Artikel von Julia Backes zu strukturellem Rassismus an deutschen Theaterhäusern

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Kultur

THEATERDEBATTE

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Münchner Merkur Nr. 44 | Wochenende, 22./23. Februar 2014

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Gastarbeiter auf der Bühne

AKTUELLES IN KÜRZE

Weiße Schauspieler spielen Schwarze, Migranten bekommen nur Klischeerollen. Wie ausgrenzend geht es in der deutschen Theaterlandschaft zu? Eine Spurensuche. VON LAURA BACKES

Eine Nutte, ein Vergewaltiger und ein Gärtner, der sich Land erschleicht – drei Figuren in J. M. Coetzees Roman „Schande“, die Regisseur Luk Perceval in seiner Bühnenadaption des Stoffs für die Münchner Kammerspiele mit schwarzen Schauspielern besetzt hat. Die drei sprechen Englisch oder Deutsch mit starkem Akzent. „Das ist reines Kolonialtheater, auch wenn Perceval als Apartheidkritiker gilt. Hier werden eher Vorurteile gegenüber NichtWeißen geschürt“, kommentiert Murali Perumal, selbst indischstämmiger Schauspieler, die Inszenierung. Perumal ist Mitglied des Kollektivs Göthe-Protokoll. Dessen Ziel ist es, auf derlei Fälle von Diskriminierung Nicht-Weißer in der Hochkultur aufmerksam zu machen. „Wir wollen niemanden als Rassisten brandmarken, sondern den strukturellen Rassismus aufzeigen, der sich durch die ganze Gesellschaft zieht“, sagt der Münchner Künstler Tuncay Acar, Gründer des Kollektivs. „Wir Mig-

Einen Gärtner, der sich Land erschleicht, spielt Felix Burson in Luk Percevals Inszenierung „Schande“ an den Münchner Kammerspielen. des Themas nicht bewusst gewesen. Nadja Ofuatey-Alazard, die an der Universität Bayreuth unter anderem zu medialen Repräsentationen minorisierter Gruppen forscht, definiert Rassismus als „Ideologie weißer Vorherrschaft: Über Jahrhunderte hinweg wurde in Europa ein System der Unterscheidung und Hierarchisierung menschlicher Gruppen und Gesellschaften entwickelt, das dann die Ermordung, Versklavung, Landraub und die Diskriminierung von Nicht-Weißen legitimierte.“ Die deutsche Öffentlichkeit habe sich damit noch nicht wirklich auseinandergesetzt. Deshalb sei die „strukturelle Ungleichbehandlung NichtWeißer nach wie vor die Realität.“ Die Konsequenz: „Weiße Räume wie das Theater bleiben weiß“, moniert Ofuatey-Alazard. Deshalb sei es auch kein Zeichen für Fremdenfreundlichkeit, dass Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, Niederländer ist und in seinem Ensemble etwa Esten und Schweizer spielen. „Das Bollwerk Theater muss endlich seine Tore für Menschen öffnen, die nicht deutsch aussehen“, fordert auch der Schauspieler Perumal. In der Tat hat niemand im Ensemble der Kammerspiele oder des Münchner Residenztheaters asiatische,

Im 19. Jahrhundert bemalten sich Weiße in den USA mit Ruß ranten werden gleich in bestimmte Schubladen gesteckt.“ Die letzte große Debatte um Rassismus im Theater löste vor zwei Jahren eine Inszenierung des Stückes „Ich bin nicht Rappaport“ am Berliner Schlossparktheater aus. Dort spielte Joachim Bliese an der Seite von Dieter Hallervorden den schwarzen Midge mit dunkler Schminke im Gesicht. Aufgebrachte Künstler und Wissenschaftler sahen darin vor allem ein Beispiel für „Blackfacing“, heute vor allem in den USA ein Symbol für Rassismus. Dort bemalten sich Weiße im 19. Jahrhundert in sogenannten „Minstrel-Shows“ mit Schminke aus Ruß oder Schuhcreme, betonten ihre Lippen rot und dick, tanzten lächerlich. So bedienten sie Klischees vom ewig lustigen Schwarzen. Die Leitung des Schlossparktheaters wehrte sich natürlich gegen die Rassismusvorwürfe: Man sei sich der Sensibilität

afrikanische oder südamerikanische Wurzeln; keiner der drei schwarzen Schauspieler aus „Schande“ sind fest an den Kammerspielen. Für Tuncay Acar sind diese Strukturen im Theater besonders verwerflich. Die Macher dort schrieben sich traditionell auf die Fahne, Probleme zuzuspitzen, dem Publikum

Shermin Langhoff. den Spiegel vorzuhalten. „Im Moment sieht man aber beim Blick auf die deutschen Bühnen ein Spiegelbild, das unserer Gesellschaft nicht besonders ähnelt. Zu einheitlich, zu weiß ist es.“ Das Schlossparktheater argumentierte damals, man habe für die Besetzung des Midge keinen geeigneten schwarzen Schauspieler gefunden. Die Auswahl sei nicht groß genug in Deutschland. Und nach einem nicht-weißen Ak-

teur fürs feste Ensemble zu suchen, lohne sich nicht. Das Stückrepertoire biete demjenigen „zu wenige Rollen in einer Spielzeit, die ein Festengagement rechtfertigen würden“. Solchen Argumenten widerspricht Perumal scharf. Die Schauspielschulen seien voll von nicht-europäischen Migranten. Doch die Dozen-

Murali Perumal. ten hätten ihn zu Beginn seiner Ausbildung gewarnt: „Es wird nicht leicht, an bestimmte Rollen zu kommen.“ Perumal war in Köln unter Karin Beier vier Jahre fest im Ensemble. Eine Ausnahme. Oft müssen sich nicht-weiße Schauspieler mit Engagements begnügen, in denen sie den Ausländer spielen. Sie werden als „Gastarbeiter“ für schwarze Rollen in Stücken wie „Kampf des Negers und der Hunde“ geholt. Ein afro-

MUSIK-CHARTS: ROCK/POP

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„Noir“ – Broilers „Farbenspiel“ – Helene Fischer „Wenn das so ist“ – Peter Maffay „Zum Glück in die Zukunft II“ – Marteria „Unendlich“ – Schandmaul „Through The Never“ – Metallica „Ein leichtes Schwert“ – Judith Holofernes „Hydra“ – Within Temptation „Oonagh“ – Oonagh „MTV Unplugged: Kahedi Radio Show“ – Max Herre

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MUSIK-CHARTS: KLASSIK

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„Neujahrskonzert 2014“ – Daniel Barenboim „Mozart: Concert Arias“ – Rolando Villazón „Islands“ – Ludovico Einaudi „Mozart: Piano Concertos“ – Martha Argerich/ C. Abbado „The Chopin Piano Concertos“ – Olga Scheps „The Verdi Album“ – Jonas Kaufmann „Pavarotti – The 50 Greatest Tracks“ – Luciano Pavarotti „Waves – The Piano Collection“ – Ludovico Einaudi „Between Worlds“ – Avi Avital „In A Time Lapse“ – Ludovico Einaudi

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deutscher Schauspieler wurde an vier unterschiedlichen Theatern für die Rolle des Afrikaners in „Das Fest“ engagiert. Nur dafür. Intendanten erklären, man könne Hamlet nicht ohne weiteres mit einem arabisch aussehenden Menschen besetzen – das würde sich dem Publikum nicht erschließen. Der Regisseur und frühere Schauspieler Atif Hussein wird beim Vorsprechen gefragt: „Kannst du auch mit Akzent sprechen?“ Und Regisseure wie Nurkan Erpulat, dessen Inszenierung „Verrücktes Blut“ 2011 beim Münchner Festival „radikal jung“ zu sehen war, werden gebeten, „ihm mehr naheliegende Stoffe“ zu bearbeiten: Also kein Shakespeare, kein Brecht. Für Perumal ist all das Diskriminierung: „Der Sultan Saladin in ,Nathan der Weise‘ wird wie selbstverständlich von Weißen gespielt. Von mir aus sollen sie sich rot oder grün anmalen. Aber warum dürfen Nicht-Weiße dann keine Deutschen spielen, ohne dass der Regisseur den Zuschauern erklärt, warum er diese Wahl getroffen hat?“ Eine, die gegen die Ausgrenzung von Migranten kämpft, ist Shermin Langhoff, neue Intendantin des MaximGorki-Theaters in Berlin. Seit Jahren experimentiert sie mit postmigrantischem Theater. Ihre Stoffe beschäftigen sich

FOTOS: RÖDER/ ROTTHOFF

mit der typischen pluralistischen Stadtgesellschaft, elf der 16 Schauspieler im aktuellen Gorki-Ensemble haben nicht-deutsche Vorfahren. Sollte man Langhoffs Ansatz auch an anderen Häusern verfolgen? Für Acar ist diese Form der Inszenierung nur ein Schritt zum Ziel. „Ich will sicher kein politisch korrektes Theater. Aber wir sind erst dann angekommen, wenn wir uns nicht mehr über Migration unterhalten müssen.“ Acar und Perumal sind sich einig: Eine türkische Migrantin könne eine türkische Klofrau spielen, ohne dass jemand eine weitere Rassismusdebatte vom Zaun breche – wenn sie im nächsten Stück eine nicht-migrantisch konnotierte Rolle wie die der Luise Miller in „Kabale und Liebe“ übernehmen dürfe. Dass die Zuschauer nicht so schlicht gestrickt sind, wie die Mehrheit deutscher Theatermacher momentan glaubt, zeigt Perumals Rolle in „Liebe ist nur eine Möglichkeit“ an der Berliner Schaubühne. 2006 spielte er da Günther, den Besitzer einer Dorfkneipe. Aufgrund seiner Vorfahren sieht Perumal nicht so aus, wie man sich einen typischen Günther vorstellt. Und dennoch kam in den Publikumsgesprächen nie die Frage auf, wieso man ausgerechnet Günther mit einem Inder besetzt habe.

Das kleine Rätsel: Strg+U = Frage. I. II. III.

Zu Hause bei Strauss Diskussion über den Komponisten als Privatmann Wie war der Komponist Richard Strauss daheim? Unterschied sich der Privatmann vom „öffentlichen“ Künstler? Unter anderem diesen Fragen will am kommenden Montag eine Veranstaltung des IBS, des Vereins der Münchner Opernfreunde nachgehen. Das Motto: „Zu Hause bei Strauss“. Eingeladen wurden dazu diejenigen, die es am besten wissen müssen: die Familienmitglieder Christian Strauss und Gabriele StraussHotter. Auf dem Podium sitzt noch der Strauss-Experte Professor Oswald Panagl sowie die Sängerlegende und Regisseurin Brigitte Fassbaender, es moderiert MM-Redakteur Markus Thiel. Brigitte Fassbaender, Leiterin des Garmisch-Partenkirchener Richard-Strauss-Festivals und Vorsitzende der Strauss-Gesellschaft, wird an diesem Abend die IBS-Ehren-

Brigitte Fassbaender.

FOTO: FKN

mitgliedschaft verliehen. Dazu gibt es auch einige musikalische Überraschungen, die Sopranistin Juliane Banse und das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper vorbereitet haben. Die Veranstaltung im Festsaal des Münchner Künstlerhauses am Lenbachplatz beginnt um 19 Uhr. Karten gibt es noch an der Abendkasse. mm

Auflösung: Text (nicht mehr drehen!)


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