Idea Spektrum Schweiz 33/2012

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BR E N N P U N K T

Warum Erziehen mit Vertrauen der bessere Weg ist VERTRAUENSPÄDAGOGIK «Ein Kind, dessen Eltern nicht an seine Ressourcen glauben, kann nicht von einem Tag auf

den andern seinen eigenen Verstand brauchen.» Der Pädagoge Heinz Etter macht Mut, Kindern Vertrauen zu schenken. Menschen sollten miteinander so umgehen, wie Gott mit ihnen umgeht. Umdenken lohnt sich, ist er überzeugt. Wie und wo schenken Sie selber Vertrauen? Heinz Etter: Ich bin ein sehr ver­

trauensseliger Mensch. Seit ich mit der «Vertrauenspädagogik» (VP) unterwegs bin, noch mehr als früher. Mein Vertrauen gilt dabei mehr dem Wort Gottes als den Menschen um mich herum. Es ist so befreiend, den Menschen zu vertrauen – wohl wissend, dass wir alle wenig vertrauenswürdig sind. Aber auf Jenen ist Verlass, der uns lehrt, einander zu lieben. Wie wäre das ohne Vertrauen möglich?

Was braucht es, um sich gegenseitig zu vertrauen?

Wer sucht, der findet. Es gibt im­ mer viele Gründe, zu vertrauen und noch mehr, zu misstrauen. Mir ist es eine Hilfe zu wissen, dass die meisten Menschen aus ihrer Sicht das Richtige und einigerma­ ssen Anständige tun wollen. Aber mein Vertrauen in die Menschen beruht in erster Linie auf der Be­ reitschaft und dem Entscheid, lieber über den Tisch gezogen zu werden, als Menschen zu Unrecht üble Gedanken zu unterstellen.

Seit 2006 beschäftigen Sie sich bereits vollzeitig mit «Vertrauenspädagogik». Ihre Definition?

Es ist die Abkehr von verhaltens­ orientierter Erziehung hin zu einer beziehungsorientierten. Ge­ horsam soll aus der Loyalität kom­

Gibt es Pilot-Projekte?

Die Eltern entlasten, die Kinder freisetzen: Die Pädagogen Hanni und Heinz Etter setzen auf eine veränderte Herzenseinstellung.

men und nicht aus der Furcht vor unangenehmen Konsequenzen. Die wichtigen Dinge im Leben, wie Liebe, Vertrauen, Respekt und letztlich auch den Gehorsam, kann man weder einfordern noch erzwingen. Sie kommen aus der Vertrauensbeziehung.

Wer ist Ihr Zielpublikum?

Meist sind das christliche Ge­ meinden und Schulen, ab und zu auch christliche Unternehmer. Ein grosser Teil meiner Arbeit besteht in der Beratung von Fa­ milien in Erziehungs­ und Bezie­ hungsproblemen.

Wie reagieren Eltern und Lehrkräfte beim Erstkontakt?

Den meisten Menschen leuchtet

Die «Vertrauenspädagogik» von Heinz Etter Heinz Etter, 61, verheiratet, vier erwachsene Kinder, Primar- und Sekundarlehrer, seit 2004 Heilpädagoge HfH, wohnhaft in St. Peterzell SG. Etter leitete zusammen mit seiner Frau ein Sonderschulheim mit Reittherapie und ist Autor der Bücher «Erziehen im Vertrauen» und «Vertrauens-Schule». Etter begründete die «Vertrauenspädagogik», eine neutestamentliche Pädagogik, beziehungsweise das «Join-up-Konzept». Diese machen Mut, Kindern etwas zuzutrauen, und fordern Eltern dazu auf, aufzuhören Bilder: idea/tf

«ihren Kindern wie ein Sklave zu dienen». Etters Kurse richten sich an Eltern, Lehrkräfte und Mitarbeitende in Gemeinden und Kirchen, die sich mit Kindern beschäftigen. Termine: • 16. August, 19 Uhr, Freie Missionsgemeinde Münsingen BE, Sägegasse 11 (031 781 27 00) • 10. November, 9.30 Uhr, Heslihalle Küsnacht ZH: Tages-Seminar mit Prof. Gordon Neufeld Anmeldung: heinz.etter@livenet.ch www.vertrauenspaedagogik.ch

das Konzept spontan ein, und sie sind guten Mutes, es auch umzu­ setzen. Nach der ersten Euphorie durch die Anfangserfolge erleben viele, wie alte Verhaltensmuster zurückkehren. Dann kommt es darauf an, ob sie sich auf diese Si­ tuation entsprechend vorbereitet haben.

Braucht es für die «Umstellung» einen gewissen Leidensdruck?

Ja, leider. Viele Menschen – das ist auch mit dem Glauben an Gott so ­ lassen den Dingen ihren Lauf, solange es geht. Deshalb bedeutet das Wort Krise nicht nur Unge­ mach, sondern auch Chance.

Was gab den Ausschlag zur VP?

Zunächst einmal erkannte ich als Heimleiter im Umgang mit Kindern, die durch alle Net­ ze gefallen sind, dass das keine Monster sind, sondern verletzte, hilfsbedürftige Menschen, die wie alle geliebt und angenom­ men sein wollen. Ich habe erlebt, dass sie sich in jenen Momenten, in denen sie sich angenommen fühlten, ganz normal verhalten haben. Es wurde mir bewusst, wie kontraproduktiv es war, sie unter Druck zu setzen. Die Arbeit mei­ ner Frau, die nach den Methoden des Pferdeflüsterers Monty Ro­ berts Kindern den gewaltfreien Umgang mit Pferden zeigt, war dann der Kontext für die Offen­ barung der VP.

Ja, und mit beglückenden Erfah­ rungen. In meinem Buch «Ver­ trauens­Schule», das sich an Lehr­ kräfte an Volksschulen richtet, die VP unterrichten wollen, habe ich angedeutet, dass VP an einer Pri­ vatschule viel tiefgreifender umge­ setzt werden könnte. An unserer Pilotschule in Sirnach im Thurgau machen wir die Erfahrung, dass Kinder lernen und sich führen las­ sen wollen. Und dass es nicht nur wenig bringt, sie unter Druck zu setzen, sondern dass Zwang zwar zu einer kurzfristigen Anpassung des Kindes führen kann, langfris­ tig aber Reifung und Bildung be­ hindert und oft verhindert.

Sie betonen die «Natur der Sache». Sprechen Sie auch den «gesunden Menschenverstand» an?

Ich bin überzeugt, dass unsere schöpfungsgemässen Verhaltens­ weisen durch unsere Kultur auf destruktive Weise überlagert sind. Jede Mutter weiss zum Beispiel, was sie tun muss, wenn ihr Baby die Brust sucht. Dennoch haben wohlmeinende Mütter jahrzehn­ telang, angeleitet von wohlmei­ nenden Psychologen, Kinder frustriert, indem sie sie in einen Vier­Stunden­Rhythmus drängen wollten. Die Kinder lernten den zwar, aber sie lernten gleichzeitig, dass ihr Mami sie offenbar nicht versteht. Kinder gehen von Natur aus davon aus, dass ihre Mutter merkt, dass sie Hunger haben, und ebenso, dass sie «bitten dür­ fen und ihnen gegeben wird».

Sie sind Berater, Referent und Autor. Warum sollte ich Ihre Bücher lesen?

Meine Bücher zeigen zunächst auf, wie unsinnig und kontra­ produktiv unser Erziehungsver­ halten in vielen Belangen ist und wie oft wir uns besser auf unser Bauchgefühl verlassen sollten. Es geht also gewissermassen um ein Zurückbesinnen auf etwas, was in uns bereits angelegt ist. Das gilt in erster Linie für den sogenannten Normalfall. Es ist erstaunlich, wie idea Spektrum 33.2012


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