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Fußball

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Gedanken zum Beginn des neuen Jahres

„Man kommt geimpft auf die Welt. Man kommt auf die Welt und ist von da an und zeitlebens geimpft mit Grundrechten. Man hat sie von Anfang an. Man hat sie, weil man Bürgerin oder Bürger ist, man hat sie, weil man Mensch ist.“

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(Heribert Prantl)

Der renommierte Journalist Prantl hat mich am Anfang des neuen Jahres, mit dem wir in das dritte Jahr des Lebens mit der Pandemie einbiegen, daran erinnert, dass wir alle zunächst Menschen sind. Egal, ob wir nun Novak Djokovic, Reem Khamis, Uwe Seeler, Kamala Harris, Olaf Scholz, Katharina Fegebank, Karl Geiger, Svenja Busies, Putin, Lieschen Müller oder Claus Ritter heißen: wir sind mit den Grundrechten geimpft. Niemand kann und darf sie uns nehmen. Sie sind Grundlage des demokratischen Zusammenlebens – auch in Krisenzeiten.

Die ganze Menschheit war im vergangenen Jahr von dem Virus gebeutelt, das alle vor ein großes Problem stellte, das wir aber so unterschiedlich, wie die Welt nun einmal ist, zu lösen versuchen. Die tägliche Bekanntgabe der Zahlen bei uns – Inzidenzen, Sterbefälle, Geimpfte – macht uns bewusst, dass Corona wohl nicht zu beseitigen ist. Wie aber können wir mit Corona leben? Können 2022 noch Lockdown, Impfpflicht, Quarantäne, Geisterspiele im Sport, Trainingsverbote für Mannschaften, Online-Kulturveranstaltungen und -Sitzungen als angemessene Reaktionen gelten? Viele bezweifeln das, andere fordern ein strikteres Vorgehen. Alle aber leiden unter dem grassierenden Virus, von dem niemand weiß, wann es sie oder ihn und mit welchen Folgen erwischt. Und was geschieht derweil den Grundrechten? Geben wir sie her, Stück für Stück? Oder müssen sie nicht die Art des Umgangs mit der Pandemie vorgeben? Niemand kann auf Dauer auf den Kontakt zu anderen Menschen verzichten, ohne an der Seele krank zu werden. Niemand bleibt lebendig, der sich nicht den eigenen Möglichkeiten gemäß bewegen kann. „Bewegung schadet nur dem, der keine hat“, hat mir meine Mutter immer gesagt, wenn ich meiner Faulheit freien Raum lassen wollte. Und heute sind da so viele Menschen, die sich bewegen wollen, aber große Schwierigkeiten haben, dieses innerhalb der Regelgrenzen zu tun.

Im letzten – wie in allen Jahren vorher auch – sind Menschen nicht nur an oder mit Corona gestorben. Der Tod hat menschliche Beziehungen z.T. abrupt beendet. Wie oft ist die Liebe da ins Leere gelaufen?! Ist nicht gerade der liebevolle Umgang miteinander ein wesentliches Grundrecht? Wer sich aus Furcht vor einer Ansteckung nicht mehr aus der Wohnung traut oder an Gemeinschaftsveranstaltungen nicht teilnehmen kann, weil sie abgesagt sind, wird einsam. Das dürfen wir nicht zulassen!

Selbst in der lähmenden Krise setzt die Liebe neue Kräfte frei. So wünscht sich der katholische Theologe Fulbert Ste ensky, dass nicht die Vorsicht, sondern die Sorge die Liebe behütet: „Die Sorge lehrt mich, die Wehrlosen zu schützen.“ Die Liebe ist der Motor für das Zusammenleben der Menschen untereinander und auch mit der sie umgebenden Natur. In seinem aktuellen Buch „Wer wird überleben?“ schlägt der Biologe Lothar Frenz vor, dass wir die Chance der Krise für ein neues Selbstbild nutzen sollten: der Mensch als homo parasiticus, der den anderen oder das andere stetig unterstützt und fördert, weil er daraus das eigene Leben gewinnt. Das könnte uns ebenso aus den anderen Krisen leiten, die die Menschheit heute umtreiben. Die Fähigkeit zu lieben stirbt nicht. // Jürgen F. Bollmann, Propst i.R.

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