Leinfelder, Heiss, Moldrzyk 2008: "abgetaucht" (Ganzes Buch)

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abgetaucht

Die Evolution der Korallenriffe – und was uns die Jura-Riffe dazu verraten Reinhold Leinfelder Das Ökosystem Korallenriff – ein »Dauerbrenner«?

Abb.1: Turmförmige jurassische Korallenriffe in Ostspanien, Arroyo Cerezo.

Beginnen wir mit ein paar Superlativen! Tropische und subtropische Korallenriffe repräsentieren das vielfältigste marine Ökosystem, welches wir heute auf der Welt kennen, etwa 60.000 Arten sind aus Riffen bislang bekannt, bis zu 1 Million verschiedene Arten vermutet man dort, der ökonomischen Wert der Riffe beziffert sich auf Milliarden pro Jahr. Das ist beeindruckend, aber leider gleichzeitig auch bedrückend, wenn wir an die immense Bedrohung dieses faszinierenden und wertvollen Lebensraums denken (siehe weitere Artikel in diesem Buch). Aber sind Korallenriffe eigentlich erst heute derart faszinierend und komplex oder war das immer schon so? Diese Frage müssen wir sehr differenziert beantworten, denn entstanden sind die ersten Korallenriffe schon vor ca. 450 Millionen Jahren (siehe auch Kiessling, dieses Buch), und auch diese Riffe waren sicherlich bereits beeindruckend. Ein Ökosystem Korallenriff gibt es also schon seit Urzeiten. Andererseits hat sich der Komplexitätsgrad des Ökosystems überaus gesteigert und erreichte eigentlich erst vor ca. 30 Millionen Jahren seine heutige Komplexität. Die heutigen Korallenriffe sind also gleichermaßen ein Produkt einer viele hunderte Millionen Jahre währenden Evolution sowie auch Ausdruck der aktuellen Umweltsituation. Dass beides nicht voneinander zu trennen ist und auch nie zu trennen war, soll dieser Artikel etwas aufzeigen. Denn Korallenriffe sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass nicht nur Organismen einer Evolution unterliegen, sondern dass dies auch für ganze Ökosysteme gilt. Die Ökosysteme der früheren Korallenriffe sahen nämlich teilweise doch deutlich anders aus als das Ökosystem der heutigen Korallenriffe. Das Ökosystem Korallenriff war also gewissermaßen kontinuierlich auf Reisen, wenn auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit und nicht immer wirklich geradlinig, und auch die Breite des Wanderwegs war oft sehr unterschiedlich. Eine der Schlüsselzeiten, sozusagen der Aufbruch in die Reise der Neuzeit lag vor etwa 150 Millionen Jahren, in der erdgeschichtlichen Periode des höheren Jura. Dieser Artikel soll die Riffe auf dieser ungewöhnlichen evolutionären Zeitreise etwas begleiten.

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