LOTHAR MÜLLER: Die undifferenzierte Angst vor dem Internet Wer Google und Raubkopierer fürchtet, darf „Open Access“ beim wissenschaftlichen Publizieren nicht verteufeln Süddeutsche Zeitung 2. Mai 2009
Innerhalb eines kurzen Zeitraums hat der von dem Philologen Roland Reuß initiierte „Heidelberger Appell“ mit seiner Parole „Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte" über 1300 Unterzeichner versammelt. Prominente Autoren wie Hans Magnus Enzensberger, Daniel Kehlmann und Brigitte Kronauer, die Präsidenten der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und der Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, wissnschaftliche Autoren wie Michael Hagner und Hans-Ulrich Wehler, Verleger und Publizisten wie Michael Naumann und Michael Krüger haben damit nicht nur Protest eingelegt gegen „die nach deutschem Recht illegale Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke geistigen Eigentums auf Plattformen wie GoogleBooks und You-Tube". Sie haben zugleich der „Allianz deutscher Wissenschaftsorganisationen", also der Humboldt-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem DAAD, der Fraunhofer-, der Max-Planck- und der HelmholtzGesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Hochschulrektorenkonferenz und dem Wissenschaftsrat vorgeworfen, diese Institutionen propagierten mit ihrer OpenAccessinitiativen und Digtalisierungsprojekten „weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreihit, deren Folgen grundgesetzwidrig wären". Das ist nicht eben zurückhaltend formuliert. Es rückt die deutschen Wissenschaftsinstitutionen als nationale Bedrohung, als staatliche Zwangs-Digitalisierung an die Seite des international agierenden kommerziellen USInternet-Unternehmens Google. Diese Koppelung ist fatal für die Debatte über das Urheberrecht. Denn sie zwingt in einem Assoziationsraum, der durch Begriffe wie Enteignung, Verfassungsbruch, Raubkopie her gestellt wird, zusammen, was nicht zusammengehört: die Frage, wie Urheber und Rechteverwerter etwa von Romanen und Hörbüchern sich gegen illegale Downloads schützen können; und die Frage, welche Rolle künftig digitale Publikationsmöglichkeiten in Forschung und Wissenschaft spielen sollen. Ausdrücklich haben die Wissenschaftsorganisationen in einer Erklärung zum „Heidelberger Appell" die Suggestion als irreführend bezeichnet, sie forderten „einen Open Access belletristischer Schriften", und für sich in Anspruch genommen, das Urheberrecht durchaus zu respektieren.
1 Nun ist die Sorge, die in der Zustimmungswelle von Autoren und Verlegern zum „Heidelberger Appell" zum Ausdruck kommt, verständlich. Nicht nur in Schweden sind über Plattformen wie „Pirate Bay" Links zum illegalen Download von kompletten aktuellen Bestsellern, etwa von Paolo Coelho, und von Hörbüchern leicht zu finden. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass auf längere Sicht Firmen wie Google nicht das Hauptproblem sein werden. Mit Google hat sich der US-Autorenverband sowie der US-Verlegerverband im November 2008 auf das „Google Settlement" einigen können, demzufolge Google ein Register der vergriffenen, aber nicht copyright-freien Bücher erstellt und sowohl von individuellen Nutzern wie von Bibliotheken für deren digitale Nutzung eine „consumer licence" erhebt, deren Anteile zu 37 Prozent an Google gehen und zu 63 Prozent an die Rechteinhaber ausgeschüttet werden sollen. Vergleichbare Regelungen wird es mit den weltweit 250 00 Web-Adressen, über die sich nach Angaben des Brsenvereins des Deutschen Buchhandels derzeit Harry Potter-Audiobooks illegal herunterladen lassen, wohl kaum geben. Der Börsenverein, der Vergleichbares für den gerade entstehenden E-Book-Sektor befürchtet, setzt zur Prävention auf den Dreischritt Aufklärung Abschreckung - Sanktion, den der Geschäftsführer Alexander Skipis kürzlich in Berlin noch einmal erläuterte In dem Vollextsuchsuche „Libreka", mit dem die deutschen Verlage recht spät Firmen wie Amazon ein eigenes, wenn auch kleineres Angebot an elektronischen Büchern an die Seite stellen, kann der Kunde die Bücher, auf die er stößt, direkt bei einem Buchhändler seiner Wahl bestellen. Die elektronische Datei, die ihm zu einem Preis zugeht, der den des gedruckten Buches unterschreitet, enthält keinen technischen Kopierschutz. Wohl aber ein digitales Wasserzeichen, das den Ursprung der Datei, falls sie zu zirkulieren beginnt, identifizierbar macht. Der Börsenverein nennt das „psychologischen Kopierschutz" und verweist zudem auf die hohe Quote von Nutzern, die nach „Verwarnungen" das Downloaden einstellen. Prozesse gegen illegales Downloaden von Büchern oder Hörbüchern setzen aber die Identizierung des konkreten Internet-Zugangs voraus. Bei begründetem Verdacht