Srđan Srdić
Espirando Gesänge vom Tode Aus dem Serbischen von Slavica Stevanović
GolubBooks
Srdjan Srdić, Espirando Deutschsprachige Ausgabe © 2016 GolubBooks, Karlsruhe Übersetzung: Slavica Stevanović Lektorat: Martina Leiber Originalausgabe - Espirando:
© Srđan Srdić Književna radionica Rašić
German edition published by arrangement with Agentia literara Livia Stoia Logo: V-print B.V., Niederlande Umschlagillustration: Sergey Nivens Autorenfoto: Miloš Lužanin Covergestaltung: Benjamin Alt, Tamara Golubović Satz: BGV, Karlsruhe ISBN 978-3-942732-22-2 www.golub-books.de
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
INHALT
Stechm端cken
7
Graues, d端steres Etwas
33
Aus Anlass des Todes des Besten unter uns
41
Medicine
58
Nachtjournal
71
Das Ungl端cksspiel
89
Eine Rose f端r Emily
103
Zozobra
121
Slow divers
131
STECHMÜCKEN
I had a dad, he was big and strong (Perry Farrell)
203: Raid wirkungslos. Autan wirkungslos. Nichts hilft. Gar nichts. 201: Sanfte Stimmenharmonien. Das Meer. Eine harmonische Strandmatte für die strotzende Sonne. Der Hodscha heult voller Inbrunst. Ich höre ihn auf genau diese Weise, wie eine Threnodie. Sony Ericsson T230 zeigt 05:01 Uhr an. Ganze Stechmückenschwärme haben sich aus dem dreckigen Tümpel erhoben und bohren sich die ganze Nacht über in meinen Bauch hinein. Ich habe nicht einmal versucht, sie zu töten. Nichts schafft Abhilfe. Absolut gar nichts. 203: Bereits seit dem ersten Tag kotzten sie mich an. Diese lachenden Fressen, diese aufdringliche Freundlichkeit – all das ist unnatürlich. Sie stinken, ich behaupte fest, dass sie stinken, habe aber in keinem Internetforum einen solchen Eintrag gefunden, und was nun? Was nun? Zwei Wochen lang im Gestank. Sie schreien lautstark, rufen einem hinterher, my friend, ach, leck mich doch am Arsch, ich bin nicht dein Freund. 7
201: Der Mann aus dem Zimmer nebenan sieht bedrückt aus. Bereits auf dem Weg hierher ist mir aufgefallen, dass er seine Frau nie anschaut, während er mit ihr spricht. Heute Morgen hat er die Kinder zum Strand gebracht und dabei seinen Sohn brutal verprügelt. Er trat mit Füßen nach ihm und verpasste ihm mehrere Schläge mit den Badelatschen. Der Junge hat sich ein Gummikrokodil gewünscht, das völlig verstaubt vor dem kleinen Laden vor sich hingammelte; ich versuchte, ihm auf die Beine zu helfen, so wie er da lag – zusammengekrümmt und gegen den Drahtzaun der exklusiven Strandappartements gepresst. Er biss mich, spuckte mich an und lief allein weiter. Ich beobachtete das Mädchen, wie es beschämt die schwere Tasche mit Handtüchern und Essen aufhob und ihm folgte. Ich wünschte, ihr Name wäre Angela. Durch die betörende Gluthitze warf ich ihr diesen Namen zu. Ich traf sie nicht. Auf dem lädierten Blechschild vor dem Laden steht „Mert Market“. Mert, Mort … Ich suche nach einer gemeinsamen Wortwurzel. Vielleicht ist es der Laden des Todes, der Markt des Todes, der Tod … Gibt es demnach auch Tode von unterschiedlicher Qualität? Was ist der Preis des Todes? Womit kaufen wir ihn für uns selbst? Dieses Mert quietscht sicherlich, während sie es aussprechen. Durch die Kiefernzweige reiben die Strahlen der wütenden Sonne den nackten Rücken des gekrümmten Mädchens. Ich wünschte, sie alle würden Angela heißen. Sie alle. 203: Am Strand ist es wunderschön. Wellen, Meeresunkraut, Schiffsabfälle, ein Typ, der ein Kamel hinter sich herzieht und 5 Lira verlangt, um ein Foto mit dem Tier zu machen, ein Kamel, das übelst mieft und dem Typen hinterhertrot8
tet, der unter dessen After einen Beutel gehängt hat, damit es nicht am Strand herumscheißt und -pisst, Halunken, die Maiskolben stehlen, sie dann grillen oder in irgendwelchen Hexenkesseln kochen und anschließend für 2 beschissene Lira verkaufen, ein sabbernder Türke mit steinharten Gebäckkringeln, die bei ihm das Dreifache des Ladenpreises kosten, ein dicker Schuft mit einem Ding auf seinem Kopf – darin wohl Miesmuscheln –, der irgendwas Unverständliches schreit, eine Schwuchtel mit glatt rasierten Beinen, die mir Tag für Tag 5 Euro für die klapprigen Strandliegen mit den modernden Sonnenschirmen abknöpft, ununterbrochen Vera anlächelt und sie mit Geschichten über Marmaris belämmert, wo er angeblich fünf Jahre lang gearbeitet hat, und wennschon – das geht mir doch am Arsch vorbei, ich habe die Schnauze voll von Zigeunern und Straßenpropheten, dann sind da auch noch ein paar dumme Tussen aus dem Süden Serbiens auf der Suche nach Paarungspartnern, eine hässlicher als die andere – selig seien ihre retardierten Eltern –, dann zwei, drei betrunkene Türkinnen, die einfach nur daliegen, billiges türkisches Bier bestellen und irgendwelche Scheiße mit Tomaten verschlingen – eine von ihnen hat erst vor ein paar Tagen ins Meer gekotzt, anschließend ihr Gesicht darin gewaschen und ist an den Strand zurückgekommen, freudestrahlend, als wenn nichts gewesen wäre, des Weiteren eine Belgrader Schlampe mit ihrem wackelnden Arsch vor den Augen des beleibten, schwachsinnigen, gut betuchten Typen und seiner antipathischen Spezis, die ihre dicken Köpfe im Rhythmus der Musik für allerhand Päderastie schwingen, die Angehörigen der Al-Qaida samt ihren mit glitzernden Fummeln vermummten Frauen, die ihnen Allah selbst geschickt hat, damit sie sich so in diesem Sumpf waschen können. Alles ist super. Ich bin begeistert. 9
Das Leben ist schön. Die Sonne scheint uns. Und jeden Tag blüht der Flieder. 201: Ich habe geträumt, dass ich nach dem Regen Blumen berühre. Der Traum duftete. 203: Ein zwielichtiger Glatzkopf kam gestern verschwörerisch auf mich zu und teilte mir mit, dass in seinem Restaurant die Preise für die Serben weit niedriger seien als die für die Irish people. Ich fragte ihn, wie denn bei ihm die Preise für die Hunde seien. Er musterte uns aufmerksam und fragte dann: Aber, mein Herr, wo ist denn Ihr Hund? 201: Der Junge, der für die Strandliegen kassiert, erklärt mir jeden Morgen, dass ich sein erster Kunde sei und dass es von mir abhänge, ob sein Arbeitstag von Glück gekrönt werde. 203: Vera sagt, lass uns zum Long Beach gehen. Was ist das denn für ein Scheiß – als ob wir in Miami wären. 201: Der einfältige Strandkehrer hat sein eigenes Ritual. Er geht bis zur Schulter ins Meer hinaus und klatscht dann mit beiden Händen auf die Wasseroberfläche. Von Zeit zu Zeit taucht er auch sein Gesicht unter Wasser. Ununterbrochen singt er das gleiche Lied. Nur Aaaaaaaaa, nur das höre ich. Er simuliert. Er will uns davon überzeugen, dass er schwimmen kann. Wahrscheinlich machen wir alle das Gleiche. Nur, dass seine Simulation von der künstlerischen Aussage her weitaus gelungener ausfällt. 203: Auf den dicken Kissen voller Sand lümmelte eine betagte Engländerin. Regungslos. Stundenlang. Ich dachte schon, 10
sie sei gestorben und ich wäre der Einzige, dem das aufgefallen ist. Ich lächelte selbstzufrieden. Am Ende stand sie dann doch auf. 201: Ich ergriff den bunten Ball und warf ihn der unansehnlichen jüngeren Frau zurück. Sie kommt aus Serbien. Nach tagelangem Schweigen fällt mir das Sprechen schwer. Sie habe über einen Chatroom einen Brasilianer kennengelernt, der im Hotel „Fantasia“ angestellt ist. Sie sei nur seinetwegen hergekommen, sie sagt, sie liebt ihn. 203: Alle normalen Männer haben Sommerurlaub für ihre Frauen und Kinder gebucht. Um sie damit zu überraschen. Ich kann dieses Jahr leider nicht mit, Schatz, die Arbeit, du weißt, es ist für Kinder so wichtig, dass zumindest sie am Meer sind – wegen der Gesundheit, weißt du, einen schönen Urlaub wünsche ich euch. 201: Ich sehe alles. Die junge Frau mit einem Katheter am Bein. Die Greisin mit zerfressenem Gesicht, mit Nahtstellen zwischen den kaum behaarten Schädelknochen, wie sie ihre durch Ausschlag entstellte Brust von der Sonne braten lässt. Den rasierten Fettbauch des feisten Schotten, gegen den das lächelnde Gesicht eines türkischen Jungen gepresst ist. Ich habe Angst. Es ist eine Krankheit. 203: Ich werde es ihm sagen. Vera! Vera! Vera! Er wälzt meinen Namen im Mund zwischen den braun verfärbten Zähnen. Er zermalmt ihn. Gestern Abend ist er irgendwohin verschwunden und ich habe mich übergeben. Ich werde es ihm sagen, jetzt weiß ich es. Jetzt bin ich mir sicher. 11