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Leben mit dem von Willebrand-Syndrom

Die Therapie hängt von Typ und Schwere der Erkrankung ab

Das von-Willebrand-Syndrom (vWS) stellt mit einer Prävalenz von etwa einem Prozent die häufigste Gerinnungsstörung dar. Es ist typischerweise erblich bedingt und wird durch einen Mangel bzw. Defekt des von-Willebrand-Faktors (vWF) verursacht. Betroffen können sowohl Männer als auch Frauen sein. Denn: „Im Gegensatz zur Hämophilie wird das vWS autosomal vererbt“ , erklärt Univ.-Prof. Dr. Werner Streif, Department für Kinder- und Jugendheilkunde der Med Uni Innsbruck/ Tirol Kliniken. Unterschieden werden drei Haupttypen des von-Willebrand-Syndroms: Typ 1 ist die häufigste und leichteste, Typ 3 die seltenste und schwerste Form der Erkrankung. Bei allen Betroffenen kommt es zu einer erhöhten Blutungsneigung. vWS-Patienten leiden unter langen Blutungen nach Verletzungen, operativen Eingriffen, Zahnbehandlungen und bei der Entbindung. Auch bei unklarer Neigung zu Epistaxis, Schleimhautblutungen, Menorrhagien oder kutanen Hämatomen sollte ein von-WillebrandSyndrom ausgeschlossen werden. Da Patienten mit Typ 1 und 2 meist nur von einer milden bis moderaten Blutungsneigung betroffen sind, sollten Ärzte gezielt nachfragen. „Wenn kleine Kinder beim Zahnen bluten oder leicht blaue Flecken bekommen, können das ebenfalls Hinweise für die Seltene Erkrankung sein“ , bringt Prof. Streif Beispiele. Typ 3 wird in der Regel autosomalrezessiv vererbt – das Kind erwirbt defekte Gene von beiden Elternteilen. Die Folgen: ein vollständiges Fehlen von vWF und ein niedriger Faktor VIII. Bei Betroffenen kommt es zu spontanen Blutungen, die häufig auch in den Gelenken und Muskeln auftreten.

Schwierige Diagnose

Die Diagnose erfolgt durch die Messung der Menge und Aktivität von vWF und Faktor VIII. Das mag simpel klingen, birgt aber bis heute Fallen: „Der vWF wird durch die normalen Screeninguntersuchungen, etwa mittels PTT und PT, nicht erfasst bzw. nur dann, wenn gleichzeitig der Faktor VIII niedrig ist, was vor allem auf die schwere Form, Typ 3, zutrifft“ , gibt Prof. Streif zu bedenken. Auch eine molekulargenetische Untersuchung führe insbesondere beim Typ 1 häufig nicht zur Diagnose. Deshalb sei die Blutungsanamnese essenziell. Ärzte sollten daran denken, auch die >

vWF-Aktivität bestimmen zu lassen. Die Untertypisierung kann nur in Speziallaboren erfolgen. Es bedarf einer Untersuchung der Bindungsfähigkeit in Bezug auf Faktor VIII, einer elektrophoretischen Beurteilung der vWFMultimeren-Banden und der Untersuchung der Thrombozytenaggregation (RIPA-Test). „Doch nicht jede niedrige vWF-Aktivität ist ein vWS“ , weiß Prof. Streif um eine weitere Herausforderung. „Beim vWS liegt die Aktivität unter 30 bis 40 Prozent. Menschen mit Blutgruppe 0 haben physiologisch eine deutlich niedrigere vWF-Aktivität. “ All das gelte es mit zu bedenken.

Typabhängige Behandlung

Die Therapie hängt vom Typ und von der Schwere des vWS ab. Bei nur sehr schwach ausgeprägten Symptomen ist oft gar keine Behandlung notwendig. Bei leichten Blutungen genügen im Anlassfall lokale Maßnahmen wie ein Druckverband, um die Blutung zu stillen. Zudem können bei vWS-bedingten Blutungen topische hämostatische Wirkstoffe wie das Antifibrinolytikum Tranexamsäure (TXA) helfen. Der Wirkstoff ist z. B. bei zahnärztlichen Eingriffen oder bei Menorrhagien sehr effektiv und kommt in Tablettenform oder als lokale Spüllösung zur Anwendung. Leichtere Formen (meist vom Typ 1) können auch mit dem Wirkstoff Desmopressin (DDAVP) behandelt werden. Dieser bewirkt eine erhöhte Abgabe von vWF aus den körpereigenen Speichern. Oft wird das Antidiuretikum nur einmalig und hochdosiert in bestimmten Situationen wie vor einer Operation gegeben. „Die sehr kurze Wirksamkeit und die Gefahr der Wasserintoxikation durch die antidiuretische Wirkung sind immer zu beachten“ , betont Prof. Streif. Für Kinder unter zwei Jahren, Schwangere, Menschen mit Anfallsleiden oder koronarer Herzkrankheit sei Desmopressin nicht geeignet. Patienten mit Typ 3 sowie Patienten mit Typ 1 und 2, die ein erhöhtes Risiko schwerer Blutungen haben, werden häufig mit Faktorkonzentraten behandelt, die FVIII und vWF enthalten. Zumeist erfolgt eine perioperative Gabe eines Faktor-VIII-hältigen vWF-Konzentrates für einige Tage sowohl vor als auch nach der Operation. In aktuellen Guidelines1 wird empfohlen, für zumindest drei Tage nach dem Eingriff einen Zielwert der Aktivitätslevel von

Faktor VIII und vWF von > 0,5 IU/ml anzustreben. Darüber hinaus ist eine Langzeitprophylaxe mit Faktorenkonzentraten möglich. Dafür können laut Prof. Streif auch (rekombinante) vWFKonzentrate ohne Faktor VIII empfohlen werden, wenn aus der Patientengeschichte starke und häufige Blutungen ersichtlich sind. Meist wird das Konzentrat dann ein bis mehrmals die Woche EXPERTE: Ao. Univ.-Prof. Dr. gespritzt. Dies können die Patienten Werner Streif nach einer entsprechenden Einweisung Department für Kinder- und Jugendheilkunde, in der Regel zuhause selbst durchführen. Med Uni Innsbruck, Bei Frauen mit von-Willebrand-Syndrom, Tirol Kliniken die unter starken Menstruationsblutungen leiden, bessern sich die Beschwerden oft durch den Einsatz von kombinierten oralen Kontrazeptiva.

X INFO

Erworbenes von-Willebrand-Syndrom

Nur in seltenen Fällen ist das von-Willebrand-Syndrom nicht angeboren, sondern wird erst im Laufe des Lebens erworben. Es kann sekundär auftreten u. a.:

� bei Herzfehlern wie Aortenstenosen, hämato-onkologischen oder Autoimmunerkrankungen; � als Folge bestimmter Medikamente wie mancher Antiepileptika, z. B. dem Wirkstoff Valproinsäure; oder mancher Antibiotika, z. B. dem Wirkstoff Ciprofloxacin.

In der hausärztlichen Sprechstunde können einer erworbenen Blutungsneigung viele Ursachen zugrunde liegen. Die Erhebung einer strukturierten Blutungsanamnese unter Beachtung von Komorbidität und Komedikation sowie eine körperliche Untersuchung sind erste wichtige diagnostische Schritte. Bei der Diagnose „erworbenes von-Willebrand-Syndrom“ profitieren Patienten oft am meisten von einer effektiven Behandlung der Grunderkrankung bzw. einer Umstellung der Medikation.

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Arzneimittelmanagement

Wer das von-Willebrand-Syndrom hat, sollte möglichst keine Medikamente einnehmen, welche die Blutgerinnung hemmen beziehungsweise das Blut verdünnen. Nicht geeignet sind also z. B. der Wirkstoff Acetylsalicylsäure, Wirkstoffe aus der Gruppe der Thrombozytenaggregationshemmer, NSAR oder Clopidogrel. „Paracetamol, Coxibe und Morphinderivate können hingegen bei bestehender Indikation eingesetzt werden“ , so Prof. Streif.

Mag.a Karin Martin

1 Connell NT et al., ASH ISTH NHF WFH 2021 guidelines on the management of von Willebrand disease, Blood

Advances 2021; 5(1): 301-305.

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