Diskriminierung - HRM Ausgabe 05/2020

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DANN GEHT DIE ARBEIT ERST RICHTIG LOS. SCHWERPUNKT DISKRIMINIERUNG.


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EDITORIAL

Vorurteilsbewusstsein

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n Anbetracht aktueller S ­ tudien und Medienberichte gibt es beim Thema Gleichbehandlung Nachholbedarf. Untersuchungen belegen die Benachteiligung von Homosexuellen am Arbeitsplatz und zeigen Rückschritte beim Frauenanteil im Topmanagement. Rassismus bei der Polizei ist immer wieder in den Schlagzeilen. Bei manchen lösen solche Meldungen Verwunderung oder Bedauern aus. Sie selbst sind von Diskriminierung nicht betroffen. Andere wiederum erleben sie am eigenen Leib, weil sie einer Minderheit angehören oder über vorurteilsbehaftete Charakteristika verfügen. Werden Einzelne oder Personengruppen aufgrund individueller oder gruppenspezifischer Merkmale benachteiligt, handelt es sich um Diskriminierung. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und meint im Ursprung Abgrenzung oder Unterscheidung. Heute steht er für ungleiche Rechte beziehungsweise Ungleichbehandlung. Diese resultiert meist aus einem anderen Werteempfinden oder Vorurteilen. Eine Benachteiligung ist nicht immer Folge einer bewussten Entscheidung der Diskriminierenden. Häufig verbirgt sie sich in unbewussten Handlungen und Einstellungen. In der Arbeitswelt zeigt sich Diskriminierung offensichtlicher als in manch anderen Gesellschaftsberei­ chen. Bewerber mit Migrationshintergrund erhalten trotz gleicher Quao k tober   /  novem b er 2020

lifikation seltener eine Einladung zum Vorstellungsgespräch als Kandidaten mit deutschen Wurzeln. Name und Herkunftsland entscheiden über Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Es herrschen Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Beim Aufstieg in die Führungsetage stoßen Frauen kaum durch die gläserne ­Decke. Gerade die Krise bringt wieder alte Rollenbilder zum Vorschein. Selbst ein Dialekt kann über Auf- und Abstieg im Berufsleben entscheiden. Einerseits gibt es die starke Forderung nach Individualität. Menschen möchten auch im Beruf ihre eigene Persönlichkeit zum Ausdruck bringen, sich von anderen unterscheiden und als Individuum wahrgenommen werden. Andererseits scheint Individualität nur bis zu einem gewissen Grad in der Arbeitswelt gewünscht zu sein. Wer zu sehr aus dem Raster fällt, stößt schnell mal an die Grenzen der Vielfalt. Dabei ist der Gleichbehandlungsgrundsatz in Deutschland im Gesetz verankert. Merkmale wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion, Behinderung oder sexuelle Identität dürfen keine Rolle spielen – weder bei Stellenbesetzungen noch bei Beförderungen oder Gehältern. Die Aufgabe von HR ist es, den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur zu befolgen, sondern Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und Sachverhalte im Unternehmen zu hinterfragen. Die Frage dabei ist nicht, ob Dis-

kriminierung stattfindet, sondern an welchen Stellen. Wer seine Schwachpunkte erkennt, kann gegensteuern. So lassen sich bewusste und unbewusste Vorurteile abbauen – in Bewerbungsprozessen, bei Karrierewegen und im Miteinander. Gemeinsam mit der Geschäftsführung ist HR in der Verantwortung, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die Diskriminierung im Unternehmen keinen Raum geben. Chancengleichheit gehört zu den Grundwerten einer modernen und zeitgemäßen Arbeitswelt. Auf Talent, Leistung und Potenzial kommt es im Beruf an, ungeachtet von Vorurteilen. Viele Unternehmen beschreiten bereits neue Wege. Sie schreiben sich Diversität auf die Fahnen und sprechen sich in der Öffentlichkeit gegen Diskriminierung aus. Dabei darf Vielfalt nicht nur ein Label sein, sondern muss als Unternehmenswert gelebt werden. Dann stellen sich Vorteile ein, die die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens sicherstellen. Schließlich belegen Studien einen Zusammenhang zwischen Diversität und Geschäfts­ erfolg. Besonders in Zeiten der Globalisierung und dynamischer Märkte ist ein breites Spektrum an Individualität gefragt.

Sven Lechtleitner, freier Autor und J­ ournalist, Magazin Human Resources Manager

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12 „It’s a Man’s World“ – in Krisen­ zeiten setzen deutsche Konzerne auf Bewährtes, vor allem auf Männer. Die Geschäftsführerin der AllBright Stiftung, Dr. Wiebke ­Ankersen, ­im Interview über den wieder schwindenen Frauenanteil in DAX-Vorständen

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SCHWERPUNKT: DISKRIMINIERUNG

Editorial

6 Soft Skills mehr beachten In Stellenanzeigen gefordert, im Arbeitsalltag ignoriert: Soziale und mehodische Fähigkeiten spielen oft eine geringe Rolle. Ein Fehler 11 Schnappschuss

12 Krise macht den Mann Warum seit der Corona-­Krise weniger Frauen in DAX-­ Vorständen arbeiten. Ein Interview mit der Geschäftsführerin der AllBright Stiftung, Dr. Wiebke Ankersen 18 Frauenfalle Vorurteile Kein Ehrgeiz, keine Lust auf Karriere? Warum Frauen im Beruf oft der Wind aus den Segeln genommen wird 22 Hochgebildet und diskriminiert Studie über LGBTQI*-Menschen auf dem Arbeitsmarkt und die Rolle der Unternehmen bei der Gleichstellung 26 Bitte miteinander! Wie sollen Vorgsetzte mit ­Inklusion umgehen? Fest steht: Es braucht Haltung und Willen

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Soft Skills als Lippenbekenntnisse nützen nichts. Warum in Unterneh­ men persönliche und methodische Fähigkeiten von Mitarbeitern immer noch eine geringe Rolle spielen

30 Durchgescannt KI soll dabei helfen, Diskriminierung in Unternehmen zu verringern. Bislang leider nur ein Versprechen 34 Geht’s noch? Obszöne Witze, der Klaps auf den Po oder zu nah: Sexismus am Arbeitsplatz hat viele Formen. Wie Personaler präventiv agieren können 38 Alter schützt vor Vorurteil nicht Organisationen können sich gegen Alterdiskriminierung positionieren 44 Achte auf deine Worte! In Unternehmen sollte gender­ sensible Sprache normal ­werden, damit sich alle Mit­ arbeiter angesprochen fühlen 48 Faire Stellenanzeigen Worauf Personaler in Stellenanzeigen achten sollten, damit sich Bewerber nicht diskrimniert fühlen 50 Gesetz gegen Lohnunterschiede Warum das Entgeldtransparenzgesetz eine Farce ist

Fotos: AllBright Stiftung; wikimedia.org; Marcel Franke | www.typophob.de (2); ROLF OTZIPKA

MEINUNG


54 Vor dem Gesetz sind alle gleich? Über die gesmischte Erfolgs­ bilanz des Gleichbehandlungsgesetzes

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IM FOKUS: ­ CORPORATE HEALTH

Kann Künstliche Intelligenz Diskriminierung verringern? Anbieter von „People-Analytics“

58 Alles für gesunde Mitarbeiter Zu Corporate Health gehören mehr als Obstkörbe und Sport – Mitarbeiter wollen Führungskräfte als Vorbilder

versprechen hier viel, dabei gibt es noch Luft nach oben

ANALYSE 62 Wind of Change Weil sich Wirtschaft und Arbeitswelt rasant verändern, sollten sich Change-Prozesse permanent anpassen PRAXIS 66 Homeoffice für Anfänger Viele Angestellte arbeiten zu Hause produktiver – wenn sie bestimmte Routinen einhalten 70 HR baut Brücken Nach wie vor unterschätzt: ­Personaler sorgen für Vertrauen und sind wichtig in Krisenzeiten

76 Sieben Gedanken Die Organisationsberaterin ­Corinna Waffender über die Vielfalt von Menschen, Sprachen und Apfelsorten RECHT

86 PMK 2020 Auch in diesem Jahr trafen sich Personaler um zu netzwerken 88 BPM-Berufsfeldstudie Die Anforderungen an die Personalfunktion verändert sich rasant

78 Aktuelle Urteile 80 Essay In Zeiten von Corona müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter besser schützen

90 Risikomanagement Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Coronakrise ist auch Aufgabe von Personalern LETZTE SEITE

VERBAND 84 Editorial 85 Preisträger 2020 Der Personalmanagement Award & der Nachwuchsförderpreis

66 Homeoffice – lange in Unter­ nehmen verpöhnt, seit Corona gern gesehen. Wer hier effizient arbeiten will, sollte Routinen befolgen

92 Ingo Bertram, Pressesprecher bei Otto, sieht eine offene Unternehmens­kultur als Basis für Vielfalt


Ein Ausschnitt aus dem Gemälde The Sleeping Beauty von John Collier (1850–1934)

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Raus aus dem Dornröschen­ schlaf!

MEINUNG

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s war einmal …“ So beginnen viele Märchen. Etwa das von Dornröschen, der Prinzessin, die über Jahrzehnte hinweg in einem Schlaf verharren musste. Ebenso gut könnte so auch eine andere Geschichte beginnen: die von den Soft Skills in Unternehmen. Beinahe gebetsmühlenhaft wird immer wieder die Bedeutung von Soft Skills im Berufsleben betont, jener Qualifikationen, die nicht fachlicher Natur sind. Typischerweise wird dabei in dreierlei Hinsicht unterschieden: Da sind erstens die sozialen Kompetenzen wie Team- oder Kommunikationsfähigkeit. Zweitens gehören persönliche Kompetenzen wie Belastbarkeit, Selbstdisziplin und auch Neugier dazu. Und drittens sind da schließlich die methodischen Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenz oder analytisches Denkvermögen. Es gibt keine Stellenbeschreibung und keine Jobanzeige, die auf solche Soft Skills verzichtet. Angeblich spielen sie neben fachlichen Qualifikationen eine entscheidende Rolle. Ja mehr noch: Als Zünglein an der Waage sollen sie sogar über den Erfolg und Misserfolg einer Bewerbung entscheiden. Gespräche mit HR-Verantwortlichen zeigen allerdings oft ein anderes Bild: da stehen Fachkompetenz, das Erreichen von Zielen und speziell bei Managern auch die Erfolgsbilanz an erster Stelle. Das sind die Garanten, an denen Erfolg gemessen wird. Also die Hard Skills, das, was messbar ist.

Soziale, persönliche und methodische Fähigkeiten von Arbeitnehmern spielen immer noch eine untergeordnete Rolle, wenn es darum geht, Stellen zu besetzen. Warum das ein Fehler ist und was sich konkret ändern muss

Ein Gastbeitrag von André Niedostadek

Foto: commons.wikimedia.org

Soft Skills als Lippenbekenntnis

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Und die Soft Skills? Gehören halt auch dazu. Irgendwie. Offen ausgesprochen wird das zwar nicht. Dennoch fühlt man sich dabei an eine Redensart erinnert: „Nützt es nichts, so schadet es auch nicht.“ Was in letzter Konsequenz aber nichts anderes aussagt als: Wir haben keine Ahnung, ob das wirklich etwas bringt. Wenn nicht – auch egal. So bleiben Soft Skills als Lippenbekenntnis wirkungslos. Verschwunden im Märchenland. Vielleicht hinter den sieben Bergen. Also werden solche Qualifikationen deswegen auch nicht gezielt weiterentwickelt. 7


MEINUNG

Wenn Soft Skills in der Unternehmenspraxis nicht mehr sind als ein leeres Versprechen, hat das Konsequenzen. Solange in Unternehmen weiterhin vor allem auf die Hard Skills gesetzt und das Fachliche einseitig betont wird, während Soft Skills weitgehend ausblendet werden, bleiben Potenziale ungenutzt. Und genau das kann sich rächen. Der Grund: Eine Ausbildung oder ein Studium als Grundlage für beruflichen Erfolg, garniert mit einem Schuss Fortbildung, mag früher vielleicht einmal ausreichend gewesen sein. In einer Zeit jedoch, die sich so rasant wandelt, dass wir heute kaum mehr ausmachen können, was morgen sein wird, gilt das nicht mehr.

Wenn Fachwissen keine Antworten bietet Wir stehen vor neuen und unbekannten Herausforderungen. Ein Aspekt betrifft die Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung und den Einsatz künstlicher Intelligenz ergeben. Dafür stehen Schlagworte wie „New Work“ und „Zukunft der Arbeit“. Man mag das eine oder andere davon vielleicht noch für Zukunftsmusik halten. Aber die Realität könnte uns schneller einholen, als wir denken. Wie sich Rahmenbedingungen plötzlich verändern können, hat die Pandemie gezeigt. Sie hat die Wirtschaft und Arbeitswelt auf eine bis dato unvorstellbare Art und Weise durcheinandergewürfelt – über Nacht und mit derzeit unabsehbaren Konsequenzen. Mit Fachkenntnissen allein ist alledem nicht mehr beizukommen. Wissen wir überhaupt, welches Wissen morgen erforderlich sein wird? Wir brauchen ein neues Fundament. Und genau dabei spielen Soft Skills eine entscheidende Rolle. HR-Verantwortliche müssen die Soft Skills aus dem Dornröschenschlaf holen. Und zwar die richtigen!

Was sich ändern muss Was muss sich ändern und welche Möglichkeiten haben HR-Verantwortliche?

1. Treffen Sie strategische Entscheidungen! Angesichts der Anforderungen, die an Unternehmen heute gestellt werden, verschwinden Soft Skills schnell aus dem Blickfeld. Wer daran etwas ändern will, muss ihnen 8

„ Gerade den persönlichen Soft Skills, zu denen auch Selbstführung, Selbstmotivation oder Selbstwirksamkeit gehören, dürfte künftig eine immer größere Rolle zukommen.“ zunächst einmal einen entsprechenden Stellenwert einräumen. Eine solche Entscheidung betrifft grundlegende strategische Überlegungen und wirkt letztlich sogar auf das unternehmerische Selbstverständnis und die Unternehmenskultur. Wenn Soft Skills nicht nur beiläufig eine Rolle spielen sollen, bei denen man eher auf Kommissar Zufall setzt, dann braucht es für das gezielte Weiterentwickeln die notwendigen Mittel.

2. Denken Sie über den Bewerbungsprozess hinaus! Soft Skills spielen damit nicht nur einmal im Bewerbungsprozess eine Rolle – und lassen sich danach getrost ad acta legen. Im Gegenteil: Ein Weiterbildungsprozess, der auch Soft Skills kontinuierlich im Blick behält, ist heute nötiger denn je. Denn Erwerbsbiografien entwickeln sich mittlerweile wesentlich dynamischer, als das vor einigen Jahren noch der Fall war. Die Übernahme neuer oder erweiterter Aufgaben kann ein Anlass sein, auch die Soft Skills wieder in den Blick zu nehmen.

3. Verfolgen Sie einen professionellem Anspruch! Wer den Ausbau von Soft Skills auch als eine unternehmerische Aufgabe begreift und diesen nicht der Eigenverantwortung der Beschäftigten überlässt, muss dabei einen professionellen Anspruch verfolgen. Das ist weit weniger eine Frage geeigneter Trainings, Workshops, Coachings oder Mentorings. Denn an ihnen mangelt es nicht. Es sind vielmehr unternehmensinterne Prozesse, die gegebenenfalls angepasst oder überhaupt erstmals gestaltet werden müssen. Wie wird zum Beispiel der Fortbildungsbedarf ermittelt? Wie der „Erfolg“ etwaiger Trainings nachgehalten? Antworten auf diese Fragen laufen oft ins Leere.


MEINUNG

4. Setzen Sie auf die richtigen Soft Skills!

Foto: Eickholt Fotografie - Heike Eickholt

Und welche Soft Skills sind gefragt? Hier stehen in der Regel die üblichen Verdächtigen hoch im Kurs. Meist sind es solche, die in Bezug auf andere wirken, also die sozialen Kompetenzen, wie die Kommunikations- oder die Teamfähigkeit. Aber man sollte sich auf sie nicht beschränken. Im Gegenteil: Eine Studie des Karrierenetzwerks Linkedin zufolge rangieren Anpassungsfähigkeit und Kreativität weit oben. Das ist mit Blick auf Entwicklungen wie agiles Arbeiten verständlich. Spannend wird es in Zukunft: Hat sich infolge von Corona etwas verändert? Wie steht es etwa um die Kommunikationsfähigkeit beim Führen auf Distanz, Stichwort: Homeoffice und mobiles Arbeiten? Wie um die so wichtigen Selbstlernkompetenzen, wenn es darum geht, sich schnell in neue Arbeitsfelder einzuarbeiten? Lebenslanges Lernen war nie aktueller als heute. Apropos Selbstlernkompetenzen: Gerade den persönlichen Soft Skills, zu denen auch Selbstführung, Selbstmoti-

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vation oder Selbstwirksamkeit gehören, dürfte künftig eine immer größere Rolle zukommen. Zurück zum Märchen um Dornröschen: 100 Jahre hat es gedauert, bis sie aus ihrem Schlaf erweckt wurde. Bis dahin hatte sich so mancher Prinz vergeblich um sie bemüht und war dabei auf der Strecke geblieben. Zeit ist heute ein überaus knappes Gut. Umso wichtiger ist es, sie sinnvoll zu investieren. Der Aufbau und die Weiterentwicklung von Soft Skills dürften dabei lohnend sein.

André Niedostadek ist Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.



MEINUNG

Schnappschuss

„Wir brauchen jetzt Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich“, fordert Stefan Wolf, ­designierter Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Diese könne „mal zwei, mal drei oder auch mal vier Stunden pro Woche“ betragen. Wolf will Spätzuschläge abschaffen sowie Weihnachtsgeld und Pausenregelungen auf den Prüfstand stellen. Man müsse angesichts der Konjunkturkrise die Arbeitskosten senken, damit Unternehmen nicht ins Ausland abwanderten. Wolfs Behauptung: „Wenn Sie reinhören in die Betriebe: Viele Menschen wären zu Zugeständnissen bereit. Da fordere ich die IG Metall auf: Hört auf diese Menschen!“ Nun sind in der Corona-Krise tatsächlich viele Beschäftigte bereit, aus Angst um ihren Job unbezahlte Mehrarbeit zu leisten oder auf einen Teil ihres Lohns zu verzichten. Und tatsächlich ist eine „starre 35-Stunden-Woche“ möglicherweise überholt. Doch ist Wolfs Vorschlag wirklich die Lösung oder nicht genau das Gegenteil? Im ­August ­dieses Jahres schlug die IG Metall eine Vier-Tage-Woche mit teilweisem Lohnausgleich vor. Bundes­arbeitsminister Hubertus Heil hält das für eine geeignete Maßnahme – nicht trotz, sondern gerade aufgrund konjunkturell schwieriger Zeiten. Denn so ließen sich auch jetzt in der Corona-Krise Jobs in der Metall- und Elektroindustrie retten. Nicht nur in der Metallindustrie könnte die Pandemie eine Chance sein, Arbeitszeit­ modelle neu zu denken. Die 40-Stunden-Woche ist ein Relikt der Industriellen ­R­evolution und damit über 100 Jahre alt. (sg)

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DISKRIMINIERUNG


„ Die Krise hat Unternehmen in Reflexe verfallen        lassen“ In Krisenzeiten setzen deutsche Konzerne auf Bewährtes – vor allem auf Männer: Der Frauenanteil in DAX-Vorständen ist gesunken. Die Geschäftsführerin Wiebke Ankersen über Entwicklungen im Topmanagement und warum bei der Balance zwischen den Geschlechtern auch Männer in den Blick zu nehmen sind Dr. Wiebke ­Ankersen führt gemein-

Ein Interview von Sven Lechtleitner

sam mit ihrem ­Co-Geschäftsführer Christian Berg die gemeinnützige deutsch-schwedische AllBright Stiftung mit Sitz in Berlin. Sie ist Skandinavistin und hat knapp 20 Jahre für schwedische Organisationen gearbeitet. Die

Foto: AllBright Stiftung

halbjährlich erscheinenden Berichte der Stiftung befassen sich mit Diversität und Geschlechtervielfalt im Management.

Frau Ankersen, warum gibt es in Deutschland nur wenige Frauen in Managementpositionen? Im internationalen Vergleich liegt Deutschland weit zurück. Auffällig wenig Frauen nehmen hierzulande in der Wirtschaft eine Führungsposition ein. Dafür gibt es nicht nur den einen Grund. Wir beobachten aber vor allem, dass die Unternehmensführungen einen vernünftigen Frauenanteil noch nicht als strategische Top-Priorität verankert haben. Das ist sicherlich der schwerwiegendste Grund. Woran liegt das? Es gab da lange eine Art satter Selbstzufriedenheit. Die deutschen Unternehmen haben sich auf Erfolgen aus der Vergangenheit ausgeruht, der Veränderungsdruck erschien 13


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DISKRIMINIERUNG

einfach nicht groß genug. Doch die Krise erfordert jetzt eine Veränderung: Anders als zuvor müssen überall Strukturen und Strategien auf den Prüfstand – das muss man auch als Chance sehen, das Mindset in den Führungsetagen zu verändern. In Familienunternehmen ist der Anteil an Frauen in Managementpositionen geringer als in DAX-Unternehmen. Warum? In Familienunternehmen spielt Tradition eine große Rolle. Und es gibt weniger Transparenz. Sie müssen nicht so viel offenlegen wie börsennotierte Konzerne. Letztere sind stärker dem öffentlichen Blick ausgesetzt. Und öffentlicher Druck ist ein sehr starker Hebel. Je mehr Transparenz herrscht, desto besser ist das für den Frauenanteil im Management. Welche Länder zeigen sich im internationalen Vergleich als Vorreiter? Wesentlich weiter als Deutschland sind beispielsweise die USA, Großbritannien oder die skandinavischen Länder – übrigens auch ohne gesetzliche Quote für Aufsichtsräte. Elf der 30 DAX-Konzerne haben nicht eine Frau im Vorstand. In Schweden oder den USA leistet sich das kein einziges börsennotiertes Unternehmen mehr. In den USA haben 97 Prozent der Unternehmen sogar mehrere Frauen im Vorstand, das ist dort die Norm. Was machen die USA und Schweden anders?

Die Gesellschaft akzeptiert dort keine reinen Männermannschaften mehr. Es herrscht ein stärkeres Bewusstsein in der Bevölkerung dafür, dass nicht nur männliche, mittelalte, weiße Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieure in diese Position kommen. Denn sie sind natürlich nicht die Einzigen, die dazu qualifiziert wären. Aber sie sind die Einzigen, die dafür ausgewählt werden. Es gibt eine unheimlich starke Rekrutierungsschablone in Deutschland. Wie sieht die Rekrutierungsschablone im Topmanagement aus? Wir nennen das den Thomas-Kreislauf. Der Name Thomas kommt in deutschen Vorständen am häufigsten vor. Es gibt eine starke Tendenz, dass Thomas seinesgleichen rekrutiert, sich mit Spiegelbildern umgibt, aus einem Bauchgefühl heraus. Jeder kennt diesen psychologischen Mechanismus – sich gerne mit Personen zu umgeben, die einem ähnlich sind. Es gibt wenig Reibung, es spart Energie, man versteht sich ohne Worte. Aber im Interesse des Unternehmens ist das eben nicht. Es entsteht leicht ein Gruppendenken, bei dem niemand etwas infrage stellt oder Neues einbringt. Wenn sich Unternehmen immer auf das Bewährte berufen und sich darauf ausruhen, entsteht auch nicht das große Neue wie Amazon, Spotify oder Tesla. Der aktuelle Bericht der AllBright Stiftung analysiert den Frauenanteil in Vorständen und

„ Öffentlicher Druck ist ein sehr starker Hebel. Je mehr Transparenz herrscht, desto besser ist das für den Frauenanteil im Management.“ 14

Aufsichtsräten. Was hat sich im Krisenjahr getan? Bei den 30 DAX-Unternehmen lag der Frauenanteil schon bei 15 Prozent. Im vergangenen Jahr gab es jedoch Rückschritte: Es sind mehr Frauen verabschiedet worden als sonst üblich. Bisher zeigten unsere Berichte eine langsame, aber stetige Steigerung des Frauenanteils bei den Börsen­unternehmen von in der Regel 0,7 Prozentpunkten im Jahr – also etwas mehr als Stagnation. Aber dieses Jahr verzeichnen wir bei den großen DAX-Unternehmen zum ersten Mal einen Rückgang des Frauenanteils. Inwiefern ist dafür die Krise verantwortlich? Wir sehen erst einmal eine Korrelation. Die Unternehmen haben im Krisenjahr zwei Dinge getan, die sie sonst nicht tun: Sie haben die Vorstände verkleinert und den Frauenanteil gesenkt. Das sieht stark nach einer kurzsichtigen Reflexreaktion aus: „Ich gehe auf ,Nummer sicher´, verkleinere mich und setze auf das, was ich am besten kenne.“ Eine Frau ins Topmanagement zu befördern ist immer mit etwas mehr Aufwand verbunden und es erfordert noch immer etwas mehr Mut der Verantwortlichen. Die bequemere und gerade unter Druck auch die einfachere Lösung ist immer der Mann. Der wird in der Regel nicht so stark infrage gestellt wie eine weibliche Besetzung. Zeigt sich in anderen Ländern ebenfalls ein rückläufiger Frauenanteil? Nein, in anderen Ländern beobachten wir diese Entwicklung nicht, in den anderen fünf Ländern in unserem internationalen Vergleich ist der Frauenanteil auch im Krisenjahr deutlich gestiegen. In den USA, Schweden oder Großbritannien ist Vielfalt als strategisches Unternehmensziel fest verankert und eben nicht das Erste, was in einer Krisen­ situation über Bord geworfen wird. Streben Frauen in Deutschland vielleicht seltener eine Machtposition an?


STUDIENERGEBNISSE 2020

TITEL

Deutschland macht Rückschritte Seit der Corona-Krise sind in den DAX-Vorständen weniger Frauen vertreten als zuvor. Das zeigt der diesjährige Report der AllBright Stiftung „Deutscher Sonderweg – Der Frauenanteil in DAX-Vorständen sinkt in der Krise“. Demnach ist der Frauenanteil auf den Stand von 2017 gefallen, aktuell liegt er bei nur 12,8 Prozent. Die Zahl der DAX-Unternehmen ohne Frau im Vorstand ist von sechs auf elf gestiegen. In anderen Ländern sieht es im Topmanagement anders aus: Der Frauenanteil beträgt in den USA 28,6 Prozent, in Schweden 24,9 Prozent und in Großbritannien 24,5 Prozent. Während Deutschland einen Rückgang von 1,9 Prozentpunkten vorweist, ist der Anteil an Frauen im Topmanagement in Frankreich um 2,4 Prozentpunkte gestiegen. Das ist der höchste Anstieg im Ländervergleich.

12,8 %

28,6 %

FRAUENANTEIL DEUTSCHLAND

FRAUENANTEIL USA

24,9 %

24,5 %

FRAUENANTEIL SCHWEDEN

FRAUENANTEIL GROSSBRITANNIEN

Deutsche Frauen sind nicht weniger ambitioniert als in anderen Ländern. Aber die Männer-Dominanz an der Spitze ist hier sehr stark, daher ist der Thomas-Kreislauf so ungebrochen. Oftmals sprechen wir von der sogenannten gläsernen Decke. Beginnen die Hindernisse im Karriereverlauf nicht weit vor dem Topmanagement? In der Regel sind Frauen bis ins mittlere Management gut vertreten – danach wird es immer dünner. Männer werden generell häufiger nach ihrem Potenzial in eine Position berufen, Frauen eher nach Leistung. Sie müssen viel o k tober   /  novem b er 2020

häufiger vorweisen, dass sie im Prinzip schon das gemacht haben, was die zukünftige Position beinhaltet. Das ist natürlich schwierig, wenn es eine Stufe nach oben gehen soll. Mit jeder Hierarchieebene verschwinden Frauen. Entweder bleiben Beförderungen aus oder sie verlassen das Unternehmen. Viele Frauen gehen von sich aus, wenn sie nicht weiterkommen. Sie suchen dann eine Umgebung, wo sie sich willkommener fühlen und etwas erreichen können. Wie sollten Frauen, die eine Spitzenposition anstreben, bei der Karriereplanung vorgehen?

Sie sollten schauen, wie es an der Spitze eines Unternehmens aussieht. Gibt es schon Frauen an der Spitze, ist dies ein guter Indikator dafür, dass der Weg nach oben für Frauen tatsächlich frei ist. Für Unternehmen, die eine Veränderung anstreben, ist es wichtig, dass sie Leuchtturmfrauen auf den oberen Positionen platzieren. So signalisieren sie anderen, dass Frauen in diesen Positionen gewünscht sind und sie dort auch hinkommen können. Sind mehrere Frauen auf den oberen Ebenen vertreten, agieren auch Frauen auf unteren Ebenen anders. Sie streben selbstverständlicher solche Positionen an, weil sie sehen, dass es erreichbar und möglich ist. Und wenn es kaum Chancen und Vorbilder im Unternehmen gibt? Im Zweifel sollten Frauen einen Firmenwechsel in Betracht ziehen. Die Pionierarbeit, in einem Unternehmen die Allererste zu sein, ist unheimlich anstrengend. Wenn jemand sehr stark ist, kann er das machen. Ebenso besteht aber die Möglichkeit, dorthin zu gehen, wo Unternehmen schon weiter sind. Seit dem Jahr 2016 gilt für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen die gesetzliche Geschlechterquote. Seitdem hat sich einiges getan. Die Geschlechterquote greift für rund 100 Unternehmen in Deutschland. Die haben die vorgeschriebenen 30 Prozent im Aufsichtsrat zuverlässig erreicht. Es gibt sogar Unternehmen, die weit über die 30 Prozent hinaus sind: 37 der 160 börsennotierten Unternehmen haben schon mehr als 40 Prozent Frauen im Aufsichtsrat. Nachdem es jahrelang seitens der deutschen Wirtschaft geheißen hatte, es gäbe diese Frauen nicht, wurden also Frauen für die Aufsichtsräte gefunden – und zwar hervorragend qualifizierte. Das 15


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DISKRIMINIERUNG

hat sehr schön gezeigt, dass hochqualifizierte Frauen sehr wohl da sind. Sie sind natürlich immer da gewesen. Aber durch die Quote waren die Unternehmen gezwungen zu lernen, sie auch wahrzunehmen. Wie stehen Sie dazu: Braucht es eine verbindliche Geschlechterquote? Die Unternehmen sollten sich im eigenen Interesse vernünftige Ziele für den Frauenanteil im Topmanagement setzen und auch für die Ebenen darunter. Es braucht diese Ziele, damit sich etwas ändert, und auch die Kontrolle der Zielerreichung. Nur so wird sich konkret etwas tun. Eine gesetzliche Quote für die Vorstände würde alleine in keinem Fall ausreichen. Sie kann ja nur Symptome bearbeiten, geht aber nicht an die Ursachen des Problems: nämlich dass keine Frauen aufsteigen. Unternehmen müssen analysieren, warum keine Frauen in den obersten Ebenen ankommen, und dementsprechend die Strukturen ändern. Rekrutieren sie von Anfang an zu wenige Frauen? Liegt es an den Beförderungsprozessen? Wo, wie und warum gehen sie dem Unternehmen verloren? Welches Potenzial verschenken Unternehmen, wenn sie die Balance zwischen den Geschlechtern außer Acht lassen? Gemischte Teams haben ein höheres Innovationspotenzial, das belegen Studien zu Diversität. Homogene Ma-

nagergruppen verstehen sich zwar ohne viele Worte, es gibt keine Reibung. Aber Reibung ist auch produktiv: Wenn unterschiedliche Hintergründe und Sichtweisen zusammenkommen, werden bestehende Strukturen stärker infrage gestellt. Das ist wichtig, um immer auf der Höhe der Zeit zu sein und sich weiterzuentwickeln. Es kommen neue Ideen hinzu. Und diese brauchen Unternehmen in unserer sich stark verändernden Welt stärker als je zuvor. Gemischte Teams können auf schwer vorhersehbare Situationen besser reagieren. Sie sehen die Verantwortung für Geschlechtervielfalt bei den Unternehmen. Wie können sie eine bessere Balance zwischen Männer- und Frauenkarrieren erreichen? Am Anfang von Karrieren sind Männer und Frauen häufig gleichermaßen vertreten. Ab dem ersten Kind gehen die Karrieren in der Regel auseinander: Der Mann geht unbeirrt seinen geraden Weg weiter und die Frau biegt ab auf eine ungepflasterte Seitenstraße mit Elternzeit und Teilzeit. Weibliche Karrieren verlangsamen sich noch unter dem mittleren Management. Wer eine bessere Balance erreichen will, muss auch die Männer mehr in den Blick nehmen: Junge Menschen sollten kurze Zeit ausfallen können, wenn sie Kinder bekommen – und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht. Wenn Unternehmen dazu übergehen, von

„Eine gesetzliche Quote für die Vorstände kann nur Symptome bearbeiten, geht aber nicht an die Ursachen des Problems.“ 16

jungen Männern genau dasselbe zu erwarten wie von jungen Frauen, können sie eine bessere Balance der Karrieren im Unternehmen erreichen. Was genau meinen Sie damit, Männer sind stärker in den Blick zu nehmen? Bewusst und aktiv mit Vätern zu arbeiten. Das machen schon einige Unternehmen. In Schweden gibt es viel mehr Frauen in Führungspositionen. Das liegt auch daran, dass sich Vorgesetzte mit werdenden Eltern zusammensetzen – egal ob Mann oder Frau. Dann fragen sie: Wie willst du es handhaben, wenn das Kind da ist? Arbeitest du danach in Teilzeit? Wie lange gehst du in Elternzeit? Schwedische Unternehmen nehmen es nicht zähneknirschend hin, wenn ein Mann mehr als zwei Monate in Elternzeit geht, wie es in Deutschland üblich ist. Sondern sie erwarten, dass Väter einen wesentlichen Anteil an der Elternzeit übernehmen. Damit erreichen sie, dass Männer dies guten Gewissens tun und karrieremäßig nicht regelmäßig an Frauen vorbeiziehen. Es geht übrigens auch darum, was Männer dabei gewinnen können: nämlich mehr Freiheit. Viele Männer würden sich gerne mehr um Familie und Kinder kümmern. Diese Entscheidung könnten Männer jetzt schon treffen. Die Mehrheit folgt jedoch dem klassischen Modell. Natürlich gibt es für Männer die Wahlmöglichkeit. Aber Männer sind auch sehr gefangen in dem Modell, dass er die Karriere machen muss und sie etwas hinzuverdient. Die Frau muss sich zwar für eine Karriere verteidigen, aber es ist für Männer vielleicht noch schwieriger, in Teilzeit zu arbeiten und die Karriere eine Zeit lang nicht so stark zu priorisieren. In keinem anderen Land in unserem Vergleich arbeiten Frauen so wenig wie in Deutschland, und dieses Modell, sich die Familienarbeit eben nicht partnerschaftlich aufzuteilen, wird in Deutschland durch das Ehegattensplitting noch ­zementiert.


„ Das Ehegattensplitting wirkt wie eine Bremse und macht es den Unternehmen unnötig schwer, Führungsfrauen zu entwickeln.“ Müsste die Politik das Ehegattensplitting ändern? Das Ehegattensplitting passt als staatliches Steuerungsmittel schlecht zusammen mit der Geschlechterquote in Aufsichtsräten: Der Staat setzt auf der einen Seite am obersten Ende eine Quote, also am Ende der Karriereleiter. Gleichzeitig setzt er weiter unten – im Verlauf der Karriere – einen starken Anreiz für Frauen, in geringer Teilzeit zu arbeiten. Damit wird man aber in der Regel keine Führungskraft. Das Ehegattensplitting wirkt wie eine Bremse und macht es den Unternehmen unnötig schwer, Führungsfrauen zu entwickeln. Wenn die Bundesregierung also jetzt über die Einführung einer Geschlechterquote für Vorstände nachdenkt, sollte sie ihr gesamtes Instrumentarium noch einmal in den Blick nehmen und alle ihre Mittel nut-

TITEL

zen, aktiv dazu beizutragen, dass mehr Frauen beruflich besser vorankommen können. Durch die Corona-Krise sind viele Eltern in die klassische Aufgabenteilung zurückgefallen: Der Mann im Homeoffice, die Frau bei der Familienarbeit. Machen wir Rückschritte? Die Krise hat nur eine bestehende Struktur plötzlich für alle deutlich gemacht. Der positive Effekt des Ganzen ist, dass es endlich diese gesellschaftliche Diskussion gegeben hat und allen klar geworden ist: Den Großteil der Familienarbeit stemmen die Frauen. Und sie können sich eben nicht im gleichen Maße im Job einbringen wie Männer, wenn sie nebenher die gesamte Familienlogistik schultern. Diese Diskussion macht deutlich, woran wir ebenso arbeiten müssen: an einer

gerechteren Verteilung der Haus- und Familien­arbeit. Was erwarten Sie für die Zukunft? In welche Richtung entwickeln wir uns? Wir entwickeln uns schon in die richtige Richtung, es geht nur so quälend langsam. An die Langsamkeit hatten sich Beobachter über die Jahre gewöhnt, aber dass es noch einmal solche Rückschritte geben würde, damit hatte wohl keiner gerechnet. Die Krise hat offensichtlich eine Schockwirkung gehabt und die Unternehmen in ungute Reflexe verfallen lassen. Wir gehen aber davon aus, dass dies nur eine Delle in der Entwicklung des Frauenanteils im Topmanagement sein wird und die vorherige positive Dynamik sich in den kommenden Monaten wieder einstellt. Es werden wieder mehr Frauen in Führungspositionen geholt werden, das ist ein Prozess, der nicht umkehrbar ist. Unternehmen können ihn vielleicht verzögern, aber sie können Frauen nicht dauerhaft aus der Führung ­heraushalten. •

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DISKRIMINIERUNG

Vom Mythos des Gender Ambition Gap Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Regine Graml

Dass Frauen weniger beruflichen Ehrgeiz haben als Männer, ist ein gängiges Vorurteil. Tatsächlich führt Diskriminierung oft zu einer Entmutigung zunächst ambitionierter Frauen. Unternehmen und Führungskräfte können darauf erheblichen Einfluss nehmen

Wie war’s im Büro, Schatz? Jetzt ruh dich erst mal aus, ich bring dir gleich dein Bier.

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Foto: George Marks / Getty Images

Fakt: Frauen sind schlechter bezahlt und in Führungspositionen unterrepräsentiert „Männer tendieren dazu, eher hochdotierte Berufe zu ergreifen wie Arzt, Ingenieur, Abteilungsleiter et cetera. Frauen hingegen ergreifen eher schlechter bezahlte Berufe, wie Ärztin, Ingenieurin, Abteilungsleiterin et cetera.“ Dieser Witz, der zur Gehaltslücke zwischen Frauen und Männern kursiert, trifft das Problem auf den Punkt: schlechtere Bezahlung, begrenzte Karriere, weniger Verantwortung, weniger Macht von Frauen im Vergleich zu den männlichen Kollegen. Gängige Erklärungen sind, dass Frauen einfach schlechter bezahlte Berufe wählen oder schlechter verhandeln beziehungsweise sich gegen eine Karriere entscheiden, da sie weniger beruflichen Ehrgeiz haben und sich lieber der Freizeit oder der Familie widmen. Diese simplen Erklärungen greifen viel zu kurz. Denn tatsächlich sind die Zusammenhänge komplexer und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist ein wesentlicher Grund für viele geschlechterspezifische Ungleichheiten.

Mythos: Frauen haben keinen Ehrgeiz und wollen nicht Karriere machen Dass Frauen weniger beruflichen Ehrgeiz als Männer haben, ist ein Mythos. Gerade erwerbstätigen Müttern oder Mitaro k tober   /  novem b er 2020

beiter/innen in Teilzeit wird ein geringeres Karrierestreben als anderen zugeschrieben. Betrachtet man genauer, wie es sich mit den beruflichen Ambitionen der Frauen verhält, zeigen sich interessante Entwicklungen. Es gibt Studien, die zeigen, dass beim Berufseinstieg das Karrierestreben und die Karriereziele junger Frauen ebenso hoch sind wie die der Männer – oder sogar noch höher. Einer US-Studie zufolge streben beim Berufseinstieg, in den ersten beiden Berufsjahren nach einem Hochschulabschluss, sogar mehr Frauen (43 Prozent) als Männer (34 Prozent) eine Position im Top­management an. In dieser Phase besitzen Frauen und Männer gleichermaßen die Überzeugung und das Selbstvertrauen, dass sie fähig sind, eine solche Top-­Position zu erzielen. Dies weist darauf hin, dass die Frauen selbstbewusst, mit Schwung und voller Tatendrang in die Berufswelt eintreten und sich nach ihrem Studienerfolg bestens qualifiziert fühlen. Jedoch mit zwei und mehr Jahren Erfahrung sinkt der Karriereanspruch der Frauen drastisch. Während mit zunehmender Erfahrung nur noch 16 Prozent der Frauen eine Spitzenposition anstreben, bleibt der Anteil der Männer unverändert bei 34 Prozent. Darüber hinaus sinkt mit steigender Erfahrung auch die Überzeugung der Frauen, eine Top-Position erreichen zu können, um die Hälfte, während die der Männer in etwa gleich bleibt. Somit sinken sowohl die Karriereambitionen als auch die Überzeugung der Frauen, Karriere zu machen, nach zwei und mehr Jahren Arbeitserfahrung. Ehrgeiz ist kein festes Attribut, sondern kann durch tägliche Interaktionen, Gespräche und Aufträge gestärkt oder vermindert werden. Die Erfahrungen, die Frauen und Männer im Arbeitsalltag machen, sind verschiedenartig. Dabei kann die Führungskraft erheblichen Einfluss nehmen, indem sie Frauen zum Beispiel Zugang zu Personen, die ihre Karriere voranbringen, ermöglichen oder Anlässe und Gelegenheiten bieten, die karriereförderlich sind. Akzeptanz, verstanden als eine subjektiv-bewertende Einstellung, die mit aktiven Handlungen verbunden ist, spielt auch eine wesentliche Rolle. Wie eine Studie zur Akzeptanz von Führungskräften in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigt, erleben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Akzeptanz durch ihre Führungskraft in erster Linie durch Kommunikation auf Augenhöhe (zuhören, nachfragen, sich Zeit nehmen, Argumente ernst nehmen), das Gewähren von Freiräumen für die Arbeit und direkte Anerkennung (positives Feedback, auch in der Gruppe). Es geht also nicht darum, dass Frauen stärker ermutigt werden müssen, Führungspositionen zu übernehmen. Vielmehr geht es darum, den Frauen, gerade zu Beginn ihrer 19


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DISKRIMINIERUNG

beruflichen Entwicklung, nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Übernahme einer Führungsposition muss darüber hinaus für Frauen attraktiv sein – und das ist dann der Fall, wenn der Weg dahin erreichbar und gut machbar erscheint und außerdem zu erwarten ist, dass die Führungstätigkeit auch Freude macht. Frauen wollen durchaus Karriere machen, aber nicht unter allen Umständen. Hier können Unternehmen ansetzen und Arbeitsbedingungen entsprechend attraktiv gestalten.

Personalauswahl folgt dem Prinzip der Selbstähnlichkeit Ein bedeutender Erklärungsansatz für Diskriminierung ist die sogenannte „Diskriminierungsneigung“, im Englischen „taste-based discrimination“. Hier geht es um Sympathien und Einstellungen gegenüber anderen. Nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit werden die Personen, die einem ähnlich sind, bevorzugt. Zur Ungleichbehandlung kommt es dann, wenn die meist männlichen Führungskräfte Personen einstellen und fördern, die genau wie sie sind – männlich, weiß, heterosexuell, verheiratet mit zwei bis drei Kindern und einer Leidenschaft für Golf und Segeln. Angehörige bestimmter demografischer oder sozialer Gruppen werden benachteiligt, weil Entscheidungsträger diese Gruppen nicht mögen oder einfach andere bevorzugen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Frauen erst mal den kritischen Anteil von 30 Prozent in Führungspositionen und Entscheidungsgremien erreichen, denn so lässt sich der Zyklus des männlichen ‚Self-cloning‘, der Rekrutierung und Förderung nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit, durchbrechen.

Institut für Mixed Leadership (IML) Interdisziplinäre und anwendungsorientierte Forschung und Beratung zu – Gender und Karriere – Diversität in Führungsteams – zukunftsorientierten Führungskompetenzen – Veränderungen der Unternehmenskultur

Forschungskompetenz Mixed Leadership – für die Praxis mit der Praxis Das Institut für Mixed Leadership (IML) forscht interdisziplinär zu den Themen genderspezifische Karriereentwicklung, innovative Führung, Wandel der Führungskultur sowie Diversität als Erfolgsfaktor für Unternehmen. Ziel ist es, über praxisnahe Forschungsergebnisse dazu beizutragen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen und die Akzeptanz von diversen Führungsteams zu fördern. Das IML unterstützt Unternehmen oder Institutionen dabei, strukturelle Hemmnisse und bestehende Stereotype zu eruieren und abzubauen. Darüber hinaus berät das Institut zu den Themen Umgang mit Macht, karriereorientiertes Netzwerken, Diversität im Management, Vereinbarkeit von Karriere und Familie, Reflexion von Rollenmodellen sowie Genderkompetenz. Weitere Informationen unter www.frankfurt-university.de/iml

Mitglieder der Ingroup genießen mehr Vertrauen und Respekt Bei näherer Betrachtung des Verhältnisses von Führungskraft und Mitarbeitenden lassen sich zwei Beziehungsgruppen unterscheiden, die Ingroup und die Outgroup. Mitglieder der Ingroup erfahren von ihrer Führungskraft hohes Vertrauen, Respekt, verbindliche Zusagen sowie enge Kommunikation und Informationsaustausch. Sie sind stärker in Entscheidungen involviert und bekommen mehr Chancen, sich zu profilieren. Mitglieder der Outgroup dagegen haben eher eine formelle Beziehung zur Führungskraft, weniger Austausch und erhalten kaum die Möglichkeit, sich durch Sonderleistungen auszuzeichnen. Die Wahrscheinlichkeit, in den Kreis der Ingroup zu gelangen, hängt unter ande20

rem von Ähnlichkeiten ab, von der Übereinstimmung in Normen, Werten und des Geschlechts, dem sogenannten Gender Match. Ist die Führungskraft männlich, kann es für Frauen schwerer sein, Mitglied der Ingroup zu werden.

Führungskräfte machen den Unterschied Wie lässt sich diese Situation für Frauen verbessern? Führungskräfte können hier direkt positiven Einfluss nehmen, indem sie zum einen ihr Verhalten und Einstellungen reflektieren. Zum anderen sollten sie ganz bewusst ihren männlichen und weiblichen Mitarbeiter/innen gleichermaßen Chancen eröffnen. Das bedeutet, dass sie Personen


fördern, die in verschiedenen Dimensionen wie Geschlecht und/oder zum Beispiel Lebensstil anders als sie selbst sind, also keine großen Ähnlichkeiten aufweisen. Mit solchen, zunächst unüblichen Rekrutierungs- und Förderentscheidungen lassen sich alte Muster brechen. Dies verlangt von den Führungskräften Mut, da sie gewohntes und sicheres Terrain verlassen und ihre Entscheidung besser begründen müssen. Auch die täglichen Interaktionen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter/in bieten gute Gelegenheiten, Akzeptanz durch Kommunikation auf Augenhöhe und das Teilen (karriere-)relevanter Informationen zu zeigen. Hilfreich sind hier Sensibilisierungs- und Trainingsmaßnahmen, die unbewusste Vorurteile und Stereotypen aufgreifen.

Fortschritte der Gender-Vielfalt sind nachzuhalten und zu messen

für einen Mindestanteil von Frauen in Führungsfunktionen, in Förderprogrammen, bei Einstellungen und auf Bewerbungslisten sind in Kombination mit den genannten Maßnahmen ein wirkungsvoller Hebel, um schneller Fortschritte zu erzielen.

Prof. Dr. Regine Graml ist Professorin für Betriebswirtschafts-

Foto: Avisio

lehre, Personalmanagement und Organisation an der Frankfurt

Wichtig ist, nicht nur gezielte Maßnahmen zur Förderung der Gender-Vielfalt durchzuführen, sondern insbesondere die erzielten Resultate, im besten Fall Fortschritt, aber auch Rückschritt oder Stagnation zu messen. Zu den Maßnahmen zählen genderneutrale Prozesse insbesondere zur Rekrutierung, Förderung und Vergütung sowie die Sensibilisierung für Stereotype und unbewusste Vorurteile. Feste Vorgaben

University of Applied Sciences sowie Mitglied im Direktorium des Instituts für Mixed Leadership. Sie forscht zu den Themenbereichen Führung, Diversity und erwerbstätigen Frauen. In internationalen Funktionen in Industrie und Beratung war sie unter anderem als Direktorin im Kompetenz-Center Personal Asien/Pazifik für Siemens und als Leiterin der Personalentwicklung bei Infineon Technologies tätig.

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DISKRIMINIERUNG

LGBTQI*Menschen am Arbeitsmarkt: Warum Unternehmen um diese Zielgruppe werben sollten

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Auf Grundlage einer Studie der Universität Bielefeld und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) berichtet die Soziologin Lisa de Vries über die Situation von homo- und bisexuellen sowie trans-, queeren und intersexuellen (LGBTQI*) Menschen am Arbeitsmarkt und die Rolle von Unternehmen bei der Gleichstellung. Ein Gastbeitrag von Lisa de Vries

Illustration: Alona Savchuk / Getty Images

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ie rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTQI*-Menschen in Deutschland hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte deutlich verbessert. Beispiele hierfür sind die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder die Möglichkeit von nichtbinären Geschlechtsoptionen in Personenstandsregistern. Trotzdem berichten LGBTQI*-­ Menschen immer wieder über Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen. Obwohl dies bekannt ist, gibt es in Deutschland bislang nur wenige Datenquellen, die detaillierte und bevölkerungsrepräsentative Analysen der Lebenssituation von LGBTQI*-Menschen erlauben. Im Jahr 2019 wurde eine repräsentative Wiederholungsbefragung in Deutschland (Sozio-oekonomisches Panel, SOEP) um eine Zusatzstichprobe bei über 450 Haushalten, in denen LGBTQI*-Menschen leben, ergänzt. Zusätzlich wurde an der Universität Bielefeld eine bundesweite Onlinebefragung mit LGBTQI*-Menschen durchgeführt. Die Ergebnisse geben einen umfassenden Blick auf die Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-Menschen in Deutschland und erlauben Rückschlüsse darauf, wie Unternehmen die o k tober   /  novem b er 2020

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Gleichstellung fördern und möglicherweise selbst davon profitieren können. Durch die Kombination beider Erhebungen fließen in die Studie zur Arbeitsmarktsituation in Deutschland Analysen zu insgesamt 4.300 LGBTQI*-Menschen und 16.880 heterosexuelle Menschen zwischen 18 und 65 Jahren mit ein.

Unterschiede in Qualifikation und Branche Im Vergleich zur heterosexuellen Bevölkerung zeigt sich, dass es in Bezug auf die erworbene Qualifikation von LGBTQI*-­Menschen Unterschiede gibt. Während 60 Prozent der befragten LGBTQI*-Menschen die (Fach-)Hochschulreife erworben haben, sind es bei der heterosexuellen Bevölkerung im gleichen Alters lediglich 42 Prozent. Weiterhin haben LGBTQI*-Menschen häufiger einen (Fach-) Hochschulabschluss oder eine abgeschlossene Promotion, während heterosexuelle Menschen häufiger eine duale Berufsausbildung abgeschlossen haben. LGBTQI*-Menschen sind also im Schnitt besser gebildet als die restliche Bevölkerung, was darauf schließen lässt, dass sie für Unternehmen attraktive Mitarbeiter*innen darstellen. Ein Blick auf die verschiedenen Branchen zeigt, dass LGBTQI*-Menschen in einigen Branchen überrepräsentiert sind, während sie in anderen Bereichen weniger häufig arbeiten. So arbeiten im produzierenden Gewerbe und primären Sektor LGBTQI*-­ Menschen im Vergleich zu heterosexuellen Menschen besonders selten. Häufiger sind sie hingegen im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich Erziehung und Unterricht vertreten. Die Unterschiede in Qualifikation und Branche lassen darauf schließen, dass LGBTQI*-Menschen tendenziell etwas andere Berufswege einschlagen als die heterosexuelle Bevölkerung.

Diskriminierung und Outing im ­Arbeitsleben LGBTQI*-Menschen erleben Diskriminierung in zahlreichen Lebensbereichen. So geben beispielsweise 40 Prozent der Befragten an, innerhalb der letzten zwei Jahre Diskriminierung in der Öffentlichkeit oder Freizeit erlebt zu haben; 30 Prozent waren mit Diskriminierung im privaten Bereich konfrontiert. Auch Diskriminierung im Arbeitsleben (beispielsweise bei der Arbeitssuche, bei der Ausbildung oder am Arbeitsplatz) spielt für viele LGBTQI*-Menschen eine große Rolle. 30 Prozent der Befragten geben an, in den letzten zwei Jahren Diskriminierung im Arbeitsleben erlebt zu haben. Damit stellt das Arbeitsleben einen Bereich dar, in 23


DISKRIMINIERUNG

dem LGBTQI*-Menschen verhältnismäßig häufig diskriminiert werden. Insbesondere Trans*-Menschen berichten von Diskriminierungserfahrungen. 43 Prozent der befragten Trans*-Menschen geben an, Diskriminierung erlebt zu haben; sieben Prozent berichten sogar davon, häufig diskriminiert zu werden. Eine Möglichkeit, um der Diskriminierung im Arbeitsleben zu entgehen, kann es sein, sich gegenüber Kolleg*innen und Vorgesetzten nicht zu outen oder verschlossen mit der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität umzugehen. Etwa 40 Prozent der befragten LGBTQI*-­Menschen gehen gegenüber Vorgesetzten und 31 Prozent gegenüber Kolleg*innen nicht offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität um. Auch hierbei lassen sich Unterschiede zwischen den Branchen finden. Im produzierenden Gewerbe und primären Sektor gehen beispielsweise besonders wenige LGBTQI*-Menschen offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechts­ identität gegenüber Kolleg*innen um. Dieser Befund deckt sich mit dem geringen Anteil an LGBTQI*-Menschen in diesem Bereich. Dies legt den Schluss nahe, dass das O ­ uting in manchen Berufsbereichen erschwert wird und diese Branchen von LGBTQI*-Menschen eher gemieden werden. Das Einschlagen bestimmter Berufswege scheint also nicht unbedingt mit persönlichen Präferenzen, sondern mit der Situation von LGBTQI*-Menschen in den unterschiedlichen Berufsbereichen und der Vermeidung von Diskriminierung oder fehlender Akzeptanz zusammenzuhängen.

Die Rolle von Unternehmen: Was können Arbeitgeber tun? Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass LGBTQI*-Menschen Diskriminierung im Arbeitsleben erfahren und nicht immer offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität umgehen können. Gleichzeitig kann die überdurchschnittlich hoch gebildete Gruppe an LGBTQI*-Menschen attraktive Mitarbeiter*innen für Unternehmen darstellen. Nun stellt sich die Frage, inwieweit Unternehmen zur Verbesserung der Situation von LGBTQI*-Menschen am Arbeitsmarkt beitragen und diese als Mitarbeiter*innen für sich gewinnen können. Im Rahmen der Studie wurden LGBTQI*-Menschen nach ihren Jobpräferenzen gefragt. Hierbei war neben einer interessanten Tätigkeit und sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen ein offenes Betriebsklima gegenüber LGBTQI*-­ Menschen unter den Top-drei-Kriterien bei der Wahl eines potenziellen Arbeitgebers. Für Unternehmen scheint es also ratsam zu sein, für ein diskriminierungsarmes und offenes Betriebsklima zu sorgen, wenn sie LGBTQI*-Menschen als Mitarbeiter*innen gewinnen möchten. Um dies zu errei24

„ 43 Prozent der befragten Trans*-Menschen geben an, Diskriminierung erlebt zu haben.“ chen, gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Zum einen erscheint es wichtig, dass sich Unternehmen eindeutig zur Gleichstellung von LGBTQI*-Menschen in ihrem Betrieb positionieren. Dies kann beispielsweise in Stellenausschreibungen oder auf der Internetseite geschehen. So erhalten Bewerber*innen direkt einen Eindruck von den Werten des Unternehmens, und LGBTQI*-Menschen könnten motiviert werden, das Unternehmen als potenziellen Arbeitgeber in Betracht zu ziehen. Zum anderen sind das Betriebsklima und der Umgang mit Diskriminierung am Arbeitsplatz entscheidend, denn nur so können ein diskriminierungsarmes Umfeld geschaffen und der offene Umgang mit der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz ermöglicht werden. Hier empfehlen sich beispielsweise Schulungen der Mitarbeiter*innen in Bezug auf Diversität oder auch direkte Ansprechpersonen im Unternehmen für LGBTQI*-Menschen, falls negative Erfahrungen gemacht werden. So können insbesondere Unternehmen, in denen LGBTQI*-Menschen seltener vertreten sind oder nicht offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität umgehen können, zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-Menschen beitragen, attraktive Mitarbeiter*innen für sich gewinnen und ihnen ein diskriminierungsarmes Arbeits­umfeld bieten.

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Lisa de Vries arbeitet und promoviert an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Ihre Forschung beschäftigt sich mit der Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-Menschen. Hierbei untersucht sie Diskriminierung und Outing am Arbeitsplatz ebenso wie berufliche Entscheidungen und Auswirkungen auf die Karriere. Sie führt an der Universität Bielefeld und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie zu LGBTQI*-Menschen in Deutschland durch.

Foto: Universität Bielefeld

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DISKRIMINIERUNG

Foto: robertprzybysz / Getty Images

Jeder anders, alle gemeinsam

Was ist Inklusion? Darauf gibt es viele denkbare Antworten: ein Menschenrecht, ein lang ersehntes Ziel für viele Menschen, ein wichtiges Thema in der Arbeitswelt. Jede Antwort ist so richtig wie abstrakt. Was bedeutet das Thema aber für Vorgesetzte?

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Ein Gastbeitrag von Christoph Metzler

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nklusion zielt darauf ab, allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe, unabhängig von gesundheitlichen Einschränkungen, zu ermöglichen. In einer betrieblichen Umgebung bedeutet das mitunter, dass individuelle Lösungen gefunden werden müssen, die wenig abstrakt sind und die Situation einzelner Menschen berücksichtigen. Eine Sachbearbeiterin im Büro steht nach mehreren Bandscheibenvorfällen vor anderen Herausforderungen als ein Fließbandarbeiter in der Montage, der mit den Spätfolgen eines Herzinfarktes lebt. Doch beiden Menschen gilt es gerecht zu werden.

Wo ein Wille ist … Inklusion ist sicher auch eine Haltungsfrage. Viele Leitungspersonen rücken das Thema aufgrund ihrer christlichen oder sozialen Verantwortung in den Fokus. Für ein bekanntes großstädtisches Brauereiunternehmen gehört es zum Beispiel selbstverständlich dazu, dass die eigene Belegschaft das potenzielle Klientel widerspiegelt und sich darunter auch Menschen mit Behinderung befinden. Entscheidungsträger, die auf Vielfalt im Team setzen, sind beim Thema Inklusion zum Teil ebenfalls aktiv. Und zwar aus gutem Grund: Viele Menschen mit Behinderung müssen sich jeden Tag neu überlegen, wie sie eine „gängige“ Problemlösung für sich entsprechend anpassen. Diese „andere“ Perspektive kann wiederum Unternehmen dabei helfen, einen höheren Anteil der Gesellschaft bei der Entwicklung und dem Angebot von Dienstleistungen und Produkten zu berücksichtigen. Barrierefreiheit, also eine Nutzung unabhängig von körperlichen Einschränkungen einer Person, wird von einem o k tober   /  novem b er 2020

Großteil der Kundschaft mittlerweile erwartet und ist in einigen Bereichen auch rechtlich vorgeschrieben. In der Diskussion um Diversity in der Personalarbeit spielt das Thema Behinderung in vielen Unternehmen im Vergleich zu Gender und kultureller Vielfalt aber häufig noch eine untergeordnete Rolle.

… gibt es mit der richtigen Strategie einen Weg Ein guter Wille allein reicht in der Regel nicht aus. Es braucht auch die soziale Kompetenz, um Menschen mit Behinderung gerecht zu werden. Und es braucht Fachkompetenz, um in der Situation die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Den einen Menschen mit Behinderung gibt es nicht. Deswegen ist es sinnvoll, das eigene Bild von einem Menschen mit Behinderung zu überprüfen. Eine erste Reaktion lautet häufig: „Wir haben ja keine blinden Kollegen im Rollstuhl.“ Ein solch verkürztes Bild blendet jedoch die Herausforderungen und den Unterstützungsbedarf vieler Menschen aus.

Auch eine Behinderung ist vielfältig Ein klassisches Beispiel ist der Umgang mit psychisch erkrankten Teammitgliedern. Psychische Erkrankungen sind den amtlichen Statistiken zufolge weitläufig. Die Anzahl von entsprechenden Fehltagen steigt seit Jahren. Offen ist aber, wie viele Menschen ihre Erkrankungen aus Scham und Angst vor beruflichen Nachteilen verschweigen. Ist dann bei einem krankheitsbedingten Schub oder einem ungünstigen Verlauf der Erkrankung die Arbeitsleistung betroffen, 27


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DISKRIMINIERUNG

Was Sie tun können Zum Umgang mit Kollegen mit ­Behinderungen BEHINDERUNGS­ URSACHE*:

WAS KÖNNEN SIE ALS PERSONALER*IN TUN?

Geistige ­Behinderung

Geduld haben und Menschen mit Respekt behandeln. Leichte und einfache Sprache für Arbeitsanweisungen benutzen. Einfache Routinetätigkeiten als Schwerpunkt der Arbeit setzen.

Innere ­Erkrankungen

Auf Belastung achten und ausreichende Pausen einplanen. Freiraum und gegebenenfalls einen Rückzugsort zur Einnahme von Medikamenten geben.

Körper­ behinderung

Im Gespräch klären, wie ein Arbeitsplatz barrierefrei gestaltet werden kann. Mit diesen Informationen den Integrationsfachdienst einbeziehen.

Lernbehinderung

Bei Weiterbildungen und der Einarbeitung in neue Aufgabenbereiche zusätzliche Zeit geben. Betroffene bewusst dazu ermutigen, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.

Psychische ­Behinderung

Feste Ansprechpartner benennen. Offenheit fördern und für Verständnis im Team eintreten. Freiraum für medizinische Behandlungen geben.

Sinnes­ behinderung

In Absprache mit dem Integrationsfachdienst spezifische Hilfsmittel für den Arbeitsplatz suchen.

*in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Barrieren Quelle: https://www.kofa.de/fileadmin/Dateiliste/Publikationen/Sonstige_Dateien/ AM-KOFA_Wegweiser-Inklusion-im-Betrieb.pdf

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führt das schnell zu Unverständnis aufseiten der anderen Teammitglieder und Führungspersonen. Kluge Personalverantwortliche setzen deswegen generell auf Wertschätzung und einen vertraulichen, offenen Umgang bei persönlichen Herausforderungen. Sätze wie: „Darüber spricht man nicht“ oder „Das hat im Unternehmen nichts zu suchen“ sind keine Lösungen, sondern Vermeidungsstrategien, die überwunden werden müssen. Die richtigen Fragen wären: „Mit wem und wie spricht man über eine körperliche oder psychische Behinderung?“ Jeder Fall sollte vorrangig in Absprache mit der oder dem Betroffenen gelöst werden und nicht über ihren oder seinen Kopf hinweg. Niemand muss zudem über die eigene Situation Auskunft geben. Vertrauen ist ein hohes Gut. Wenn eine Person über ihre Herausforderungen spricht, dann hat diese auch das Recht zu bestimmen, wer sonst noch davon erfährt. Bei längerfristigen Lösungen kann es sich anbieten, mehr Personen einzubeziehen, wie den Betriebsrat oder engere Teammitglieder. So kommen Fragen wie „Warum arbeitet XY nicht mehr bei bestimmten Tätigkeiten mit?“ gar nicht auf. Verständnis ist in Teams in der Regel vorhanden, Unsicherheit und ein gewisses Maß an Neugier im Umgang mit der neuen Situation aber auch. Zudem möchten einzelne Teammitglieder häufig helfen. Hier gilt es im Einzelfall aber, genau abzuwägen. Eine Beteiligung kann hilfreich sein, eine vollständige Abgabe der Verantwortung nicht. Inklusion ist immer auch Führungssache. Viele Lösungen können aber ohne eine weitläufige interne Kommunikation auch im Alltagsgeschäft einfach mitlaufen, etwa wenn jemand wegen einer regelmäßigen Psychotherapie die Arbeit früher beendet.

Inklusion braucht Zeit Der Weg zu einer guten Lösung für beide Seiten ist für Unternehmens- wie Mitarbeiterseite mitunter länger als ursprünglich vermutet, gerade wenn externe Unterstützung in Anspruch genommen wird. Die passenden Unterstützungsangebote sind in der Regel tatsächlich vorhanden, aber über viele Institutionen verteilt: von der Arbeitsagentur über verantwortliche Kammern bis hin zum Integrationsamt. Als erstes gilt es, sich die richtige Ansprechperson zu suchen und gemeinsam auf Basis der vorhandenen Informationen zu überlegen, welche Lösungen es im vorliegenden Fall geben könnte. Bei körperlichen Behinderungen betrifft das sehr häufig bestimmte Hilfsmittel, die der Fachkraft die Tätigkeit erleichtern. Ein solcher Vorgang braucht gerade beim ersten Mal Zeit. Besonders in kleinen Unternehmen geht Personalverantwortung


Fünf Tipps für eine ­barrierefreie ­Stellenanzeige 1  TRANSPARENZ Die Anzeige beschreibt konkret die Tätigkeiten, welche die Interessierten am Arbeitsplatz erwartet, und die dafür notwendigen Kompetenzen. 2  OFFENHEIT Schreiben Sie, dass Sie sich über Bewerbungen von Menschen mit Behinderung ausdrücklich freuen. Verdeutlichen Sie kurz, wie Inklusion im Unternehmen bereits gelebt wird, beispielsweise bei der Einrichtung barrierefreier Arbeitsplätze.

aber häufig in Personalunion mit der Unternehmensleitung einher – und da fehlt die Zeit. Folglich gibt es in kleinen und mittleren Unternehmen leider weniger oft Menschen mit Behinderung im Team als in großen Unternehmen. Ein gutes und eingespieltes Netzwerk, die Dokumentation von internen Erfolgsfaktoren sowie innerbetriebliche Strukturen für eine Vertrauenskultur sind langfristige Ziele für eine inklusive Personalarbeit. Das ist kein Ziel, das mal eben nebenbei abzuhaken ist. Inklusion ist keine Modeerscheinung, sondern ein wichtiger und zukünftig konstanter Bestandteil der Personalpolitik. Die Verwirklichung von Inklusion braucht nicht nur Worte, sondern Taten.

Foto: Institut der Deutschen Wirtschaft

3  GLAUBWÜRDIGKEIT Die Anzeige enthält nur Unterstützungsangebote, die entweder bereits vorhanden oder in konkreter Planung sind. 4  ERREICHBARKEIT Die Anzeige erwähnt entweder direkt, inwiefern das Firmengebäude barrierefrei erreichbar ist, oder gibt eine verantwortliche Person an, die für Rückfragen bereit ist. 5  GESTALTUNG Benutzen Sie mindestens eine Schriftgröße von 12 Punkt und versuchen Sie bei PDF-Formaten das Dokument barrierefrei zu gestalten. Quelle: https://www.kofa.de/fileadmin/Dateiliste/Publikationen/Sonstige_Dateien/ AM-KOFA_Wegweiser-Inklusion-im-Betrieb.pdf

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Christoph Metzler arbeitet am Kompetenzzentrum Fachkräfte­ sicherung (KOFA), das Unternehmen unter anderem bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung unterstützt. KOFA ist ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.

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DISKRIMINIERUNG


Zur ­Passivität verdammt

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Künstliche Intelligenz soll Diskriminierung in Unternehmen verringern und Arbeitsbedingungen verbessern. Doch haben die Marketingversprechen der „People Analytics“-Anbieter wenig mit der Wirklichkeit zu tun.

Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de

Ein Gastbeitrag von Matthias Spielkamp

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mmer mehr Unternehmen setzen Personalmanagement-Software ein, die sogenannte „People Analytics“-­Fähigkeiten bietet – also die Möglichkeit, Leistungen und Potenzial von Beschäftigten oder Teams zu analysieren, vorauszusagen oder zu steuern. „Zonar“ heißt zum Beispiel ein System, das im vergangenen Jahr hohe Wellen schlug. Der Online-Händler Zalando hat es selbst entwickelt. Die Personalchefin des Unternehmens, Astrid Arndt, bezeichnete es in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ als einen wichtigen „Bestandteil unseres Talentmanagements, mit dem wir Mitarbeitern und Führungskräften gleichermaßen die Möglichkeit geben, sich 360-Grad-Feedback einzuholen und zu geben“. Früher habe allein die jeweilige Führungskraft entschieden, ob jemand befördert werde oder mehr Gehalt bekomme. Nun „fließt ein, wie Kollegen, firmeninterne Kunden und Führungskräfte über einen denken. Dieses System ist fairer als vorher“. Arndt nennt das „gelebte Feedback-Kultur“. Die „künstliche Intelligenz“ (KI) soll’s möglich machen: Das Personalmanagement wird automatisiert, dadurch soll Diskriminierung erkannt und verringert, Beförderungen fairer und die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Produktivität und Arbeitszufriedenheit sollen steigen, alle gewinnen. Die Anbieter versprechen viel – etwa das Verhalten der Beschäftigten zu analysieren, um Fluktuation zu reduzieren und die „Einstellung“ und das Engagement der gesamten Belegschaft zu verbessern. Selbstverständlich alles „innovativ“ und „Cloud-basiert“. Bekannte Produkte, die mit derartigen Funktionen werben, sind Office 365 Workplace Analytics von Microsoft, Success Factors People 31


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DISKRIMINIERUNG

Analytics von SAP und People Analytics von Workday. Es gibt darüber hinaus etliche weitere Produkte kleinerer Firmen. Und einige Inhouse-Entwicklungen wie Zonar.

System der Leistungskontrolle Doch sie sind hoch umstritten. Zonar stehe für ein „sehr umfassendes, quasi panoptisches System der Leistungskontrolle“, sagt etwa Philipp Staab, der als Professor an der Humboldt-Universität Berlin zur Zukunft der Arbeit forscht. Mit seinem Kollegen Sascha-Christopher Geschke hat er Zalando-Beschäftigte befragt, auch um die Funktionsweise des Systems zu verstehen. Das Ergebnis der Forscher: Das Betriebsklima leidet, der Stress nimmt zu. Daher sei der Einsatz dieser Software nicht einmal aus betriebswirtschaftlicher Sicht besonders sinnvoll. Dass die Ziele von Unternehmen und Beschäftigten oft nicht deckungsgleich sind, ist eine Binsenweisheit. Das Machtungleichgewicht war Anlass für jahrhundertelange Auseinandersetzungen, in denen viele Menschen ihr Leben verloren. Beschäftigte kämpfen bis heute für Regelungen und Verfahren, die dieses Machtungleichgewicht zu ihren Gunsten verändern sollen. Korporatistischen Gesellschaften ist das eher gelungen als „hire and fire“-Gesellschaften wie den USA. Komplexe, historisch gewachsene Regulierungen und Institutionen sind hierzulande das Ergebnis. Sie sind weder unumstritten noch perfekt, aber immerhin sind sie das Ergebnis von demokratischen Aushandlungsprozessen.

Gefahr für die Machtbalance Sie werden nun infrage gestellt durch den Einsatz von Systemen, die statistische Methoden der Mustererkennung und Wahrscheinlichkeitsrechnung verwenden, um menschliche Entscheidungen zu unterstützen oder sogar teilweise zu ersetzen. Denn auf Basis welcher Modelle und Annahmen Daten ausgewertet, Menschen beurteilt und Prognosen getroffen werden, mit welchen Daten die Systeme trainiert werden – all das halten die Anbieter üblicherweise geheim. Oft mit der Begründung, dass sie sich zum einen vor Nachahmung schützen müssen, zum anderen Beschäftigte die Systeme manipulieren könnten, wenn ihnen die Funktionsweise bekannt wäre. Diese Bedenken sind zwar durchaus begründet, aber in ihrer Einseitigkeit weder akzeptabel noch sinnvoll. Nicht akzeptabel, weil Beschäftigte einen Anspruch darauf haben, die Logik derartiger Systeme verstehen zu können. Denn das ist eine Voraussetzung dafür, dass die Autonomie der 32

Beschäftigten gewahrt bleibt; sie dürfen keine passiven Objekte einer „algorithmic governance“ werden, einer von Algorithmen getriebenen Steuerung. Und die Systeme müssen so gestaltet und eingesetzt werden, dass immer auch die Beschäftigten davon profitieren, nicht ausschließlich der Arbeitgeber. Tun sie das nicht, gefährden sie die lange austarierte Machtbalance. Dabei ist es durchaus denkbar, dass die Systeme einen Nutzen bringen. Durch Datenanalysen lassen sich zum Beispiel Diskriminierungsmuster erkennen, indem etwa ausgewertet wird, ob die Zahl der jeweils beförderten Frauen und Männer in einem plausiblen Verhältnis zur Gesamtbelegschaft steht, oder es lässt sich feststellen, ob Beschäftigte am Arbeitsplatz Probleme haben, die Aufmerksamkeit verdienen. Daher ist die Geheimniskrämerei der Anbieter nicht sinnvoll, denn sie verbaut Chancen, KI-Lösungen zum Nutzen aller Beteiligten einzusetzen. Denn wenn Entscheidungsträger*innen in Unternehmen, also Personalmanager*innen und Betriebsräte, nicht in der Lage sind, den Nutzen von KI-Systemen zu bewerten, werden sie diese zu Recht mit großer Skepsis betrachten.


„ Die Systeme müssen so gestaltet und eingesetzt werden, dass immer auch die Beschäftigten davon profitieren, nicht ausschließlich der Arbeitgeber.“

Foto: Julia Bornkessel  Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de

Recht auf Informationen Die rechtliche Basis für eine Nachvollziehbarkeit komplexer Systeme wurde in Deutschland schon lange verankert – bevor überhaupt vom Einsatz „künstlicher Intelligenz“ im Betrieb die Rede war. Der Begriff KI ist im Übrigen so schwammig, dass seine Verwendung nicht sinnvoll ist und sogar Gefahren birgt. Besser wäre es von Algorithmic / Automated Decision-Making (ADM) Systems, also von Systemen zum Algorithmen-basierten Entscheiden, zu sprechen. Betriebsräte haben, bezogen auf KI-basierte Systeme und die darin verwendeten Algorithmen, ein umfangreiches Recht auf Information, Beratung und Mitbestimmung, das sich aus dem allgemeinen Informationsanspruch des Betriebsverfassungsgesetzes ableitet. Dieser Informationsanspruch ist weit gefasst und gilt uneingeschränkt auch für die Automatisierung des Personalmanagements mittels KI-Systemen. Das heißt, dass Betriebsräte auch Informationen zu den Algorithmen erhalten müssen, die etwa in einem Personalinformationssystem eingesetzt werden sollen. Das sind nicht zwingend Informationen über die technische Funktionsweise der Algorithmen, aber es müssen die „Logik“ der verwendeten KI-Systeme sowie die Funktionsweise und die „Lernstrukturen“ der Algorithmen, die zum Einsatz kommen, erläutert werden. Was aber, wenn die Unternehmen diese Auskunft gar nicht geben können – etwa weil sie das eingesetzte System nicht selbst entwickelt, sondern eingekauft haben, und der Anbieter ihnen mitteilt, dass er diese Informationen nicht preisgeben wird? Dann riskieren sie, gegen das Betriebsverfassungsgesetz zu verstoßen und von der Beschäftigtenvertretung blockiert zu werden. Vor allem aber verpassen sie die Chance, selbst besser verstehen und beurteilen zu können, ob die „KI-Lösung“, die ihnen als „Black Box“ angeboten wird, wirklich den versprochenen Nutzen bringt – oder eino k tober   /  novem b er 2020

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fach nur „Schlangenöl“ ist, wie vermeintliche Wundermittel in der Softwarebranche spöttisch genannt werden.

Mit Fragen die Systeme überprüfen Es gibt jedoch eine Möglichkeit, angemessen Auskunft zu bekommen, ohne einen langwierigen Streit um Betriebsund Geschäftsgeheimnisse zu riskieren. Zu diesem Zweck haben wir von AlgorithmWatch gemeinsam mit Sebastian Stiller, Professor für Mathematische Optimierung an der TU Braunschweig, den „Leitfaden zur Überprüfung essenzieller Eigenschaften KI-basierter Systeme für Betriebsräte und andere Personalvertretungen“ entwickelt. Es handelt sich dabei um einen Katalog von Fragen, anhand derer die Funktionsweise und Zuverlässigkeit von ADM-Systemen – also Systeme, die algorithmische Entscheidungen treffen – überprüft werden kann, ohne dass Programmiercode oder Datensätze offengelegt werden müssen. Sie reichen von generellen Fragen wie „Auf welche Daten hat die Software Zugriff?“ bis zu sehr konkreten wie „Wie wurden das ML-Verfahren gegen Diskriminierung und andere ungewollte Einflüsse aus den Trainingsdaten gesichert?“ Doch selbst wenn die Softwareunternehmen die Fragen des Leitfadens beantworten, stehen Personaler*innen vor großen Herausforderungen. Denn trotz der Erläuterungen, die der Leitfaden enthält, werden sie Schwierigkeiten haben, die mitunter komplexen Antworten zu verstehen. Diese „Kompetenzlücke“ ist ein Ergebnis der Komplexität von KI-basierten Lösungen und der Produktions- und Vermarktungskette von KI-Software. Wird sie nicht geschlossen, verhindert sie die verantwortungsbewusste Einführung und den Betrieb von KI-Lösungen. Daran, sie zu schließen, müssen Personalverantwortliche aktiv mitwirken.

Matthias Spielkamp ist Gründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation AlgorithmWatch, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die gesellschaftlichen Auswirkungen von Systemen algorithmischer Entscheidungen kritisch zu begleiten. Algorithm­ Watch wurde für diese Arbeit mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet und für den Grimme-Online-Award nominiert. ­Spielkamp war mehrfach Sachverständiger im Bundestag zu KI-Themen und ist Mitglied der multinationalen Expertengruppe der Global Partnership on Artificial Intelligence (GPAI).

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Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de

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DISKRIMINIERUNG

Null ­Toleranz


Sexistische Witze, anzügliche Bemerkungen, der Klaps auf den Po, die ungebetene Hand auf der Schulter oder das angeblich versehentliche Streifen intimer Körperstellen – die Liste sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist lang und hat viele Gesichter. Wie Personaler präventiv ihre Mitarbeiter schützen können, zeigen fünf Punkte

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Stefan Schwarz

L

aut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vom Oktober 2019 war etwa jede elfte erwerbstätige Person im Zeitraum der vergangenen drei Jahre von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Dabei sind Frauen mehr als doppelt so häufig die Opfer und Männer in etwa 82 Prozent der Fälle die Täter. Spätestens seit der #MeToo-Debatte rund um den aufgrund mehrfacher sexueller Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung verurteilten US-Filmproduzenten Harvey Weinstein beschäftigen sich viele Unternehmen mit der Prävention von und dem Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Und das aus mehreren guten Gründen: der erste – und mit Sicherheit der wichtigste – ist die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung. Unternehmen haben neben der gesetzlichen Verpflichtung nach §12 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine moralische Verpflichtung, jegliche Diskriminierung in ihrem Verantwortungsbereich zu unterbinden. Zum anderen gibt es aber auch einen wirtschaftlichen Faktor. Opfer sexueller Belästigung tragen in vielen Fällen physische wie psychische Schäden davon. Krankheitstage steigen genauso wie Fluktuationsraten, das Betriebsklima wird empfindlich gestört und nicht selten konterkariert der Reputationsverlust in den sozialen Netzwerken sorgfältig geplante und nicht o k tober   /  novem b er 2020

selten teuer eingekaufte Employer Branding-Maßnahmen. Unternehmen tun also gut daran, klare Prozesse und Regeln aufzustellen, wie mit Fällen sexueller Belästigung im Betrieb umzugehen ist. Noch besser aber wäre es sicherlich, überhaupt erst gar keine Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz regeln zu müssen. Mit welchen Präventivmaßnahmen Personaler dabei die größten Schritte machen können, zeigen die folgenden fünf Punkte:

Null-Toleranz-Regel Sorgen Sie dafür, dass sich Ihr Unternehmen eindeutig und öffentlich dazu bekennt, keinerlei Toleranz gegenüber jeglicher Form von sexueller Belästigung zu zeigen. Veröffentlichen Sie diese Verpflichtung auf den Webseiten Ihres Unternehmens und sorgen Sie mithilfe der internen Kommunikationskanäle dafür, dass diese allen Mitarbeitenden bekannt ist. Jedem Täter sollte klar sein, dass sexuelle Belästigung am Ende zur Kündigung führt. Erarbeiten Sie in enger Zusammenarbeit mit Ihrem Betriebsrat eine Vereinbarung über ein gemeinsames Verständnis von offenen und subtilen Formen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sowie den Umgang damit. Um ein klares Signal der Wichtigkeit des Themas zu setzen, sollte diese Vereinbarung nicht Teil einer anderen Regelung (beispielsweise Diversity & Inklusion Vereinbarung oder eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Betrieb) sein, sondern für sich alleine stehen.

„Speak-up“-Kultur Arbeiten Sie an einer Organisationskultur, die von einem respekt- und verantwortungsvollen Miteinander geprägt ist. Stellen Sie sicher, dass jede Stimme gehört wird und auch Minderheiten sich eingebunden fühlen. Ermöglichen Sie jedem Mitarbeitenden – unabhängig von Position und Funktion –, auf Missstände hinzuweisen und somit Verantwortung für die gemeinsame Gestaltung des Zusammenarbeitens zu übernehmen. Hören Sie aufmerksam zu, wenn Mitarbeitende von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen, und sanktionieren Sie Verhaltensweisen, die Meinungsäußerungen beziehungsweise das „Sich-Einbringen“ von Mitarbeitenden unterbinden. Wertschätzen Sie die Diversität von Meinungen und Lebensstilen. Überprüfen Sie in regelmäßigen Abständen durch anonyme Befragungen der Mitarbeitenden, inwiefern Ihre Ist-Kultur diesen Ansprüchen genügt.

(Top-)Management Verantwortung Nutzen Sie die besondere Rolle von Führungskräften bei der Prävention von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Verdeutlichen Sie Ihren Führungskräften, dass diese im 35


T I T E L

das Unternehmen voranzutreiben. Konsequenterweise sollte damit auch die Freigabe von zeitlichen und finanziellen Ressourcen für das Thema einhergehen.

DISKRIMINIERUNG

Rahmen ihrer Vorbildfunktion unmittelbar und in aller Konsequenz eingreifen müssen, wenn es die Situation erfordert. Sensibilisieren Sie diese ebenfalls dafür, dass alle Bemühungen eine „Speak-up“ Kultur zu entwickeln konterkariert werden, wenn Führungskräfte im entscheidenden Moment wegschauen oder keine klare Position vertreten. Holen Sie sich dazu unterstützend das Commitment des Topmanagements ein. Dieses muss hundertprozentig hinter der Null-Toleranz-Regel stehen. Sprich: das Topmanagement darf nicht eine Sekunde darüber nachdenken, ob sich das Unternehmen überhaupt wirtschaftlich erlauben kann, den der sexuellen Belästigung überführten Top-Performer zu entlassen oder nicht. Des Weiteren sollten Sie sich als Vertreter der Personalabteilung von Ihrem Topmanagement einen klaren Auftrag abholen, dieses so wichtige Thema für

Klare Regeln und Prozesse Entwickeln Sie zusammen mit Ihrem Betriebsrat ein eindeutiges Verfahren, wie Fälle sexueller Belästigung untersucht und fair behandelt werden. Machen Sie es den Opfern sexueller Belästigung ebenso wie denjenigen, die Fälle melden, obwohl sie nicht direkt selber betroffen sind, möglichst einfach, sich zu informieren oder einen Fall zu melden. Dies können Sie erreichen, indem Sie niedrigschwellige Informations- und Hilfsangebote schaffen, die zunächst einmal Anonymität garantieren. Kommunizieren Sie beispielsweise alle notwendigen Informationen sowie die unternehmenseigenen Prozesse auf einer leicht zu findenden Seite des firmeneigenen Intranets oder stellen Sie Betroffenen die Hilfe

KURZBERICHT:

Studentinnen des Masterstudien­ gangs Wirtschafts­ psychologie der CBS International Business School in Köln (links) Rewe ­HR‑Expertinnen Katja Kaufhold und Anna Katharina Röhm-Kuhr

In enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat hat die Rewe Markt GmbH im Juli 2020 für die Zweigniederlassung West eine Betriebsvereinbarung zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz geschlossen. Dabei ging es dem Unternehmen nicht nur darum, ein klares Zeichen gegen jegliche Form der Diskriminierung am Arbeitsplatz zu ­setzen, sondern auch Prozesse,

36

Ansprech­partner und Eskalationswege klar zu definieren und vor allem die Mitarbeitenden in den Märkten durch Präventivmaßnahmen vor sexueller Belästigung zu schützen. Bei der Konzeptentwicklung wurde das Unternehmen von sechs Studentinnen des Masterstudiengangs Wirtschaftspsychologie der CBS International Business School in Köln im Rahmen eines Business Projektes unterstützt.

Unter der Supervision der beiden Rewe HR-Expertinnen Katja Kaufhold (Assistenz HR-Leiter) und Anna Katharina Röhm-Kuhr (Syndikusrechtsanwältin, Arbeitsrecht) sowie Prof. Dr. Stefan Schwarz (CBS International Business School) verschafften sich die Studentinnen zuerst einen Überblick über die Vorgehensweisen von 63 Unternehmen aus elf unterschiedlichen Ländern. Mithilfe dieser Benchmark-Analyse identifizierten sie Best Practices im Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Anschließend entwickelten sie auf dieser Grundlage und aufbauend auf den Rewe -Führungsgrundsätzen ein Schulungspaket, inklusive Besprechungsleitfäden für Führungskräfte, Verhaltenskodizes für Mitarbeitende und Führungskräfte sowie einen Informationsflyer mit Hilfsangeboten für Betroffene. Laut Georg Kehrbaum, HR-Leiter der Rewe-Zweigniederlassung West, war die Zusammenarbeit mit den Studentinnen der CBS International Business School eine Win-win-Situation. Während die Studentinnen davon profitierten, an realen Fragestellungen aus der Praxis zu arbeiten, profitieren nun die Führungskräfte und Mitarbeitenden des Kölner Handelsunternehmens von den entwickelten kreativen Hilfestellungen und Präventivmaßnahmen.

Foto: privat(2); Nathalie Menke

Entwicklung eines ­Präventionskonzepts für die Rewe Markt GmbH


eines unabhängigen Dienstleisters (Employee Assistance Program) kostenlos zur Verfügung. Achten Sie vor allen Dingen auch darauf, Opfer oder Mitarbeitenden, die Täter melden, ohne selber Opfer zu sein, langfristigen Schutz vor Repressalien oder der Offenlegung intimer Details zu garantieren, indem Sie beispielsweise langfristig verfolgen, wie sich das Arbeitsleben der Betroffenen von abgeschlossenen Fällen weiterentwickelt.

Verpflichtende Schulungen

Foto: Mathias te Poel

Führen Sie für alle Mitarbeitenden des Unternehmens verpflichtende Schulungen zum Umgang mit und zur Prävention von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ein. Starten Sie dabei auf Topmanagement Level und rollen Sie die Schulungen dann kaskadenartig auf die gesamte Unternehmung aus. Unterstreichen Sie die Bedeutsamkeit des Themas, indem Sie sich bewusst nicht für ein (kostengünstigeres) E-Learning-Format entscheiden, sondern im Rahmen einer Präsenzschulung die Möglichkeit nutzen, über die persönliche Auseinandersetzung und den Gruppendiskurs zu einem gemeinsam getragenen Verständnis von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu gelangen. Führen Sie jährliche Refresh-Schulungen durch und stellen Sie im Onboarding-Prozess sicher, dass neue Mitarbeitende über die unternehmenseigenen Regeln und Prozesse informiert sind. Unterstützen Sie Ihre Führungskräfte in den Schulungen mit konkreten Hilfestellungen für die anspruchsvolle Gesprächsführung mit Betroffenen und Tätern. Lassen Sie dabei weiche Skills wie das Zeigen von Empathie und das Verständnis dafür, dass Opfer teilweise noch unter Schock stehen und Zeit für die Verarbeitung des erlittenen Traumas benötigen, nicht außer Acht. Rufen Sie unternehmensweit dazu auf, Opfern kollegial zur Seite zu stehen. Schulen Sie alle Mitarbeitenden – unabhängig von Position und Funktion – darin, mit welchen konkreten Verhaltensweisen sie dies couragiert umsetzen können.

Stefan Schwarz ist Professor für Arbeits- und Organisations­ psychologie an der CBS International Business School in Köln und Partner bei Profundas Consulting, einer Beratung für Personalund Organisationsentwicklung sowie Coaching und Mediation.

o k tober   /  novem b er 2020

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T I T E L

DISKRIMINIERUNG

Faktor Vorurteil Ein Gastbeitrag von Dr. Wiebke Stegh und Prof. Dr. Jurij Ryschka

Obwohl belegt ist, dass das Alter einer Person keinen direkten Effekt auf das Leistungsvermögen hat, halten sich die Vorurteile hartnackig. Organisationen können sich heutzutage klar gegen Altersdiskriminierung positionieren, wenn Sie einen bewussten Umgang mit Stereotypen pflegen.

W

erfen Sie einen Blick auf die vier Kompetenzverläufe. In der folgenden Abbildung 1 sind vier verschiedene Kompetenzen benannt: motorische Fähigkeiten, Sinneswahrnehmungen, Wissen (oder auch kristalline Intelligenz),

Ordnen Sie die Kompetenzen den ­Verläufen zu:

fluide Intelligenz*

30

60

90

Sinnes­wahrnehmungen

Leistung

Wissen

Leistung

Leistung

motorische Fähigkeiten

Alter

 Welche Kompetenz würden Sie welchem Verlauf zuordnen?

Alter

30

60

90

Leistung

Abb. 1

fluide Intelligenz – das heißt, wie schnell wir Informationen verarbeiten und Probleme lösen können. Darunter sehen Sie vier Verlaufskurven.

Alter

30

60

90

(vgl. Falkenstein, 2015) * Schnelligkeit und Genauigkeit der Informationsverarbeitung, Fähigkeit zur Lösung von Problemen und zur Einstellung auf neue Situationen.

38

Alter

30

60

90


Vorurteile gegenüber jüngeren und älteren Personen

 Was gibt es für Vorurteile gegenüber älteren Personen?  Was gibt es für Vorurteile gegenüber jüngeren Personen?

Wie sind Sie beim Reflektieren über die Kompetenzverläufe zu Ihren Einschätzungen gekommen? Welche Vorstellungen bezüglich des Älterwerdens wurden bei Ihnen aktiviert? Inwiefern war die Überzeugung präsent, dass mit dem Alter „alles per se schlechter wird“? Diese Auffassung wird auch als Defizitmodell des Alterns bezeichnet – was heutzutage vielfach widerlegt ist (siehe unten). Nehmen Sie sich bitte zwei Minuten Zeit und überlegen (und notieren) Sie:

Abb. 2

 Welchen Vorurteilen sind Sie selbst schon begegnet? In der Abbildung 2 finden Sie eine Auflistung verschiedener Stereotype gegenüber älteren und jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitenden sind im Übrigen weiter verbreitet und auch intensiver erforscht. Das „Defizitmodell des Alterns“ hält sich hartnäckig in unseren Köpfen.

Stereotype über ältere und jüngere ­Mitarbeiter*innen

VERBREITETE NEGATIVE STEREOTYPE ÜBER ÄLTERE MITARBEITER

VERBREITETE NEGATIVE STEREOTYPE ÜBER JÜNGERE MITARBEITER*

können mit der geforderten Geschwindigkeit (und neuen Technologien) nicht mithalten

Schwächen in der Gedächtnisleistung sowie in Koordinations- und Aufnahmefähigkeit

wenig pragmatisches Denken

risikoscheu weniger offen gegenüber Neuerungen („festhalten an Altbewährtem“); veränderungsresistent

zeigen sich eher mit alten Strukturen zufrieden, wenig innovativ und kreativ

wenig Interesse daran, etwas Neues zu erlernen (Lernaufwand wird aufgrund des bevorstehenden Ruhestandes als wenig sinnvoll erachtet)

mehr Gesundheits­ probleme bei der Arbeit

kosten mehr als jüngere Mitarbeiter

eher „träge“ und „müde“; weniger motiviert; arbeiten nicht so hart wie andere Mitarbeiter

verstehen komplexe Zusammenhänge nicht

wenig Erfahrung und Wissen; viel Theorie, wenig Praxis

selbst­ zentrierter und anspruchsvoller im Umgang mit Kollegen und der Führungskraft

investieren mehr Zeit in die Familie als in die Arbeit …

Entscheidungen sind weniger fundiert

können noch keine Führungs­ verantwortung übernehmen

zu risikobereit

wenig mikropolitisches Geschick; kennen die „Spielregeln“ noch nicht

soziale Kompetenz noch nicht ausreichend ausgeprägt

leichter aus der Ruhe zu bringen und zu stressen; weniger Selbstregulations­ kompetenzen

ungeduldig, wenig gelassen …

(im Überblick: Kite, Stockdale, Whitley & Johnson, 2005; Kunze, Boehm & Bruch, 2011; Müller, Curth & Nerdinger, 2012; Ng & Feldman, 2008, 2010, 2012; Posthuma & Campion, 2009; weitere Studien: Brooke & Taylor, 2005; Kunze, Boehm & Bruch, 2013a; Shore, Cleveland & Goldberg, 2003; Wrenn & Maurer, 2004) * Negative Stereotype gegenüber älteren Menschen sind durchaus weiter verbreitet (und auch stärker erforscht) als die gegenüber jüngeren. Nichtsdestotrotz gibt es auch Stereotype über jüngere Mitarbeiter, die gerade ins Berufsleben einsteigen. Vermutlich fallen Ihnen auch noch weitere Stereotype über ältere und jüngere Mitarbeiter ein.

o k tober   /  novem b er 2020

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DISKRIMINIERUNG

Vorurteile, die wir bezüglich des Alters (oder auch des Geschlechts) einer Person haben, sind uns oftmals gar nicht bewusst – und werden daher auch als unconscious bias bezeichnet. Nun sind Stereotype grundsätzlich nichts Schlechtes – im Gegenteil: Sie ermöglichen uns ein schnelles Einschätzen und Handeln. Wir müssen nicht jede Situation oder Person aufs Neue genau beobachten und analysieren, um zu einer Entscheidung zu kommen, sondern können durch das Nutzen von Stereotypen schnell reagieren und handlungsfähig bleiben. Entscheidend ist, sich kontinuierlich „an die eigene Nase zu fassen“ und die eigenen Stereotype zu überprüfen (siehe unten) – sind diese (oft unbewussten) Vorannahmen überhaupt zutreffend in dieser Situation und bezogen auf diese Person?

Kompetenzen im Altersverlauf Was ist nun dran an diesen Vorurteilen bezogen auf das Alter? Lassen Sie uns zunächst auf die Auflösung der Verlaufskurven für die vier Kompetenzen in Abbildung 3 schauen.

Kompetenzen im Altersverlauf

fluide Intelligenz*

Alter

30

60

90

Sinnes­wahrnehmungen

Leistung

Wissen

Leistung

Leistung

motorische Fähigkeiten

Alter

30

60

90

Leistung

Abb. 3

Im Altersverlauf nehmen bestimmte Fähigkeiten ab – allen voran unsere sensorischen und motorischen Fähigkeiten. Auch die fluide Intelligenz lässt ab dem circa 35 Lebensjahr leicht nach. Aber unser Wissen und unser Erfahrungsschatz (auch kristalline Intelligenz genannt) nimmt im Verlauf unseres (Berufs-)Lebens zu und kann diesen Abfall der fluiden Intelligenz häufig kompensieren. Ein sehr deutlicher Abfall der fluiden Intelligenz zeigt sich in der Regel erst ab einem Alter von etwa 70 Jahren. Daher muss dieser Abfall nicht zwingend einen Effekt auf das Berufsleben haben. Zudem zeigt sich hier eine hohe Streuung: Bei einigen Menschen nimmt diese kognitive Leistungsfähigkeit schnell und deutlich ab, andere bleiben bis ins hohe Alter geistig fit – denken Sie nur einmal an Helmut Schmidt! Wichtig ist, dass Sie als Organisation positiven Einfluss auf die fluide Intelligenz nehmen. Dies kann durch Maßnahmen der Verhältnisprävention wie durch geistig anregende und abwechslungsreiche Arbeit oder durch angemessene Arbeits- und Pausenzeiten erfolgen. Und auch wir als Individuen können unsere kognitiven Fähigkeiten fördern – durch Bewegung, Ernährung, entsprechende Freizeitaktivitäten et cetera. Wie wirken sich diese Entwicklungen der Kompetenzen nun aber konkret auf unsere berufliche Leistung aus?

Alter

30

60

90

(vgl. Falkenstein, 2015) * Schnelligkeit und Genauigkeit der Informationsverarbeitung, Fähigkeit zur Lösung von Problemen und zur Einstellung auf neue Situationen.

40

Alter

30

60

90


Zusammenhang zwischen Alter und Leistung

vorstellen, die deutlich zeigen, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Alter und Leistung gibt – keine Alterseffekte auf die Arbeitsleistung, nicht auf Kreativität oder innovationsbezogenes Verhalten, nicht auf Sicherheitsverhalten und auch nicht auf das Arbeits­ engagement.

Ergänzend zu den Kompetenzverläufen möchten wir Ihnen in Abbildung 4 folgende beeindruckende Zahlen aus den Metaanalysen von Ng & Feldmann (2008, 2013a, 2013b)

ZUSAMMEN­HÄNGE ZWISCHEN ALTER UND L ­ EISTUNG

Abb. 4

Metaanalysen zum Zusammenhang von Alter und Leistung Vorgesetztenurteil

Selbsturteil

Fremdurteil

(r)

(r)

(r)

aufgaben­bezogene ­Leistung

.06/.02

.08/.06

Kreativitäts­leistung

.05/.01

.02/.01

Leistung in ­Trainings­programmen innovationsbezogenes Verhalten

ZUSAMMEN­HÄNGE ZWISCHEN ­ALTER UND ­WEITEREN ­MERKMALEN

–.02

.35

.25

.08

.06

Agression am ­Arbeitsplatz

–.08

Drogen­missbrauch am Arbeitsplatz

–.07

–.26

kontra­produktives Arbeits­ verhalten Sicherheits­verhalten

–.04/.03

–.04

Arbeits­engagement über eigentliche Aufgabe hinaus

Unpünktlichkeit

objektive Leistungs­maße (r)

–.26

–.12

.10*

Unkompliziertheit und Hilfs­bereitschaft

–.09

.01

.08

.06

Unfälle und Verletzungen

–.08*

.02

–.04

Abwesenheit/krankheitsbedingte Abwesenheit

.02*

.02

–.19/–.26

verbundene Spalten = Urteilsquelle in diesem Fall nicht bekannt. r = gibt den Korrelationseffizienten an, um auszudrücken, ob und wie stark zwei Faktoren (hier Alter und Leistung sowie andere arbeitsrelevante Faktoren) miteinander zusammenhängen. Dieser Wert kann zwischen –1 und 1 liegen. 0 bedeutet dabei keinen Zusammenhang, –1 ist der größtmögliche negative Zusammenhang, 1 ist der größtmögliche positive Zusammenhang. Die Symbole beschreiben den Korrelationseffizienten nochmals bildlich:   Alter steht in keinem statistisch bedeutsamen Zusammenhang mit leistungsbezogenen und anderen Faktoren   Zusammenhang ist statistisch relevant (»signifikant«), aber dennoch klein und deswegen nicht bedeutsam

o k tober   /  novem b er 2020

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DISKRIMINIERUNG

Obwohl belegt ist, dass das Alter einer Person – egal, ob alt oder jung – keinen direkten Effekt auf das Leistungsvermögen hat, halten sich die Vorurteile hartnäckig.

Führen von Jung & Alt Vor allem, wenn Sie heterogene Teams führen, ist es Ihre Aufgabe als Führungskraft, das Thema Vorurteile mit Ihrem Team anzusprechen und zu reflektieren. Stereotype als etwas Menschliches anzunehmen ist unserer Ansicht nach ein wichtiger Faktor, um nicht in Schuldzuweisungen zu verfallen, sich selbst zu grämen oder Personen individuell anzugreifen. Wichtig ist, an diesem Punkt nicht stehen zu bleiben, sondern für sich und im Team gemeinsam zu prüfen:

geberattraktivität zu fördern –, wenn Sie einen bewussten Umgang mit Stereotypen pflegen und sich (unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben) für Fairness, Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung einsetzen. Die Forschung zeigt zudem, dass gut gemanagte Heterogenität auch zu besseren Ergebnissen führt! Altersheterogene Teams, die in einem komplexen Umfeld agieren und in denen ein positives Teamklima herrscht, zeigen eine erhöhte Effektivität gegenüber altershomogenen Gruppen .

Individuelle Führung – mit dem einzelnen Menschen in Kontakt kommen

Viele Menschen sind unsicher, wie man „richtig“ mit Stereo­ typen umgehen sollte. Wenn wir auf das Thema Führung schauen, dann gelten auch hier alle Grundsätze „guter Führung“. Das Wichtigste ist, mit der einzelnen Person im guten Kontakt zu sein und individuell zu schauen, was es für diesen Menschen braucht, um gute Arbeit zu leisten. Menschen sind verschieden – auch unabhängig vom  Welche Vorurteile habe ich eigentlich bezüglich jünge- Alter – und dieser Unterschiedlichkeit gerecht zu werden, ren, welche bezüglich älteren Personen (und darüber ist schon anti-stereotypes Denken und Handeln! Während hinaus natürlich auch bezüglich weiterer Merkmale wie der eine Mitarbeiter viel Rückmeldung zu seiner Leistung Geschlecht, Herkunft, Religion et cetera)? braucht, strebt die andere Mitarbeiterin nach großen Handlungsspielräumen und Autonomie. Die eine Mitarbeiterin  Bei welcher Einschätzung oder Entscheidung bin ich möchte nach der Geburt ihres Kindes, schnell wieder verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen, der andere Mitgegebenenfalls „in die Falle eines Stereotyps getappt“?  arbeiter nimmt die komplette Elternzeit.  Wie können wir als Organisation unsere Prozesse, zum Einige Werte und Bedürfnisse verändern sich im AlBeispiel bei Einstellungen, Beförderungen oder Beset- tersverlauf. Während zu Berufsbeginn sogenannte Wachszung von Führungspositionen vorurteilsfreier gestalten? tumsmotive relevant sind – also der Aufbau von Wissen, Informationssammlung, das Bedürfnis nach Feedback –,  Wie können wir einen kontinuierlichen „Stereotyp-­ nimmt in späteren (Berufs)Jahren die Bedeutung emotioCheck“ für uns als Einzelperson, als Führungskräfte, im naler Motive zu. Die aktuelle Befindlichkeit am Arbeitsplatz Team und in der Organisation etablieren? wird zunehmend wichtiger. Das Bedürfnis nach einem positiven Miteinander und Wertschätzung steigt – auch des • Wie können wir uns unsere Vorurteile immer wieder Wissens und der Erfahrungen. Dennoch sind sich ältere und bewusst machen (zum Beispiel ein Mal im Monat ganz jüngere Menschen sehr einig: Freude bei der Arbeit sowie bewusst in einem Meeting auf Stereotype schauen)? die Möglichkeit zur Mitgestaltung sind für alle Altersklassen und Generationen die wichtigsten Merkmale. • Wie können wir unsere täglichen Entscheidungen prüfen, damit diese nicht von Stereotypen geprägt werden? Reflektieren Sie zum Beispiel, ob Sie bei einer Person deutlich jüngeren beziehungsweise älteren Alters oder bei einer Person des anderen Geschlechts genauso gehandelt hätten. • Wie können wir Prozesse gestalten (zum Beispiel durch Prüfschleifen), damit diese nicht zu ungewünschten Diskriminierungen führen? Organisationen und Führungskräfte können sich heutzutage klar positionieren – nicht zuletzt, um ihre Arbeit42

„ Die Forschung zeigt, dass gut gemanagte Heterogenität auch zu besseren Ergebnissen führt.“


Handlungsempfehlungen für ­ Führungskräfte

• Bestärken Sie Ihre Mitarbeitenden und übertragen Sie ihnen neue und abwechslungsreiche Aufgaben – unabhängig vom Alter. Sie fördern somit die fluide Intelligenz.

Was Sie als Führungskraft konkret tun können: • Achten Sie darauf, dass Sie jeder Person individuell gerecht werden! • Schließen Sie nicht von einer (älteren) Person in Ihrem Team auf andere Mitarbeitenden und vor allem nicht von Ihrem eigenen Empfinden und Erleben auf das anderer (sogenannte projektive Verzerrungen).

• Ermöglichen und fördern Sie den Austausch zwischen älteren und jüngeren Teammitgliedern – auch zu Themen, die nicht direkt mit der Arbeitsaufgabe in Verbindung stehen. Kommen Sie damit dem Bedürfnis jüngerer Personen nach, Neues zu lernen und ihren Horizont zu erweitern sowie dem Wunsch älterer Menschen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben.

• Räumen Sie mit Stereotypen auf – angefangen bei sich und dann auch bei anderen. Ältere Personen sind nicht per se weniger leistungsfähig als jüngere (und umgekehrt). • Machen Sie Vorurteile über ältere sowie jüngere Menschen in Ihrem Team besprechbar. Bauen Sie ­gemein­­­­s­am negative Stereotype ab und nutzen Sie die jeweiligen ­Potenziale der Teammitglieder bestmöglich. Foto: Julia Teine

Dr. Wiebke Stegh und Prof. Dr. Jurij Ryschka arbeiten seit 2011 in

• Seien Sie aufmerksam, wenn Personen sich selbst bestimmte Dinge nicht mehr zutrauen, weil sie glauben, diese nicht mehr bewältigen zu können. Reagieren sie darauf.

verschiedenen Beratungs- und Trainingsprojekten der Organisationsentwicklung Ryschka zusammen und haben 2019 das Buch „Führen von Jung und Alt“ bei SpringerGabler veröffentlicht.

AGILE LEARN

www.learning-innovat

facebook.com/ LearningInnovationConference twitter@LI_Conference


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DISKRIMINIERUNG

Der* Die* Das* Wieso* Weshalb* Warum*?

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TITEL

Gelebte Vielfalt in Organisationen ist nichts, was Führungskräfte einfach so beschließen können. Eher sollten sie Rahmenbedingungen setzen, damit Vielfalt entsteht, diese lebt und sich entwickelt. Eine wichtige Stellschraube ist eine gendersensible und idealerweise insgesamt wertschätzende Sprache.

Ein Gastbeitrag von Albert Kehrer oder geschlechtlichen Merkmalen. Kurz: Wir bieten Veranstaltungen, Beratungen und Handlungsempfehlungen zum Thema „Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter­sexuelle und queere Menschen am Arbeitsplatz“ an.

Praxisnahe Handlungsempfehlungen

Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de

W

ir alle sind in einer Welt aufgewachsen, in der das generische Maskulinum Standard war. Beispielsweise haben wir ganz unreflektiert rassistische Begriffe in uns aufgenommen und denken nur selten darüber nach, wie unsere Welt Menschen behindert, indem wir die Situation von Menschen mit körperlichen Einschränkungen nicht mitdenken. Mein persönlicher Lernprozess in diesem Thema war nicht immer einfach, weil ich ständig eigene Gewohnheiten reflektieren und verändern musste. Meine Reise war aber in jedem Fall eine echte Bereicherung. Als mein Vorstandskollege, acht Unternehmen und ich die Prout at Work-Foundation vor sieben Jahren gegründet haben, kam in der ersten Sitzung des Stiftungsbeirats der eindringliche Wunsch auf, als Stiftung, die sich für Diversität in Unternehmen einsetzt, Vielfalt zuallererst selbst vorzuleben: Sowohl in unserem Miteinander, als auch in unserer Sprache. Das war leichter gesagt als getan, denn an dieser Stelle begann bei uns allen ein Lernprozess, der nach wie vor nicht beendet ist. Prout at Work ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich um die Chancengleichheit von Menschen am Arbeitsplatz einsetzt, unabhängig von deren Geschlecht, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, geschlechtlichem Ausdruck o k tober   /  novem b er 2020

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur dritten Option im November 2017 wurde für intersexuelle Menschen das Recht auf einen positiven Geschlechtseintrag im Personenstandsregister bestätigt. In der Auseinander­ setzung mit den Auswirkungen des Urteils auf Arbeits­ prozesse in Unternehmen und Organisationen haben wir auch eine Handlungsempfehlung zu gendersensibler Sprache entwickelt, in die unsere eigenen sowie die Erfahrungen anderer Organisationen eingeflossen sind. Viele Studien zeigen, dass sich Frauen eher bewerben, wenn die Unternehmens- und Stellenbeschreibung weitgehend auf maskulin konnotierte Begriffe verzichtet – und dass Männer sich von dieser neuen Sprache ebenso angesprochen fühlen. Somit können Sie also ohne großen Mehraufwand mehr Menschen erreichen. Dabei sind die Möglichkeiten, gendersensibel zu kommunizieren, vielfältig: von der Sichtbarmachung der Geschlechter (Mitarbeiter*innen, Kund:innen, Kolleg_innen) über die Neutralisierung in Form von Bezeichnungen (Führungskräfte, Mitarbeitende, Vorgesetzte) bis hin zu Umschreibungen (alle Personen im Unternehmen, Menschen mit Führungsverantwortung, Personen, die sich bewerben). In meiner eigenen Erfahrung hat sich herausgestellt, dass die ausschließlich genutzte Variante der Sichtbarmachung in Teilen zu komplex und schwer lesbar wird, aber ein guter 45


DISKRIMINIERUNG

„ Gendersensible Schriftsprache ist nur der Anfang. Es gilt, umfassend wertschätzend zu kommunizieren.“ Mix der genannten drei Möglichkeiten den Sprachgebrauch deutlich flexibilisiert. In Formularen lassen sich gendersensible Begriffe sehr leicht umsetzen. Für die gegebenenfalls drei zusätzlichen Zeichen findet sich auf jeden Fall Platz oder es finden sich alternativ umschreibende Begriffe. Sie werden erstaunt sein, wie sehr sich der eigene Wortschatz erweitert. Von Arbeitsrechts­expert_innen der alten Garde aus Unternehmen kommt oft das Argument, dass es im Gesetz nur das generische Maskulinum, also „den Arbeitnehmer“ gibt und deshalb gerade in Arbeitsverträgen diese Form verwendet werden muss. Aber ein Rechtsgutachten einer internationalen Anwaltskanzlei ergab, dass auch in Arbeitsverträgen gegendert werden kann – und unseres Erachtens auch sollte.

Unkonventionelle Lösungen Demgegenüber gestaltet es sich weitaus schwieriger, inter­ sexuelle Menschen und Personen, die sich nicht einem bestimmten Geschlecht zuordnen (non-binary), gendersensibel anzusprechen. Da wir in der Erstansprache nicht von jeder Person das Geschlecht wissen, sprechen wir bei neuen Kontakten die Personen mit dem Vornamen und Nachnamen an („Hallo, Kim Meier“). Zudem bitten wir die kontaktierte Person uns mitzuteilen, mit welchem Pronomen wir sie zukünftig ansprechen sollen beziehungsweise welche Anrede gewünscht ist. Dadurch wird dieser „Konventionsbruch“ in der Anrede schnell erklärt und die zukünftig korrekte Ansprache sichergestellt. Das Feedback hierauf ist durchweg positiv. In Stellenausschreibungen zeigt sich die Umsetzung komplizierter, da mittlerweile ja ein dritter Buchstabe hinter dem Jobtitel gefragt ist. Jedoch: Mit der Stellenbezeichnung im generischen Maskulinum vorneweg, ergibt auch das „d“ in der Klammer kaum noch Sinn. Auf diese Weise ist der dritte Buchstabe nur die Erfüllung einer Vorschrift, aber keine gendersensible Ansprache. Warum nicht die Stel46

lenbezeichnung entpersonalisieren und nach der „Leitung der Finanzabteilung (w, m, d)“ suchen oder eine „Stelle in der IT-Entwicklung“ besetzen? Können Sie sich vorstellen, die Unternehmens -und Stellenbeschreibung unter Verwendung von weiblich und männlich konnotierten Begriffen zu formulieren (neben durchsetzungsstark, entschlossen und selbstbewusst auch engagiert, leidenschaftliche und zuverlässig)? Statt jemanden für die Mannschaft, eine passende Person fürs Team zu suchen?

Wertschätzende Kommunikation als ­Gesamtkonzept Gendersensible Schriftsprache ist nur der Anfang. Darüber hinaus gilt es, grundsätzlich auch die Bildsprache in den Blick zu nehmen – gemeint sind Menschen jeder Hautfarbe, jeden Alters, je nach Geschlecht in allen Positionen sichtbar. Dazu sollten wir umfassend wertschätzend kommunizieren, indem wir uns bemühen, rassistisch, sexistisch und klassistisch diskriminierende Begriffe wie „getürkt“, „Frauensache“ oder „Putze“zu vermeiden. Auch sollten wir inklusiver in Bezug auf Menschen mit Behinderung kommunizieren – ein_e Rollstuhlfahrer_in wird nicht zur Kollegin „gehen“, und ein Mensch mit einer Sehbehinderung sich nicht schnell mal was „anschauen“. Mit Einführung gendersensibler Sprache werden Sie in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Organisation vielen Skeptiker_innen begegnen („Das hat bis jetzt auch so funktioniert“ oder „Wir haben solche Mitarbeiter bei uns im Unternehmen nicht „). Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen. Ob Sie nun das Gender-Sternchen (Mitarbeiter*innen), den Gendergap (Mitarbeiter_innen) oder andere Formen der gendersensiblen Sprache verwenden, ist letztlich egal – es kommt auf die Wirkung an. Die vielen Menschen, die sich durch eine auf sie zugeschnittene Sprache deutlich stärker angesprochen fühlen, gehen sehr pragmatisch mit kleinen Fehlern um und danken es Ihnen. Was anfangs holprig wirkt, wird schnell zur neuen Normalität und zeigt Effekte.

Albert Kehrer ist ehrenamtlich Vorstand und Mitstifter der Prout at Work-Foundation. Haupt­beruflich ist er Coach und berät als Perls Anderson Change Advisors Unternehmen zu Diversity Management und Unconscious Bias. Eine Handlungsempfehlung der Stiftung zu gendersensibler Sprache finden Sie unter https://www.proutatwork.de/aufklaerung/ how-to/

Foto: privat

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DISKRIMINIERUNG

Gesucht: ­ faire Stellen­ anzeigen Immer wieder werden Jobsuchende in Stellenanzeigen diskriminiert. Wann eine ungleiche Behandlung vorliegt und worauf Unternehmen unbedingt achten sollten

Allerdings kann in manchen Fällen eine unterschiedliche Behandlung von Bewerber*innen sogar zulässig sein, wenn die ausgeschriebene Tätigkeit eine berufliche Kompetenz erfordert, über die nicht jede Person verfügt.

Welche Formulierungen können eine ­unzulässige Diskriminierung darstellen? Seit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gab es eine große Bandbreite von Entscheidungen hinsichtlich diskriminierender Stellenanzeigen:

1. Altersdiskriminierende Stellenanzeigen Am häufigsten finden sich altersdiskriminierende Stellenanzeigen, wie die bereits angesprochene Formulierung: „junges, dynamisches Team“ Das BAG hat 2016 entschieden, dass der Begriff „jung“ unmittelbar an das Lebensalter anknüpft und damit diskriminierend ist. Formulierungen wie „eine langfristige Perspektive in einem jungen und dynamischen Team“ oder „Tätigkeit in einem professionellen Umfeld mit einem jungen, dynamischen Team“ stellen ebenfalls eine unmittelbare Diskriminierung dar. „idealerweise nicht älter als“

Ein Gastbeitrag von Julia Kusmijtschuk

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as Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) untersagt Stellenanzeigen, die aufgrund ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität mögliche Bewerber*innen benachteiligen. Stellenanzeigen müssen demnach möglichst merkmalsneutral formuliert sein. Die richtige Formulierung einer Stellenanzeige ist allerdings oft eine Stolperfalle, die im schlimmsten Fall eine Diskriminierung darstellen kann. Erst im Mai dieses Jahres hatte ein 61-jähriger Mann gegen die Formulierung „zukunftsorientierte, kreative Mitarbeit in einem jungen, hochmotivierten Team“ geklagt, nachdem er nicht eingestellt worden war. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg entschied, dass diese Formulierung eine Benachteiligung vermuten lässt. Das Gericht folgte damit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahre 2016. Derartige Stellenanzeigen können somit zu Schadenersatzansprüchen seitens der abgelehnten Bewerber führen. 48

Ein weiteres Beispiel für eine altersdifferenzierende Stellenanzeige ist die konkrete Angabe eines Alters wie „Bewerberalter im Bereich von circa 30 bis 45 Jahren“ oder wie „idealerweise nicht älter als 45“. Angaben eines Höchstalters in Stellenanzeigen stellten grundsätzlich eine Altersdiskriminierung dar. Eine Rechtfertigung ist schwer möglich. Einer Arbeitgeberin gelang das allerdings im Jahr 2007, weil sie jemanden eingestellt hatte, der tatsächlich älter war als 45. „Erstes Berufsjahr“, „Berufsanfänger“, „Young Professionals“ Auch die konkrete Begrenzung auf Personen, die gerade ins Berufsleben einsteigen beziehungsweise Bewerber*innen, die gerade die Ausbildung beziehungsweise das Studium absolviert haben, kann eine Altersdiskriminierung dar­stellen. Auch hierbei geht das BAG seit einem Beschluss aus dem Jahr 2009 von einer mittelbaren Benachteiligung aus. „Berufseinsteiger“ versus „Berufsanfänger“ Interessant ist eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hessen von 2019: Ein IT- und Engineeringdienstleister für Personal suchte nur nach „Berufseinsteigern“. Die Klage auf Entschädigung eines abgelehnten länger berufstätigen


Rechtsanwalts blieb allerdings erfolglos. Das LAG befand, der Begriff „Berufseinsteiger“ sei dem Begriff „Berufsanfänger“ nicht gleichzusetzen. Bei einem Berufseinsteiger handele es sich um eine Person, die bereits beruflich tätig war und sich nun für eine andere berufliche Tätigkeit entscheide, wohingegen „Berufsanfänger“ jemand sei, der erst mit dem Berufsleben starte. „Dynamisches Team“ und „Junior“ sind keine Altersdiskriminierung Der Begriff „dynamisches Team“ ohne Angabe von weiteren Zusätzen wie „jung“ stellt zumindest für das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein keine Altersdiskriminierung dar, weil der Bezug zum Alter fehle. Die Bezeichnung der Position als „Junior“ sollte auch zulässig sein, solange sie nur die Stellung in der betrieblichen Hierarchie darstellt.

2. Geschlechterdiskriminierende ­Stellenanzeigen „Geschäftsführer gesucht“ Diskriminierende Formulierungen im Hinblick auf das Geschlecht sind heutzutage allein durch den Zusatz „(m/w/d)“, der für männlich, weiblich, divers steht, seltener geworden. Sie kommen aber dennoch immer wieder vor. In einer Stellenanzeige wurde in der Überschrift explizit ein „Geschäftsführer“ gesucht. Auch im darunter stehenden Text wurde nicht darauf verwiesen, dass auch weibliche Bewerberinnen sich bewerben können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe sprach einer abgelehnten Bewerberin daraufhin eine Entschädigung in Höhe von 13.000 Euro zu. „Frauen an die Macht“ Ein Autohaus war im Jahr 2015 auf der Suche nach einer Autoverkäuferin und schaltete eine Anzeige mit dem Slogan „Frauen an die Macht“. Prompt folgte daraufhin eine Schadensersatzklage eines männlichen Bewerbers. Trotz der auf den ersten Blick vorliegenden Diskriminierung war die unterschiedliche Behandlung des Bewerbers wegen seines Geschlechts gerechtfertigt. Das Autohaus hatte ausschließlich männliche Autoverkäufer und war auf der Suche nach weiblicher Verstärkung.

Foto: GvW Graf von Westphalen

3. Stellenanzeigen mit Bezug auf den ­ethnischen Hintergrund

in dem Fall die Arbeitgeberin zur Zahlung einer Entschädigung an einen abgelehnten Bewerber aus der Ukraine. „Sehr gute Deutschkenntnisse“, „hohe ­Kommunikationsfähigkeit in deutscher Sprache“ Die Anforderung nach „sehr guten Deutschkenntnissen“ stellt keine Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft dar, weil kein Bezug zur Muttersprache hergestellt wird, entschied das LAG Nürnberg bereits 2011. Auch die Anforderung „hohe Kommunikationsfähigkeit in deutscher Sprache“ in einer Stellenanzeige für die Besetzung eines „Service Desk“, an dem telefonische Anfragen von EDV-Nutzern zu bearbeiten sind, stellt kein Indiz für eine Diskriminierung ausländischer Bewerber wegen ihrer Herkunft dar.

4. Stellenanzeigen mit Bezug auf die Leistungsfähigkeit „Flexibel und belastbar“ Wird in Stellenanzeigen nach „belastbaren“ und „flexiblen“ Bewerber*innen gesucht, können diese geforderten Eigenschaften Menschen mit Behinderung diskriminieren. Doch kann eine solche Benachteiligung auch widerlegt werden: So konnte ein Arbeitgeber darlegen, dass einem Bewerber mit Behinderung nur deswegen abgesagt worden sei, weil er die gesuchte Tätigkeit bisher nur ausgeübt habe, wenn „Not am Mann“ gewesen sei, so der Wortlaut im Bewerbungsschreiben.

Fazit Die Beispiele zeigen, dass es bei der Frage, ob Stellenanzeigen diskriminierend sind, auf den Wortlaut, die Tätigkeit und die Gesamtumstände ankommt. Arbeitgeber sollten bei ihren Ausschreibungen auf Merkmale wie Geschlecht, Religion, körperliche Leistungsfähigkeiten, Nationalität, Altersgrenzen verzichten. Sind besondere Anforderungen erforderlich, sollte bereits in der Stellenanzeige klargestellt werden, dass ohne sie die Tätigkeit nicht verrichtet werden kann. Wird also gleich deutlich gemacht, warum gerade eine Lehrerin, ein Türsteher oder eine Person mit exzellenten Deutschkenntnissen gesucht wird, werden sich Bewerber*innen erst gar nicht benachteiligt fühlen.

„Muttersprache Deutsch“ Die Formulierung „Muttersprache Deutsch“ stellt eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft dar. Als Muttersprache wird die in der frühen Kindheit ohne formalen Unterricht erlernte Sprache verstanden, urteilte das hessische Landesarbeitsgericht 2015. Das Gericht verurteilte o k tober   /  novem b er 2020

Julia Kusmijtschuk ist Rechtsanwältin für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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DISKRIMINIERUNG


TITEL

Scheinheiliges Gesetz Ein Gastbeitrag von Asma Hussain-Hämäläinen

Das Entgelttransparenzgesetz sollte diskriminierende Lohnunterschiede zwischen Angestellten minimieren. Doch daraus ist nichts geworden. Woran das liegt und warum in Sachen Gleichbehandlung Deutschland ein Entwicklungsland ist

Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de unter Verwendung eines Fotos von Choness / Getty Images

Scheinheiligkeit und Defizite

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or kurzem war ich bei einer Güteverhandlung beim Arbeitsgericht. Es ging um eine Klage aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Verbindung mit dem Entgelttransparenzgesetz. Ohne Umschweife erklärte der Richter gleich zu Beginn, eine Klage aus dem AGG hätte keinen Erfolg, denn ein Blick in die Statistik zeige, dass solche Klagen fast nie erfolgreich seien. Das sei vor allem in Baden-Württemberg der Fall. Diese Voreingenommenheit und eine entsprechende Verfahrensleitung brachten dem Richter einen Befangenheitsantrag ein. Aber in einem Punkt hatte der Richter recht: Mit Klagen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hat man es vor deutschen Gerichten tatsächlich sehr schwer. Das ist ganz anders, wenn es zum Beispiel um Kündigungsschutzklagen geht: Ich habe noch nie eine Kündigungsschutzklage rechtskräftig verloren. Aber dieselben Richter*innen, die gekündigten Arbeitnehmern mit Wohlwollen begegnen, nehmen eine reflexhafte Abwehrhaltung ein, wenn sie das Wort „Diskriminierung“ hören. Dieser Zustand ist durch das lückenhafte Entgelttransparenzgesetz, für dessen Rechtsfolgen man auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zurückgreifen muss, nicht besser geworden. o k tober   /  novem b er 2020

Nach einer beispiellosen Kampagne der Arbeitgeberlobby schon bei dem Erlass des AGG in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt, steht das Gesetz unter keinem guten Stern: „Schmarotzer“, „Job-Hopper“ und „Berufskläger“ werden Menschen genannt, die aus dem AGG klagen. Selbst seriöse Medien waren sich nicht zu schade, dieses enorm wichtige Gesetz schon vor seinem Erlass in Grund und Boden zu schreiben. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeitsgerichte. Wer auch immer in den vergangenen zehn Jahren versucht hat, deutsche Arbeitsrichter*innen von der Berechtigung einer Klage aus dem AGG zu überzeugen, konnte fast immer sein blaues Wunder erleben. Richter*innen, die damit prahlten, dass sie noch nie in das AGG geschaut hätten, oder die mit den Augen rollten, wenn sie AGG hörten, waren die Regel und nicht die Ausnahme. Wer es auch noch wagte, für eine solche Klage Prozesskostenhilfe, also die Finanzierung der Klage durch den Staat zu beantragen, wurde fast schon aus dem Gerichtssaal geprügelt. Wenn ich also über das Entgelttransparenzgesetz schreibe, dann muss ich auch über das AGG und die Scheinheiligkeit von Politikern und die Defizite unserer Justiz schreiben. Beim Thema Diskriminierung zucken Arbeitsrichter*innen beinahe instinktiv zusammen. Es ist ihnen offensichtlich 51


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DISKRIMINIERUNG

sehr unangenehm, mit dem Thema überhaupt konfrontiert zu werden. Warum aber ist das so? Allein ein Blick auf die oberste Riege der Bundesregierung entlarvt stereotypes und damit diskriminierendes Verhalten im Arbeitsalltag: Es gab und gibt unter den Ministerinnen und Ministern der Großen Koalition niemanden mit zumindest offensichtlichem Migrationshintergrund. Der Fisch stinkt vom Kopf her.

Der Gender-Pay-Gap schließt sich nicht Und wer geglaubt hat, die Politik hätte mit dem Entgelttransparenzgesetz einen Volltreffer gelandet, um zumindest den Gender-Pay-Gap, also den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen, zu schließen, wurde bitter enttäuscht. Das Gesetz soll sicherstellen, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit auch ein gleiches Entgelt erhalten. Arbeitgeber sollen auf Wunsch Auskunft zu dem Mediangehalt der Vergleichsgruppe, also zu dem monatlichen Bruttoentgelt und zu bis zu zwei einzelnen variablen Entgeltbestandteilen, wie zum Beispiel Boni oder Prämien, geben. Dazu haben Beschäftigte eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit, eine sogenannte Vergleichstätigkeit, zu benennen. Ein wesentlicher Knackpunkt des Gesetzes: Der individuelle Auskunftsanspruch greift nur bei Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Personen. Damit fallen viele kleine und mittelständische Unternehmen aus dem Kreis der zur Auskunft verpflichteten Unternehmen raus. Und gerade in diesen kleinen und mittelständischen Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern dürften die Gehaltsunterschiede zwischen den Angestellten deutlich höher ausfallen, als es bei Großunternehmen der Fall ist. Denn oftmals fehlen gerade hier standardisierte Prozesse, die zu große Gehaltsunterschiede verhindern könnten. Der größte Knackpunkt des Gesetzes ist jedoch, dass es sich auf die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen konzentriert und die sehr oft bestehenden deutlichen Gehaltsunterschiede zwischen Mitarbeitern mit einem deutschen beziehungsweise einem anderen ethnischen Hintergrund schlicht ignoriert.

Sind die Tätigkeiten wirklich nicht vergleichbar? Aber selbst wenn Angestellte wissen möchten, ob sie im Vergleich zu Kollegen des anderen Geschlechts ein vergleichbares Gehalt bekommen, hilft das Gesetz kaum weiter, weil

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„ Größter Knackpunkt: das Gesetz konzentriert sich auf die Gehalts­ unterschiede zwischen Männern und Frauen.“ die Hürden für eine wirklich brauchbare Auskunft und die Schlupflöcher für Unternehmen zu groß sind. Für den Gehaltsvergleich muss es nämlich mindestens sechs Kolleg*innen des anderen Geschlechts geben, die etwa das Gleiche tun. Selbst wenn man diese Hürde bei sehr großen Unternehmen noch nehmen kann, werden Arbeitgeber sich aber damit herausreden können, die Tätigkeiten der anderen Angestellten seien nicht vergleichbar. Hier stellen Arbeitgeber in der Praxis auf eine Vielzahl angeblicher Unterschiede ab, die juristisch dann nur schwer zu „packen“ sind. Entweder haben die zu vergleichenden Kolleg*innen des anderen Geschlechts die bessere Ausbildung, oder die besseren Abschlüsse oder die wichtigeren Kunden oder den wichtigeren Aufgabenbereich oder die höhere Verantwortung oder die längere Berufserfahrung oder den neueren Ausbildungsgang und so weiter. Das Gesetz öffnet diesen Ausflüchten Tür und Tor. Arbeitnehmern fehlen genau die Informationen, mit deren Hilfe nachgewiesen werden könnte, dass die Arbeit anderer Mitarbeitenden mit der eigenen vergleichbar ist.

Wenn die Beweislast beim Arbeitgeber liegt Auch ist völlig unklar, welche Rechtsfolge gelten soll, wenn der Arbeitgeber zwar eine Auskunft erteilt, diese jedoch fehlerhaft oder unvollständig ist. Wenn das Mediangehalt der Vergleichsgruppe aber tatsächlich nachgewiesen werden konnte und höher ausfällt, könnte dies ein Indiz für Diskriminierung sein. Da das Entgelttransparenzgesetz aber nicht vorsieht, was bei Verstößen gegen seine Bestimmungen geschehen soll, muss man auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zurückgreifen. Das allerdings scheint auch vierzehn Jahre nach seinem Erlass für die meisten Arbeits­ richter*innen ein rotes Tuch zu sein. Ein Indiz, also eine Hilfstatsache, die auf das Vorliegen einer anderen Tatsache schließen lässt – ist aber kein Beweis für eine Diskriminierung. Hier hilft das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz mit einer sehr guten Regelung, nämlich der Beweiserleichterung des Paragrafen 22 aus dem AGG: „Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“


Arbeitnehmer müssten nach dieser Vorschrift lediglich beweisen, dass sie ein Gehalt bekommen, das unter dem Median der Vergleichsgruppe liegt. Der Arbeitgeber müsste dann beweisen, dass hier keine Diskriminierung vorliegt.

solche Äußerung eines Arbeitgebers wäre auch ein Verstoß gegen das AGG. Auf der anderen Seite erhöhen Angestellte, die sich ohnehin von ihrem Arbeitgeber trennen wollen beziehungsweise schon eine Kündigung erhalten haben, mit einer Klage aus dem AGG die Chancen auf eine höhere Abfindung signifikant. Ich habe im Jahre 2014 bei einer Klage aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, die mit der Kündigungsschutzklage verbunden wurde, einen Vergleich über eine Entschädigung wegen Diskriminierung in Höhe von 75.000 Euro erreicht. Und dies bei einer Probezeitkündigung. Auch dieser Fall spielte in Baden-Württemberg. Aber auch dort ging er durch zwei Instanzen. Wenn es also das Ziel ist, das Arbeitsverhältnis mit einem sehr guten Vergleich zu beenden, ist eine Klage aus dem AGG aus meiner Sicht sehr sinnvoll. Die Klage durch ein stattgebendes Urteil zu gewinnen, ist sehr viel schwieriger.

Foto: Reinhard Simon

Ist eine Klage überhaupt zu empfehlen? In der Praxis mache ich aber immer wieder die Erfahrung, dass Richter*innen sich nicht mit dem AGG beschäftigen möchten, die Regelung des Paragrafen 22 AGG gar nicht kennen oder aber einfach nicht anwenden. Wenn man die Urteilsbegründungen zu Klagen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz liest, stellt man immer wieder fest, wie schablonenhaft diese formuliert sind. Das Ziel scheint nur zu sein, diejenigen, die wegen Diskriminierung klagen, irgendwie schnell abzuwimmeln. Kann ich unter diesen Vorzeichen eine Klage aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz überhaupt empfehlen? Das kommt darauf an. Nämlich darauf, was das Ziel der Arbeitnehmer ist. Möchte jemand noch längere Zeit im Unternehmen bleiben, rate ich von so einer Klage generell ab. Denn zu oft haben Arbeitsrichter*innen die Auffassung geäußert, dass Arbeitnehmer, die dem Arbeitgeber Diskriminierung vorwerfen, dort nicht weiterarbeiten können. Das ist eine unhaltbare Auffassung und eine

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Asma Hussain-Hämäläinen ist Fachanwältin für Arbeitsrecht.

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DISKRIMINIERUNG

Das Gesetz schreibt Gleich­ behandlung vor

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ie Mitgliedsorganisationen des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland – 27 unabhängige Antidiskriminierungsberatungsstellen- haben viel Arbeit. Nur ein Beispiel von vielen aus der Beratungspraxis: Einem Schwarzen jungen Mann aus der Elfenbeinküste war der Ausbildungsplatz in einer großen Fleischerei gekündigt worden. Der Lehrmeister belästigte den jungen Mann immer wieder mit rassistischen Sprüchen und Zuschreibungen. Dieser biss lange Zeit die Zähne zusammen und ertrug die Abwertungen, da er den Ausbildungsplatz dringend brauchte. Irgendwann wendete er sich aber an einen vorgesetzten Kollegen, mit der Bitte um Unterstützung. Der tat das Verhalten des Meisters als „nur Spaß“ und mit „der meint das nicht so“ ab. Den jungen Mann belastete das rassistische Verhalten seines Vorgesetzten zunehmend. Weitere Versuche, Unterstützung zu erhalten, scheiterten. Eine Beschwerdestelle besaß die Fleischerei nicht. Als der junge Mann nach einem Urlaub wieder mit rassistischen Sprüchen konfrontiert wurde, erlitt er einen Nervenzusammenbruch und warf dabei Gegenstände gegen die Wand. Am nächsten Tag kündigte ihm der Geschäftsführer.

Das AGG: Ein neues Konzept Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat zu einer Verbesserung des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes geführt und dazu beigetragen, Diskriminierung gesellschaftlich zum Thema zu machen. Dennoch: Die Durchsetzung des Diskriminierungsverbots ist für Betroffene oft sehr schwierig. Arbeitgebende sollten das AGG als Pflicht und Chance begreifen, ihr Unternehmen diskriminierungskritisch zu gestalten.

Ein Gastbeitrag von Eva Maria Andrades

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Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gibt Beschäftigten, wie dem ehemaligen Auszubildenden, durchaus Mittel in die Hand, sich zu wehren. Grundsätzlich verbietet das Gesetz Diskriminierung im arbeitsrechtlichen Kontext und im zivilrechtlichen Bereich. Es erlegt Arbeitgebenden klare Pflichten auf. So ist die Fleischerei, wie jede*r Arbeitgeber*in, verpflichtet, eine Beschwerdestelle einzurichten, an die Mitarbeitende sich bei diskriminierenden Vorfällen wenden können. Die Beschwerde muss geprüft werden und Arbeitgebende sind verpflichtet, geeignete Maßnahmen zum Schutze der betroffenen Person zu ergreifen. In diesem Fall hätte der Lehrmeister auf Grundlage des AGG mindestens eine Abmahnung erhalten müssen, und bei weiterer Diskriminierung ist auch an eine Kündigung zu denken. Das AGG macht dabei auch keine Unterscheidung, ob der Mitarbeiter mit Vorsatz diskriminiert. Am Ende steht die Frage, ob es in der Wirkung diskriminierend ist. Zudem sieht das AGG eine Beweiserleichterung vor. Im Fall des jungen Mannes heißt das: Er muss nicht nachweisen, dass sein ehemaliger Lehrmeister rassistisch gehandelt hat, sondern Indizien nachweisen, die auf die rassistische Diskriminierung hindeuten. Im Fall des Fleischermeisters war der Nachweis allerdings nicht das Problem, denn die Beleidigungen waren eindeutig rassistisch und geschahen vor vielen Mitarbeitenden. Wenn ein ausreichendes Indiz vorliegt, dann schreibt das AGG eine „Beweislastumkehr“ vor: Der Arbeitgeber muss beweisen, dass er die beschäftigte Person nicht benachteiligt hat beziehungsweise geeignete Maßnahmen zu seinem


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Ein umkämpftes Gesetz

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DISKRIMINIERUNG IN DEUTSCHLAND Entwicklung der Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungs­stelle des Bundes nach Diskriminierungsmerkmalen* *gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Mehrfachnennungen bei mehrdimensionaler Diskriminierung enthalten. Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Schutz getroffen hat. Gelingt ihm das nicht vor Gericht, muss er Entschädigung und Schadensersatz an den Beschäftigten zahlen. Dafür muss der Betroffene allerdings in der Regel vor Gericht ziehen, und dafür braucht es materielle und zeitliche Ressourcen. o k tober   /  novem b er 2020

Diskriminierung im Arbeitskontext kann aber auch subtiler erfolgen. Wenn beispielsweise eine Personalfachkraft einen Bewerber mit türkischer Migrationsgeschichte immer wieder Fragen stellt, die mit „Sie, als muslimischer Mann“ beginnen, ohne dass es dafür einen guten Grund gibt, kann das durchaus als Indiz für eine Diskriminierung gewertet werden. Bei einer Ablehnung des Bewerbers und Klage müsste der Arbeitgeber bei einer Klage also beweisen, dass er den Bewerber nicht wegen dessen vermeintlicher oder tatsächlicher Religionszugehörigkeit abgelehnt hat. Das AGG unterscheidet auch zwischen indirekter und direkter Diskriminierung. Direkt diskriminiert wurde der Auszubildende beispielsweise durch die fortlaufenden Beleidigungen, die einen unmittelbaren rassistischen Bezug haben. Indirekte Diskriminierung findet laut dem AGG statt, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ Personen systematisch benachteiligen. Wenn beispielsweise nur deutsche Muttersprachler*innen für einen Job als Reinigungskraft gesucht werden, obwohl Reinigungskräfte im Gegensatz zu Journalist*innen kein perfektes Deutsch brauchen. Sprache ist kein Merkmal im Sinne des AGG, aber das Kriterium „Muttersprache Deutsch“ schließt eine bestimmte Gruppe aus, nämlich Menschen, die nicht in einer deutschsprachigen Familie aufgewachsen sind, und damit im Ergebnis Menschen mit Migrationsgeschichte. Dazu kommt, dass viele Menschen hervorragendes Deutsch sprechen, auch ohne „Muttersprachler*innen“ zu sein. Was viele nicht wissen: Auch sexuelle Belästigung und Mobbingfälle, die einen Bezug zu einem Diskriminierungsmerkmal haben, sind Diskriminierungsformen im Sinne des AGGs.

Das AGG ist ein von Beginn an umkämpftes Gesetz. Eine Streitfrage ist die Benennung der Diskriminierungsmerkmale: In dem Gesetz wird neben ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität auch die „Rasse“ als Diskriminierungsgrund genannt. Ein Begriff, um den aktuell in politischen und juristischen Debatten gestritten wird. Andere Diskriminierungsmerkmale, wie Gewicht und sozialer Status, werden nicht im AGG genannt, obwohl Umfragen und Studien schon lange auf ihre Relevanz hinweisen. Auch im Parlament wurde das Gesetz bekämpft. Den Verfechter*innen des Antidiskriminierungsgesetzes wurde unter anderem unterstellt, eine „Tugendrepublik“ errichten zu wollen. Die Gegner*innen des AGG befürchteten außerdem eine Welle von sogenannten „AGG-Hoppern“, also Personen, die sich auf kritische Stellenanzeigen bewerben, mit dem Ziel, Schadensersatz in Höhe von drei Monatsgehältern zu erhalten. Die befürchtete Klagewelle blieb aber 55


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aus, ebenso die Missbrauchsfälle in großem Maße. Auch die Vertragsfreiheit ist in Deutschland durch dieses Gesetz keinesfalls in Gefahr.

Vor- und Nachteile des AGG Die Erfolgsbilanz des AGG ist dennoch gemischt. Ein positiver Effekt liegt in dessen gesellschaftspolitischer Signalwirkung. Diskriminierung ist keine Privatsache mehr, sondern geht uns alle an, und sie wird sanktioniert. Mit den Jahren wurde mit dem AGG viel erreicht: Klagen gegen Altersdiskriminierung führten beispielsweise dazu, dass tarifvertragliche Regelungen und Altershöchstgrenzen geändert wurden. Schwule und lesbische Lebenspartner*innen errangen mit Bezug auf das AGG ihr Recht auf Gleichbehandlung in der betrieblichen Altersvorsorge. Eine junge Berlinerin klagte erfolgreich auf Entschädigung vor dem Arbeitsgericht Berlin, weil ihr aufgrund ihres Kopftuchs ein Ausbildungsplatz als Zahnarzthelferin verwehrt wurde. Auf Einstellung kann nicht geklagt werden. Nach Bekanntwerden des Urteils wurde der Klägerin von einem anderen Zahnarzt ein Ausbildungsplatz angeboten. Auf der anderen Seite lassen sich diskriminierende Handlungen häufig nicht nachweisen. Kaum ein*e Chef*in wird offen sagen, dass sie oder er Bewerbende nicht einstellt, weil sie schwarz sind oder eine Behinderung haben. In der Regel werden Gründe vorgeschoben. Die Beweiserleichterung hilft in diesen Fällen nicht. Auch müssen Betroffene ihr Recht selbst durchsetzen. Das ist besonders schwierig für Menschen mit wenig Deutschkenntnissen und wenig Geld, aber auch Zeit und Nerven sind notwendig, um einen Prozess zu führen. Häufig enden arbeitsrechtliche Prozesse in einem Vergleich.

Schritt. Daraus kann und sollte das Personalmanagement Maßnahmen ableiten. Eine professionelle AGG-Beschwerdestelle hätte nicht nur dem jungen Auszubildenden helfen können, sondern dem Unternehmen auch viel Ärger und Kosten erspart und dafür Sorge tragen können, einen hochmotivierten Mitarbeiter zu halten und ein klares Signal gegen Diskriminierung zu setzen. Bei der Umsetzung der Vorgaben des AGGs ist es hilfreich, sich externe Unterstützung bei Berater*innen zu suchen und diese in einem diversitätsorientierten Organisationsentwicklungsprozess einzubetten. Dabei sollte es um mehr gehen, als dem Gesetz gerecht zu werden. Tatsächliche Chancengleichheit und Gleichbehandlung braucht strukturelle Veränderungen und ist ein Prozess, der umfassend gedacht werden muss. Nicht zuletzt sind divers aufgestellte Unternehmen deutlich attraktiver für Bewerber*innen. Das gilt vor allem für Branchen, die dringend Fachkräfte suchen, insbesondere solche, die kreativ sind und gut darin, komplexe Probleme zu lösen. Allerdings gibt es auch Betriebe wie Schlachtereien, in denen profitables Arbeiten auch unter schlechten Arbeitsbedingungen möglich zu sein scheint, da immer genug Nachschub an billigen Arbeitskräften herrscht. Dieses Problem ist nicht mit einem Antidiskriminierungsgesetz zu bewältigen. Hier braucht es eine politische Antwort. Die Frage nach Gleichbehandlung darf aber nicht auf eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung reduziert werden. Diversität und eine diskriminierungskritische Kultur werden nicht nur zunehmend von Bewerber*innen erwartet, sondern sollten als Ausprägung demokratischer Grundwerte eine Selbstverständlichkeit sein. Unsere Gesellschaft wird immer diverser und dies sollte sich auch auf allen Ebenen abbilden. Antidiskriminierung ist ein Schlüssel dazu.

Was das Personalmanagement tun kann

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Eva Maria Andrades ist Volljuristin und seit über zehn Jahren in der Antidiskriminierungsberatung und -arbeit tätig. Als Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland (advd) setzt sie sich für eine aktive, machtkritische Antidiskriminierungspolitik und bessere Beratungsstrukturen ein. Zuvor war sie Projektleiterin des Antidiskriminierungsnetzwerks Berlin (ADNB des TBB) und hat vielfach Prozesse von Menschen begleitet, die gerichtlich und außergerichtlich gegen Diskriminierung vorgegangen sind.

Foto: Privat

Arbeitgeber*innen schreibt das Gesetz nicht nur vor, Bewerbungsverfahren diskriminierungsfrei zu gestalten. Sie sind auch dazu verpflichtet, jeglichen Diskriminierungen im Betrieb den Boden zu entziehen. Das AGG ermöglicht es ihnen, mit positiven Maßnahmen ihr Unternehmen diskriminierungskritisch zu gestalten sowie Diversität zu fördern. Dazu gehört beispielsweise auch, die Unternehmensstruktur genau zu analysieren. Es muss auffallen, wenn in einem Unternehmen die Führungsetagen zu 80 Prozent aus weißen westdeutschen Männern besteht, deren Eltern akademisch gebildet sind. Darin ein Problem zu erkennen, ist der erste


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IM FOKUS

Corporate ­Health – darauf kommt es an Ein Gastbeitrag von Sabine Hentschel

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Glückliche und gesunde Menschen sind das Kapital eines Unternehmens. Dabei können Sport- und Fitnessangebote , aber auch vorbildliche Chefs helfen.

en etwas eingestaubten Begriff des betrieblichen Gesundheitsmanagements brachte man in der Vergangenheit häufig mit Bildern des klassischen Betriebsarztes und den verpflichtenden arbeitsmedizinischen Untersuchungen in Verbindung. Der Stellenwert der betrieblichen Gesundheitsförderung hat sich jedoch massiv gewandelt und geht weit über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinaus. Unter dem Stichwort „Corporate Health“ taucht sie immer häufiger als strategisches Element in den Unternehmen auf. Einerseits haben viele Firmen erkannt, dass dieses Investment nicht nur zu geringeren Ausfallkosten, einer positiven Unternehmenskultur und einer starken Unternehmensbindung beiträgt, sondern auch einen hohen Stellenwert im Employer Branding erreicht hat.

des Arbeitsplatzes eine andere als noch in der Generation davor. Nicht nur Gehalt und Karrierechancen zählen. Der Trend geht in Richtung immaterielle Werte. Unternehmen werden mehr und mehr zur Familie. Der Cultural Fit, gemeinsame Freizeitgestaltung und der Wohlfühlfaktor stehen zunehmend im Vordergrund. Das „Du“ ist zum Ausdruck der Kultur und Symbol für Transformation geworden. Es steht für eine angenehmere Arbeitsatmosphäre, einen krawattenfreien Dresscode, eine einfache, direkte Kommunikation und es schafft eine gewisse Vertrautheit. Die Young Generation will in einem modernen, gut geführten Unternehmen beschäftigt sein. Der Anspruch richtet sich nicht nur an die Reputation des Unternehmens, sondern auch an die Führungs- und Unternehmenskultur. Beides ist zum Markenzeichen geworden.

Führungs- und Unternehmenskultur sind zum Markenzeichen geworden

Positives Leadership – Führungskräfte ­leben ein neues Leitbild vor

Die gesellschaftliche Struktur hat sich gewandelt. Einerseits durch die deutlich gestiegene Qualifikation und den Anspruch der Generation Y und Z, aber auch durch die Prägung der jüngeren Generationen in Bezug auf Work-Life-Balance. In den Köpfen der Young Generation ist die Bedeutung

Ein Blick in die Liste der „Fortune 500 CEO“ zeigt: Die rauchenden und übergewichtigen Chefs in den Führungsetagen gehören zunehmend der Vergangenheit an. Corporate Health ist mehr als nur ein Fitnessangebot im Unternehmen. Es ist zum Ausdruck für Firmenkultur, Teamspirit und

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Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de

IM FOKUS

Wohlfühlfaktor geworden, zu dem auch Faktoren wie gesunde Ernährung und ein Wohlfühlambiente am Arbeitsplatz zählen. Das Verhalten von Führungskräften ist der Schlüssel zu dieser gesunden Unternehmenskultur. Das Management kann nicht Wasser predigen und Wein trinken. Die jungen o k tober   /  novem b er 2020

agilen CEOs und Führungskräfte, die körperliche Fitness mit beruflichem Erfolg und Leistungsfähigkeit gleichsetzen, leben ein neues Gesundheitsbewußtsein vor. Leader wie Mark Zuckerberg prägen mit ihrem sportlichen Auftreten in T-Shirt und Sneakers ein neues Leitbild, in dem Fitness 59


IM FOKUS

wie selbstverständlich zur Arbeitskultur gehört. Gesundheit wird mehr und mehr ein selbstverständlicher Teil der Unternehmens-DNA. Coca Cola wurde bereits 2018 für sein „Health-­ oriented-Ledership“-Modell mit dem Corporate Health Award ausgezeichnet. Das Programm sieht unter anderem vor, dass die Top 100 der Manager und Führungskräfte gezielt in ihrer Vorbildrolle als Führungskraft sensibilisiert und trainiert werden.

Corporate Health: Was hilft wirklich im Alltag? Die Ausgestaltung des Themas im Alltag ist so individuell wie vielfältig und muss zum Unternehmen passen. Das ist kein Billy-Regal mit Aufbauanleitung. Aber wie bereits eingangs erwähnt, ist eines klar: Hinter diesem Begriff verbirgt sich nicht nur ein Sportangebot und körperliche Fitness. Es geht mehr um das ganzheitliche Wohlbefinden im Job und im Unternehmen. Der körperliche Ausgleich, die gesunde Ernährung, die seelische Balance, die Freude am Arbeitsplatz und der Teamspirit. Für die körperliche Fitness gibt es längst eine Vielzahl an Angeboten in den meisten Firmen. Seien es „bewegte Pausen“ mit Rückenschule oder Yoga-Angeboten, das eigene Fitness-Studio im Unternehmen, Betriebsfahrräder, regelmäßige Laufgruppen, Firmenteams bei Marathonläufen oder Mud Runs. Vor allem Letzteres fördert nicht nur die Fitness, sondern auch den Teamspirit und das gemeinsam Erlebte, das lange in Erinnerung bleibt. Einige Unternehmen verbinden den Sportfaktor noch mit einem guten Zweck, zum Beispiel die „Vi Move For Climate“-Kampagne von Viessmann, mit der das Unternehmen je gelaufenen Kilometer oder je 3 per Rad gestrampelte Kilometer die Pflanzung eines Baumes unterstützt. Die ING Deutschland hat 2017 ein sehr individuelles „WellbeING“-Programm ins Leben gerufen, durch das jedem Mitarbeiter jährlich ein Gesundheitsbudget von 300 Euro zur Verfügung steht. Dieses Budget kann nach den eigenen Bedürfnissen für interne oder externe Angebote in den Themenfeldern Bewegung, Balance, Ernährung oder Vorsorge verwendet werden. Die Verwaltung erfolgt über eine eigens entwickelte Plattform, über die zum Beispiel auch Termine beim Betriebsarzt gebucht werden können. Ein rundum flexibles und unkompliziertes Programm. Das Fazit nach den ersten drei Jahren: 70 Prozent der Mitarbeiter nutzen das persönliche Gesundheitsbudget und die Aktivi60

tät der Mitarbeiter hat sich seit Einführung verdoppelt. Eine wichtige Erfahrung dabei war, dass Kommunikation einen direkten Einfluss auf den Budget-Abruf hat. Auch in der neu entstandenen Situation durch Covid-19, die in bisher kaum vorstellbarem Ausmaß höchste Anforderungen an die Selbstständigkeit, Lernfähigkeit und Adaptions­kompetenzen der Mitarbeiter stellte, hat die ING Deutschland sehr schnell Ideen entwickelt, wie die Teams miteinander in Kontakt bleiben und auf sich achten können. Das Unternehmen etablierte zum Beispiel sogenannte Happy Calls. Die Videocalls sollen das Social Butterflying der Kollegen beim Kaffeeklatsch in der Küche oder dem gemeinsamen Teamlunch zumindest ansatzweise ersetzen.

Ladestation für die Seele Das Thema Corporate Health beginnt bereits bei der Baubiologie für eine gesunde Arbeitsumgebung, die vermutlich von den Mitarbeitern nur unterbewusst wahrgenommen wird, aber das Wohlbefinden dennoch beeinflusst. Stärker wird hingegen ein ansprechendes Design der Firmengebäude und Büros wahrgenommen. Hier gibt es zwischenzeitlich wirklich beeindruckende Alternativen zu Besprechungsräumen in Form von Innovation Spaces, Kreativräumen, Lounge- oder Cafeteria-Ecken und Meetingbereiche im Garten oder auf der Dachterrasse. Auf bequemen Sesseln, Sitzsäcken, Schaukeln, Hängematten oder gar im Bällebad können Besprechungen etwas ungezwungener bei einer Tasse Kaffee abgehalten werden. All das hilft, den oft hektischen Alltag etwas zu entschleunigen. Gleiches gilt für die Kantine. Wir alle kennen diese klassischen Kantinen mit den langen, kahlen Tischreihen, der hohen Geräuschkulisse und dem deftigen, oftmals etwas verkochten und einfältigen Mittagsangebot, wovon an manchen Tagen lediglich der Senf schmeckt. Diese Bilder weichen immer mehr den ganztags geöffneten „Wohlfühl­ oasen“ in denen neben einem gesunden, nachhaltigen und vielfältigen Essensangebot oder Fit-Menü auch ein Ambiente kreiert wurde, das mehr einem Szenelokal als einer Werkskantine ähnelt.

„ Die Ausgestaltung des Themas im Alltag ist so individuell wie vielfältig und muss zum Unternehmen passen.“


IM FOKUS

Foto: Privat

Geheimwaffe Feelgood-Managerin Zwischenzeitlich gibt es eine eigene Ausbildung zum Feelgood-Manager oder Chief Happiness Officer. Auf den Punkt gebracht, ist es ihr Job, den Arbeitsalltag der Kollegen so angenehm wie möglich zu machen. Aber was sind die typischen Aufgaben dieser Spaßmanagerin? Wir sprechen vom morgendlichen Smoothie oder dem liebevoll gekochten Lunch für das gesamte Team, dem After-Work-Event, von Grillfesten oder Weinverköstigungen, aber auch von Behördengängen für einzelne Kollegen bis hin zum Einkauf neuer Outfits für die Shoppingmuffel unter den Kollegen. Die Feelgood-Managerin gilt derzeit als die Geheimwaffe für kleine Unternehmen und Start-ups, die im Haifischbecken des Arbeitsmarktes wenig Chancen haben. Emotionale Bindung entsteht durch gemeinsame Erlebnisse und Erfolge. Es geht darum, immaterielle Bindungselemente zu schaffen. Ein entscheidender Punkt beim Thema Corporate Health ist, den Wohlfühlfaktor der Mitarbeiter überhaupt erst einmal zu erfassen und regelmäßig zu tracken. Hin und wieder kommt dieses Feedback auch von ganz allein und in voller Lebensgröße auf einen zu. Sven Lünzer von der Moove GmbH berichtet von einem persönlichen Highlight als Referent. Ein Kollege des Kundenunternehmens hatte

ihn bei einem zufälligen Treffen nach einem Jahr wiedererkannt, fiel ihm um den Hals und erklärte, dass Svens „Smoothie-Aktion“ ihn wachgerüttelt hätte und er das zum Anlass genommen hat, 30 Kilo abzunehmen.

Sabine Hentschel verfügt über knapp 20 Jahre internationale Erfahrung als HR Consultant. Sie ist Expertin für Talent-Management. Ihr Schwerpunkt liegt auf Prozessoptimierung und Performance-Steigerung von Inhouse Recruiting und Employer Branding. Als Beraterin und Interim-Managerin entwickelt und implementiert sie moderne und praxisnahe Sourcing-Strategien für ihre Kunden. Zudem steuert sie als Coachin und Interim-Managerin Veränderungsprojekte und begleitet Global Player weltweit im digitalen Wandel und im Cultural Change.

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enn Change-Projekte misslingen, liegt das sehr oft am „Wie“. Groß angelegt und oft von Beratungsunternehmen teuer begleitet, werden sie klassischerweise weit oben im Unternehmen geplant und dann über alles und jeden von oben nach unten „ausgerollt“. Auf diese Weise sind klassische Change-Projekte zu Hassprojekten verkommen. Zwischen 70 und 80 Prozent dieser Projekte sind zum Scheitern verurteilt, wie verschiedene Studien zeigen. Das Problem ist dabei nicht der Wandel an sich. Das Problem ist auch nicht der Starrsinn der Mitarbeiter, ihre Beharrungstendenzen oder ihre Unwilligkeit. Natürlich mag unser Gehirn gern Routinen, weil sie erstens Sicherheit bieten und zweitens Energie sparen helfen. Doch schon immer haben die Menschen das Alte verworfen und das Neue gewagt. Die Evolution stellt den Pioniergeist und den Wissensdurst vor das Beharren und die Tradition. Nur so ist Fortschritt überhaupt möglich. Die Suche nach Neuem zählt zu den wichtigsten Triebfedern unseres Denkapparats.

Das Hauptproblem für das Scheitern klassischer Change-Projekte liegt darin, dass noch immer die „bewährten“ Methoden aus längst vergangenen Zeiten regieren. Sie werden an den Universitäten gelehrt, in Fachbüchern zitiert und im unternehmerischen Alltag implementiert, weil es „alle so machen“. Um welche Methoden es geht? Da ist zum Beispiel der auf den Soziologen Kurt Lewin zurückgehende Dreiphasenprozess von „unfreeze, move, refreeze“ (auftauen, bewegen, wieder einfrieren) aus dem Jahr 1947. Doch eingefrorene Zustände sind in hochdynamischen Zeiten zerstörerisch. Heutzutage wird eine fortlaufende und vorausschauende Selbsterneuerung gebraucht. Populär ist auch die siebenstufige Change-­ Kurve von Elisabeth Kübler-Ross aus dem Jahr 1969. Sie beschreibt das emotionale Erleben von Menschen in finalen Veränderungsprozessen, beruhend auf Interviews mit Sterbenden und Trauernden. Ihr Modell führt über Schock und Leugnung ins Tal der Tränen und schließlich hin zur Akzeptanz. Aber wieso sollte man seine Mitarbeiter durch ein „Tal der Tränen“ manövrieren? Angst- und Schmerzinformationen haben im Hirn immer Vorfahrt. Und ungute Gefühle führen zu Vermeidungsstrategien. Also wird man sich gegen das nächste Change-Projekt wehren. Oder man wird es verteufeln. Oder man sitzt es einfach aus.

­Verändern Sie die Veränderung! Wirtschaft und Arbeitswelt verändern sich weiterhin in hohem Tempo. Klassische Change-Projekte funktionieren deshalb nicht mehr. Was muss sich ändern? Ein Gastbeitrag von Anne M. Schüller

Das „Wie“ verändern

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Wenn nicht so, wie aber dann? Ändern Sie die Vorgehensweise: Changen Sie Change! Ablehnung und Unlust entstehen automatisch immer dann, wenn etwas von oben verordnet

Collage: Marcel Franke | www.typophob.de unter Verwendung zweier Fotos von Poike (Porträt) und P_PHOTO (Blumen), beide Getty Images

Change-Projekte: Scheiterquote bis zu 80 Prozent


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Change-Prozess in Anlehnung an die Innovation Curve von Everett Rogers

Verluste

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4

3

2

Nachzügler

späte Mehrheit

frühe Mehrheit

1 Vorreiter

HERKÖMMLICHE CHANGE-PROZESSE

ZEITGEMÄSSE CHANGE-PROZESSE

Change ist ein Projekt mit Anfang und Ende, das auf identifizierte Defizite reagiert.

Change ist eine kontinuierliche, proaktive und vorausschauende Selbsterneuerung.

Die Denkweise: Es gibt Beharrungstendenzen und Widerstand, weshalb Veränderung verordnet werden muss.

Die Denkweise: Veränderung im Sinne von nützlichem Neuem und dienlicher Weiterentwicklung ist willkommen.

Ziele und Stationen auf dem Weg zum Ziel werden vorgegeben und sind „at target, on budget, in time“ einzuhalten.

Ziele und Stationen auf dem Weg zum Ziel werden iterativ entwickelt und können sich im Verlauf einer Maßnahme ändern.

Die Maßnahmenplanung wird „oben“ getroffen und dann wie festgelegt wasserfallartig nach unten „ausgerollt“ und abgearbeitet.

Die Mitarbeiter werden nicht vor vollendete Tatsachen gestellt, sondern entwickeln selbst Lösungsmöglichkeiten und testen diese.

Führungskräfte und Change Manager „verkaufen“ die vorgegebenen Maßnahmen, erklären, überzeugen, setzen um.

Da involviert, überzeugen die Mitarbeiter einander kollegial von den Notwendigkeiten. Führungskräfte ermutigen und unterstützen.

Mitarbeiter werden zu den geplanten Maßnahmen „verdonnert“ beziehungsweise, wenn sie „dran“ sind, abkommandiert.

Nicht Müssen, sondern Wollen steht im Vordergrund. Das Vorgehen ist analog zur Innovation Curve von Everett Rogers.

Selbst wenn das Projekt scheitert, werden Erfolgsmeldungen „nach oben“ gegeben.

Sinnlose oder undurchführbare Projekte werden einvernehmlich eingestellt.


„ Eine Faustregel besagt: Wenn zehn Prozent der Menschen für eine Sache gewonnen sind, entsteht Sog.“ wird, also mit Druck oder Zwang behaftet ist. Zustimmung hingegen entsteht, wenn man über eine Veränderung selbst entscheidet. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und gelingende Veränderungsprozesse. Wenn zudem die Entscheidungen „klein“ sind und man gewohnt ist, sie immer wieder anzupassen, ist es viel leichter, sich zu restrukturieren, wenn die Umstände das fordern. Sind die Entscheidungen hingegen „groß“ und neigt man im Unter­ nehmen dazu, vorgedachten Plänen akribisch zu folgen, wird man auch dann noch an ihnen festhalten, wenn sie unbrauchbar sind. Wer größere Change-Maßnahmen plant, darf zudem die Leute nicht abkommandieren. Es ist ein Fehler, seine Energie an die zu verschwenden, die den Wandel (zunächst) nicht wollen. Indem man ihnen viel zu lange viel zu viel Aufmerksamkeit widmet, stärkt man ihre Position und gibt ihnen Zeit, Zwietracht zu säen. Menschen verändern sich ganz einfach in unterschiedlicher Geschwindigkeit. In j­ eder Firma gibt es Vorreiter und Nachzügler. Um also nicht gegen Widerstand angehen zu müssen, konzentriert man sich zunächst auf die Experimentierfreudigen und Pioniere mit Biss und Durchhaltevermögen. Idealerweise spricht man Einladungen zum Mitmachen aus, wobei jeder auch nach und nach mitmachen kann. Vorreiter können auch ganz gezielt involviert werden, wenn man sie bereits aus früheren Initiativen kennt. Zudem kann jeder Personen benennen, die er für passend hält. Querdenker-­Persönlichkeiten spielen dabei eine Schlüssel­ rolle. Sie sind prädestiniert für den Start.

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versuchen, bevor es nicht andere ausprobiert h ­ aben. „Ihr müsst nicht durch den reißenden Fluss ans andere Ufer. Wir schicken eine Vorhut, die euch Trittsteine legt!“ So ermuntert man die, die zunächst noch zögern. Sukzessive findet eine virale Ansteckung von Mitarbeiter zu Mitarbeiter statt, eine Ansteckung, die nicht gefährlich, sondern sehr nützlich ist, weil auf freiwilliger Basis immer mehr Personen durch die Veränderung gehen. Eine Faustregel besagt: Wenn zehn Prozent der Menschen für eine Sache gewonnen sind, entsteht Sog. Wurden also genügend Leute aus der frühen Mehrheit davon überzeugt, das Neue zu wagen, werden andere folgen; nämlich jene Bewahrer, die warten, bis eine Brücke ins Neuland gebaut und damit alles sicher ist. Es bringt rein gar nichts, sie von Anfang an mitnehmen zu wollen. Vielmehr beruhigt man diese, indem sie zunächst an den Veränderungen noch nicht teilnehmen müssen. Bei den Nachzüglern sitzen die Bedenkenträger. Diese wird man erst dann überzeugen, wenn alle Gefahren beseitigt sind. Dabei ist zu differenzieren: Konstruktive Skeptiker können durchaus nützlich sein, weil sie einen dazu bringen, gründlicher nachzudenken und (noch) bessere Argumente zu entwickeln. Boykottierer hingegen, die kategorisch für die Bewahrung der Vergangenheit kämpfen, kann sich niemand noch länger leisten. Von ihnen muss man sich trennen. Einige werden von sich aus gehen. Sie verlassen das Unternehmen, weil es nicht mehr zu ihnen passt. Es bleibt ein Team, das eine starke Anziehungskraft auf neue talentierte und lebendige Mitarbeiter ausübt. Und das sind genau die Menschen, die man dringend braucht, um sich fit für die Zukunft zu machen.

Foto: Anne M. Schüller; GABAL Verlag

Nützliche Ansteckung Ein Vorgehen in Anlehnung an die Innovation Curve von Everett Rogers wäre besonders geeignet: Beginnend mit den Vorreitern, wird nach und nach die gesamte Organisation durch den Veränderungsprozess gehen. Die Stoßrichtung ist dabei nicht top-down, also nicht von oben nach unten, sondern horizontal. Von den ersten Erfolgen inspiriert, ­rücken weitere Einheiten nach. Die frühe Mehrheit wird nichts o k tober   /  novem b er 2020

Anne M. Schüller ist Rednerin, Autorin und Management-­ Beraterin. Die Diplom-Betriebswirtin ist Expertin für Touchpoint Management. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr aktuelles Buch heißt „Die Orbit-Organisation“.

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PRAXIS

Routiniert im ­Homeoffice Ein Gastbeitrag von Friederike Fabritius

Das Homeoffice hat in den vergangenen Monaten das Büro abgelöst. Viele Angestellte sind zu Hause sogar noch produktiver. Doch hat die Heimarbeit ihre Tücken. Besonders unser Gehirn braucht bestimmte Routinen, um nicht zu überhitzen. Hier sind acht Brain Hacks für einen erfolgreichen Arbeitstag in den eigenen vier Wänden.

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o sind Sie am produktivsten? Im Homeoffice oder im Büro? Eine Studie der Stanford Universität ergab, dass Menschen, die im Homeoffice arbeiten, 13 Prozent produktiver sind. Diese Zahl erhöht sich auf 22 Prozent, wenn Menschen selbst entscheiden, ob sie aus dem Büro oder von Zuhause aus arbeiten möchten. Auffällig sind dabei große individuelle Unterschiede: Einige Menschen sind im Homeoffice produktiver, während andere weniger leisten als im Büro. Was können wir aus der Stanford-Homeoffice-Studie lernen? Das Homeoffice verbessert die Produktivität. Aber nur wenn man es richtig macht.

# 1  Sorgen Sie für digitale ­Unterbrechungen Vielen Menschen fällt es schwer, Grenzen zu ziehen, wenn das Zuhause zugleich das Büro ist. Was genau passiert, wenn Sie immer „on“ sind? Das Gehirn schrumpft. Genauer gesagt, ein Bereich des Gehirns, der für die gezielte Steuerung von Aufmerksamkeit verantwortlich ist. Umso häufiger Sie auf Ihrem Handy zwischen verschiedenen Applikationen wechseln, desto mehr wird Ihr Gehirn geschädigt. Ihre Fähigkeit, sich zu konzentrieren, nimmt rapide ab. Der IQ sinkt um bis zu 10 Punkte. Sie machen 50 Prozent mehr Fehler und brauchen 50 Prozent länger, um eine Aufgabe zu erledigen. Sie fühlen sich gestresst und Ihre Laune ist am Boden. 66

Was können Sie dagegen tun? Wenn Sie sich einfach nur vornehmen, weniger Zeit am Handy zu verbringen, können Sie davon ausgehen, dass Sie es nicht tun werden. Warum? Jede Gewohnheit ist mit einer bestimmten Situation verknüpft. Daher hilft es, spezifisch zu sein: Erstellen Sie eine „Wenn-dann-Verknüpfung“. Diese Methode ist wissenschaftlich validiert und funktioniert für alle Bereiche des Lebens: „Wenn es 18 Uhr ist, dann …“ „Wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin, dann ...“ „Wenn Wochenende ist, dann …“ Teilen Sie Ihre Verfügbarkeit Ihren Teams und Kunden mit, damit diese nicht in Panik geraten, wenn Sie einmal nicht direkt antworten.

# 2  Bewegung schützt Sie vor ­Stresshormonen Die Auswertung der Daten von Fitness-Uhren haben gezeigt, dass sich Menschen im Lockdown weniger bewegen. Menschen treiben Sport meistens deswegen, um den Körper zu trainieren. Um das Gehirn fit zu halten, lösen sie wiederum Kreuzworträtsel oder Sudoku. Doch der effektivste Weg, das Gehirn zu trainieren, ist tatsächlich die körperliche Bewegung. Denn auch das Gehirn ist Teil des Körpers. Wenn Sie sich bewegen, setzt Ihr Gehirn einen Cocktail aus Botenstoffen frei, die Ihre Leistung steigern. Dopamin hilft Ihnen, besser zu denken, besser zu lernen und erhöht


durch Stress verursacht werden. Nichts steigert die Gehirnleistung so sehr wie Sport, und dennoch verbringen viele Menschen ihre Arbeitszeit bewegungslos vor einem Bildschirm. Aber wie genau können Sie also mehr Bewegung in Ihr Leben integrieren? Auch hier liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, die neue Gewohnheit mit einer bestimmten Situation zu verknüpfen. Stellen Sie sich einen Timer und nehmen Sie sich immer nach einer Dreiviertel Stunde genau 15 Minuten Zeit, um sich zu bewegen. Nutzen Sie Telefonkonferenzen für einen Spaziergang. Sprechen Sie mit Ihrem Team, während Sie auf Ihrem Heimtrainer sitzen. Machen Sie morgens einen Spaziergang, bevor Sie sich an Ihren Schreibtisch setzen.

Illustration: Marcel Franke | www.typophob.de unter Verwendung eines Fotos (Rauch) von ESOlex/Getty Images

# 3  Entspannen Sie Ihr Gehirn

Ihre Motivation. Serotonin verbessert Ihre Laune und Ihren Schlaf. Das positive Stresshormon Noradrenalin gibt Ihnen einen Kick, wenn Sie sich träge fühlen. Sport reguliert auch das Stresshormon Cortisol in Ihrem Körper. Das ist wichtig, weil zu viel Cortisol Ihr Gehirn buchstäblich schrumpfen lässt und Ihre Denk- und Lernfähigkeit beeinträchtigt. Nicht nur das: Der gesamte Körper gerät außer Balance. Die Entzündungswerte steigen und unsere Lebensqualität nimmt rapide ab. Wenige Dinge beeinträchtigen unsere Gesundheit wie chronischer Stress. Die Folge sind Bluthochdruck und eine Reihe anderer Erkrankungen. Experten schätzen, dass bis zu 90 Prozent aller Krankheiten o k tober   /  novem b er 2020

Von zu Hause aus zu arbeiten ist an sich nicht besonders stressig. Aber: Viele machen sich aktuell Sorgen um ihre finanzielle Zukunft oder ihre Gesundheit. Die meisten Menschen versuchen, negative Emotionen mit Willenskraft zu kontrollieren. Das ist zwar möglich, aber schwierig. Nicht alle von uns haben das Potenzial zum ­buddhistischen Mönch. Hier ist ein viel einfacherer Tipp, der sofort funktioniert: Entspannen Sie Ihren Körper, und das Gehirn wird folgen. Körper und Gehirn sind verbunden. Wenn Ihr Körper entspannt ist, wird sich auch Ihr Gehirn entspannen. Es ist schwierig, Gefühle zu kontrollieren, aber um einiges einfacher, den Körper zu kontrollieren. Hier ein paar Beispiele: - Atmen Sie tief durch - Nehmen Sie ein heißes Bad - Nehmen Sie eine aufrechte Körperhaltung ein - Lächeln Sie für ein bis zwei Minuten Es ist nicht das Ziel, zwanzig Techniken zur Auswahl zu haben. Am besten ist es, wenn Sie eine Technik auswählen und täglich üben. 67


# 4  Schlafen Sie routiniert Die Zahl der rezeptpflichtigen Verschreibungen gegen Schlafstörungen ist zwischen Februar und März dieses Jahres um 15 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg folgt auf fünf Jahre des Rückgangs. Was ist da los? Durch die Daueranspannung, ausgelöst durch die Corona-Krise und ihre Folgen, schütten Menschen verstärkt das Stresshormon Cortisol aus, das wiederum unseren Schlaf beeinträchtigt. Aber Ihr Gehirn braucht den Schlaf, um zu lernen. Während des Schlafes überträgt Ihr Gehirn Informationen vom Kurzzeit- zum Langzeitgedächtnis. Giftstoffe werden abtransportiert und das Gehirn erlangt seine neurochemische Balance zurück. Was können Sie tun, um besser zu schlafen? Der einfachste Weg, um Ihren Nachtschlaf zu verbessern, ist Stressreduktion am Tag. Dennoch gibt es ein paar zusätzliche Dinge, die Sie tun können. 1. Halten Sie sich an einen Rhythmus: Haben Sie einen We­ cker zum Aufstehen? Richten Sie einen zweiten Wecker ein, der Sie daran erinnert, rechtzeitig ins Bett zu gehen. 2. Bewegen Sie sich. Menschen, die sich viel bewegen, schlafen besser. 3. Meiden Sie Koffein, Nikotin und Alkohol, insbesondere nach 16 Uhr. 5. Halten Sie Ihr Schlafzimmer dunkel, kühl und frei von Bildschirmen. 6. Bekommen Sie genug Licht? Schon 30-60 Minuten Tages­ licht am Morgen haben einen positiven Effekt auf unseren Schlaf.

# 5  Sagen Sie regelmäßig auch mal „nein“ Wie gelingt es zu arbeiten, wenn kleine Kinder im Haus sind? Ich kenne diese Herausforderung, weil ich fünf Kinder habe, allesamt jünger als 8 Jahre. Viele Menschen fragen mich: Wie schaffen Sie das alles? Mein Geheimnis? Ich schaffe nicht alles. Mein Erfolg begründet sich in all den Dingen, die ich nicht mache. Ich habe drei bis fünf Prioritäten im Leben und meine Antwort auf alle anderen Anfragen lautet: „Nein.“ Setzen Sie Grenzen und managen Sie die Erwartungen anderer. Nein zu sagen ist eine Fähigkeit, die Sie lernen können.

Lockdowns einen Baum zu umarmen? Das mag verrückt klingen, aber die Strategie ist wissenschaftlich fundiert. Egal ob Sie ein Haustier, einen Baum oder Ihren Ehepartner umarmen. Es funktioniert. Bei körperlicher Berührung werden die Botenstoffe Dopamin, Serotonin und Oxytocin freigesetzt. Sie bekommen einen sofortigen Wohlfühlschub und Angstzustände werden reduziert. Wenn körperlicher Kontakt keine Option für Sie ist, funktioniert Folgendes für alle: Sinnhaftigkeit. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die ein sinnerfülltes Leben führen, niedrigere Entzündungswerte aufweisen. Es lohnt sich zu wissen, warum Sie morgens aufstehen.

# 7  Führen Sie Telefon- statt ­Videokonferenzen Warum sind virtuelle Meetings so anstrengend? Videokonferenzen aktivieren den Bedrohungsmodus in Ihrem Gehirn. Starren Sie wildfremden Menschen in die Augen, wenn Sie in einen Aufzug steigen, oder schauen Sie auf den Boden? In Web-Meetings kann es leicht zu einer „visuellen Überreizung“ kommen, denn das Gehirn verarbeitet große Gesichter als eine mögliche Bedrohung. Was können Sie dagegen tun? 1. Verkürzen Sie die Standardlänge von Meetings auf fünf bis 45 Minuten. 2. Setzen Sie auf Telefon- statt Videokonferenzen. Für Ihr ­Gehirn ist weniger mehr. 3. Erlauben Sie Teilnehmern, die Video-Funktion zu deakti­ vieren, je nach persönlicher Präferenz.

# 8  Planen Sie Einzelmeetings nur für sich Letzte Woche sprach ich mit einem meiner Klienten: Er sagte: „An einem guten Tag habe ich ungefähr 10 Videokonferenzen. An einem schlechten Tag sind es bis zu 15.“ Ist das unsere neue Normalität? Hierfür gibt es eine einfache Lösung. Planen Sie ein Einzelmeeting nur für sich: Blockieren Sie Ihren Kalender, beseitigen Sie Ablenkungen und nehmen Sie sich Zeit für das, was wirklich wichtig ist.

# 6  Suchen Sie Körperkontakt und Sinn Die Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius hat beim

Wir sind soziale Wesen. Einsamkeit beeinträchtigt unsere geistige Gesundheit und kann sogar unsere Lebensdauer um acht Jahre verkürzen. Wussten Sie, dass die Forstdienste in Island einsame Menschen dazu ermutigten, während des 68

Max-Planck-Institut für Hirnforschung gearbeitet und war bei McKinsey im Management Consulting tätig. Die 39-jährige ­Speakerin ist Lead-Autorin des Buchs „The Leading Brain. ­Neuroscience Hacks to Work Smarter, Better, Happier“.

Foto: Stephan Brendgen Fotodesign

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Ohne Vertrauen geht’s nicht Ein Gastbeitrag von Emmanuel Siregar

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Das Modell des HR-Business-Partners steht oftmals für Administration. Dabei reicht das Wirkungsfeld weit darüber hinaus. HR baut Brücken im Unternehmen, sorgt für vertrauensvolle Zusammenarbeit und beweist sich in schwierigen Zeiten als Krisenmanager.


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Skribbles: Marcel Franke | www.typophob.de

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in Gutes hat der Ansatz von Dave Ulrich in j­ edem Fall. Das Business-Partner-Modell hat seit den Neunzigerjahren das gute alte Personalwesen ordentlich durcheinandergeschüttelt und aus der Ecke der rein administrativen Dienstleistung herausgezerrt. Natürlich braucht es Administration, auch im Dave-­UlrichModell. Seine Variante beinhaltet ja S ­ hared oder Common Service mit transparenten KPIs. Denn das Business weiß sehr wohl, wie schnell eine im Common Service zentralisierte Recruiting-Abteilung arbeitet: Man kann Zeit eben auch messen, vor allem dann, wenn man ungeduldig wird. Nun gut, die damals neue Idee des Business-Partner-­ Modells ist inzwischen in jede HR-Landschaft fast aller Unternehmen eingezogen, mal als Drei-, mal als Vier-­SäulenModell. Was viele unterschätzt haben, ist die aus einem solchen Modell resultierende Rollendefinition. Rollen müssen gelebt werden. Rollen müssen gelernt werden. Nicht jeder HR-Manager alter Prägung mutiert über Nacht zum HR-­ Business-Partner. Denken Sie daran, HR-Business-Partner aus- und weiterzubilden – es handelt sich hier um einen neuen Job! HR für HR ist generell eine von HR oft vernacho k tober   /  novem b er 2020

lässigte Disziplin. Zudem wurde oft vergessen, dass das Business selbst den HR-Business-Partner verstehen und die Vorteile dieser neuen Partnerschaft für sich entdecken können sollte: „Wozu brauche ich jetzt noch einen Personaler als strategischen Partner? Strategie mache ich selbst, vielleicht noch mit meinem Finanzer“. Ist die Ressource Human, ist der Mensch im modernen Wertschöpfungsprozess eines Unternehmens eine strategische Komponente? Könnten personalpolitische und arbeitspolitische Tiefenkenntnisse entscheidend werden für den Markteintritt in ein vorher unbekanntes Land? Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Unternehmensentwicklung sind am Ende ein einziges Thema. Dazu braucht es ein neues Selbstverständnis von HR und neue HR-Skills. Wie entsteht nun gelungene Partnerschaft? Durch Kennenlernen, durch Kommunizieren, durch Teilen. Das Ziel des Business-Partner-Modells ist eine gelungene Partnerschaft mit dem Business, mit allen Höhen und Tiefen, „in guten wie in schlechten Tagen“. Es ist deswegen für Führungskräfte und für HR-Manager wichtig, während ihrer Onboarding-Phase beispielsweise das Management-Team im Engineering kennenzulernen, in der laufenden Produktion mitzuarbeiten und einen Vertriebsmitarbeiter ein paar Tage lang zu Kunden zu begleiten. So lernen wir als HR-Manager unseren Partner im Business verstehen, seine Tätigkeiten wahrzunehmen und wertzuschätzen, sich selbst immer mehr im Business weiterzubilden und neugierig zu bleiben, die Ergebnisse des Business zu verfolgen oder sogar, wie ich nicht selten erleben durfte, ins Business zu wechseln. Diese Art der Wertschätzung lässt Vertrauen entstehen und wachsen: Human Resources nimmt mich ernst, nimmt 71


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mich wahr, interessiert sich für mich, möchte das Business voranbringen, möchte mich persönlich fördern und kann das auch. Vertrauen hat immer etwas mit Gegenseitigkeit zu tun. Das Business beginnt, HR zu vertrauen, wahrzunehmen, ernst zu nehmen, wertzuschätzen. Ein kleiner Hinweis: Ein mit mir befreundetet Coach sagte mir damals, dass es einen klaren Unterschied gebe zwischen „authenticity“ und „credibility“. Beim Thema Vertrauen ginge es immer um Authentizität, nicht um Kredibilität, denn das authentische Interesse am anderen Menschen ist von vertrauensstiftendem Wert, nicht die Glaubwürdigkeit als Methode mit Blendwirkung. Lernen Sie also beim Onboarding, wenn Sie beispielsweise die Produktion aufsuchen, das Abkanten im Rohbau einer Produktion wirklich und wandeln Sie nicht nur huldvoll grüßend durch die Fabrikhalle. Der Mitarbeiter an der Linie merkt das.

HR und Führungskräfteentwicklung: Brücken bauen, Netzwerke bilden Als HR-Manager ein Partner für das Business zu sein, setzt unabdingbar voraus, seine Partner im Business kennenzulernen. Es wird vielleicht nicht überall auf diese Weise funktionieren, aber ich habe es bei Claas einfach getan. Sicherlich ist dies auch der eigenen Position geschul-

det. Es ist jedoch relativ ähnlich auf allen Ebenen des ­HR-Business-Partner-Managements durchführbar. Von den obersten Führungskräften, 87 an der Zahl, konnte ich im ersten meiner Tätigkeitsjahre jeden Einzelnen in intensiven Einzelgesprächen kennenlernen. Es ist eine zeitlich recht aufwendige Investition, die aber für einen vertrauensvollen Ansatz von HR unabdingbar ist. Sie lernen das Unternehmen über die Menschen kennen, wie sonst? Und Sie lernen mit den Menschen die Qualität der Business-Abläufe kennen: die Organisation, die Prozesse, die Wege zum Erfolg und die Hindernisse dorthin. Die zu wählende Gesprächstechnik: Keine bestimmte, wohl aber authentische Begegnungen, transparente Gespräche, aktives Zuhören, sich für den Menschen und seine Tätigkeiten und seine Geschichte interessieren, um über ihn das Netzwerk des Unternehmens noch besser verstehen zu lernen. Die Rechnung geht auf, die investierte Zeit lohnt sich an dieser Stelle immer. Nach 87 Gesprächen sind Sie 87-mal näher am Business. Insbesondere in einem weltweit agierenden Konzern wie Claas haben Sie über solche Gespräche ein wunderbares Entree in die weltweite Organisation hinein, an jedem der Standorte, weil das dort ansässige Topmanagement Sie ja schon kennt. Das wiederum führt dazu, dass Wertschätzung sofort auch wertschöpfend wird. Jedes intensive Einzelgespräch offenbart ein weiteres Stück Netzwerk zum Unternehmenserfolg. Ein weiterer Vorteil: Vertrauen heißt Nähe. Sie hilft enorm bei systemischen Ansätzen der Organisationsentwicklung und bei Change-Management-Prozessen jeglicher Art. Sie trägt dazu bei, Projektarbeit von Anfang an kreativ mitzugestalten, Teams klug und zielführend zusammenzusetzen und das Business an dieser Stelle entscheidend zu unterstützen. Gerade bei Konzernen mit Matrix-Struktur und/oder Business-Units kann HR mit einem crossfunktionalen und vertrauensbasierten Ansatz zur globalen Schaltstelle der Information und Kommunikation über Leistungsträger und Key Player im Business werden. Oft erlebe ich, dass der crossfunktionale Blick von HR durchaus größeren und kalibrierteren Mehrwert schaffen kann als das nur eingeschränkte Silodenken manch eines Topmanagers.

HR und Controlling: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser Die Umkehr der ursprünglichen Redewendung soll hier provozieren. Kontrolle ist wichtig, wesentlich ist es aber, Controlling aus der verkürzten Sicht einer retrospektiv passiven Zahlenkontrolle hin zu einer gleichzeitig prospektiven und aktiven Unternehmenssteuerung zu verändern. Genau an dieser Stelle ist ein zielführend agierendes Controlling eine unternehmerische Komponente mit kreativer Strahlkraft, weil sie gemeinsam mit HR zu einem entscheidenden Added Value 72


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ten gemacht wurden, weil sie die besten Fachleute waren. Nicht immer ist es so, dass die besten Fachleute die besten Führungskräfte sind. Sie stellen das sehr leicht fest, wenn Führungskräfte w ­ enig Lust verspüren, Zielvereinbarungs­ gespräche zu führen, zwischendurch ihre Mitarbeiter zu fragen, wie es ihnen geht, oder sie sogar zu loben. Wie soll aber so Vertrauen entstehen? Ersatz für Vertrauen ist dann oft die übersteigerte Kontrolle bei dann wachsendem Misstrauen. In einigen F ­ ällen ent­wickeln sich Vertrauen und Kontrolle zu kommunizierenden Röhren. Schwarz-Weiß-Malerei verbietet sich aber an dieser Stelle. Es muss eher eine rechte Balance zwischen Grundvertrauen und Kontrollmechanismen gefunden werden. Wo aber lernen Ihre Führungskräfte im Unternehmen, dass man sich als Führungskraft vielleicht einmal mit dem HR-Business-Partner und seinen Mitarbeitenden zusammensetzen könnte, um das Maß der Kontrolle oder sogar das Maß des Vertrauens zu besprechen – ein meist sehr zielführendes und gutes, zumal vertrauensbildendes Unterfangen.

HR und New Normal: In Krisenzeiten lernen

für das Business werden kann. HR und Finance befeuern so im besten Fall gemeinsam das Entrepreneurship im Unternehmen. Wachstum entsteht aus Vertrauen. Denn nichts ist effizienter als eine Zusammenarbeit, die auf Offenheit und Vertrauen beruht. Vertrauensbasierte Führung entspricht dem Eröffnen eines interaktiven Handlungsspielraums, in dem Kreativität erst Wirkungsgrad aus Freiheit entfalten kann. Das Schlüsselwort im Spannungsbogen zwischen Vertrauen und Kontrolle ist die Kommunikation. Vertrauen ernährt sich von gelungener Kommunikation. Wie oft habe ich erlebt, dass Führungskräfte deswegen zu Führungskräfo k tober   /  novem b er 2020

Die Zeit direkt nach der Finanzkrise war die Zeit der CFO. Die Zeit in und nach Corona ist und wird die Zeit der CHRO sein. Noch nie lag der Fokus so stark auf den Krisenmanagement-Teams, die sich zu Spitzenzeiten täglich trafen, um der Konzernleitung oder Geschäftsführung zu helfen, „das Schiff auf Sicht zu steuern“. Nichts anderes war möglich. Home­office, mobiles Arbeiten, Sicherheitsabstand, Raumkonzepte, Absagen von physischen Events, Gesundheits­ management, Kommunikationsstrategien, virtuelles Arbeiten und Lernen, all das hat sich drastisch und in kürzester Zeit verändert. Die Arbeitswelt mutiert. Das sagen viele, fast alle. Nur wenige machen sich Gedanken, wie das konkret aussehen kann. Eines ist klar: Keiner von uns hat so etwas je erlebt, und zwar weltweit nicht. Und Corona ist nicht gleich Corona, weder in der medizinischen Ausformung noch in dem Wirkungsgrad auf wirtschaftlicher, politischer, soziologischer oder psychologischer Ebene. Außerdem wird Social Distancing in unterschiedlichen Kulturräumen der Welt auch unterschiedlich empfunden und unterschiedlich gehandhabt. Die Vielfalt und die Intensität der Konsequenzen sind unbekannt. Eine identische Rückkehr zur Normalität wie zu Zeiten vor der Corona-Krise ist über Jahre unwahrscheinlich. Die 73


PRAXIS

Arbeitszeitmodellen. Nicht jede Führungskraft kann über Vertrauensarbeitszeit führen. Sie muss das lernen. Denn die Kontrollmöglichkeiten für die Steuerung von Arbeitsergebnissen werden sich verändern. Eigenarten wahrzunehmen und zu berücksichtigen im noch unbekannten Rhythmus mehr digitalen Arbeitens, all dies wird ebenso gefragt sein wie die Fähigkeit, im Kontext agilen Arbeitens und flexiblen Organisierens und Koordinierens agil zu führen. Social Distancing erfordert von Führungskräften die Fähig­keit, dezentrale Erkenntnisprozesse zu bündeln, dezentrale Intelligenzen zu sammeln und wiederum in die volatile Organisation hineinzukommunizieren. Corona provoziert ein Weiteres: Virtuelle Führung setzt Vertrauen voraus, denn virtuelles Führen ist gerade in Zeiten der Pandemie Vorangehen ins Ungewisse, Entscheidung auf Sicht; Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf rein virtuellem Weg setzt vorangegangenes Vertrauen voraus. Nicht von ungefähr hatten wir schon vor Corona erlebt, dass nach einer Phase intensiven Kennenlernens und Zusammenarbeitens die digitale Form der Kommunikation und Kooperation über Skype, Zoom und Microsoft 365 sehr wohl gelingen kann, wenn das Vertrauen vorab schon einmal entstanden ist. Natürlich erlangen Onboarding-­ Prozesse, schwierige Personalgespräche oder Assessments virtuell und digital im Ergebnis nicht annähernd die gleiche Qualität wie in der persönlichen Begegnung.

HR und Sozialpartnerschaft: Vertrauen als Basis Arbeitswelt nach dem Ramp-up wird eine andere sein als die Arbeitswelt vor dem Lockdown. Damit ergeben sich veränderte Rahmenbedingungen für die Arbeitsbedingungen in indirekten wie in direkten Bereichen und Arbeitsabläufen. Es wird in wenigen Monaten weder zu hundertprozentigen Homeoffice noch zu hundertprozentigen Präsenzpflicht geben. Es wird auch zukünftig keine Standardlösungen geben. Wir werden Rahmenbedingungen festlegen müssen. Und wir dürfen nicht vergessen: Wir Menschen sind soziale Wesen. Allein die Erfahrungen der letzten Monate verdeutlichen, dass sich auch das Führungsverhalten verändern wird und verändern muss. Heute spricht man von organisationaler Resilienz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Organisationen unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen führen zu können, so dass betriebliche Ziele weiterhin erreicht werden können. Die neuen Anforderungen an Führungskräfte beziehen sich auf Teams mit unterschiedlichen parallel ablaufenden 74

Vielleicht das oft unterschätzte, aber für das Wirken aus HR heraus relevanteste Handlungsfeld im Kontext vertrauensbasierten Arbeitens und Kommunizierens ist die gelebte Sozial­partnerschaft. Im Übrigen bin ich ein überzeugter Fan der deutschen ­Variante. So erweist sich zum Beispiel der französische Sozial­partnergedanke eher als ein beständiger Beratungsprozess (Consultation), der nicht zwingend einer Einigung bedarf, aber am Ende dann doch arbeitgeberseitig entschieden wird. Der Sozialkonflikt überträgt sich auf die Zeitachse und entfernt sich zusehends von den eigentlichen Inhalten: Der Deal wird entscheidend. Die deutsche Mitbestimmung zwingt die Parteien zu einer Entscheidung – und damit zu einer tatsächlich inhaltlichen Auseinandersetzung. Selbst bei nicht mehr möglicher Einigung übernimmt die Einigungsstelle, die dann im Eskalationsfall die Letztentscheidung fällt. Nach meiner Erfahrung ist damit die deutsche Mitbestimmung zeitlich schneller als der französische Konsultationsprozess.


PRAXIS

Wesentlich wichtiger ist aber der vorgeschaltete Prozess der inhaltlichen Auseinandersetzung. Das Ringen um die rechte Entscheidung im Sinne des Unternehmens und im Sinne der Mitarbeitenden gleichermaßen zwingt die Beteiligten dazu, zielführend und entscheidungssuchend aufeinander zuzugehen. Verhandlungsführung und respektvoller Umgang miteinander, mithin die Erkenntnis, dass arbeitgeberseitig das Direktionsrecht und Managementregeln, auf Betriebsratsseite ein Wahlrecht und demokratische Abstimmungen auf der Basis des Betriebsverfassungsgesetzes zu erfolgen haben, machen die Ungleichzeitigkeit des gemeinsamen Verhandelns deutlich. Ein Arbeitsdirektor tritt in der Geschäftsführung anders auf als ein Betriebsratsvorsitzender in seinem Wahlgremium. Sehr viele Erfahrungen haben mir gezeigt, dass letztendlich das Thema Vertrauen und Vertraulichkeit entscheidend war für einen erfolgreichen gemeinsamen und sozialpartnerschaftlichen Weg. Eine Reduktion des vertrauensbasierten Umgangs miteinander auf reine Verhandlungsphasen verbietet sich, denn das gewonnene Vertrauen zueinander hat immer wieder neu dazu geführt, dass wir auch sozialpolitisch und tarifpolitisch sehr kreativ zusammenarbeiten konnten.

und Kontrolle, weil ich vertraue, dass die delegierte Macht nicht missbraucht wird. Vertrauensbasierte Führung ist die stärkste Form der Führung, allerdings auch die riskanteste der möglichen Formen. Genau deswegen spricht man auch immer vom Vertrauensvorschuss, denn die Führungskraft wird den ersten Schritt tun müssen, um vertrauensvoll zu delegieren und dadurch zu führen. Überlegen Sie sich gut, ob Sie Human Resources als wertestiftende Größe in ­Ihrem Unternehmen aufbauen möchten, die für eine Kultur des Vertrauens steht. Meine persönliche Erfahrung hierzu ist folgende: Nachhaltiger Unternehmenserfolg ist nur mit ­einer Kultur des Vertrauens möglich.

Vertrauensbasierte Führung: Für eine Kultur des Vertrauens

Dr. Emmanuel Siregar ist seit April 2018 Generalbevollmächtigter Personal und Organisation der Claas KGaA mbH. Zuvor war er von

Foto: Jana Legler

2011 bis 2018 Geschäftsführer Personal und Organisation bei der

Ein letzter Hinweis sei erlaubt: Vertrauen zu schenken, ist riskant. Vertrauen zu erhalten, ist ein Geschenk. Vertrauen zu verlieren, ist ein großer Verlust. Zu vertrauen bedeutet immer auch, Macht zu verlieren. Echte Delegation beispielsweise ist immer ein bewusster Verzicht auf Macht

Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. Bis 2011 war er Geschäftsführer Personal und Organisation bei der Karstadt Warenhaus GmbH, davor war er bis 2007 Vorstand Personal bei der Fielmann AG. Insegsamt war er hier zehn Jahre in unterschiedlichen Positionen tätig.

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P R A X I S

7 GEDANKEN

Mehr. Wert. Jede Veränderung beginnt mit einem Gedanken. Hier sind sieben zu Vielfalt.

Besser vielseitig Falten wir einen Bogen Papier in der Mitte. Nun falten wir das Papier erneut und dieses wieder – so lange, bis der Vielfalter sich nicht mehr falten lässt. Wenn wir den Bogen wieder öffnen, entfalten sich angedeutete Vierecke. Sie machen sichtbar, das auf einer scheinbar eindimensionalen Fläche viele Spielräume stecken: Neue Räume, die wir erkennen und nutzen können. Je nachdem, wie ungleichmäßig wir falten (gute Idee!), unterscheiden sich die Seiten. Als Metapher für so-

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ziales Miteinander heißt das: Nicht Zuordnungen als solche beschränken uns, sondern ihre Limitierung. Je vielfältiger wir Zugehörigkeit denken können, umso freier und kreativer können wir uns entfalten.

Zusammen stark

Gern anders

Jeder Mensch mit seiner Biografie, seinem Charakter und seinem Lebens­entwurf ist einzigartig. Die Idee, gleich zu sein, entsteht aus dem (wichtigen) Blick auf das Gemeinsame. Schauen wir jedoch wohlwollend und interessiert auf die Unterschiede, begreifen wir die Differenzen als Chance für Weiterentwicklung. Entscheidend dabei ist die Brille, durch die wir schauen: Betrachten wir Individuen, oder sehen wir Gruppen, deren Mitgliedern wir zuvor scheinbar übereinstimmende Merkmale zugeordnet haben? Teams profitieren von der Schwarmperspektive: Wenn sich jedes Mitglied individuell einbringen kann, kann die Vielfalt alle stärken.

24 Amtssprachen gibt es in Europa. Doch wird auf diesem Kontinent weit vielfältiger gesprochen. Noch. Denn viele europäische Sprachen sind potenziell gefährdet (etwa Baskisch), bereits gefährdet (wie Rätoromanisch) oder schon ernsthaft gefährdet (beispielsweise Nordfriesisch). Warum das schade ist? Weil zu jeder noch so kleinen Sprache kulturelles Handeln gehört, das eine Bereicherung für den soziokulturellen Raum ist – also für das, was Menschen miteinander erleben. Zu viel Kultur? Gibt es wohl nicht. Das erleben interkulturell agierende Organisationen ständig: Kleinere und größere Perspektivenwechsel fallen leichter, wenn Verschiedenheit all-


Geschlechter in der Führungsebene vertreten sind, wo unterschiedliche Talente wirken dürfen und das Abweichen von Normen willkommen ist, entstehen spannende Synergieeffekte – menschlich wie wirtschaftlich.

Fotos: Getty Images, Barbara Dietl

Tierisch menschlich

täglich ist. Und sie bringen weiter – gerade im Wandel.

Im Ökosystem ist alles Leben miteinander verbunden. Je mehr Tier- und Pflanzenarten aussterben, umso instabiler wird dieser Planet. Verlieren wir wichtige Glieder in der Nahrungskette oder fehlen Bestandteile im Wachstumskreislauf, kommen wir aus dem Gleichgewicht. Ein Grundsatz des systemischen Denkens lautet daher: Bewegt sich ein Teil im Mobile, bewegen sich alle. Unter diesem Aspekt lassen sich auch Veränderungsprozesse in Organisationen und Unternehmen betrachten. Dann stehen nicht nur Produktivität und wirtschaftlicher Erfolg im Vordergrund, sondern auch ganzheitliche Veränderung. Beim Artenschutz für Werte und Vielfalt investieren wir in soziales Handeln und menschliches Miteinander. Auch und gerade im Arbeitskontext.

Zusammen divers

Schön schlau

Tausende von Kartoffelsorten weltweit, weit über tausend Apfelsorten allein in Deutschland – was für eine Auswahl! Linda im Kartoffelsalat, Sieglinde als Rösti, Elstar im Müsli, Jonagold im Kuchen. Dass Lebensmittelkonzerne beginnen, sich Patente zu sichern und den Anbau zu monopolisieren, bedeutet auch, Geschmäcker zu normieren – und das löst nicht von ungefähr Kontroversen aus. Denn Diversität vergrößert das Spektrum und ist allein dadurch ein Gewinn. So auch bei der Personalauswahl: Wo Jüngere und Ältere zusammenarbeiten, wo alle

Vielfalt heißt: alles Mögliche - und deshalb auch Unvertrautes. Dort wo Ungewohntes wartet, endet unsere Komfortzone. Fremdes ruft im ersten Schritt Abwehr hervor – das vermeldet unsere Amygdala automatisch. Doch wenn wir vom sogenannten Affenhirn, das auf Angstreize reagiert, in die kontrollierbaren Areale unseres Kopfs wechseln, können wir unsere Neugier aktivieren. Sie kultivieren wir, indem wir fragen: Was liegt hinter unserem Tellerrand, welche Möglichkeiten bieten sich noch, wenn wir über uns selbst hinausdenken? Agiles Handeln, New Work, Unusual Busi-

o k tober   /  novem b er 2020

PRAXIS

ness: Nicht zuletzt durch die Pandemie sind wir bereiter, neue Wege zu gehen. Gestalten wir sie offen, inklusiv und integrativ, lehnen wir uns intelligent in eine vielfältige Zukunft hinein.

Gelebte Vielfalt Gemeinsamkeiten finden, Differenzen anerkennen, Unterschiede aushalten. Manchmal ist das alles andere als einfach. Wenn das Eigene zu weit weg vom Anderen ist. Um uns dann nicht einfältig zu verschließen, brauchen wir eine gute Portion Ambiguitäts­toleranz. Also die Fähigkeit, erst einmal zu akzeptieren, was nicht in unsere Normen oder Wertvorstellung passt. Und uns im Rahmen demokratischer Prozesse damit auseinanderzusetzen. Das persönliche Recht auf Vielfalt ist im Grundgesetz verbrieft. Wie gut, dass unsere Judikative sich treu bleibt und sich mit gesellschaftlichen Realitäten weiterentwickelt. Etwa mit dem reformierten Personenstandsgesetz, in dem die Geschlechterkategorien „männlich“ und „weiblich“ um die Kategorie „divers“ erweitert wurden. Ein großer Schritt in Sachen gewollter Vielfalt, der sich mehr und mehr in zeitgemäßen Stellenanzeigen und gendersensibler Sprache zeigt. In Sachen Corporate Identity können Unternehmen in ihrer Kommunikation hier punkten.

Corinna Waffender lebt in Berlin und ist bundesweit analog und digital an Wort und Stelle. Soziales Handeln und Business ­Unusual sind ihre Schwerpunkte als erfahrene systemische Coachin, Organisationsberaterin und Kommunikationstrainerin.

77


RECHT

Was passiert, wenn eine Kündigung unwirksam ist? Wenn sich am Ende des Verfahrens über den Kündigungsschutz herausstellt, dass eine ­Kündigung unwirksam ist, muss der Arbeit­ geber den Arbeitnehmer nicht zwangsläufig für die Zeit zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und der Entscheidung vergüten.

Erklärt das Arbeitsgericht eine Kündigung im Nachhinein als unwirksam, gilt dadurch rückwirkend das Arbeitsverhältnis als noch nicht beendet. Das bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, dass der Arbeitnehmer für die Zeit zwischen dem Ablauf der Kündigung und der gerichtlichen Entscheidung auch die vereinbarte Vergütung erhält. Der Beschäftigte hat in diesem Zusammenhang Anspruch auf Vergütung, wenn der Arbeitgeber im sogenannten Annahmeverzug ist: Der Arbeitgeber muss also zum Ausdruck bringen, die Arbeitsleistung nicht mehr anzunehmen. Davon ist gemäß der Rechtsprechung nach Ablauf der Kündigungsfrist beziehungsweise nach deren fristlosem Ausspruch in der Regel auszugehen. Auf die Vergütung aufgrund des Annahmeverzugs, dem sogenannten Annahmeverzugslohn, muss sich der Arbeit-

nehmer anrechnen lassen, was er in der Zeit tatsächlich verdient hat und was er hätte verdienen können. Der unterlassene Verdienst ist aber nur anzurechnen, wenn das Unterlassen böswillig war, der Arbeitnehmer also vor allem eine ihm zumutbare Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber nicht angenommen hat. Der Arbeitnehmer soll letztlich so gestellt werden, als wäre das Arbeitsverhältnis nicht unterbrochen worden. Für einen Arbeitgeber stellt es eine erhebliche Herausforderung dar, herauszufinden, ob der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine andere Tätigkeit aufzunehmen. Aufgrund dieses Dilemmas hat das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil einem Arbeitgeber zugebilligt, dass der Arbeitnehmer ihm Auskunft zu erteilen hat. Ist es also naheliegend, dass der Arbeitgeber aufgrund der Auskunft einen unterlassenen Verdienst des Beschäftigten darlegen kann, muss der Beschäftigte die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge offenlegen: Er muss also sowohl die angebotene Tätigkeit, den Arbeitsort als auch die Höhe der Vergütung nennen. Der Arbeitgeber kann auf dieser Grundlage prüfen, ob die Entstehung des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn durch die Erkenntnisse teilweise abgewehrt werden kann.

Pascal Verma ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der ­Hamburger Kanzlei NBS Partners.

Die Zulässigkeit eines Fingerabdrucks. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass Zeiterfassungssysteme mittels Fingerabdrucks nur wirksam genutzt werden können, wenn die Vorgaben der DSGVO und des Bundesdatenschutzgesetzes eingehalten werden. Zwar verarbeitete das im Streitfall genutzte System 78

nicht den gesamten Fingerabdruck, sondern nur individuelle, nicht vererbbare Fingerlinienverzweigungen. Dennoch handelt es sich dabei um biometrische Daten. Daher müssen die besonderen Anforderungen an die Verarbeitung biometrischer Daten berücksichtigt und eingehalten werden. Zulässig wäre die Verarbeitung von

personenbezogenen Daten nur, wenn sie für die Zeiterfassung tatsächlich erforderlich sind und wenn ein dokumentierter, auf Anhaltspunkte gestützter Verdacht einer Straftat besteht. Das LAG urteilte, dass diese Voraussetzungen bei biometrischen Daten erst recht gelten und in dem besagten Streitfall nicht erfüllt waren.

Foto: NBS Partners

Zeiterfassung


Betriebsvereinbarung

Entgelttransparenz Wann der Betriebsrat ein Einsichtsund Auswertungsrecht hat. Das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) gewährt Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen einen Auskunftsanspruch über die Entgeltgleichheit. Gibt es im Unternehmen einen Betriebsrat, muss dieser in das Verfahren zur Auskunftserteilung eingebunden werden. Unter anderem hat er das Recht, die Liste der Bruttolöhne einzusehen und diese auszuwerten. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass das Einsichts- und Auswertungsrecht nicht besteht, wenn der Arbeitgeber die Auskunftspflicht generell oder im Einzelfall selbst erfüllt.

Abhängig von einem Zustimmungsquorum? Betriebsvereinbarungen sind eine Quelle arbeitsrechtlicher Rechte und Pflichten. Sie wirken innerhalb ihres Anwendungsbereichs normativ, das heißt sie wirken unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis, ohne dass es eines Umsetzungsaktes bedarf. Auch erst später eintretende Beschäftigte sind von der Wirkung umfasst. Der Betriebsrat ist bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen weder an Weisungen der Arbeitnehmer gebunden, noch ist deren Zustimmung erforderlich. Er kann zudem nicht zugunsten Dritter auf sein Mitbestimmungsrecht verzichten. Das Bundes­ arbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgeber und Betriebsrat die Geltung einer Betriebsvereinbarung auch nicht vom Erreichen eines Zustimmungsquorums abhängig machen können. Eine Betriebsvereinbarung mit solcher Gestaltung ist unwirksam.

Kündigungsschutz Werdende Mütter. Das Mutterschutzgesetz (MuSchG §17) gewährt einer Frau während der Schwangerschaft einen besonderen Kündigungsschutz, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Wird der Arbeits­ vertrag abgeschlossen und eine zeitlich spätere Aufnahme der Tätigkeit vereinbart, entsteht der besondere Kündigungsschutz nicht erst mit der tatsächlichen Aufnahme der Tätigkeit, sondern bereits mit Abschluss des Arbeits­vertrags, wie das Bundesarbeitsgericht geurteilt hat.


RECHT

Arbeitsschutz während der Corona-Krise Ein Essay von Thomas Köllmann

Der Arbeitsschutz erlebt in Zeiten der Corona-Krise zweifelsohne eine Renaissance. Aufgrund der latenten Bedrohung durch ein „unsichtbares Virus“ stellt sich für Unternehmen stärker denn je die Frage, wie Beschäftigte geschützt werden können.

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Grafik: TropicalShapes / Getty Images

M

it dem sogenannten technischen Arbeitsschutz sollen Gefahren am Arbeitsplatz vermieden werden. Regelungen zum Arbeitsschutz finden sich sowohl in Gesetzen wie dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) und in Rechtsverordnungen (Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) als auch in den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften. Hierin regeln die Berufsgenossenschaften Besonderheiten für die jeweiligen Branchen, die verpflichtend zu beachten sind. Welche Maßnahmen der Arbeitgeber dabei umzusetzen hat, hängt von den Risiken am Arbeitsplatz ab. Der Arbeitgeber muss das Gefährdungspotenzial der jeweiligen Tätigkeit unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls bewerten, also eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung vornehmen. Da am Arbeitsplatz auch die Möglichkeit einer Infektion mit dem Coronavirus besteht, muss konkret geprüft werden, bei welchen Arbeitsabläufen die Risiken dafür besonders hoch sind. Sodann sind Maßnahmen zu ergreifen, um diese Risiken zu minimieren. Die vom Arbeitgeber zu ergreifenden Schutzmaßnahmen sind immer unterschiedlich und hängen von der jeweiligen Situation am Arbeitsplatz ab. Eines sollten alle Maßnahmen aber gemeinsam haben:


IMPRESSUM

Sie müssen den Stand der Technik, der Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeits­wissenschaftliche Erkenntnisse beachten. Hier kommt die Sars-CoV-2 Arbeitsschutzregel ins Spiel, die wichtige Erkenntnisse liefert.

Empfehlungen oder Pflicht zur Umsetzung? Dabei handelt es sich allerdings weder um ein Gesetz noch um eine Rechtsverordnung. Die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel gilt daher nicht zwingend und es besteht keine Umsetzungspflicht. Allerdings wird der aktuelle Stand der Technik und der Hygiene wiedergegeben, weil die neue Arbeitsschutzregel von Fachausschüssen beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erarbeitet wurde. Die Beachtung und bedarfsgerechte Umsetzung der Maßnahmen hat daher in der Praxis einen entscheidenden Vorteil: In diesem Fall ist nämlich grundsätzlich davon auszugehen, dass die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes und der einschlägigen Rechtsverordnungen eingehalten werden. Weicht der Arbeitgeber hingegen von den Empfehlungen ab, muss er im Streitfall beweisen, dass er andere gleichwertige Maßnahmen umgesetzt hat. Es besteht also zwar keine rechtliche Umsetzungspflicht hinsichtlich aller Maßnahmen, doch ist mit Blick auf eine rechtssichere Gestaltung eine bedarfsgerechte Anwendung im Betrieb zu empfehlen.

Überblick über die beschriebenen S ­ chutzmaßnahmen Ausgangspunkt für alle in der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel beschriebenen Maßnahmen bildet die Erkenntnis, dass das Coronavirus durch Aerosole übertragen wird. Daher geht es in erster Linie um eine Begrenzung der Kontakte zwischen Beschäftigten und die Reduzierung von Viren in der Arbeitsumgebung. Davon ausgehend werden zahlreiche potenzielle Maßnahmen benannt und beschrieben. Ein Überblick: • Gestaltung der Arbeitsumgebung: Einhaltung der Abstandsregeln; Installation transparenter Abtrennungen; spezielle Reinigungs- und Abstandsvorgaben für Sanitärräume, Kantinen und Pausenräume • Hinweise zum Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen, filtrierenden Halbmasken (zum Beispiel FFP2-Masken) oder Atemschutzgeräten beziehungsweise Gesichtsschutzschilder • Lüftung: Konkrete Vorgaben zur Belüftung von Räumen; Hinweis auf den Betrieb von raumlufttechnischen Anlagen mit „geeigneten Filtern“ • Einführung von Homeoffice unter Beachtung des Arbeitsschutz- und Arbeits­zeitgesetzes: Die Beschäftigten sollten zumindest auf Arbeitsschutz im Homeoffice hingewiesen und einige wesentliche Punkte sollten erläutert werden (zum Beispiel zur Einrichtung von PC-Arbeitsplätzen im häuslichen Bereich und zur Sicherstellung des sozialen Austausches) • spezielle Regeln zu Dienstreisen und Besprechungen • Reinigungs- und Verwendungshinweise für Arbeitsmittel und Werkzeuge • Anpassung der Arbeitszeit- und Pausengestaltung zur Vermeidung eines Zusammentreffens mehrerer Beschäftigter • Hinweis auf die angemessene Berücksichtigung möglicher psychischer Belastungen etwa durch lang andauernde hohe Arbeitsintensität in system­ relevanten Branchen sowie spiegelbildlich Kontaktbeschränkungen und soziale Isolation im Homeoffice o k tober   /  novem b er 2020

Herausgeber Rudolf Hetzel Torben Werner (V. i. S. d. P.) Redaktion Sven Lechtleitner Freier Autor und Journalist Heike Thienhaus Freie Autorin und Journalistin Kirsten Altenhoff Projektleitung redaktion@humanresourcesmanager.de Autoren der Ausgabe Eva Maria Andrades, Friedrike Fabritius Senta Gekeler, Regine Graml Asma Hussain-Hämäläinen Sabine Hentschel, Albert Kehrer Thomas Köllmann, Julia Kusmijtschuk Christoph Metzler, André Niedostadek Jurij Ryschka, Anne M. Schüller Stefan Schwarz, Emmanuel Siregar Matthias Spielkamp Wiebke Stegh, Pascal Verma Lisa de Vries Corinna Waffender Lektorat Christa Melli www.literatur-und-film.de Gestaltung Marcel Franke Kristina Haase Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@quadriga.eu Abonnement Stefanie Weimann aboservice@quadriga.eu Druck PIEREG Druckcenter Berlin GmbH Benzstraße 12 12277 Berlin Im Internet www.humanresourcesmanager.de/ magazin Verlags- / Redaktionsanschrift Quadriga Media Berlin GmbH Werderscher Markt 13 10117 Berlin Telefon: 030 / 84 85 90 ­ Fax: 030 / 84 85 92 00 redaktion@humanresourcesmanager.de

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RECHT

• umfassende Hinweise zu der arbeitsmedizinischen Prävention, gerade bei besonders schutzwürdigen Beschäftigten • Regelungen zur Rückkehr zur Arbeit nach einer Sars-CoV-2-Infektion oder Covid-19-Erkrankung

Arbeitsplatzbezogene Risikoermittlung vornehmen In der betrieblichen Praxis bietet der durchaus umfassende Katalog der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel aber nur erste Anhaltspunkte. Um feststellen zu können, welche Maßnahmen auf dem jeweiligen Arbeitsplatz umgesetzt werden können, ist eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Dazu kann – vereinfacht zusammengefasst – wie folgt vorgegangen werden: • Feststellung der jeweiligen Arbeitsplätze als Bezugspunkt für die Beurteilung: Gleichartige Arbeitsplätze/ Tätigkeiten können zusammengefasst werden • Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungen: Besteht bei der konkreten Tätigkeit eine erhöhte Infektionsgefahr und woraus ergibt sich diese erhöhte Gefahr? Welche Personen sind besonders gefährdet (Anlehnung an die Hinweise des Robert Koch-Institutes)? Wie hoch ist das potenzielle Infektionsrisiko in Abhängigkeit von den Gegebenheiten des Arbeitsumfeldes (Räumlichkeit, Luftzirkulation, Anzahl Beschäftigte und so weiter)? • Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen: Durch welche Maßnahmen kann das Risiko reduziert werden? Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel bietet insofern wichtige Anhaltspunkte, Gleiches gilt für die DGUV-Vorschriften • Realisierung der Maßnahmen: Wie lange soll und muss die Maßnahme vorgenommen werden? Wer kontrolliert und dokumentiert die Realisierung der Maßnahme? • Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen: Wirkt die Maßnahme und kann das Ziel erreicht werden? • Dokumentation: Die Gefährdungsbeurteilung und die jeweiligen Maßnahmen sind zu dokumentieren

„Der Betriebsrat ist dort zu beteiligen, wo keine abschließenden gesetzlichen Vorgaben bestehen.“ zu beteiligen (zum Beispiel mittels einer Checkliste oder Software). Die Ermittlung und Bewertung der Gefährdungen hingegen erfolgt allein durch den Arbeitgeber. Der Betriebsrat ist erst wieder bei der Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einzubinden. Da die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel keine abschließenden Vorgaben macht, sondern in zahlreichen Bereichen einen Spielraum eröffnet, ist der Betriebsrat bei der Auswahl konkreter Maßnahmen zu beteiligen. Das gilt beispielhaft für die Gestaltung der Arbeitsplätze, die Umsetzung des Tragens von Gesichtsmasken oder des Belüftens von Räumen ebenso wie für die Einführung von Homeoffice.

To-dos für die Praxis Gerade in Zeiten steigender Infektionszahlen ist der Stellenwert des Arbeitsschutzes enorm. Neben den branchenspezifischen und sehr detaillierten Vorgaben der Berufsgenossenschaften werden mit der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel weitere konkrete Maßnahmen zum Arbeitsschutz aufgezeigt. Arbeitgeber sind gut beraten, die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel zur Kenntnis zu nehmen und – in Abstimmung mit dem Betriebsrat – bedarfsgerecht umzusetzen. Setzt der Arbeitgeber alternative Maßnahmen um, muss er im Zweifel beweisen, dass ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleistet ist. Gerade nach den zuletzt bekannt gewordenen Vorfällen in der Fleischwirtschaft besteht insgesamt ein stärkeres Bewusstsein, das sich auch in zunehmenden Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden niederschlagen kann. Hinzu kommen nicht unerhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken sowie negative Publicity, sollten Beschäftigte am Arbeitsplatz mangels ausreichendem Schutzkonzept an Covid-19 erkranken.

Der Betriebsrat ist beim Erlass von Regelungen zum Gesundheitsschutz zu beteiligen. Diese Mitbestimmung besteht aber nur dort, wo keine abschließenden gesetzlichen Vorgaben bestehen. Folglich ist der Betriebsrat auch bei der Organisation und Realisierung der Gefährdungsbeurteilung 82

Thomas Köllmann ist Anwalt für Arbeitsrecht bei Rechtsanwälte Küttner (Köln).

Foto: Küttner

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Mutig voranschreiten

INHALT 84 Editorial 85 Die Preisträger 2020 86 Der PMK expandiert in Raum und Zeit 88 Personalfunktion in der Transformation 90 Familienbewusstsein als ­aktives Risikomanagement 84

mit Egon Zehnder und der Quadriga Hochschule, sondern auch mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) durchgeführt hat. Auch die Ergebnisse unserer Untersuchung mit StepStone zur Digitalisierung im Recruiting liegen inzwischen vor. Ausführlichere Informationen dazu finden Sie nicht nur auf den folgenden Seiten, sondern wie immer auch unter www.bpm.de und auf unseren Social-Media-Kanälen. Hier finden Sie in diesem Jahr erstmals auch Aufzeichnungen ausgewählter PMK-Sessions zum kostenlosen Anschauen. Kommen Sie gut durch den Winter!

Moritz Mihm Leiter der Bundesgeschäftsstelle

PS: Seit Anfang Oktober läuft unsere End-of-Year-Aktion: Werden Sie jetzt Mitglied und zahlen sie erst 2021 den Mitgliedsbeitrag! Unter allen neuen Vollmitgliedern verlosen wir ein Ticket für den Personalmanagementkongress 2021 in Berlin und 50 Tickets für die digitale Teilnahme.

Fotos: Quadriga Media Berlin GmbH, Jana Legler

D

er Personalmanagementkongress 2020 war ein besonderer Kongress: Rund 1.000 Personaler/innen waren dabei – 700 davon erstmalig digital über Smartphones, Tablets und Notebooks. Trotzdem – oder gerade deswegen – war der PMK für uns ein voller Erfolg. Allen Beteiligten merkte man die Freude darüber an, sich nach den vielen schwierigen Monaten wieder austauschen und Lösungen finden zu können. Gemeinsam haben wir einen Blick zurück und in die Zukunft geworfen. BPM-Präsidentin Inga Dransfeld-­ Haase bekam viel Zuspruch für ihre Analyse, HR sei spätestens mit der Krise ins Zentrum der Unternehmensführung aufgerückt. Deshalb müsse man jetzt gemeinsam mutig voranschreiten, um Gegenwart und Zukunft nicht nur zu verwalten, sondern zu gestalten. Einen Rückblick in Bildern und eine erste kurze Vorstellung der Gewinner des Personalmanagement Awards 2020 finden Sie auf den folgenden Seiten. Wie gewohnt werden wir Ihnen die Gewinner in der nächsten Ausgabe ausführlicher vorstellen. Diese Haltung des Voranschreitens spiegelt sich auch in unserer Verbandsarbeit wider. Neben dem Kongress wurden auch eine Reihe weiterer Projekte vorangetrieben und abgeschlossen. So liegen inzwischen unter anderem erste Ergebnisse der Berufsfeldstudie People & Organization vor, die der BPM dieses Jahr erstmalig nicht nur


Die Preisträger 2020

VERBAND

Die Gewinner des Personalmanagement Awards und des Nachwuchsförder­preises ­werden in der nächsten ­Ausgabe näher ­vorgestellt.

PERSONALMANAGEMENT AWARD & NACHWUCHSFÖRDERPREIS

Fotos: Kerstin Müller

Im Rahmen des Personalmanagementkongresses w ­ urden die Gewinner der diesjährigen ­Personalmanagement Awards in drei K ­ ategorien ausgezeichnet.

Die Auszeichnung in der Kategorie Großunternehmen ging an die Deutsche Bahn AG für das Thema „Die Nachfolgeplanung bei der Deutsche Bahn“. Die Herausforderungen komplexer Recruiting-Prozesse löst die Deutsche Bahn mit ihrer „Nachfolgeplanung“: Mitarbeiter können sich und andere selbst empfehlen, die Auswahl der Kandidaten erfolgt gemeinsam mit dem Stelleninhaber in einem transparenten Prozess. o k tober / novem ber 2020

In der Kategorie kleine und mittlere Unternehmen überzeugte der DG Verlag mit seinem Projekt „Wir sind inge (innov.+neugierig+genossensch.+ergebnisorientiert)“. Dabei handelt es sich um einen New-Work-Ansatz, um Mindsets zu entwickeln und Arbeitsweisen zu etablieren, der alle Mitarbeiter, Vorstand sowie Kunden einbezieht, schnell aus der Belegschaft heraus umsetzbar ist und langfristig zu einer Veränderung der Unternehmenskultur beiträgt.

Das Klinikum Dortmund konnte sich wiederholt den Preis in der Kategorie Non-Profit-Organisationen und Öffentlicher Sektor sichern. Mit TikTok nutzt das Klinikum einen neuen Social Media Kanal, der für jüngere und internationale Kandidat/innen hochgradig attraktiv ist, um sich mit dem Projekt „Tanze deinen Job“ einem Millionenpublikum als attraktiver Arbeitgeber darzu­ stellen.

Den Nachwuchsförderpreis erhielt Jana Chotjaturat. In ihrer Masterarbeit an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg hat sich die Gewinnerin mit dem digital gestützten Onboarding beschäftigt. Auf der Basis von acht Experteninterviews entwickelte sie einen Prototypen für ein digital gestütztes Onboarding, dessen Fokus auf der emotionalen Betrachtung der Mitarbeiter-Bedürfnisse liegt.

85


VERBAND

Der PMK expandiert in Raum und Zeit Der Personalmanagementkongress 2020 in Bildern Auch in Zeiten von Corona konnten sich Personaler/ innen auf dem Personalmanagementkongress in Berlin vernetzen und weiterbilden. Erstmals erlaubten Digital-Tickets eine multidimensionale Vernetzung mit Personaler/innen in ganz Deutschland – ortsunabhängig, live und on demand. Das Main Event in Berlin fand unter strengen Auflagen, mit einer reduzierten Teilnehmer/innenzahl und einem umfangreichen Hygiene-Konzept statt.

BPM-­ Präsidentin Inga

Dr. Katharina Herrmann, Dr. Melanie Baier, Prof. Dr. René Sadowski

­Dransfeld-Haase

und Prof. Dr. Jörg K. Ritter diskutierten die wichtigsten Ergebnisse und

eröffnete den

Analysen der BPM-Berufsfeldstudie 2020.

Kongress.

Christian Lindner hielt die Keynote als Ersatz für den kurz­fristig verhinderten Gesundheits­

86

minister Jens Spahn.


VERBAND

Keynotediskussion mit Elisabeth Niejahr, Staatssekretär Björn Böhning und Dr. Elke Frank zum Thema „Neue Normalität auf dem Arbeitsmarkt? Arbeitsmarktpolitische Instrumente und der Blick auf die Arbeitsplätze der Zukunft“

Panel-Diskussion zum Thema „Think big - and take care! Möglich­ keiten und Grenzen von Künst­ licher Intelligenz in der Personal­ arbeit“ mit Mitgliedern des HR Tech Ethikbeirats: Anna Kaiser, Frank Kohl-Boas, Prof. Dr. Martin Kersting

Fotos: Kerstin Müller, Quadriga Media Berlin GmbH Jana Legler und Laurin Schmid

Das BPM-­Präsidium begrüßte die Kongress­teilnehmer/innen.

Live-Pitch im Rahmen des HR Start-up Award 2020

87


VERBAND

Personalfunktion in der Transformation

D

ie Berufsfeldstudien sind eine Tradition des BPM, seit 2010 wird in kurzen Zyklen eine Vermessung der eigenen Profession vorgenommen. Die diesjährige, nunmehr vierte Studie wurde erstmalig in Kooperation mit der DGFP durchgeführt. Branchenübergreifend haben sich über 1.500 Personalmanager/innen im Juli dieses Jahres beteiligt.

Veränderte thematische Prioritäten der Personalarbeit

Status quo und Entwicklungen: Die diesjäh­ rige Berufsfeldstudie des BPM stand deutlich im Zeichen der Corona-­Krise. In Konsequenz ­verändern sich ­radikal die thematischen ­Prioritäten und auch die ­Anforderungen an die Personalfunktion.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Prioritäten in der Personalfunktion im Kontext der sog. Corona-Krise in der Mehrheit (55%) stark verschoben haben. New Work, also die Neu-Gestaltung von bestehenden Arbeits- und Wertschöpfungsprozessen, ist zum Thema Nr. 1 avanciert, dicht gefolgt von den Themenfeldern Digitalisierung von HR-Prozessen sowie Change-Management. An vierter Stelle folgt die Interne Kommunikation; dies wurde dann besonders stark priorisiert, wenn die Personalfunktion auf GF- bzw. Vorstandsebene verankert ist. (Abb. 1)

Abb. 1: Auswirkungen der Corona-Krise: Veränderte Prioritäten auf einen Blick VOR CORONA:

SEIT CORONA

1

Recruiting

Arbeitsorganisation / New Work

+9

2

Talent Management & Personalentwicklung

Digitalisierung von HR-­Prozessen & HR Analytics

+1

3

Digitalisierung von HR-­Prozessen & HR Analytics

Change Management / ­Organisationsentwicklung

+1

4

Change Management / ­Organisationsentwicklung

Interne Kommunikation

+5

5

Employer Branding

Stellenabbau / Outsourcing

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6

Weiterentwicklung der ­Unternehmenskultur

Gesundheitsmanagement

+5

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Learning & Education

Weiterentwicklung der ­Unternehmenskultur

−1

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Performance Management

Talent Management & ­Personalentwicklung

−6

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Interne Kommunikation

Learning & Education

−2

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Arbeitsorganisation / New Work

Performance Management

−2

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Gesundheitsmanagement

Recruiting

−10

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Stellenabbau / Outsourcing

Organisationsdesign

+1

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Organisationsdesign

Employer Branding

−8

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Retention Management

Retention Management

±0

88

!

!

!

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Fragen 8 (n = 842) und 10 (n = 841)


Strategischer Einfluss weiterhin zu gering Der Einfluss der Personalfunktion auf strategische Entscheidungen bleibt jedoch weiterhin (zu) gering. So gab weniger als jeder Dritte (nur 29%) an, dass der HR-/People&Organization-Bereich (P&O) am Strategieprozess beteiligt ist und nur knapp die Hälfte (48%) attestierte sich selbst, die eigenen Ziele in der Organisation erreichen zu können. Selbstverständlich steht dies in Beziehung zur aufbauorganisatorischen Verankerung der Personalfunktion, denn die Ergebnisse bestätigen auch, dass je höher die Personalfunktion verankert ist, deren strategischer Einfluss stärker ausgeprägt ist. Hier sind seit der letzten Berufsfeldstudie 2017 keine Veränderungen festzustellen, demnach ist die Verankerung des HR-Bereichs als zentrale Einheit direkt unter der Leitungsfunktion mit 82% am meisten verbreitet; in Unternehmen mit 500 bis unter 5.000 Mitarbeiter sogar zu 87%. Bei einem Zehntel der Befragten ist die Personalfunktion als dezentrale Organisationseinheit auf nachgelagerten Hierarcheebenen verortet.

Abb. 2: Performance Fragen: Wie bewerten Sie die Performance Ihrer ­Organisationseinheit? Wie stark ist der Einfluss der P & O bzw. HR auf strategische Entscheidungen der Gesamtorganisation? Auf veränderte ­Anforderungen können wir schnell reagieren.**

39 %

61 %

Wir können alle Prozesse in der erforderlichen Geschwindigkeit durchführen.**

39 %

61 %

Unsere Organisationseinheit erbringt Leistungen mit einem geringen Zeit- und ­Ressourcen-Aufwand.

35 %

65 %

Es kommt immer wieder zu unnötigen Doppelarbeiten.**

26 %

74 %

Fragen 12 und 26 (nmin = 263). **Hoch signifikante Unterscheide (Chi2-Test; p ≤ 0.01).   Einflussreiche HR/P&O-Einheiten     Sonstige HR/P&O-Einheiten

Einflussreiche HR-Einheiten ­zeichnen sich durch Agilität und digitale Tools aus Die Studie zeigt auch, dass einflussreiche HR-Bereiche deutlich stärker digitale Kollaborations-, Managementund Kommunikations-Tools einsetzen. So nutzen gut zwei Drittel der HR-Abteilungen in Großunternehmen agile Arbeitsmethoden und Tools, in kleinen Unternehmen ist dies nur bei jedem Dritten der Fall. Effektive und agile HR-Bereiche attestieren sich deutlich mehr Einfluss. So zeigen die Ergebnisse hoch signifikante Unterschiede zwischen einflussreichen und (sich selbst attestierenden) nicht einflussreichen HR-Bereichen: Erstere reagieren schneller auf veränderte Anforderungen, führen Prozesse in der erforderlichen Geschwindigkeit durch und vermeiden unnötige Doppelarbeiten. (Abb. 2)

Purpose-Definition ist zunehmend ­etabliert Einer der sieben BPM HR-Trends 2020 ist das Thema Purpose, also die Definition und Kommunikation des Organisationszwecks. Dies wird durch die Studienteilnehmer/innen bestätigt, denn 47% gaben an, dass ihre Organisation einen Purpose definiert hat und weitere 13% dies derzeit planen. Bei knapp der Hälfte dieser Organisationen (23%) hatte die HR-Einheit eine steuernde Funktion in der Entwicklung. In kleinen Unternehmen (weniger als 500 Mitarbeiter) haben 35% einen Purpose und sogar weitere 17% beabsichtigen dies zu tun. Stärker ist dies bei Großunternehmen ausgeprägt (mindestens 5.000 Mitarbeiter), denn hier sind es beo k tober / novem ber 2020

reits 59% (vorhanden) und 13% (in Planung). Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der Kapitalmarktorientierung, denn bei börsennotierten Unternehmen ist ein Purpose bei 56% und bei nicht-börsennotierten Unternehmen zu 42% vorhanden.

Hohe Wechselbereitschaft der ­Personalmanager/innen Und noch etwas war überraschend – die ausgeprägte Wechselbereitschaft. So gaben 54% der Teilnehmer/innen an, in den nächsten zwei Jahren einen Karriereschritt anzustreben. 47% beabsichtigen dies innerhalb und nur 7% außerhalb des HR-Bereichs zu tun. Und nahezu ein Viertel (23%) beabsichtigt dies außerhalb der eigenen Organisation umzusetzen. Dies sind erste Erkenntnisse aus der Berufsfeldstudie 2020. Die Gesamtergebnisse werden aktuell zusammengefügt und sind im November auf der BPM-Internetseite kostenlos abrufbar.

Prof. Dr. René Sadowski ist Engagement Leader bei Egon Zehnder. Dr. Melanie Baier ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Quadriga Hochschule Berlin. Dr. Katharina Herrmann ist Personaldirektorin bei Hubert Burda Media & Vizepräsidentin des BPM. Prof. Dr. Jörg K. Ritter ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung an der Quadriga Hochschule Berlin & Senior Advisor bei Egon Zehnder.

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VERBAND

Familien­ bewusstsein als ­aktives Risiko­ management Vereinbarkeit in und nach der Krise

D

ie andauernde Corona­ krise beeinflusst noch immer das Familienleben und die Arbeitswelt. Eltern müssen in Zeiten unsicherer Kinderbetreuung in Schulen und Kitas Familie und Beruf neu miteinander vereinbaren; viele sind von Kurzarbeit oder Arbeitsplatzabbau betroffen. Die Regelungen zur Eindämmung des Coronavirus stellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Familien vor große organisatorische Herausforderungen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat schon immer bedeutet, Arbeitsabläufe zu hinterfragen und zu verbessern. Und darin liegt jetzt die Chance, die Krise besser zu bewältigen. Eine familien90

bewusste Personalpolitik ist kein „nice to have“, sondern ein wertvoller Beitrag für das Risikomanagement eines jeden Unternehmens. Personalverantwortliche haben damit die gute Gelegenheit, das Thema (neu) zu positionieren. Daher lohnt sich ein Blick in die „Toolbox Vereinbarkeit und Corona“ des Unternehmensprogramms „Erfolgsfaktor Familie“, die sich insbesondere an Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Personalverantwortliche richtet. Sie zeigt, welche Maßnahmen sie zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Coronakrise beitragen können. Die Beiträge beruhen auf der Erkenntnis, dass Vereinbarkeit kein

„Privatproblem“ mehr ist und dass Instrumente wie flexibles und mobiles Arbeiten allein nicht für eine verlässliche Vereinbarkeit ausreichen. Wenn zum Beispiel einige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „die Stellung“ halten, damit Eltern zu Hause die Kinder betreuen können, wird Vereinbarkeit zur Gemeinschaftsaufgabe – der Zusammenhalt ist wichtiger denn je. Haltung und Kommunikation stehen dabei im Mittelpunkt. Die Toolbox bietet Antworten und Informationen sowie zahlreiche Praxisbeispiele aus verschiedenen Branchen wie je eine Checkliste für Personalerinnen und Personaler und Beschäftigte für partnerschaftliche Lösungen für


VERBAND

VORTEILE DES FORTSCHRITTS­ INDEX ­VEREINBARKEIT Arbeitgeberattraktivität: sich mit der Teilnahme am Fortschrittsindex Vereinbarkeit sichtbar zu einer innovativen, familienbewussten Unternehmenskultur bekennen und dies in der Unternehmenskommunikation einsetzen Praxisrelevanz: Erkenntnisse bei der Bestimmung von Schwerpunkten und Zielen sowie der Verbesserung von internen Prozessen rund um die Vereinbarkeit nutzen

Kennzahlen, wie der Stand im Unternehmen ist und bietet den Vergleich mit Unternehmen der gleichen Branche oder Größe an. Entsprechend der eigenen Ergebnisse zeigen Empfehlungen, wie es noch besser gehen kann. Und nicht zuletzt kann das Familienbewusstsein mit einem Teilnahmesiegel glaubwürdig nach außen und innen dokumentiert werden. Viele Unternehmen haben diese kostenlose Möglichkeit bereits genutzt. Auch kleine Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden schätzen die Möglichkeit über Kennzahlen den Status ihrer familienbewussten Unternehmenskultur objektiv messen zu können. Teilnehmende Personalverantwortliche sagen: „die Ergebnisse bieten einen Überblick über den eigenen Stand bei der Umsetzung von Vereinbarkeit und machen bewusst, wo man noch Arbeitsaufträge hat“, „der Fortschrittsindex bringt mit seinen Empfehlungen neue Ideen für unsere tägliche Arbeit und für die Kommunikation mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“

Individualität: eine individuelle Auswertung und passgenaue Empfehlungen erhalten und sich anonym mit anderen vergleichen können

Fotos: Niyaz_Tavkaev / getty Images; Annette Koroll; blv consult/Ute Lysk

https://fortschrittsindex.­erfolgsfaktorfamilie.de

CORONA-TOOLBOX:

Dr. Dagmar Weßler-Poßberg leitet bei

https://www.erfolgsfaktor-­familie.de/ toolbox-­vereinbarkeit-undcorona.html

Gesellschaftspolitik. Zu ihren Themenfel-

der Prognos AG den Beratungsbereich dern gehören Vereinbarkeit, Gleichstellung und Diversity. Ute Lysk ist Auditorin für die berufundfa-

beide Elternteile und deren Betriebe. Familienbewusste Personalpolitik ist eine Frage der Glaubwürdigkeit: Beschäftigte haben unmittelbar erlebt, ob Vereinbarkeit in ihrem Unternehmen ein krisenfestes Versprechen oder Schönwetterpolitik ist. Mit dem Fortschrittsindex Vereinbarkeit, den das o k tober / novem ber 2020

BMFSFJ in Kooperation mit dem BPM und dem DIHK entwickelt hat, steht ein Instrument für die Messung und Verstetigung einer familienbewussten Unternehmenskultur zur Verfügung Er bietet Orientierung mit neun Leitlinien als Diskussionsgrundlage für jedes Unternehmen, erfasst anhand von

milie Service GmbH, ein Dienstleister und Think-Tank im Themengebiet Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Die Autorinnen haben den Beitrag im Auftrag des Unternehmensprogramms „Erfolgsfaktor Familie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verfasst.

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LETZTE SEITE

Der Couragierte Ingo Bertram sieht eine offene, angstfreie Unter­ nehmenskultur als wichtigste Basis, um Diskri­ minierung in Unternehmen entgegenzuwirken. Er ist Pressesprecher bei Otto und Mitbegründer von More*, dem LGBTIQ*-Netzwerk der Otto Group.

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… ich vor Jahren bei einem Gespräch in einer Bar in einem Nebensatz den Ausdruck „itzig“ gebrauchte, ohne dessen historische Bedeutung zu kennen. Ich kannte das Wort aus Kindertagen als Synonym für „nörgelig“ oder auch „kratzbürstig“, habe das nie hinterfragt. Hätte ich tun sollen. Meine Gesprächspartnerin am Bartresen war Jüdin. Sie reagierte zu Recht verschnupft und erklärte mir die Hintergründe. Ich wollte erst im Boden versinken. Stattdessen habe ich mich entschuldigt und mit einem Rotwein mit ihr angestoßen. Danach war die Sache vom Tisch. Das Wort nutze ich nicht mehr. Um Diskriminierung in Unternehmen entgegenzuwirken, muss man … … aktiv sein, Flagge zeigen und Haltung beweisen, auch wenn es mal kribbelig wird. Eine offene, angstfreie Unternehmenskultur ist sicherlich die wichtigste Basis. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist … … (selbst-)kritisch bleiben! Die Welt verändert sich so rasant, da ist regelmäßiges Innehalten und Reflektieren enorm wichtig. Das queere Netzwerk More* ist für mich eine Herzensangelegenheit, weil … … ich allen queeren Menschen hier bei Otto, aber auch darüber hinaus ermöglichen möchte, so zu sein, wie sie sind. Im Job genauso wie privat. Wir alle sind

Menschen, darauf kommt’s an. Wenn wir mit More* genau da helfen können: Fantastisch! Die Belegschaft bei Otto hat auf die Gründung des Netzwerks … … fast schon euphorisch reagiert. Uns haben gerade zu Beginn so viele Kolleg*innen gratuliert und sich gefreut, dass wir hier mit More* jetzt voranschreiten möchten, das fand ich sehr überwältigend. Was ich in Unternehmen in Bezug auf das Thema Diskriminierung noch häufig vermisse, ist … … dass mir häufig die klare Kante fehlt. Eine klare gesellschaftspolitische Meinung ist auch als Unternehmen wichtiger denn je, da sind mir einige noch zu passiv. Als Kind wollte ich … … Radiomoderator oder Zugbegleiter werden. Heute moderiere ich den Pod­ cast für Otto und fahre regelmäßig Zug. Die Richtung stimmt also. Die Fragen stellte Hannah Petersohn. Ingo Bertram ist Pressesprecher bei Otto und Mitbegründer von More*, dem 2019 ins Leben gerufenen LGBTIQ*-Netzwerk der Otto Group, deren Mitglieder sich für Diversity im Unternehmen stark­machen und die Vernetzung von LGBTIQ*-­Menschen vorantreiben möchten. LGBTIQ* ist eine Abkürzung für Lesbian, Gay, Bi­sexual, Transgender, Intersexual und Queer.

Foto: ROLF OTZIPKA

Ein guter Morgen beginnt für mich … … mit einem starken Americano auf meiner Küchencouch, dazu ein ­frisches Franzbrötchen und die aktuellen News auf meinem Smart Speaker. Diskriminierung beginnt … … oftmals schon bei klitzekleinen Dingen, die das Gegenüber vielleicht nicht einmal bemerkt. Ein dummer Spruch, ein unbedacht genutztes Wort – Sprache kann Menschen schneller verletzen, als manche denken. Ich selbst wurde diskriminiert, als … Ich kann mich nicht erinnern, aufgrund meiner sexuellen Identität in der Familie, im Freundeskreis oder auch im Job jemals diskriminiert worden zu sein. Das empfinde ich als großes Glück, weiß aber auch, dass das nicht unbedingt repräsentativ für dieses Land ist. 30 Prozent der Homosexuellen trauen sich nicht, sich im Job zu outen, fanden Forschende der Uni Bielefeld neulich heraus. Ich finde das sehr traurig. Ich habe auf diskriminierendes Verhalten reagiert, indem ich … … Menschen darauf angesprochen habe. Das handhabe ich auch heute so, wobei es natürlich Grenzen gibt, auch mit Blick auf die persönliche ­Sicherheit. Zivilcourage ist richtig und wichtig, sollte aber stets mit Bedacht auf die Situation gewertet werden. Ich habe auch schon einmal eine Person diskriminiert als …


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