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Wo der Sternekoch einkauft
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Ein Dorfkrug im Nirgendwo
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Nur wenige Minuten von Dänemarks berühmter Sandstrandküste entfernt, hat sich ein wunderschöner Dorfkrug auf ganz neue Pfade gewagt. Zum Henne Kirkeby Kro gehören mehrere Tausend Quadratmeter bester Boden für Obst und Gemüse. Und dieser prächtige und wunderschöne Garten sagt den Köchen, was sie kochen sollen. Text: Gabriele Gugetzer | Fotos: Uwe Tölle
V
or einem Jahr hatte Paul Cunningham alles erreicht, was sich der Sohn eines Lastwagenfahrers je erträumt hatte. Als Brite hatte der 42-Jährige die dänische Küche mit Michelin-Sternen nach vorne gebracht. Er war Chefkoch in einem der bekanntesten Restaurants von Kopenhagen. Seine Kochbücher waren sogar auf Russisch erschienen. Er hatte Frau und Kinder. Doch er lag im Krankenhaus, denn er war lebensgefährlich erkrankt. Stressbedingt, wie ihm die Ärzte mitteilten. Heute kocht Paul Cunningham im feinsten Dorfkrug Dänemarks, irgendwo im Nirgendwo der Westküste Jütlands. Er hat an nur vier Tagen in der Woche geöffnet. Und bevor er morgens die Kochschürze anlegt, geht er, einen großen Pott Kaffee und ein Notizheft in der Hand, erstmal in den Garten. Dort prüft er, was reif ist. „Früher habe ich gesagt, was auf die Speisekarte soll. Heute ist es der Garten, der uns sagt, was wir auf die Speisekarte setzen sollen.“ Das klingt nach vernünftiger Saisonalität, die ja fast jeder Koch für sich reklamiert. Doch kaum jemand setzt diesen Gedanken so schlüssig um wie Paul Cunningham mit seiner blutjungen (und ziemlich coolen) Küchenbrigade. Die Sterneküche, das weiß er selbst aus bester eigener Erfahrung, ist auch in Dänemark geprägt
Der Dorfkrug von vorne und das Frühstück auf der zimmereigenen Terrasse vor dem riesigen Garten
vom Ego der Köche. „Viele meiner Kochkollegen interessiert die Verfremdung, denn dann können sie zeigen, was sie alles draufhaben. Aber ich glaube, man soll den natürlichen Geschmack des Produkts betonen.“ Natürlich schmeckt nicht alles natürlich und gleichzeitig interessant. Darin liegt eben die Kunst, die Paul Cunningham perfektioniert hat. Sicherlich hilft ihm dabei, dass es von der Ernte bis in die Küche nur wenige Minuten dauert und es nur ein paar Schritte vom Garten in den Kochtopf sind. Ebenso auch die beeindruckende Vielfalt der Grundprodukte, die er mit seinen Köchen und Gartenprofis anbaut, die 14 Sorten Zwiebeln, die zwölf Sorten Kartoffeln, die drei Sorten Lauch. Aber den wirklichen Geschmack macht seine lange Kocherfahrung aus. Seit 20 Jahren ist Paul Cunningham Profikoch in der Sternegastronomie. Er weiß einfach, wie es geht. Seine Tomaten schmecken auch deshalb besonders intensiv nach Tomaten, weil er die Stängel nicht wegwirft. Er bricht sie mit dem Messerrücken auf, damit sich das Aroma, das sich darin konzentriert, gut aufschließt. Dann verarbeitet er sie mit den Samen und der Haut der Tomaten zu einem Garsud. Wenn er Kartoffeln kocht (von kirschklein bis faustgroß), gibt er eine Handvoll Kräuter wie Liebstöckel 04/2012
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