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Alchemie

PSEUDOWISSENSCHAFT ALCHEMIE?

Alchemie ist gemeinhin als esoterische Pseudowissenschaft verschrien. Alchemie “kennt irgendwie jeder”, aber kaum jemand weiß Bescheid, was historische Alchemie nun wirklich war. Ein kleiner Einblick.

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Text Sarah Lang

Die Alchemie als “spirituelle Wissenschaft”

Die Alchemie verstand sich selbstals Wissenschaft und war auch eine. VieleAlchemisten bezeichneten sich selbstgar nicht als Alchemisten, sondern alsChemiker. Doch als Strömung aus demMittelalter, wo der Glaube omnipräsentwar, ist auch die Alchemie bis zu einemgewissen Grad in christliche Spiritualitätgetränkt. Eine radikale Trennung vonReligion und Wissenschaft zu erwarten,wäre vor der Aufklärung auch einAnachronismus.

Alchemische “Berufsfelder”: Zwischen Iatrochemiker, Hofalchemist und Betrüger (“Puffer”)

Alchemie, wenn sie auch bisweilen von der Kirche eher kritisch beäugt wurde,war in der Form der “Iatrochemie”, also pflanzlich-chemischer Medizin, durchaus allgemein akzeptiert. Paracelsus, der als Erfinder der Pharmazie gehalten wird,begründete die paracelsische Unterart der Alchemie, die stärker auf die Herstellung der Panazee (Universalheilmittel) fokussiert war. Es gab in der Folge Ärzte, die sich als Iatrochemiker verstanden und in diesem Sinne Alchemie betrieben, daneben, besonders ab dem 15./16. Jahrhundert, dann auch die vom Hermetismus geprägte spirituelle Alchemie. Die Alchemie als “Chrysopoeia”, also Goldmacherkunst, die wohl als “transmutatorische Alchemie” den meisten bekannt sein sollte und die aus unedlen Metallen Gold herzustellen suchte, gab es natürlich weiterhin.

Damit war an den Adelshöfen viel Geld zu verdienen. Ein Rezept zur Goldherstellung ließen die adeligen Herren sich mitunter so viel kosten wie das Jahresgehalt eines Hofschreibers (sehr teuer).

Von Leichtgläubigkeit zu sprechen wäre übertrieben

Aber so völlig gutgläubig, wie man diejenigen, die Alchemie förderten, gern heutzutage darstellt, waren die Adligen dann doch nicht.

Selbst Rudolf II. (1552-1612), der ja als Verrückter und der Magie verfallener Kaiser galt, war nicht so gutgläubig, wie ihm gern nachgesagt wird. Eine jüngst erschienene Studie (Prinke & Zuber 2018) enthüllt, dass an Rudolfs Hof in Wahrheit überhaupt nur der hochberühmte Alchemist Sendivogius eine Festanstellung bei ihm ergattern konnte. Übrigens zur gleichen Zeit als auch Johannes Kepler in Prag forschte.

Chemie verrätselt in poetischen Sprachbildern (scientia poetica)

Besonders ist an der Alchemie ihre poetisch-rätselhafte Art zu kommunizieren. Man solle beispielsweise laut einer alchemischen Prozessvorschrift “im Monath May, wenn der Himmel/ gantz klar, [...] auch die Lufft voll lieblichen Geruchs ist,/ daß gleichsam die Luft, wenn mann darein/ sieht, von feinen lieblichen und schwüligen/ Dämpfen brodent oder rauchet, [...] morgensfrüh bey Sonnen=Aufgang, auf eine/ schöne Wiese gehen, die eine gute, fette/ schwartze [...] Erden hat, [...] und [...] von Natur von allerhand wohlriechenden/ Blumen zu tragen pfleget [...]” und Erde einsammeln, aus der dann in einem komplizierten Prozess Gold herzustellen sei.

In dieser scheinbar unwissenschaftlich-poetischen Erklärung geht es nicht um poetische Ausschmückung, sondern eigentlich darum, die Fruchtbarkeit des Bodens festzustellen: Kohlen- und Stickstoff dienen Pflanzen als Nährelement. Im Mai ist die Nitratkonzentration, in der der Stickstoff vorliegt, besonders hoch, weil diese sich über den Winter bildet und die jungen Pflanzen noch nicht genug Zeit hatten, sie wieder “aufzufressen”. Wo die Blümlein blühen, da liegen ausreichend extrahierbare Salze vor, mit denen der Alchemist weiterarbeiten konnte. Die poetischen Texte gleich als “unwissenschaftlich” abzustempeln, wäre daher vorschnell und womöglich ein fahrlässiger Fehler.

Eine wiedereröffnetes Forschungsfeld

Die Alchemieforschung hat in den letzten Jahren einen starken Aufschwung erlebt. Weil die Alchemie lange als “Esoterik” verschrien war, trauten sich viele “ernstzunehmende" ForscherInnen nicht an sie heran. Diese Zeiten sind mittlerweile vorbei. Der moderne Ansatz, die Alchemie zu enträtseln, beginnt mit kritischer Lektüre der Texte und vor allem interdisziplinärer Laborpraxis. Erfahrene ChemikerInnen lesen die Texte “chemisch”. Aufgrund ihres Erfahrungswissens erscheint ihnen das “obscurum vocabulum” (dunkle Vokabular) der Alchemie meist gar nicht so besonders geheimnisvoll. Aufgrund ihrer Laborpraxis erschließen sich ihnen die Sprachbilder recht leicht.

Auch können sie meist die “Brüche” in Texten erkennen, wo die tatsächliche Laborarbeit endet und der Autor noch einen rein philosophischen Nachsatz anhängt. Zur allgemeinen Verwirrung natürlich in derselben Symbolsprache gehalten. Im Sinne der “Experimental- Archäologie” können die Rezepte dann nachgestellt werden, mit dem Resultat, dass (manchmal selbst zum Erstaunen der ChemikerInnen) viele überraschend gut funktionieren, vor allem für damalige Verhältnisse.

Mehr als nur “viel Rauch um nichts”

Manche der begabteren Alchemisten haben für ihre Zeit Erstaunliches geleistet. L. Principe, ein amerikanischer Professor, der eine Doppelprofessur in Organischer Chemie und Wissenschaftsgeschichte bekleidet und als einer der “Stars” der aktuellen Alchemieforschung geführt wird, betont beispielsweise, wie beeindruckt er war, als es ihm nach wochenlanger Erprobung doch noch gelungen war, ein Rezept des Basilius Valentinus nachzustellen.

Der Prozess funktionierte, wenn auch nicht deswegen, weil die historischen Alchemisten die tatsächlichen chemischen Reaktionen durchschaut hatten.

Die Experimente waren für sie experientia, ein Miterleben von göttlichen Schöpfungsprozessen mit dem Ziel, das zu verstehen, “was die Welt im Innersten zusammenhält”. Nur durch die Gnade Gottes konnte der gute Alchemist letztlich den Stein der Weisen erreichen.

Deswegen bekommt Harry Potter den Stein der Weisen und nicht Voldemort. Moralische Integrität galt seit alters her als notwendiges Kriterium zur Vollendung des alchemischen Werks.

Der Irrtum der Goldmacher

Metalle verstanden die Alchemisten als Kontinuum - daher war die Vorstellung, ein unedles Metall solange zu reinigen, bis es Gold würde, auch gar nicht so abwegig, wie es uns heutzutage erscheint, wo wir einen Elementenbegriff haben und wissen, dass diese Elemente eben kein Kontinuum bilden, wo einfach ein Metall in ein anderes übergehen kann. Doch die historischen Alchemisten hatten nicht die Messinstrumente, um das festzustellen und konnten sich nur auf ihre Beobachtungen stützen. Und (irreführende) Hinweise, die auf die Möglichkeit “Gold herzustellen” hindeuteten, gab es durch die Geschichte hindurch eben sehr viele.

Verrätselte Symbolsprache - beschränkte Öffentlichkeit

Alchemisten arbeiteten bereits empirisch, wenn auch im Nachhinein - nach der Abspaltung der spirituellen Alchemie von der praktischen - das Gerücht aufkam, in der Alchemie würde (nach dem Mittelalter) gar nicht mehr praktisch gearbeitet.

Die alchemische Tradition hat mir ihrer Vorliebe für Verrätselung aber natürlich auch selbst zum Teil zu ihrem Verruf beigetragen - was einerseits fasziniert kann auch andererseits wieder abstoßen. Das Verrätseln vermochte auch bei veröffentlichter Literatur eben diesen “öffentlichen Zugang” wieder zu beschränken und Wissen vor uneingeweihten Augen zu schützen. Andererseits brachte es der Alchemie den Beigeschmack der Betrügerei ein, denn natürlich gab es auch einige, die Hype und Faszination um die Alchemie für Hochstaplerei im Sinne kostspieliger Betrugsmaschen ausnutzten.

Dieser Einblick in die spannende Welt der Alchemie kann in seiner Kürze natürlich nur an der Oberfläche der Thematik kratzen. Wer gerne mehr wissen möchte, dem sei folgendes Buch wärmstens ans Herz gelegt:

Lawrence Principe: The Secrets of Alchemy. Chicago, 2013. Erhältlich z.B. auf Amazon unter amzn.to/2EYW4ew

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