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Dienstag, 23. Juni 2020

Region

Burger wählen unkonventionelle Pächter Restaurant an der Aareschlaufe Die Burgergemeinde hat mit dem Wirtepaar des «Wagen zum Glück» in Worblaufen neue Pächter

fürs Zehendermätteli gefunden. Diese Wahl sorgt für Erstaunen.

mit dem Sozialpädagogen Mar­ cel Geissbühler geteilt. Dass Taubers den Zuschlag bekommen haben, begründet die Burgergemeinde auch mit der sozialen Komponente. Nebst den Personen mit Fluchthintergrund sollen auch Personen über 55 Jahre, die von einer Aussteuerung betroffen sind, dort eine Arbeit finden. Diese sollen von Fachper­ sonen begleitet werden. Simon Tauber ist ausgebildeter Arbeits­ agoge, ein Beruf, bei dem Er­ wachsenen beim Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zur Seite ge­ standen wird. Im Zehendermät­ teli sind zwei bis drei Teilzeit­ stellen für ältere Arbeitnehmen­ de vorgesehen.

Claudia Salzmann

Ums alte Haus im Zehendermät­ teli galoppieren Kinder auf den Kieswegen. Bremsen sie ihren Lauf, so rollen die Kieselsteine lange mit. Im Laubschatten dis­ kutieren Erwachsene. Auf einer langen Tafel stehen leere Gläser und Teller. «Letzte Chance für ein Glace», ruft einer in dieser Run­ de. Weiter vorne befindet sich das Gewächshaus, und wer von der Fähre her kommt, geht an Min­ ze aller Arten vorbei: Orangen­ minze, Erdbeerminze, Basili­ kumminze. Im Gewächshaus staut sich die Hitze, und es riecht nach Blumen. Das grün überwachsene Idyll ist ein beliebtes Ausflugsziel. Es liegt an der nördlichen Aare­ schlaufe in der Stadt Bern und ist zu Fuss vom Tiefenauquartier erreichbar. Oder von Bremgarten her per Fähre.

Herausforderungen Winter und Fährbetrieb

Die Burgergemeinde prüfte 19 Bewerbungen Das «Zehnedi» ist schlicht ein Sommermärchen. Nach 30 Jah­ ren geht dieses Märchen für die Betreiber Regula und Adrian Hofer zu Ende, sie treten ihre Pension an. Die Pächterstelle des Restaurants, der dazugehören­ den Gärtnerei und des Fähr­ betriebs wird deshalb neu be­ setzt. In einem mehrmonatigen Auswahlverfahren prüfte die Burgergemeinde als Besitzerin insgesamt 19 Bewerbungen. Den Zuschlag haben Anna und Simon Tauber vom «Wagen zum Glück» in Worblaufen erhalten. Seit drei Jahren tischen die Taubers unter der Tiefenaubrü­ cke in Worblaufen am Aareufer auf. In der Küche und im Service arbeiten hier 20 Personen, eini­ ge davon mit Migrationshinter­ grund. Taubers Projekt startete 2015, als die Flüchtlingswelle die Schweiz erreichte und in Ittigen ein Asylzentrum eröffnet wurde. Nebst Deutschkursen organisier­ ten die beiden auch Arbeitsplät­ ze in der Gestalterei in Ittigen. Als klar war, dass das Haus ab­ gerissen wird, wurde der GastroTeil mobil, und so entstand der «Wagen zum Glück». Genau mit diesem umgebau­ ten Bauwagen und dazugehöri­

Anna und Simon Tauber (rechts) vom «Wagen zum Glück» und der Sozialpädagoge Marcel Geissbühler pachten das Zehendermätteli und nennen es «Zehendermätteli zum Glück». Foto: PD

gen Containern wird es ab kom­ mendem Frühling auch beim Ze­ hendermätteli losgehen, denn das Bauernhaus wird renoviert. Wie viel die Burgergemeinde in­ vestieren wird, muss noch in de­ ren Gremien diskutiert werden.

trieb des Zehendermättelis ist eine grosse Herausforderung – vor allem auch wirtschaftlich. Ohne strategische Partnerschaf­ ten wird es für die junge Familie schwierig sein, den hohen Auf­ wand zu stemmen und gleichzei­

tig den Geist des Zehendermät­ telis wachzuküssen», sagt der Berner, der anonym bleiben will. Die junge Familie – Taubers haben zwei kleine Kinder – ist sich der Herausforderung be­ wusst und hat sich für das gros­

Die Unkenrufe eines Mitbewerbers Die Wahl der Burgergemeinde Bern ist einigermassen überra­ schend. Dem Vernehmen nach waren unter den Bewerbern auch gestandene Gastronomen und sogar Sterneköche. «Die Burger­ gemeinde orientierte sich nicht an Auszeichnungen und Na­ men», sagt Pascal Mathis, Spre­ cher bei der Burgergemeinde. Das Gesamtkonzept habe über­ zeugen müssen, um den Charme des Zehendermättelis beizube­ halten. Ein Mitbewerber zweifelt die Wahl an. «Die Entscheidung der Burger ist fragwürdig. Der Be­

Idylle mit Charme: Das Zehendermätteli.

Foto: Nicole Philipp

se Projekt Unterstützung geholt: Allein für den Garten werden eine Landwirtin, eine Umwelt­ ingenieurin, eine Floristin und Zierpflanzenexpertinnen ange­ stellt. Sie teilen sich 550 Stellen­ prozente. «Aber auch Interessier­ te sollen sich beteiligen können, und ums ‹Zehendi› soll sich eine Community bilden», sagt die 32-jährige Anna Tauber. Für den Gastro- und Kultur­ bereich werden an die 1500 Stel­ lenprozente dazukommen, das Betreiberpaar eingerechnet. Das Team aus Worblaufen besteht bereits aus 20 Personen, die auch im «Zehendi» eine Stelle haben werden, so Tauber. Als Vor­ beugung, damit sie nicht zu viele Stunden arbeiten, wie dies bei Selbstständigen oft vorkommt, werden die Taubers nicht dort­ hin ziehen. «So bekommen wir Distanz», sagt der 35-jährige Simon Tauber. Zudem werde die Co-Leitung des Trägervereins

Das Zehendermätteli ist in den Sommermonaten ein Selbstläu­ fer. Durch die Lage im Wald, an der Aare und an Wanderwegen besuchen viele Ausflügler den Ort. Ein Knackpunkt könnte die kalte Jahreszeit werden. Dass das Konzept der Taubers genug Gäs­ te anlocken wird, daran zweifelt die Burgergemeinde nicht. Und auch Simon Tauber nicht: «Wir wollen ein Ort der Partizipation sein. Hier soll man sich einbrin­ gen können.» Dafür strebt er Zu­ sammenarbeiten mit Schulklas­ sen und mit dem Wohnheim Rossfeld an. Für mehr Strahlkraft soll auch ein Märitstand im Ross­ feld sorgen, dort habe sich die Be­ völkerung verjüngt, und viele Fa­ milien würden nun dort wohnen. Auch sei ein Hofladen und ein Event-Gewächshaus geplant. Eine zusätzliche Herausfor­ derung dürfte der Fährbetrieb werden. Ist dieser nicht gewähr­ leistet, so kommen keine Gäste vom anderen Aareufer ins Lokal. Auch die bisherigen Betreiber empfanden das als Herausforde­ rung und monierten, dass sich bei der Stadt niemand dafür zu­ ständig fühle. Ist der Aarepegel zu tief oder führt der Fluss zu viel Wasser, ist der Betrieb einge­ stellt. Einen Vorteil hat Simon Tauber, denn jemand aus dem bestehenden Team hat den Aus­ weis für den Fährbetrieb. «Nun suchen wir noch eine zweite Per­ son mit diesem Ausweis.»

Loubegaffer Ende Mai verabschiedete sich «Mr. Corona» Daniel Koch in die Pension. Seither wandte er sich aber schon zweimal mit einem lustigen Video auf sei­ nem Instagram-Kanal an die Schweizer Bevölkerung. Doch damit dürfte bis auf weiteres Schluss sein. Kürzlich sagte Koch, dass er sich erst wieder zu einem neuen Video hin­ reissen lasse, wenn die Zahl der täglich gemeldeten CoronaFälle unter zehn sinke. Weil die Zahlen in den letzten Tagen aber wieder langsam ansteigen, könnte das noch ein Weilchen dauern. Ein Lebenszeichen gab der Neorentner nun aber doch von sich. Sternekoch Andreas Caminada nominierte ihn für eine Social-Media-Challenge. Koch sollte bildlich festhalten, an welchem schönen Ort in der Schweiz er seine Ferien ver­ bringen würde. Wie es scheint,

muss er nicht gross in die Ferne schweifen. Koch liess sich samt Hund und Solidari­ tätsfahne auf dem Wohlensee ablichten. Jrene Rolli und Markus Maurer haben sich in der LockdownZeit ziemlich ins Zeug gelegt. Sie gründeten die Gruppe «Gärn gschee – Bärn hiuft.», damit sich Berner in der Nach­ barschaft vernetzen konnten. Diese Gruppe zählt heute über 5000 Mitglieder. Sie machte sich für Kulturschaffende stark, und so kam es zu acht Durch­

führungen von «Stage at home». Dabei traten Künstler im Gaskessel auf, die Daheim­ gebliebenen konnten dies via Livestream verfolgen und dafür spenden. So kamen 24’000 Franken zusammen. Nun holen die Social-Media-Profis Christoph Balsiger an Bord und holen zum dritten Schlag aus: Für die Aktion «Eleini zäme für Bärn» werden TShirts von bekannten Künstlern gestaltet. Unter den Grafik­ schaffenden sind beispielswei­ se der Schwarzmaler Kkade oder Pedä alias Petra Siegrist. Für 50 Franken ist man dabei, 20 davon kommen in einen Härtefallfonds. Denn die Ini­ tianten sind überzeugt: Die Pleiten werden erst kommen, und genau dann sollen Selbst­ ständige und Kleinbetriebe der Stadt Geld aus diesem Härte­ fonds beantragen können.

Markus Maurer alias Kusito, Jrene Rolli und Christoph Balsiger alias Balsi sammeln mit Shirts für einen Härtefonds. Foto: PD Der Kult-Beamte Daniel Koch geniesst seine Pension auf dem Wohlensee. Foto: instagram Daniel Koch

Apropos Härtefall: Walter Langenegger, eloquenter Chef der städtischen Kommunika­ tionsabteilung, war bis jetzt nicht als harter Prügler be­

kannt. Umso mehr fiel letzte Woche sein tiefblau umrande­ tes Auge auf, ein «Boxer-Veieli» wie aus dem Bilderbuch. Auf die bange Frage, was passiert sei, blickte Langenegger auf seine Fäuste und sagte mit ernster Miene: «Wollen Sie wissen, wie der andere aus­ sieht?» Es tönte, als hätte der

gertenschlanke Langenegger, der alles andere als eine Schlägerpostur hat, eine halbe Strassengang ausgeknockt. Irgendwie beruhigend, dass Langenegger nach einem kurzen Moment der Konsterna­ tion in sein legendär krachen­ des Gelächter ausbrach. Nichts dergleichen! Er war im Wald gestolpert und gestürzt, hatte den Kopf angeschlagen und sich ein imposantes Horn an der Stirn eingehandelt. Der Bluterguss färbte auch auf die Augenregion ab. Kein Härtefall, sondern ein harter Fall, aus dem er mit blauem Auge davonkam. Die Loubegaffer Die Loubegaffer schauen hin, hören zu und rapportieren, was unter den Berner Lauben zu reden gibt. stadtbern@bernerzeitung.ch


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