Baum, Amerikanische Märchen,Leseprobe, GolubBooks

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GolubBooks Edition Green Gables Band 10


Lyman Frank Baum

Amerikanische M채rchen Aus dem Amerikanischen von Tamara Golubovic, Stephanie Hauser und Linda Sch채dler

GolubBooks


Lyman Frank Baum, Amerikanische Märchen Deutschsprachige Ausgabe © 2015 GolubBooks, Karlsruhe Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „American Fairy Tales“, George M. Hill Company:Chicago, 1901. Übersetzung: Tamara Golubovic, Stephanie Hauser und Linda Schädler Lektorat: Martina Leiber Logo: V-print B.V., Niederlande Umschlagillustration: © jossdiim - Fotolia.com Covergestaltung und Satz: BGV, Karlsruhe Druck: WmD GmbH, Backnang, DE ISBN 978-3-942732-06-2 www.golub-books.de

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Inhalt

Eine Kiste voller Räuber

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Der gläserne Hund

23

Die Königin von Quok

39

Das Mädchen, das einen Bären besaß

56

Die verzauberten Buchstaben

70

Das lachende Flusspferd

82

Die magischen Bonbons

98

Das Festhalten von Väterchen Zeit

110

Die wunderbare Pumpe

124

Die Schaufensterpuppe, die zum Leben erwachte

141

Der König der Eisbären

155

Der Mandarin und der Schmetterling

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Eine Kiste voller Räuber

Niemand hatte beabsichtigt, Martha an diesem Nachmittag allein zu lassen, aber es geschah nun einmal, dass alle aus dem einen oder anderen Grund außer Haus gingen. Mrs. McFarland wohnte der Kartenspielrunde bei, die jede Woche von der Frauen-Anti-Glücksspiel-Liga ausgerichtet wurde. Schwester Nells war von ihrem Freund recht unerwartet auf eine Spazierahrt mitgen mmen rden a a ar ie blich im r nd es ar ar nns reier Tag as meline angeht sie hätte sicherlich zuhause bleiben und nach dem kleinen Mädchen schauen sollen, aber Emeline war von ruhelosem Charakter.

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„ rde es Ihnen et as ausmachen, iss, enn ich kurz au der anderen Straßenseite mit Mrs. Carletons Dienstmädchen laudere?“ „Nat rlich nicht“, ant rtete das Kind „Schließ aber besser die Hintertür zu und nimm den Schlüssel mit, ich bleibe nämlich ben im ersten St ck “ „Oh, das erde ich nat rlich tun, iss“, sagte das reudestrahlende Dienstmädchen, machte sich auf, um den Nachmittag mit ihrer Freundin zu verbringen, und ließ Martha ganz allein im großen Haus, zu allem Übel auch noch eingesperrt. Das kleine Mädchen las ein paar Seiten in dem neuen Buch, machte ein paar Stiche an seiner Näharbeit und fing an, mit seinen vier Lieblings u en „Leute besuchen“ zu s ielen Dann erinnerte es sich, dass auf dem Dachboden schon seit Monaten ungenutzt ein Puppenhaus herumstand, und entschied sich, es abzustauben und auf Vordermann zu bringen. Von dieser Idee begeistert, erklomm das Mädchen die Wendeltreppe hinauf zu dem großen Raum unter dem Dach. Er war hell erleuchtet von drei Dachfenstern, warm und angenehm. An den Wänden standen reihenweise Kisten und Truhen, Stapel mit alten Teppichen, beschädigtes Mobiliar, Bündel ausgemusterter Kleidung und anderer Trödel von größerem oder geringerem Wert. Jedes gut geführte Haus hat einen Dachboden dieser Art, daher muss ich ihn wohl kaum beschreiben. Das Puppenhaus war weggeräumt worden, aber Martha suchte und fand es schließlich in einer Ecke neben dem großen Schornstein. 8


Sie zog es hervor und bemerkte, dass dahinter eine schwarze Holztruhe stand, die Onkel Walter vor etlichen Jahren aus Italien geschickt hatte, sogar noch bevor Martha geboren worden war. Mama hatte ihr eines Tages erzählt, dass es dazu keinen Schlüssel gab, weil Onkel Walter wollte, dass sie verschlossen blieb, bis er zurückkehrte, und dass dieser wanderlustige Onkel, der ein großer Jäger war, nach Afrika gegangen war, um Elefanten zu jagen, und man seitdem nie wieder etwas von ihm gehört hatte. Das kleine Mädchen betrachtete die Truhe neugierig, jetzt, da sie schon ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Sie war ziemlich groß s gar gr ßer als amas eisetruhe und war von oben bis unten übersät mit angelaufenen Messingnägeln. Sie war auch schwer, denn als Martha versuchte, sie an einer Ecke anzuheben, stellte sie fest, dass sie sich kein Stück bewegen ließ. Aber an der einen Seite des Deckels entdeckte sie ein Schlüsselloch. Sie beugte sich vor, um das Schloss zu begutachten, und sah, dass es eines ziemlich großen Schlüssels bedurfte, um es zu öffnen. Wie man annehmen kann, reizte es das kleine Mädchen, Onkel Walters große Kiste zu öffnen und zu sehen, was sich darin befand. Denn wir sind alle neugierig, und kleine Mädchen sind genauso neugierig wie wir alle. „Ich glaube nicht, dass Onkel alter je zur ckk mmen ird“, dachte sie, „ a a hat mal gesagt, dass er ahrscheinlich v n Elefanten getötet wurde. Wenn ich doch nur einen Schlüssel hätte “ Sie hielt inne und klatschte reudig in die Hände, als 9


sie sich an einen großen Korb voller Schlüssel auf dem Regal im Wäscheschrank erinnerte. Es gab welche von jeder Sorte und Größe. Vielleicht konnte sie mit einem von ihnen die mysteriöse Truhe öffnen! Sie huschte die Treppe hinunter, fand den Korb und kehrte damit zum Dachboden zurück. Dann setzte sie sich vor die messingverzierte Kiste und begann, einen Schlüssel nach dem anderen in dem seltsamen alten Schloss auszuprobieren. Manche waren zu groß, aber die meisten zu klein. Einer passte ins Schloss, ließ sich aber nicht umdrehen; ein anderer steckte so fest drin, dass sie für einen Moment fürchtete, sie würde ihn nie mehr herausbekommen. Aber zu guter Letzt, als der Korb schon beinahe leer war, passte ein seltsam geformter alter Messingschlüssel ganz leicht in das Schloss. Mit einem Freudenschrei drehte Martha den Schlüssel mit beiden Händen, dann hörte sie ein lautes Klicken, und im nächsten Augenblick sprang der schwere Deckel von ganz alleine auf. Das kleine Mädchen lehnte sich über den Rand der Truhe, doch der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie vor Überraschung zurückzucken. Langsam und vorsichtig wand sich ein Mann aus der Truhe, stieg heraus, streckte seine Glieder, nahm seinen Hut ab und verbeugte sich höflich vor dem erstaunten Kind. Er war groß und dünn und sein Gesicht war stark gebräunt, fast sonnenverbrannt.

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Dann tauchte ein zweiter Mann aus der Truhe auf, gähnte und rieb sich die Augen wie ein schläfriger Schuljunge. Er war von mittlerer Statur und seine Haut war so stark gebräunt wie die des ersten. Während Martha ob dieses erstaunlichen Anblicks mit offenem Mund dastand, krabbelte ein dritter aus der Truhe. Er hatte dieselbe Hautfarbe wie seine Vorgänger, war aber klein und dick. Alle drei waren sonderbar angezogen. Sie trugen kurze rote, mit Gold verzierte Samtjacken und himmelblaue SatinKniehosen mit silbernen Knöpfen. Über ihren Strümpfen trugen sie rote, gelbe und blaue Bänder, während ihre Hüte eine breite Krempe mit hoher Spitze hatten, von der meterlange helle Bänder flatterten. Sie trugen große Goldringe in den Ohren und zahlreiche Messer und Pistolen am Gürtel. Ihre Augen waren schwarz und funkelten und sie trugen lange, modische Schnurrbärte, die sich an den Enden ringelten wie Schweineschwänze. „ eine G te, ihr art aber sch er!“, rie der Dicke, der seine Samtjacke ausgezogen und den Staub von seinen himmelblauen Knieh sen gesch ttelt hatte „Ihr habt mich ganz zerdr ckt “ „Das ar nicht zu vermeiden, Lugui“, ant rtete der D nne gutm tig, „der Deckel der Truhe drückte mich auf dich. Nichtsdest eniger bedauere ich das sehr “

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Lyman Frank Baum wurde 1856 in Chittenango geboren und starb 1919 in Los Angeles. Sein beliebtestes Werk ist der Kinderbuchklassiker „Der Zauberer v n Oz“, mit dem er ein Land erschuf, das etlichen weiteren Geschichten und Romanen einen beeindruckenden Schauplatz bot. Baum hatte sich in der Schmierölherstellung, Hühnerzucht und im Verlagswesen versucht, bevor er bemerkte, dass sein wahres Talent in den Geschichten zu finden war, die er seinen Kindern abends erzählte. Daraufhin begann er seine Geschichten zu Papier zu bringen, um sie auch anderen Kindern zugänglich zu machen.