Kanaren Express 168

Page 9

Im Gespräch

Nr. 168 Zusage eingehalten wird und die Menschen auch erst dann entwurzelt werden, wenn das neue Zuhause bereit ist, sie aufzunehmen. Ich habe schon Betroffene erlebt, die ein schlimmes Trauma von dieser Zwangsentwurzelung davongetragen haben und psychologische Betreuung nötig hatten.

Kommentar

Ferienhülle kontra Fischeridylle

Aber nicht alle Gemeinden sind betroffen, weshalb sprechen Sie mit allen? Unsere Plattform bietet allen Betroffenen Rat, Beistand und eine Stimme. Je mehr wir sind, umso mehr Gewicht haben wir. Mitglied kann deshalb jeder werden, der sich mit uns solidarisch erklärt. Gerade weil es um die Einzigartigkeit unserer Inseln geht, geht das Thema uns alle an. Deshalb ist unsere gemeinnützige „Plataforma“ auch offen für alle. Wir erheben lediglich einen Unkostenbeitrag in Höhe von einem Euro pro Monat beziehungsweise zwölf Euro im Jahr. Dafür erhalten Betroffene juristische Beratung, Informationen und werden über die laufenden Aktivitäten und Gesprächsrunden informiert. Glauben Sie, dass es Auswirkungen auf die Modifizierung des Gesetzes hat, dass viele Canarios die Pläne der spanischen Regierung, Ölbohrungen vor der Küste der Ostprovinz vorzunehmen, so vehement ablehnen? Erdöl gegen Küstenrettung sozusagen?

Soll das alles bald Vergangenheit sein?

Nein, auf keinen Fall. Ich denke nicht, dass es wegen des Erdölstreits Repressalien gibt oder eine Art Abstrafung praktiziert wird. Das ist ein völlig anderes Thema. Gerade deshalb habe ich mit so vielen Abgeordneten und Politikern aller Parteien gesprochen. Hier geht es um den Erhalt der kanarischen Einzigartigkeit: Seit Jahrhunderten leben die Menschen an der Küste oder finden im Meer ihren Arbeitsplatz, diese historischen, traditionellen und kulturellen Wurzeln dürfen wir nie vergessen. Im Gegenteil, wir sollten sie alle gemeinsam mit Stolz vertreten. In Santa Lucía bei Güímar handelt es sich zum Beispiel um einige wenige Höhlenhäuser, die direkt an der Küste sind. Sie werden seit Generationen bewohnt und sind Teil der typischen Ursprünglichkeit. Wenn die Modifizierung des Gesetzes und die Anerken-

nung der betroffenen Gebiete wie geplant durchgeht, ist dies nicht nur ein Sieg für die Betroffenen, sondern für uns alle. Ich setze fest darauf, dass die politischen Entscheidungsträger nicht nach Politkalkül, sondern nach dem Maßstab wählen, der einem demokratisch gewählten Vertreter wichtig sein sollte: nämlich das Wohl des Volkes, das ihn gewählt hat. Wer der Plattform als Betroffener oder aus Solidarität beitreten möchte, kann dies tun, indem er 12 Euro auf das Konto 3177 0062 11 2198950921 bei einer Filiale der Caja Rural einzahlt und so seinen Solidarbeitrag leistet. Anschließend eine Email mit Namen an info@pcalc.es und man ist für ein Jahr als Mitglied registriert. Wer möchte, kann unter 922 241 878 anrufen. Wir werden die Leser des Kanaren Express über die Gesetzentwicklung auf n dem Laufenden halten.

Auf der einen Seite stehen herrliche Ferien- und Hotelanlagen in erster Linie am Meer und sind erwünscht. Sie bringen ja Geld nach Canarias. Auf der anderen Seite stehen simple Fischerhäuschen an der Küste und sind unerwünscht. Dabei ist genau das – Canarias. Ich finde, sie sind einfach zwei verschiedene Gesichter einer liebenswerten Urlaubsdestination und beides sollte willkommen sein. Tolle Hotels können überall stehen und sie sehen überall mehr oder weniger ähnlich aus. Den Unterschied macht doch die Umgebung, das Ambiente und das Lächeln der Menschen, wenn man vor die Hoteltür geht. Fischerromantik und ländliche

Idylle gehören einfach zu den Kanaren. So haben die Menschen gelebt, als die europäischen Urlauber die Inseln noch nicht als perfektes Urlaubsziel entdeckt hatten. Schmucke kleine Häuschen an der Küste mit Geranienpflanzen in ausgedienten Olivenölkanistern gehören einfach dazu. Zugegeben, nicht alles sieht hübsch aus. An manchen Wänden haben der Zahn der Zeit und die salzige Luft gewaltig genagt. Aber auch das hat Charme und ist so einzigartig wie die tiefen Falten, die so manchem alten Fischer ins Gesicht geschrieben sind. Und vor allem ist es das Zuhause von Menschen, die hier seit Generationen leben.

von Sabine Virgin Wollen wir wirklich nur schöne Anlagen an unserer Küste dulden? Wollen wir wirklich alles wegretuschieren, was nicht ins Schema „schön“ passt? Wollen wir wirklich ein austauschbares Anlagen-Image pflegen? Wollen wir Menschen aus ihrem Bett vertreiben, während das von Touristen auf genau der gleichen Höhe stehen darf? Wollen wir wirklich, dass die Inseln genau das verlieren, was sie so wahnsinnig liebenswert macht: ihr von vergangenen Zeiten und Gezeiten gegerbtes Gesicht. Lassen wir das nicht zu und solidarisieren wir uns mit den Betroffenen. Denn betroffen sind wir am Ende alle. n

Kommentar

Sicherheit ODER Kulturerbe? In der Regel werden Gesetze erlassen, um notwendige Regeln für die Gemeinschaft festzulegen. Die einen werden durch diese Regeln begünstigt, andere eingeschränkt. So sieht es auch mit dem Küstengesetz aus. Meiner Ansicht nach wurde es geschaffen, um Leben und Objekte in unmittelbarer Meeresnähe zu schützen. Nach den verheerenden Überschwemmungen durch Tsunamis in den letzten Jahren scheinen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen auch nötig zu sein.

Wer soll die Verantwortung übernehmen, wenn Schaden durch Nichtbeachtung entsteht? Solch ein Gesetz scheint also vernünftig. Aber wie bei jedem anderen Gesetz auch muss natürlich die Umsetzung den bestehenden Realitäten angepasst werden. Und hier scheint es zu mangeln, obwohl ja bereits Kompromisse gemacht worden sind, so mit einigen Hotels. Wenn diese Baugenehmigungen unter Beachtung der speziellen Bedingungen erhalten haben, dann kann man davon ausge-

von Dietmar A. Hennig hen, dass die maximale Sicherheit für die Gäste gegeben ist. Ein kleines Fischerhaus aus dem vergangenen Jahrhundert wird diese Sicherheit für seine Bewohner kaum bieten können. Die Umsetzung des Küstengesetzes erweist sich als sehr schwierig. Und gerade deshalb sollte man sich die Zeit nehmen und Einzelfallprüfungen durchführen. Respekt vor den betroffenen Menschen UND dem Kulturerbe sollten wichtige Kriterien bei der Beurteilung sein. n


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.