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Grosse
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Hände,
tannige
Von KARIN DEHMER (Text)
Geht es um meine Grosseltern, erzähle ich am liebsten von meinem Grossvater mütterlicherseits. Er ist 1945 an plötzlichem Herzversagen gestorben, ich habe ihn also nie kennengelernt. Dennoch fühle ich eine grosse Verbindung zu ihm und glaube, dass sich ein Teil seiner Persönlichkeit auf mich übertragen hat. Meine Grosseltern bauerten am Jüra-Südfuss. Der «Giigehof» heisst noch heute so
Hosen
Der Grossvater von Bergsteigerin Evelyne Binsack hat im 2. Welt krieg zwei russische Fallschirm jäger versteckt. Die mutige Tat prägt seine Enkelin bis heute.
und entstammt der Herkunft meiner Vorfahren – Fahrende und Musiker, die sich vor über 400 Jahren unterhalb des Balmbergs niedergelassen haben. Heute wird der Hof von meinem Cousin Herbert betrieben. Der Bauernhof war während meiner Kindheit ein Ort, den ich liebte und von dem ich sehr viele schöne Erinnerungen in mir trage, auch als meine Grossmutter noch lebte. Grossmutters Mann, mein Grossvater Emil, griff Ende 1944 zwei russische Fallschirmspringer auf, die statt in Deutschland im Kanton Schaffhausen gelandet waren und in der Folge durch den Norden unseres Landes irrten. Wie es zur Begegnung zwischen Grossvater und den Soldaten kam, weiss ich nicht. Er versteckte die beiden in seiner Alphütte. Zu Hause sagte er nichts, packte aber immer viele Esswaren ein, worüber sich Grossmutter der Legende nach schon wunderte. Glücklicherweise erzählte Grossvater einem einzigen Freund von den beiden Soldaten, denn im Februar 1945 erlitt er völlig unerwartet einen Herzinfarkt und starb. Er war 66 Jahre alt. Für meine Mutter, die damals 18 war, ein Weltuntergang. Sie hat sehr an ihrem Vater gehangen. Obwohl sie sich immer auch ein wenig für sein bäurisches Auftreten, die grossen Hände und die «tannigen» Hosen geschämt hatte. Nach Grossvaters plötzlichem Tod nahm sich sein Freund bis zum Kriegsende im September 1945 der beiden Russen an. Die zwei blieben im Dorf und liessen sich schliesslich in der Schweiz nieder. Es gibt also Nachfahren der beiden, die hier leben, weil mein Grossvater den Mut hatte, sie zu verstecken. Meine Mutter hat mir die Geschichte mehrmals erzählt und ich hörte ihr jedesmal fasziniert zu. Grossvaters befreiter Geist, seine Menschlichkeit machen mich bis heute stolz. Er ist für mich ein Vorbild. Was meine Grosseltern väterlicherseits betrifft, so liegt vieles im Dunkeln. Grossvater Marcel kam im Emmental als vermutlich uneheliches Kind zur Welt. Er wurde als Baby vom Ehepaar Binsack in Bern adoptiert. Mein nicht leiblicher Urgrossvater Binsack war ein Kürschner aus Deutschland, der durch diese Adoption das Schweizer Bürgerrecht erlangte. Grossvater wuchs # 04 ~ 2021
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1 Grossmutter mütterlicherseits, Anna. 2 Das grosse Vorbild: Grossvater mütterlicherseits, Emil. 3 Der Adoptivvater von Evelyne Binsacks Vater, Grossvater Marcel Binsack.