Gedenkansprache von Johann Steiner
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Gedenkansprache von Johann Steiner groĂvater hat den ersten Winter nicht ĂŒberlebt. Seit jenem Verschleppungstag stand fĂŒr Hansi fest: In diesem Unrechtsstaat will er nicht alt werden. Sein Vorhaben hat er 1963 verwirklicht: Mit 21 ist er geflĂŒchtet, was er nie bereut hat. Aus dem Treffen von DĂŒsseldorf ist allmĂ€hlich eine Freundschaft erwachsen. Noch in DĂŒsseldorf habe ich Hansi Schmidt zur Mitarbeit an einer HandballGeschichte gewonnen, die gut ein Jahr spĂ€ter mit einem Geleitwort aus seiner Feder erschienen ist. Gut zwei Jahre spĂ€ter haben wir seine Biographie herausgebracht. Ganz unbescheiden möchte ich sagen, einen besser verfassten Lebenslauf eines Handballers gibt es bis heute nicht. Doch diese Freundschaft ist auch das einzig Gute, das die Verbannung mir und meiner Familie beschert hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren,
WĂ€hrend der Ansprache von Johann Steiner auf dem Karlsruher Hauptfriedhof am 25.06.2011 anlĂ€Ălich der Gedenkveranstaltung â60 Jahre Verschleppung aus dem Banat in die BÄrÄgansteppe 1951- 1956â
Gedenkansprache von Johann Steiner vor dem Vertriebenendenkmal in Karlsruhe Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns hier versammelt, um einem Teil der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in RumĂ€nien zu gedenken. 60 Jahre sind seit der BÇrÇgan-Deportation vergangen, sechs Jahrzehnte, seit die rumĂ€nischen KommuÂnisten mehr als 40.000 Personen aus einem 25 Kilometer breiten Korridor entlang der serbischrumĂ€nischen Grenze in die Donautiefebene nahe dem Schwarzen Meer verbannt haben. Mehr als die HĂ€lfte der Verschleppten waren Deutsche. Einige von ihnen haben ihre ewige Ruhe auf diesem Friedhof gefunden, Jahre, nachdem sie die Freiheit erlangt hatten. Die zweitgröĂte Gruppe unter den Deportierten stellten die RumĂ€nen aus Bessarabien, die vor Stalin westwĂ€rts geflĂŒchtet waren, es folgten Mazedo-RumĂ€nen, die aus Bulgarien stammten. Mit rund 1000 Personen waren die Serben vertreten. Aber vereinzelt waren auch Ungarn, Bulgaren, TĂŒrken und selbst Juden verschleppt worden. Nach Auslegung der Kommunisten waren sie mögliche Tito-Kollaborateure und Gegner der Kollektivierung der Landwirtschaft. Zur Erinnerung: Der Konflikt des jugoslawischen Staatschefs mit Stalin im Bestreben nach UnabhĂ€ngigkeit hatte seinen Höhepunkt erreicht.
Nach mehr als fĂŒnf Jahren durften die Verbannten in ihre Heimatorte zurĂŒckkehren, sofern diese nicht auĂerhalb der rumĂ€nischen Grenzen lagen. Es war ein barbarischer Akt: Zehntausende von Menschen wurden auf freiem Feld ausgesetzt und ihrem Schicksal in der unwirtlichen Donautiefebene ĂŒberlassen. Nicht alle haben den ersten bitterkalten Winter in der Steppe ĂŒberlebt. Ihre GrĂ€ber, aber auch die der spĂ€ter gestorbenen sind lĂ€ngst verschwunden. Auch ich gehöre zu den Verschleppten. Als solcher habe ich erfahren, dass die Deportation auch noch nach 50 Jahren ihre Auswirkungen haben kann. 2001 habe ich in DĂŒsseldorf als Referent an einer Gedenkveranstaltung teilgenommen. Der Zufall hat mich dabei mit keinem geringeren als dem berĂŒhmten Marienfelder Handballspieler Hansi Schmidt zusammengefĂŒhrt. Hansi, der den VfL Gummersbach in den 60er und 70er Jahren zum weltbesten Handball-Klub gemacht hat, war nach DĂŒsseldorf gekommen. Das Thema Deportation hat ihn schon seit dem 17. Juni 1951 beschĂ€ftigt und bewegt. Auch seine GroĂmutter war zusammen mit anderen Familienangehörigen in die Donautiefebene verschleppt worden. Sein Ur-
ich möchte Ihnen kein weiteres trockenes Zahlenmaterial prĂ€sentieren. Der wissenschaftliche Teil zu diesem Thema folgt heute nachmittag auf einer Tagung, zu der Sie herzlich eingeladen sind. Ich möchte Ihnen das Thema BÇrÇgan-Deportation anhand meiner eigenen Geschichte nĂ€her bringen. Die Geschichte habe ich betitelt: Wie dem Hund im Brunnen. Hier meine Geschichte: Von der Zeit vor InsuraĆŁei ist Johannes recht wenig in Erinnerung geblieben. Im letzten Winter daheim, in der Banater Heide, ist er einmal Schlitten gefahren. Zigeuner-Hansi, Soffis Sohn, hat ihn gezogen. FĂŒnf Jahre spĂ€ter haben sich die beiden wieder gesehen. Auch vom Bahnhof, auf dem sie drei Tage lang lagerten, ist ihm eine Szene im GedĂ€chtnis geblieben: Er hatte sich am linken Daumen beim Spiel verletzt. Vater hat ihn zum Stationschef gebracht und ihm den Daumen mit einer brennenden FlĂŒssigkeit gereinigt und verbunden. Es schmerzte, das weiĂ er noch. Am Daumen ist eine Narbe zurĂŒckgeblieben, heute, 60 Jahre danach, noch sichtbar. Drei lange Tage dauerte die Fahrt mit dem Viehwaggon 800 Kilometer ostwĂ€rts, erzĂ€hlt Mutter. Doch davon ist Johannes nichts haften geblieben. âMit ein paar HĂŒhnern, einem Schwein, einem Pferd und ein paar alten Möbeln sind wir dem Ungewissen entgegengefahren, im selben Waggonâ, sagt Mutter. Nach drei Tagen hat der Zug auf freiem Feld gehalten. Lastwagen und Pferdefuhrwerke standen bereit. Polizei war anwesend.
2 âUmladenâ, sagte einer der blau Uniformierten. Der Reihe nach ging es zehn Kilometer weit weg von der Bahnlinie. âWir waren nicht gleich dranâ, sagt Mutter, âdoch Hans Quinkert gehörte zu den ersten, die sich die Stelle angesehen haben, wo wir einmal hinkommen solltenâ. Bevor er losgefahren ist, hat ihm Mariann, seine Frau, mit auf den Weg geben: âDass du mir es nicht unter zwei Zimmern und KĂŒche tustâ. Als Hans zurĂŒck war, sagte er: âMariann, Platz genugâ. âMariann Quinkert hatte gedacht, wir werden in HĂ€user einquartiert, wie die Kolonisten, die sie uns daheim in die HĂ€user gesetzt hattenâ, erzĂ€hlt Mutter. Hans hatte mit den wallachischen Helfern abgeladen. Alles war rasch platziert, denn sein neues Heim war unter einem wolkenlosen, blauen Juni-Himmel mitten in einem Weizenfeld. Ein abgestecktes GrundstĂŒck, kein Brunnen, und doch hat sich Hans so gefĂŒhlt wie der Hund im Brunnen. Er fĂŒhlte sich dem Ertrinken nah und sah kein Entrinnen. âNur der Galgenhumor ist ihm gebliebenâ, sagt Mutter. Aus dem ersten Sommer in InsuraĆŁei erscheinen Johannes immer wieder ein paar unvergessliche Bilder. Er weiĂ noch, wie Vater und die beiden GroĂvĂ€ter das Loch ausgehoben, SchrĂ€nke in die vier Ecken gestellt und mit einer Plane ĂŒberspannt haben. Dort sind alle untergekommen, Mutter, die GroĂmĂŒtter und UrgroĂmutter. âEines Tages ist einer der neuen Herren gekommenâ, erzĂ€hlt Mutter, âhat auf die in den Boden gerammten Pflöcke gezeigt und gesagtâ: »Hier mĂŒsst ihr HĂ€user bauen, bis zum Herbst mĂŒssen sie fertig sein«. âKeiner wollte das glauben, was der Parteimann gesagt hatâ, erzĂ€hlt Mutter. Ein paar Tage darauf ist er noch einmal gekommen: âIhr mĂŒsst zu bauen beginnen, es ist ernstâ. Die MĂ€nner haben zögernd zu Spaten und Schaufel gegriffen, haben Erde ausgehoben, mit Wasser und Stroh zu einem Lehmbrei vermischt, das ganze barfuĂ getreten und mit dem Brei Hausmauern gestampft. Holz fĂŒr den Dachstuhl haben die neuen Herren bringen lassen. Dann ist der Tag gekommen, an dem Johannes bitter geweint hat. Der Dachstuhl war aufgesetzt, die Sonne brannte bitter, wie sie es nur in dieser Gegend unweit des Schwarzen Meeres tut. Vater und die beiden GroĂvĂ€ter hatten die drei mitgebrachten Pferde vor die Wagen gespannt. Johannes wollte mitfahren. Jemand, es war Toni BeiĂer, der Nachbar, hatte die Idee. Ein Korb war mit einem Bindfaden an den Wagen befestigt, Johannes und der Nachbarjunge in den Korb gesetzt worden, mit dem Versprechen, sie dĂŒrf-