INSEL MAGAZIN 2/24 Frauengesundheit

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Wie antwortet Nicole Loeb?

Typisch Frau!

Warum es eine geschlechtsspezifische Medizin braucht 10

Für ein gesundes Leben

Zwillingsgeburten

Grosse medizinische Fortschritte

Endometriose Sensibilisierung ist wichtig

Gesund essen Neue Rezepte von Spitzenköchin Aline Born

Was ist Endometriose?

Endometriose ist eine häufige Unterleibserkrankung bei Frauen. Sie ist oft mit starken Schmerzen verbunden und kann zu Unfruchtbarkeit führen. Rund jede zehnte gebärfähige Frau leidet daran.

Dabei bilden sich ausserhalb der Gebärmutterhöhle Ansammlungen von Gebärmutterschleimhaut, sogenannte Endometrioseherde. Dies geschieht vermutlich, wenn während der Periode Menstruationsblut über die Eileiter in den Bauchraum gelangt. Dort können sich Zellen der Gebärmutterschleimhaut einnisten und heranwachsen, weil sie nicht über die Scheide abfliessen. Die Folge sind Entzündungen, Verklebungen, Vernarbungen oder Zysten.

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Sprachen: D/E/F

Typisch für eine Endometriose sind Unterleibsschmerzen, die im Verlauf der Periode zunehmen. Eine Diagnose ist oft nicht ganz einfach. Eine individuelle Therapie ist wichtig. Neben der medikamentösen Schmerzbehandlung kann eine hormonelle Therapie Erfolg bringen. Endometrioseherde lassen sich auch operativ entfernen. Ergänzend können Akupunktur, Physiotherapie, Sport, eine Umstellung der Ernährung und psychosomatische Betreuung helfen.

Frauenmedizin

Prof. Dr. med. Daniel Surbek, Geschäftsführender CoKlinikdirektor und Chefarzt Geburtshilfe und fetomaternale Medizin

Gene, Hormone, Immunsystem: Bei Frauen ist vieles anders als bei Männern. Je nach Geschlecht sind wir anders von Krankheiten betroffen. Dazu kommen Themen wie Schwangerschaft und Geburt. Deshalb ist eine spezifische Frauenmedizin wichtig. Die Frauenklinik des Inselspitals bietet das ganze Spektrum der Frauenmedizin für jede Lebensphase. Viele spezialisierte Zentren stellen eine umfassende Betreuung sicher.

Die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau sind auch in der Medizin entscheidend. Das Inselspital hat deshalb schon früh viel Wert auf eine spezifische Behandlung der Frauen gelegt. Heute dürfen wir mit Stolz sagen, dass die Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Inselspitals Bern ein führendes, international anerkanntes medizinisches Zentrum für Frauenheilkunde ist.

Zu unseren frauenspezifischen Angeboten gehören die allgemeine Gynäkologie mit dem Zentrum für Urogynäkologie, das Endometriosezentrum und das Dysplasiezentrum, in dem Zellveränderungen am Gebärmutterhals, am Muttermund, an der Vagina und Vulva untersucht werden. Das gynäkologische Krebszentrum, das Brustzentrum, die sexualmedizinische Sprechstunde, die Jugend­ und

Kindergynäkologie und das Zentrum für sexuelle Gesundheit ergänzen das Spektrum.

Im Bereich Geburtshilfe und feto ­maternale Medizin bieten Ärztinnen gemeinsam mit Hebammen eine allgemeine Schwangerschaftssprechstunde an. Daneben gibt es ein Zentrum für Risikoschwangerschaften – beispielsweise für Frauen mit Diabetes oder Zwillingen. Neu bieten wir Spezialsprechstunden für schwangere Frauen mit Herzkrankheiten, neurologischen Erkrankungen und rheumatologischen Krankheiten an. Im Zentrum für Ultraschall und Pränataldiagnostik werden alle Screening­Untersuchungen in der Schwangerschaft wie auch spezialisierte Untersuchungen des ungeborenen Kindes durchgeführt – bei Bedarf in enger Zusammenarbeit mit der Kinderklinik und der Klinik für Humangenetik.

Jährlich über 2000 Geburten

Die Frauenklinik verfügt über die grösste Geburtsstation des Kantons Bern und der umliegenden Kantone. Unser Team von Hebammen und Ärztinnen betreut jährlich über 2000 Frauen und deren Kinder bei der Geburt – von natürlichen Geburten bis hin zur Risikogeburt. Rund um die Uhr ist auch eine Spezialärztin für Neonatologie in der Frauenklinik anwesend, die sich – wenn nötig – um das Neugeborene kümmert. Ein besonderes Angebot der Klinik sind die hebammengeleiteten Geburten und die Beleghebammen, welche die Frauen während der Schwangerschaft und während der Geburt im Inselspital selbstständig betreuen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Im Bereich der Reproduktionsmedizin und der Endokrinologie verfügt das Inselspital über ein Kinderwunschzentrum, ein IVF/ Andologielabor zur Gefrierkonservierung von Gewebe, Eizellen und Spermien im Rahmen der künstlichen Befruchtung sowie ein Menopausenzentrum.

Durch die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Frauenklinik und mit anderen spezialisierten Kliniken des Inselspitals bietet die Frauenklinik eine optimale Betreuung für die Vorsorge und Behandlung bei allen frauenmedizinischen Themen. Dank der schweizweit führenden klinischen Forschung und Entwicklung in der Frauenklinik können Frauen von den neusten Präventionsund Behandlungsmethoden profitieren.

Menopause Mehr als nur Hitzewallungen

Reportage

Selten sind sich Angst und Glück so nahe

Moderne Reproduktionsmedizin

Den Kinderwunsch

«auf Eis legen»

Wandertipp Der Römerweg bei Laupen

Die Zahl

4,4 Mio.

So viele Frauen lebten am 31. Dezember 2023 in der Schweiz. Die Zahl der Männer liegt bei 4,3 Mio.

Der feine

Unterschied

Die Frauenheilkunde oder Frauenmedizin ist ein Teilgebiet der Humanmedizin. Der Begriff umfasst sowohl die Gynäkologie als auch die Geburtshilfe und die Reproduktionsmedizin. Die Gendermedizin (geschlechtersensible Medizin) dagegen konzentriert sich auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dabei geht es um geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten.

Inhalt

2 Leserfrage

3 Editorial

4 Inhaltsverzeichnis / In Kürze

Fokus Frauenmedizin

6 Grundlagen Frauenmedizin

12 Facts & Figures

14 Interview mit Annette Kuhn: Was ist eine Frau?

16 Reportage: Glück und Angst im Doppelpack bei Dina Hediger

20 Porträt: Sara Del Biaggio, Mutter von Lio und Naele

22 Das sagt die Forschung

Gesundheit

24 Menopause

28 Endometriose und HPV: Sensibilisierung ist wichtig

30 Den Kinderwunsch «auf Eis legen»

32 Sexualisierte Gewalt gegen Frauen

34 Das neue Marie-Colinet-Haus

Aus dem Leben

36 Wandertipp: der Römerweg in Laupen

40 Gesund essen: Rezepte von Aline Born

44 10 Fragen an Unternehmerin Nicole Loeb

46 Das preisgekrönte Programm strong@work

48 Gesagt: Zitate zum Thema Frau

49 Kolumne von Andrea Zryd

50 Impressum und Vorschau Das Zitat

«Du definierst Schönheit selbst. Es ist nicht die Gesellschaft, die deine Schönheit definiert.»

Lady Gaga (geb. 1986), US ­amerikanische Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin

Titelbild: Dina Hediger engagiert sich mit ihrer Organisation für das Thema Frühgeburt. Ihre Zwillinge kamen 14 Wochen zu früh zur Welt und sind heute kerngesund.

20

Pränatal

So rettete eine Operation das Leben von Lio und Naele

44 Nicole Loeb «Intuition ist typisch weiblich»

46 «strong@work» Wie Mitarbeitende gestärkt werden

Fokus Frauenmedizin

Typisch Frau!

Die Körper von Männern und Frauen sind unterschiedlich –das ist für die Diagnostik und für die Behandlung von Krankheiten sowie für die Entwicklung von Medikamenten entscheidend.

Denn je nach Geschlecht sind wir anders von Krankheiten betroffen. In der Frauenmedizin hat sich in den letzten Jahren viel getan.

Text: Thorsten Kaletsch

Es gibt biologische Unterschiede, die augenfällig sind: Frauen haben im Vergleich zu Männern eine geringere Körpergrösse, weniger Muskelmasse und einen höheren Fettanteil. Noch wichtiger sind aber genetische Unterschiede, die sich nicht auf den ersten Blick zeigen: Frauen haben zwei X­ Chromosomen, Männer ein X­ und ein Y­ Chromosom. Das betrifft jede einzelne Zelle und hat weitreichende Folgen. Auf einem X­ Chromosom liegen mehr als 1000 Gene, auf einem Y­ Chromosom weniger als 100. Deshalb leiden Männer häufiger an Erbkrankheiten. Und weil die Rezeptoren auf der Zelloberfläche unterschiedlich stark auf Medikamente ansprechen, brauchen Frauen im Schnitt doppelt so lang, um Medikamente abzubauen.

Das bessere Immunsystem

Auch die Geschlechtshormone haben einen Einfluss auf die Gesundheit. Das weibliche Östrogen stärkt das Immunsystem und

«Um den höchsten Gesundheitsstandard zu erreichen, muss die Gesundheitspolitik anerkennen, dass Frauen und Männer aufgrund ihrer biologischen Unterschiede und ihrer Geschlechterrollen unterschiedliche Bedürfnisse, Hindernisse und Chancen haben.»

Deklaration der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2002

schützt die Gefässe. Deshalb haben Frauen ein geringeres Risiko für Infektionskrankheiten und erleiden seltener einen Herzinfarkt. Das Östrogen könnte ein Grund dafür sein, weshalb Frauen insgesamt von der Corona­Pandemie weniger betroffen waren als Männer (im Gegenzug leiden sie aber mehr an Long COVID): Östrogen stützt die Vermehrung von Immunzellen, das männliche Hormon Testosteron hingegen bremst deren Wachstum. Mit zunehmendem Alter verlieren die Frauen diesen Schutz des Immunsystems: In den Wechseljahren reduziert der Körper die Östrogen­Produktion. Umgekehrt fördert das Östrogen die Blutgerinnung, weshalb häufiger Thrombosen und Lungenembolien entstehen, beispielsweise bei Hormontherapie oder Schwangerschaft.

Weitere Unterschiede sind auf die Anatomie zurückzuführen: Frauen leiden häufiger an Harnwegsinfektionen und Blasenentzündungen, weil ihre Harnwege und ihre Harnröhre kürzer sind. Männer dagegen bekommen im Alter Probleme beim Wasserlassen, weil sich ihre Prostata vergrössert und auf die Blase und die Harnröhre drücken kann.

Frauenspezifische Krankheiten

Ob Herzerkrankungen, Depressionen, Migräne oder Krebs: Frauen sind von Krankheiten anders betroffen als Männer. Das beginnt bei geschlechtsspezifischen Krankheiten wie hormonellen Störungen und Beschwerden, Krankheiten der Gebärmutter, der Brust, der Scheide und der Blase. Sehr häufig ist beispielsweise die Endometriose (siehe Leserfrage auf Seite 2), es gibt aber auch geschlechtsspezifische Krebsformen wie Eierstock­ oder

Grundlagen Frauenmedizin

Gebärmutterkrebs. Und 99 Prozent der Brustkrebsfälle betreffen Frauen.

Rund fünf bis zehn Prozent der geschlechtsreifen Frauen leiden zudem am PCO ­ Syndrom (polyzystisches Ovarialsyndrom), einer der häufigsten Ursachen für Unfruchtbarkeit. Osteoporose (Knochenschwund) ist ebenfalls eine «Frauenkrankheit»: 80 Prozent dieser Skeletterkrankung, die zu einer Brüchigkeit der Knochen führt, entfallen auf Frauen nach den Wechseljahren. Und von rheumatoider Arthritis sind Frauen dreimal so häufig betroffen wie Männer.

Unterschiedliche Symptome

Bei einigen Krankheiten zeigen Frauen zudem andere Symptome als Männer – zum Beispiel bei einem Herzinfarkt. Männer verspüren dabei meist ein Stechen in der Brust und Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen. Bei Frauen äussert sich ein Herzinfarkt manchmal auch durch Übelkeit, Rücken­, Bauch­, Schulter­ oder Kieferschmerzen. Weil deshalb oft kein Verdacht geschöpft wird, werden Frauen im Schnitt erst zwei Stunden später in eine Klinik eingewiesen als männliche Herzinfarktpatienten. Und selbst dort werden ihre Symptome manchmal nicht sofort erkannt. Das Herzinfarktrisiko ist bei Frauen in jungen Jahren tiefer als bei Männern. Es gibt aber auch frauenspezifische Risikofaktoren für den Herzinfarkt, insbesondere die schwere Schwangerschaftserkrankung Präeklampsie, welche das Risiko für Herz­Kreislauf­Erkrankungen bereits in den ersten Jahren nach der Schwangerschaft stark ansteigen lässt.

Diabetes wird bei Frauen im Vergleich zu Männern später diagnostiziert, zudem weisen Frauen mehr Risikofaktoren (Übergewicht, Stress, Hormone) für diese Erkrankung auf. Dies hat negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf bei Frauen, insbesondere hinsichtlich Herzinfarkts und Schlaganfalles als Folge von Diabetes. In der Schwangerschaft macht sich oft ein Diabetes erstmals bemerkbar und bricht dann später im Leben aus.

Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich zudem bei psychischen Krisen. Bei Frauen werden häufiger als bei Männern Depressionen, Ess ­ und Angststörungen sowie Selbstverletzungen diagnostiziert. Insbesondere die postpartale Depression (nach der Geburt) kommt sehr häufig vor. Bei Männern treten dagegen ADHS und Autismus häufiger auf. An Migräne wiederum leiden deutlich mehr Frauen, wofür unter anderem die verstärkte Freisetzung des Entzündungsbotenstoffs CGRP im Gehirn während der Menstruation verantwortlich ist.

Frauenmedizin ist wichtig

Das alles zeigt, wie wichtig eine geschlechtsspezifische Medizin, eine Frauenmedizin, ist. Frauen wurden in der medizinischen Versorgung viele Jahre übergangen. Trotz der biologischen Unterschiede wurden sie oft gleich diagnostiziert und behandelt wie Männer. Das liegt daran, dass die Medizin historisch bedingt lange männerdominiert war. Auch in der Forschung und in Medikamentenstudien wurden Frauen lange zu wenig berücksichtigt. In der Vergangenheit wurden die meisten Studien mit Männern und mit männlichen

Die Zahl 80%

Bei so vielen Frauen mit Brustkrebs­Diagnose kann die Brust inzwischen erhalten werden. Brustkrebs betrifft jede achte Frau – und fünf Jahre nach der Diagnose sind 88 Prozent der Erkrankten noch am Leben.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Frauen

Zwei X-Chromosomen

DNA

STOFFWECHSEL

Langsamere Verdauung

Östrogen stimuliert Abwehrkräfte

Tieferer Energiebedarf

Unterschiedliche Häufigkeit und zum Teil andere Symptome

IMMUNSYSTEM

Männer

X- und Y-Chromosomen

Schnellere Verdauung

Testosteron bremst Abwehrkräfte

ERNÄHRUNG

KRANKHEITEN

Höherer Energiebedarf

Unterschiedliche Häufigkeit und zum Teil andere Symptome

Tieren durchgeführt. Man befürchtete, dass Frauen durch hormonelle Schwankungen und hormonelle Verhütungsmittel die Studienergebnisse beeinflussen könnten. Zellforschung wird sogar noch heute mit nur gerade rund fünf Prozent weiblichen Zellen durchgeführt.

Dabei sind die Geschlechterunterschiede auch bei der Dosierung von Medikamenten entscheidend. Und zwar nicht nur wegen des Gewichts und des Muskel­, Wasser­ und Fettanteils im Körper. Für den Weg durch den Magen und den Darm braucht eine Ta­

blette bei einer Frau rund doppelt so lange wie bei einem Mann. Der Abbau von Wirkstoffen in der Leber dauert ebenfalls länger. Deshalb genügt Frauen bei vielen Medikamenten eine tiefere Dosis. Weil aber die Wirkung der Medikamente im weiblichen Organismus weniger gut erforscht ist, treten bei Frauen anderthalb bis zweimal häufiger unerwünschte Nebenwirkungen auf als bei Männern.

Forschung und Spitzenmedizin

Die Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Inselspitals Bern hat sich deshalb nicht

nur der bestmöglichen Behandlung der Frauen, sondern auch der Wissenschaft zum Wohle der Frau in ihrer ganzen Vielfalt verschrieben. «Wir bieten moderne Spitzenmedizin am Puls der Forschung, entwickeln neue Diagnose ­ und Behandlungsmethoden und decken in Zusammenarbeit mit den anderen Kliniken des Inselspitals alle wichtigen Bereiche der Frauenmedizin ab», sagt Daniel Surbek, Geschäftsführender Co ­Klinikdirektor der Universitätsklinik für Frauenheilkunde im Inselspital.

Der Bundesrat reagiert Wie wichtig eine geschlechtsspezifische medizinische Versorgung ist, hat auch die Politik in der Schweiz erkannt. Im Juni 2023 lancierte der Bundesrat das nationale Forschungsprogramm «Gendermedizin und Gesundheit». Damit soll geschlechtersensible Forschung im Gesundheitsbereich gefördert werden. Ziel ist der Aufbau einer Wissensbasis, damit die biologischen und sozialen Aspekte der verschiedenen Geschlechter vermehrt Eingang in die medizinische Forschung und Gesundheitsversorgung finden. Das Programm verfügt über ein Budget von elf Millionen Franken.

Ein Bericht, den der Bundesrat am 15. Mai 2024 verabschiedet hat, zeigt auf, dass Frauen in der Schweiz in der medizinischen Forschung, Pflege und Prävention noch immer benachteiligt sind. Verschiedene Massnahmen sollen dafür sorgen, dass ihre gesundheitlichen Bedürfnisse künftig besser berücksichtigt werden. Der Bericht basiert auf dem Forschungsbericht des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung der Universität Bern und des Departements Gesundheit der Berner Fachhochschule. Er geht auf die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten ein. Als eine der Ursachen dafür nennt er eine tendenziell männliche Perspektive in Forschung und Versorgung.

Podcasts zum Thema Frauenmedizin

Tabus brechen: Eine Frauenärztin und zwei Apothekerinnen sprechen im Podcast «Villa Margarita» über die weibliche Gesundheit. Sie thematisieren Themen wie die Wechseljahre, die starken monatlichen Stimmungsschwankungen vor der Periode (PMS) oder Inkontinenz.

Podcast «Villa Margarita»

Bessere Therapien für Frauen: In dieser Folge des Podcasts der FMH, des Berufsverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, geht es um eine Frau, die bleibende Schäden von einer Krebstherapie hat. Das hat auch mit dem Geschlecht zu tun. Frauen haben mehr Nebenwirkungen und benötigen andere Dosierungen als Männer.

FMH-Podcast «An meiner Seite», Folge 14: «Die Nebenwirkungen waren der Horror.»

Schamfrei: « Gyncast» ist der Gynäkologie-Podcast des «Tagesspiegels». Zwei Journalistinnen sprechen mit einer Chefärztin darüber, was in der weiblichen Hausapotheke nicht fehlen darf, wie gute Aufklärung geht oder was bei einer vorzeitigen Menopause zu tun ist.

Podcast «Gyncast», «Tagesspiegel»

Präzisionsmedizin: Die Folge «Wie Gendermedizin uns allen nützt» der Podcast-Reihe «Daten, Diagnosen, Durchbrüche» der Universitären Medizin Zürich handelt von Schlaganfällen, Migräne und Herzinfarkten bei Frauen und Männern. Sie zeigt, welche entscheidende Rolle geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Behandlung spielen.

UMZH-Podcast «Daten, Diagnosen, Durchbrüche», Folge 4: «Wie Gendermedizin uns allen nützt»

Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Zahlen

Brustkrebs  99:1

So lautet das Geschlechterverhältnis der Brustkrebs-Fälle. Auf 99 Erkrankungen von Frauen kommt eine eines Mannes.

Osteoporose  4:1

So viel häufiger leiden Frauen an Osteoporose (Knochenschwund) als Männer. Bei Männern bleibt die Krankheit oft unentdeckt.

Herzinfarkt  1:2

Nur eine von drei Herzinfarktdiagnosen betrifft Frauen. Aber Frauen sterben häufiger daran. Dies unter anderem, weil der Herzinfarkt bei ihnen wegen unterschiedlicher Symptome zu spät erkannt wird.

Diabetes  1:2

Typ-2-Diabetes kommt bei Frauen deutlich weniger vor als bei Männern. Im Alter von 65 Jahren sind 16% der Männer betroffen (Tendenz steigend) gegenüber 9% der Frauen (Tendenz stabil). Bei schwangeren Frauen tritt hingegen in 15% der Fälle ein vorübergehender Diabetes auf.

Alzheimer vs. Parkinson

Alzheimer kommt bei Frauen ungefähr doppelt so oft vor wie bei Männern. Diese haben dafür ein doppelt so hohes Risiko, an Parkinson zu erkranken.

Allergien vs. Infektionskrankheiten

Allergien wie Heuschnupfen und Autoimmunerkrankungen treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Dafür leiden Männer häufiger an Infektionskrankheiten.

Krankheiten

Qualitätsstandard

Netcord-FACT akkreditiert Frauenklinik für Stammzellenspende aus Nabelschnurblut

Seit 2008 führt die Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Inselspitals Bern erfolgreich Entnahmen von Nabelschnurblut-Stammzellenspenden bei der Geburt durch. Diese Spenden sind im Kanton Bern ausschliesslich an der Frauenklinik des Inselspitals möglich. Sie werden für Transplantationen insbesondere bei Kindern mit Leukämie verwendet. 2024 hat die Frauenklinik nun die renommierte internationale Netcord-FACT-Akkreditierung erhalten. Sie bürgt für höchste Qualitätsstandards bei der Nabelschnurblut-Stammzellenentnahme. Netcord-FACT wurde von der Internationalen Gesellschaft für Zelltherapie und der Amerikanischen Gesellschaft für Blut und Marktransplantation gegründet. Kliniken mit einer solchen Akkreditierung sind verpflichtet, Führungs-, Qualitätsmanagement- und Personalschulungsprogramme nachzuweisen.

Sensibilisierung

Eierstockkrebs: bessere Therapiechancen

Dank spezialisierter und interdisziplinärer Behandlung haben sich die Therapiechancen für Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) in den letzten Jahren verbessert. In der Schweiz sind jährlich rund 600 Frauen von dieser Krebsart betroffen. Die Symptome sind häufig unklar und erschweren eine Diagnose. Deshalb ist Sensibilisierung wichtig: Patientinnen, Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie Hausärztinnen und Hausärzte sollten die Möglichkeit von Eier stockkrebs frühzeitig in Betracht ziehen, damit die notwendigen Schritte für die Behandlung schnell eingeleitet werden können.

Lesestoff

«Frauen sind anders krank. Männer auch.»

Marek Glezerman ist einer der weltweit renommiertesten Forscher im Bereich der geschlechtsspezifischen Medizin. Sein Buch ist spannend und leicht verständlich. Die Kernaussage: Wir müssen ganz dringend umdenken, wenn wir eine wirksamere Medizin haben wollen, die das Wohl der Patientinnen und Patienten tatsächlich in den Mittelpunkt stellt.

«Frauen sind anders krank. Männer auch.» Mosaik Verlag, CHF 29.90.

«Sex

and Gender Aspects in Clinical Medicine»

Die deutsche Fachärztin für Kardiologie Vera RegitzZagrosek ist eine der Pionierinnen der Geschlechterforschung in der Medizin. 2011 gab sie zusammen mit Sabine Oertelt-Prigione ein englischsprachiges Lehrbuch heraus. 2019 wurde sie für ihren Einsatz in der Gendermedizin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

«Sex and Gender Aspects in Clinical Medicine» Springer Verlag, CHF 199.–.

Das sagt der Experte

«Nabelschnurblut-Stammzellen können Leben retten. Die Akkreditierung von Netcord-FACT bestätigt das Engagement und die lange Erfahrung der Frauenklinik Bern für höchste Qualität und Sicherheit bei NabelschnurblutStammzellspenden.»

Prof. Dr. med. Daniel Surbek, Geschäftsführender Co-Klinikdirektor und Chefarzt Geburtshilfe und feto-maternale Medizin

Bildung

Studiengang Gendermedizin

Seit vier Jahren bieten die Universitäten Bern und Zürich gemeinsam den berufsbegleitenden CAS-Studiengang «Geschlecht und Gender in der Medizin» an. Im Zentrum steht dabei das Bewusstsein für alle Aspekte der geschlechtsspezifischen Medizin. Dazu gehört auch das Aufzeigen der Bedeutung des Geschlechts in den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen. Der Studiengang richtet sich an Personen mit einem Masterabschluss in Medizin oder einem verwandten Bereich.

Die Frauenheilkunde hat sich in den letzten Jahren massiv gewandelt: Die Sexualität, die Physiologie und die Pathophysiologie der Frau werden von Stereotypen

befreit.

Prof. Dr. Annette Kuhn, Leitende Ärztin Urogynäkologie und Leiterin der Geschlechtersprechstunde im Inselspital, zeigt auf, was sie als Frau geprägt hat und was sie als Expertin bewegt.

«90 Prozent der Gynäkologinnen sind Frauen»

Frau Kuhn, sind Sie froh, eine Frau zu sein?

Ich bin sehr froh, eine Frau zu sein, und fühle mich dabei sehr wohl. Dennoch möchte ich hierzu Simone de Beauvoir zitieren: «Als Frau wird man nicht geboren, sondern dazu gemacht.» (lacht) Ich erinnere mich noch sehr genau an die Worte meiner Grossmutter: «Eine Frau geht nie ohne Hut, ohne Handtasche und ohne Strümpfe irgendwohin, ausser an den Strand.»

Sie wurden in ein Frau­ Schema gepresst?

Nein, zum Glück nicht. Dass ich mich zeitlebens in meiner Haut wohlgefühlt habe und immer noch wohlfühle, ist auf viele Faktoren, wie die Erziehung und das kulturelle Umfeld, zurückzuführen. Ich bin in einem liberalen Umfeld aufgewachsen. Meine Mutter war berufstätig, und ich als Mädchen machte unspektakulär meinen Weg, ohne dass ich anders als die Männer behandelt worden wäre.

Dennoch dürfte sich Ihre Ausbildung von der heutigen unterschieden haben.

Klar. Als ich meine Ausbildungsjahre absolvierte, war die Gynäkologie, die

Frauenheilkunde, ein von Männern besetztes Fach. Heute beträgt der Frauenanteil gegen 90 Prozent – im Studium und im Beruf.

Was unterscheidet Frauen von Männern?

Rein biologisch unterscheiden sich Frauen von Männern. Zum Beispiel haben sie einen anderen Chromosomensatz. Frauen haben auch andere Geschlechtsorgane und andere Organe, und Frauenhirne funktionieren anders als Männerhirne – das ist durch Studien belegt. Aber seit einigen Jahren wird das strikte Dualitätsdenken aufgehoben, denn es gibt auch Situationen, die biologisch und psychologisch nicht eindeutig weiblich oder männlich zuzuordnen sind.

Die Geschlechter­Thematik beschäftigt die Politik, die Gesellschaft und die Medien. Wie reagiert die Frauenklinik darauf?

Wir sind bei diesen Themen viel sensibler geworden. Besonders in der Geschlechtersprechstunde bei Menschen, die in einer Transition stehen oder diese abgeschlossen haben, aber auch in allen anderen Bereichen. Wir bemühen uns,

alle Personen mit dem korrekten Pronomen oder auf Wunsch neutral anzusprechen.

Wie steht die Frauenheilkunde heute da?

In wissenschaftlichen Publikationen sind in den letzten Jahren vermehrt die Sexualität, die Physiologie und die Pathophysiologie der Frau untersucht worden: Insgesamt werden frauenspezifische Themen vermehrt rollenspezifisch analysiert. Das Verständnis von Krankheiten hat sich gewandelt, und so wird heute auch der Kontext – die Lebensqualität mit dieser und jener Krankheit – gewichtet.

Hat das Einfluss auf typische Frauenkrankheiten?

Mir ist es wichtig, dass wir uns bei der Diskussion um «typische Frauenkrankheiten» nicht nur auf die Blase oder die Eierstöcke konzentrieren, sondern dass wir auch hier den Gesamtmenschen sehen. Nehmen wir Blutungsstörungen: Je nach sozialem, kulturellem oder religiösem Kontext werden diese unterschiedlich gewichtet. Auch Harnwegsinfekte werden oft bagatellisiert, obwohl die sozioökonomischen Folgen klar sind:

Prof. Dr. Annette Kuhn, Leitende Ärztin Urogynäkologie und Leiterin der Geschlechtersprechstunde im Inselspital: «Auf sexuell übertragbare Krankheiten müssen wir wieder vermehrt ein Augenmerk legen.»

Sie führen allein in Deutschland zu 1,7 Millionen Tagen Arbeitsausfall.

Gibt es denn DIE typischen Frauenkrankheiten?

Nein. Zudem beeinflussen sich Frauenkrankheiten gegenseitig: Endometriose und Blasenschmerzen zum Beispiel. Hier müssen wir die gesamte Schmerzsituation betrachten. Was bedeutet es beispielsweise für jemanden, wenn die Toilette pro Tag 20 ­mal aufgesucht werden muss?

Welches Thema liegt Ihnen derzeit besonders am Herzen?

Zum Beispiel die Tatsache, dass viele, die mit dem Wunsch einer Transition zu mir in die Geschlechtersprechstunde kommen, nicht gegen HPV geimpft

«Ich bin sehr froh, eine Frau zu sein, und fühle mich dabei sehr wohl.»

sind. Weniger als zehn Prozent – Frauen wie Männer – sind geimpft. Bei den Harnwegsinfekten haben wir eine zunehmende Resistenzentwicklung gegen die gängigen Antibiotika, da müssen wir antibiotikafreie Alternativen wie beispielsweise D ­Mannose anbieten.

Wie sieht es aus mit Aids und Co.? Auf sexuell übertragbare Krankheiten müssen wir wieder vermehrt ein

Augenmerk legen. Von der Anti­AidsKampagne der 1990er­Jahre haben wir extrem profitiert. Damals was Safer Sex überall ein Thema. Heute sehen wir in der Gynäkologie eine deutliche Zunahme von Chlamydien­Infektionen, von Gonorrhö und Syphilis. Das ist ein weltweites Thema.

Ist das auf eine gewisse Nachlässigkeit zurückzuführen?

Ich denke, die Gesellschaft reagiert immer in Wellen. Nach der freien Liebe der 1960er­Jahre kam Aids, und die Angst prägte die damalige Gesellschaft. Jetzt machen wir wieder eher eine Gegenbewegung aus, die sich angstfrei und relativ unkritisch ausleben will.

Selten sind sich Angst und Glück so nahe

Die Zwillinge von Dina Hediger kamen 14 Wochen zu früh zur Welt.

Lange bangte sie mit ihrem Mann um das Leben von Lenny und Louis. Heute sind die beiden kerngesund – und ihre Mutter betreibt eine gemeinnützige Organisation, die die Öffentlichkeit für das Thema Frühgeburt sensibilisiert und Betroffenen hilft.

Text: Peter Bader

Als Dina Hediger aus der Ambulanz ganz aufgewühlt ihren Mann anrief, hatte der gerade einen Tintenfisch gefangen. Auf einem Segelboot in der Adria. Für seine «Fang­Euphorie» hatte sie da aber gerade keine Nerven. Sie war auf dem Weg ins Inselspital, weil die Fruchtblase ihrer Zwillinge 14 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin geplatzt war. Was sie da noch nicht wusste: Zwei kleine, gehäkelte Tintenfische sollten in den darauffolgenden Wochen in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen. Man legt sie Frühgeborenen in den Inkubator (Brutkasten), damit sie nach den Tentakeln greifen und nicht nach den vielen medizinischen Schläuchen, die sie auf dem Weg ins Leben unterstützen. «Es war wohl ein Wink des Schicksals», sagt die 34 ­Jährige heute.

Mittwoch, 1. August 2018

Dina Hediger verbringt den Feiertag mit Freunden an der Aare. Ihr Mann Andreas ist auf einem Segelboot vor der Küste Kroatiens. Mach doch diese Reise, habe sie ihm gesagt, es sei ja noch viel Zeit, bis sie zum ersten Mal Eltern würden. Den Abend will die Betriebswirtschafterin gemütlich zu Hause auf dem Sofa verbringen. Als sie im Internet Essen bestellt, platzt völlig unerwartet ihre Fruchtblase. «Es kam alles auf einmal, der ganze Boden war nass», erinnert sie sich. Sie wählt den Notruf, wo man ihr rät, sich hinzulegen und auf die Ambulanz zu warten. «Ich stand aber so unter Schock, dass ich erst den Boden geputzt habe und auf die Strasse ging, als ich die Sirenen hörte.» Im Inselspital erhält sie Medikamente zur Hemmung der Wehen. Es nützt leider nichts. Um 23.11 und 23.13 Uhr kommen die Zwillinge Lenny und Louis per Not­Kaiserschnitt zur Welt: 840 und 870 Gramm schwer, 35 cm gross. Ihre Eltern, ihre Schwester und eine Freundin stehen Dina Hediger bei der Geburt bei. Es ist der Anfang einer schweren Zeit: Insgesamt 107 Tage blei­

ben die Zwillinge in der Neonatologie ­Abteilung des Inselspitals, davon acht Wochen auf der Intensivstation. «Mein Mann und ich haben um das Leben der Zwillinge gebangt», erinnert sich Dina Hediger.

Fast jede Stunde eine Frühgeburt Normalerweise dauert eine Schwangerschaft 40 Wochen. Kommt das Baby vor 37 abgeschlossenen Schwangerschaftswochen zur Welt, ist es eine Frühgeburt. Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) kommen in der Schweiz etwa 7 von 100 Neugeborenen als sogenannte Frühchen auf die Welt. Das entspricht etwa 19 Frühgeburten pro Tag: Fast jede Stunde erlebt eine Familie in der Schweiz also eine Frühgeburt. Insbesondere bei Zwillingsschwangerschaften ist die Frühgeburt eine häufige Komplikation. «Dank des medizinischen Fortschritts können heute Frühgeburten insbesondere bei Zwillingen immer öfter frühzeitig erkannt und verhindert werden», sagt Prof. Dr. Daniel Surbek, Geschäftsführender Co­Klinikdirektor und Chefarzt Geburtshilfe und feto­maternale Medizin. «Darauf sind wir am Inselspital spezialisiert, wie auch auf das Erforschen und das Verhindern von perinatalen Hirnschädigungen bei Frühgeborenen» (siehe Box).

Je früher ein Kind geboren wird, desto weniger entwickelt und desto anfälliger sind seine Organe und Körperfunktionen. Besondere Unterstützung benötigen Frühgeborene bei der Atmung, der Ernährung, der Abwehr von Infektionen und Erkrankungen und dem Aufrechterhalten der Körpertemperatur. Deshalb verbringen sie die erste Zeit nach der Geburt im Brutkasten, in dem die Verhältnisse im Bauch der Mutter nachgeahmt werden.

August bis November 2018

Genauso ist es bei Lenny und Louis. Während sechs Wochen werden die beiden per

«Dank des medizinischen Fortschritts können heute Frühgeburten insbesondere bei Zwillingen immer öfter frühzeitig erkannt und verhindert werden.»

Prof. Dr. Daniel Surbek

107 Tage verbringen die frühgeborenen Zwillinge in der Neonatologie-Abteilung des Inselspitals, davon acht Wochen auf der Intensivstation. In dieser Zeit bangen Dina und Andreas Hediger um das Leben ihrer Söhne.

«Da hörten wir zum ersten Mal ihre Stimmen. Es war ein Moment der Hoffnung.»
Dina Hediger

Intubation künstlich beatmet. Beim Setzen eines Katheters, mit dem den beiden Brüdern Ernährungszusätze zugeführt werden, erleidet Lenny einen Herzstillstand und muss reanimiert werden. «Lenny hat immer alles ein bisschen härter abgekriegt», erinnert sich Dina Hediger. So ist es auch beim Ductus arteriosus, einer Verbindung zwischen Lungenarterie und Aorta. Beim Fötus ermöglicht diese Verbindung, dass Blut an der Lunge vorbeifliesst, weil er noch keine Luft atmet. Nach der Geburt schliesst sich diese Verbindung, bei Frühgeborenen muss dies in der Regel mit einer medikamentösen Therapie unterstützt werden. Das klappt bei Louis, bei Lenny ist dazu ein operativer Eingriff nötig. Er erleidet zudem einen Lungenkollaps, beide benötigen Bluttransfusionen. Diese verbessern den Sauerstofftransport, gleichen Blutverluste aus und unterstützen die allgemeine Gesundheit und Entwicklung der Frühgeborenen. Nach 45 Tagen gibt es einen ersten Lichtblick: Die beiden müssen nicht mehr künstlich beatmet werden. «Da hörten wir zum ersten Mal ihre Stimmen. Es war ein Moment der Hoffnung», erzählt Dina Hediger.

Sie verbringt eine Woche in der MutterKind­ Station in der Frauenklinik, zieht dann

für eine weitere Woche in ein Familienzimmer direkt neben der Neonatologie und geht dann nach Hause. «Wir wohnen nahe beim Inselspital, es war uns auch so möglich, nahezu rund um die Uhr bei unseren Kindern zu sein.» In der neuen Frauenklinik im MarieColinet­Haus, die Mitte 2026 auf dem Inselareal eröffnet wird, werden für solche Zwecke spezielle Eltern­Kind­Einheiten geschaffen (siehe Story ab Seite 34). Denn es ist wichtig, die emotionale Bindung zwischen Babys und Eltern zu stärken. Dazu dient auch die sogenannte Känguru­Methode: Dabei legt man das Frühchen mit aller Vorsicht auf die nackte Brust der Mutter, was auch seinen Gesundheitszustand verbessern kann. «Lange sahen meine Tage so aus: drei Stunden Känguru­ Stellung mit dem einen Kind, Milch abpumpen, dann drei Stunden mit dem anderen Kind», sagt Dina Hediger. «Es war ein ständiger Ausnahmezustand. Freunde, Hobbys, Beruf: Das alles spielte keine Rolle mehr. Es zählten nur noch die Kinder.»

10. und 16. November 2018

Endlich ist es so weit. Am 10. November kommt Lenny nach Hause, sechs Tage später auch Louis. Bei beiden muss erst noch ein Leistenbruch operiert werden, Louis erhält

Zwillingsschwangerschaften: Frühgeburt und andere Risiken

Bei Zwillingsschwangerschaften kommen Komplikationen generell häufiger vor als bei Einlingen. Dies betrifft vor allem die Frühgeburt und Komplikationen mit der Plazenta, wenn sich eineiige Zwillinge diese teilen müssen (siehe Porträt ab Seite 20). Wenn Anzeichen solcher Komplikationen früh erkannt werden, können diese durch eine medikamentöse Behandlung oder eine Operation vermieden oder deren Folgen für die Kinder verringert werden.

Die Frauenklinik des Inselspitals hat in den letzten 20 Jahren in klinischen Forschungsprojekten neue Therapiemethoden entwickelt und sich so auf die Früherkennung und Behandlung dieser Zwillings-Komplikationen spezialisiert. Ein weiteres wichtiges Forschungsgebiet der Klinik ist die Entstehung der perinatalen Hirnschädigung bei der Frühgeburt. Die Frauenklinik ist ein international anerkanntes Zentrum für die Entwicklung neuer Stammzellen-basierter Therapien, um Hirnschädigungen mit Langzeitfolgen für die Kindsentwicklung zu verhindern.

zudem wegen eines Infekts der Operationsnarbe eine Antibiotikabehandlung. Die Zeit zu Hause sei ihr vorgekommen «wie Ferien auf den Malediven». Manche Eltern würden Ängste entwickeln, wenn bei ihren Frühgeborenen die ständige medizinische Überwachung wegfällt. «Ich kam gut zurecht, konnte die beiden gut einschätzen.» Zwei Tage verbringen Lenny und Louis noch einmal im Inselspital zur Verabreichung von Impfungen, zudem gehen sie regelmässig zum Kinderarzt. Was Dina Hediger im Rückblick anders machen würde: «Meine Wochenbetthebamme gab mir nach der Neozeit das Gefühl, ein Profi zu sein. Ich fing aber erst zu Hause an, wie eine richtige Mama zu funktionieren.» Also habe sie auf weitere Besuche der Hebamme verzichtet. Das sei ein Fehler gewesen: «Ich ernährte meine Kinder viele weitere Monate mit abgepumpter Muttermilch und nicht mit Stillen an der Brust. Heute würde ich mir viel mehr Unterstützung holen!»

20. Februar 2022

Familie Hediger erhält zum dritten Mal Nachwuchs, Loïc Charlie kommt zur Welt –per Kaiserschnitt, termingerecht und gesund. Nach fünf Tagen dürfen Mutter und Kind nach Hause, und Dina Hediger schwankt zwischen Glück und Wehmut. «Wenn ich auf dem Sofa sass und meinen Sohn stillte, dachte ich: Wie schön! Und wie schade, durften das seine beiden Brüder nicht erleben!»

Hilfe für Betroffene

Auch den Zwillingen geht es heute gut. Als sie im Juli 2019 mit knapp einjährig zum ersten

Mal in die Kita gingen, waren sie in ihrer Entwicklung noch nicht so weit wie andere. «Sie fingen später an zu laufen oder zu reden», erinnert sich Dina Hediger. Das sei ein bisschen schambehaftet gewesen, weil manche Eltern gerne Vergleiche anstellten. Dafür konnten sie mit drei Jahren schon Fahrrad fahren und mit fünf schon schwimmen. Heute gehören sie zu den Grössten in ihrer Klasse.

Und ihre Mutter hat die schwere Zeit zum Anlass genommen, sich beruflich neu zu orientieren. Sie wollte schon früh alles zum Thema Frühgeburten wissen und sich mit betroffenen Eltern austauschen. Sie merkte aber: Es gab gar nicht so vieles. Also begann sie, Erfahrungsberichte zu sammeln und Vorträge zu halten, im Inselspital oder am Berner Bildungszentrum für Pflege. Sie holte alle 29 Schweizer Neonatologie ­Abteilungen an Bord und gründete 2022 schliesslich die Organisation «Frühchen Schweiz», die sie als Geschäftsführerin leitet. «Wir liefern niederschwellige Informationen, fördern den Austausch und die Vernetzung der Betroffenen und sensibilisieren die Öffentlichkeit für dieses Thema.» Im Inselspital hat sie so zum Beispiel die Austauschgruppe «Eltern unterstützen Eltern» mitlanciert. «Mein Herz schlägt fürs Inselspital, seit ich dort in dieser schwierigen Zeit so gut betreut wurde», sagt Dina Hediger.

fruehchenschweiz.ch

«Mein Herz schlägt fürs Inselspital, seit ich dort in dieser schwierigen Zeit so gut betreut wurde.»

Dina Hediger

Am 20. Juni 2024 brachte Sara Del Biaggio in Bellinzona zwei gesunde Buben zur Welt. Dass Naele und Lio sie jetzt auf Trab halten, ist alles andere als selbstverständlich: Eine Laseroperation in der 28. Schwangerschaftswoche sicherte das Überleben der Zwillingsbrüder.

Text: Thorsten Kaletsch

Mit dem Laser Leben retten

«Als ich am 21. Dezember 2023 erfuhr, dass ich Zwillinge erwarte, war das zunächst ein Schock», blickt die 30 ­jährige schulische Heilpädagogin Sara Del Biaggio zurück. «Ich musste das zuerst verarbeiten.» Es sei aber ein positiver Schock gewesen, betont ihr Lebenspartner Elia Pini, der als Sonderpädagoge arbeitet. Damals wussten die beiden noch nicht, was auf sie zukommen würde.

Im April litt die Tessinerin immer stärker an Rücken­ und Nierenschmerzen, zudem verhärtete sich ihr Bauch. An Schlaf war kaum mehr zu denken. Am 24. April kamen auch noch Krämpfe dazu. Ein Aufenthalt im Spital in Bellinzona brachte keine Linderung. Die Medikamente zur Wehenhemmung und die Schmerzmittel halfen nicht – auch der Verdacht auf eine Nierenkolik erhärtete sich nicht. Statt die Heimreise nach Giubiasco antreten zu können, wurde sie am 29. April mit dem Rega­Helikopter ins Kantonsspital Luzern geflogen. Der Abschied von Elia sei ein schlimmer Moment gewesen, sagt sie heute.

In Luzern vermutete man wegen des reduzierten Fruchtwassers bei einem der Zwillinge zunächst einen vorzeitigen Blasensprung und verabreichte der Heilpädagogin noch einmal Medikamente zur Wehenhemmung und Antibiotika. Weil es sich um eineiige Zwil­

Das sagt der Experte

«Um die Qualität solcher seltenen Eingriffe zu gewährleisten, ist es wichtig, dass ein hoch spezialisiertes Team zusammenarbeitet. So schaffen wir es, bei FFTS in 90 Prozent der Fälle mindestens einen und in über 70 Prozent der Fälle beide Zwillinge zu retten.»

Prof. Dr. med. Luigi Raio, Leitender Arzt Zentrum für Ultraschall und Pränataldiagnostik und Stv. Chefarzt Geburtshilfe Inselspital

linge handelte, setzte sich Dr. Joachim Kohl, Leitender Arzt in Luzern, mit Prof. Dr. Luigi Raio, in Verbindung. Der leitende Arzt des Zentrums für Ultraschall und Pränataldiagnostik und stv. Chefarzt Geburtshilfe im Inselspital ist Spezialist für diese Art der Zwillingsschwangerschaften, bei der sich die beiden Geschwister einen Mutterkuchen (Plazenta) teilen. Als er sich einen Überblick verschafft hatte, ging es schnell.

Mit dem Laser durch die Bauchdecke «Sämtliche Symptome bei Frau Del Biaggio waren typisch für ein feto­fetales Transfusionssyndrom (FFTS)», sagt Luigi Raio heute. Bei allen eineiigen Zwillingen mit einer Plazenta bestehen zwischen den beiden Kindern Gefässverbindungen auf der Plazentaoberfläche. Darüber wird rege Blut ausgetauscht, meist ausgewogen. In 10–15 Prozent der Fälle kann es jedoch zu einem verstärkten Blutfluss von einem Kind zum anderen kommen: So wird ein Kind schlechter mit Blut versorgt, während das andere zu viel Blut erhält. Ohne Operation werden beide Kinder geschädigt und/oder sterben. Sara Del Biaggio wurde sofort mit der Ambulanz nach Bern gebracht und noch am gleichen Tag operiert.

Mit einer lokalen Betäubung oder Spinalanästhesie wird bei diesem Eingriff

Rund 20 FFTS-Fälle pro Jahr

Das feto-fetale Transfusionssyndrom (FFTS) tritt bei rund 10–15 Prozent der eineiigen Zwillinge auf. Wegen abnormer Gefässverbindungen des Mutterkuchens transfundiert dabei ein Kind (Donor) mehr Blut, als es vom Geschwister (Akzeptor) erhält. Dieses Ungleichgewicht würde unbehandelt in 90 Prozent der Fälle zum Tod meist beider Kinder führen. Ein FFTS lässt sich mittels Ultraschalluntersuchung sicher diagnostizieren: Dabei kann auch der Schweregrad beurteilt und die Operation geplant werden.

Das Inselspital hat sich gemeinsam mit dem Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) in Lausanne auf fetoskopische Operationstechniken spezialisiert, mit denen bei FFTS die abnormen Gefässverbindungen verödet werden (Koagulation). Das Inselspital war 1999 die erste Klinik der Schweiz, in der solche Operationen durchgeführt wurden. Seitdem wurden über 300 Eingriffe realisiert, momentan sind es rund 20 Fälle pro Jahr.

über einen kleinen Schnitt im Bauch ein Fetoskop mit einer Kamera und einem Laser in die Gebärmutter eingeführt. Ziel ist es, mit dem Laser die abnormen Gefässverbindungen (Anastomosen) auf der Plazenta zu veröden (Koagulation). Es sei «tricky», diese Gefässe zu identifizieren, sagt Luigi Raio. Zudem bestehe durch den Eingriff das Risiko einer vorzeitigen Lösung der Plazenta oder eines Blasensprungs. «Deshalb wurden gleichzeitig alle Vorkehrungen getroffen, um im Notfall die potenziell lebensfähigen Zwillinge zur Welt zu bringen.»

Sara Del Biaggio erlebte die Operation bei vollem Bewusstsein. «Ich war genau über den Eingriff informiert und sehr froh, dass ich mich mit dem Chefarzt auf Italienisch unterhalten konnte.» Luigi Raio gelang es nicht nur, die Gefässe zu veröden, es wurden auch noch fast fünf Liter Fruchtwasser abgelassen. Bereits zwei Tage nach dem Eingriff konnte die Tessinerin die Heimreise antreten. Und am 20. Juni, in der 35. Schwangerschaftswoche, brachte sie in Bellinzona per Kaiserschnitt zwei gesunde Buben zur Welt. Lio wog 1635 Gramm, sein Bruder Naele 1990 Gramm.

Lios kräftige Stimme Anfang September waren die beiden fast schon gleich schwer: Naele brachte 4,3 kg auf die Waage, Lio 4,1 kg. «Lio ist der Lebhaftere der beiden», verrät die Mutter. «Er hat eine so kräftige Stimme, dass sich sogar schon unsere Nachbarn erkundigt haben, welcher der beiden so laut sei.» Die Zeit sei sehr fordernd, sagen Sara Del Biaggio und Elia Pini. «Wir sind aber sehr dankbar, dass am Ende alles so gut herausgekommen ist.»

Mit einem Laser werden auf der Plazenta die abnormen Gefässverbindungen verödet.

Glückliche Eltern: Sara Del Biaggio und Elia Pini mit den Zwillingen Naele (links) und Lio.

Das sagt die Forschung

Fensterkaiserschnitt:

Mehrwert für die Familie

Eines von drei Kindern in der Schweiz wird per Kaiserschnitt geboren. Dies kann für Frauen eine eingeschränkte Geburtserfahrung bedeuten, weil dabei keine Beobachtung der Geburt möglich ist. Die im Inselspital neu eingeführte Methode des «Fensterkaiserschnittes» kann da Abhilfe schaffen: Dabei kann die Geburt des Kindes während der Operation direkt durch ein transparentes Tuch beobachtet werden. Eine Studie in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule zeigt die grosse Beliebtheit dieses Angebots: Die meisten der 193 befragten Mütter, welche die neue Methode gewählt haben, würden sie wieder wählen. Deshalb wird die Option des Fensterkaiserschnittes im Inselspital nun bei allen Frauen angeboten, bei denen ein Kaiserschnitt aus medizinischen Gründen notwendig ist.

Neues Screening und Prävention der Präeklampsie

Präeklampsie, auch Schwangerschaftsvergiftung genannt, ist eine schwere, für Mutter und Kind gefährliche Komplikation in der Schwangerschaft, die etwa jede 20. Schwangere betrifft und häufig Bluthochdruck mit sich bringt. Eine frühzeitige Erkennung ist für die erfolgreiche Behandlung und Prävention Voraussetzung – deshalb hat die Frauenklinik mehrere Studien dazu erfolgreich durchgeführt. Eine neue Methode zum Screening berücksichtigt dafür unter anderem die Durchblutungswerte der Gebärmutterarterie, den Blutdruck der Frau sowie einen Biomarker. Damit kann das Risiko für Präeklampsie bereits im dritten Schwangerschaftsmonat entdeckt werden, und die Präeklampsie kann durch eine Therapie mit niedrig dosiertem Aspirin verhindert werden. Dank den Studien der Frauenklinik wird diese neue Methode nun schweizweit eingeführt. «Dadurch ist es nun möglich, die Präeklampsie früh zu erkennen und zu vermeiden», sagt Prof. Dr. Daniel Surbek, Geschäftsführender Co-Klinikdirektor und Chefarzt Geburtshilfe und feto-maternale Medizin.

EU-Forschungsprojekt mit der Frauenklinik Bern

Ein neues EU-Forschungsprojekt befasst sich mit der Entwicklung neuer, nichinvasiver Fernüberwachungslösungen zur Sicherstellung der prä- und postnatalen Gesundheit von Müttern und ihren Babys. Dabei geht es um sogenannte Wearables (tragbare Geräte). Gemessen werden atem- und schlafabhängige Veränderungen bei Schwangeren, um die Einflüsse besser zu verstehen und letztendlich Schwangerschaftskomplikationen zu vermeiden. Mit dabei sind acht Forschungs- und Technologieorganisationen und 17 Unternehmen aus Europa. Das Projekt wird vom Forschungsprogramm EU HORIZON unterstützt. In der Schweiz wird es von Innosuisse und vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) finanziert.

Schwangerschaft trotz starker Chemo

Wenn sich Frauen einer starken Chemotherapie unterziehen müssen, kann man ihnen vorgängig Eizellen, aber auch Eierstockgewebe entnehmen und einfrieren. Bei einer Unfruchtbarkeit aufgrund der Chemotherapie wird dann das Gewebe aufgetaut und per Bauchspiegelung in eine Tasche unter dem Bauchfell im Becken eingebracht. Dort entwickelt sich ein neuer kleiner Eierstock und bildet Follikel (Eibläschen). Das Netzwerk FertiPROTEKT hat 2022 die Erfolgsrate der Transplantation von Eierstockgewebe ausgewertet. Es wurde von Prof. Dr. Michael von Wolff, Chefarzt Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin im Inselspital, gegründet und besteht aus rund 160 Zentren (Schweiz, Deutschland und Österreich). Jede vierte der 200 untersuchten Frauen hat nach der Gewebetransplantation ein Kind bekommen.

Endometriose: Junge Frauen leiden mehr

Eine Studie des Universitätsspitals Bern zeigt, dass junge Patientinnen mit klinisch diagnostizierter Endometriose signifikant stärkere Schmerzen empfinden als ältere Patientinnen. Im zertifizierten Endometriosezentrum des Universitätsspitals Bern wurden zwischen Januar 2017 und Dezember 2020 über 800 Patientinnen untersucht. 144 Frauen bis 24 Jahre wurden dafür mit 682 Patientinnen über 24 Jahre verglichen. Die jüngere Gruppe gab signifikant höhere Schmerzwerte für krampfartige Periodenschmerzen (Dysmenorrhoe), für Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) und für nichtzyklische Beckenschmerzen an. Die Studie zeigt, wie wichtig eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von Endometriose bei jugendlichen Frauen ist, um chronische Schmerzen zu verhindern.

Neue

Diagnosemethode für Endometriose

Forschende der Universität Bern und des Inselspitals haben Zellen identifiziert, die vorwiegend in der Gebärmutterschleimhaut von Frauen mit Endometriose vorkommen. Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung eines schnellen und nichtinvasiven Endometriose-Tests anhand von Menstruationsproben führen. Momentan ist eine Bauchspiegelung (Laporoskopie) die gängige Methode, um eine Endometriose mit Sicherheit festzustellen. Diese Untersuchung wird unter Vollnarkose vorgenommen und birgt wie jeder chirurgische Eingriff gewisse Risiken. Den Forschenden aus der Schweiz und aus Australien gelang es, eine Untergruppe von Bindegewebszellen zu identifizieren, die ein Biomarker für Endometriose sein könnten.

Gebärmutterhalskrebs: Fruchtbarkeit erhalten

Pro Jahr gibt es in der Schweiz rund 260 neu diagnostizierte Fälle von Gebärmutterhalskrebs. Viele betroffene Frauen sind zum Zeitpunkt der Diagnose im fruchtbaren Alter. Bei Frauen mit Krebs im Frühstadium sollte immer eine Therapieoption angeboten werden, die auf die Erhaltung der Fruchtbarkeit abzielt (fertilitätserhaltende Behandlung). Für das Festlegen der Therapie ist eine umfassende Diagnose wichtig. Zu den fertilitätserhaltenden Operationstechniken gehören das Entfernen eines Gewebekegels aus der Gebärmutter (Konisation), die Entfernung eines Teils der Gebärmutter (Trachelektomie) und die Entfernung betroffener Lymphknoten (Lymphadenektomie). Eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebs nach einer fertilitätserhaltenden Chirurgie meist eine hohe Chance auf eine Heilung vom Krebs und auf eine Schwangerschaft haben. Auch für Patientinnen, bei denen eine Bestrahlung nötig ist, gibt es Behandlungsmethoden zur Erhaltung der Fruchtbarkeit. Dazu gehören eine chirurgische Verlegung der Eierstöcke und eine Rückverlegung nach der Bestrahlung (Ovariopexie) oder die Schonung der Eierstöcke durch eine Hormontherapie. All diese Therapien werden im seit 2010 DKG-zertifizierten Gynäkologischen Krebszentrum der Frauenklinik angeboten.

Das sagt der Experte

«Wenn Gebärmutterhalskrebs im Frühstadium entdeckt wird, kann die Fruchtbarkeit in den meisten Fällen bewahrt werden. Der Anteil der Patientinnen, die nach fertilitätserhaltender Chirurgie erfolgreich Kinder zur Welt bringen, liegt zwischen 55 und 70 Prozent.»

Prof. Dr. Michael Mueller, Co-Klinikdirektor und Chefarzt Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie Inselspital Bern

Gesundheit

Mehr als nur Hitzewallungen

Jede Frau erlebt die Wechseljahre anders. Die meisten leiden unter Hitzewallungen, aber es gibt zahlreiche andere Symptome, und der Hormonabfall kann auch das Risiko für chronische Erkrankungen erhöhen. Wer leidet, sollte sich möglichst rasch beraten und behandeln lassen.

Text: Tamara Zehnder

Gegen Ende der fruchtbaren Jahre verändert sich der Östrogenspiegel der Frau, und der Menstruationszyklus wird unregelmässig. Bereits in der sogenannten Perimenopause, die in der Regel mit Anfang 40 Jahren beginnt, leiden viele Frauen an Hitzewallungen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder Stimmungsschwankungen. Die Menopause markiert dann das Ende der fruchtbaren Zeit. Die Eierstöcke besitzen keine ausreichende Anzahl an Eizellen mehr, und die Menstruation bleibt aus. Die Symptome können nun, nachdem sich der Östrogenspiegel auf deutlich tieferem Niveau eingependelt hat, sogar noch zunehmen, oder es können neue Beschwerden hinzukommen.

Prof. Dr. Petra Stute, Leitende Ärztin und Stellvertretende Chefärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin und Leiterin der Gynäkologischen Endokrinologie und des Menopausenzentrums am Inselspital, empfiehlt allen Frauen, sich von einem Arzt oder einer Ärztin untersuchen und beraten zu lassen, wenn die Symptome als störend empfunden werden.

Hormonersatztherapie: ja oder nein? Die wirksamste Massnahme zur Linderung der Beschwerden in den Wechseljahren ist die Hormonersatztherapie. Abhängig von den Symptomen wird entweder nur das Hormon Östrogen substituiert oder in Kombination mit dem Hormon Gestagen eingenommen. Die Medikamente wurden offiziell für die Therapie von Wechseljahrsymptomen zugelassen, es ist aber bekannt, dass Hormonersatztherapien präventiv auch gegen diverse chronische nichtübertragbare Erkrankungen wirksam

Das sagt die Expertin

«Ich empfehle allen Frauen, sich in den Wechseljahren von einem Arzt oder einer Ärztin untersuchen und beraten zu lassen, wenn sie die Symptome als störend empfinden.»

Prof. Dr. Petra Stute, Leitende Ärztin und Stv. Chefärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin

sind. Studien haben gezeigt, dass ein Mangel an Östrogen das Risiko für Osteoporose, Arterienverkalkung und Diabetes erhöht.

Wenn die Menopause sehr früh eintritt – also bereits vor 45 Jahren – steigt zudem das Risiko für Demenzerkrankung, wenn keine Hormontherapie verabreicht wird. Bei der sogenannten frühen Menopause (zwischen 40 und 45 Jahren) oder prämaturen Ovarialinsuffizienz (unter 40 Jahren) empfehlen die Ärztinnen und Ärzte den Frauen in jedem Fall die zusätzliche Einnahme von Hormonen, um den negativen Auswirkungen des Östrogenmangels auf das Gehirn entgegenzuwirken. In allen anderen Fällen hängt es vor allem von den Symptomen ab, ob und wie lange eine Frau Hormone einnehmen möchte. Einige verzichten ganz darauf, andere nehmen sie ein paar Jahre oder gezielt zur Stabilisierung ihrer Leistungsfähigkeit, bis sie pensioniert werden. Wieder andere Frauen nehmen die Hormone bis ans Lebensende.

Die Medikation wird in der jährlichen Kontrolle beim Frauenarzt überwacht, um sicherzugehen, dass eine Hormonzugabe nicht durch andere gesundheitliche Probleme ausgeschlossen werden sollte.

Petra Stute weist darauf hin, dass durch die Einnahme der Hormone die Symptome nicht aufgeschoben werden. Eine Frau leidet auf keinen Fall doppelt, sollte sie die Hormone eines Tages absetzen. Auch die Alterung oder der psychologische Reifeprozess wird durch die Einnahme von Hormonen nicht aufgehalten.

Jede Frau muss sich einmal mit dem Übergang in die neue Lebensphase auseinandersetzen.

Die Expertin betont, dass sich jede Frau so oder so mit dem Übergang in die neue Lebensphase auseinandersetzen müsse – gerade auch, wenn sie Hormone einnehme: «Ich finde es schade, wenn sich die Frauen nicht behandeln lassen möchten. Viele Frauen, die zu uns kommen, sehen das als mentale Kapitulation gegenüber dem Körper, den sie um jeden Preis mit dem Kopf dominieren wollten.»

Natürliche Hilfsmittel

Auch pflanzliche Präparate oder Akupunktur können die Beschwerden während der Wechseljahre lindern. Sinnvoll ist es zudem, das Gewicht zu reduzieren, denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Übergewicht zu vermehrtem Schwitzen führt. Das Abnehmen kann zwar nicht zu einer raschen Symptomlinderung eingesetzt, wohl aber als langfristiges Projekt angegangen werden.

Die Leiterin des Menopausenzentrums empfiehlt allen Frauen, sich umfassend über die Wechseljahre zu informieren. «Wenn man weiss, was mit einem passiert, kann man es mental viel besser einordnen und hat weniger das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.» Sie stellt fest, dass Frauen in einem stabilen Netzwerk weniger leiden, und empfiehlt, dass frau unbedingt ihr Umfeld – dazu gehört neben Familie und Freunden auch der Arbeitgeber – in den Umgang mit dem körperlichen und psychologischen Wandel miteinbezieht.

«Wenn man weiss, was mit einem passiert, kann man es mental viel besser einordnen und hat weniger das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.»

In der Sprechstunde des Endometriose-Zentrums kümmern sich spezialisierte Endo Nurses um die Patientinnen.

Eine schmerzhafte Periode ist nicht immer normal

Weltweit leidet mindestens eine von zehn Frauen an Endometriose. Trotzdem bleibt die Krankheit oft jahrelang unerkannt. Ein Grund dafür: Die jungen Frauen leiden im Stillen. Das möchte ein Team der Frauenklinik des Inselspitals ändern. Zudem sensibilisiert die Klinik für die HPV­Impfung und die Vorsorgeuntersuchung.

Text: Denise Fricker

Die Beine sind schwer, der Unterleib schmerzt: Während der Periode sollten Frauen gut zu sich schauen und etwas kürzertreten. Doch bei einer von zehn Frauen ist der Leidensdruck höher, und die Schmerzen sind kaum auszuhalten. Während einer normalen Periode wird die Gebärmutterschleimhaut ausgeschieden, bei Endometriose lagert sich Gebärmutterschleimhaut­ähnliches Gewebe der Gebärmutter meist im Bauchraum an (siehe Leserfrage auf Seite 2). Diese Endometrioseherde bluten während der Mens und führen zu einer Entzündungsreaktion. «Viele betroffene junge Frauen wissen nicht, dass ihre Beschwerden nicht normal sind und sie Hilfe benötigen», sagt Dr. Cloé Vaineau, Oberärztin und Stellvertretende Leiterin des Endometriosezentrums an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Inselspital. Nebst starken Schmerzen im Unterbauch kann En­

Endo Teach

dometriose auch Schmerzen beim Stuhlgang, beim Wasserlassen oder beim Geschlechtsverkehr auslösen. Bei schweren Formen droht später sogar Unfruchtbarkeit.

Endo Teach: Sensibilisierung in Schulen Das Team des Endometriosezentrums der Frauenklinik engagiert sich in Schulen, um junge Frauen über Endometriose aufzuklären und sie für das Thema zu sensibilisieren. «Generell ist diese Aufklärung sehr wichtig, weil das Bewusstsein für die Krankheit teilweise fehlt», sagt Cloé Vaineau. Trotz der Häufigkeit der Krankheit könne es heute noch immer bis zu fünf Jahre oder länger dauern, bis die Diagnose Endometriose feststehe. Insbesondere bei Jugendlichen sei die Dauer bis zur Diagnosestellung besonders lang, teilweise über 10 Jahre. «Junge Frauen werden mit ihren Beschwerden besonders häufig zu wenig ernst

Sensibilisierung und

genommen», betont die Oberärztin. Das Umfeld und immer wieder auch Ärztinnen und Ärzte halten die Schmerzen zum Teil für normal. Das führe dazu, dass junge Frauen mit ihren Beschwerden oft lange auf Hilfe warten, und dadurch an Lebensqualität einbüssen.

Auf seiner Website stellt das Endometriosezentrum kostenlos ein Unterrichtspaket für Lehrpersonen der zweiten und dritten Oberstufe zur Verfügung. Zudem besuchen Fachpersonen Schulen, um während einer Lektion über den weiblichen Zyklus und Endometriose zu sprechen. Die Hauptaussage: «Wenn eine Frau aufgrund der Schmerzen fast nicht mehr aufstehen kann oder erbrechen muss und ein paar Tage im Monat nicht funktionieren kann, ist das nicht normal», sagt Cloé Vaineau. Bei diesem Leidensdruck müsse der Frau geholfen werden. Wenn eine junge Frau also vermutet, an Endometriose zu leiden, sollte sie eine Gynäkologin aufsuchen, der sie vertraut. Richtig diagnostiziert kann Endometriose gut behandelt werden.

«Die HPV­Impfung ist wichtig» Wichtige Sensibilisierungsarbeit für junge Frauen und Männer leisten die Mitarbeitenden des Inselspitals auch zu den Humanen Papillomaviren (HPV). Diese Viren werden sexuell übertragen. Die meisten HPV­Typen sind harmlos, einige können aber Gebärmutterhalskrebs sowie bei Männern und Frauen andere Krebsvorstufen und ­ erkrankungen im Genital­ sowie im Hals­ und Rachenbereich auslösen.

«Viele betroffene junge Frauen wissen nicht, dass ihre Beschwerden nicht normal sind und sie Hilfe benötigen.»

Die Früherkennung von Zellveränderungen für die Krebsvorsorge basiert auf einem Abstrich vom Gebärmutterhals (Pap ­Test), der in der Regel alle drei Jahre durchgeführt wird (siehe Kasten). Auch ein HPV­Test kann eingesetzt werden, für den aber die Grundversi­

cherung die Kosten nicht übernimmt. Dieser DNA­Test sucht nach Viren, bevor sie Zellveränderungen auslösen. Ein positiver Test ist jedoch keine Krebsdiagnose. «In 70 Prozent der infizierten Fälle verschwindet das Virus innerhalb eines Jahres nach der Infektion und in 90 Prozent innerhalb von zwei Jahren», sagt Dr. med. Elke Krause, Ärztliche Leiterin des Gynäkologischen Ambulatoriums am Inselspital. Grundsätzlich brauche es mehr Impfungen gegen HPV bei Mädchen und Knaben, betont sie. Seit 2007 können sich Mädchen und junge Frauen in der Schweiz mit der HPVImpfung präventiv gegen eine Infektion schützen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt eine Impfung im Alter zwischen 11 und 26 Jahren – seit 2018 auch für Knaben und Männer. Die jungen Männer dürften als Überträger auf keinen Fall vergessen gehen, sagt Elke Krause. «Wir empfehlen, möglichst jung zu impfen. Der ideale Impfzeitpunkt ist vor dem ersten Geschlechtsverkehr.»

Das sagt die Expertin

«Gebärmutterhalskrebs ist eine der wenigen Krebsarten, die durch Früherkennung und eine HPV-Impfung eliminiert werden könnten.»

Pap-Abstrich alle drei Jahre

Die Vorsorgeuntersuchung des Gebärmutterhalses mit dem Pap-Abstrich wird bei Frauen ab 21 Jahren alle drei Jahre empfohlen. Sie dient der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs. «Wir wollen Zellveränderungen möglichst frühzeitig erkennen, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen oder zu verhindern», sagt Dr. Noemi Allemann, Oberärztin an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Inselspital. Ein Krebsabstrich alle drei Jahre reiche aus, um frühe Zellveränderungen zu erkennen.

Doch Vorsorge bedeute mehr als nur den Pap-Abstrich, erklärt Dr. Noemi Allemann: «Vorsorge beinhaltet alles zur Gesundheit der Frau.» Dabei gehe es unter anderem um Blutungsstörungen, um Fragen zur Verhütung, um einen allfälligen Kinderwunsch oder um Beschwerden während der Wechseljahre. Der Abstand zwischen den Vorsorgeuntersuchungen sei individuell. «Frauen können auch in die Untersuchung kommen, ohne einen Krebsabstrich zu machen», betont Noemi Allemann.

Dr. med. Elke Krause, Ärztliche Leiterin des Gynäkologischen Ambulatoriums am Inselspital

Der Druck, der mit einem unerfüllten Kinderwunsch einhergeht, kann für betroffene Paare oder Einzelpersonen emotional enorm belastend sein. Im Berner Kinderwunschzentrum der Frauenklinik erhalten betroffene Frauen und Männer zeitgemässe Angebote, darunter auch die sogenannte Kryokonservierung (Social Freezing).

Text: Marianne Kaiser

Den Kinderwunsch «auf Eis legen»

Menschen vergleichen sich oft mit ihrem sozialen Umfeld: Wenn Freunde und Bekannte Kinder bekommen, kann dies den Druck erhöhen, selbst Eltern zu werden. Dieses Gefühl zurückzubleiben, kann bei Betroffenen zu Frustration und Trauer führen. Auch in den Medien wird Elternschaft oft idealisiert: Kinder werden als notwendiger Bestandteil eines erfüllten Lebens dargestellt, was den Druck auf kinderlose Paare oder Einzelpersonen mitunter verstärkt.

Ursachen für eine ungewollte Kinderlosigkeit können sowohl bei der Frau als auch beim Mann liegen, müssen aber nicht als unabdingbar akzeptiert werden. Im Berner Kinderwunschzentrum können Paare neben der Abklärung und Beratung bei einem unerfüllten Kinderwunsch von den allgemein etablierten Routinetechniken sowie von innovativen Behandlungsformen profitieren.

Einfrieren und später Kinder bekommen

Eine im Kinderwunschzentrum bereits seit Jahren etablierte Methode ist die Kryokonservierung von Keimzellen, auch bekannt unter dem Namen «Social Freezing». Die Akzeptanz des vorsorglichen Einfrierens von meist Eizellen

Das sagt der Experte

«Das Inselspital gehört zu den weltweit führenden Kliniken im Bereich der Fertilitätsprotektion bei Krebserkrankungen. Die ausserordentliche Expertise wirkt sich auch positiv auf SocialFreezing-Behandlungen aus –sowohl technisch (Konservierung von Keimzellen und Keimzellgewebe) als auch menschlich (kompetente Beratung).»

Prof. Dr. Michael von Wolff, Chefarzt Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Inselspital

oder selten Spermien zur späteren Verwendung hat in den letzten Jahren zugenommen, bleibt jedoch ein kontroverses Thema.

So funktioniert Social Freezing Social Freezing ist eine Art Rückversicherung, um eine spätere Schwangerschaft zu ermöglichen, da die Qualität der Keimzellen mit zunehmendem Alter abnimmt. Es wird genutzt, um die Familienplanung aus verschiedensten Gründen auf später zu verschieben. Für manche Frauen ist es eine Erleichterung, zu wissen, dass sie diese Option haben. Auch bei medizinischen Indikationen, wie einer bevorstehenden Chemotherapie bei Krebserkrankung, kann das Einfrieren von Eizellen sinnvoll sein und wird dann als «Medical Freezing» bezeichnet.

Behandlungen –Universitätsklinik für Frauenheilkunde

Die Eizellen werden nacheinander unter dem Mikroskop in einem winzigen Tropfen Gefrierlösung auf eine Halterung (links) aufgetragen und dann in flüssigen Stickstoff (–196°C) getaucht, eingefroren und in Stickstofftanks gelagert.

Vor dem Beginn des Social Freezing ist eine ausführliche reproduktionsmedizinische Beratung erforderlich. Dabei geht es um die medizinischen Aspekte, die Erfolgschancen und mögliche Risiken. Den Anfang macht eine gründliche Untersuchung zur Beurteilung der allgemeinen Gesundheit und Fruchtbarkeit der Frau.

Um die Anzahl der entnehmbaren Eizellen zu maximieren, wird der Zyklus der Frau durch hormonelle Stimulation beeinflusst. Die verabreichten Hormone regen die Eierstöcke an, mehrere Eizellen gleichzeitig zu produzieren (normalerweise reift pro Zyklus nur eine Eizelle heran). Diese Stimulation dauert in der Regel etwa 10 bis 14 Tage und wird durch regelmässige Ultraschalluntersuchungen und Bluttests überwacht. Die gesamte Prozedur gilt als relativ unbedenklich. Die meisten Frauen können während der hormonellen Stimulation ihren normalen Arbeitsalltag ohne Einschränkungen fortsetzen.

Wenn die Eizellen ausreichend gereift sind, wird der Eisprung künstlich ausgelöst. Etwa 36 Stunden nach dieser Auslösung erfolgt die Eizellentnahme. Unter leichter Sedierung oder Narkose wird eine dünne Nadel durch die Scheide in die Eierstöcke eingeführt, um die Eizellen aus den Follikeln zu entneh­

men. Dieser Eingriff dauert in der Regel 20 bis 30 Minuten.

Selektion der Eizellen

Die entnommenen Eizellen werden im Labor auf ihre Qualität überprüft. Nur die reifen und qualitativ hochwertigen Eizellen werden für das Einfrieren ausgewählt. Die ausgewählten Eizellen werden mittels Vitrifikation, einer schnellen Gefriermethode, eingefroren. Eine spezielle Lösung ermöglicht das Gefrieren ohne Bildung von Eiskristallen, welche die Eizellen beschädigen könnten. Die Lagerung erfolgt dann in flüssigem Stickstoff bei etwa minus 196 °C – hier können die Eizellen theoretisch unbegrenzt aufbewahrt werden.

So lassen sich die eingefrorenen Eizellen lagern, bis die Frau sich entscheidet, sie zur künstlichen Befruchtung zu verwenden. Wenn die Frau bereit ist, schwanger zu werden, werden die eingefrorenen Eizellen aufgetaut und mit Spermien des Partners oder eines Spenders befruchtet (In­vitro ­Fertilisation, IVF). Die befruchteten Eizellen (Embryonen) werden dann in die Gebärmutter der Frau eingesetzt, um eine Schwangerschaft herbeizuführen.

Etablierte

Behandlungs techniken

• Hormonstimulationen der Frau

• Intrauterine Inseminationen

• Therapie männlicher Unfruchtbarkeit (Hodenbiopsien, Hormonstimulation etc.)

• Künstliche Befruchtungen, In-vitroFertilisation

• Präimplantationsdiagnostik, Polkörperdiagnostik

• Präimplantations-Screening

• Abklärung wiederholter Fehlgeburten

• Abklärung und Behandlung der Endometriose, von Myomen und Uterusfunktionsstörungen, insbesondere bei aktuellem oder späterem Kinderwunsch

• Social Freezing

Neue, innovative und eigenentwickelte Behandlungstechniken

• IVF-Behandlungen ohne oder mit geringer Hormonstimulation

• Behandlungen mit Seminalplasma zur Verbesserung der Einnistung des Embryos bei stimulierten IVF-Behandlungen

• Fertilitätserhaltende Massnahmen vor Eierstock-schädigenden Therapien

Sich nach sexualisierter Gewalt Hilfe zu holen, ist oft schwer. Um diesen Schritt zu erleichtern, braucht es einen einfachen Zugang zu Informationen, wo man sich melden kann und was danach geschieht. Die Angst vor einer gynäkologischen Untersuchung kann Betroffene davon abhalten, ins Spital zu gehen.

Text: Marianne Kaiser

Wo können Betroffene

Hilfe holen?

Grundsätzlich können alle Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen sein –unabhängig von Alter, Geschlechtsidentität, Herkunft und anderen Faktoren. Doch Daten sind rar, und die Dunkelziffer ist hoch. Weltweit wird geschätzt, dass 35 Prozent aller Frauen mindestens einmal in ihrem Leben mit physischer und/oder sexualisierter Gewalt durch ihren Intimpartner oder einen «NichtPartner» konfrontiert sind.

Das Berner Modell

In der Frauenklinik des Inselspitals erfolgt durchschnittlich jeden dritten Tag eine Erstuntersuchung bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Das Zentrum für sexuelle Gesundheit der Frauenklinik ist eine zentrale Drehscheibe für die Soforthilfe nach sexualisierter Gewalt. Die Betroffenen melden sich entweder selbst in der Frauenklinik des Inselspitals oder werden via Kantonspolizei, Staatsanwaltschaft oder eine andere Institution angemeldet. Wenn der sexuelle Übergriff weniger als 72 Stunden zurückliegt, erfolgt eine umgehende Versorgung der Betroffenen mit Spurensicherung. Dieses Angebot ist rund um die Uhr verfügbar. Die Behandlung von Frau zu Frau und das Durchführen der Spurensicherung ohne

Anzeigepflicht sind zentrale Elemente des Berner Modells.

Neben einer gynäkologischen und rechtsmedizinischen Untersuchung zur Spurensicherung wird auf sexuell übertragbare Krankheiten abgeklärt und – falls nötig – entsprechend behandelt. Zur Erstuntersuchung gehört ebenso das Informieren über vorbeugende Massnahmen, wie zur Notfallverhütung und zum Verhindern einer HIV­Infektion, sowie die Durchführung dieser Massnahmen. Durch die gut etablierte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine umfassende Betreuung der Betroffenen gewährleistet. Wenn die Patientin schriftlich ihr Einverständnis gibt, erfolgt eine Meldung an die Opferhilfe Lantana oder bei Abgabe einer HIV­Postexpositionsprophylaxe an die Infektiologie. Doch für Betroffene ist es ebenso wichtig, dass neben der institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsversorgung, Justiz und Opferhilfe auch ein Trauma infolge von sexualisierter Gewalt wahrgenommen und darauf eingegangen wird.

Trauma­Informed Care

Traumatische Erfahrungen beeinflussen das Leben der Betroffenen in unter­

schiedlicher Art und Weise. Sie beeinflussen auch, wie Betroffene die medizinische Hilfe erleben. Das Konzept von Trauma­Informed Care erkennt an, dass eine hohe Zahl an Menschen traumatische Erfahrungen gemacht hat und beinhaltet Massnahmen für eine angemessene Betreuung.

Für eine Trauma­informierte vaginale Untersuchung ist es wichtig, im Vorfeld die Rahmenbedingungen zwischen Patientin und medizinischer Fachperson gemeinsam zu klären und festzulegen. Beispielsweise informiert die Ärztin die Patientin, dass sie jeden Untersuchungsschritt (z. B. Einführen des Scheidenspekulums) zuerst ankündigt und ihn erst umsetzt, wenn die Patientin ihr Einverständnis gegeben hat. Zudem hält die Ärztin fest, dass die Patientin die Untersuchung jederzeit abbrechen kann. Weitere unterstützende Massnahmen sind Vorkehrungen wie das Bedecken des Intimbereichs der Frau mit einem Tuch während der gynäkologischen Untersuchung oder die Begleitung durch eine Vertrauensperson. Die Trauma­informierte Vorgehensweise unterstützt Betroffene dabei, wieder ein Gefühl für Kontrolle und Selbstbestimmung zu erlangen, was Vertrauen und Sicherheit schafft.

Nach traumatischen Erfahrungen braucht es eine angemessene Betreuung. Im Zentrum für sexuelle Gesundheit richtet sich diese nach dem Konzept von Trauma-Informed Care.

An diese Stellen können Betroffene sich wenden:

• Kantonspolizei Bern, Kontaktstelle für Frauen, Tel. 031 332 77 77 (Telefonbeantworter, Polizistin ruft umgehend zurück).

• Zentrum für sexuelle Gesundheit (Frauenklinik Inselspital), Tel. 031 632 12 60 und 031 632 10 10 (ausserhalb der Bürozeit).

• Kinderschutzgruppe des Inselspitals Bern (unter dem 14. Lebensjahr), Tel. 031 632 94 86 und 031 632 92 77 (ausserhalb der Bürozeit).

• Beratungsstelle Opferhilfe Biel, Tel. 032 322 56 33.

• Lantana – Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt, Tel. 031 313 14 00.

• Vista – Fachstelle Opferhilfe bei sexueller und häuslicher Gewalt, Tel. 033 225 05 60.

Das sagt die Expertin

«Nach sexualisierter Gewalt müssen wir den Opfern und ihren Bedürfnissen vermehrt eine Stimme geben.»

Dr. Sylvie Schuster, M. A., Leiterin Zentrum für sexuelle Gesundheit

Tagung zu sexualisierter Gewalt

Die diesjährige Tagung des Berner Modells findet am 5. Dezember 2024 im Inselspital statt und wird gemeinsam von den Universitätskliniken für Frauenheilkunde und für Infektiologie für Fachpersonen organisiert. Im Zentrum steht die Perspektive von Betroffenen nach sexualisierter Gewalt. Am Morgen finden Workshops statt (z. B. zu Trauma-Informed Care), und am Nachmittag geht es im Rahmen von Vorträgen um die Erfahrungen und Bedürfnisse von Betroffenen.

Die Veranstaltung findet während der «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» vom 25. November bis 10. Dezember 2024 statt und wird vom Bundesamt für Gesundheit unterstützt.

Eine Klinik zu zügeln, ist logistisch eine hochkomplexe Angelegenheit. Die Frauen klinik des Inselspitals hat damit bereits Erfahrung: 2018 zog sie in ihr temporäres Zuhause im Theodor ­Kocher ­Haus.

Bis Mitte 2026 wird ihr angestammtes Gebäude an der Effingerstrasse rundum erneuert. Danach zieht die Frauenklinik gemeinsam mit der Augenklinik und der Neonatologie wieder zurück ins MarieColinet­Haus.

Text: Julia Schankin

Marie-Colinet-Haus: neues Zuhause für die Frauenklinik

Mit der Instandsetzung und Modernisierung des Marie ­ Colinet­Hauses profitieren Patientinnen und Patienten nicht nur von mehr Komfort, sondern auch von höherer Behandlungsqualität dank optimierter klinischer Abläufe. Ein wichtiger Faktor dafür ist insbesondere die räumliche Nähe zwischen Geburtshilfe und Neonatologie.

Im Mittelpunkt stehen dabei die neuen Eltern­Kind­Einheiten. Hier können Eltern und ihre früh oder krank geborenen Kinder die ersten Stunden und Tage verbringen und sich in einer geschützten Umgebung kennenlernen. Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder davon profitieren, wenn ihre Eltern aktiv in die Betreuung einbezogen werden. Eltern und Kinder sollen möglichst nicht voneinander getrennt werden, sondern einander rund um die Uhr nah sein können. Dank der Nähe zwischen Gebärsaal, Neonatologie und Wochenstation können sich Eltern vollständig auf die Bindung zu

ihrem Kind konzentrieren, während im Falle eines Notfalls immer ein schneller Zugang zur medizinischen Versorgung gewährleistet ist.

Auch die Geburtenstation wird ab 2026 in neuem Glanz erstrahlen. Ein durchdachtes Raumkonzept und modernste Ausstattung sorgen für hochstehende medizinische Versorgung und schaffen eine behagliche Atmosphäre für Mutter und Kind. Aufgrund der hohen Geburtenzahlen wird ein zusätzliches Geburtszimmer eingerichtet. Insgesamt bieten damit sechs Geburtszimmer und ein hochmoderner Kaiserschnitt­ OPSaal optimale Bedingungen rund um die Geburt.

Moderne Räumlichkeiten für die Augenklinik

Auch für Patientinnen und Patienten der Augenklinik, die aktuell noch im Polikliniktrakt und in der alten Augenklinik behandelt werden, bedeutet der Umzug eine deutliche Verbesserung in Bezug auf Modernität und Komfort. Im Geschoss C entsteht eine eigenständige Klinikumgebung mit eigenem, prominentem Eingang im Herzen des Insel­ Campus. Neue Prozesse werden zu einer noch effizienteren und patientenfreundlichen Versorgung beitragen. Dazu gehören kürzere Wege und mehr Räumlichkeiten für spezialisierte Facharztsprechstunden. Die neue Augenklinik steht für persönliche und hochmoderne Augenheilkunde. Teil davon ist auch eine neue Hornhautbank, die nach dem neusten Stand der Technik ausgestattet ist.

Angenehme Raumatmosphäre

Bis Mitte 2026 entsteht innerhalb der alten Gebäudehülle des Marie ­ Colinet­

Bis Mitte 2026 entsteht im alten Gebäude an der Effingerstrasse ein neues Spital, in dem auch die Augenklinik und die Neonatologie untergebracht sind.

Hauses ein neues Spital. Besonderes Augenmerk lag auf der Schaffung einer angenehmen Atmosphäre für Patientinnen und Patienten. Das heisst: Von der Lichtführung über die Materialien bis zu den Farben wird das gesamte innere Erscheinungsbild erneuert. Holz ergänzt die ursprünglichen Betonelemente und sorgt für Behaglichkeit. In den Patientenzimmern sind es sanftes, indirektes Licht und blickdichte Textilvorhänge, die zu Privatsphäre und Wohnlichkeit beitragen.

Die Erneuerung des Marie ­ ColinetHauses ist damit auch ein Versprechen an werdende Eltern, Patientinnen und Patienten und Angehörige: Sie werden hier nicht nur medizinisch in den besten Händen sein, sondern auch an einem warmen, einladenden Ort betreut werden.

Das sagt die Expertin

«Seit 2021 jedes Jahr über 2100 Geburten: Das Inselspital erlebt momentan – gegenläufig zum landesweiten Trend – einen wahren Babyboom. Das unterstreicht das Vertrauen der Familien in unsere Betreuung.»

PD Dr. Anda Radan, Leitende Ärztin Ambulatorium Geburtshilfe

Solarpanels auf dem Dach

Auf dem Dach des Marie-Colinet-Hause werden in Zusammenarbeit mit dem Berner Unternehmen Solarify knapp 600 Solarpanels installiert. Die Bevölkerung konnte sich daran beteiligen und mit dem Kauf einzelner Panels in Solarenergie investieren. Die Aktion war ein grosser Erfolg: Innerhalb weniger Wochen waren sämtliche Panels verkauft. Dank der regelmässigen Erträge aus dem Stromverkauf können die Investorinnen und Investoren sogar eine kleine Rendite erzielen.

www.solarify.ch/insel

Wie vor 2000 Jahren

Zweimal über die Saane: Der Römerweg bei Laupen führt in rund zwei Stunden dem grünen Flussufer entlang – mit Abstecher ins «Eiholz», das Geheimnisse aus früheren Zeiten bewahrt. Start- und Zielort: das Städtchen Laupen mit seinem majestätischen Schloss.

Text: Mia Hofmann

Über rund 330 Meter erstreckt sich das gut erhaltene Teilstück der ehemaligen Römerstrasse im Eiholz bei Laupen. Darüber informiert uns eine Tafel am Wegrand – denn die Strasse liegt verborgen unter dem Waldboden. Auf diesem Weg waren also die Römer bereits vor rund 2000 Jahren unterwegs. Laupen war damals ein wichtiges Etappenziel auf der Strecke von der Engehalbinsel in Bern nach Aventicum. Das heutige Avenches war damals die Hauptstadt des römischen Helvetiens: Sein Amphitheater und die wertvollen Schätze im Römermuseum sind noch heute einen Besuch wert.

Die Überreste eines Galgens

Die Wanderung beginnt und endet am Bahnhof Laupen, eine halbe Stunde ab Bern Hauptbahnhof. Wir lassen das Städtchen vorerst rechterhand liegen, denken aber bereits an das hübsche Café und die Crêperie, die wir uns für später vorgemerkt haben. Nicht zu übersehen: das Schloss, das gleich beim Bahnhof über der Szenerie thront. Wir folgen dem Weg Richtung Gümmenen, zwischen Fluss – erst Sense, dann Saane – und ein paar Industriebauten. Beim Reitplatz überquert der Wander­

weg die Saane: Hier beginnt das Herzstück des Römerwegs. Bereits macht ein Flurname auf das Kommende aufmerksam: Wir schreiten durch das «Galgenaueli»…

Nach einem kurzen, knackigen Aufstieg durch den Wald erreichen wir sie – die Überreste des Galgens. Diese Stelle ist mit einer Infotafel markiert. Es schaudert uns, wenn wir uns ausmalen, dass hier manch einer das Leben lassen musste. Was waren wohl die Vergehen? Wie war es, damals hier zu leben? Und in welche Richtung hat sich die Zivilisation seitdem entwickelt? Mit diesen Fragen und Gedanken im Gepäck passieren wir die verborgene Römerstrasse und steigen über eine Treppe durch die Sandsteinfluh hinab ans Flussufer. Immer wieder gibt der Weg imposante Einblicke in die Felsformationen preis, bis sich der Blick bei der Risenau weitet.

Frösche und Zugvögel: Abstecher gefällig?

Der Römerweg führt nun über den Auriedstäg wieder zurück nach Laupen. Doch wer Vögel, Amphibien oder Insekten beobachten möchte, macht einen Abstecher ins Naturschutzgebiet

Auried. Im ehemaligen Kiesabbaugebiet gibt es eine der grössten Laubfrosch­Populationen der Schweiz: Im Frühling und Frühsommer sind hier laute Quakkonzerte zu hören, besonders in der Dämmerung. Im Frühling und im Herbst kann man seltene Zugvögel beobachten, aber auch Watvögel und Libellen sind hier zu Hause.

Unser Weg führt nun am anderen Saaneufer entlang, vorbei an Wohnhäusern, der Badi, zwei Fussballplätzen – bis zu einem weiteren Highlight: dem Zusammenfluss von Sense und Saane. Hier lässt sich ideal Pause machen: höchste Zeit für das Picknick und ein Fussbad. Erfrischt besichtigen wir danach Laupen. In der Marktgasse, am Läubli­ und am Kreuzplatz erwarten uns kunstvoll gezimmerte Lauben, mittelalterliche Rieghäuser und uralte Pflastersteinstrassen.

Zum Abschluss wartet das Schloss. Die Burganlage aus dem 12. Jahrhundert ist das Wahrzeichen der Region. Sie steht auf einem hohen Sandsteinfelsen: Wer Glück hat, erhascht vor der Rückreise einen Blick auf den Chasseral, den Jura, die Stockhornkette und die Berner Alpen.

Abwechslungsreiche Herbstwanderung: vom Bahnhof beim Schloss Laupen (links oben) zum Naturschutzgebiet Auried (rechts) und über den Auriedstäg (oben) zum Zusammenfluss von Sense und Saane (links).

Facts

Dauer: 1 Std. 50 Min.

Strecke: 7,3 km

Auf-/Abstiege: 80 m

Markierung: Wanderweg Richtung

Gümmenen, später Auried, der letzte Teil führt auf dem Trans-Swiss-Trail Nr. 2 zurück nach Laupen.

An-/Abreise: Ab Bern in 30 Min. mit der S2 nach Laupen

Praktische Infos:

regionlaupen.ch

Bahnhof Laupen Wanderroute

Erlebnisort Ausgangspunkt

Auriedstäg

Beim Herbstmenü der Spitzenköchin Aline Born kommen diesmal Zutaten zum Einsatz, die eine gesunde Ernährung für Frauen unterstützen. Randen­ Carpaccio, Spitzkabis mit Karotten und Gelberbsen sowie zum Dessert ein Birnen­ Shot und Birnenkuchen. Alle Gänge sind leicht nachzukochen.

Text: Thorsten Kaletsch

Aline kocht

«Verschiedene Studien zeigen, dass eine Ernährung, die reich an Früchten und Gemüse ist, das Risiko für bestimmte Krebsarten mindern kann», sagt Aline Born beim Zubereiten ihrer drei Gänge. «Hülsenfrüchte sind gut für den Hormonhaushalt – und Randen enthalten Eisen.» Das alles eigne sich gut für eine gesunde Ernährung für Frauen. Das Randen­ Carpaccio kombiniert sie mit Orangen, wohl wissend, dass Vitamin C im Körper bei der Aufnahme von Eisen behilflich ist. «Der Klassiker dazu wäre Feta – ich ziehe aber den milden Ziegenfrischkäse vor, den meine Kollegin Karin Woodtli herstellt.» Diese verbringe seit über 20 Jahren den Sommer mit Milchziegen auf der Alp – früher im Tessin und Calancatal und jetzt als Pächterin der Ziegenalp Küenzeln­Alpiglen hoch über dem Brienzersee. Die gelernte Laborantin und Aktivierungstherapeutin unterstützt Aline Born im Frühling, Herbst und Winter regelmässig an deren Märitstand in Bern.

Für das Dressing des Carpaccios presst Aline Born die Reste der filetierten Orange aus und mischt das Ganze mit Honig, Zitronensaft und einer halben Knoblauchzehe. «Wer etwas Zeit sparen will, kauft schon gekochte Randen,

statt sie selbst 45 oder 50 Minuten im Ofen zu backen», verrät sie.

Den Hauptgang präsentiert die Köchin wieder im Tavolata­ Stil: Für den Fototermin hat sie zwei Kabissorten und 250 Gramm Karotten verarbeitet, dazu kommen (als Hülsenfrüchte) Gelberbsen. «Die Zubereitung im Backofen braucht halt schon etwas Zeit – aber es lohnt sich!», verspricht sie. Als Beilage empfiehlt sie Basmatireis.

Das Servieren des Desserts geht nachher ruckzuck – denn der Birnenkuchen kann ja vorgängig gebacken werden. «Für den Birnen­ Shot verwende ich fertige Getränke wie etwa den frischen Ingwer ­ Shot von Sluup und einen guten Nektar», sagt Aline Born. Für die pinke Farbe gibt sie ein paar Tropfen Randensaft von der Vorspeise dazu. «Das ist nur für den Effekt – geschmacklich hat das keinen Einfluss.»

Bei Kuchen ziehe sie es meist vor, wenn man Eiweiss und Eigelb nicht trennen müsse, erklärt sie. «Je einfacher, desto besser!» Einen Tipp hat sie auch da noch auf Lager: «Diesen Kuchen kann man problemlos einfrieren und so länger aufbewahren.»

Die Bernerin Aline Born ist gelernte Köchin und diplomierte HôtelièreRestauratrice HF. Ihr Können verfeinerte sie durch Zusammenarbeit mit Spitzengastronomen wie Andreas Caminada, Yotam Ottolenghi, Tanja Grandits, Urs Messerli und Domingo S. Domingo. Nach Weiterbildungen zur Barista, Käse-Affineuse und Roh-Vegan-Spezialistin hat sie das Unternehmen «Nuri Gastro AG» gegründet. Hier stellt sie selbst entwickelte Produkte her, vertreibt Lebensmittel von ausgewählten Lieferanten und bietet Caterings und Koch-Workshops an. Ihre Produkte können über den Nuri-Webshop bestellt werden oder sind am Samstagmorgen auf dem Münstermarkt erhältlich. Aline Born beteiligt sich oft an kulinarischen Pop-ups und ist hin und wieder auch an Märkten ausserhalb von Bern präsent. Für die Produktion ihrer eigenen Produkte mietet sie sich jeweils in der «Flavour Kitchen» im sitem-Insel-Gebäude ein. nurifood.ch

Randen­ Carpaccio mit Orangen und Ziegenfrischkäse

Zutaten für 4 Personen

2–3 Stk. rohe Randen (optional: gekochte)

1 Zweig Thymian

100 g Ziegenfrischkäse (z. B. von Karin Woodtli)

1 Stk. Orange

etwas Fleur de Sel etwas grüner Salat

Dressing:

120 ml Olivenöl

30 ml Zitronensaft, frisch gepresst

½ Stk. Knoblauchzehe

50 ml Orangensaft, frisch (Saft beim Filetieren auffangen)

½ TL Honig

etwas Salz und Pfeffer

Zubereitung

1. Ofen auf 230 °C (Umluft) vorheizen.

2. Randen im Ofen 45–50 Minuten backen, bis sie ganz weich sind (bei bereits gekochten Randen diesen Schritt überspringen). Danach schälen und mit einem Gemüsehobel oder von Hand in dünne Scheiben (ca. 1–2 mm) schneiden.

3. Orangen filetieren. Orangenreste nach dem Filetieren auspressen und für die Sauce beiseitestellen.

4. Sauce: Alle Zutaten in einen Becher geben, gut mixen und mit Salz und Pfeffer abschmecken.

5. Anrichten: Randenscheiben vorsichtig in einer flachen Schüssel mit der Sauce marinieren. Auf einem flachen Teller anrichten. Mit Orangenfilets, Ziegenkäse und Thymian garnieren. Nach Belieben mit Fleur de Sel und Pfeffer nachwürzen. Salat mit etwas Salatsauce (nach Wahl) anmachen und zum Randen-Carpaccio servieren. Dazu passt zum Beispiel eine (warme) Brioche.

Hauptspeise
Geschmorter Spitzkabis mit Karotten, Sauerkraut und Gelberbsen

Zutaten für 4–6 Personen

1 Stk. mittelgrosser Spitzkabis (ca. 750 g), gewaschen

250 g Karotten, gut gewaschen, mit der Schale

2 Stk. Knoblauchzehen

1 Stk. Schalotte oder kleinere Zwiebel, geschält und in Streifen geschnitten

200 g Gelberbsen

2 EL Olivenöl etwas Salz und Pfeffer

3 Stk. Lorbeerblätter

230 g Sauerkraut, roh mit Wacholder

½ TL Kümmelsamen, geröstet

60 g Butter

1/4 TL gemahlene Kurkuma

1–1½ l Gemüse- oder Hühnerbouillon

Zum Fertigstellen:

100 g Crème fraîche

1 TL Maizena

10 g Petersilienblätter, fein gehackt

Zubereitung

1. Den Ofen auf 220 °C (Umluft) vorheizen.

2. Gelberbsen in kaltem Wasser ansetzen und ca. 1 Stunde weichkochen.

3. Karotten mit der Schale vierteln und in dünne Scheiben schneiden.

4. Die äusseren Kabisblätter wegschneiden und in 1×1 cm grosse Stücke schneiden.

5. Restlichen Spitzkabis in 6–8 Schnitze schneiden und in einen

Schmortopf oder eine Gratinform (ca. 28 cm Durchmesser) geben. Olivenöl, ½ TL Salz und frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer dazugeben und alles mischen. Spitzkabis 25–30 Minuten im Backofen rösten, bis er braun und an einigen Stellen dunkelbraun ist.

6. Gekochte Gelberbsen, Karotten und alle restlichen Zutaten (ohne Bouillon und ohne Zutaten zum Fertigstellen) zum Spitzkabis geben. Mit Bouillon auffüllen, bis die Zutaten leicht gedeckt sind. Vorsichtig mischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Den Topf mit einem Deckel (oder Gratinform mit einer Folie) abdecken und 45 Minuten lang im Backofen backen, bis das Gemüse weich ist.

7. Den Deckel abnehmen und weitere 10–15 Minuten garen. Saft in eine Pfanne abgiessen.

8. Zum Fertigstellen die Hälfte der Crème fraîche zum Saft in die Pfanne geben. Maizena mit etwas kaltem Wasser anrühren und in den Saft einrühren. Kurz kochen lassen, bis sich die Sauce bindet. Sauce wieder zum Kabis geben. Mit gehackter Petersilie garnieren. Dazu die restliche Crème fraîche und als Beilage zum Beispiel Basmatireis servieren.

Dessert

Birnen­ Shot

Zutaten für 4 Personen

200 g Birnennektar

60 ml frischer Ingwer-Shot (z. B. von Sluup)

1 TL Zitronensaft etwas Randensaft (zum Färben)

Zubereitung

Birnennektar und Ingwer-Shot mixen und mit etwas Zitronensaft abschmecken. Für die Farbe auf Wunsch noch etwas Randensaft beigeben.

Birnenkuchen mit Mohn

Zutaten für 4 Personen

Backform für flachen viereckigen Kuchen: 20 cm × 13 cm oder

Cakeform: 17 cm × 9 cm, Backpapier

85 g Butter, weich

110 g Zucker

15 g Kakaopulver (ungezuckert)

¼ TL Ingwerpulver

¼ TL Kardamonpulver

1 TL Vanillezucker

1 Prise Salz

2 Stk. Eier

1,5 g Mohnsamen

92 g Mehl

½ TL Backpulver

400 g Birnen (z. B. Williams)

Zubereitung

1. Die Butter schaumig rühren, bis sich leichte Spitzen bilden. Dann Zucker, Kakaopulver, Ingwerpulver, Kardamonpulver, Vanillezucker, Salz und Eier hinzufügen und weiter rühren, bis die Masse hell und cremig ist. Den Mohn untermischen. Mehl und Backpulver vermengen und unter die ButterZucker-Masse heben.

2. Die Birnen schälen, vierteln und das Kerngehäuse entfernen. Mit dem Hobel oder von Hand in sehr dünne Scheiben schneiden und gut mit dem Teig vermischen. Den Teig in eine mit Backpapier ausgelegte Form geben und gleichmässig verteilen. Darauf achten, dass der Teig gut in die Ecken der Form gedrückt wird.

3. Im unteren Drittel des auf 180 °C Umluft vorgeheizten Ofens 30–40 Minuten (als flacher Kuchen) oder 40–50 Minuten (als Cake) backen. Dazu passt eine mit Vanillezucker verfeinerte und mit Honig gesüsste Crème fraîche oder Panna cotta (Rezept in der letzten Ausgabe des Insel Magazins).

«Intuition ist typisch weiblich»

1. Wann fühlen Sie sich ganz besonders als Frau?

Ich fühle mich eigentlich immer als Frau – ganz besonders aber, wenn ich meinem Beruf und Hobby nachgehen kann: mich mit wunderbarer Mode und Trends zu beschäftigen!

2.

Welche Eigenschaften sind «typisch weiblich»?

Intuition ist wohl eine typisch weibliche Eigenschaft – davon habe ich viel erwischt. Es gibt aber auch viele Beispiele, bei denen Männer Intuition zeigen. Zum Beispiel mein Mann beim Kochen ...

3. Wie achten Sie auf Ihre Gesundheit?

Da ich eine Zöliakie habe, muss ich sehr auf meine Ernährung achten und esse vor allem mediterran. Ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben ist die Bewegung – ich praktiziere sehr gerne Yoga.

4.

Welche «Sünden» gönnen Sie sich?

Ich esse sehr gerne salzige Snacks. Bei Popcorn kann ich nicht mehr aufhören. Auch geniesse ich gerne ein feines Glas Wein.

5. Was tun Sie gegen ein schlechtes Gewissen?

Ich versuche, mir bewusst zu machen, warum es da ist, und dann Lösungen dagegen zu suchen. Ein grosser Vorteil beim Älterwerden ist, dass man bewusster lebt und nicht mehr so oft ein schlechtes Gewissen hat.

6. Wie sieht für Sie ein idealer freier Tag aus?

Nach dem Aufstehen gemütlich einen Kaffee trinken, dazu Zeitung lesen und dann Sport treiben. Oft fahren mein Mann und ich mit dem E­Mountainbike auf einen Berg und geniessen die Landschaft. Im Winter machen wir dasselbe mit den Ski. Auch Kochen und Essen hat bei uns einen hohen Stellenwert.

7. Wann waren Sie das letzte Mal im Spital?

Wegen meinen Unverträglichkeiten muss ich regelmässig in die Polyklinik.

8. Wie entspannen Sie sich?

Beim gemütlichen Zusammensein mit meiner Familie und guten Freunden. Und beim Yoga.

9. Wann haben

Sie das letzte Mal geweint?

Beim Lesen meiner Ferienlektüre. «Das Versprechen des Bienenhüters» von Christy Lefter ist ein wirklich schönes, aber auch sehr berührendes und trauriges Buch.

10. Wovon träumen Sie?

Als Unternehmerin wünsche ich mir immer wirtschaftliche Stabilität und gute Rahmenbedingungen für das Unternehmen. Privat versuche ich, nicht zu träumen, sondern meine Träume im Alltag zu leben.

Nicole Loeb (57) leitet seit 2005 als Delegierte des Verwaltungsrats in fünfter Generation das Berner Familienunternehmen Loeb. Heute betreibt die Loeb-Gruppe in Bern, Biel und Thun drei Warenhäuser sowie den Concept Store Maggs in Bern. Nicole Loeb ist die einzige Schweizer Unternehmerin, die ein eigenes Warenhaus führt. Sie hat die Kunstgewerbeschule in Vevey absolviert und sich zur Textilbetriebswirtin ausgebildet. Sie ist mit dem Kommunikationsprofi Lorenz Furrer verheiratet und Mutter zweier Töchter (21 und 23).

Programm für Lernende

strong@work: gestärkt für die FaGe-Lehre

Die Herausforderungen für FaGe-Lernende sind gross. Deshalb gibt es das Resilienzprogramm strong@work.

Programm für Lernende

Von der Schule in die Arbeitswelt – es ist ein grosser und anspruchsvoller Schritt, den junge Lernende meistern müssen. Das Resilienzprogramm strong@work der Insel Gruppe stärkt Lernende Fachfrauen und Fachmänner Gesundheit (FaGe) im Umgang mit Herausforderungen im Spitalalltag.

Text: Fabienne Schöpfer

Rahel Witschi ist FaGe ­Lernende der Abteilung Orthopädie N­ Ost. Schon als Kind war für sie klar, dass sie später eine Ausbildung in der Pflege beginnen möchte, und sie freute sich sehr auf den Start der Berufslehre als Fachfrau Gesundheit. Als sie dann als 15 ­Jährige nach der Schule direkt ins Berufsleben einstieg, war die Umstellung gross. «Plötzlich musste ich Berufsalltag, Schule, überbetriebliche Kurse und Privatleben unter einen Hut bringen und mich ganz selbstständig organisieren», erzählt sie. Hinzu kam das Bewusstsein, dass sie nun viel mehr Verantwortung übernehmen musste. «Klar, als Lernende wird man sehr eng begleitet. Doch mir wurde zum ersten Mal so richtig bewusst, dass mein Handeln eine Wirkung auf Patientinnen und Patienten hat, die ich nicht einfach wieder rückgängig machen kann», blickt sie zurück.

Das sagt die Initiantin

«Mit strong@work stärken wir die Resilienzkompetenzen. Die Lernenden werden befähigt, konstruktiv mit belastenden Situationen und beruflichen Herausforderungen umzugehen und haben damit ein stabiles Fundament für die Zukunft. Damit wollen wir nicht nur Lehrabbrüche vermeiden, sondern auch nachhaltig für eine lange Verweildauer im Beruf sorgen. Wir starteten vor gut zwei Jahren mit der Entwicklung des Programms und konnten im Sommer 2023 mit den ersten FaGe-Lernenden starten.»

Andrea Deiss Candrian, Leiterin

Abteilung Ausbildung Sekundarstufe II

Wie gross die Herausforderungen einer beruflichen Grundbildung für die Jugendlichen sein kann, weiss auch Irene Kaufmann. Als Bildungsverantwortliche Sekundarstufe II begleitet sie seit neun Jahren Lernende FaGe. «Bei der grossen Menge an Informationen und Ansprüchen, die privat und beruflich auf die Jugendlichen einwirken, braucht es Übung, um innehalten zu können und wahrzunehmen, was in komplexen, manchmal auch belastenden Situationen guttun würde und unterstützen könnte», erklärt sie.

Rahel Witschi ist mittlerweile im zweiten Lehrjahr. Sie hat den Einstieg in die Ausbildung gut gemeistert und schätzt den abwechslungsreichen Berufsalltag. Neben der grossen Unterstützung im Team und der Begleitung durch die Berufsbildenden profitiert sie auch vom Programm strong@work. Das Resilienzprogramm besteht aus sechs Unterrichtseinheiten, welche die Lernenden im Verlauf der drei Ausbildungsjahre absolvieren. Dabei setzen sie sich mit ihren persönlichen Stärken auseinander und tauchen ein in Themen wie Energiemanagement, Umgang mit Stress, emotionale Balance und Selbstregulation. «Ein Ziel des Programms ist, dass die Lernenden ihre Stärken erkennen, aber auch Gegebenheiten und Menschen in ihrem Alltag als Ressourcen wahrnehmen, auf die sie in herausfordernden Situationen zugreifen können», erklärt Andrea Deiss Candrian, Leiterin Abteilung Ausbildung Sekundarstufe II der Direktion Pflege.

Und wie kommt das neue Programm bei den Lernenden an? Bei Rahel Witschi war das Interesse an den Workshops

von Anfang an gross. Sie kennt aber auch einige Lernende, die zuerst skeptisch waren. «Das hat sich aber mittlerweile geändert. Mit Transferaufgaben müssen wir jeweils die Theorie aus den Workshops ganz bewusst im Berufsalltag anwenden. So erleben wir alle ganz konkret, wie wir die erlernten Strategien einsetzen können», erzählt Rahel Witschi.

LehrbetriebsChampion

Für das Projekt strong@work wurde die Insel Gruppe im August 2024 vom Wirtschaftsraum Bern (WRB) als LehrbetriebsChampion (1. Rang) ausgezeichnet. «Die Insel Gruppe unterstreicht mit diesem Engagement ihre Rolle als verantwortungsvolle und innovative Arbeitgeberin», sagt Urs Baumann, Präsident der Kommission Wirtschaft der Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Die Lehrbetriebs-Championship wurde vom WRB in diesem Jahr zum ersten Mal durchgeführt. Rund 3200 Lehrbetriebe waren eingeladen, sich mit besonderen Leistungen in der Berufsbildung um den Titel zu bewerben.

Von links: Andrea Deiss Candrian, Rahel Witschi und Monika Schäfer (Bereichsleiterin Aus- und Weiterbildung).

Zitate zum Thema Frau

«Wir Ärztinnen und Ärzte konzentrierten uns lange Zeit vor allem auf ‹den Patienten›, scheinbar geschlechtslos. Aber bei genauem Hinsehen ist der Prototyp Mann das Mass aller Dinge.»

Vera Regitz-Zagrosek (geb. 1953), deutsche Fachärztin für Kardiologie

«Zu einem 400 ­Meter­Lauf treten ein Mann und eine Frau an: der Mann mit 20 Metern Vorsprung und im sportlichen Outfit. Die Frau mit Rucksack, aus dem zwei Kinder gucken, vor ihr mehrere Hürden. Da ist die Frage, wer schneller ist, müssig.»

Regine Hildebrandt (1941–2001), deutsche Politikerin

«Nach all den Jahren, in denen ich als Frau hörte, ich sei nicht dünn genug, nicht schön genug, nicht klug genug, ich hätte von diesem und jenem nicht genug … wachte ich eines Morgens auf und dachte: Ich bin genug.»

Anna Quindlen (geb. 1952), US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin

«Weh mir, mein Gott, warum hast Du mich nicht als Mann geboren? Alle meine Fähigkeiten wären Dir zu Diensten, ich würde in nichts irren, und ich wäre in allem perfekt, so wie die Männer zu sein behaupten.»

Christine de Pizan (1365–1429), italienisch-französische Schriftstellerin und Unternehmerin

«Die Frau hat Jahrhunderte lang als Lupe gedient, welche die magische und köstliche Fähigkeit besass, den Mann doppelt so gross zu zeigen, als er von Natur aus ist.»

Virginia Woolf (1882–1941), britische Schriftstellerin und Verlegerin

«Sport schadet der Gesundheit der Frauen und kann zu Unfruchtbar­

keit führen –

sportliche

Frauen sind

unästhetisch männlich»: Die Zeiten so absurder Auffassungen sind glücklicherweise passé. Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass Sport für alle Geschlechter gesund ist und dass gesunde Körper unglaublich viel leisten können.

Text: Andrea Zryd | Illustration: gavinonline.ch

Schadet Sport den Frauen?

In einigen Ausdauersportarten im Ultralangdistanzbereich können austrainierte Frauen resistenter und leistungsfähiger als Männer sein: Sie weisen ca. 60 Prozent mehr intramuskuläre Fette auf, was für längere Ausdauerbelastungen vorteilhaft ist. In den meisten Sportarten übertreffen aber die Männer die Frauen bei den Höchstleistungen um zehn Prozent – in reinen Kraft­ und Explosivsportarten ist der Unterschied noch deutlicher.

Frauen unterscheiden sich in der Physiologie und in der Anthropometrie (den Proportionen) von Männern: Es liegt somit auf der Hand, dass die Trainingsgestaltung nicht gleich sein kann. Die Forschung zu den biologischen Grundlagen der geschlechtsspezifischen Unterschiede im Training steckt aber noch in den Kinderschuhen: Auch hier beziehen sich die meisten Empfehlungen noch auf Untersuchungen von männlichen Probanden. Es müssen nicht alle Trainingsplanungen über den Haufen geworfen werden. Aber es ist richtig, ein Verständnis für die Leistungsfähigkeit des weiblichen Körpers zu bekommen. Dabei gilt es, zwischen Leistungs­ und Freizeitsport zu unterscheiden. Wer nicht mehr als dreimal die Woche Sport treibt, kann nach Wohlbefinden trainieren. Im Leistungssport liegt der Fokus auf der Verbesserung der Leistungsfähigkeit – aber nicht auf Kosten der Gesundheit. Diese Balance ist wichtig.

Andrea Zryd (49) ist Sportwissenschaftlerin und Diplomtrainerin. Sie wurde 2023 in den Nationalrat gewählt. Die gebürtige Adelbodnerin ist Mutter von zwei Kindern und wohnt seit vielen Jahren in Magglingen.

Die Trainierbarkeit im Ausdauerbereich ist bei Frauen ähnlich wie bei Männern. Beim Muskelaufbau ist aber die Trainierbarkeit geringer, das Krafttraining muss entsprechend angepasst werden. Die zyklusbedingten hormonellen Schwankungen können im Kraftbereich sinnvoll ausgenutzt werden. Ein bekannter Grundsatz lautet, dass Frauen während der Follikelphase (vor dem Eisprung) am Limit trainieren sollen, in der Lutealphase (nach dem Eisprung) leistungserhaltend und während der Monatsblutung nach Wohlbefinden.

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Wettkämpfe richten sich nicht nach dem Zyklus der Frauen, und ambitionierte Athletinnen können nicht nur sieben bis zehn Tage pro Monat mit voller Intensität trainieren. Zyklusorientiertes Training kann für Athletinnen Sinn machen, die bereits viel trainieren und noch mehr herausholen wollen. Trainingstagebuch und Zyklustracking sind die Grundlage, um den Körper besser zu verstehen und gesundheitliche Veränderungen zu erkennen, die Auswirkungen auf die sportlichen Leistungen haben können.

Übrigens durchlaufen auch Männer einen hormonellen Zyklus: Er dauert aber nur 24 Stunden. Zwischen 6 und 10 Uhr morgens sind die Testosteronwerte im Blut 20 bis 40 Prozent höher als zwischen 17 und 21 Uhr.

Impressum und Vorschau

Vorschau

Das nächste Insel Magazin erscheint im Frühling 2025.

Männergesundheit

Sind Männer tatsächlich «so verletzlich»? Jedenfalls ist Männergesundheit ein wichtiges Thema – nicht nur aufgrund ihrer biologischen Unterschiede zu den Frauen. Die medizinischen Themen reichen von Erektionsstörungen, Unfruchtbarkeit und Testosteronmangel über Beweglichkeit, Adipositas, Osteoporose, Muskelschwund bis hin zu Problemen mit der Prostata. Und Longevity, das Streben nach einem gesunden, langen Leben, prägt unsere Gesellschaft – auch die Männer.

Impressum

Herausgeberin: Insel Gruppe AG, Bern.

Konzept und Kreation: Stämpfli Kommunikation, Bern. Projektleitung und Koordination: Simon Schmid (Insel Gruppe), Chiara Mori (Stämpfli Kommunikation), Thorsten Kaletsch, (textatelier.ch).

Redaktionsleitung: textatelier.ch, Biel.

Fachliche Beratung: Prof. Dr. Daniel Surbek, Prof. Dr. Michael Mueller, Prof. Dr. Michael von Wolff (Insel Gruppe).

Redaktion: Marianne Kaiser, Julia Schankin, Fabienne Schöpfer, Tamara Zehnder (Insel Gruppe), Peter Bader, Denise Fricker, Mia Hofmann, Lisa Jakob, Thorsten Kaletsch (textatelier.ch).

Art Direction: Michael Dürig (Insel Gruppe), Benjamin Scheurer (Stämpfli Kommunikation).

Gestaltung: Marc Marbach, Sarah Forster (Insel Gruppe).

Illustrationen: Anna Haas, Gavin Patterson.

Fotografie: Janosch Abel, Pascal Triponez (Insel Gruppe), Manu Friederich, Stefan Wermuth, BernWelcome, iStock, Stocksy, Shutterstock.

Gesamtherstellung: Stämpfli Kommunikation, Bern.

Auflage: 132 000 Exemplare

Erscheint zweimal jährlich.

Kontakt: magazin@insel.ch.

Copyright: Insel Gruppe AG.

Unsere Standorte

inselgruppe.ch

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