherigen Instanz rechtskräftig. Erst gegen 2030 erwartet der Betreiber des FRM II, die technische Universität München den Einsatz von anderen Brennelementen, die dann nicht über 90 Prozent angereichertes Uran 235 enthalten, sondern unterhalb von 20 Prozent liegen sollen.

Der Bund Naturschutz, aber auch andere Umweltorganisationen, hatten die Auffassung vertreten, dass der Einsatz der bisherigen Brennelemente seit über zehn Jahren nicht mehr zulässig ist. Das hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof jüngst anders bewertet und außerdem die Revision nicht zugelassen. Noch im August will die zuständige Genehmigungsbehörde BASE außerdem die Genehmigung für die Einlagerung von Atommüll aus München im Zwischenlager in Ahaus genehmigen und außerdem die ersten beiden Atomtransporte per LKW dafür genehmigen.

Wegen der Nutzung von zu 93 Prozent angereichertem Uran ist der von der TU München betriebene Reaktor höchst umstritten. Seit 2020 klagt der Bund Naturschutz gegen den Betrieb, da der hohe Anreicherungsgrad der Betriebsgenehmigung von 2003 widerspreche und fordert deren Abschaltung.

Mehr Infos: www. umwelt FAIR aendern. de

Hoffnung in düsteren Zeiten

Interview mit dem ehemaligen UN-Diplomaten und Beigeordneten Generalsekretär Hans-Christof von Sponeck

Wenn Sie nach Gaza blicken und die erschütternden Bilder sehen, die schutzlosen Menschen dort, wie geht es Ihnen als langjähriger und sehr aktiver UN-Diplomat?

Die Bilder aus Gaza sind Bilder des Grauens, die täglich wie am Fließband im deutschen Fernsehen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Gaza ist integraler Teil der deutschen Nachrichten geworden. Es gelingt mir nicht, mein Entsetzen in Worte zu fassen. Es gelingt mir nicht, zu verstehen, wie es möglich sein kann, dass die Regierung Israels, eines Volkes, das selbst so gelitten hat, zum größten Schlächter des Augenblicks geworden ist. Es gelingt mir nicht, zu begreifen, warum die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen es nicht als ihre moralische Verpflichtung ansehen, diesem größten Völkerrechtsbruch des bisherigen 21. Jahrhunderts mit den Mitteln, die sie haben, ein Ende zu setzen.

Die internationale Öffentlichkeit reagiert gegenüber dem Krieg in Gaza sehr unterschiedlich. Die westlichen Regierungen um die USA, die eng mit Israel verbündet sind, betonen das Recht auf Selbstverteidigung. Sie unterstützen Israel politisch, finanziell und militärisch. Die Länder des „globalen Südens“ gruppieren sich um Südafrika, das vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage gegen Israel wegen des Verdachts auf Völkermord an den Palästinensern eingereicht hat. Wo stehen die Vereinten Nationen in dieser Welt angesichts des Grauens, das dort geschieht?

Die Vereinten Nationen – und alle Mitgliedsstaaten – sind an das Internationale Recht gebunden und das erlaubt in Artikel 51 der UNO-Charta jedem Land das Recht der Verteidigung. Am 7. Oktober 2023 wurde Israel angegriffen und hatte das Recht, sich zu verteidigen. Aber Israel hatte nicht das Recht, militärisch so vorzugehen, dass bestehendes Kriegsrecht auf die brutalste Weise verletzt und die Genfer Konventionen zum Schutz der Bevölke-

rung ausnahmslos ignoriert werden. Wenn also die US-Administration oder andere NATO-Staaten Israel unterstützen, folgt diese Entscheidung deren (politischem) Willen, Macht auszuüben, sie folgt nicht dem Recht.

Nach 23 Monaten des Blutbads, das Israel der palästinensischen Bevölkerung antut, sind der Welt drei Tatsachen klargeworden: Der israelischen Regierung ist die Zerschlagung der Hamas wichtiger als das Leben der einfachen palästinensischen Bürger; den Freunden Israels ist die Unterstützung mit Waffen wichtiger als die Einhaltung internationalen Rechts; multinationale Organisationen, insbesondere die Vereinten Nationen, haben sich als unfähig erwiesen, einen wirkungsvollen Beitrag für die Beendigung dieses asymmetrischen Konflikts zu liefern.

Nun sagt der Kanzler, Deutschland setze die Lieferung der Waffen an Israel aus, die in Gaza eingesetzt werden könnten. Aber es ist ja davon auszugehen, dass deutsche Waffen und Waffensysteme auch bei den israelischen Angriffen im Westjordanland, gegen Libanon, Syrien, Jemen und nicht zuletzt Iran zum Einsatz kommen.

Obwohl schon Ende des Jahres 2023 immer mehr Regierungen die Politik des Völkermords der Regierung Netanyahu deutlich verurteilten, teilte die Regierung Scholz dem Internationalen Gerichtshof mit, Deutschland werde Israel als Drittpartei in dem Gerichtsverfahren Südafrika gegen Israel wegen Völkermord beistehen. Der damalige Regierungssprecher Hebestreit meinte, der Vorwurf des Völkermords „entbehrt jeder Grundlage.“ Heute sprechen selbst israelische Organisationen wie B’Tselem und die Physicians for Human Rights davon, dass im Gazastreifen „koordinierte Angriffe stattfinden, mit dem Ziel, eine ganze Gruppe zu zerstören“, und dass dort „ein Genozid passiert“. Die Bundesregierung schweigt dazu, warum? Warum hat sie geschwiegen, als Ende Juli das mit Ba-

bymilch und anderen humanitären Gütern beladene Schiff ‚Handala‘ der internationalen Friedensorganisation Gaza Flottille von der israelischen Marine in internationalem Gewässer aufgebracht wurde? Die Außenminister von 28 Nationen, die meisten aus der EU, haben eine Resolution unterzeichnet, die das sofortige Ende des Krieges im Gazastreifen fordert. Warum gehört Deutschland nicht zu den Unterzeichnern? Die peinliche Erklärung von Regierungssprecher Kornelius lautete: „Kanzler Merz und Außenminister Wadephul haben die gleichen Forderungen an Israel in ihren Statements erhoben“, das genüge. Hinzu kommt die irrelevante Aussage von Außenminister Wadephul: „Niemand kann von uns verlangen, dass wir Israel im Stich lassen, das von Iran, von Huthis, Hisbollah und Hamas bedroht ist.“ Die deutsche Außenpolitik ist schwach und beschämend geworden.

Kanzler Merz hat am Rande des G7-Gipfels in Alberta am 17. Juni gesagt: „Israel macht im Iran für uns die Drecksarbeit.“ Das ist schamlos. Wie ist es möglich, dass ein Sprecher des Auswärtigen Amts in einer Stellungnahme zu dem israelischen Mord von sechs Journalisten am 12. August in Gaza sagt: „Wenn es dazu kommt, wie es jetzt passiert ist, dann liegt es an der Partei, die eine solche Tötung unternimmt, klar darzulegen, warum dies notwendig war.“ Hat unsere politische Führung ihren menschenrechtlichen Kompass vollkommen verloren?! Hat sie Ethik und Moral vergessen, die Teil des menschlichen Wesens ist und bleiben muss?

Sind die Vereinten Nationen nicht auch Teil des Problems? Immerhin haben sie 1947 das, was nach diversen Teilungen übrig geblieben war von Palästina, aufgeteilt in zwei Staaten. Diese Teilung haben die Palästinenser und die arabischen Länder schon auf der Pariser Friedenskonferenz (1920) und gegenüber dem britischen Mandat abgelehnt.

EVAKUIERUNG AUS TULKARIM, GAZA, 24.10.2024

Das ist eine sehr weitgehende Frage, ich möchte auf die aktuelle Situation der UNO und ihr Handeln eingehen. Generalsekretär Guterres und die Sonderorganisationen der UNO – UNICEF, das Welternährungsprogramm, die WHO und UNRWA, das Hilfswerk der UNO für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten – sie tun alles, was sie können, um humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza zu leisten. Sie drängen den Sicherheitsrat, Entscheidungen für Palästina zu treffen, die seinem Charta-Mandat entsprechen. Die Mitarbeiter vor Ort arbeiten Tag für Tag mit Mut und Hingabe. Sie sind Zeugen der absichtlichen Vernichtung der Bewohner Gazas durch das israelische Militär. Mehr als 200 UNOMitarbeiter haben in Gaza durch israelische Angriffe ihr Leben verloren. Guterres wurde von Israels Regierung zur unerwünschten Person erklärt, weil er am 25. Oktober 2023 im Sicherheitsrat erklärt hatte: „Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfinden!“ Das war eine absolut korrekte und mutige Aussage des Generalsekretärs, die von vielen Regierungen unterstützt worden ist, im Sicherheitsrat aber nicht weiter diskutiert wurde. Guterres wies ja damit auf die Vorgeschichte hin – die Abriegelung des Gazastreifens seit 2007, die Besiedlung des Westjordanlandes und so vieles mehr.

Konkret gibt es – neben Sanktionen gemäß Kapitel VII der UN-Charta – auch die Forderung nach einer „Multinationalen UN-Schutztruppe“, die Gaza – gegen die Angriffe Israels – schützen und die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau absichern müsse. Das fordern Aktivisten und sie beziehen sich dabei auf die UNGA-Resolution 477 A (V) von 1956, als sich der Sicherheitsrat angesichts der Suez-Krise nicht einigen konnte. Wäre das eine reale Möglichkeit, die Palästinenser zu schützen?

Der Sicherheitsrat müßte darüber entscheiden, aber er bleibt weiterhin das Opfer der politischen Struktur der Verein-

157 UN-STAATEN VOTIEREN FÜR DIE FRIEDLICHE BEILEGUNG DER PALÄSTINAFRAGE, 3.12.2024

ten Nationen. Die erlaubt es, durch das Veto eines ständigen Mitglieds notwendige friedensbildende Maßnahmen zu verhindern. Dies wird zum Beispiel erneut der Fall sein, wenn der gerade gemachte Vorschlag Frankreichs, Blauhelme nach Gaza zu entsenden, im Sicherheitsrat diskutiert wird. Die USA werden diesem Vorschlag nicht zustimmen. Der saudifranzösischen Initiative für eine Zwei-Staaten-Lösung wird es ähnlich ergehen. Die USA wird weiterhin, oft als einziges Land, mit ihrem Veto dem Krieg und nicht dem Frieden dienen. Sie halten so gut wie immer ihre schützende Hand über Israel.

Die UN-Vollversammlung hat mit großer Mehrheit Israels Besatzung für illegal erklärt und die israelische Regierung aufgefordert, sich aus allen besetzten Gebieten zurückzuziehen. Die Vollversammlung fordert auch einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza. Nun kann die Vollversammlung nicht entscheiden und der Sicherheitsrat ist durch das Veto blockiert. Was tun?

Der sogenannte UN Pact for the Future, der mit großer Mehrheit im September 2024 von der Generalversammlung verabschiedet worden war, soll zu einer umfassenden Reform aller UN-Abteilungen führen, mit besonderer Dringlichkeit soll der Sicherheitsrat reformiert werden. Danach soll das Veto-Recht neu ausgelegt werden und es soll eine „geographische Anpassung“ vorgenommen werden. Afrika und Lateinamerika haben gegenwärtig keinen permanenten Sitz und Asien, mit über 50 Prozent der Weltbevölkerung, ist mit nur einem Sitz (China) unterrepräsentiert. Die angestrebten Reformen sollen es in Zukunft unmöglich machen, dass ein einzelner Staat, wie im Fall Gaza die USA, zum Mittäter von Völkerrechtsbruch und Menschenrechtsverbrechen wird und obendrein unbestraft bleibt.

Darauf deutet aktuell wenig hin. Haben Sie Hoffnung, dass die UN befreit werden

kann? Dass Gaza frei und von den Palästinensern selbstbestimmt wiederaufgebaut werden kann?

Tatsächlich erscheint in der gegenwärtigen geopolitischen Großwetterlage ein solcher Umbruch eher unwahrscheinlich, alles andere zu meinen, wäre naiv. Dennoch gibt es Möglichkeiten, eine friedlichere Welt zu erschaffen, denn derzeit stehen alle 193 UNO-Mitgliedstaaten vor der gleichen Gefahrenlage: Klimawandel, Nuklearbedrohung, Pandemien, Künstliche Intelligenz und immer größer werdende Migration aufgrund von Armut, Umweltzerstörung oder Verfolgung. Diese Gefahren haben das Potential, die politisch und wirtschaftlich führenden Mächte zur Zusammenarbeit geradezu zu zwingen.

Das würde auch für eine Zwei-Staaten-Lösung für Palästina und Israel gelten und zu einem Wiederaufbau Palästinas führen, der Jahrzehnte andauern würde. Es würde zu einem Ende des Krieges in der Ukraine führen, eine bessere Zukunft im Mittleren Osten und den Aufbau einer regulierten Weltwirtschaftsordnung ermöglichen. Die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele, die die UN für 2030 anstrebt, die Verpflichtung, das Internationale Recht einzuhalten und Menschlichkeit für alle. In diesem Sinne behalte ich Hoffnung in düsteren Zeiten.

Das Interview führte Karin Leukefeld. Dies ist ein Auszug aus dem Text, der am 15.08 2025 auf den NachDenkSeiten erschien: ippnw.de/bit/nds

Hans-Christof von Sponeck ist UN-Diplomat und Beigeordneter Generalsekretär a.D., Karin Leukefeld ist Journalistin und freie Korrespondentin im Mittleren Osten.

Erinnerungen schweigen nicht.

Wir brauchen sie – jetzt!

Im Gespräch mit Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Annelie Keil

Die militärische Geschichte eines Krieges ist eine andere Geschichte als die der Menschen, die den Krieg erlitten und als Lebensgeschichte und Erinnerung in sich tragen. Prof Dr. Annelie Keil forscht darüber, wie Kriegserfahrungen in Menschen nachwirken und was uns friedensfähig machen kann.

Frau Keil, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist wieder Krieg in Europa. Was haben Sie damals als Kind erlebt?

Kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges unehelich geboren, kam ich 1939 in ein Kinderpflegeheim der Nationalsozialisten in Berlin. Dieses Heim wurde 1940 nach Ciechocinek verlegt, ein polnisches Kurbad in der Nähe von Posen. Ich wurde zusammen mit den anderen Heimkindern Teil des wahnsinnigen Programms der Nazis, Polen einzudeutschen. Den Jahren einer friedlichen Kindheit in einem besetzten Land folgten dann dramatische Jahre der Flucht als Hitler am 17. Januar 1945 alle Deutschen aufforderte, Polen zu verlassen. Meine Mutter, die im besetzten Polen Arbeit gefunden hatte, holte mich aus dem Heim und gemeinsam traten wir im Treck mit anderen fliehenden Menschen zu Fuß die Flucht nach Westen an. Auf dem Weg kamen wir für zwei Jahre in russisch-polnische Kriegsgefangenschaft, meine Mutter entkam der Verschleppung nach Sibirien, später gelang uns die Flucht aus dem Gefangenenlager und so landeten wir über Berlin 1947 im Grenzdurchgangslager Friedland.

Wie hat ihre Biografie als Kriegskind Ihr Engagement für den Frieden geprägt?

Als Kind auf der Flucht habe ich viel gelernt über Solidarität, Durchhaltevermögen, Selbständigkeit und das Mitgefühl von fremden Menschen. Als ich als Jugendli-

che und später als Studentin bewusster und kritischer wurde für das, was um mich herum geschah, suchte ich nach Möglichkeiten, Widerspruch zu üben, aufzubegehren und ersten Widerstand zu leisten gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik, die Notstandsgesetze, die Stationierung von Raketen, gegen Atomwaffen, gegen Diskriminierung, Ungerechtigkeit, Armut – gegen vieles, was meiner Meinung nach ein friedliches, menschenfreundliches und respektvolles Zusammenleben der Menschen in einer freiheitlichen Demokratie verhinderte.

Auf dem IPPNW-Jahrestreffen haben Sie für eine Wissenschaft plädiert, die sich den Kriegserfahrungen der Menschen stärker zuwendet...

Kriege enden nicht, wenn sie vorbei sind, wenn die Waffen schweigen oder ein politischer Friedensvertrag auf irgendeinem Papier unterzeichnet wird. Meine Erfahrung ist, dass die persönlichen Erfahrungen der Menschen, die den Krieg überlebt haben, in vielen Wissenschaften kaum eine Rolle spielt. Ich glaube, es gibt ein unglaubliches historisches Material der Überlebensfähigkeit. Wir reden hier von dem, was Menschen zu Tausenden, zu Millionen gelitten haben. Aber wie dieses Leiden aussah, was die Konsequenzen daraus waren und was das für die Erziehung, die Medizin, für die Psychologie und Psychotherapie bedeutet, das ist immer noch eine große Leerstelle.

Was ließe sich hier entdecken?

Ein Ergebnis solcher Dokumentationen könnte veranschaulichen, dass paradoxerweise eine „besondere und vor allem andere Kriegstüchtigkeit“ vieler Menschen gerade darin besteht, die Folgen und Gefährdungen für Leib und Leben im Krieg und vor allem danach mit größter Anstrengung, Phantasie, Überlebenswillen und Solidarität zu bewältigen und für sich und andere fruchtbar zu machen. Diese spezifische Art der „Kriegstüchtigkeit“ könnte die Wurzel einer umfassenden Friedensfähigkeit sein, wenn wir nicht nachlassen, über die Frage „Warum Krieg?“ nachzudenken.

Sie schreiben, Frieden brauche mehr als das „Nein“ zum Krieg. Was sind wichtige Elemente einer „Theorie des Friedens“?

Vor kurzem ist eine Textsammlung des Sozialpsychologen und Friedenskämpfers Erich Fromm unter dem Titel „Humanismus in Krisenzeiten. Texte zur Zukunft der Menschheit“ erschienen. Die darin enthaltene konkrete Utopie über die „Eine Welt“ und die Bedeutung des Humanismus für die Gegenwart sind mir selbst immer wieder zu Leitgedanken für die eigene Orientierung geworden. „Ohne einen neuen Humanismus gibt es die Eine Welt nicht“, schreibt Erich Fromm.

Zentral ist zum Beispiel das, was Erich Fromm „Biophilie“ nennt – die besondere Liebe zum Leben. Dem Menschen ist in der Liebe zum Leben vieles möglich, das es auf dem Weg zum friedlichen Zusammenleben zu unterstützen, zu fördern und zu ermutigen gilt. Nicht nur in der Katastrophenhilfe, auch in funktionierenden Nachbarschaften und ökologischen Projek-

ten zur Veränderung der Lebenswelten können wir Belege für das finden, was in einem umfassenden Sinn lebendige Sinnstiftung ist.

Für eine ausgebaute Theorie des Friedens brauchen wir eine sehr viel weiter ausgebaute Theorie vom Menschen, so Fromm – die die Spaltung zwischen Affekt und Denken mit Blick auf die Entstehung und Zunahme von Feindseligkeit in den Blick nimmt und für die Frage nach Kriegsbereitschaft oder Friedensfähigkeit auswertet. Die Abspaltung wichtiger Lebenserfahrungen führe zunehmend zu einem Desinteresse, das viele Lebensbereiche umfasst. Die „Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben“ war für ihn „eine der gefährlichsten Ursache für die Bereitschaft des Menschen, andere und sich selbst zu zerstören.“

Albert Schweitzer wiederum hat den Begriff der „Ehrfurcht vor dem Leben“ geprägt...

Schweitzer spricht – auch mit Blick auf sein Erleben im ersten Weltkrieg – von der Nötigung, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Der Anerkennung und dem Respekt gegenüber dieser „Ehrfurcht vor dem Leben“ verweigert sich jeder Krieg in all seinen Schattierungen und mit all seinen Begründungen, als Krieg mit Bomben und Raketen, als sozialer Krieg, als Krieg in den Innenräumen menschlichen Zusammenlebens. Daraus folgt für mich, dass die Friedensbewegung kein politisches Tagesgeschäft mit Erfolgsgarantie ist – sie ist ein dem menschlichen Leben innewohnender Auftrag, das Recht, die Würde und den Willen zum Leben aller Menschen zu hüten und zu fördern. Dem,

das uns unmittelbar trifft, muss unsere Tatkraft gehören, an ihm schult sich unsere Lebendigkeit, hier entsteht Welt- und Lebensbejahung, aber auch Lebensverneinung.

Könnten Sie diesen Gedanken bitte noch ein wenig ausführen?

Ich erinnere mich an eine lang zurückliegende Diskussion während einer Demonstration gegen die Stationierung amerikanischen Raketen mit der Theologin Dorothee Sölle und dem Arzt und Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter über die Zukunft der Friedensbewegung, in der Richter seine Verwunderung darüber zum Ausdruck brachte, dass vor allem die jungen Aktivisten in der Friedensbewegung jede Information über die Standorte, die Art der Waffen und die militärische Einsatzplanung der Raketen im Kopf hatten, aber sich sehr wenig mit dem Sinn, der Bedeutung und der inhaltlichen Zielsetzung der Friedensbewegung, nämlich sinnstiftend leben zu wollen und zu können, auseinandergesetzt hatten. Die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, schien abgekoppelt und verschwand unter dem Druck, möglichst umfassend die faktische Bedrohung durch die Raketenstationierung im Auge zu haben.

Wie könnte die Friedensbewegung diese Lehren Fromms und Schweitzers umsetzen?

Wir brauchen in Familie, Schule, gesellschaftlichen Institutionen und vor allem in der zivilgesellschaftlichen Entwicklung mehr spezifische Formen der Achtsamkeit und Förderung jener Lebenskraft, die lieben, kämpfen und sich im täglichen Leben durchsetzen kann. Die gleichzeitig auch geduldig ist, die Ungleichzeitigkeit dulden

und erdulden kann, die langfristigen Widerstand entwickelt, Konkurrenz und Vielfalt annehmen und aushalten lernt.

Friedensfähigkeit braucht eine andere Art von Politik, Wissenschaft und ethisch-humanistischer Ansprache, die nicht immer weiter vom „gesamten Menschen“ trennt, sondern zusammenführt, was zusammengehört. Für die Friedensbewegung verlangt das die Einsicht, dass die isolierende Organisation der Entrüstung nicht ausreicht und dass diese mit Hass, Dominanz und Rechthaberei gepaart uns oft genau von denen entfremdet, an die es zu appellieren gilt. Wir müssen anders verstehen, dialogisch erklären und im Kontext von Zweifeln aufklären lernen. Wir sind aufgefordert, neue Möglichkeiten der Demokratie zu erarbeiten, auch wenn diese selbst sich immer wieder als Teil einer großen Farce manifestiert. Wie kann man die existierende parlamentarische Demokratie durch neue Formen der Beteiligung ergänzen? In der Geschichte der verschiedensten sozialen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen hat sich immer wieder gezeigt, dass Ideen, die sich der Ideenlosigkeit gegenüberstellen, eine unerwartete Durchschlagskraft haben können. Es ist nicht leicht, mit den Widersprüchen und den Paradoxien im Dialog zwischen Krieg und Frieden, Kriegstüchtigkeit und Friedensfähigkeit umzugehen und sich der Unsicherheit der Vergeblichkeit zu stellen –aber meiner Meinung nach eine der wenigen Möglichkeiten, die bleiben.

Annelie Keil ist emeritierte Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften in Bremen und Mitglied der IPPNW. Ihre Rede auf dem IPPNW-Jahrestreffen finden Sie unter: ippnw.de/bit/vortrag.

Das Interview führte Regine Ratke.

Nie wieder kriegstüchtig: Stehen wir auf für Frieden!

Kommen Sie zu den Demonstrationen in Berlin und Stuttgart am 3. Oktober 2025

In einem Bündnis von Friedensinitiativen und -organisationen ruft die IPPNW dazu auf, am 3. Oktober 2025 auf die Straße zu gehen. Kommen Sie zu den Demos in Berlin und Stuttgart! Setzen Sie gemeinsam mit uns ein vielfältiges und deutliches Zeichen: Gegen Aufrüstung und alle Kriege. Für politische Konfliktlösungen, Friedenslogik und eine Kultur des Friedens.

Dieser Aufruf ist Grundlage der bundesweiten Demonstrationen am 3. Oktober 2025 in Berlin und Stuttgart. Er ist das Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen der Initiative „Nie wieder Krieg –Die Waffen nieder!“ und einem Aktionsbündnis, an dem unter anderem ICAN, die DFG-VK, die IPPNW, das Netzwerk Friedenskooperative, „Ohne Rüstung Leben“ und Pax Christi beteiligt waren. Gemeinsam rufen wir zu den zwei bundesweiten großen Demonstrationen am 3. Oktober 2025 in Berlin und Stuttgart auf, die die verschiedenen Flügel der Friedensbewegung gemeinsam repräsentieren sollen. Wir hoffen auf eine breite und vielfältige Unterstützung dafür!

Alle Infos unter: friedensdemo0310.org

Angelika Wilmen ist Geschäftsstellenleiterin und IPPNW-Referentin für Frieden.

Aufruftext: „Nie wieder kriegstüchtig!“

Wir sagen Nein zu allen Kriegen und lehnen die gefährliche Hochrüstung ab. Die Umsetzung des Fünf-Prozent-Ziels würde bedeuten, dass fast jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt in Militär und kriegsrelevante Infrastruktur fließt. Die Hochrüstung führt zu massiver Verschuldung, drastischem Sozialabbau und der Militarisierung der Gesellschaft. Dies geht insbesondere auf Kosten der Kinder und Jugendlichen, der Alten und Kranken sowie der arbeitenden Menschen.

Die Hochrüstung blockiert zudem den Kampf gegen die Klimakatastrophe, Umweltkrisen und weltweite Armut. Die Politik der Konfrontation setzt unsere Sicherheit aufs Spiel, statt sie zu gewährleisten. Waffenexporte und Eskalationspolitik verschärfen Kriege und Krisen und verlängern sie. Nicht die Kriegstüchtigkeit Deutschlands ist unser Ziel, sondern seine Dialogfähigkeit und seine Bereitschaft zur Abrüstung.

Wir fordern von der Bundesregierung:

» Stopp des Hochrüstungskurses. Stattdessen Abrüstung für Soziales, Klima und Entwicklung.

» Keine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Entschlossenen Einsatz für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen.

» Nein zur Wehrpflicht.

» Stopp der Militarisierung der Gesellschaft. Keine Unterordnung von Gesundheitswesen, Bildung und Wissenschaft unter Kriegstüchtigkeit.

» Asyl für Menschen, die sich dem Krieg verweigern und von Krieg bedroht sind.

» Diplomatisches Engagement für ein schnelles Ende der Kriege in Europa und im Nahen und Mittleren Osten.

» Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag.

Die Bundesregierung darf sich nicht weiter mitschuldig machen an einer von immer mehr Staaten und Organisationen als Völkermord klassifizierten Kriegsführung im Gazastreifen. Sie muss alles tun, damit der Krieg, die Vertreibung der Palästinenserinnen und Palästinenser und der Einsatz von Hunger als Waffe umgehend beendet werden.

Unsere Vision bleibt eine Welt ohne Atomwaffen und Krieg. Wir fordern gemäß der UN-Charta, auf die Anwendung und Androhung von Gewalt in den internationalen Beziehungen zu verzichten. Es braucht die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Wir lehnen alle Kriege ab. Wir trauern um alle Opfer von Kriegen und Gewalt und verurteilen alle Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Wir wollen:

» Diplomatische Initiativen. Nur Verhandlungen und Abrüstung schaffen Sicherheit.

» Eine neue Entspannungspolitik für Europa, die die Friedens- und Sicherheitsinteressen aller Beteiligten berücksichtigt.

» Politische Konfliktlösungen, Friedens logik und eine Kultur des Friedens.

Frieden braucht die Verteidigung der Demokratie und das Engagement jeder und jedes Einzelnen. Frieden braucht Bewegung. Frieden ist die Grundlage für ein gutes Leben künftiger Generationen.

Freiheitsentzug als Konzept

Neues Abschiebegefängnis für 300 Millionen Euro

Die Regierungskoalition aus CDU und den Grünen plant in Mönchengladbach ein zweites Abschiebegefängnis in Nordrhein-Westfalen. In der mittelfristigen Finanzplanung des Landes NRW sind dafür 300 Millionen Euro eingestellt. Die Landesregierung wird die AbschiebehaftKapazitäten damit fast verdoppeln – denn in Büren (Kreis Paderborn) steht mit 175 Plätzen schon das größte Abschiebegefängnis Deutschlands. Der neue Abschiebeknast mit 140 weiteren Haftplätzen soll auf einem alten Militärgelände nahe einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete entstehen. Während NRW bisher in Büren nur Männer und männlich gelesene Personen inhaftieren lässt und für Frauen und weiblich gelesene Personen nach Ingelheim in Rheinland-Pfalz ausweicht, sollen in Mönchengladbach Menschen jeden Geschlechts inhaftiert werden.

Der zusätzliche Abschiebeknast wird als eine der Reaktionen auf den mutmaßlich islamistischen Anschlag vom 23. August 2024 in Solingen propagiert, bei dem drei Menschen getötet und zehn weitere teils schwer verletzt wurden. Der dafür aktuell am OLG Düsseldorf angeklagte Mann sollte vor der Tat nach Bulgarien abgeschoben werden. Der Anschlag wird seither politisch als Begründung missbraucht, um Abschiebungen massiv auszuweiten und Haftplätze auszubauen. Gegen einen weiteren Abschiebeknast in NRW kämpft das Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern, in Düsseldorf, Mönchengladbach und überall“ seit Anfang 2022.

Inhaftierungen vor Abschiebungen werden zum Normalfall

Neben dem geplanten Bau werden zudem repressive Freiheitsentzüge als Konzept weiter vorangetrieben: Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene zwischen CDU,

CSU und SPD kündigt einen „dauerhaften Arrest für ausreisepflichtige Personen“ nach Verbüßung einer Strafhaft bis zum Abschiebetermin an. Ein dauerhafter, sehr wahrscheinlich verfassungswidriger Freiheitsentzug.

Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die ab Sommer 2026 gelten soll, werden zudem an den großen Flughäfen in Deutschland neue Abschiebehaftkapazitäten geschaffen. Bestimmte Asylverfahren sollen direkt in den Transitbereichen der Flughäfen durchgeführt werden, ohne die Einreise überhaupt zu erlauben, unter de facto Haftbedingungen. Am Flughafen Stuttgart sollen dafür etwa 80 neue Haftplätze entstehen.

Die neue Bundesregierung will auf europäischer Ebene zudem dafür sorgen, das sogenannte „Verbindungselement“ zu streichen, damit wären auch Abschiebungen in Drittstaaten möglich, zu denen eine Person gar keine Verbindung hat. Wer in Deutschland einen Asylantrag stellen würde, würde in den Drittstaat abgeschoben und das Asylverfahren würde dort durchgeführt, auch nach einer Flüchtlingsanerkennung müsste die Person dort bleiben. Nach diesem Modell könnte ein geflüchteter Mensch so in einen Drittstaat verschleppt werden, ohne dessen Staatsbürgerschaft zu haben oder je zuvor dort gewesen zu sein. Im CDU-Grundsatzprogramm ist die vollständige Auslagerung von Asylverfahren in Staaten außerhalb Europas bereits verankert.

Die faschistische Trump-Regierung schafft derweil bereits Fakten: Sie hat Anfang Juli 2025 sieben Männer in den Südsudan deportiert, die keinerlei Verbindung zum Südsudan haben. Sie sind Staatsangehörige von Kuba, Laos, Mexiko, Myanmar und Vietnam und waren zuvor in den USA strafrechtlich verurteilt worden. Den

Abschiebungen war ein wochenlanger Kampf durch die gerichtlichen Instanzen vorausgegangen, zuletzt behielt jedoch die Trump-Regierung die Oberhand.

Landesweit finden in den USA seit Wochen rassistische Hetzjagden durch die United States Immigration and Customs Enforcement-Behörde (ICE) statt. Maskierte Männer greifen willkürlich per Racial Profiling nicht-weiße Menschen auf – bei Behördengängen, auf der Arbeit oder auf der Straße – inhaftieren und deportieren sie, unter anderem in Riesenknäste in El Salvador. Ziel der Regierung ist, täglich 3.000 Menschen festzunehmen.

Die Bilder aus den USA und El Salvador sind schockierend. Während Festnahmen und Abschiebungen in Deutschland im Verborgenen stattfinden, erhalten die Festnahmen in den USA durch die vielen Videos breite Aufmerksamkeit. Doch sie rufen nicht nur Angst, sondern auch Solidarität und selbstorganisierte Gegenwehr hervor: Es finden vielerorts solidarische Aktionen, Massendemonstrationen, Blockaden und Revolten gegen die brutale Abschiebemaschinerie statt. Communities versuchen, sich und andere vor ICE zu beschützen, indem sie andere begleiten, sie verstecken und unterstützen.

Erschienen im Informationsbrief 3-2025 des Komitees für Grundrechte und Demokratie: grundrechtekomitee.de/ publikationen/informationsbrief

Sebastian Rose ist Referent im Projekt „Abschiebungsreporting NRW“ in Köln.

Foto: Stefan Fries

Innenpolitische Aufrüstung

Das von der türkischen Regierung ausgerufene „Jahr der Familie“ ist ein Angriff auf die Frauenfreiheit

Die türkische Regierung hat das „Jahr der Familie“ ausgerufen. Damit will sie traditionell-islamische Werte in der Familienpolitik hervorheben. Das kritisieren nicht nur Frauengruppen. Die Regierung ziele darauf ab, Frauen an den Herd zurückzudrängen. Die Instrumentalisierung von Religion und reaktionärem Menschenbild komme einer inneren Aufrüstung gleich – und sei ein zynisches Ablenkungsmanöver angesichts massiver Probleme wie Inflation und Verarmung. Die Rückwärtsentwicklung und Konformisierung geschehe „nicht mit einem Knall, sondern Schritt für Schritt“, betonen die Frauen bei Rosa e.V., der Jineloji-Initiative und beim Dachverband feministischer Frauengruppen TJA. Wo gezielt ein antifeministischer Hebel angesetzt wird, werde die DNA einer Gesellschaft verändert – denn zivilgesellschaftliche Bewegungen sind belegbar erfolgreich und nachhaltig, wenn sie von breiter Frauenteilhabe geprägt sind.

Das „Jahr der Familie“ wird von rückschrittlichen Dekreten aus Ankara begleitet. So richte sich die Unterhaltsleistung im Scheidungsfall jetzt nach der Länge der Ehe. Unsere Partner*innen berichten auch, bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen komme es fast nie zu einer Verurteilung der männlichen Täter. Ist das Opfer Kurdin, habe es noch nie eine Verurteilung eines Täters gegeben. Ein Beipiel dafür sei der Fall der 18-jährigen Studentin Ipek Er: Sie starb 2020 an den Folgen eines Suizidversuchs. Ein türkischer Offizier hatte sie in der Provinz Batman für 20 Tage entführt und vergewaltigt. Das Gericht hat ihn nicht zu einer Haftstrafe verurteilt, sondern nach kurzer Untersuchungshaft freigelassen und unter „richterliche Aufsicht“ gestellt.

Die unter Suiziden gelisteten „Todesfälle zweifelhafter Ursache“ nehmen zu, erfahren wir. Der sprunghafte Anstieg im Raum Diyarbakır und Van 2024 sei der rückwirkenden Meldung von Gewalttaten und fraglichen Suiziden geschuldet, als wieder demokratisch gewählte Bürgermeister*innen in die Rathäuser einzogen. Während der kommunalen Zwangsverwaltungen sei-

PROTEST GEGEN FRAUENFEINDLICHE POLITIK

en die Zahl nur aufgrund der Einschüchterung der Bürger*innen zurückgegangen.

Bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen sei es üblich, das Alter der männlichen Täter über Knochendichte-Bestimmungen herunterzurechnen. Gehe es dagegen um politische Delikte, werde das Alter von Jugendlichen heraufgerechnet oder das Verfahren bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres herausgezögert. Die jetzt erfolgte nachträgliche Anerkennung religiöser Ehen verbessere zwar die juristische Situation der oft schon als Kinder verheirateten Frauen. Ein nachträgliches Erbrecht der bis jetzt geborenen und damit unehelichen Kinder ist aber nicht eingeschlossen. Außerdem stärke diese Anerkennung die Position des religiösen Fundamentalismus.

Besonders alarmiert sind die Aktiven der LGBTQ+-Gruppe Bakat „Kulturforschung für den Frieden“. Sie sehen in den Vorgaben des „Jahres der Familie“ die Unterdrückung und Verfolgung aller abweichenden Geschlechtsidentitäten. In Beziehungs- und Ehefragen bestehe eine Normierung auf heterosexuelle Lebensformen. [...] Der Austritt Ankaras aus der Istanbul-Konvention sei auch erfolgt, weil diese Schutzpassagen für LGBTQ+-Personen beinhalte. Der Austritt aus der Istanbul-Konvention 2021 wird von allen von uns besuchten Gruppen beklagt. Es fehle

jetzt ein gewichtiges juristisches Instrument, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Als völlig rechtlose Gruppe nennen uns die Frauen bei „STAR“ Afghaninnen auf der Flucht: Morde, Entführungen und Vergewaltigungen seien an der Tagesordnung. Viele Frauen und Mädchen würden von ihren Familien verkauft und zwangsverheiratet. Die Istanbul-Konvention habe damals festgelegt, dass Staatsbeamte, die Gewalt gegen Frauen nicht verfolgten, sogar persönlich wegen Pflichtunterlassung haftbar gemacht werden konnten. „Für uns und unsere Arbeit besteht die Istanbul-Konvention fort“, sagen die Frauen des Frauenvereins „Rosa“. [...] Es scheint jedoch, dass die Feministinnen in der Türkei ihren Widerstand gemeinsam fortführen werden. Die kurdischen Feministinnen verweisen auf ihr Selbstverteidigungsrecht: „Wir sind nicht militärisch. Aber auch Rosen und Igel haben Dornen und Stacheln.“

Aus dem IPPNW-Akzente Türkei 2025. Jetzt bestellen unter: shop.ippnw.de

Dr. Elke Schrage ist IPPNWMitglied und hat sich an der Türkeireise im März 2025 beteiligt.

DIYARBAKIR:

Drohende Abschiebung in die Türkei

Mehmet Çakas soll aus der Haft in Deutschland abgeschoben werden

Mehmet Çakas hat wegen der politischen Verfolgung in der Türkei in Deutschland Asyl gesucht. Er hat sechs Jahre in Deutschland gelebt und sich für die kurdische Sache vielfältig engagiert. 2021 wurde sein Asylverfahren eingestellt. Er ging nach Italien und stellte dort erneut einen Asylantrag. Aufgrund eines von Deutschland ausgestellten Haftbefehls wurde er im Dezember 2022 in Italien in Auslieferungshaft genommen und im März 2023 an die deutsche Justiz überstellt. Anfang September wurde in Celle der Prozess gegen ihn wegen Terrorismus und Mitgliedschaft in der PKK eröffnet. Er wurde im April 2024 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Diese Strafe wäre am 4. Oktober 2025 abgesessen. Nun soll Çakas aus der Haft in die Türkei abgeschoben werden. Dort sind verschiedene Verfahren wegen seiner politischen Betätigung gegen ihn anhängig u.a. droht die Verurteilung zu lebenslanger verschärfter Haft. Mehmet Çakas hat in der Haft einen Asylfolgeantrag gestellt, der ohne weitere Überprüfung vom BAMF abgelehnt wurde. Die Klage dagegen soll im September entschieden werden, nach Vollzug der Abschiebung.

Nach der Urteilsverkündung erklärte er: „Ich hätte mich gerne gegen die Vorwürfe verteidigt und gezeigt, dass ich persönlich und zu den Zeiten und an den Orten, die Gegenstand der Anklage sind, keine illegalen Handlungen begangen habe. Aber die Anklageschrift konzentriert sich auf die kurdische Bewegung und nicht darauf, ob ich in Deutschland illegal gehandelt habe oder nicht (…) Aus der Anklageschrift selbst geht hervor, dass nicht ich persönlich angeklagt bin. Angeklagt ist die kurdische Bewegung.“

Gegen die drohende Abschiebung gibt es zahlreiche Proteste von kurdischen Verbänden, von Menschenrechts- und Flüchtlingsinitiativen und dem RAV, weil sie gegen europäisches und internationales Recht verstößt. Die wissenschaftlichen

Dienste des Deutschen Bundestags haben sich 2016 zu den völker- und menschenrechtlichen Vorgaben für Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen geäußert: Der Grundsatz des Non-Refoulement (“Nichtzurückweisung”) beruht auf der Überzeugung der Staatengemeinschaft, dass keine Person in einen Staat zurückgewiesen werden darf, in dem ihr eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte droht. Die Staaten werden damit verpflichtet, die gefährdete Person vor dem unmittelbaren Zugriff des Verfolgerstaates zu schützen. Das Refoulement-Verbot begründet zwar keinen Rechtsanspruch auf Asyl, wohl aber ein Recht von Flüchtlingen, dem Zugriff des Verfolgerstaates auf Dauer entzogen zu bleiben und nicht gegen ihren Willen dorthin zurückkehren zu müssen, solange die Verfolgung andauert. (…) Auf das Refoulement-Verbot können sich zunächst einmal alle Menschen berufen –auch Deserteure, Straftäter, Terroristen, Asylbewerber oder Flüchtlinge.

Seit der Abschiebeoffensive des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz scheint es für das BAMF und viele Verwaltungsgerichte keine Hemmungen zu geben. Sie gehen von einer rechtsstaatlichen Justiz in der Türkei aus, obwohl es dazu viele gegenteilige Berichte und Untersuchungen gibt – das besagt u.a. ein Rechtsgutachten von Pro Asyl vom September 2024 zur Lage der Justiz in der Türkei.

„Strafverfahren mit politischem Bezug sind in der Türkei zu einer Farce verkommen. Willkürliche Verfahren und Haftstrafen sind an der Tagesordnung“, so Wiebke Judith von Pro Asyl. Im September 2023 verurteilte das EU-Parlament u.a. die mangelnde Unabhängigkeit der türkischen Justiz und die politische Instrumentalisierung des Justizsystems und verwies auf anhaltende Angriffe auf die Grundrechte von Oppositionellen und Angehörigen von Minderheiten durch juristische und administrative Schikane. Trotzdem gab es für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei im Jahr 2024 nur in 7% eine Asylanerken-

nung – denn die Türkei wird vom BAMF und vielen Verwaltungsgerichten als sicheres Herkunftsland eingestuft.

Die Abschiebung von Mehmet Çakas in die Türkei könnte ein Präzedenzfall werden. Nach Angaben des kurdischen Rechtshilfevereins AZADI sind zur Zeit 14 Verfahren nach §129b gegen kurdische Politiker/Aktivisten in Deutschland anhängig. Einer von ihnen ist Yüksel Koc, der seit 35 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in Bremen lebt. Er war von 2016 bis 2023 Ko-Vorsitzender des kurdischen Europadachverbands KCDK-E.

Es ist schwer nachzuvollziehen, warum diese Politiker gerade jetzt in den Fokus der deutschen Justiz geraten, wo sich in der Türkei ein Friedensprozess andeutet, der mit der Auflösung der PKK begonnen hat und noch auf eine adäquate Antwort der türkischen Regierung wartet. Wie könnte die Bundesregierung dieses zarte Friedenspflänzchen unterstützen? Ein wichtiger Schritt wäre die längst überfällige Aufhebung des PKK-Verbots und die Einstellung der Verfahren gegen Kurden, die für die kurdische Sache Verantwortung übernehmen.

Die Quellen zu diesem Artikel finden Sie auf dem IPPNW-Blog: blog.ippnw.de

Dr. Gisela Penteker ist IPPNW-Mitglied und leitet seit vielen Jahren die Reisen von IPPNW-Mitgliedern in die Türkei.

MEHMET CAKAS VOR GERICHT

Grenzenloses Risiko

Studie: Warum ein schwerer Unfall in einem Schweizer AKW Deutschland härter treffen würde als die Schweiz

Ein schwerer Unfall in einem Schweizer AKW würde Deutschland härter treffen als die Schweiz: Diese alarmierende Erkenntnis legt die neue Studie des Trinationalen Atomschutzverbands (TRAS) offen.

Während in der Schweiz weiter eisern am Überzeitbetrieb der vier uralten Schweizer Atomkraftwerke (40 bis 56 Jahre alt) festgehalten wird, droht Deutschland, insbesondere Baden-Württemberg, der radioaktiven Wolke unvorbereitet und schutzlos ausgeliefert zu sein. „Das von den Schweizer AKW für Deutschland ausgehende Risiko wird systematisch und dramatisch unterschätzt. Städte und Gemeinden werden nicht einmal annähernd adäquat auf die Unfallszenarien vorbereitet“, so Stefan Auchter, Vizepräsident des TRAS: „Bundes- und Landesregierung müssen die Bedrohung durch die Schweizer AKW endlich ernst nehmen und darauf hinwirken, dass der Überzeitbetrieb der Reaktoren in naher Zukunft verbindlich beendet wird.“

Unzureichende Referenzszenarien

In der Studie weist Armin Simon nach, dass die Schweizer Atomaufsicht ENSI Referenzszenarien publiziert, die weit von einem Fukushima- oder Tschernobyl-Ereignis entfernt sind. „Zahlreiche Simulationen auf Basis realer Wetterdaten belegen, dass bei einem schweren Atomunfall mit Auswirkungen weit über die offiziellen Katastrophenschutzzonen hinaus zu rechnen ist“, so Armin Simon: „Unter Umständen müssten mehrere deutsche Großstädte binnen weniger Stunden evakuiert werden. Große Gebiete in Süddeutschland, je nach Wetter auch weit darüber hinaus, könnten für Jahrzehnte unbewohnbar werden.“ Betroffen von hohen effektiven Strahlendosen könnten im Falle eines schweren Unfalls im AKW Leibstadt je nach Wetterlage die Städte Freiburg, Konstanz, Tübingen, Ulm und Stuttgart sein.

Mangelnder Katastrophenschutz

Während die Schweiz offiziell nur einen kleinen Radius um ihre AKWs als „Gefahrenzone“ deklariert, könnte ein Fallout hunderttausende Deutsche den Wohn- und Lebensraum streitig machen – womöglich für Jahrzehnte. Skandalös ist auch, dass die seit 2015 beschlossene Erweiterung der Evakuierungszonen bis heute nicht umgesetzt wurde. Im Katastrophenfall stehen örtliche Bürgermeister*innen mit leeren Händen da. Und die Schweizer Regierung würde zuschauen, denn sie setzt auf den Fortbestand der Atomkraft und lehnt die Durchführung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung bisher ab.

Die Studie

„Grenzenloses

Risiko: Gefährdung

Deutschlands durch schwere Unfälle in Schweizer Atomkraftwerken“

Autoren: Armin

Simon (.ausgestrahlt) und Dr. Angelika Claußen (IPPNW)

68 Seiten, Versand gegen Portokosten Bestellung unter: shop.ippnw.de

Aktion: Schweizer AKWs abschalten

Gemeinsam mit den Kolleg*innen der Schweizer IPPNW-Sektion arbeiten wir beiderseits der Grenze für den Atomausstieg. Es ist unmöglich, die Bevölkerung insbesondere vor den Langzeitfolgen der radioaktiven Strahlung zu schützen. Sicherheit schafft lediglich ein Ausstieg aus der Atomenergie. Aufgrund der grenznahen Lage der Schweizer AKWs wäre mit akuten Strahlenschäden wie Strahlenkrankheit, Unfruchtbarkeit und Fehlbildungen bei Neugeborenen zu rechnen, in Deutschland wie in der Schweiz.

Ausgestrahlt hat eine Unterschriftenaktion gestartet, die von der IPPNW unterstützt wird: „Atom-Gefahr beenden – Schweizer AKW abschalten!“

Dr. Angelika Claußen ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.

Text: „Ein Unfall in einem der vier Schweizer Atomkraftwerke könnte ganz Deutschland radioaktiv kontaminieren, große Gebiete unbewohnbar machen und landwirtschaftliche Ernten bis hoch ins Baltikum vernichten. Doch Regierung und Atomlobby in der Schweiz wollen die Uralt-Reaktoren noch Jahrzehnte laufen lassen – und sogar das Neubauverbot für AKW kippen. Bundesregierung und Landesregierung in Baden-Württemberg müssen sich endlich für einen straffen Ausstiegsfahrplan mit festen Abschaltdaten für alle Schweizer AKW einsetzen!“

Link: ausgestrahlt.de/themen/ schweizer-akw-abschalten/

Foto: Martin Walter

Atomwaffentests in Reggane

Vor 65 Jahren führte das französische Militär in der algerischen Sahara seine ersten Atomtests durch

Hintergrund

1945 gründete Frankreich die Atomenergiebehörde CEA – zuständig sowohl für die zivile als auch für die militärische Nutzung der Atomtechnologie. In den 1950er Jahren begann man mit dem Abbau von Uran und der Umwandlung in waffenfähiges Plutonium. Nach nur wenigen Jahren war Frankreich im Besitz von Atomwaffen, die in der französischen Kolonie Algerien getestet werden sollten. Der erste französische Atomwaffentest wurde am 13. Februar 1960 unter dem Code „Gerboise Bleue“ mitten in der Sahara durchgeführt, etwa 50 km südöstlich der Oase Reggane. Drei weitere oberirdische Atomwaffentests wurden 1960 und -61 in Reggane durchgeführt.

2010 deckte die Zeitung „Le Parisien“ auf, dass im April 1961 vorsätzlich 300 Soldaten in das kontaminierte Gebiet der „Gerboise Verte“-Detonation geschickt wurden, um „die physiologischen und psychologischen Auswirkungen von Atomwaffen auf Menschen“ zu untersuchen und „Informationen für die körperliche und geistige Vorbereitung moderner Soldaten“ zu sammeln.

1967, fünf Jahre nach seiner Unabhängigkeit von Frankreich, erhielt Algerien die volle Kontrolle über das massiv verstrahlte Testgebiet von Reggane zurück.

Folgen für Umwelt und Gesundheit

10.000 Soldaten, die Arbeiter des Atomwaffentestgeländes und lokale Tuareg-Stämme waren der Strahlung der Atomwaffentests direkt ausgesetzt, unzählige weitere dem radioaktiven Niederschlag, der vom Wind verweht wurde. Bis in die 3.200 km entfernte sudanesische Hauptstadt Khartoum wurde erhöhte Radioaktivität gemessen. Ein Bericht des französischen Senats stellte fest, dass französische Soldaten im Testgebiet Strahlendosen zwischen 42 und 100 mSv ausgesetzt waren – dem 20 bis 50-fachen der üblichen Jahresdosis an Hintergrundstrahlung (ca. 2,4 Millisievert/Jahr).

Doch diese Schätzungen berücksichtigen noch nicht den Aspekt der inneren Bestrahlung. Vor allem bei den Menschen, die weit entfernt von der eigentlichen Explosion lebten und hauptsächlich vom radioaktiven Niederschlag betroffen waren, spielte das Einatmen von radioaktiven Staubpartikeln und die Aufnahme kontaminierter Nahrung und Wasser eine bedeutende Rolle in der Entstehung von Krebserkrankungen. Bis heute gibt es keine aussagekräftigen Studien über die gesundheitlichen Folgen der Atomwaffentests für Arbeiter, Soldaten und lokale Tuareg – lediglich immer wieder die Feststellung erhöhter Krebsraten und Fehlbildungen bei Neugeborenen. 45 Jahre nach Ende der Atomwaffentests stellte die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) im Areal rund um Reggane weiterhin hohe Radioaktivität fest.

Ausblick

Im März 2009 erklärte sich die französische Regierung nach jahrzehntelanger Verweigerung bereit, die Opfer der Atomwaffentests zu entschädigen. Betroffenenverbände kritisieren jedoch, dass die Auswahlkriterien für die Entschädigungszahlungen zu streng und der Zugang für viele der Opfer zu kompliziert sei. Dies gilt insbesondere für die Tuareg der algerischen Sahara. Umfassende und unabhängige Untersuchungen sind dringend erforderlich, um die gesundheitlichen Auswirkungen der Atomwaffentests zu untersuchen. Die Akte Reggane ist noch lange nicht geschlossen.

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus der IPPNW-Posterausstellung „Hibakusha Weltweit“. Die Ausstellung zeigt die Zusammenhänge der unterschiedlichen Aspekte der Nuklearen Kette: vom Uranbergbau über die Urananreicherung, zivile Atomunglücke, Atomfabriken, Atomwaffentests, militärische Atomunfälle, Atombombenangriffe bis hin zum Atommüll und abgereicherter Uranmunition. Sie kann ausgeliehen werden. Weitere Infos unter: www.hibakusha-weltweit.de

„ATOMS FOR PEACE“, AUS DER BROSCHÜRE ZUR REDE VON US-PRÄSIDENT EISENHOWER AM 08.12.1953

Weitere Dokumente finden Sie unter anderem auf den Seiten der US-Nationalarchive: https://www.archives.gov

„Atome

für den Frieden“

Die weltweite Kampagne für die zivile Nutzung der Atomenergie trug zur Proliferation von Atomtechnik bei

Atoms for Peace lautete der Titel der berühmten Rede, die der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hielt, und in der er die gleichnamige weltweite Initiative ankündigte. Die Großmächte USA und Sowjetunion sollten spaltbare Materialien zur Verfügung stellen und dadurch „einen Teil ihrer Stärke in den Dienst der Bedürfnisse der Menschheit und nicht in den Dienst ihrer Ängste stellen“. „Das furchtbare Geheimnis und die fürchterlichen Maschinen der atomaren Macht gehören nicht mehr uns allein“, so der US-Präsident. Nicht nur die Kontrolle über den weiteren Fortschritt und die Verbreitung nuklearer Technologie, sondern auch die Deutungshoheit über Atome für Frieden und Krieg waren zum Gegenstand des Kalten Krieges geworden. Der Kommunikationsberater Eisenhowers C.D. Jackson sah in „Atoms for Peace“ die US-Antwort „auf die fast vollständige Monopolstellung der Sowjets in der ‚Friedenspropaganda‘“. Die Initiative sollte die öffentliche Aufmerksamkeit vom Militär auf friedliche Anwendungen lenken. Eisenhower selbst bezeichnete dies als „psychologische Kriegsführung”.

Eisenhowers Engagement für den Einsatz, den Ausbau und die Verbesserung immer tödlicherer Atomwaffen blieb indessen ungebrochen. Hatten die USA zu Beginn seiner Amtszeit 841 Atomwaffen in ihrem Arsenal, so war diese Zahl bis 1960, gegen Ende seiner Präsidentschaft, auf über 18.000 angestiegen. Im Rahmen der Initiative zur Förderung der Atomenergie wurden weltweit Projekte initiiert. Die USA und die Sowjetunion exportierten zu diesem Zweck Forschungsreaktoren in verschiedene Länder – auch in solche, die später eigene Atomwaffen entwickelten. Schon 1955 konstatierte ein internes Memorandum des US-Außenministeriums, dass das „Atoms-for-Peace“-Programm aufgrund der Verbreitung von Wissen über Atomreaktoren und Plutoniumspaltung eine „Bedrohung des Friedens“ darstelle. „DAS ATOM SOLL FÜR DEN FRIEDEN, FÜR DEN KOMMUNISMUS ARBEITEN“: SOWJETISCHES PLAKAT VON 1976.

Lebendige Beweise der zivil-militärischen Verschränkung der Atomenergie

Zu einer effektiven nuklearen Abrüstung gehört langfristig der Ausstieg aus der Atomenergie

Ursprünglich war die Produktion von Atomstrom ein Nebenprodukt der Atomwaffenprogramme. Zwar ist der Anteil des Atomstroms an der weltweiten Stromproduktion seit über zwei Jahrzehnten rückläufig, doch genügt diese Industrie bis heute dem Zweck der Herstellung von Massenvernichtungswaffen und der Aufrechterhaltung ihrer Einsatzfähigkeit.

Der Slogan „Atoms for Peace“ ist tief in der Atomindustrierhetorik verankert. In seiner gleichnamigen Rede, die er im Dezember 1953 vor der UN-Generalversammlung hielt, gab US-Präsident Dwight D. Eisenhower den Anstoß zur Gründung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) im Jahr 1957. In der ersten Hälfte seiner Rede beschreibt Eisenhower ausgiebig die Schrecken, Gefahren und das zerstörerische Potenzial der Atombombe und der nuklearen Aufrüstung, betont die gewaltige Zerstörungskraft, die Unmöglichkeit des vollständigen Schutzes und die Gefahr für die gesamte Menschheit. Anschließend vollzieht er einen erstaunlichen Übergang. „Das größte destruktive Potenzial kann zum Segen für die Menschheit werden“, so Eisenhower. „Wer könnte bezweifeln, dass, wenn alle Wissenschaftlerinnen und Ingenieure der Welt über ausreichende Mengen an spaltbarem Material verfügen würden, um ihre Ideen zu testen und weiterzuentwickeln, diese Fähigkeit rasch in eine universelle, effiziente und wirtschaftliche Nutzung umgewandelt würde?“, spekulierte er weiter.

Tatsächlich waren bereits in den 1950er Jahren Zweifel an dieser Annahme angebracht. Die weitreichenden Überschnei-

dungen der zivilen und militärischen Nutzung des Wissens über die menschlich herbeigeführte Kernspaltung sind schließlich keine Erkenntnisse der jüngeren Vergangenheit. Bereits das erste Papier zur Frage der Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen des „US Secretary of State‘s Committee on Atomic Energy“, das im Jahr 1946, also im Jahr nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, veröffentlicht wurde, stellte unmissverständlich fest, dass „die Entwicklung der Atomenergie für friedliche Zwecke und die Entwicklung der Atomenergie für Bomben in weiten Teilen ihres Verlaufs austauschbar und voneinander abhängig sind“. Das Papier wurde unter maßgeblicher Mitarbeit von J. Robert Oppenheimer erstellt. Oppenheimer war wissenschaftlicher Leiter des ManhattanProjekts, das die USA zur weltweit ersten atomar bewaffneten Nation machte. Auch auf die von Eisenhower 1953 rhetorisch postulierte Abgrenzbarkeit von Atomen für kriegerische Zerstörung und Abschreckung von Atomen für den Frieden folgte keine materielle Abgrenzung getrennter Industriekomplexe – geschweige denn eine Überwindung der nuklearen Rüstung und Abschreckung.

Großbritannien etwa ist seit 1952 nuklear bewaffnet. In diesem Jahr führten die Briten die ersten von insgesamt zwölf Atomwaffentests in Australien durch. In den Jahren nach 1956 – also nach Beginn der „Atoms for Peace“-Initiative und in die Frühphase der IAEO hinein – vollzogen die britischen Atomwaffenentwickler den nächsten großen Schritt im Aufwuchs des nuklearen Vernichtungspotenzials: Die Entwicklung der Wasserstoffbombe, über

die die USA und die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt bereits verfügten. Dabei spielte das erste Atomkraftwerk Englands eine entscheidende Rolle. Das AKW in Calder Hall im Nordwesten Englands speiste ab dem Jahr 1956 Strom in das britische Netz ein. Zudem entsprach es von Beginn an dem Zweck der Produktion von Plutonium für Atomwaffen, wie die UK Atomic Energy Authority (UKAEA) selbst öffentlich verkündete. „Nichts, was danach kommt, wird die Bedeutung dieses ersten großen Schritts nach vorn schmälern können“, betonte Sir Edwin Plowden als Vorsitzender der UKAEA bei der Eröffnung des AKW. Hatte er dabei seine rückblickend überzogenen Erwartungen an die Atomenergie zur Stromproduktion im Sinn? Oder ging es ihm um die Rolle des AKW bei der Produktion von waffenfähigem Plutonium oder von Tritium als „Booster” für die Wasserstoffbombe, in deren Entwicklung Calder Hall von Beginn an einbezogen war? Sicher ist, dass die materielle und institutionelle Verbindung zwischen militärischen Zwecken und der Stromproduktion in der Frühphase der Atomenergie maßgeblich war und bis heute in den meisten atomar bewaffneten Staaten fortbesteht.

Am 8. Dezember 2020, genau 67 Jahre nach Eisenhowers „Atoms for Peace“-Rede, stellte Emmanuel Macron, der Präsident Frankreichs, das seit 1960 eine Atommacht ist, fest: „Das eine geht nicht ohne das andere. Ohne zivile Atomkraft gibt es keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft gibt es keine zivile Atomkraft“. In seiner Rede vor Arbeiter*innen der französischen Atomschmiede Le Creusot fuhr er fort: „Fabriken wie Ihre, die sowohl für Atomkraftwerke als auch

Die nukleare Kette

für Marineeinrichtungen produzieren, und Einrichtungen wie die Behörde für Atomenergie und alternative Energien [CEA] sind der lebendige Beweis dafür.“ Neben der materiell-technischen gegenseitigen Abhängigkeit betont Macron hier auch die institutionelle Basis der Verbindungen, indem er die CEA erwähnt, die bis 2010 nur „Commissariat à l’énergie atomique“ hieß.

Die Aufgabe der CEA, deren Gründung bereits 1945 beschlossen wurde, bestand darin, „wissenschaftliche und technische Forschung im Hinblick auf die Nutzung der Atomenergie in den Bereichen Wissenschaft, Industrie und Landesverteidigung zu betreiben“. Damit stand sie im Widerspruch zur offiziell verkündeten französischen Regierungsposition der frühen Jahre des Atomzeitalters, laut der sich Frankreich in diesem Feld auf friedliche Zwecke beschränken werde. Die in den folgenden Jahrzehnten getroffenen Entscheidungen, etwa bei der Auswahl von Reaktortechnologien, fielen jedoch häufig zugunsten einer militärischen Nutzbarkeit aus, um insbesondere eine möglichst einfache Extraktion von Plutonium für die Atomwaffenproduktion zu gewährleisten.

Ein weiterer lebendiger Beweis für die fortbestehenden engen institutionellen und industriellen Verbindungen der vermeintlich trennbaren zivilen und militärischen Zweige der Atomenergienutzung ist Rosatom, der russische Atomsektor. Das Unternehmen bzw. die staatliche Institution umfasst eigenen Angaben zufolge über 450 Organisationen, darunter eine eigene Abteilung für Atomwaffen. Offiziellen Zahlen zufolge sind mehr als 86.000 Mitarbeiter*innen für

Atomwaffen

die „Nuclear Weapons Division“ des russischen Atomkomplexes tätig. Eine Trennung der Bereiche ist nicht vorgesehen, im Gegenteil. Der ehemalige RosatomChef und enge Vertraute von Präsident Putin, Sergei Kiriyenko, sagte 2011: „Es ist eine Tatsache, dass Atomenergie nicht nur AKW umfasst. Atomenergie ist der gesamte Atomwaffenschild dieses Landes. (...) Wenn ein Land die zivile Atomenergie auslaufen lässt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es keinen wettbewerbsfähigen Rüstungskomplex mehr hat.“

Ein Blick in die Geschichte und Gegenwart des Atomzeitalters zeigt: Die Entwicklung der Atomenergie begann militärisch. Es folgte eine Phase der Parallelentwicklung, in der auch die Stromerzeugung eine Rolle spielte. Zur langfristigen Aufrechterhaltung und Fortentwicklung ihrer Atomwaffenarsenale verfügen die fünf großen Atomwaffenstaaten über ein komplexes System einer zivil und militärisch genutzten, eng miteinander verwobenen Atomindustrie. Zwar muss nicht jedes Atomenergieprogramm zwangsläufig in der Bombe münden. Doch jede Atomanlage kann einen Schritt auf dem Weg zur Nuklearwaffe darstellen.

Dafür stehen unter anderem die Beispiele Indien und Pakistan. Die IAEA signalisiert unterdessen wenig Lernbereitschaft, wenn ihr Generaldirektor Rafael Grossi bei seinem Besuch in Saudi-Arabien er-

klärt, dass er es für eine „sehr kluge Entscheidung“ hält, dass das Königreich die Atomenergie in seinen Energiemix aufzunehmen wolle, obwohl die Pläne als ökonomisch wenig sinnvoll gelten. Mohammed bin Salman hatte erst wenige Jahre zuvor erklärt, sein Land wolle eigentlich keine Atombombe erwerben, „aber wenn der Iran eine Atombombe entwickelt, werden wir zweifellos so schnell wie möglich nachziehen.“ Auch dort, wo eine militärische Nutzung heute wirklich keine Option zu sein scheint, können sich die politischen Bedingungen bereits morgen geändert haben. Deshalb gehört zu einer langfristig effektiven nuklearen Abrüstung auch der Ausstieg aus der Atomstromproduktion.

Quellen zu diesem Artikel unter: ippnw.de/bit/zivilmilitaerisch

Patrick Schukalla ist IPPNWReferent für Atomausstieg, Energiewende und Klima.

Der Iran kann auch ohne weitere Anreicherung Atomwaffen bauen

Nur Diplomatie kann das verhindern!

Seit den aufeinanderfolgenden Luftangriffen Israels und der USA auf iranische Atomanlagen im Juni 2025 konzentriert sich ein Großteil der hitzigen und stark politisierten öffentlichen Debatte darauf, ob die Angriffe die Fähigkeit Teherans zum Bau von Atomwaffen „ausgelöscht“ oder nur um einige Monate oder Jahre zurückgeworfen haben. Ein entscheidender Punkt wird jedoch unerklärlicherweise weiterhin weitgehend übersehen: Irans Vorrat von über 400 Kilogramm hochangereichertem Uran (HEU) – angereichert auf 60 Prozent Uran 235 – ist waffenfähig. Das bedeutet, dass das HEU des Iran – das laut einem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) aus dem Juni nach den ersten Luftangriffen Israels nicht mehr auffindbar war und möglicherweise vor den Angriffen an sichere Orte gebracht wurde – direkt zur Herstellung von Bomben verwendet werden könnte.

Wenn der Iran noch Zugang zu einem Teil seiner HEU-Vorräte hat, könnte die direkte Verwendung dieses Materials seinen Führern plötzlich als der attraktivste und schnellste Weg zu einer Bombe erscheinen, insbesondere wenn seine Fähigkeit zur Anreicherung von Uran tatsächlich erheblich beeinträchtigt ist. Es mag andere Engpässe auf dem Weg zur Waffenproduktion geben, aber der Zugang zu Bombenmaterial wäre keiner davon.

Derzeit ist es für Israel und die Trump-Regierung ein großes Rätsel, ob die HEUVorräte des Iran die Angriffe überstanden haben. Es gibt keine plausible militärische Option, um sie zu zerstören oder zu beschlagnahmen, ohne ihren Standort genau bestimmen zu können – der mittlerweile überall im Iran liegen und möglicherweise auf mehrere Standorte verteilt sein könnte. Der effektivste Weg für die inter-

nationale Gemeinschaft, um volles Vertrauen zu gewinnen, dass das HEU nicht für Waffenzwecke abgezweigt wurde, ist daher ein diplomatisches Abkommen, in dem Israel und die Vereinigten Staaten auf weitere Angriffe verzichten und der Iran der IAEO alle Informationen und den Zugang gewährt, die sie benötigt, um den Verbleib der Vorräte vollständig zu klären und schnell wieder ein dauerhaftes Verifikationssystem einzurichten.

Ein offenes Geheimnis

Dass HEU mit einer Anreicherung von 60 Prozent in einer Atomwaffe verwendet werden kann, ist kaum ein Staatsgeheimnis. Aber es hat jetzt an Bedeutung gewonnen, da die Fähigkeit des Iran, dieses Material weiter anzureichern oder zusätzliches HEU aus weniger angereicherten Beständen herzustellen, nach den Angriffen auf die Zentrifugenanreicherungs- und andere unterstützende Anlagen in Natanz, Fordow und Isfahan um mindestens mehrere Monate – oder nach einigen Schätzungen sogar um Jahre – zurückgeworfen wurde.

Obwohl der Iran sowohl aus praktischen als auch aus strategischen Gründen allen Grund haben mag, keine direkte Waffenproduktion aus seinem verbleibenden 60-prozentig angereicherten HEU zu verfolgen, ist dies eine andere Frage als die, ob er über die technischen Fähigkeiten dazu verfügt. Die vorherrschende Behauptung, dass der Iran für den Bau einer nuklearen Sprengvorrichtung „waffenfähiges“ Uran benötigt, das zu mindestens 90 Prozent mit Uran 235 angereichert ist – eine Behauptung, die von Regierungsbeamten, Medien und Kommentatoren gleichermaßen wiederholt wird – ist schlichtweg falsch. Man muss nicht lange suchen, um die Grundlage für die Aussage zu finden, dass sämtliches

HEU für Waffenzwecke verwendet werden kann. Die IAEO betrachtet HEU, das als auf 20 Prozent oder mehr angereichertes Uran definiert ist, als Material für den „direkten Gebrauch“, was bedeutet, dass es „ohne Umwandlung oder weitere Anreicherung für die Herstellung von nuklearen Sprengkörpern verwendet werden kann“. Dies ist die Grundlage für die internationalen Sicherungsmaßnahmen, die die IAEO auf Bestände von deklariertem HEU und anderen direkt verwendbaren Materialien wie separiertem Plutonium anwendet, sowie für die internationalen Standards, die den Schutz direkt verwendbarer Materialien durch Staaten vor Diebstahl im Inland regeln. Das bedeutet nicht, dass alle HEUQualitäten hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit in Waffen gleichwertig sind, und es ist wichtig, die Unterschiede zu verstehen.

Die „erhebliche Menge“ an HEU, die von der IAEO als „die ungefähre Menge an Kernmaterial, bei der die Möglichkeit der Herstellung eines nuklearen Sprengkörpers nicht ausgeschlossen werden kann“ definiert wird, beträgt 25 Kilogramm Uran235. Bei zu 90 Prozent angereichertem Material entspricht dies insgesamt 27,8 Kilogramm Uran. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass 20 bis 25 Kilogramm zu 90 Prozent angereichertes HEU zur Herstellung einer Implosionswaffe der ersten Generation verwendet werden könnten –ähnlich der Plutoniumwaffe „Fat Man“, die 1945 Nagasaki zerstörte – allerdings mit einem größeren Durchmesser und einem erheblich höheren Gewicht.

Bei einer Anreicherung von 60 Prozent entspricht die von der IAEO festgelegte signifikante Menge 41,7 Kilogramm Gesamturan (oder dem 1,5-fachen der signifikanten Menge bei 90 Prozent). Das bedeutet, dass zumindest für ein bestimmtes Waffendesign ein fester Vorrat an HEU bei

60 Prozent eine geringere Anzahl von Waffen ermöglichen würde als bei 90 Prozent. Ein analoges Design vom Typ „Fat Man” mit 60 Prozent könnte etwa doppelt so viel Gesamturan erfordern wie bei 90 Prozent. Dies deutet darauf hin, dass der von der IAEO gemeldete Vorrat des Iran von 408 Kilogramm für die Herstellung von etwa 6 bis 7 Waffen dieses Typs verwendet werden könnte, verglichen mit den 9 bis 10, die bei 90 Prozent geschätzt wurden. (...)

Mögliches Design einer Waffe

Im Februar berichtete die New York Times, dass der Iran ein Crash-Programm in Betracht ziehe, um innerhalb weniger Monate eine relativ einfache Atomwaffe zu entwickeln, die zwar nicht so miniaturisiert werden könne, dass sie auf eine ballistische Rakete passe, aber mit anderen Mitteln transportiert werden könne. Obwohl dies aus dem Artikel nicht ganz klar hervorgeht, deutet er darauf hin, dass die angestrebte Anreicherung für einen solches Modell immer noch bei 90 Prozent läge. Angesichts der Zweifel an der Fähigkeit des Iran, das Material schnell weiter anzureichern, ist es jedoch sinnvoll zu überlegen, ob ein solch einfaches Gerät einen 60-prozentigen Urankern aufnehmen könnte, ohne seine Wirksamkeit erheblich zu beeinträchtigen.

Die Verwendung von mehr Uran mit geringerer Anreicherung in einer Implosionsvorrichtung der ersten Generation hat im Allgemeinen gewisse Nachteile, die mit dem größeren und schwereren Kern (...) und dem Neutronenreflektor verbunden sind. Eine solche Konfiguration würde deutlich mehr Sprengstoff erfordern, um den Kern und andere Strukturen zu komprimieren und einen hoch superkritischen Zustand zu erzeugen, in dem die Geschwindigkeit der Kernspaltungsreaktionen exponentiell

zunimmt, was zu einer nuklearen Explosion führt. Ein weiterer Faktor ist, dass die Kernspaltungskettenreaktion in geringer angereichertem Uran langsamer abläuft. Dies verringert in der Regel die Sprengkraft, da weniger Kernspaltungsreaktionen in einem überkritischen Kern stattfinden können, bevor dieser auseinanderbricht und die Kettenreaktion stoppt. Andere mildernde Faktoren könnten diese Nachteile jedoch teilweise ausgleichen, sodass die Nachteile hinsichtlich Gewicht und Größe möglicherweise nicht so gravierend sind, wie es zunächst erscheint.

Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Iran mit 60-prozentig angereichertem HEU Waffen vom Typ „Little Boy“ bauen könnte, wie die Bombe, die Hiroshima zerstörte und für die etwa 60 Kilogramm HEU mit einer Anreicherung von etwa 80 Prozent verwendet wurden. Diese würden pro Waffe mehr Uran benötigen als Implosionsvorrichtungen, (...) wären aber viel einfacher zu bauen. Das Risiko einer Vorzündung aufgrund spontaner Neutronenerzeugung – ein Effekt, der die Sprengkraft verringert und eher bei Kanonenwaffen ein Problem darstellt – wäre bei 60-prozentig angereichertem HEU höher – aber der Unterschied wäre wahrscheinlich nicht entscheidend.

Verhinderung eines nuklearen

Durchbruchs

Wenn der Iran weiterhin Zugang zu einem erheblichen Teil seiner derzeitigen 60-prozentigen HEU-Vorräte hat, hätte er auch dann Möglichkeiten zur Waffenproduktion, wenn er das Material nicht weiter anreichern kann. Derzeit könnte der limitierende Faktor für eine mögliche Waffenproduktion die fehlende Fähigkeit sein, Uranhexafluorid in Uranmetall umzuwandeln, nachdem die Anlage in Isfahan durch den US-Bombenangriff am 20. Juni

zerstört wurde. Aber selbst das wäre kein großes Hindernis, falls der Iran bereits über eine kleine geheime Anlage verfügt oder das Know-how und die Ausrüstung besitzt, um diese Fähigkeit wiederherzustellen. Obwohl der Ersatz einer Großanlage Jahre dauern könnte und es schwierig wäre, sie heimlich zu bauen, wäre eine Anlage, die in kurzer Zeit einige hundert Kilogramm produzieren kann, keine so große Herausforderung. (...)

Die technische Fähigkeit des Iran, aus seinen Beständen an 60-prozentigem hochangereichertem Uran (HEU) relativ schnell zumindest einige wenige primitive Waffen herzustellen, darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Frage dreht sich dann um die Absicht: Ist die Herstellung von Waffen für den Iran in einer Zeit der Schwäche und der Bedrohung seiner Führung strategisch sinnvoll? Unter der Annahme, dass die iranische Führung rational ist und die potenziell katastrophalen Folgen eines Versuchs, eine Atomwaffe zu bauen und einzusetzen, versteht, sollte die Antwort klar „Nein“ lauten. Es wird jedoch immer Zweifel an den Absichten des Iran geben, solange er der IAEO nicht uneingeschränkten Zugang und Befugnisse gewährt, um zu überprüfen, ob die Vorräte noch vorhanden sind und nicht abgezweigt wurden. Die einzige praktikable Lösung, um einen nuklearen Ausbruch des Iran zu verhindern, ist eine diplomatische. Sowohl Jerusalem als auch Washington sollten dies so sehen.

Edwin S. Lyman ist Physiker und Direktor für nukleare Sicherheit bei der Union of Concerned Scientists.

Tritium für Atomwaffen aus „zivilen“ Atomkraftwerken

Das TRIDENT-Vorhaben der französischen Regierung wirft rechtliche Fragen auf

Die gegenseitige Abhängigkeit von ziviler Atomenergie und Atomwaffen als Motivator für die aufwendige Aufrechterhaltung teurer und gefährlicher Atomindustrien ist ein in der energiepolitischen Debatte unterbelichteter Faktor. Eine neue Strategie Frankreichs zur Produktion von Tritium für Atomwaffen, die sich derzeit im Testlauf befindet, wirft Fragen auf.

Die Nutzung von Atomenergie zur Stromproduktion ist eine Technologie, die insbesondere angesichts der Klimakrise und der notwendigen Ausweitung der erneuerbaren Stromerzeugung mit auffällig vielen gravierenden Nachteilen verbunden ist. Dies wirft die Frage auf, warum einige Regierungen so beharrlich an der nuklearen Option festhalten, während AKW entlang der vielen energiepolitischen Kriterien so offensichtlich hinter den Erwartungen zurückbleiben.

Selbst der jüngste Bericht des Generalinspektors für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz der Électricité de France (EDF) teilt diese Diagnose in gewisser Weise. Einzig bei den Risiken und Gegenmaßnahmen wendet er diese zu Gunsten der Atomenergie und zu Ungunsten der erneuerbaren Energien. So stellt Jean Casabianca, ehemaliger Admiral der französischen Marine und nun im Dienste der EDF, fest, dass der Zuwachs an erneuerbarem Strom zu einem nuklearen Sicherheitsrisiko wird. Eine Priorisierung erneu-

erbarer Quellen bedeutet ein häufigeres Hoch- und Runterfahren der Leistung der Atomreaktoren, was „niemals unbedenklich für die Sicherheit, insbesondere die Reaktivitätskontrolle, sowie für die Wartbarkeit, Langlebigkeit und Betriebskosten unserer Anlagen“ ist, so Casabianca. Aus dieser Feststellung, dass AKW nicht in der Lage sind, den aktuellen und zukünftigen Anforderungen entsprechend zu operieren, sollte eigentlich nur eine energiepolitische Forderung abgeleitet werden: zumindest mittelfristig den Ausstieg aus der Atomenergie zugunsten der Erneuerbaren anzustreben. Demgegenüber wird jedoch der Vorschlag gemacht, die Priorisierung der erneuerbaren Energien zu hinterfragen. Dem nominell zwar vorgebrachten Ziel einer klimagerechten und resilienten Energieversorgung kann das Festhalten an der Atomstromproduktion also nicht tatsächlich dienen. Während die Motivation zur Aufrechterhaltung einer Atomindustrie zugunsten ihrer militärischen Funktionen in der energiepolitischen Debatte zumeist ungenannt bleibt, wird dieser Zusammenhang an anderer Stelle durchaus offen ausgesprochen (siehe S. 22f.)

Die Verwicklungen sind nicht nur historisch offenbar, sondern auch brandaktuell. Sie betreffen eine ganze Reihe von Bereichen, wie etwa die Finanzierung nuklearer Militärvorhaben bzw. der Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit von Atomwaffen. Dies ist der Fall, wenn Investitionen in die Atomstromproduktion nur im Sinne der

zivilen Nutzung zu Buche schlagen und die militärische Mitnutzung den jeweiligen Militäretats erspart bleibt. Das Gleiche gilt, wenn die Ausbildung von wissenschaftlichem und technischem Personal im atomaren Sektor explizit so ausgerichtet wird, dass auch der militärische Bedarf an entsprechender Expertise langfristig gedeckt wird. Oder wenn Förderungen sogenannter „Small Modular Reactors“ nominell für zivile Anwendungen betrieben werden, ohne deren mögliche Rolle bei der Weiterentwicklung nuklearer Antriebe für militärische U-Boote zu benennen.

In Frankreich ist die Abhängigkeit von Materialflüssen aus zivilen Reaktoren, wie sie in vielen Atomwaffenstaaten gängige Praxis war und ist, im Fall des regelmäßig zu erneuernden radioaktiven Wasserstoffisotops Tritium, das in Atomwaffen zum Einsatz kommt, von besonderer Aktualität. Denn für die modernen thermonuklearen Waffen, die auch als Wasserstoffbomben bekannt sind, ist Tritium unverzichtbar, da es die Effizienz und Sprengkraft der Waffen erhöht. In diesem Zusammenhang wird Tritium daher auch häufig als „Booster“ bezeichnet. Das sogenannte „Boosting“ verstärkt die nukleare Sprengkraft des auf Kernspaltung beruhenden Primärsprengsatzes, der die intensive Energie erzeugt, die zur Zündung der Fusion des Sekundärsprengsatzes benötigt wird. Aufgrund der Halbwertszeit von 12,3 Jahren nimmt die Menge an Tritium jährlich und unvermeidbar um 5,5 Prozent

DAS FRANZÖSISCHE AKW CIVAUX IN DER REGION NOUVELLE-AQUITAINE

ab. Um einen bestimmten Vorrat für diese Atomwaffen aufrechtzuerhalten, wird Tritium daher kontinuierlich produziert. In der Vergangenheit wurde dies in den USA und Frankreich sowie anderen Atomwaffenstaaten durch die Bestrahlung von Lithium in speziellen militärischen Produktionsreaktoren durchgeführt.

Bereits im März 2024 kündigte das französische Verteidigungsministerium an, nach der Abschaltung seiner Militärreaktoren, die bislang zur Aufrechterhaltung der Tritium-Versorgung betrieben wurden, ein AKW von EDF in Civaux in der Nähe von Poitiers mit seinen zwei Druckwasserreaktoren zur Tritiumproduktion für das nationale Atomwaffenprogramm nutzen zu wollen. Das aktuelle Vorhaben läuft unter dem Projektnamen „TRIDENT“ – Transformation industrielle d’énergie nucléaire en tritium. „Trident“ heißt bezeichnenderweise auch eine Klasse von U-Boot-gestützten ballistischen Interkontinentalraketen. Die Tests zur Umsetzung des Projektes laufen bereits. Reaktorblock 2 befindet sich seit April 2025 für diese Arbeiten in Revision, Block 1 soll im September 2025 folgen.

Als Vorbild dürften die USA gedient haben, deren Geschichte und Gegenwart der Tritium-Herstellung der jüngste „World Nuclear Industry Status Report”5 ausführt. Auch in den Vereinigten Staaten wurde Tritium ursprünglich in rein militärischen Reaktoren erzeugt. 1999 erfolgte die Um-

stellung auf Reaktoren, die ansonsten der kommerziellen Stromproduktion im AKW Watts Bar im Bundesstaat Tennessee dienten. Dort wurden sogenannte Tritiumproduzierende Burnable-Absorber-Rods (TPBARs) in den Reaktorkern eingebracht. Diese enthalten Lithium-Isotope und erzeugen durch Neutronenbestrahlung Tritium. Diese Methode war mit verschiedenen Sicherheits- und Betriebsherausforderungen verbunden. Unter anderem kam es zu unerwartet hohen Tritium-Leckagen in das Kühlwasser des AKW. Über die technischen Details der Tests am AKW Civaux und die entsprechenden Risiken für Umwelt und Gesundheit ist bisher wenig bekannt. Die Erfahrungen aus den USA lassen jedoch aufhorchen, wenngleich von einem Projekt kleineren Umfangs als in Watts Bar auszugehen ist, da Frankreich über eine insgesamt deutlich kleinere Anzahl entsprechender Sprengköpfe verfügt, für die Tritium vorgehalten wird. Bislang ist nur die Testphase durch die französischen Aufsichtsbehörden genehmigt, nicht die langfristige industrielle Serienproduktion.

Doch das TRIDENT-Vorhaben wirft auch rechtliche Fragen auf. EDF und das französische Militär müssen sich im Hinblick auf ihre Nutzungskooperation im Bereich der AKW voraussichtlich auch mit der Frage auseinandersetzen, ob Uran aus Australien oder Kanada für die Produktion von Tritium für Atomwaffen verwendet werden darf. Beide Länder haben den Export auf zivile Zwecke beschränkt.

„Ob die indirekte Nutzung von Uran zu militärischen Zwecken mit den Verpflichtungen zur friedlichen Verwendung von Ländern wie Australien oder Kanada zu vereinbaren ist oder nicht, ist eine komplexe Frage internationalen Rechts“, so der Atompolitikberater Mycle Schneider.

Sollten die französischen Behörden zu dem Schluss kommen, dass dies nicht zulässig ist, hätte dies Einschränkungen für die Herkunft des in Civaux verwendeten Uranbrennstoffs zur Folge. Grundsätzlich sind diese Fragen jedoch nicht rein juristisch, sondern auch vor dem Hintergrund ihrer weitreichenden technischen und politischen Pfadabhängigkeiten zu betrachten – nicht zuletzt im Zusammenhang der Debatte um eine mögliche Europäisierung der französischen Atomwaffenarsenale (siehe S. 28f.). Schließlich ist das „TRIDENT“-Programm langfristig angelegt und würde im Falle seiner Umsetzung auch zukünftig eine Co-Abhängigkeit „ziviler“ AKW und der Strategie der nuklearen Abschreckung untermauern.

Quellen zu diesem Artikel unter: ippnw.de/bit/tritium

Patrick Schukalla ist IPPNWReferent für Atomausstieg, Energiewende und Klima.

Der Ruf nach der Eurobombe

Wo nukleare Infrastruktur ausgebaut wird, erhöht sich die Gefahr eines tatsächlichen Atomwaffeneinsatzes

Der russische Angriff auf die Ukraine und die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten löste bei vielen Menschen in Deutschland die Besorgnis aus, dass Europa plötzlich ohne die erweiterte amerikanische Abschreckung dastehen könnte. Anstatt über alternative Sicherheitsmodelle zu sprechen und die Notwendigkeit von allgemeiner nuklearer Abrüstung hervorzuheben, überwog der Ruf danach, die nukleare Abschreckung unbedingt aufrechtzuerhalten und das 2020 vom französischen Präsidenten Macron geäußerte Angebot zu einem „strategischen Dialog“ anzunehmen. Weiter angefacht wurden diese Diskussionen im Frühjahr, als Friedrich Merz als neuer deutscher Bundeskanzler das Gesprächsangebot aufgriff.

Vor allem die öffentliche Debatte ging dabei jedoch oft weit über das tatsächliche französische Angebot hinaus. Zunächst hatte Macron lediglich einen Dialog angeboten, Partnerstaaten sollten ein besseres Verständnis für die französische Nukleardoktrin und mögliche Einsatzszenarien entwickeln. Zudem bestand die Einladung, an den Atomwaffenübungen teilzunehmen.

Dieser erste Schritt ging im deutschen Diskurs beinahe unter, die meisten Kommentare dachten bereits weiter und skizzierten etwa mögliche Teilhabemodelle. Ein „strategischer Dialog“ ist davon noch weit entfernt – doch als erster Schritt auf einem langen Weg der militärischen und politischen Zusammenarbeit nicht zu unterschätzen. Gerade, da Frankreich bislang nicht einmal Teil der nuklearen Planungsgruppe der NATO ist. Ein Signal für Frankreichs Bereitschaft, seine Abschreckung europäisch auszurichten, ist die sogenannten „Northwood Declaration“ vom 10. Juli 2025. In dieser verkündeten Macron und der britische Premierminister Keir Starmer, dass ihre beiden Länder ihre Nuklearpolitik künftig eng koordinieren wollen. Zwar bleibt die Kontrolle über die jeweiligen Arsenale national verankert, doch die gemeinsame Erklärung sagt deutlich, dass eine existenzielle Bedrohung Europas automatisch auch eine Bedrohung für Frankreich und Großbritannien wäre –und damit eine nukleare Antwort nach sich ziehen könnte. Aus diesem Grund soll eine neu eingerichtete „UK-France Nuclear Steering Group“ die Nukleardoktrinen und Einsatzpläne für Atom-

waffen enger zusammenbringen und miteinander abstimmen. Für die deutsche Diskussion ändert sich damit zwar unmittelbar wenig. Doch die Erklärung verdeutlicht, dass die beiden Länder grundsätzlich bereit sind die Diskussion um eine Europäisierung der nuklearen Abschreckung weiterzuführen.

Der „strategische Dialog“ ist also angelaufen. Aus französischen Fachkreisen wurde zusätzlich angeregt, dass die Verbündeten die französischen Atomstreitkräfte unterstützen sollten. Hier wurde diskutiert, ob beispielsweise Deutschland Luftwaffenstützpunkte ausbauen sollte, um Rafale-Kampfjets, die französischen Atombomber, aufnehmen zu können – temporär oder sogar dauerhaft. Eine Art französische nukleare Teilhabe nach Vorbild der NATO ist aber nach wie vor nicht geplant. Polen hatte zwar einen entsprechenden Wunsch geäußert, doch französische Expert*innen sprechen sich nach wie vor gegen ein solches Modell aus. Wenigstens solange die derzeitige Teilhabe mit den USA Bestand hat. Auch Liviu Horovitz und Claudia Major schreiben in Internationale Politik im Juni 2025, dass „keiner der Vorschläge erkennen [lässt], dass Frankreich eine Ersatzrolle für die USA übernehmen will.“

Gegen ein Teilhabemodell spricht auch, dass das französische Atomwaffenarsenal derzeit in keiner Form auf eine erweiterte Abschreckung ausgelegt ist. Selbst derzeit diskutierte, weniger weitreichende Pläne müssen mit einer Aufrüstung einhergehen. Und dass, obwohl alle Atomwaffenstaaten bereits jetzt ihre Arsenale aufrüsten und modernisieren und damit bereits jetzt massive Kritik vieler Nichtatomwaffenstaaten ernten. Denn laut dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) sind die Atomwaffenstaaten verpflichtet, in ernsthafte Abrüstungsgespräche einzusteigen anstatt immer weiter aufzurüsten.

Ein weiterer Punkt, der in der deutschen Diskussion oft fehlt, sind die Finanzen. Macron machte mehrmals deutlich, dass die Kosten für die nukleare Aufrüstung nicht von Frankreich getragen werden. Neue Atomwaffen und Trägersysteme müssten also jene Staaten zahlen, die unter einem französischen Atomschirm stehen möchten. Im Hinblick auf die Kostenverteilung zeigt sich eine deutliche Parallele zum zivilen Atomsektor Frankreichs, des-

PROTEST GEGEN DIE IN BÜCHEL STATIONIERTEN ATOMWAFFEN, 2019

sen Förderung maßgeblich auch dem Erhalt und der Erneuerung der französischen Atomwaffen dient (siehe S. 24 f.). So hat die französische Regierung in den vergangenen Jahren weitreichende Anstrengungen unternommen, um die Kosten ihrer Atomindustrie auf europäischer Ebene subventionieren lassen zu können.

In Deutschland wird derzeit der Luftwaffenstützpunkt in Büchel, auf welchem die US-amerikanischen Atomwaffen im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO stationiert sind, für neue F35-Bomber und B61-12 Bomben modernisiert. Im Juli gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass dieser Umbau nicht wie ursprünglich geplant 700 Millionen Euro, sondern über zwei Milliarden kosten wird. Die F35-Jets muss ebenfalls Deutschland bezahlen, für 35 Maschinen knapp zehn Milliarden Euro. Auch der Umbau eines französischen Flugplatzes zum Atomwaffenstützpunkt wurde jüngst vom französischen Verteidigungsministerium mit 1,5 Milliarden veranschlagt. Kosten in derartiger Höhe sind also keine Ausnahme, sondern die Regel. Und das sind nur die Kosten für einen einzigen Stützpunkt und ohne Gelder für die Entwicklung und Produktion der Waffen, die nach Macron ebenfalls von den interessierten Staaten getragen werden müssten. Sollte Deutschland sich tatsächlich an einer europäischen Abschreckung durch Frankreich beteiligen wollen, würde das weitere Milliarden Haushaltsmittel verschlingen. Milliarden, die in anderen Bereichen wie dem Gesundheitssystem, dem Bildungssektor oder auch in den Sozialkassen dringend gebraucht werden.

Während in der öffentlichen Diskussion also ein französisches Teilhabemodell meist als Ersatz für die nukleare Teilhabe der NATO besprochen wird, gilt dieses Szenario in Fachkreisen als wenig realistisch. Stattdessen sollen europäische Staaten Frankreichs Force de Frappe unterstützen und somit letztlich die nukleare Infrastruktur ausbauen – für eine vermeintlich noch engmaschigere Abschreckung. All diese Debatten und Szenarien werden jedoch nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bringen. Wo nukleare Infrastruktur ausgebaut und Strukturen gedoppelt werden, da erhöht sich auch die Gefahr, dass Atomwaffen tatsächlich wieder eingesetzt werden. Nicht nur, aber auch, weil Russland diese Entwicklungen nicht ignorieren, sondern mit eigener Aufrüstung

darauf reagieren wird. Derzeit ist noch nicht bekannt, dass tatsächlich Atomwaffen nach Belarus verlegt wurden. Doch sollten französische Atombomber weiter im Osten, in Deutschland oder sogar Polen stationiert werden, dann dürfte das wieder eine Option werden. Und Europa wäre in einer noch schlechteren Position, dies zu verurteilen. Glaubwürdig gegen die Lagerung russischer Atomwaffen in Belarus argumentieren können die Mitglieder der NATO, vor allem Deutschland und die anderen Teilhabestaaten, ohnehin erst, wenn die US-amerikanischen Atomwaffen aus Europa abgezogen sind.

Anstatt also über die Unterstützung der französischen Atomstreitkräfte und die engere Kooperation zwischen einigen europäischen Staaten bei der nuklearen Abschreckung zu diskutieren, sollten diese Staaten sich deutlicher für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung einsetzen. Eine öffentliche Diskussion, die den Iran und Belarus für ihre nuklearen Ambitionen verurteilt, während über eine mögliche nukleare Latenz in Deutschland und eine nukleare Teilhabe mit Frankreich gesprochen wird, ist heuchlerisch. Eine Fachdiskussion, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Frankreich debattiert, um „die Erfolgschancen der französischen Nuklearoptionen [zu] verbessern und so die kollektive Widerstandsfähigkeit [zu] stärken“ (Horovitz und Major 2025) ohne die katastrophalen humanitären Folgen dieser Nuklearoptionen zu thematisieren, ist gefährlich. Denn sie normalisiert nicht nur Atomwaffen an sich, sondern in der Konsequenz auch ihren Einsatz. Ein Atomkrieg zwischen Frankreich und Russland würde sich „auf das Territorium der dazwischenliegenden Staaten verlagern“, das erkennen auch Horowitz und Major an. Der Atomkrieg würde in Deutschland geführt.

Juliane Hauschulz ist Referentin der IPPNW für nukleare Abrüstung.

IPPNW-Weltkongress in Nagasaki

Die letzte Stadt, auf die eine Atombombe abgeworfen wurde

Unter dem Motto „Eine Welt ohne Atomwaffen – Nagasaki als letzte Stadt, die mit einer Atombombe angegriffen wurde“ findet vom 2.-4. Oktober 2025 der 24. IPPNW-Weltkongress in Nagasaki statt: 36 Jahre, nachdem er zuletzt 1989 dort abgehalten wurde. In diesem Jahr jähren sich die US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 80. Mal. Die Folgen der Strahlung der Atombomben beeinträchtigen das Leben der Opfer bis heute. „Die überlebenden Opfer der Bombenangriffe werden immer älter, ihr Durchschnittsalter liegt mittlerweile bei über 85 Jahren“, schreibt der Kongresspräsident Kichiro Matsumoto. Ende März 2024 habe es weniger als 110.000 Überlebende gegeben und eine Analyse zeige, dass in den letzten zehn Jahren durchschnittlich 8.600 Opfer der Atombomben pro Jahr verstorben seien. Matsumoto denkt, dass dieser Weltkongress die letzte Gelegenheit sein wird, direkt von den Opfern der Atombombe über ihre leidvollen Erfahrungen nach den Bombenabwürfen zu hören.

Das Programm des Weltkongresses umfasst nicht nur einen Rückblick auf die letzten 80 Jahre und Vorträge von Opfern der Atombombe, sondern bringt auch vier mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisationen zusammen: die Japanische Vereinigung der Opferorganisatio -

nen „Nihon Hidankyo“, die 2024 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, die IPPNW, Pugwash und ICAN.

Die japanische Sektion erwartet etwa 300 Teilnehmer*innen zum IPPNWWeltkongress. Darunter eine große Delegation der deutschen IPPNW-Sektion, die mit etwa 30 Teilnehmer*innen nach Japan fährt. Wir planen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zum Kongress, die den Bogen schlagen soll von den Jahrestagen der Atombombenabwürfe zum Kongress in Japan. So werden wir beispielsweise lokalen Zeitungen Interviews oder Porträts von den Reiseteilnehmer*innen anbieten. Aus Mainz hat ein SWR-Team Interesse, mit IPPNW-Mitglied Ute Wellstein zum Kongress zu reisen und darüber zu berichten.

Vertreter*innen der europäischen IPPNW – darunter die deutsche IPPNW-Sektion – haben zwei Workshops eingebracht. Unter dem Titel „Den Bann der nuklearen Abschreckung brechen: Eine Fallstudie zu Europa” soll die Debatte um eine „Eurobombe“ aufgegriffen und thematisiert werden. In dem anderen Workshop „Stärkung der IPPNW und der breiteren Abrüstungsbewegung” wollen wir überlegen, wie wir durch generationsübergreifende und intersektionelle Arbeit eine stärkere und größere Anti-Atomwaffen-Bewegung schaffen können. Wichtig ist uns dabei die

Perspektive der europäischen IPPNW-Studierenden. Das Bildungsprojekt „Medical Peace Work“ könnte als übergreifendes Bildungsinstrument zum Aufbau neuer Partnerorganisationen dienen.

Bereits im Vorfeld – vom 20.-28. September 2025 – findet eine Studierenden-Biketour vom Atombomben-Dom in Hiroshima zum Friedenspark in Nagasaki statt (ungefähr 480 Kilometer). Etwa 25 Studierende nehmen teil, darunter acht Teilnehmer*innen aus Deutschland. Anschließend treffen sich die Studierenden dann am 1. Oktober zum internationalen IPPNW-Studierendenkongress.

Mehr Informationen unter: www.congre.co.jp / ippnw2025

Angelika Wilmen ist Geschäftsstellenleiterin und IPPNW-Referentin für Frieden.

NAGASAKI

BIELEFELD

Hiroshima & Nagasaki

80 Jahre: Bundesweites Gedenken an Atomwaffeneinsätze

IMÜNCHEN

n ganz Deutschland kamen rund um den 6. und 9. August Menschen zusammen, um an die US-Atomwaffenangriiffe zu erinnern und sich für eine atomwaffenfreie Welt stark zu machen. Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen und Aktionen fanden in vielen Städten mit IPPNW-Beteiligung statt. In über zehn Städten war die IPPNW-Ausstellung „Hiroshima, Nagasaki“ zu sehen. Die Bielefelder Friedensini war mit einer „Die-in“-Aktion und einem Infostand in der Fußgängerzone präsent. Essener Friedensaktivist*innen veranstalteten einen Trauerzug, um der Opfer der Atomwaffenangriffe zu gedenken. In Aachen wurde der neue Hiroshimaplatz an der Citykirche feierlich eingeweiht. In ihrer Rede rief PPNW-Mitglied Dr. Odette Klepper zur Unterstützung des Atomwaffenverbots auf. Siehe S. 10f. im Forum intern.

ESSEN
Foto: Georg Lukas

Im Räderwerk der Atommafia

Maureen Kearneys Geschichte lässt niemanden gleichgültig. Vor 20 Jahren trat sie der französischen Gewerkschaft CFDT bei und wurde Vorsitzende des Konzernbetriebsrats von Areva.

Im französischen Wahlkampf 2012, in dem der Sozialist François Hollande gegen Nicolas Sarkozy antrat, bekam die Gewerkschaft geheime Unterlagen zugespielt, aus denen hervorging, dass EDF schon seit längerer Zeit einen Deal mit China verhandelte und dabei Atomtechnologie von Areva anbot. Bloß, bei Areva wusste man bis dahin nichts davon. Der Konzernbetriebsrat beschloss, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen. Maureen Kearney schrieb Abgeordnete an, gab Interviews und stellte bohrende Fragen. War die Regierung informiert? Was würde aus den Arbeitsplätzen bei Areva werden?

Hollande gewann die Wahl, doch die Geheimverhandlungen mit China gingen weiter. Kearney wurde vom neuen Areva-Chef Oursel gemobbt, weil sie beharrlich Auskünfte verlangte. Der Konzernbetriebsrat beschloss schließlich, die Herausgabe geheimer Dokumente gerichtlich zu erzwingen. Das ist die Lage, in der Kearney Opfer eines schockierenden Verbrechens wurde. Allein in ihrem Haus wurde sie am 17. Dezember 2012 von einem Unbekannten überfallen, sexuell misshandelt und verletzt.

In der Folge erlebte sie medizinische Untersuchungen, polizeiliche Verhöre, Nachstellungen des Geschehens, Zweifel an ihrer Darstellung. Den tiefsten Punkt des Abgrunds erreichte sie, als sie tatsächlich wegen Vortäuschung des Geschehens und Irreführung der Ermittlungen verurteilt wurde. Diese Gerichtsverhandlung war gleichzeitig die Geburtsstunde des Buchs. Caroline Michel-Aguirre, die den Prozess beobachtete, war über das Verhalten der Vorsitzenden Richterin so empört, dass sie beschloss, das Thema zu recherchieren und alles niederzuschreiben.

Ein Jahr später erschien das Buch „La Syndicaliste“ in Frankreich, 2022 dann der Film mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle. Michel-Aguirre beschreibt die Akteure und ihren Werdegang, erklärt Zusammenhänge, Handlungsmotive, Wechselwirkungen. Wir lernen den von Robert Jungk beschriebenen Atomstaat in seiner französischen Konkretion kennen.

Caroline Michel-Aguirre: „Die Gewerkschafterin – Im Räderwerk der Atommafia, übersetzt von Eva Stegen, 224 S., 22,- €, Edition Einwurf, Rastede 2025, ISBN 978-3-89684-727-0

Detlev zum Winkel

Wissen für die Westentasche

Till Bastian hat in einem Büchlein die Geschichte der Atombombe zusammengefasst: Von der ersten Entdeckung der „X-Strahlen“ durch Wilhelm Röntgen 1895 bis zum heutigen Kampf um die Umsetzung des UN-Atomwaffenverbots.

Vor 80 Jahren, am 16. Juli 1945, wurde in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe, „Trinity“ gezündet –die zweite und dritte Bombe töteten in Japan Hunderttausende. Seither hat der atomare Wahnwitz die Menschheit fest im Griff, und die Gefahr unserer Selbstvernichtung ist größer denn je. Wie es Albert Einstein formulierte: „Die entfesselte Kraft des Atoms hat alles verändert – nur nicht unsere Denkweise.“

IPPNW-Mitglied Till Bastian schildert anschaulich die Entwicklungen und die Akteure des „Manhattan Project“ – und berichtet über die damaligen Initiativen kritischer Physiker wie Albert Einstein und Leó Szilárd, die im Frühjahr 1945 versuchten, die Fertigstellung der Atombombe zu stoppen, jedoch mit ihrer Warnung nicht durchdrangen. Auch die Wissenschaftler im faschistischen Deutschland hatten schon früh gewusst, dass der Bau einer Atombombe möglich war – zu einer Umsetzung war es aber nicht gekommen. Man hielt den Bau für zu aufwendig und zu langwierig.

Auch Neueinsteiger*innen in die Thematik kann dieser Band einen guten Einblick in die Abgründe der Atompolitik geben. Der Text dieses Essays beruht auf der Broschüre „Wahnwitz Atomkraft“, die Bastian anlässlich des 50. Jahrestages von Hiroshima und Nagasaki 1995 für die IPPNW geschrieben hatte.

Till Bastian ist Arzt und Schriftsteller, ehemaliger Geschäftsführer und langjähriges Vorstandsmitglied der IPPNW.

Till Bastian: 1945 – 2025: Über die Geschichte der Atombombe und die durch sie ermöglichte Selbstvernichtung der Menschheit. 58 S., 10- €, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2025, Hardcover, ISBN: 978-3-690-95036-7

Regine Ratke

Akzente Türkei

2025

Reisebericht des Arbeitskreises Menschenrechte Türkei, der im März die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei besucht hat. 28 Seiten A4, 5,- Euro zzgl. Portokosten. Bestellen unter: shop.ippnw.de

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„Risiken und Nebenwirkungen der Militarisierung des Gesundheitswesens“: Eine Argumentationshilfe zeigt sechs zentrale Punkte auf, warum das Gesundheitssystem zivil bleiben muss.

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GEPLANT

Das nächste Heft erscheint im Dezember 2025. Das Schwerpunktthema ist:

Flucht und Asyl

Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 184 /Dezember 2025 ist der 31. Oktober 2025. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de

IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS

Herausgeber: Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland Redaktion: Dr. Lars Pohlmeier (V.i.S.d.P.), Angelika Wilmen, Regine Ratke

Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Frankfurter Allee 3, 10247 Berlin, Tel.: 030 6980 74 0, Fax 030 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de, www.ippnw.de, Bankverbindung: GLS Gemeinschaftsbank

IBAN: DE 23 4306 0967 1159 3251 01, BIC: GENODEM1GLS

Das Forum erscheint viermal jährlich. Der Bezugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers. Nach-

drucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung. Redaktionsschluss für das nächste Heft: 31. Oktober 2025

Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout: Regine Ratke

Druck: DDL Berlin Papier: Circle Offset, Recycling & FSC.

Bildnachweise: Collage Titelbild: Kühltürme von Alexandre Loureiro / pexels.com – Atompilz von Adobe Firefly; S. 7 Mitte: David Hume Kennerly, US National Archives and Records Administration. Nicht gekennzeichnete Fotos: privat oder IPPNW.

SEPTEMBER

27.9. „All Eyes on Gaza“ Kundgebung und Konzert in Berlin

OKTOBER

2 – 4.10. IPPNW-Weltkongress in Nagasaki, Japan

3.10. Bundesweite Demonstrationen „Nie wieder kriegstüchtig! Steht auf für Frieden“ in Berlin und Stuttgart, friedensdemo0310.org

7.-11.10. Uranium Filmfest in Berlin

9.10. „Silent Fallout“: Filmvorführung und Paneldiskussion mit Regisseur Hideaki Ito in Berlin

18.10. Bundesweite Atommüllkonferenz in Göttingen

23.10. Ärzte für den Krieg? Vortrag von Ute Rippel-Lau in Emden

29.10. Kriegstüchtiges Gesundheitswesen – Was bedeutet das für uns? Diskussion mit Ute Rippel-Lau in Göttingen

4.11. online – Studienergebnisse zu Niedrigstrahlenschäden bei Menschen rund um Atomanlagen, Atomwaffentestgebiete, Fukushima, Tschernobyl und Uranminen – Dr. Alex Rosen

15.11. 80 Jahre Vereinte Nationen: Tagung in Landsberg/Lech

18.11. online – Biologische Grundlagen und Epidemiologie von Gesundheitsschäden durch ionisierende Niedrigstrahlung –Prof. Dr. med. Alfred Böcking

25.11. online – Neues aus der Epidemiologie der Gesundheitsrisiken durch niedrige Strahlendosen – Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann

Weitere Informationen unter: www.ippnw.de/termine

Fukushima-Kongress

1Norbert und Márcia, herzlichen Glückwunsch – im März 2025 haben Sie für das Uranium Film Festival den Nuclear Free Future Award in der Kategorie Bildung entgegengenommen... Der Nuclear-Free Future Award ist für uns eine Ehre und eine Verpflichtung, das fortzusetzen, was wir 2010 begonnen haben: unabhängige Aufklärung über atomare Gefahren über Film. Die Etablierung des Uranium Film Festivals war keine leichte Aufgabe, es war und ist immer ein schier endloses Schwimmen gegen den Strom. Es sind vor allem die Filmemacher aus aller Welt, die an uns glauben, ihre Filme einreichen und oft auf eigene Kosten zu unserem Festival reisen und die uns die Kraft geben, weiterzumachen.

2

Was ist das Ziel des Uranium Filmfests? Die atomare Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki, die Reaktorunfälle von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, die Opfer des Uranabbaus, der Atomtests und der gesamten atomaren Kette nicht vergessen lassen. Es gibt Lobbys, die der Öffentlichkeit die Atomkraft heute als Klimaschutz verkaufen, aber dessen Risiken verschweigen oder verdrängen. Das Uranium Film Festival hingegen hält dagegen und informiert über die Risiken und Nebenwirkungen. Dann haben wir auch noch den radioaktiven Abfall, der noch für Jahrtausende strahlen wird und nicht so einfach unter den Teppich gekehrt werden darf. Wohin damit? Auch damit beschäftigen sich die Filme des Festivals genauso wie mit den „alltäglichen“ Gefahren von Radioaktivität. Aufklärung und neue Akzente setzen für eine Welt ohne Krieg und atomare Gefahren – darum geht’s.

3Wie haben Sie dieses Jahr in Rio an die 80. Jahrestage von Hiroshima und Nagasaki erinnert? Indem wir neue, ausgezeichnete Film dazu zeigten. Aber nicht nur dies: Wir haben zusätzlich die von den Städten Hiroshima und Nagasaki erstellte und gestiftete „Hiroshima-Nagasaki Atomic Bomb Photo Poster Ausstellung“ nach Rio gebracht, die wir auch in Berlin präsentieren möchten. Aber das besondere Highlight war die Aufführung einer für das Uranium Film Festival kreierten und den Opfern von Hiroshima und Nagasaki gewidmeten Tanzperformance von 26 Schüler*innen der staatlichen FAETEC-Schule Adolpho Bloch.

6 Fragen an

Norbert Suchanek und Márcia Gomes de Oliveira

International Uranium Fil m Festiva l Rio/Berlin

Die sensible und zugleich kraftvolle Performance mit dem Titel „Die Bombe, die fällt, die Hoffnung, die bleibt“ begeisterte ein Publikum von mehr als 200 Menschen auf dem Vorplatz des Museums für Moderne Kunst in Rio.

4

Das Filmfestival in Berlin steht bevor. Thema sind auch die AKWs Tschernobyl und Saporischschja… Wir zeigen eine packende Dokumentation von Reinhard Brüning über Atomkraftwerke im Krieg. Er hat unter anderem geflüchtete Kraftwerksmitarbeiter interviewt, die von der desolaten Lage im besetzten AKW Saporischschja berichten. Sehr bewegend ist auch ein Film von Emi Dietrich mit überlebenden Liquidatoren von Tschernobyl.

5Im

Oktober 2025 ist auch der japanische Filmemacher Hideaki Ito mit seinem Film „Silent Fallout“ zu Gast in Berlin. Was hat Sie an seinem Film am meisten beeindruckt? Die Milchzähne, die zeigen, dass viele Kinder in den USA durch die Atombombentests radioaktiv kontaminiert wurden. Außerdem macht der Film deutlich, dass nicht nur Indigene Opfer dieser von US-Wissenschaftlern durchgeführten Atomexplosionen wurden, sondern auch die amerikanische Mittel- und Oberklasse fernab der Testgebiete.

6

Was ist für Sie die größte Herausforderung des Festivals? Spenden und finanzielle Unterstützung. Der großartige Filmregisseur Orson Welles bekannte einst: „Ich habe den größten Teil meines Lebens mit der Suche nach Finanzierung vergeudet. Einen Film zu produzieren besteht zu zwei Prozent aus Filmemachen und zu achtundneunzig Prozent aus der Suche nach finanzieller Unterstützung.“ Dasselbe gilt für ein Filmfestival wie unseres. Das ist die schwierigste Herausforderung, Menschen davon zu überzeugen, für etwas zu spenden, das unbequem und schwer zu vermitteln ist. Mit etwas mehr Finanzierung könnten wir aber noch viel mehr Publikum erreichen und mehr Filmemacher für das Thema gewinnen. Nur zehn Euro von allen, die sich gegen Atomwaffen und Atomindustrie aussprechen, würde dem Festival einen gewaltigen Schub geben. Mehr Infos: uraniumfilmfestival.org

80 Jahre Vereinte Nationen:

Das Wirken der NGOs für eine friedliche, gerechte und solidarische Welt

Samstag, 15. November 2025

18.30 – 21.00 Uhr

Gemeindehaus der evang. Christuskirche

86899 Landsberg am Lech

Mehr unter: ippnw.de/ termine

9. Oktober 2025 : „Silent Fallout“: Filmvorführung und Diskussion im ACUD Kino Berlin

SOLIDARITÄTSKUNDGEBUNG

SAMSTAG, 27. SEPTEMBER 2025

VOR DEM BUNDESTAG, BERLIN

Ein künstlerisches Zeichen für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel setzen u. a.: K. I. Z.

Pashanim

Ebow

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IPPNW-Forum 183/September 2025 by IPPNW - Issuu