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Female Shift Potenziale für eine gleichberechtigte Gesellschaft

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Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert: Frauen dringen vermehrt in einstige Männerdomänen vor und streben nach beruflicher Unabhängigkeit, während Männer mehr Recht auf Zeit mit ihren Kindern bzw. mit der Familie fordern. Die Verschiebung der tradi tionellen Geschlechterrollen in Familie und Beruf, der sogenannte Female-Shift, hat neue gesellschaftliche Realitäten geschaffen. Aber sorgt er auch für die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen?

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Gesellschaftliche Veränderungen

Waren es mit Beginn der 90er-Jahre noch der rechtliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz, neue Betreuungseinrichtungen, Elternzeit und Elterngeld, die dazu beitragen sollten, dass Frauen Familie und Arbeitsleben besser vereinbaren können, ist es heute vor allem die Balance zwischen Karriere und Familie, die zwischen den Geschlechtern neu verhandelt werden muss. Inzwischen verfügen immer mehr Frauen über die Hochschulreife und erzielen dabei durchschnittlich bessere Noten als Männer. Sie wollen wirtschaftlich genauso unabhängig sein wie Männer, werden aber beruflich häufig ausgebremst, weil sie immer noch den größten Anteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit sowie die Pflege von Angehörigen übernehmen ( Care-Arbeit). Zudem verdienen sie ca. 20 % weniger für dieselbe Arbeit (Gender-Pay-Gap) und steigen seltener in die Chefetagen auf. Mag der Female Shift also bereits einen Wandel in der Gesellschaft geschaffen haben, auf politischer Ebene muss es nun im Kern um wirtschaft liche Gleichstellung, berufliche Chancengleichheit und eine Umverteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern gehen.

Rückschritt in alte Rollenmuster

Nun offenbart die Corona-Krise, wie fragil die neuen Geschlechter rollen tatsächlich sind: Durch Kinderbetreuung und Homeschooling werden vor allem Frauen wieder in tradierte Rollenmuster gedrängt. Sie arbeiten häufiger mit reduziertem Stundenumfang, nehmen Urlaub oder eine Auszeit. Die renommierte Soziologin Jutta Allmendinger spricht von einer „entsetzlichen Retraditionalisierung“ mit schwerwiegenden Folgen: „Die ungleiche Arbeitszeit von Männern und Frauen ist einer der maßgeblichen Gründe, warum Frauen ein geringeres Monats-, Jahres- und Lebenseinkommen haben als Männer und somit auch eine wesentlich geringere Altersrente. Daran ändert auch die rentenwirksame Anrechnung von Erziehungszeiten wenig. Niedrige Arbeitszeiten laufen selten auf Führungspositionen hinaus, sie zementieren zudem den hohen Gender-Care-Gap.“

Frauen dringend gesucht

Für Unternehmen bedeutet der „Faktor Frau“ nachweislich einen Zugewinn: Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass ein höherer Frauenanteil in Unternehmen langfristig den Geschäftserfolg erhöht. Und: „Die besten Entscheidungen treffen Führungsteams, in denen Männer und Frauen vertreten sind“, weiß auch Bundesfamilien ministerin Franziska Giffey. Leider bildet Deutsch land mit einer Quote von 30 % Frauenanteil in Aufsichtsräten und Vorständen das Schlusslicht in Europa, weil das entsprechende Gesetz immer noch die schwächsten Vorgaben für seine Umsetzung enthält.

Angriffe des Patriarchats

Echte Gleichstellung hat aber auch noch andere Hürden zu überwinden. Dazu gehören vermehrt antifeministische Angriffe aus nationalkonservativen Parteien wie der AfD, neurechten Strömungen wie Pegida, der „Identitären Bewegung“ sowie aus religiös-fundamentalistischen Kreisen. Für diese Gruppen bilden die tradierte Geschlechterordnung und heterosexuelle Normorientierung die ursprüngliche und somit natürliche Lebensform. Ihre Positionen finden mittlerweile Platz in der politischen Mitte und stärken ohnehin vorhandene patriarchale Strukturen.

Mehr Frauen an der Macht

Umso wichtiger ist es, mit den Gerechtigkeitsbestrebungen in unserer westlichen Welt eine nachhaltige Kraft zu sein, die auch Frauen in fernen Ländern Vorbild ist und Entwicklungsperspektiven schafft. Hoffnung machen da mächtige Frauen wie z. B. US- Vizepräsidentin Kamala Harris, aber auch die Revolutionsführerinnen von Belarus oder die Bewegung Maria 2.0. Es tut not, dass Frauen in Schlüsselfunktionen die Weichen richtig stellen und damit den Weg zu echter Gleichstellung frei machen.

Stimmen des neuen Feminismus in Deutschland

Moderne Feministinnen kämpfen für mehr Selbstbestimmtheit, wirtschaftliche Gleichstellung und Neuordnung der Care-Arbeit. Diese drei engagierten Frauen sollte man kennen:

Margarete Stokowski, Bestsellerautorin („Die letzten Tage des Patriarchats“) und Journalistin, greift in ihrer wöchentlichen Kolumne auf spiegel.de gesellschaftlich relevante Frauenthemen auf.

Tijen Onaran, Bestsellerautorin („Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“), setzt sich international für Digitalisierung und Sichtbarkeit von Frauen in der Wirtschaft ein. Ihr Motto: „Ohne Diversität keine Digitalisierung!“

Teresa Bücker wurde als Journalistin des Jahres 2019 für ihre Analysen rund um Feminismus und Anti-Rassismus ausgezeichnet. Seit 2019 schreibt sie die Kolumne „Freie Radikale“ für das Süddeutsche Zeitung Magazin.

Buchtipp

Sichtbarkeit in einer digitalen Welt – Ein aktueller Ratgeber für das Branding von morgen.

Tijen Onaran Nur wer sichtbar ist, findet ... Goldmann, 256 Seiten, brosch. 12,- € (D), 12,40 € (A) ISBN 978-3-442-17867-4

Buchtipp

Stokowskis Texte helfen Frauen, mutig Haltung zu zeigen, ohne den Humor zu verlieren.

Margarete Stokowski Die letzten Tage des ... Rowohlt, 320 Seiten, brosch. 12,- € (D), 12,40 € (A) ISBN 978-3-499-60669-4

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