Leinfelder, Heiss, Moldrzyk 2008: "abgetaucht" (Ganzes Buch)

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2008

abgetaucht des Museums für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin zum Internationalen Jahr des Riffes 2008 ( International Year of the Reef - IYOR ), zur 9. UN-Naturschutzkonferenz sowie zum Internationalen Jahr des Planeten Erde ( International Year of Planet Earth - IYPE ). Riffe sind seit Jahrmillionen Zentren der Vielfalt und Evolution des Planeten. Sie sind und waren nicht nur immer von den Umweltbedingungen der Erde abhängig, sondern haben die Erde und unser aller Lebensbedingungen entscheidend mitgeprägt.

museum für naturkunde

Dieses Buch wie auch die Sonderausstellung »abgetaucht« sind Beiträge

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Werner und Inge GrĂźter-Stiftung


abgetaucht sonderausstellung zum internationalen jahr des riffes 2008

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»abgetaucht« Begleitbuch zur Sonderausstellung zum internationalen Jahr des Riffes 2008 Herausgeber: Museum für Naturkunde der Humboldt-Univesität zu Berlin, Reinhold Leinfelder, Georg Heiß, Uwe Moldrzyk Redaktion: Georg Heiß, Uwe Moldrzyk Gestaltung und Satz: Nils Hoff Konradin Verlag Rob. Kohlhammer GmbH Ernst Mey-Strasse 8 70771 Leinfelden-Echterdingen Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Umschlaggestaltung: Nils Hoff Druck: Druckerei Conrad GmbH Printed in Germany ISBN 3-920560-23-X

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A. Fuchs

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Grußwort

S. Gabriel

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Grußwort

R. Leinfelder

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Vorwort

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Einleitung

F. Schweickert

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Auf den Spuren des Klimawandels – Expedition der ALDEBARAN nach Belize

M. Kochzius, J.Timm, A. Nuryanto

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Korallenriffe – Zentren der Artenvielfalt im Ozean

M. Kochzius

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Die Fischer von Malatapay – Handwerkliche Fischerei auf den Philippinen

J. Kriwet, P.Bartsch

48

Korallen und Fische, Korallenfische?

A. Freiwald

62

Tief, dunkel, kalt – und voller Leben!

E. Gischler

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Das Gedächtnis der Korallen – wie Klimadaten gespeichert werden

W. Kiessling

82

Auf und Nieder – Die wechselvolle Entwicklungs geschichte von Riffen in der Tiefenzeit

R. Leinfelder

96

Die Evolution der Korallenriffe – und was uns die Jura-Riffe dazu verraten

H. Westphal, W.-C. Dullo

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Dem Klima auf der Spur

G. Wörheide, D. Erpenbeck, J. Pöppe, O. Voigt

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Schwämme des Korallenriffs: Lieferanten neuartiger Medikamente

C. Vogler, O. Voigt, G. Wörheide

138

Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder missverstandenes Opfer von Umständen?

C. Wild et al.

148

Konsequenzen des Klimawandels für Korallenriffe – mögliche Lösungsansätze

C. Wild, C. Jantzen

170

Korallen als Ingenieure von Warm – und Kaltwasserriffen

G. Heiss, R. Leinfelder

182

»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Riffe?

H. Schumacher

198

Künstliche Riffe – ein Begriff, viele Bedeutungen

N. Hauschke, E. Gischler

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Johannes Walther – Pionier der Riff-Forschung

Zum Internationalen Jahr des Riffes

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Auf den Spuren des Klimawandels


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Auf den Spuren des Klimawandels – Expedition der ALDEBARAN nach Belize

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Frank Schweikert Das Navigieren durch die engen Riffformationen an der Küste vor Belize in Mittelamerika ist eine besondere Herausforderung. Ein Beobachter im Mast, ein bis zwei weitere auf dem Vorschiff mit Walkie-Talkies und höchste Konzentration am Ruder. Mit einer speziellen Polarisationsfilterbrille blickt man durch die Wasseroberfläche und kann mit etwas Übung größere Riffformationen rechtzeitig erkennen und ihnen ausweichen. Die Einheimischen nennen das »eyeball navigation«, das Navigieren mit dem Auge und selbst das ist nicht ganz einfach, denn vernünftige Seekarten gibt es keine. Niemand will freiwillig zwischen den Korallenblöcken durchfahren, denn die Berührung mit dem Schiff würde in den meisten Fällen den Untergang bedeuten. Dennoch sind einige belizische Fischer so geübt, dass sie sich sogar nachts und mit teils hohen Geschwindigkeiten durch die Gewässer trauen. Es sind nicht nur Fischer, sondern auch Drogenschmuggler, die die schwierigen Navigationsbedingungen an der Küste von Belize nutzen, um abseits von kontrollierbaren Schifffahrtsrouten ihre Verstecke für den Tag aufzusuchen, um in der darauffolgenden Nacht ihren Weg von Süd nach Nord fortzusetzen. Abb.1: Forschungsstation des Smithonian Institute auf Carrie Bow Caye, die älteste Forschungsstation für Korallenriffe.

Das Erforschen von Korallenriffen ist kein Urlaubstraum sondern anstrengende und aufregende Realität. Riffe, normalerweise Hindernisse für die Schifffahrt, sind nicht einfach zu erreichen, vor allem dann nicht, wenn Wissenschaftler sich für interessante Riffsysteme abseits der Pfade der etablierten Tauchbasen und Hobbytaucher interessieren. Es gibt kaum Möglichkeiten, mit einem vernünftig ausgerüsteten, großen Forschungsschiff Korallenforschung zu betreiben. Diese Lücke schließt

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Auf den Spuren des Klimawandels


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abgetaucht das Hamburger Medien und Forschungsschiff ALDEBARAN seit 1992. Die jüngste Expedition führte den 14 Meter langen und über vier Meter breiten Forschungssegler ALDEBARAN in das grösste Riffsystem im Atlantischen Ozean am mesoamerikanischen Barriereriff vor Belize. Von Januar bis April 2007 besucht die Crew der ALDEBARAN das 250 Kilometer lange Land zwischen Mexiko und Guatemala und einige der mehr als 500 kleinen Inselchen, um die Folgen des Klimawandels in einem Land zu dokumentieren, dass zu den Betroffenen des Klimawandels zählt und dessen wichtigster Wirtschaftsraum durch unser rücksichtloses Handeln in den westlichen Industrienationen bedroht ist. Die Fischerei ist, die neben Bananen- und Ananasplantagen, die Haupteinkommensquelle des Landes und die zauberhaften Korallenriffe die Kinderstube für die Fische. »Wir merken seit über 15 Jahren, dass etwas mit dem Riff nicht mehr stimmt, die Langusten werden weniger, und auch die Zusammensetzung der Fische ändert sich ständig. Das war in den letzten Jahrzehnten, in denen ich als Fischer hier unterwegs war, nicht so. Ich werde weiter als Fischer arbeiten und nicht im Tourismus, denn die Fischerei ist mein Leben. Auch wenn ich damit nicht reich werden kann.« erzählt uns der über 70 Jahre alte Fischer Jack im südbelizischen Placencia, der nun sein Wissen an den achtjährigen Neffen auf seinem kleinen Fischerboot weitergibt und so oft es geht mit ihm aufs Meer zum Fischen hinausfährt.

Abb.2: Forschungs und Medienschiff ALDEBARAN auf seiner ersten Expedition nach Belize / Mittelamerika.

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Die einziizge Navigationshilfe in den Gewässern vor Belize ist der neu überarbeitete »Cruising Guide to Belize and Mexico's Caribbean coast« von Kapitän Freya Rauscher, mit dessen Hilfe die Crew der ALDEBARAN die älteste Korallenforschungsstation der Welt auf der Insel Carrie Bow Cay ansteuert, eine inzwischen nur noch fußballfeldgroße Forscher-Insel direkt am riesigen Hauptriff in Belize. Als wir in knapp zwei Meter tiefem Wasser direkt im Naturschutzgebiet vor der Insel ankern, fühlen wir uns wie in einem karibischen Traum. Weißer Sand, Kokospalmen und vier angeblich hurrikanesichere Holzhäuser eines kubanischen Architekten. Doch das Leben auf der 35 Jahre alten Feldstation »Carrie Bow Caye« und des Natural History Museum in Washington und des Smithsonian-Institutes war in den vergangenen 30 Jahren nicht immer ein Traum. Insgesamt vier Mal wurde die Insel von Hurrikans heimgesucht, die Forschungsstation musste immer wieder renoviert oder neu aufgebaut werden. Weil auch hier die Mangroven – wie auf vielen anderen Inselchen vor der Küste – in der Gründerzeit abgeholzt wurden, holt sich das Meer bei jedem Sturm große Teile der Insel zurück – wie alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Da helfen weder die liebevoll am Strand aufgetürmten Sandsäcke noch Betonsteine, die die Wissenschaftler gegen die Macht des Meeres am Ufer ausgelegt haben. Die Tage der Forschungsstation sind gezählt. Aber der Klimawandel zeigt seine Konsequenzen nicht nur über Wasser, sondern hat auch unter Wasser Folgen. Der Hamburger Wissenschaftler Prof. Dieter Hanelt, der die Forschungsexpedition der ALDEBARAN drei Wochen lang begleitet, will heraus-

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Auf den Spuren des Klimawandels


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abgetaucht finden, ob und wie schädlich sich ultraviolettes Sonnenlicht auf verschiedene Algenarten in unterschiedlichen Tiefen auswirkt. Forschungstaucher von der ALDEBARAN bringen frische Algenproben aus dem Riff auf die Arbeitsplattform am Heck. Während Hanelt an seiner Apparatur an Deck mit einem Büschel Algen sitzt und in die Sonne blinzelt, erklärt er, dass Algen von vielen Politikern noch nicht als enorm wichtige Lebewesen erkannt worden sind. Sie binden die größte Menge des klimaschädlichen Treibhausgases CO 2 und sorgen unter anderem dafür, dass daraus wertvolle Korallenriffe entstehen. Verkalkte Algen bauen aus dem Kohlendioxid zum Beispiel faszinierende Kalkskelette, die nach dem Absterben der Algen zum Meeresboden sinken und das CO2 somit unwiederbringlich zum Meeresboden transportieren. Durch die globale Erwärmung des Meerwassers verschieben sich auch im Meer die Klimazonen schneller als je zuvor. Jahrhunderte alte Lebensräume müssen von den bisher eingesessenen Organismen verlassen werden. Und weil Algen, die es gewohnt sind in unterschiedlichen Tiefen zu leben, flexibel sind, sind sie die ersten, die unter Wasser neue Lebensräume erobern. Ob sie dabei überleben, hängt nicht zuletzt von der Intensität der UV-Einstrahlung ab. »Auch Algen können Sonnenbrand bekommen, wenn sie zu lange schädlicher UV-Strahlung ausgesetzt sind«, berichtet Hanelt, der in ganz unterschiedlichen Gebieten der Erde solche Algenuntersuchungen durchführt. Die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass bestimmte Algenarten durch starke Ultraviolettstrahlung unter einer Art »Sonnenbrand«. Bei zu intensiver UV-Einstrahlung sterben manche Algen komplett ab, besonders diejenigen, die in größerer Wassertiefe normalerweise vor höherer Sonneneinstrahlung geschützt sind. Durch den Anstieg der Meerestemperatur und des Meeresspiegels scheinen sich auch unter der Meeresoberfläche die Lebensräume neu zu strukturieren. Für bestehende Ökosysteme beginnt ein neuer Lebensabschnitt, große Teile der Riffe sterben ab und werden vor allem durch Algen neu besiedelt, die sich durch schnelle Anpassung an die neuen Lebensbedingungen gewöhnen. Die Forschungsarbeiten vor der Küste von Belize im zweitgrößten Barriereriff der Welt sind für die Wissenschaftler so interessant, da sie hier Algen aus ganz unterschiedlichen Tiefen und weitgehend intakten Lebensräumen sammeln können.

Abb.3: Prof. Dr. Hanelt bei der Untersuchung von UV Strahlung auf Algen aus unterschiedlichen Tiefen.

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Die für das Leben im Meer und damit auch für den Menschen lebensnotwendigen Primärproduzenten am Anfang der Nahrungskette vertragen wie Menschen ultraviolette Lichtstrahlung nur bis zu einem gewissen Maß. »Zu hohe Einstrahlung führt bei Algen zu einer Herabsetzung ihrer Photosynthese-Leistung, was großen Einfluss auf ganze Lebensgemeinschaften haben könnte, die direkt oder indirekt von der Produktion der Algen abhängen«, so Dr. Dieter Hanelt. Täglich werden an Bord der ALDEBARAN kleine Algen-Stücke in quadratischen Boxen unter verschiedenen Filterglasscheiben unterschiedlicher natürlicher Sonnenstrahlung ausgesetzt. Die Proben werden alle 15 Minuten mit einem »Puls-Amplituden-modulierten Fluorometer« (PAM) gemessen, das den Gesundheitszustand der Pflanze anhand der Photosyn-

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theseaktivität bestimmen kann. Die ersten Messungen zeigen, dass beispielsweise der gemessene Gesundheitszustand des Gabeltangs Dictyota aus einer Tiefe von 15 Metern nach kurzer Zeit in der hellen Sonne rapide abnimmt, während die Flachwasseralge Sargassum sich schnell wieder erholt. Die wahren Lichtverhältnisse werden am jeweiligen Standort der Algen durch Lichtmessungen von Bord der ALDEBARAN ermittelt. Dazu werden Sensoren in die Tiefe hinabgelassen, die den Anteil des sichtbaren Lichts wie auch die UV-Strahlung ermitteln. Dr. Dieter Hanelt entdeckt bei der Interpretation der Messwerte eine Besonderheit, die ihm schon bei früheren Messungen aufgefallen war: Bei der Anwesenheit von UVB-Strahlung während der Erholungsphase erholen sich die Algen, die an hohe Sonnenstrahlung angepasst sind, schneller als ohne, da UVB-Strahlung anscheinend eine physiologische Reaktion der Algen auslöst, die deren Regeneration fördert. Die wissenschaftliche Erklärung für dieses auf den ersten Blick eigenartige Verhalten der Starklicht-Algen steht noch aus. Algen aus Tiefenwasser, die während ihres Lebens nur einem geringen Anteil der Sonnenstrahlung ausgesetzt sind, bekommen umgehend nach der erhöhten Bestrahlung mit natürlicher Oberflächenstrahlung beim Experiment an ihren Rändern bräunlich verfärbte Flecken, die mit einem Sonnenbrand beim Menschen vergleichbar sind.

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Das Forschungsschiff ALDEBARAN konzentriert sich im Rahmen der Expedition auf die Folgen des Klimawandels und in Zusammenarbeit mit dem ZDF werden die Ergebnisse verschiedener Reportagen dokumentiert und veröffentlicht. Dank modernster Satellitentechnik können von Bord der ALDEBARAN Radio-Live-Sendungen und Videokonferenzen von fast jedem Ort der Welt geschaltet werden. Die Crew meldet sich unter anderem mit einer Live-Übertragung ins Abendprogramm des Hamburger Planetariums und spricht mit dem renommierten Klimaforscher Prof. Hartmut Graßl in Hamburg via Satellit. In der Diskussion wird deutlich, wie stark insbesondere die 500 kleinen Inseln vor der Küste in Belize bedroht sind, wenn der Meeresspiegel in den kommenden 100 Jahren um mindestens 30 Zentimeter ansteigen wird. Die Häufigkeit und Heftigkeit der Hurrikans wird zunehmen, der Anstieg der Meerestemperatur könnte den bislang weitgehend gesunden Korallenriffen den Rest geben. »Vor der Küste von Belize befinden sich noch zahlreiche Riffökosysteme in einem vergleichsweise guten Zustand und das junge Land ist bemüht, diesen Zustand trotz des starken Drucks durch den zunehmenden Tourismus zu erhalten«, so James Azueta vom belizischen Fischereiministerium. Abb.4: Durch den Klimawandel bedrohte Insel auf Turneffe Island / Belize.

Die häufigste Arbeitsmethode an Bord ist das Tauchen. Von der Plattform am Heck lässt es sich bequem arbeiten, ein- und aussteigen und auch nasse Proben können dort grob vorsortiert werden, bevor sie im kleinen Labor unter Deck unter dem Mikroskop oder Binokular betrachtet werden. Wir nehmen die meisten Proben mit dem kleinen Schlauchboot, mit dem wir uns nur wenige Meter weit von der ALDEBARAN

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Auf den Spuren des Klimawandels

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entfernen, die auf einem sicheren Liegeplatz hinter dem Barriereriff auf gutem Sandgrund vor Anker liegt. Die ALDEBARAN nimmt weiter Kurs auf Sitee Point, eine Flussmündung südlich der Kleinstadt Dandriga. Plötzlich tauscht das Wasser seine blaue Färbung gegen eine grasgrüne ein und links und recht des Schiffes breitet sich ein sattgrüner Regenwald aus. Geräusche des Passatwindes und der Wellen verwandeln sich in völlig neue Geräusche des Regenwaldes: Vögel zwitschern, das Gehölz ächzt, als unsere Heckwellen an der Uferböschung entlang rauschen. Urwald so weit das Auge reicht. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man vom Korallenriff mit einem Segelboot so schnell in den Regenwald hinein fahren. Nach wenigen Minuten erreichen wir mitten im Nirgendwo eine Tankstelle und einen Supermarkt direkt am Fluss, an dem wir uns mit Diesel und Wasser versorgen, so wie alle anderen Fischer und Touristenboote. Die Tankstelle ist auf der Karte von Belize eingezeichnet, denn die sieben Tankstellen sind in dem kleinen Land mit einer Bevölkerung von 300.000 Menschen eine Seltenheit. Wir segeln weiter nach Placencia, einer malerischen Hafenstadt, die vom letzten Hurrikan »Mitch« im Herbst 1998 stark zerstört wurde. In Placencia herrscht gerade Hochsaison, denn kurz nach dem Oster-Vollmond kommen die gigantischen Walhaie, um sich am Fischlaich der Schnapper satt zu fressen - eine Sensation für Taucher aus aller Welt. Wir navigieren das Schiff durch die Korallenblöcke und machen nur wenige Meter hinter dem großen Barriereriff fest. Am Abend, kurz vor Son-

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Abb.5: Kurz nach Vollmond weiden die Walhaie den frischen Laich der Snapper bei »Gladden Spitt« im Süden von Belize.


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abgetaucht nenuntergang startet unser Abenteuer: Der Himmel ist goldgrau, der Wind schwach, es ist ungewöhnlich ruhig vor Gladden Spitt. Wir fahren an die Riffkante, unter uns mehrere hundert Meter tiefblaues Wasser. Wir tauchen hinab auf knapp 30 Meter und erkennen unter uns schemenhaft Fischschwärme, die langsam senkrecht in die Höhe steigen. Es sind tausende von Schnappern im Liebestaumel. Die Bewegungen der Fische werden immer wilder, sie umkreisen einander, bis die Männchen beginnen, lange Spuren von Sperma wie einen Schweif ins Wasser abzugeben. dDie Weibchen folgen und laichen ihre Eier ab. Alles mischt sich in Sekundenschnelle zu einem großen weißen Nebel in tiefblauem Wasser, neue Schwärme schießen an die Oberfläche und das Spiel wiederholt sich immer wieder. Dann taucht plötzlich der erste Walhai aus der Tiefe auf. Grazil und gleichzeitig zielstrebig schwimmt er auf die Fischschwärme zu, dicht an uns vorbei. Es ist ein unbeschreiblicher Augenblick diese wunderschönen, weiß gefleckten Riesen der Meere durch das Wasser gleiten zu sehen. An der Wolke aus Eiern und Spermien angekommen, reißen die Walhaie ihr großes Maul auf und filtern aus dem Meerwasser die Brut der Schnapper, der »Kaviar« für die Walhaie, die sich sonst nur aus Plankton ernähren und einen Menschen niemals angreifen würden. Als wir hinabtauchen wollen, taucht aus dem tiefblauen Nichts ein weiterer Walhai auf, begleitet von zahlreichen Pilotfischen, die sich an seine Flossen heften. Der Walhai zieht ganz dicht an uns vorbei und verschwindet in der weißen Wolke der Schnapper. Bei dem Anblick fällt es schwer, noch ruhig zu atmen. Aus der weißen Wolke schimmern immer neue Walhaiflossen hervor. Es mögen mittlerweile vier oder fünf Tiere sein, die mit weit geöffnetem Maul umher schwimmen und die Fischbrut in sich hineinfiltern. Das wundervoll inszenierte Schauspiel nähert sich seinem Ende. Die Schnapper sind wieder abgetaucht, wir steigen langsam auf. Währenddessen kreuzen immer wieder Walhaie an uns vorbei.

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Wir müssen zurück, denn in der tiefdunklen Nacht ist die Navigation zwischen den Korallenblöcken bei Gladden Spitt unmöglich. Das Naturschauspiel der Schnapper und Walhaie ist nur eines von vielen, überwältigenden Naturwundern in Belize. Die viermonatige Expeditionsreise bleibt für uns alle unvergesslich. Möge der globale Klimawandel zügig und mit der Hilfe jedes Einzelnen begrenzt werden, um keine weiteren Spuren im Paradies zu hinterlassen.

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Korallenriffe – Zentren der Artenvielfalt im Ozean

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Marc Kochzius, Janne Timm, Agus Nuryanto

Abb.1: Unser Begleiter, der Fledermausfisch Platax teira

Rückwärts lassen wir uns ins Wasser fallen und tauchen ab. Fische, überall sind große, kleine und bunte Fische. Und üppige Korallengärten mit filigranen Steinkorallen, poppig-bunten Fächer- und Weichkorallen, Seescheiden, Schwämmen, Seesternen, Krebsen, Muscheln – eine schier unüberschaubare Artenvielfalt. Ein großer Fledermausfisch beäugt uns neugierig – er ist überraschend anhänglich und folgt uns fast den gesamten Tauchgang. Im Gegensatz zu manch anderen Regionen in der Indo-Malaiischen Inselwelt sind hier in Raja Ampat und an der Küste Neuguineas die großen Fische noch nicht weggefangen. Große Stachelmakrelen und Schwärme von Füsilieren ziehen im freien Wasser am Korallenriff entlang und unter Riffüberhängen ruhen sich kapitale Süßlippen- und Zackenbarsche aus. In der Strömung vor dem Riff stehen Hunderte, nein Tausende von kleinen Fahnen- und Riffbarschen, die als »Wand aus Mäulern« winzige Planktontierchen aus dem Wasser picken. Solange, bis ein Jäger, oder unsere Luftblasen, sie erschrecken, und sie schnell Schutz zwischen den Korallen suchen. Wir befinden uns im sogenannten »Korallen-Dreieck« (engl. coral triangle), dem Zentrum des Artenreichtums der Meere, das im Norden durch die Philippinen, im Westen durch Sumatra und im Osten durch Neuguinea begrenzt wird. Nirgendwo in den Ozeanen findet man mehr Arten als in den Korallenriffen, Seegraswiesen und Mangroven dieser Region. Die größte Artenvielfalt beherbergen die Korallenriffe, so dass diese auch als »Regenwälder der Meere« bezeichnet werden. Innerhalb des »Korallen-Dreiecks« findet man in indonesischen Küstengewässern rund 2.700 Fisch- und 581 Steinkorallenarten,

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Korallenrif fe - Zentren der Ar tenvielfalt im Ozean

knapp gefolgt von den Philippinen mit etwa 2.500 Fisch- und 500 Steinkorallenarten. Das Diversitätszentrum des »Korallen-Dreiecks« scheint nach neuesten Untersuchungen in der Inselwelt von Raja Ampat am Nordwestzipfel Neuguineas zu liegen. Dort wurden in einem vergleichweise kleinen Gebiet bisher 970 Fisch- und 456 Steinkorallenarten entdeckt. Mit zunehmender Entfernung vom »Korallen-Dreieck« nimmt die Artenvielfalt in alle Himmelsrichtungen ab, jedoch ist im Roten Meer wieder ein Anstieg der Artenzahl für Fische und Steinkorallen erkennbar. Hinzu kommt, dass z.B. die Fischfauna dort auch sehr viele endemische Arten aufweißt, die nur im Roten Meer vorkommen. Daher ist das Rote Meer nach dem »Korallen-Dreieck« ebenfalls ein wichtiges evolutives Zentrum, das heißt, es ist eine Region in der viele Arten entstehen. Korallenriffe bedecken weltweit zwar nur 0,1% der Ozeane, beherbergen aber rund 33 % aller beschriebenen Arten der Meere.

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Bisher sind etwa 100.000 KorallenriffArten bekannt, Schätzungen belaufen sich aber auf rund 1 Million. Wieso gibt es so viele Arten in den Korallenriffen? Wie entstehen überhaupt Arten? Wie die beiden englischen Naturforscher Charles Darwin (1809-1882) und Alfred Russel Wallace (1823-1913) Mitte des 19. Jahrhunderts erkannt haben, entstehen Arten durch die natürliche Auslese zufälliger Varianten von Lebewesen. Hervorgerufen werden diese Varianten durch Mutationen im Erbgut. Diese genetischen Veränderungen laufen in vielen kleinen Schritten über Jahrhunderttausende ab. Eine Schlüsselrolle in der Entstehung von Arten spielt nach dem deutsch-amerikanischen Biologen Ernst Mayr (1904-2005) die räumliche Trennung von Populationen, auch Vikarianz genannt. Durch sexuelle Fortpflanzung wird das Erbgut innerhalb einer Art immer wieder durchmischt und auftretende Varianten können sich nicht zu eigenen Arten entwickeln. Gibt es allerdings eine Barriere zwischen Teilpopulationen, die eine gemeinsame Paarung und somit eine Durchmischung des Erbgutes verhindert, können sich diese getrennt voneinander zu eigenen Arten entwickeln. Wie ist dieses aber im Meer möglich, wo es keine sichtbaren Barrieren für die Verbreitung und den Austausch zwischen Teilpopulationen gibt? Die meisten Arten der Korallenriffe sind zwar sesshaft, entweder sind sie festgewachsen oder haben einen sehr kleinen Aktionsradius, aber mit ihren Ei- oder Larvenstadien, die im offenen Wasser mit der Strömung treiben, können sie sich über Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern verbreiten. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Clownoder Anemonenfische, die fast jeder spätestens seit dem Animationsfilm »Findet Nemo« kennt. Clownfische leben in einer Symbiose mit Anemonen, zwischen deren mit giftigen Nesselkapseln bewehrten Tentakeln sie Schutz vor Fressfeinden finden.

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Gewöhnlich leben die Clownfische in Gruppen von mehreren Tieren in einer Anemone. Das größte Tier ist das Weibchen, die kleineren Tiere sind entweder Männchen oder noch nicht geschlechtsreife Jungtiere. Nach der Befruchtung werden die Eier am Fuße der Anemone abgelegt. Aus den Eiern schlüpfen nach einiger Zeit Larven, die sich mit den Meeresströmungen davon treiben lassen. Das Schwierigste für die Fischlarve ist nun, ein Korallenriff und einen freien Platz in einer Anemone zu finden. Untersuchungen an anderen Korallenfischen haben gezeigt, daß diese Korallenriffe sowohl hören als auch riechen können. Ein unter Korallenfischen nicht unübliches »Kuriosum« ist der Geschlechtswechsel. Stirbt bei Clownfischen das Weibchen, wird das größte Männchen zu einem weiblichen Tier. Dieses offenbart auch, warum »Nemo« nicht zusammen mit seinem Vater in der elterlichen Anemone leben sollte, denn der Vater wird alsbald zum Weibchen und »Nemo« zum Männchen – mit unabsehbaren Folgen. Wie können aber nun Populationen im »Korallen-Dreieck« getrennt werden und dadurch neue Arten entstehen? Dazu muß man sich die geologische Vergangenheit des »Korallen-Dreiecks« ansehen. Während der Eiszeiten gab es riesige Eiskappen an den Polen, die sich weit bis in unsere Breiten vorgeschoben haben. In diesem Eis waren riesige Mengen Wasser gebunden, was dazu führte, daß der Meeresspiegel bis zu 120 m tiefer lag als heute. Dadurch fielen küstennahe Flachwasserbereiche trocken, wie zum Beispiel die Nordsee, so daß man trockenen Fußes auf die heutigen britischen Inseln gelangen konnte. Genau der selbe Effekt trat im »Korallen-Dreieck« auf und Landbrücken bildeten sich zwischen den Inseln.

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Abb.2: Der westliche Clownfisch Amphiprion ocellaris

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Die Java-See fiel trocken und die Inseln Sumatra, Java, Borneo und Bali waren mit dem asiatischen Kontinent verbunden. Auch zwischen Neuguinea und Australien bildete sich eine Landbrücke. Landlebende Tiere konnten sich daher über diese Landbrücken ausbreiten, was dazu führte, dass die heutige Tierwelt der IndoMalaiischen Inseln im westlichen Teil bis nach Bali und Borneo asiatisch beeinflusst ist, im östlichen Teil hingegen australisch. Eine scharfe Grenze zwischen diesen beiden Regionen findet man an der sogenannten »Wallace-Linie« zwischen Borneo und Bali auf der westlichen und Sulawesi und Lombok auf der östlichen Seite. Dort ist das Meer so tief, daß dieser Bereich auch in den Eiszeiten nicht trocken fiel und somit eine Barriere für die Ausbreitung landlebender Tiere bildete. Diese biogeographische Grenze wurde nach dem bereits oben erwähnten Naturforscher Alfred Russel Wallace benannt, der auf mehreren Reisen von 1854 bis 1862 die Tierwelt der IndoMalaiischen Inseln erforscht hat und als Mitbegründer der Biogeographie und Ökologie gilt. Eine Entsprechung dieser biogeographischen Grenze findet man auch im Meer, allerdings verläuft hier die Barriere nicht von Nord nach Süd, sondern von West nach Ost. Durch die Absenkung des Meeresspiegels bildeten sich die oben beschriebenen Landbrücken und der Austausch zwischen Indischem und Pazifischem Ozean wurde stark eingeschränkt. Dadurch wurde auch der genetische Austausch

Abb.3: Die Indo-Malaiische Inselwelt (»Korallen-Dreieck«) Die blaugraue Schattierung zeigt die Küstenlinie bei einer Absenkung des Meeresspiegels um 120 m.

Abb.4: Anzahl der Arten von Fischen (linke Karte) und Steinkorallen (rechte Karte) tropischer Korallenriffe des Indo-West-Pazifik.

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zwischen Teilpopulationen einer Art auf den beiden Seiten der Barriere unterbrochen, so dass sich diese getrennt voneinander zu eigenständigen Arten entwickeln konnten. Dieses zeigt sich in einer Fülle von Schwesterarten, wobei jeweils die einen im Indischen Ozean und die anderen im Pazifischen Ozean beheimatet sind. Die Verbreitungsgebiete grenzen im »Korallen-Dreieck« aneinander. Schwesterarten sind sich gewöhnlich in der Färbung und dem Körperbau zwar sehr ähnlich, lassen sich aber noch unterscheiden. Es kann aber auch vorkommen, daß manche Schwesternarten sich äußerlich nicht unterscheiden und nicht als solche erkannt werden. Daher werden diese als kryptische Arten (Latein: crypticus = verborgen) bezeichnet. Diesen kryptischen Arten kann man aber durch molekulargenetische Untersuchungen auf die Spur kommen. Dazu werden sogenannte genetische Marker, das sind bestimmte Abschnitte aus dem Erbgut, analysiert und miteinander verglichen. Das Erbgut besteht aus der DNS (Desoxyribonukleinsäure), im Englischen als DNA abgekürzt. Die DNS setzt sich aus vier Nukleotiden zusammen, die das genetische Alphabet bilden. Die Abfolge dieser Nukleotide kodiert den gesamten Bauplan eines Lebewesens. Mit Hilfe eines biochemischen Verfahrens, der Polymerasekettenreaktion (PCR), können beliebige Stücke des Erbgutes millionenfach vervielfältigt werden, so daß man genügend DNS erhält um die Abfolge der Nukle-

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Abb.5: Lebenszyklus eines Clown- oder Anemonenfisches (Amphiprion bicinctus, endemisch im Roten Meer)

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otide mit Hilfe eines Sequenzierautomaten zu lesen. Da die Abfolge der Nukleotide Unterschiede zwischen den Arten aufweisst, kann man anhand dieser die Verwandtschaftsverhältnisse rekonstruieren und somit auch kryptische Arten aufspüren. Doch nun zurück zu »Nemo«. Bei diesem Clownfisch unterscheidet man eine westliche Schwesterart (Amphiprion ocellaris) und eine östliche Schwesterart (Amphiprion percula). Beide sind anhand der Färbung und des Körperbaues fast nicht zu unterscheiden, so dass eine genetische Untersuchung Licht in das Verwandtschaftsverhältnis dieser beiden Arten bringen sollte. Auf mehreren Expeditionen haben wir quer über das »Korallen-Dreieck« Gewebeproben von Clownfischen gesammelt. Die Tiere wurden in ihrer Anemone gefangen und als Gewebeprobe ein kleiner Flossenschnipsel von der Schwanzflosse abgeschnitten, was den Tieren nicht schadet. Danach wurden die Tiere wieder in ihre Anemone gesetzt. Die genetische Analyse wurde dann zuhause im Bremer Genetik-Labor durchgeführt – mit überraschendem Ergebnis. Wir hatten erwartet, dass die genetische Analyse entweder die Unterscheidung von zwei Schwesterarten bestätigt, oder keine genetischen Unterschiede zeigt, es sich also um eine einzige Art handelt. Stattdessen zeigen sich auf der Strecke von SuAbb.6: Schwesterarten des »Korallen-Dreiecks«

links (Indischer Ozean): Weißrücken-Anemonenfisch, Amphiprion akallopisos rechts (Pazifischer Ozean): Oranger Anemonenfisch, Amphiprion sandaracinos

links (Indischer Ozean): Indischer Rotfeuerfisch, Pterois miles rechts (Pazifischer Ozean): Pazifischer Rotfeuerfisch, Pterois volitans

links (Indischer Ozean): Schwarzrücken-Falterfisch, Chaetodon melannotus rechts (Pazifischer Ozean): Schwarzfleck-Falterfisch, Chaetodon ocellicaudus

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matra im Westen bis Neuguinea im Osten fünf genetisch unterschiedliche Gruppen. Oder Arten? Einen Hinweis darauf gibt uns die Anzahl der unterschiedlichen Nukleotide in der DNS-Sequenz des genetischen Markers - die genetische Distanz. Zwischen dem westlichen und östlichen Clownfisch gibt es 80 unterschiedliche Nukleotide. Der westliche Clownfisch läßt sich in zwei genetische Gruppen (Padang und Makassar) unterteilen, die sich in 31 Nukleotiden unterscheiden. Der östliche Clownfisch hingegen kann sogar drei genetischen Gruppen zugeteilt werden. Zwischen der Tomini-Bucht und Biak beträgt der Abstand 41 Nukleotide, zwischen Biak und Neubritannien ist dieser mit 82 Nukleotiden genau so groß wie zwischen dem westlichen und östlichen Clownfisch. Nimmt man einen Unterschied von 80 Nukleotiden als Maßstab für die genetische Unterscheidung von Arten, dann handelt es sich beim östlichen Clownfisch um zwei Arten. Da eine der beiden bisher noch nicht entdeckt wurde, spricht man von einer kryptischen Art. Die anderen genetischen Distanzen sind nur halb so groß oder kleiner, so dass unklar ist, ob es sich um unterschiedliche Arten oder Populationen einer Art mit geringem genetischem Austausch handelt. Nach stundenlanger Fahrt mit einem kleinen Auslegerboot, das in seiner winzigen Kajüte kaum genug Platz und Schatten bietet, ist nun endlich die Insel Komodo in Sicht, die Heimat des berüchtigten Komododrachen (Varanus komodoensis), der

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Abb.7: Genetische Unterschiede zwischen dem westlichen (Amphiprion ocellaris) und östlichen Clownfisch (Amphiprion percula).

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größten Waran-Art der Welt. Doch nicht nur diese Echse ist hier spektakulär, auch die Unterwasserwelt gilt als Eldorado für Taucher, denn durch die starke Strömung des indonesischen Durchflusses gelangen Nährstoffe aus der Tiefe nach oben, die ein reiches Nahrungsnetz ermöglichen und somit große Jäger des offenen Ozeans, wie zum Beispiel Thunfische, an das Riff führen – aber auch ziemlich kaltes Wasser. Im wahrsten Sinne ein, für tropische Verhältnisse, Sprung ins kalte Wasser, der aber durch eine phantastische Unterwasserwelt entschädigt wird. Dennoch, nach der recht lange dauernden Probenahme sind wir völlig durchgefroren und lassen uns von der Äquatorsonne aufwärmen. Ein Blick auf die Oberflächenströmung zeigt die Kraft des indonesischen Durchflusses, kurz bevor er hier in den Indischen Ozean mündet: Sicher ist man nur im Strömungsschatten eines zerklüfteten Felsens. Seinen Ausgangspunkt hat er im Pazifik genommen, strömt durch die Sulawesi See und Straße von Makassar nach Süden und sorgt somit für den Wasseraustausch zwischen den Ozeanen. Der indonesische Durchfluss ist eine der größten Meeresströmungen der Welt und transportiert die unglaubliche Zahl von 10 Millionen Kubikmetern Wasser in der Sekunde. Er spielt damit eine zentrale Rolle in der globalen Zirkulation der Ozeane. Reisen die unzähligen Larven der Riffbewohner in dieser Strömung wie in einem ICE-Zug von Riff zu Riff? Wie sind die Korallenriffe im »Korallen-Dreieck« miteinander

Abb.8: Riesenmuschel Tridancna crocea


Marc Kochzius, Janne Timm, Agus Nur yanto

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verbunden? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir Gewebeproben von etlichen Bewohnern der Korallenriffe gesammelt, wie zum Beispiel von Anemonenfischen, Anemonen, Riesenmuscheln, Pilzkorallen, Seesternen und Seescheiden. Genetische Untersuchungen erlauben Rückschlüsse auf die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Populationen einer Art und somit den Austausch zwischen ihnen.

Abb.9: Die Inselwelt von Raja Ampat, Neuguinea

Tauchen wie an einem Wolkenkratzer – der »drop off« in Bunaken, wo das Riff senkrecht in die Tiefe abfällt und im endlosen Blau des Ozeans verschwindet. Kein Grund in Sicht. Hier am Anfang des indonesischen Durchflusses an der nördlichsten Spitze von Sulawesi, in Manado, wollen wir Vergleichsproben sammeln, um diese mit Proben aus dem über 1000 km entfernten Ende des indonesischen Durchflusses Bali, Komodo und Timor zu vergleichen. Doch was wir suchen findet sich nicht in der Tiefe an der steilen Riffwand, sondern im Flachwasser in nur wenigen Metern Tiefe: die Riesenmuschel Tridacna crocea. Genau wie Korallen leben diese in enger Symbiose mit mikroskopisch kleinen Algen, auch Zooxanthellen genannt, die sie in ihrem Gewebe beherbergen. Die Zooxanthellen können als Pflanzen Photosynthese betreiben und aus Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe der Energie aus Sonnenlicht Zucker aufbauen. Die Riesenmuscheln erhalten von den Zooxanthellen Zucker, die einzel-

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Korallenrif fe - Zentren der Ar tenvielfalt im Ozean

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ligen Algen Schutz und Kohlendioxid, was beim Stoffwechsel der Muschel entsteht. Daher kommen Riesenmuscheln häufig im lichtdurchfluteten Flachwasser vor. Die genetischen Analysen bestätigen, was man aufgrund der starken, stetigen Strömung vermuten kann: Die Riesenmuscheln in den Korallenriffen entlang des indonesischen Durchflusses sind sehr gut miteinander verbunden, es gibt nur geringe Unterschiede. Insgesamt lassen sich im »Korallen-Dreieck« vier Gruppen erkennen. Ähnlich wie beim Clownfisch ist die Population im Indischen Ozean vor Padang von den östlich gelegenen Gebieten getrennt. Auch die Riesenmuscheln aus der Java See zeigen einen geringen Austausch zu anderen Gebieten. Neben der guten Verbindung entlang des indonesischen Durchflusses, sind die Populationen in der Sulawesi See, Straße von Makassar und Flores See auch sehr gut mit der Ostküste Sulawesis verbunden. Im Gegensatz zum Clownfisch sind die Riesenmuscheln in der TominiBucht nicht isoliert, was man aufgrund der recht schmalen Öffnung der Bucht hätte vermuten können. Die Riesenmuscheln in Biak (Neuguinea) hingegen sind stark isoliert von den Populationen im Westen, ähnlich der Situation beim Clownfisch. Es gibt drei Theorien, warum die Gewässer des »Korallen-Dreieck« die meisten Arten im Indo-Pazifik beherbergen. Hier überlappen sich die Verbreitungsgebiete von Arten aus dem Indischen und Pazifischen Ozean, was nach dieser »ozeanischen Mengen-

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Abb.10: Manta Manta birostris


Marc Kochzius, Agus Nur yanto, Janne Timm

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Abb.11: Die Insel Sangalaki vor der Nordostküste Borneos

lehre« zu einer erhöhten Artenzahl führt. Andere Forscher meinen, dass neue Arten eher in den artenärmeren und isolierten Randgebieten entstehen und in das Biodiversitätszentrum einwandern. Die dritte Erklärung geht davon aus, dass neue Arten im »Korallen-Dreieck« entstehen. Letztlich wird sich der Artenreichtum nicht nur durch eine dieser Theorien erklären lassen, alle drei Prozesse spielen eine Rolle. Dennoch legen die genetischen Untersuchungen nahe, dass die Meeresspiegelschwankungen in der Vergangenheit einen starken Einfluss auf die Korallenriffbewohner der IndoMalaiischen Inselwelt ausgeübt haben und zur Artentstehung im »Korallen-Dreieck« beitrugen. Zum Einen wurden durch die Absenkung des Meeresspiegels Populationen getrennt, was in vielen Fällen zur Entstehung von Arten geführt hat. Zum Anderen hat im zentralen Bereich des »Korallen-Dreiecks« der indonesische Durchfluss für eine Durchmischung der Populationen gesorgt, in anderen Gebieten hingegen blieben die Populationen weiterhin getrennt. Die hohe Artenvielfalt in der Indo-Malaiischen Inselwelt wird auch durch die Vielzahl der Lebensräume ermöglicht, denn Korallenriffe, Seegraswiesen und Mangroven liegen hier in unmittelbarer Nachbarschaft und bilden ein vielfältiges Mosaik entlang der Küsten. Zudem sind hier am Äquator die Temperaturen über Jahrhunderttausende sehr gleichbleibend und stellen kein Anpassungsproblem dar, wie in den höheren Breiten, wo die Eiszeiten das Aussterben der tropischen Flora und Fauna an deren Verbreitungsgrenzen verursacht haben.

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Die Kenntnis über die Verbindung zwischen Populationen ist auch im Umweltschutz besonders wichtig. Auf Grundlage dieser Informationen kann die räumliche Verteilung von Schutzgebieten besser geplant werden, denn diese sollten für Larven aus anderen geschützten Gebieten erreichbar sein und selber auch Nachwuchs in ungeschützte Gebiete abgeben, in denen die Korallenriffe durch den Menschen genutzt werden. Dieses ist besonders im »Korallen-Dreieck« wichtig, da hier 88 % der Korallenriffe durch Fischerei, zerstörerische Fangmethoden, Abwässer, Baumaßnahmen, Landwirtschaft und Sedimenteintrag, bedingt durch die Abholzung der Regenwälder, bedroht sind. Auf unseren Expeditionen konnten wir leider einen Eindruck von der Bedrohung und Zerstörung der Riffe im »Korallen-Dreieck« gewinnen. Vor Padang haben wir riesige Flächen toter Riffe gesehen, über die sich vor Jahren der tödliche Teppich einer Algenblüte gelegt hatte, verursacht durch Überdüngung. Beim Tauchgang in Batam, direkt gegenüber von Singapur, kommt man sich bei etwa einem Meter Sicht vor wie in einem Baggersee – wir hatten Mühe uns nicht zu verlieren. Das aufgewühlte Sediment, welches langsam aber sicher das Korallenriff zuschüttet, ist hier nicht folge der Abholzung von Regenwäldern, sondern wird durch Landaufschüttungen in Singapur verursacht. In der Straße von Singapur werden riesige Mengen Sediment ausgebaggert, um damit den Platzbedarf des viel zu kleinen Stadtstaates zu befriedigen – mit dramatischen Folgen für die Korallenriffe auf indonesischer Seite.

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Aber dennoch, es gibt sie noch, die Trauminseln. Winzige Palmenbewachsene Eilande, umgeben von einem intakten Korallenriff. Diesmal begleiten uns dutzende von Mantas bei unserer suche nach Clownfischen und Riesenmuscheln. Majestätisch gleiten sie über das Korallenriff und filtern Plankton – also völlig ungefährliche Zeitgenossen. Eine Meeresschildkröte schwimmt an uns vorbei, die man hier sehr häufig beobachten kann, denn die Strände von Sangalaki sind ein wichtiges Brutgebiet. Nachts kommen die Meereschildkröten an Land und vergraben ihre Eier, und wenn sich am Tage die frisch geschlüpften Schildkröten ihren Weg zum Meer bahnen, dann kreist am Himmel schon der Seeadler, um sich seinen Anteil an der Vielfalt des Lebens im »Korallen-Dreieck« zu holen.

Abb.12: Grüne Meeresschildkröte Chelonia mydas

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Die Fischer von Malatapay – Handwerkliche Fischerei auf den Philippinen

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Marc Kochzius

Abb.1: Das Sahid-Netz wird auf eine Banka, das typische südostasiatische Auslegerboot, geladen.

Morgendämmerung. Gestalten bewegen sich zwischen den Stämmen der Kokospalmen. Es ist kurz nach fünf. Die Männer gehen zur Banka. Sie fassen das Boot an den Auslegern und tragen es mit zehn Mann durch den weichen Sand ins Wasser. Das Boot ist schwer und die Fußabdrücke zeichnen sich tief im Sand ab. Die Kinder und Frauen tragen die Paddel und geflochtene Körbe. Dann stemmen die Fischer das große Sahid-Netz hoch und bringen es zum Boot. Die Banka gleitet ins Wasser und wiegt sich sanft auf den Wellen. Es weht eine kühle Brise vom Meer und auch das Wasser ist relativ kalt. Die Morgenstunden um Sonnenaufgang können in den Tropen ziemlich kalt sein. Eduardo schwimmt mit seiner Schwimmbrille aus Holz und Fensterglas über die Seegraswiese und hält nach einem Sardinen- oder Anchovischwarm Ausschau. Die anderen warten im Boot gespannt auf ein Zeichen, um dann so schnell wie möglich den Fischschwarm mit dem Netz einzukreisen. Eduardo gibt ein kurzes Zeichen und die Banka wird durch kräftige Paddelschläge der Männer langsam in Fahrt gebracht. Die Kinder und Frauen bleiben am Strand zurück und halten ein Ende des 120 Meter langen Netzes fest. Während das Netz ins Wasser geworfen wird, beschreibt das Boot einen Halbkreis und kehrt zum Strand zurück. Auch dort haben schon einige Frauen und Kinder gewartet. Nun wird das Netz an beiden Enden über die Seegraswiese an den Strand gezogen, in der Hoffnung, dass man einen möglichst großen Schwarm von Sardinen oder Anchovis eingekreist hat. In der Mitte des Netzes befindet sich eine große Tasche, die den Fischschwarm aufnimmt. Das Wasser in der Netztasche schäumt

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Die Fischer von Malatapay – Fischerei auf den Philippinen

vor silbrig glänzenden Anchovis, welche in diesem Bereich der Küste Bolinaow genannt werden. Die Namen der Fische sind auf den Philippinen sehr variabel. Mit demselben Namen kann schon ein Barangay weiter ein völlig anderer Fisch gemeint sein. Die Bezeichnung Barangay für eine Dorfgemeinschaft stammt noch aus den Zeiten der Besiedlung des philippinischen Archipels durch Malaien seit dem 2. Jahrhundert vor Christus. Barangays waren ursprünglich die seetüchtige Auslegerboote, mit denen stammesmäßig zusammengehörende Familienverbände auf den Philippinen eintrafen. Der Fang wird in große geflochtene Körbe umgefüllt. Plötzlich ein warnender Aufschrei: »Ito!« Ganz unten in der Netztasche befinden sich einige junge Korallenwelse, die Ito genannt werden. Mit ihren drei giftigen, stachelartigen Flossenstrahlen können sie schmerzhafte Wunden verursachen. Vorsichtig überführt Eduardo die Korallenwelse in einen der Körbe. Der Fang war mit ungefähr 720 kg sehr erfolgreich. Während die anderen das Netz ordnen und wieder auf die Banka laden, hält Eduardo schon nach dem nächsten Schwarm Ausschau. Heute ist

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Abb.2: Das Sahid-Netz, im Deutschen Strandwade genannt, wird an Land gezogen.


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abgetaucht in Malatapay Wochenmarkt und daher eine gute Gelegenheit, durch den Verkauf des Fanges etwas Geld zu verdienen. In der Regel wird der größte Teil des Fanges zur Eigenversorgung benötigt, so dass nicht sehr viel verkauft werden kann. Oft ziehen sie auch das Netz an den Strand, ohne einen Fisch gefangen haben.

Abb.3: Ein großer Schwarm Anchovies Anchovis ist in das Sahid-Netz gegangen.

Die Bevölkerung der Philippinen hat sich in den letzten 30 Jahren fast verdreifacht und ist auf über 90 Millionen Menschen angestiegen. Dadurch erhöhte sich die Zahl der Fischer so stark, dass die Fischbestände der küstennahen Gewässer überfischt werden. Die von der Fischerei abhängige Bevölkerung lebt an oder unter der Armutsgrenze (30.000 Peso / Jahr, etwa 900 Euro), wobei 30 bis 40 Prozent keine eigenen Fischereigeräte besitzen. Im Küstenbereich findet die handwerkliche Fischerei mit kleinen Netzen, Angelhaken und Fallen vor allem in den Korallenriffen und Seegraswiesen statt. Die Korallenriffe bedecken schätzungsweise 33.000 km2 der flachen Küstengewässer und sind auf 7107 Inseln verteilt. Zwei Drittel der philippinischen Ko-

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Die Fischer von Malatapay – Fischerei auf den Philippinen

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rallenriffe befinden sich nach einer Studie des »ASEANAustralian Marine Science Project« in einem mäßigen bis schlechten Zustand. Im Rahmen dieses Projektes zwischen den ASEAN Staaten (Burnei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam) und Australien wurde der ökologische Zustand der küstennahen Gewässer erfaßt. Ziel war die Erarbeitung eines Küstenmanagements zur nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen Korallenriff, Seegraswiese und Mangrove. Die Fischbestände der philippinischen Korallenriffe gelten generell als überfischt. Dieses führt zu geringeren Fangmengen, so dass es für die Fischer immer schwieriger wird, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auf den Philippinen und im übrigen Südostasien ist Fisch die Hauptquelle für Fleisch, da Hühner-, Schweine- oder Rindfleisch für den größten Teil der Be-

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Abb.4: Wochenmarkt in Malatapay

Abb.5: Durchschnittliche Einnahmen und Ausgaben einer Fischerfamilie in Malatapay, Negros Oriental, Philippinen


Marc Kochzius

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völkerung zu teuer sind. Daher belegen die Philippinen im jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Fisch mit 35 kg weltweit einen der ersten Plätze. In den zentralen Visayas (die Provinzen Negros Oriental, Cebu und Bohol) liegt der Fischkonsum sogar bei 48 kg pro Person und Jahr. Der Durchschnitt in der Europäischen Union beträgt hingegen nur rund 20 kg. Professor Pauly von der Universität in Vancouver, Kanada hat für diese Entwicklung den Begriff »Malthus’sche Überfischung« geprägt, der auf die Thesen des englischen Nationalökonomen T.R. Malthus (1766-1834) zurückzuführen ist. Diese demonstrieren, dass die als Nahrungsgrundlage dienenden natürlichen Ressourcen einem unkontrollierten Bevölkerungswachstum nicht folgen können. Auch der zweite Fang war erfolgreich, so dass das Netz ein drittes Mal ausgebracht wird. Nach zweieinhalb Stunden Fischerei werden etliche volle Körbe zum Wochenmarkt gebracht, wo sie verkauft werden sollen. Jeder Helfer nimmt sich eine Hand voll Fische zum Frühstück mit. Oft ist diese Hand voll Fisch das einzige, was sie erhalten, denn nicht immer ist der Fang so groß. Heute ist ein Glückstag, denn wenn der Fang verkauft ist, erhalten sie ihren Anteil in Pesos ausgezahlt. Für die Fischer ist der Wochenmarkt eine willkommene Abwechslung und eine gute Gelegenheit, durch allerlei Geschäfte etwas Geld zu verdienen. In kleinen Imbissbuden verkaufen sie Essen und Getränke, beteiligen sich als Zwischenhändler am Viehhandel oder verkaufen ihren Fang. Auch Freddy ist heute mit seiner Crew erwartungsvoll zum Korallenriff gerudert, um das große Kiemennetz einzuholen. Gestern Abend hatten sie das Netz im Riff ausgebracht. Nun holen sie es wieder ein und Freddy muß ständig nach unten tauchen,

Abb.5: Bolinaow (Anchovi, Stolephorus indicus)

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Abb.6: Ein Schwarm junger Korallenwelse (Plotosus lineatus)

Abb.8: Karte von Südostasien und den Philippinen

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Die Fischer von Malatapay – Fischerei auf den Philippinen

Durch Forschungs- und Entwicklungshilfeprojekte soll eine Zerstörung der Fischbestände in den küstennahen Gewässern verhindert werden. Im »Centre for the Establishment of Marine Reserves in Negros Oriental (CEMRINO)« in Dumaguete, der Hauptstadt der Provinz Negros Oriental, unterstützten die deutschen Meeresbiologen Helge Vogt und Berthold Schirm die Umweltbehörde »Resource Management Division (RMD)« bei der Einrichtung von marinen Schutzgebieten. In der Provinz Negros Oriental gibt es rund 22 solcher gesetzlichen Schutzgebiete, von denen 12 mit Unterstützung von »CEMRINO« eingerichtet wurden. Neben den Wissenschaftlern von »CEMRINO« war auch die Fischereibiologin Maike Waltemath vom »Deutschen Entwicklungsdienst (DED)« an diesem Projekt beteiligt. Ziel des Projekts war es, das Ausmaß der handwerklichen Fischerei zu erfassen und durch Schutzgebiete eine Zerstörung der Fischereiresourcen zu verhindern. Das Projekt wurde von der Europäischen Union finanziert und durch das »Zentrum für Marine Tropenökologie« an der Universität Bremen durchgeführt. Die Einrichtung von marinen Schutzgebieten ist aber nur sinnvoll, wenn die ansässigen Fischer die Notwendigkeit einsehen und sich aktiv an der Durchsetzung des Fischereiverbotes im Schutzgebiet beteiligen. Die Dorfgemeinschaften der Barangays werden in Negros Oriental durch Mitarbeiter der »Resource Management Division« regelmäßig besucht und in Informationsveranstaltungen über die Vorteile von Schutzgebieten aufgeklärt. Daher wird die Errichtung von marinen Schutzgebieten in den Barangays auf breiter Basis akzeptiert. Teilweise fragen Dorfgemeinschaften selber bei der Umweltbehörde an, ob bei ihnen nicht auch ein Schutzgebiet erreichtet werden kann. Nachdem in einem Barangay Abb.9: Berthold Schirm von CEMRINO auf einer Informationsveranstaltung für Fischer, in denen ihnen u.a. gezeigt wird, wie sie mit einer Waage und Formblättern ihren Fang für die Umweltbehörde dokumentieren können.

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die Idee eines Schutzgebietes mit Fischereiverbot akzeptiert worden ist, untersuchen die Wissenschaftler von »CEMRINO« die dem Dorf vorgelagerten Korallenriffe. Zum einen wird der Zustand der Korallen erfaßt, zum anderen wird der Fischbestand im Riff ermittelt. Die Aufnahme der Daten erfolgt in zahlreichen Tauchgängen im Korallenriff. Die Erfassung der Korallen erfolgt mit Videokameras und das Ziel ist es, die Bedeckung des Riffs mit lebenden Korallen zu ermitteln, da sich daraus der Zustand des gesamten Korallenriffs mit all seinen Bewohnern erkennen läßt. Für die Fischerei ist die Fischgemeinschaft des Korallenriffs interessant, so dass auch diese eingehend untersucht wird. Der Fischbestand wird von den Meeresbiologen durch Fischzählungen unter Wasser ermittelt. Der Taucher muß eine sehr gute Beobachtungsgabe haben und mindestens die 250 bis 300 häufigsten von den rund 2500 Fischarten der philippinischen Korallenriffe erkennen können. Dieses erfordert sehr viel Erfahrung und Training. Wenn die ökologischen Voraussetzungen für ein marines Schutzgebiet erfüllt sind, das Riff sich also noch in einem relativ guten Zustand befindet, wird in der Dorfgemeinschaft über die Errichtung eines Reservates abgestimmt. In den meisten Fällen sprechen sich die Fischer für ein Schutzgebiet aus, das dann offiziell vermessen und mit Bojen markiert wird. Je nach Größe des Korallenriffs in den Gewässern des Barangays hat dieses eine Ausdehnung von ein bis zwei Hektar. Innerhalb dieses Gebietes ist nun jede Art der Fischerei verboten und die ortsansässigen Fischer überwachen die Einhaltung dieses Verbotes. Die Größe des Schutzgebietes ist so gewählt, dass den Fischern noch genug Raum bleibt, der Fischerei nachzugehen.

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Abb.10: Erfassung der Fischfauna. Berthold Schirm notiert alle Fische 2,5 m rechts und links eines 50 m-Maßbands auf einer Schreibtafel.

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Die Fischer von Malatapay – Fischerei auf den Philippinen


Marc Kochzius

abgetaucht weil sich das Netz in den Korallen verfangen hat. Nachdem das Netz geborgen worden ist, kehren sie an den Strand zurück. Fische und Korallenbruchstücke werden sorgfältig aus dem Netz gelöst und das Netz wird ordentlich zusammengelegt. Heute gibt es jedoch nicht viel zu verteilen. Jeder erhält ein paar kleine Fische, zum Verkauf bleibt leider nichts übrig. Victoriano läuft mit einem breiten zahnlückenlächeln und vollem Korb zu seinem Haus. Er ist heute schon vor Morgengrauen aufgebrochen und über eine Stunde mit seiner kleinen Banka zu seinem Angelplatz gepaddelt. Dort hat er mit großer Erfahrung und auch etwas Glück einen guten Fang gemacht. Viele gelblich-rosa-farbene Schnapper sind ihm an den Haken gegangen, die er nun für gutes Geld auf dem Wochenmarkt verkaufen kann.

Abb.11: Der magere Tagesfang

Negros Oriental ist ein gutes Beispiel für ein vielversprechendes Management der handwerklichen Küstenfischerei. In den an der gesamten Küste verteilten Schutzgebieten können sich die Fischbestände erholen und es wird eine nachhaltige Nutzung der Fischereiresourcen ermöglicht, so dass auch zukünftige Generationen vom Meer leben können. Leider ist die Durchführung eines solchen Managements nicht in allen Regionen der Philippinen möglich. In vielen Bereichen des Landes werden noch zerstörerische Fischereimethoden verwendet, obwohl diese 1972 durch strenge Fischereigesetze verboten wurden. Bei Missßachtung dieser Gesetze kann sogar eine lebenslange Haft verhängt werden. Auf den Inseln Samar und Palawan wird aber dennoch mit Sprengstoff oder Natriumzyanid gefischt. Da Dynamit zu teuer und schwer zu bekommen ist, bauen die Fischer die Sprengladungen mit dem Kunstdünger Ammoniumnitrat selber. Es wird geschätzt, dass fast 50 % der handwerklichen Fischer zumindest unregelmäßig Explosivfischerei betreiben. Durch die Detonation der Sprengladung werden alle Tiere in unmittelbarer Umgebung getötet und auch in größerer Entfernung nehmen Fische noch Schaden. Die Korallen werden zerstört, so dass nur noch tote Korallenschutthalden zurückbleiben. In diesen zerstörten Korallenriffen ist eine dramatische Abnahme von Fischen und anderen Vertretern der Fauna zu beobachten. Durch Wellen und Strömungen wird dieser Schutt ständig umgelagert, so dass sich nur schwer neue Korallen ansiedeln können. Daher wird es Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauern, bis die angerichteten Schäden durch neues Korallenwachstum behoben sind. Auch durch die Fischerei mit dem Gift Natriumzyanid wird das Ökosystem Korallenriff Stück für Stück zerstört. Das Gift wird von tauchenden Fischern aus kleinen Plastikflaschen in die Korallenstöcke gespritzt, in denen sich die Fische verstecken. Alle Tiere die damit in Verbindung kommen werden betäubt, schwer geschädigt oder getötet. Neben den Fischen werden mit dem Natriumzyanid auch Korallen und andere Tiere vergiftet. Es wird geschätzt, dass in den Philippinen jährlich 33 Millionen Korallenstöcke mit Zyanid eingesprüht werden. Dieser Raubbau an den Riffen ist nicht auf die Philippinen beschränkt, auch in Indonesien ist dieses tägliche Praxis. Natriumzyanid kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn Fische für Aquarien oder als lebende Delikatesse für japanische oder chinesische Restaurants gefan-

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Die Fischer von Malatapay – Fischerei auf den Philippinen

gen werden sollen. Im Restaurant werden dort teilweise weit über hundert Euro für lebende Zackenbarsche gezahlt, die Fischer jedoch erhalten nur einen Bruchteil dieser Summe. Ein lebender Paddelbarsch kostete in einem Restaurant in Hong kong bis zu 100 Euro / Kg, der indonesische Zwischenhändler verdient etwa 30 Euro / Kg und der Zyanid-Fischer nur 10 Euro / Kg – was für einen indonesischen Fischer eine extrem hohe Summe ist. Napoleon-Lippfische erzielen ähnliche Preise, jedoch die Lippen allein kosten exorbitante 160 Euro. Von den gefangenen Aquarienfischen sterben mehr als 80% auf dem Weg zum Kunden in den USA oder Europa. In vielen Regionen der Philippinen befinden sich die Fischer in einem Teufelskreis. Sie wissen um die zerstörerische Wirkung dieser Fischereimethoden, jedoch haben sie keine andere Möglichkeit ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Mit den herkömmlichen Methoden, wie Angelhaken und Reuse, fangen sie so wenig Fische, dass sie nicht einmal den durchschnittlichen philippinischen Tageslohn verdienen können. Benutzen sie hingegen zerstörerische Methoden, so können sie ein Vielfaches verdienen. Dafür nehmen sie auch gesundheitliche Schäden in Kauf, denn viele haben durch Sprengladungen schon Gliedmaßen verloren oder sich mit Natriumzyanid vergiftet. Auch Juan hat einmal nur von der Fischerei gelebt. Er stammt von der kleinen Insel Apo, die dem Fischerdorf Malatapy vorgelagert ist. Auf Apo gibt es zwei kleine Barangays und man lebt ausschließlich vom Fischfang. Obwohl die Fänge an der Küste abgenommen haben, fangen die Fischer von Apo immer noch genügend Fisch. Es gibt dort viele Fische des offenen Ozeans, wie die begehrten Mamsa (Stachelmakrelen) und Rainbow Runner, die gelegentlich die Korallenriffe aufsuchen. Im Jahr 1972 kamen Vertreter eines großen Fischereikonzerns nach Negros, um Leute für die Abb.12: Zerstörtes Korallenriff

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Marc Kochzius

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xy Abb.13: Paddelbarsch, Cromileptes altivelis

Abb.14: Lebender Zackenbarsch in einem Restaurant in China

großen Muro-ami-Fischdampfer anzuheuern. Da die Familie auf jeden Peso angewiesen war, wurde der 14-jährige Juan auf die Fangboote nach Palawan geschickt. Diese plünderten durch diese zerstörerische Fangmethode die zahlreichen Korallenriffe, die der Küste Palawans vorgelagert sind. Muro-ami wurde während des Zweiten Weltkrieges von den Japanern auf den Philippinen eingeführt. Die eingesetzten Netze sind über 300 Meter lang und bis zu 50 Meter hoch. In der Mitte habe sie eine große Öffnung, an die sich ein riesiger Sack von 100 m Länge anschließt. Das Netz wird in einem Halbkreis um das Korallenriff ausgebracht und mehr als 200 Schwimmer treiben die Fische des Korallenriffs in das Netz. Als Schwimmer werden hauptsächlich Kinder eingesetzt, die durch Steinen beschwerte Leinen mit sich führen, an denen zahlreiche glitzernde Plastikstreifen angebracht sind. Mit Hilfe der Leinen bilden die Schwimmer eine sich bewegende Wand, die sich langsam auf das große Netz zubewegt und die Fische hinein treibt. Durch das Klopfen mit den Steinen auf die Korallen werden diese zertrümmert und die Fische aus ihren Verstecken getrieben. Durch diese Methode wird das Korallenriff annähernd komplett abgefischt. Zurück bleibt ein zerstörtes Korallenriff, eine Schutthalde aus Korallenbruchstücken, die von keinem Fisch mehr bevölkert wird. Auf den Fischdampfern wurden unter miserablen hygienischen Umständen weit über 300 Menschen zusammengepfercht. Trinkwasser war knapp, so dass die Menschen sich selbst und die Kleidung nur mit Salzwasser waschen konnten. Unter diesen Bedingungen lebte Juan ein Jahr auf solch einem Schiff. Der Fang wurde von kleineren Schiffen in die Häfen gebracht, so dass die großen Fischdampfer selten in einen Hafen einfuhren. Durch Hai-An-

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Die Fischer von Malatapay – Fischerei auf den Philippinen


Marc Kochzius

abgetaucht griffe kam es häufig zu Todesfällen und viele Taucher verwickelten sich im Netz und ertranken. Die Taucher waren nur mit Schwimmbrillen aus Holz und Fensterglas ausgerüstet und tauchten bis zu 30 Meter tief. Sie hatten die Aufgabe, große Fische an der Flucht aus dem Netzsack zu hindern. Bei dieser Arbeit konnten sie zu weit in den Netzsack geraten, hatten keine Chance mehr aufzutauchen und ertranken. Die Reeder der großen Fischdampfer erlaubten es den Tauchern nicht, ein Messer mitzunehmen, um sich damit aus dem Netz befreien zu können, da dadurch das Netz beschädigt wird. Trotz des 1972 erlassenen Verbotes dieser zerstörerischen Fischereimethode gibt es immer noch Muro-ami-Fangschiffe vor Palawan, einer der Reeder war sogar Abgeordneter im philippinischen Parlament. Durch die verbreitete Korruption ist es oft unmöglich, die bestehenden Gesetze zum Schutz der Korallenriffe und Fischbestände durchzusetzen. Nach vielen Jahren des Sparens hat Juan sich zwei Pump Boats, große Bankas mit Motor, gekauft. Mit diesen beiden Booten fährt er heute Tauchtouristen zum Meeresschutzgebiet auf Apo. Juan hat gute Kontakte zu einem großen Hotel in der Provinzhauptstadt Dumaguete, so dass er in der Saison von Dezember bis März sehr viele japanische und amerikanische Sporttaucher zur Insel bringt. Auf diese Weise hat er sich von der Fischerei unabhängig gemacht, so dass es ihm nun besser als vielen seiner Nachbarn geht. Neben der Fischerei bauen viele Familien im Dorf noch Reis oder Mais an. Meistens reicht die Ernte jedoch nur zur Eigenversorgung aus. Auch die Familie von Juan bestellt ein kleines Stück Land und baut dort Mais an, da die Wasserversorgung zum Reisanbau nicht ausreicht. Alle Familien der Dorfgemeinschaft bestreiten Ihren Unterhalt durch mehrere Einnahmequellen, denn nur von der Fischerei kann hier fast niemand mehr leben. Noch kann das Meer die Fischer von Malatapay und viele hundert Millionen Menschen in anderen Entwicklungsländern ernähren, jedoch ist diese Nahrungsquelle in Zukunft durch Überfischung bedroht. Dem kann nur durch eine Verminderung des Bevölkerungswachstums und Verbesserung der sozialen Situation entgegengewirkt werden. Die Fischer müssen durch einen alternativen Lebenserwerb außerhalb der Fischerei aus dem Teufelskreis der Überfischung befreit werden. Daneben muß eine nachhaltige Nutzung die Fischbestände und Korallenriffe durch ein Küsten- und Fischereimanagement ermöglicht werden, wie es z.B. durch die Einrichtung von marinen Schutzgebieten möglich ist. Wenn an der heutigen Situation nichts geändert wird, sind die Korallenriffe der Philippinen und Südostasiens in ihrer Existenz bedroht.

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Abb.12: In mühsamer Handarbeit werden die Maiskörner von den Kolben gelöst

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Korallen und Fische, Korallenfische?

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Jürgen Kriwet und Peter Bartsch

Abb.1: Repräsentanten zweier typi-scher, riff-assoziierter Fischgruppen: Cetoscarus bicolor (Rüppell, 1829) – Scaridae (Papageifische) ein adultes Männchen; darunter ein kleinerer Verwandter – Thalassoma rueppellii (Klunzinger, 1871) »Klunzinger's Lippfisch« oder »Regenbogenlippfisch«, Labridae (Lippfische); Rotes Meer

Korallenfische gibt es nicht! Diese Feststellung des gestrengen Systematikers scheint paradox und erschreckend. Sollten wir uns alle getäuscht haben? Ist es nicht gerade der sprichwörtliche Fischreichtum tropischer Korallenriffe, der uns, sei es als Taucher, Schnorchler oder Aquarianer, sofort ins Auge springt? In einem Riff sollen bis zu einer Million verschiedener Organismen leben, etwa 60 000 Arten sind bisher bekannt. Davon entfallen weit mehr als 5000 Arten auf Fische die in oder an Korallenriffen leben. Der Artenreichtum, aber auch die ökologische Vielfalt der Zusammensetzung der Fischfaunen, nimmt vom Äquator graduell nach Norden und Süden ab, so dass sich zum Beispiel Fischfaunen felsiger Küsten in temperierten Klimabereichen klar von tropischen Riffgemeinschaften unterscheiden. Aber nicht nur solche latitudinale Gradienten sind zu beobachten. Der größte Artenreichtum findet sich mit mehr als 3000 Fischarten im Indo-Pazifik. Mit zunehmender Entfernung in westlicher bzw. östlicher Richtung nimmt die Anzahl der Fischarten ab, weshalb auch von einem indo-philippinischen Diversitätszentrum gesprochen wird. Diese Beobachtungen führten unter anderem zu der Annahme, dass die Entstehung und Erhaltung der Artenvielfalt von Korallenfischen direkt vom Nahrungsangebot, aber auch von den vorhandenen »Nischen« eines Riffes, abhängen. Dabei ist innerhalb von Riffen eine Zonierung erkennbar, die sich durch eine etwas unterschiedliche Zusammensetzung der Fischgemeinschaften auszeichnet. Das Alter und die Geschichte der Korallenriffe wird zusätzlich eine wichtige Rolle spielen. Atlantische Riffe sind immer artenärmer als indopazifische – nicht nur in ihrer Fischfauna – vielleicht weil

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Korallen und Fische, Korallenfische?

der Atlantik einfach jünger ist, vielleicht auch weil seine Oberflächentemperaturen durch die Eiszeiten stärker zum Nachteil der Korallen abgekühlt worden sind.

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Abb.2: Schädelzeichnung von Chaetodipterus faber (Broussonet, 1782) – Atlantic Spadefish (Ephippidae)

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Jürgen Kriwet und Peter Bar tsch

Abb.3: Schädelzeichnung von Chaetodon ocellatus Bloch, 1787 – Spotfin Butterflyfish (Chaetodontidae, Falterfische)

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Fische tropischer Korallenriffe fallen im Vergleich zu Fischen anderer Klimazonen und Lebensräumen durch eine intensive Färbung und unterschiedlichste Körperformen aus. Was aber sind Korallenfische? Auch wenn diese Frage trivial erscheint, ist ihre Beantwortung tatsächlich schwierig. Generationen von Wissenschaftlern haben sich damit beschäftigt, was einen Korallenfisch bezeichnet und doch sind Kriterien zur Beurteilung von Korallenfischen nach wie vor kaum oder nur unzureichend definiert. Allgemein versteht man unter Korallenfischen solche Fische, die von dem Lebensraum Korallenriff in irgendeiner Weise direkt oder indirekt abhängig sind. Der Begriff Korallenfisch ist somit vielmehr eine ökologische Klassifizierung, denn eine Bezeichnung der biologischen Systematik. Fische, die in dieser Kategorie zusammengefasst werden, müssen nicht näher mit einander verwandt sein. Und tatsächlich finden sich Vertreter fast aller Großgruppen am tropischen Korallenriff ein. Aber auch ökologische Kriterien zur Identifizierung von Korallenfischen sind kaum hilfreich, da viele Fische tropischer Riffgemeinschaften und anderer Lebensräume in Körperbau, Ernährungsweise und Verhalten mehr oder weniger starke Ähnlichkeiten zeigen. Die artenreichste Gruppe ist wohl auch immer die der wenig spezialisierten Räuber. Erste Versuche, potentielle, nicht-ökologische Merkmale von Korallenfischen zu aufzuzeigen erfolgten Anfang der 1990er Jahre. Es wurden eine Reihe Merkmale in Form einer taxonomischen Konsens-Liste zusammengefasst, die für alle typischen Riffgemeinschaften gelten sollte. Insgesamt wurden dabei 16 Riffe untersucht, in denen 92 Fischfamilien vorkommen. Aber nur 10 sehr artenreiche Fischfamilien kommen in allen diesen Riffen gleichermaßen vor. Das gemeinsame Vorkommen dieser 10 Gruppen wurde im Folgenden als typisch für KorallenfischAssoziationen angenommen. Zu diesen Gruppen gehören die Grundeln (Gobiidae, >1500 Arten), Doktorfische (Acanthuridae, > 70 Arten), Falterfische (Chaetodontidae, >200 Arten), Kardinalbarsche (Apogonidae, > 330 Arten), Lippfische (Labridae) und Papageifische (Scaridae, > 450 Arten), Riffbarsche (Pomacentridae, > 300 Arten), Sägebarsche (Serranidae, > 500 Arten), Soldatenfische (Holocentridae, > 80 Arten) und Spatenfische (Ephippidae, > 20 Arten). Allerdings zeigten weiterführende Untersuchungen, dass diese Konsens-Liste nicht ausschließlich Korallenfisch-Gemeinschaften beschreibt, sondern vielmehr flachmarine tropische, aber auch subtropische, benthische Fischgemeinschaften aus strukturierten Lebensräumen charakterisiert, die keine Riffe sein müssen. Auch wenn so diese 10 sehr artenreichen Fischgruppen einen Hinweis auf eine moderne Korallenfischfauna geben mögen, bleibt letztendlich doch nur die triviale und tautologische Erkenntnis, dass Fische dann Korallenfische sind, wenn sie in einem Korallenriff leben und mit diesem in irgendeiner Weise interagieren. Die Artenzusammensetzung in Riffen hängt dabei von zufälligen Faktoren, ihrer Fähigkeit, diesen Lebensraum zu besiedeln und den unterschiedlichen Nahrungsanpassungen ab, die es den Fischen ermöglicht, überhaupt zusammen zu leben. Im Folgenden werden wir den Begriff Korallenfisch einfach für Fische benutzen, deren Lebensweise eng mit Korallenriffen verknüpft ist.

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Korallen und Fische, Korallenfische?

Das Riff – eine Welt mit speziellen Anpassungen Zentren hoher Produktivität in den Wüsteneien der notorisch nährstoffarmen Oberflächenwassermassen tropischer Ozeane sind die Korallenriffe, um die sich die bunten Schwärme tummeln. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts existieren mehrere konkurrierende Hypothesen zur Erklärung des Artenreichtums von Korallenriff-Fischfaunen:

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Die Habitat-Komplexität, der offenkundige Reichtum an engräumig geschach telten Lebensräumen unterschiedlicher Bedingungen erlauben hohe ökologische Nischen- und damit Artenzahlen von zunehmend eng spezialisierten Tiergruppen. Die Lotterie-Hypothese dagegen führt ins Feld, dass viele Korallenriffbewohner ähnliche Nahrungs- und Lebensraumansprüche haben, dass sie hohe Zahlen planktischer Larven produzieren, direkte Konkurrenz stattfindet und die Besiedlung bestimmter Lebensräume aus diesem Planktonpool zum Grossteil ein zufälliger Etablierungseffekt ist. Eine dritte Hypothese unterstellt in etwas ähnlicher Weise, dass Populationen von Korallenfischen nie ein Gleichgewicht erreichen, sondern Prädation, Katastrophenereignisse und unvorhersagbar zufällige Rekrutierung der planktonbewohnenden Larven dafür sorgen, dass die Bestände nie eine Größe erreichen, die zu einem Ausschluss der Konkurrenz führt.

Bis heute kann man sich darüber trefflich streiten und keine These allein scheint die Fülle der Phänomene zu erklären. Korallenfische sind an ihren Lebensraum sehr gut angepasst und in ihrer Morphologie, ihrer Färbung, ihrem Verhalten und ihren Lebenszyklen hoch spezialisiert – so scheint es. So hat die auffallende Färbung, die ja nur in den lichtdurchfluteten Oberflächenregionen der klaren, warmen Ozeane zur Wirkung kommt, die unterschiedlichsten Aufgaben. Bei einigen Arten dient sie der Partnerfindung und -bindung, wobei die Männchen oft anders gefärbt sind als die Weibchen, bei anderen Arten dienen sie der Reviermarkierung, aber auch der Konturauflösung als Tarneffekt, um sich vor Räubern zu schützen. Geschlechtswechsel mit dem Alter, Haremsbildung, Brutpflege und strenge Territorialität sind häufige oder zumindest häufig beobachtete Phänomene im Riff. Die meisten Korallenfische besitzen einen hohen, seitlich abgeflachten Körper, der es ihnen ermöglicht, sich in dem stark strukturierten Lebensraum zwischen den Korallen problemlos fortzubewegen. Eine Schwimmblase, die exakte Auftriebsneutralität sichert, und eine komplexe Flossenmuskulatur zusammen mit einer verkürzten Längsachse – in dieser Kombination alles »Erfindungen« der modernen Knochenfische, der Teleosteer – erlauben das genaue Manövrieren im komplizierten dreidimensionalen Raum des Riffes. Sie ernähren sich entweder direkt von den Riffbild-

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Abb.4: Schädelzeichnung von Scarus guacamaia Cuvier, 1829 – Rainbow Parrotfish (Scaridae, Papageifische)

nern und ihren Produkten (z.B. Riffbarsche, Falterfische, Feilenfische) oder aber sie nutzen den Riffkörper mit seiner sehr variablen und unterschiedlichen Morphologie als Lebens- oder Zufluchtsraum (z.B. Fahnenbarsche, Grundeln, Pelzgroppen). Während die meisten Korallenfische permanent im Riff oder der zugehörigen Lagune leben, besuchen anderen dagegen das Riff nur sporadisch auf der Suche nach Nahrung oder zum Schutz. Wieder andere Fische nutzen den stark gegliederten Lebensraum als Kinderstube. Aber wie groß ein Riff auch sein mag, der Lebensraum bleibt letztendlich begrenzt. Damit für alle Fische ausreichend geschützter Raum für die Ruhephasen zur Verfügung steht, wechseln sich tag- und nachtaktive Fische ab. Und so kommt jedem Fisch eine besondere Rolle im Riff zu. Während die meisten Fische eine ausgeprägt räuberische Lebensweise haben, gibt es in Korallenriffen auch solche, die sich an eine herbivore Lebensweise angepasst haben. Diese weiden Algen von den Korallen ab, tragen so zur Kontrolle des Weichalgenbewuchses bei und schaffen immer wieder freie Hartgründe, die von Korallenlarven als Siedlungsfläche genutzt werden können. Jungfernfische (Pomacentridae) gehen sogar so weit, dass sie definierte Weichalgenflächen, von denen sie sich ernähren, bewachen, pflegen und gegen

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Korallen und Fische, Korallenfische?

andere Fische verteidigen. Clownfische, die ebenfalls zu den Riffbarschen (Pomacentridae) gehören, sind erstaunlicherweise eine enge Symbiose mit Seeanemonen eingegangen, wobei die verschiedenen Arten immer nur mit bestimmten Seeanemonen vergesellschaft sind. Der berühmteste Clownfisch ist Nemo aus dem berühmten Zeichentrickfilm. Die Vorteile für den Fisch liegen auf der Hand. Die Seeanemone bietet den durchweg schlechten Schwimmern Schutz vor Räubern. Aber auch die kleinen Clownfische verteidigen ihre Seeanemone gegen Räuber, nämlich gegen Falterfische (Chaetodontidae) und Feilenfische (Monacanthidae). Es sind solche, besonders enge ökologische Wechselbeziehungen, die die These von dem Spezialistentum und der engen »Einnischung« der Korallenfische befördern.

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Papageifische, zernagen und zerkleinern kranke, abgestorbene oder alte Korallenskelette effizient auf der Suche nach organischen Substanzen und tragen so zur Sedimentproduktion bei, indem sie die zerkleinerten kalkigen Skelette als feinen Sand entweder über die Kiemenspalten oder durch den Verdauungstrakt wieder ausscheiden. Diese Tätigkeit schafft aber auch wieder neuen Untergrund, der von verschiedensten Organismen besiedelt werden kann. Dagegen haben sich die kleinen Putzerfische auf das Säubern anderer Fische spezialisiert. Sie richten geradezu Putzstationen in Riffen ein, wo andere Fische, auch große räuberische Zackenbarsche, sich von Parasiten oder abgestorbenem Hautgewebe befreien lassen. Den überwiegenden Anteil der verbleibenden, in einem Riff lebenden Fische bilden Räuber, die sich entweder von Krebsen, Seesternen, Seeigeln und anderen Wirbellosen ernähren oder aber sogar ihresgleichen jagen.

Abb.5 (oben, links): Amphiprion clarkii (Bennett, 1830) – Pomacentridae (Anemonenfische) Löbbecke-Aquarium und Museum, Düsseldorf Abb.6 (oben, rechts): Acanthurus sohal (Forskal, 1775) – Acanthuridae (Doktor-fische) Rotes Meer Abb.7 (mitte, links): Repräsentanten zweier typi-scher, riff-assoziierter Fischgruppen: Cetoscarus bicolor (Rüppell, 1829) – Scaridae (Papageifische) ein adultes Männchen; darunter ein kleinerer Verwandter – Thalassoma rueppellii (Klunzinger, 1871) »Klunzinger's Lippfisch« oder »Regenbogenlippfisch«, Labridae (Lippfische); Rotes Meer

»Zeig mir deine Zähne und ich sage dir, was du frisst!« Die Anpassung an unterschiedliche Ernährungsstrategien stellt eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Zusammenleben verschiedenster Fischarten in einem Korallenriff dar und ihre Vielzahl ist zugleich eines der wesentlichen Argumente für eine »Nischendifferenzierung« . Dabei bedingen ähnliche Anforderungen auch eine adäquate Ausstattung an morphologischen Erscheinungen, koordiniert mit dem Verhaltensrepertoire. Die Art der Ernährung äußert sich am augenfälligsten in Besonderheiten des Gebisses. Jeder von uns kennt dies von Säugetieren, aber auch von Haien und Fischen. In erster Linie geht es immer um fressen und gefressen werden. Aber während die Säugetiere ihre Nahrung in der Regel zuerst zerkleinern (sollten wir auch von uns selber kennen), verschlingen urtümliche Fische ihre Beute meist unzerkaut. Das Riesenheer der Fische hat dennoch jede nur erdenkliche ökologische Nische besetzt und sich entsprechend an die vorherrschenden Bedingungen und Nahrungsquellen angepasst. Wir haben das bei Korallenfischen bereits kurz betrachtet. Korrelationen zu den jeweiligen Nahrungspräferenzen mit entsprechenden Umgestaltungen und Anpassungen im Nahrungsaufnahmeapparat erge-

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Abb.8 (mitte, rechts): Chaetodipterus faber (Broussonet, 1782) – Ephippidae, West-Atlantik Abb.9 (unten, links): Balistapus undulatus (Mungo Park, 1797) – Orangestreifen-Drückerfisch, Indo-Pazifik und Rotes Meer Abb.10 (unten,rechts): Chaetodon trifasciatus Mungo Park, 1797 – Chaetodontidae (Falterfische) Rippelstreifen-Falterfisch/ Dreistreifenfalterfisch, Indik


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Korallen und Fische, Korallenfische?

ben sich dabei aus der genauen Untersuchung des Gebisses, der Zahnform und der Anordnung der Zähne. Am Beispiel von Buntbarschen in afrikanischen Seesystemen wurde exemplarisch gezeigt, wie rasch nur kleinste Veränderungen in der Mundbezahnung oder in den Kiemenzähnen und deren Bewegungsweise zum Erschließen neuer Nahrungsnischen führen und damit Ausgangspunkt für eine fortschreitende Artbildung sein kann. Ausnahmslos erkennt jeder von uns intuitiv, dass tatsächlich ein außerordentlicher Zusammenhang zwischen der Morphologie eines Lebewesens und seiner Anpassung an besondere Lebensumstände besteht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Umwelt die Gestalt eines Organismus in seiner evolutiven Entstehung beeinflusst hat, und dass der offensichtlich optimale Zusammenhang zwischen der Form und Funktion eines Organismus mit seiner Umwelt das Ergebnis natürlicher Selektion im Sinne Darwins ist. Diese als ökomorphologisches Paradigma bezeichnete Feststellung ermöglicht es, auch ohne genaue Kenntnis der Nahrung Rückschlüsse auf Ernährungsweisen eines Organismus ziehen. xy

Sich von großen Brocken räuberisch ernährende Fische, die ihre Beute einsaugen, greifen und meist unzerkleinert verschlingen, besitzen so meist spitze oder messerartige Zähne. Fische, die dagegen ihre Beute bzw. Nahrung vor dem Verschlucken manipulieren, also zerkleinern und für die Verdauung vorbereiten, zeichnen sich meist durch sehr typische und komplexe Bezahnungen aus. So besitzen Falterfische, die sich von kleinen Wirbellosen ernähren, die sie vor dem Schlucken zerteilen, kleine, oftmals zu Gruppen angeordnete spitze Zähne. Der Igelfisch (Diodon hystrix), der sich von hartschaligen Muscheln, Krebsen und Schnecken ernährt, hat dagegen massive, schnabelartige Zahnplatten. Herbivore Korallenfische, also solche, die sich von pflanzlicher Nahrung ernähren, haben verschiedenste Anpassungen entwickelt, um mit der pflanzlichen Nahrung fertig zu werden. Diese reichen von den schnabelartigen Gebissen der Papageifische bis hin zu den hoch-komplexen und gefalteten Zähnen einiger Doktorfische. Viele dieser Fische lagern hohe Konzentrationen von Eisen in den Zahnschmelz zur Festigung der Zähne ein. Auch besitzen herbivore Fische keinen Magen, aber einen stark verlängerten Darmtrakt, in dem die zähe Zellulose und andere Bestandteile der pflanzlichen Nahrung aufgeschlossen werden. Allerdings reicht es leider doch nicht aus, nur die Zähne zu betrachten, um Nahrungsanpassungen herauszufinden, denn unterschiedlichste Gruppen haben entweder ähnliche Nahrungsanpassungen entwickelt oder aber nah verwandte Gruppen mit ähnlicher Anatomie haben unterschiedliche Nahrungsquellen erschlossen. Daher muss der gesamte Nahrungsaufnahmeapparat einschließlich der Kieferknochen und -muskulatur sowie seine Funktionsweise in die Betrachtungen mit einbezogen werden. Oft reicht auch das noch nicht, weil ein Organismus immer eine evolutionshistorisch gewachsene »Kompromisslösung« aus verschiedensten funktionellen

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Anforderungen darstellt, nie eine auf eine oder wenige Funktionen optimierte Ingenieurleistung. Unter der laxen Mindestbedingung der Erhaltung der Art unter bestimmten aktuellen Umweltverhältnissen, kommen da in jedem Merkmalskomplex, neben exquisiten Lösungen konstruktiver Eleganz, auch rechte »Basteleien« heraus, mit denen man halt alles kann, aber nichts so richtig gut.

In jedem Fall empfiehlt sich die empirische und die experimentelle Überprüfung. Im Verlauf der Evolution der Fische veränderte sich die Anatomie des Mund-Rachenraumes, der zur Aufnahme, aber auch zur Manipulation der Nahrung dient. Bei sehr altertümlichen Fischen, die weitestgehend heute ausgestorben sind, besaß dieser Bereich eine röhrenförmige Gestalt. Annähernd findet man das noch bei den großen, bekannten Räubern mit den dreieckigen Rückenflossen, die das Riff umkreisen. Dagegen ist der Mund-Rachenraum bei den meisten modernen Knochenfischen kegelförmig umgestaltet. Der kleinste Kegeldurchmesser findet sich an der Mundöffnung, während der größte Durchmesser im Schlund liegt. Der Mund-Rachenraum kann – nicht nur bei Korallenfischen – durch Abspreizen des Kiemendeckels und spezieller Strukturen an der Unterseite des Kopfes, den Branchiostegalstrahlen, enorm vergrößert werden. So wird bei geschlossenem Mund wegen der besonderen Form des Mund-Rachenraums ein Unterdruck erzeugt, der beim Öffnen des Mundes bewirkt, dass Wasser explosionsartig und mit enormer Kraft wie bei einem Staubsauger in den Mundraum gezogen wird und so Beute in der Nähe des Mundes mit sich reißt. Dieser Mechanismus wird als Schnappsaugen bezeichnet und ermöglicht es dem Fisch, Beute mit geringem Kraftaufwand zu überwältigen, überraschend oder sehr gezielt einzusaugen. Am tropischen Korallenriff lässt sich das in einer größten Vielfalt von Abwandlungen studieren.

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Eine ganze Reihe von Fischen (z.B. Lipp- und Drückerfische) ernähren sich von auf dem Boden lebenden Wirbellosen (z.B. Brachiopoden, Seeigel, Muscheln, Korallenpolypen) und haben hierfür spezielle Greif- und Schneidezähne entwickelt, mit deren Hilfe sie die Beute am Boden ergreifen können. Nachdem die potentielle Beute vom Substrat gelöst ist, wird sie mit Unterstützung des Schnappsaugmechanismus in das Maul gesogen und von den breiten mahlförmigen Kieferzähnen zerkleinert. Andere Lipp- und Drückerfische haben sich auf im Sand lebende Lebewesen spezialisiert, die sie ebenfalls mit Hilfe des, nun aber umgekehrten, Schnappsaugmechanismus freipusten und dann mit den Kieferzähnen ergreifen. Dabei wird Wasser durch plötzliche Verkleinerung des Mund-Rachenraumes unter Hochdruck ausgestoßen. Aber auch kleine Schwarmfische, die sich von Kleinstlebewesen in der Wassersäule ernähren, nutzen den Schnappsaugmechanismus, um Nahrungspartikel zu verschlingen.

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Korallen und Fische, Korallenfische?

Diese kurze Übersicht zeigt, dass Korallenfische entsprechend ihrer Nahrungsökologie und den damit zusammenhängenden funktionellen Anpassungen in Gruppen zusammengefasst werden können. Dabei werden Fische unterschieden, die sich entweder von schalentragenden Wirbellosen, von großen bzw. kleinen am Substrat anheftenden oder aufsitzenden Tieren, von mobilen auf dem Boden lebenden Organismen, von solchen, die sich im Sand verstecken oder sehr agil und in der freien Wassersäule schwimmen oder von Kleinstlebewesen ernähren.

Korallenfische vergangener Zeiten

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Die evolutionäre Entwicklung der Riffe reicht bis weit in die Erdgeschichte zurück. So finden sich einfache Riffstrukturen bereits vor 3,8 Milliarden Jahren im Archaikum. Korallenriffe entstanden vor etwa 500 Millionen Jahren. Während ihrer Evolution entwickelten sich Riffe von einfach organisierten, ausschließlich aus Mikroben aufgebauten Systemen zu hochkomplexen Strukturen, die als evolutionäre Entstehungszentren angesehen werden. Aber nicht nur neue Arten entstanden in den komplexer werdenden Riffen. Rifforganismen sorgten auch für die Bildung des ersten Sauerstoffs und in Riffstrukturen entstanden eine Vielzahl neuer Lebensräume, die es zu erobern galt.

Abb.11: Vertikalschnitt durch den Rachenraum eines Kugelzahnfisches Gyrodus sp. aus dem Oberjura (150 Millionen Jahre vor heute), von Chile

Die Entwicklungsgeschichte der Fische reicht dagegen nur bis vor etwa 420 Millionen Jahre zurück und Fische, die als Korallenfische angesprochen werden können, traten vergleichsweise spät in der Evolution der Wirbeltiere auf. (Pardon: auch Fische gibt es nicht – spricht der gestrenge Systematiker in uns. Schon damals gab es fischartige Wirbeltiere, die den Landwirbeltieren näher verwandt sind, als der Mehrzahl der »Fische«, die heute die wässrigen Gefilde bevölkern. Stimmt, wir benutzen den Begriff aber trotzdem für alle Gruppen primär aquatischer Wirbeltiere, weil wir

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Abb.12: Kieferapparat des Kugelzahnfisches Pycnodus platessus aus dem Eozän (45 Millionen Jahre vor heute), Monte Bolca bei Veron, Italien

sonst zu oft von Actinopterygii und Sarcopterygii, schreiben müssten – und was es der Zungenbrecher mehr auf diesem Felde gibt). Obwohl das Devon vor etwa 416– 360 Millionen Jahren als Zeitalter der (sogenannten) Fische gilt, scheint keine der zahlreichen Gruppen mit den Riffen dieser Zeit in besonderer Weise interagiert zu haben. Nur selten wurden Fischfossilien aus dieser Zeit überhaupt direkt in Riff- oder Lagunenablagerungen gefunden (z.B. in der Bergisch-Gladbach Paffrather Mulde bei Köln). Die meisten Funde stammen aus Ablagerungen an einem Vorriff oder aus tonigen, feinkörnigen Ablagerungen, die Abrutschungen an untermeerischen Abhängen oder Sedimente der Tiefsee darstellen. Erst in der Jurazeit finden sich Fische, die tatsächlich entsprechend dem ökomorphologischem Paradigma als Korallenfische bezeichnet werden können. Die Jurazeit vor etwa 200–145 Millionen Jahre stellt in der Evolution der modernen Fische einen wichtigen Zeitabschnitt dar. Es war nämlich zu dieser Zeit, dass die ersten Teleosteer, die das heutige Riesenheer der Fische mit etwa 25.000 Arten klar dominieren, entstanden und ihren Siegeszug antraten. Neben diesen frühen Teleosteern waren aber auch noch andere Fischgruppen sehr artenreich, darunter die Pycnodontier (Kugelzahnfische). Sie sind überwiegend kleine bis mittelgroße, hochrückige Fische mit einem seitlich abgeflachten Körper und in der Regel lang ausgezogenen Rücken-

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Korallen und Fische, Korallenfische?

und Analflossen, die mit der Schwanzflosse zusammen wohl ein effektives Ruder zum Manövrieren in stark strukturierten Lebensräumen bilden. In ihrer äußeren Form ähneln sie stark heute lebenden Korallenfischen. Im Gegensatz zu heutigen Korallenfischen waren aber die einzigen zahntragenden Elemente die paarigen Vorkiefer, der Gaumen und die Unterkiefer. Auf dem Gaumen und im hinteren Bereich der Unterkiefer sitzen breite, in mehr oder weniger regelmäßigen Reihen angeordnete Zähne, die den Pycnodontiern ihren Namen gaben. Diese Kieferelemente greifen wie Mahlsteine ineinander und sind in der Lage, auch hartschalige Beute zu zerknacken. Die Form der Kieferelemente und die Art, wie Gaumen- und Unterkieferzähne ineinander greifen, lässt die Vermutung zu, dass beim Kieferschluss enorme Kräfte und Drücke erzeugt werden konnten. An den vorderen Rändern der Kiefer hatten sie stift- oder meißelartige Zähne zum Ergreifen der Beute. Auch erhaltene Nahrungsreste wie Seeigelstacheln, Muscheln und Korallenfragmente deuten darauf hin, dass Pycnodontier mit Korallenriffen direkt interagierten. Die Möglichkeit, bodenbewohnende Lebewesen zu ergreifen und zu verschlucken, deutet darauf hin, dass sich Pycnodontier vermutlich ebenfalls ähnlich einigen modernen Korallenfischen von Algen, also herbivor, ernährten. Ihre größte Verbreitung und Artenzahl hatten Pycnodontier in der Jurazeit. Vor 45 Millionen Jahren starben sie dann endgültig aus. Etwa zeitgleich mit ihrem Verschwinden traten aber auch die ersten Vertreter heutiger Korallenfische auf, die in der Folge eventuell die weniger erfolgreichen Pycnodontier verdrängten. Die Fossil-Lagerstätte Monte Bolca nahe Verona (Italien) aus dieser Zeit ist für die Rekonstruktion der Evolution moderner Korallenfische aufgrund ihrer extrem gut erhaltenen Fossilien von besonderer Bedeutung. Bis heute wurden mehr als 300 fossile Fischarten in 30 Meter Kalksteinschicht entdeckt. Diese Fundstätte, auch »Pescaria« (Fischschüssel) genannt, ist eine Momentaufnahme aus dem Eozän mit einer ungeheuren Fossildichte, die einmalige Einblicke in eine für die Evolution der modernen Knochenfische bedeutenden Epoche erlaubt. Aufgrund des Vorkommens aller für moderne Korallenriffe typischen Fischgruppen wurden die Fische von Monte Bolca ursprünglich als älteste echte Korallenfisch-Gemeinschaft interpretiert. Allerdings wurden die Kalkgesteine, die diese Fossilien konservierten, nicht in der Nähe von Riffen abgelagert, sondern in einer Lagune bzw. küstennah im offenen Wasser. Die Fische repräsentieren daher eher eine offen-marine, subtropische Gesellschaft, denn eine hoch spezialisierte Riffgemeinschaft. Bedenken wir aber auch, nach Beispiel der heutigen tropischen Korallenriffe, fände man außer den kalkigen Gebirgen der Riffbildner selbst nicht viel der quirligen Besiedler fossil im Riff erhalten, weil alles Verwertbare auch sofort verwertet wird. Die Fische, die Korallenriffe bewohnen, müssen also nicht unbedingt ausschließlich auf Riffbereiche beschränkt sein. Ähnliche, nahe verwandte oder identische Arten mit entsprechenden Anpassungen finden sich auch in anderen Lebensräumen. Nach wie vor ist es daher schwer, einen Korallenfisch abzugrenzen, wenn wir auch po-

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Abb.11: Ober- (links) und

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linker Unterkiefer (rechts) des Kugelzahnfisches Gyrodus planidens aus dem Tithon (150 Millionen Jahre vor heute) von Weymouth, U.K.

tentielle Korallenfischgruppen anhand der funktionsmorphologischen Überlegungen erkennen mögen. Sowohl ökologische als auch taxonomische Parameter versagen hier vollständig. Ein Korallenfisch lässt sich am ehesten dadurch charakterisieren, dass er mit dem Riff direkt interagiert. Diese Erkenntnis erschwert aber die Definition von Korallenfischen in der geologischen Vergangenheit und lässt unklar, ob Evolution vorwiegend im Riff selbst stattfindet oder der Artenreichtum vorwiegend vielfachen Besiedlungsereignissen zu danken ist. Korallenfische haben uns enorm viel über die Zusammenhänge zwischen Form, Funktion und Umwelt gelehrt. Sie zeichnen sich durch eine schier endlose Formenfülle mit speziellen Anpassungen an die verschiedensten Nahrungsquellen und Lebensräume in einem Riff aus. Die enorme Artenfülle der einzelnen Gruppen und ihre vergleichsweise kurze Evolutionsgeschichte (z.B. Lippfische) deuten auf adaptive Radiationsereignisse ähnlich wie bei den Buntbarschen der afrikanischen Seesysteme hin. Sicherlich wird mit zunehmendem Kenntnisstand der verwandtschaftlichen Beziehungen der Korallenfische zueinander ein besseres Verständnis der so erfolgreichen Evolution von heutigen Riffgemeinschaften ermöglicht, hoffentlich bevor Klimaveränderung und industriell erhöhte Sedimentfrachten der Flüsse uns diese ästhetischen und lehrreichen Naturphänomens beraubt haben.

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Tief, dunkel, kalt – und voller Leben!

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André Freiwald Unten am Sula-Rücken vor Mittelnorwegen ist die Strömung phasenweise unerwartet stark und als in 250 Metern Tiefe die Scheinwerfer des Tauchbootes »Jago« aufleuchten, bietet sich uns ein atemberaubendes Bild: Korallenstöcke in hellen Farben und vielen Formen, dazwischen Seeigel und Schwämme in kräftigen Tönen, Jungfische, die zwischen den Korallen Deckung suchen, Käferschnecken, die Schwämme anknabbern, winzige Krebse und massenhaft tierische Planktonorganismen. Mit einer Spezialkamera kann ich aus zwei Zentimeter Entfernung filmen, wie die einen halben Zentimeter großen Polypen mit ihren Fangtentakeln eifrig kleine Krebse fischen und sie rasch in ihr Inneres befördern. Es sind die ersten ersten Beobachtungen dieser Art. Bisher war unbekannt, ob Lophelia-Korallen kleine Tiere fangen oder lediglich Nährstoffe und totes Material aus dem Wasser fischen. In Lehrbüchern ist immer noch zu lesen, dass große Korallenriffe nur in der obersten, lichtdurchfluteten Zone warmer Meere entstehen. Dieses Bild muss korrigiert werden. Biologen und Geologen hielten Tiefwasserkorallen lange für eine Kuriosität, da Korallen im Tiefwasser, wie etwa Lophelia, keine symbiontischen Algen beherbergen, da das Licht für die Photosynthese fehlt. Sie glaubten, Korallen würden in kalten, lichtlosen Meeresgebieten allenfalls kümmerlich wachsen und schon gar nicht Riffe aufbauen. Korallen sind eigentlich prädestiniert, Nährstoffe und Planktonorganismen aus dem Wasser aufzunehmen. An beidem mangelt es in den Meeresgebieten, wo heute tropische Flachwasserriffe wachsen. Dort sind Korallen im Vorteil, die im Laufe der Evolution Mikroalgen in ihr Gewebe aufgenommen haben, wo diese wie in einem

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Tief, dunkel, kalt - und voller Leben!

Kohlendioxid-Treibhaus gedeihen. Die Korallenpolypen beziehen in dieser Symbiose von den Photosynthese treibenden Algen Nährstoffe und versorgen die Algen ihrerseits mit Stoffwechselprodukten. Als in den letzten Jahrzehnten die Bodenfischerei immer tiefere Zonen der Schelfmeere erschloss und Erdölunternehmen an die Kontinentalhänge vordrangen, entpuppten sich reiche Fischgründe nicht selten als große Korallenbänke. Die riesigen Ausmaße und den hohen ökologischen Wert dieser Tiefwasserriffe erkannte die Forschung erst in den letzten Jahren. Riffbildende Tiefwasserkorallen wachsen selbst hoch im Norden ähnlich rasch wie tropische Flachwasserarten. Meeresforscher wurden von den Ausmaßen der Korallenbänke und deren Artenvielfalt genauso überrascht wie von den vielfältigen Riff-Formen. Auch die starken Strömungen am Meeresboden waren unerwartet - nach heutigen Erkenntnissen waren diese für die Oasen der Tiefsee schon immer wichtig.

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Wie sich herausstellt, ist dieser exotische Lebensraum außerordentlich dynamisch – dadurch aber auch sehr empfindlich gegenüber menschlichen Eingriffen. Von den Korallenbänken vor Norwegens Küsten, die insgesamt eine Fläche von schätzungsweise 1.500 bis 2.000 Quadratkilometern bedecken, ist bereits etwa ein Drittel unwiederbringlich zerstört. Moderne Fischfangmethoden haben bereits weite Gebiete demoliert, und Ölfirmen interessieren sich zunehmend für die Kohlenwasserstofflagerstätten an den Kontinentalrändern. Außer Bodenschleppnetzen setzt die Fischerei heute auch Walzen ein. Diese werden über den Grund geschleift, um Fische aufzustören. Solche brachialen Methoden bedeuten für die fragilen Korallenstöcke

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ein Desaster. Tiefwasserkorallenriffe säumen anscheinend mehr oder weniger locker weltweit die Kontinentalränder. Vor Europas Küsten sind sie bisher am besten erfasst. Der SulaRücken auf dem Trondheim-Schelf gehört zu den imposantesten Korallenriffgebieten im Nordostatlantik. Erstaunlich mannigfaltige Vorkommen von Tiefwasserkorallen verteilen sich aber über die gesamte westliche Abbruchkante Europas und über die angrenzenden Schelfmeere, von Gibraltar bis zum Nordkap. Im Süden zieht sich dieser Gürtel bis weit über den afrikanischen Äquator hinaus. Selbst in den norwegischen Fjorden und vor der Westküste Schwedens im Skagerrak wachsen mancherorts Korallenbänke, nicht selten auch in geringer Wassertiefe. Das norwegische Sula-Riffsystem erstreckt sich in 250 bis 310 Metern Tiefe mehr als 13 Kilometer lang als 400 bis 600 Meter breites Band in nordost-südwestlicher Richtung und dürfte zu den weltweit größten Kaltwasserriffen gehören. Dieses Korallengebiet setzt sich aus Dutzenden einzelner, steiler und lang gestreckter Riffketten und vielen einzeln stehenden Hügeln zusammen. Am dichtesten und höchsten stehen sie auf dem Scheitel des Sula-Rückens. Die höchsten Gipfel ragen 35 Meter vom Meeresboden auf. Fotos und Proben, die versenkte automatische Stationen, Tauchroboter und schließlich bemannte Tauchgänge lieferten, zeigten genauer den Aufbau dieser Korallenbänke und ihre Bewohner. Während es am Riff von Leben wimmelt, wirkt die Umgebung meistens recht karg. Nur vereinzelt sieht man dort etwa einen Schwamm, eine Seewalze oder sogar einen größeren Fisch, gelegentlich auch einmal eine Ansammlung von Borstenwürmern, Manteltieren und Seeanemonen an einem Felsbrocken.

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Insgesamt lassen sich an diesen Riffen fünf Lebenszonen unterscheiden, die jeweils eine deutlich andere Tierwelt mit typischer Artenzusammensetzung beherbergen. Am Sula-Riff selbst haben Meeresforscher bisher Hunderte von Tierarten gefunden. Auch viele bekannte Speisefische wie Rotbarsch, Seelachs und Kabeljau laichen dort ab oder haben dort ihre Jagdgründe. Die oberste, etwa eineinhalb Meter mächtige Schicht im Gipfelbereich und an den oberen Flanken der steilen Hügel wird weitgehend von der Steinkoralle Lophelia pertusa beansprucht. Hauptsächlich diese meist weiße Koralle liefert auch das Riffgerüst. Zwei weitere Korallenarten tragen in geringerem Maße zum Riffwachstum bei. Auf den Kuppen und oberen Flanken wachsen die Korallenstöcke mit ihren Ablegern dicht an dicht zu mehrere Meter großen halbkugelförmigen Gebilden heran.

Pilze und Schwämme als Architekten Von einigen Schwämmen, Muscheln und oft kräftig farbigen Oktokorallen abgesehen, finden sich hier verhältnismäßig wenige festsitzende Arten. Lophelia wehrt sich mit einem Schleimüberzug der noch lebenden Teile gegen neue Korallenbesiedlung und Fraßfeinde. Konkurrenz, fremde Arten, überhaupt Fremdkörper kalkt die

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Koralle regelrecht ein. Die Polypen dulden aber einen bis zu 25 Zentimeter langen räuberischen Borstenwurm, Eunice, der sie vor Fraßfeinden schützt und seinerseits eine härtere Wohnröhre erhält. Diese Symbiose trägt erheblich dazu bei, das gesamte Riffgerüst zu stabilisieren. Schon in dieser Zone fressen Bohrpilze und Bohrschwämme das Kalkgerüst an. Schließlich sackt dadurch ein Korallenstock in der Mitte, seinem ältesten Teil, zusammen, während ein äußerer Ring noch weiter wächst. Solche Schwämme und andere kalkverwertende Organismen sorgen dafür, dass ein Riff schon in seinem oberen Teil immer wieder umstrukturiert wird und so neue Nischen entstehen – auch wortwörtlich als Höhlen und Ritzen. Das vielfältigste Leben herrscht in der zweiten Zone, einer mehrere Meter hohen Schicht aus den Kalkgerüsten abgestorbener Korallenstöcke, die voller kleiner Hohlräume steckt. Auch hier siedelt vereinzelt Lophelia, wächst aber an den oft senkrechten Wänden nur zu kleinen, flachen Formen heran. Arten aus fast allen Gruppen wirbelloser Tiere finden hier Lebensgrund, Unterschlupf und Nahrung, darunter farbenprächtige Seeanemonen, vielerlei Muscheln, Schnecken. Armfüßer und Tintenfische wie auch Korallenarten, die keine Kolonien bilden. An Überhängen finden sich Ansammlungen großer Muscheln der Gattung Acesta, die sich vom Plankton ernähren. Eine wichtige Funktion als Weidegänger im Riff scheinen Krebse, Seesterne und Seeigel zu haben.

Weiter unten, in der dritten Zone, haben sich in das Korallengerüst bereits Schlamm, Sand und Tierskelettreste eingelagert. Dieser Jahrtausende alte Abschnitt steht mit ebenfalls oft fast senkrechten Wänden bis zu fünfzehn Metern hoch. Neben einzel-

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abgetaucht nen kleinen Korallenstöcken bestimmen nun große Schwämme und Oktokorallenfächer das Bild. Auf den letzten Metern fällt das Riff immer flacher ab. Die vierte Zone bedeckt Korallenschutt. Darauf leben unter anderem große Krebse und Igelwürmer. Die unterste, nur noch wenig ansteigende Geröllzone am Fuß besiedeln vor allem Schwämme.

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Die Korallenbestände des Porcupine-Beckens vor Irland bieten ein völlig anderes Bild. Dort wachsen die gleichen riffbildenden Korallenarten wie auf der Sula-Bank, in dem Fall allerdings in 600 bis 900 Metern Tiefe an den Rändern einer Senke nah am Kontinentalrand. Dass in dem Meeresgebiet massenhaft Kaltwasserkorallen leben, wissen Forscher seit rund 130 Jahren. Doch erst Mitte der 1990er Jahre entdeckten sie die merkwürdigen Riesenhügel, auf denen diese Korallen wachsen. Seismische Messungen enthüllten, dass dort viele über hundert Meter hohe Kegel oder Dome, so genannte Mounds, die Topographie des Kontinentalrandes bestimmen. Ein Teil von ihnen ist bereits völlig von Sedimenten verschüttet, andere ragen weit über die Sedimente hinaus. Drei völlig verschieden wirkende Mound-Provinzen lassen sich im Porcupine-Becken unterscheiden. Am weitesten im Norden liegen die Magellan-Mounds. Bis auf wenige herausragende Kuppen, auf denen Korallen wachsen, sind sie fast alle von Sedimenten bedeckt. Die höchsten von ihnen messen 90 Meter. Gegenüber den anderen beiden Provinzen zeichnen sich die hiesigen Gebilde durch ihre Vielfalt an Größen und Formen aus. Dicht südlich davon ragen die ein bis fünf Kilometer breiten Hovland-Mounds bis zu 150 Meter vom heutigen

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Meeresgrund auf. Auch ihre Basis versteckt sich im Sediment. Sie dürfte wohl nochmals 100 Meter tief sein. Diese Berge tragen besonders viele Korallenstöcke. Davon ein ganzes Stück weiter im Südosten am irischen Kontinentalhang liegen die Belgica-Mounds. Einzeln oder in Gruppen bilden sie bis zu 150 Meter hohe Kegel und lang gezogene Strukturen, die auf der Hangseite meist im Sediment stehen, auf der zur Tiefsee offenen Seite aber steile Wände bilden. Auch sie tragen gerüstbildende Korallen. Diese Ökosysteme unterscheiden sich in vieler Hinsicht von den norwegischen Tiefwasserriffen. Die Korallen bilden viel weniger mächtige, dafür aber flächendeckende Dickichte. Die Artenvielfalt an gerüstbildenden Korallen ist generell höher. Zudem trägt der bizarre, trichterförmige Kieselschwamm Aphrocallistes wesentlich zum Gerüst bei. Auffallend sind auch die vielen Seelilien und farbenfrohen Anemonen. Trotzdem ähnelt die Umwelt der Porcupine-Korallen den Lebensbedingungen am Sula-Riff. Das betrifft unter anderem die Strömungen, die auch hier trotz der Tiefe bemerkenswert stark sind. Gleiches ist für andere Tiefwasserkorallengebiete typisch. Geschwindigkeiten von bis zu vierzig Zentimeter pro Sekunde wurden gemessen.

Enge Nischen für die Korallen Besonders bemerkenswert erscheint, dass sich die Korallenvorkommen in jeder untersuchten Region auf einen relativ engen Tiefenbereich beschränken. Dieses Fenster liegt aber in jedem Gebiet anders. Manche norwegischen Bänke beginnen schon in weniger als hundert Meter Tiefe. Sie reichen oft bis zu 200 oder 300 Meter hinab. Andere vor Irland und Schottland beginnen erst 500 oder 600 Meter tief und enden teils bei 1000 Metern. Selbst noch tiefere Riffe sind bekannt. Anscheinend herrschen jeweils nur in dem besiedelten Intervall geeignete Lebensbedingungen für die Gerüstkorallen. Vergleicht man Eigenschaften der betreffenden Wassermassen wie Temperatur, Salz- oder Sauerstoffgehalt, so ergibt sich: Tiefwasserkorallen beanspruchen eine Temperatur zwischen vier und zwölf Grad Celsius und einen relativ hohen Salzgehalt. Wasser mit hohem Salzgehalt kann mehr Calciumkarbonat lösen, das Korallen für ihre Kalkskelette verwerten. Wichtig für den Standort sind auch die so genannten internen Wellen, Resonanzphänomene, die an den steilen Kontinentalrändern an den Grenzen unterschiedlicher Wassermassen auftreten. Sie konzentrieren Nährstoffe und absinkendes Plankton dort in bestimmten Tiefenschichten. Wahrscheinlich nützen die Wasserbewegungen den Korallen noch in anderer Hinsicht. Auffälligerweise stehen die meisten Korallenbänke des europäischen Atlantiks auf Erhebungen, an Steilhängen und anderen exponierten Stellen. Wohl wegen der starken Strömungen lagert sich auf solchen Flächen wenig Sediment ab. Um sich anzusiedeln, benötigen die Korallenlarven einen festen Untergrund. Heftige Strömungen halten ihnen geeignete Flächen frei. Sicher galt das auch in der Vergangenheit. Am Sula-Riff lassen sich die teils noch hypothetischen Zusammen-

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abgetaucht hänge gut aufzeigen. Nach Wachstumsberechnungen und radiometrischen Altersdatierungen begannen sich die dortigen Korallenbänke erst vor etwas über 8.000 Jahren zu bilden, nur rund 4.000 Jahre, nachdem sich die letzten Gletscher vom Sula-Rücken zurückgezogen hatten. Die ersten Korallenlarven auf dem Sula-Rücken scheinen sich an Geländemarken festgesetzt zu haben, welche riesige Eisberge hinterlassen hatten. Diese Eisberge waren zum Ende der letzten Vereisung vom skandinavischen Eispanzer abgebrochen. Auf dem Sula-Rücken stießen sie auf Grund und schliffen bis über zehn Meter tiefe und hundert Meter breite Rinnen ein.

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Die Eisberge schleppten auch große Felsbrocken mit, die nach ihrem Abschmelzen auf dem Grund liegen blieben und sich als Korallengrund eigneten. Vor wenig mehr als 7.000 Jahren suchte eine gewaltige Umweltkatastrophe das Sula-Riff heim: Große Teile des nahe gelegenen Kontinentalrandes brachen in die Tiefsee ab. Fünfzehn Meter hohe Flutwellen trafen die Küsten. Das junge Riff wurde von Sedimentfahnen bedeckt und entging nur knapp seiner Vernichtung. Woher bezogen die jungen Korallen ihre Nahrung? Manche Forscher vermuten, dass energieliefernde Kohlenwasserstoffe, die an vielen Stellen aus dem Meeresboden austreten, für sie wichtig waren. Solche Sickerstellen und Schlote ernähren in der Tiefsee autarke Lebensgemeinschaften. Sie speisen Mikroorganismen, von denen sich dann Tiere ernähren. Im Bereich des Sula-Riffs tritt tatsächlich Methan aus dem Untergrund aus. Es mag sein, dass die riffbildenden Tiefwasserkorallen noch heute in solche Nahrungsketten eingebunden sind. Ich vermute jedoch, dass der Großteil ihrer Nahrung

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vom Plankton der Meeresoberfläche stammt, das zum Grund absinkt und dort vom Wasser wieder aufgewühlt wird. Zumindest erleben die Korallenstöcke im Frühjahr während und nach der jährlichen Planktonblüte, wenn sich auch das tierische Plankton massenhaft vermehrt, einen kräftigen Wachstumsschub.

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Geologen und Biologen müssen umlernen: Nicht nur unter tropischen Verhältnissen entstanden mächtige Kalkdome, sondern auch in lichtlosen kalten Meereszonen fast jeder geographischen Breite. Wie wenig Forscher über das Leben, das Vermehrungspotenzial und die Verbreitungswege der riffbildenden Tiefwasserkorallen wissen, bewies das allgemeine Erstaunen, dass Lophelia pertusa sich bereits an Erdölplattformen in der Nordsee und im Atlantik ansiedelte. Dabei hat noch niemand die Larvenform dieser Korallen gesehen.

Rettungsmaßnahmen für dunkle, kalte Ozeanwelten Ein dringendes Ziel unserer Forschungen ist es, der kommerziellen Ausbeutung der nordatlantischen Riffe entgegenzusteuern. Deshalb müssen Forschungsexpeditionen auch die Zerstörungen erfassen und die Verantwortlichen darauf aufmerksam machen. Darüber hinaus werden auf Grundlage der erfassten Daten Vorgaben ausgearbeitet, mit denen eine nachhaltige und dennoch intensive Nutzung der Korallenbänke möglich ist. Ein Ergebnis ist ein digitaler Riffatlas, der genaue Karten dieser Ökosysteme zeigt. Er enthält nicht nur die Ausmaße und Besonderheiten der einzelnen Vorkommen, sondern markiert zugleich die geologischen und ökologischen

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abgetaucht Zonen – mit Angaben über die schon zerstörten und die besonders sensiblen Abschnitte. Die norwegische Regierung hat bereits reagiert und das Sula-Riff im Mai 2000 für die Bodenfischerei komplett unter Schutz gestellt. Auch die Rohstoffindustrien ändern ihre Vorgehensweise. An Tiefwasserriffen nehmen sie inzwischen Schrägbohrungen vor, welche die besonders labilen oberen Zonen schonen. Global betrachtet, dürften die Kaltwasserriffe insgesamt mehr Fläche bedecken als ihre tropischen Pendants. Sie wachsen sogar am Äquator in großer Tiefe. Ihre Artenmannigfaltigkeit und ökologische Bedeutung stehen den tropischen Flachwasserriffen nicht nach. Zu beachten ist dabei, dass jedes Tiefwasser-Riffgebiet ganz eigene Strukturen hervorgebracht zu haben scheint. Wieweit die Riffe dennoch nach gemeinsamen Gesetzmäßigkeiten entstanden und auf welche Umweltbedingungen sie heute angewiesen sind, müssen zukünftige Studien herausfinden.

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Das Gedächtnis der Korallen – wie Klimadaten gespeichert werden Eberhard Gischler

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Wie Bäume an Land weisen Korallen im Meer Jahresringe auf, die von Geowissenschaftlern untersucht werden. Die Analyse von Skeletten und Schalen im Wasser lebender Organismen wie Korallen nennt man Sklerochronologie. Korallenskelette enthalten Klimainformationen längst vergangener Zeiten, die für die Klimaforschung von unschätzbarem Wert sind, weil Menschen erst seit wenigen Jahrzehnten mit hochauflösenden Messinstrumenten Klimadaten wie zum Beispiel Temperatur oder Kohlendioxidgehalte (CO 2) erheben. Die Analyse von Korallenskeletten kann diese Datensätze weiter in die Vergangenheit ausdehnen und hilft dadurch, die Klimaentwicklung der jüngeren geologischen Vergangenheit besser zu verstehen, und schafft gleichzeitig eine Grundlage, auf der Prognosen für die Klimaentwicklung der nahen Zukunft möglich werden.

Größe, Alter und heutige Probleme von Korallenriffen

Abb.1: Entnahme eines KorallenBohrkerns mit Hilfe eines hydraulischen Bohrers.

Korallen für die sklerochronologische Untersuchung werden fast ausschließlich in Riffen beprobt. Korallenriffökosysteme sind Rekordhalter was Vielfalt, Größe und Alter betrifft. Sie treten als nahe der Küste gelegene Saumriffe, küstenfernere Barriereriffe, ringförmige Atolle und flache Karbonat-Plattformen auf. Der Begriff »Karbonat« weist darauf hin, dass Korallen als Riffbildner ein Skelett aus Kalk (Kalziumkarbonat, CaCO 3) haben. Da tropische Korallenriffe nur in der Nähe der Meeresoberfläche wachsen, können Geowissenschaftler mit Hilfe fossiler Korallenfunde ermitteln, wie sich der Pegel des Meeresspiegels in vergangenen Jahrtausenden entwickelt hat (siehe Artikel Westphal & Dullo). Auch andere wichtige Klimadaten wie Wassertemperatur, Sonneneinstrahlung und Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre sind in Korallenriffen »gespeichert«.

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Das Gedächtnis der Korallen

Die größte gegenwärtige Riffstruktur ist das Great Barrier Reef an der Nordost-Küste von Australien mit über 2.000 Kilometern Länge. Es gab in der Erdgeschichte aber weitaus größere Riffsysteme, wie z.B. in der Kreide-Zeit (vor 80 Millionen Jahren), als der tropische Tethys-Ozean von einem Riffgürtel gesäumt war, der nahezu 10.000 km lang war. Die Dicke (geologisch: Mächtigkeit) von Riffen kann bis zu mehrere Kilometer betragen, wie beispielsweise 1,5 Kilometer am Eniwetok-Atoll im Pazifik oder über 5 Kilometer auf den Bahamas. Das Eniwetok-Atoll begann vor 35 Millionen Jahren zu wachsen. Die Riffe der Bahamas existieren seit dem Erdzeitalter des Jura (vor zirka 180 Millionen Jahren), als der Atlantische Ozean sich zu öffnen begann. Die geologische Geschichte von Korallenriffen reicht noch beträchtlich weiter zurück bis in das Ordovizium (vor 450 Millionen Jahren). Die ältesten Riffe überhaupt sind 3,5 Milliarden Jahre alt, wurden von Bakterien aufgebaut und stellen die ältesten Fossilien dar. Auch die Erdölindustrie hat großes Interesse an der Untersuchung von Riffen, denn fast die Hälfte unserer Erdöl- und Erdgaslagerstätten sind in fossilen Riffgesteinen gespeichert. xy

Abb.2: Jahresringe in Korallenskeletten des Key Largo Limestone, Florida, USA. Alter: 130.000 Jahre vor heute.

Was sind Korallen? Hinter dem Begriff Korallen verbirgt sich eine Vielzahl von Tiergruppen, zu denen z.B. die skelettlosen Seeanemonen, Seefächer, die zur Schmuck- und MedikamentHerstellung genutzten Schwarzen Korallen, die fossilen rugosen und tabulaten Korallen oder die für die heutigen Korallenriffe so wichtigen Steinkorallen (Scleractinia). Steinkorallen sind einfach gebaute Tiere. Die Einzeltiere heißen Polypen und haben

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Abb.3: Karte der Riffverbreitung (oben: rote Punkte auf blauem Grund). Die Verbreitung ist im wesentlichen von der Lage der warmen Meeresströmungen abhängig (unten: rote Bereiche).

einen Durchmesser zwischen einigen Millimetern bis Zentimetern. Die Polypen sind becherförmig, haben eine von Tentakeln gesäumte Körperöffnung und ernähren sich von Plankton. Mit Nesselzellen in den Tentakeln fangen die Polypen ihre Beute und verteidigen sich vor Fressfeinden. Riffbildende Steinkorallen sind zumeist koloniale Organismen, das heißt viele tausend miteinander verbundene Polypen bilden eine Kolonie. Die Polypen scheiden auch das basale Kalkskelett ab, das sie mit einer nur wenige Millimeter dicken Gewebeschicht überziehen. Das Skelett wächst pro Jahr zwischen etwa einen Zentimeter bei massiven und bis zu 30 Zentimeter bei ästigen Korallen. Gleichzeitig erhöht sich die Anzahl der Polypen durch Teilung, wodurch sich die Gewebeschicht auf dem Kalkskelett vergrößert. Die meisten Riffkorallen werden auf diese Weise mehrere hundert Jahre alt. Optimale Lebensbedingungen finden Riffkorallen bei Wassertemperaturen von 18-30° C, bei marinen Salzgehalten von 35 Promille, klarem Wasser und geringen Nährstoffgehalten. Bei Temperaturen über 30° C stoßen die Korallen ihre Photosymbionten (Zooxanthellen) ab und sehen gebleicht aus. Wenn das Ausbleichen weit verbreitet ist, spricht man von »bleaching events« (siehe Artikel Wild).

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Das Gedächtnis der Korallen

Abb.4a,b: Unterwasserbilder von Korallen-riffen in der Karibik und Indischen Ozean. Heutige Korallen-Riffe zeigen Provinzialismus. Im Atlantik (links: Belize) herrschen fast vollständig andere Korallenarten vor als im Indischen und Pazifischen Ozean (rechts: Malediven).

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Wie speichern Korallen Klimadaten? Ähnlich wie in Bäumen an Land findet man in den Skeletten von Steinkorallen jahreszeitliche Lagen beziehungsweise Jahresringe. Allerdings werden die Jahreslagen erst im Röntgenbild sichtbar. In Gebieten mit ausgeprägten Jahreszeiten, Winter/ Sommer oder Regen-/Trockenzeit, wachsen Korallen in verschiedenen Zeiten des Jahres mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, wodurch das Skelett unterschiedlich dicht wird. Aus praktischen und Naturschutz-Gründen sammeln Geowissenschaftler nicht ganze Korallenkolonien, sondern entnehmen Bohrkerne. Aus diesen zylindrischen Bohrkernen werden mit einer Gesteinssäge wenige Millimeter dicke Scheiben herausgeschnitten. Diese Scheiben werden dann geröntgt. Durch Zurückzählen der Jahreslagen kann man im Röntgenbild eine genaue Chronologie erstellen. Weiterhin werden im Millimeter-Abstand mit Hilfe eines Zahnarztbohrers kleine Mengen Kalk (wenige Zehntel Milligramm) entlang der Bohrkerne abgefräst. Das gewonnene Pulver wird dann geochemisch untersucht. Die Umweltbedingungen zur Zeit der Skelettbildung versucht man aus verschiedenen Parametern zu erschließen, die entlang des Bohrkerns gemessen werden. Dazu gehören zunächst die Wachstumsdicken, deren Variation häufig von einer Vielzahl von Umwelt-Parametern abhängig ist, und daher nur schwer interpretierbar ist. Geochemische Parameter sind meist leichter bestimmten Umwelt-Parametern zuzuordnen. Dazu zählen die Verhältnisse der stabilen Isotope der Elemente Sauerstoff (O) und Kohlenstoff (C) im Korallenskelett aus Kalk (CaCO 3). Die Isotopenverhältnisse werden an den abgefrästen Proben mit einem Massenspektrometer gemessen. Sauerstoff kommt in der Natur zu 0,2 Prozent mit der Massenzahl 18 vor (18O), und zu 99,8 Prozent mit der Massenzahl 16 (16O). Die stabilen Isotope des Kohlenstoffs sind 13C, welches mit 1,1 Prozent vor-

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Abb.6: Schema einer Korallenkolonie mit Skelett (weiß) und Gewebe (grün, rot).

kommt, und 12C, das zu 98,9 Prozent in der Natur vorliegt. Das Verhältnis der Isotope 18 O und 16O im Korallenskelett erlaubt Rückschlüsse auf die Wassertemperatur und den Salzgehalt zur Zeit der Skelettbildung. Auskunft über die Sonneneinstrahlung beziehungsweise die Wolkenbedeckung gibt das Verhältnis der Isotope 13C und 12C im Korallenskelett. Mit Hilfe der Messungen der Kohlenstoffisotope können Geowissenschaftler häufig auch den anthropogenen Eintrag von Kohlendioxid in die Atmosphäre nachweisen. Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, wie Erdöl und Erdgas, wird besonders das leichtere Kohlenstoff-Isotop 12C in der Atmosphäre angereichert, zum Teil im Oberflächenwasser der Meere gelöst und schließlich in das Korallenskelett eingebaut.

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Das Gedächtnis der Korallen

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Abb.7 (links): Radiographie einer vollständigen Korallenkolonie mit Jahresringen. Abb.8a,b,c (rechte Spalte): Polypen (oben), Zooxanthellen (Mitte: gelbe Punkte) und Nesselzellen (unten) bei Steinkorallen.

Fallstudie Belize, Zentralamerika Vor der Küste von Belize in der Karibik erstreckt sich das größte Riffsystem des Atlantischen Ozeans. Das Belize Barrier Reef gehört mit 250 km Länge zu den größten Barriereriffen der Erde. Dem Barriereriff vorgelagert, liegen drei der im Atlantik seltenen Atolle mit den Namen Glovers Reef, Lighthouse Reef und Turneffe Islands. In den vergangenen Jahren wurden in diesem Riffsystem von unserer Frankfurter Arbeitsgruppe etliche Korallenkerne entnommen und sklerochronologisch untersucht. Exemplarisch zeigt ein im Jahr 2005 im Außenriff von Glovers Reef in 4 m Wassertiefe entnommener Bohrkern für die Region typische Trends. Der Bohrkern umfasst das gesamte 20. Jahrhundert. Der Mittelwert der aus den Sauerstoffisotopen-Verhältnissen berechneten Wassertemperatur zeigt über die gesamte Zeitspanne einen Anstieg von einem Grad von durchschnittlich 27,5°C auf 28,5°C. Ein solcher ansteigender Trend ist von mehreren Arbeitsgruppen inzwischen in vielen Korallenriffen weltweit beobachtet worden. Die einzelnen Ausschläge unserer Analyse zeigen ein

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xy Abb.9: Röntgenbild des KorallenBohrkerns von Glovers Reef mit handschriftlichen Notizen des Bearbeiters. Blaue Zahlen sind Kalenderjahre. Graue Zahlen sind Probennummern.

Temperatur-Spektrum von ca. 25°C bis 31°C, welches den jahreszeitlichen Unterschieden entspricht. Dem generellen Anstiegstrend übergeordnet kann man mit Hilfe statistischer Methoden einen zehn- bis zwanzigjährigen Rhythmus der Wassertemperaturschwankung erkennen. Es handelt sich dabei um die sogenannte Atlantische Dipol-Variation bzw. den Tropischen Atlantischen Meriodionalen Gradienten. Es handelt sich dabei um eine dekadische Variation des Temperaturgradienten zwischen nördlichem und südlichem tropischen Atlantik. Des weiteren sind einzelne, starke positive Ausschläge der Temperaturkurve Folge von sogenannten El Niño-Jahren. Dieses Klima-Phänomen ist sehr deutlich im pazifischen Raum feststellbar, weniger in der Karibik. El Niño ist eine Folge der Abschwächung der Westwinde und des Humboldtstroms, die zu einer Erwärmung im Ostpazifik führt und gleichzeitig das Aufdringen kälterer und nährstoffreicher Tiefenwässer an den amerikanischen Westküsten verringert. Folgen können umfangreiche Korallen und Fischsterben sein. El Niño-Jahre treten alle drei bis fünf Jahre auf. Starke El Niño-Jahre waren 1939 / 40, 1972 / 73, 1982 / 83, 1986 / 87, 1992 / 93 und 1998.

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Das Gedächtnis der Korallen

Der Verlauf der Kohlenstoffisotopen-Verhältnisse entlang des Kerns von Glovers Reef zeigt bis in die 1960er Jahre hinein eine mehr oder weniger regelmäßige Variation. Beginnend mit der 1970er Jahren fallen die Werte allerdings deutlich ab von vorherigen Durchschnittswerten um 0,25 Promille bis hin zu Werten um -1,5 Promille im Jahr 2000. Dieser Abfall ist mit großer Wahrscheinlichkeit dem sogenannten Suess-Effekt zuzuschreiben. Es handelt sich hier um die Folge des zunehmenden Anteils des leichteren 12C-Isotops, welches durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen in der Atmosphäre und im Oberflächenwasser der Meere angereichert wird. Für die Korallenriffe ist dieser Vorgang voraussichtlich verhängnisvoll, weil die immer größeren Mengen von CO 2 den pH-Wert der Ozeane zunehmend erniedrigt bzw. die Ozeane saurer macht, was letztlich für die Kalkbildung abträglich ist (siehe Artikel Wild). Mit anderen Worten, es wird für Organismen, die Ihre Skelette aus Kalk bauen, immer schwerer werden, überhaupt noch robuste Schalen bilden zu können. Die Korallenriffe werden dadurch anfälliger für physikalische Störungen wie Zyklone und biologische Störung wie Erosion durch Organismen wie bohrende Schwämme, Muscheln oder Seeigel.

Abb.10: Auf SauerstoffisotopenVerhältnissen basierende Temperaturkurve entlang des Korallen-Bohrkerns von Glovers Reef, Belize, Zentralamerika. Die rote Linie ist der fünfjährige durchlaufende Mittelwert.

Während die Dendrochronologie im Prinzip das gesamte Holozän (Zeitabschnitt der letzten ca. 10.000 Jahre) mit Hilfe von Baumringen dokumentieren kann, ist die Sklerochronologie von solchen durchgängigen Datensätzen noch weit entfernt. Die längsten detaillierten Datenreihen aus ein und derselben Korallenkolonie reichen ins 16. Jahrhundert zurück. Bislang existieren von verschiedenen Riffgebieten kurze Teilstücke auf die letzten mehreren tausend Jahre verteilt, die wie Fenster Einblicke in die Klimavariabilität vergangener Zeiten erlauben. Diese Teilstücke basieren auf der Analyse fossiler Korallen, die aus tieferen, bis zu 25 m tiefen Bohrungen in die

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Abb.11: KohlenstoffisotopenVerhältnisse entlang des Korallen-Bohrkerns von Glovers Reef, Belize. Die rote Linie ist der fünfjährige, durchlaufende Mittelwert.

xy Abb.12: »Fenster« in das Klima der jüngeren geologischen Vergangenheit durch die Analyse fossiler Korallen aus Belize. Die Variation der Wassertemperaturen wurde basierend auf den Sauerstoffisotopen-Verhältnissen im Korallenskelett berechnet.

Riffe von Belize stammen. Die wichtigsten vorläufigen Erkenntnisse umfassen die Beobachtung, dass in der Zeit von 8.000 bis 5.000 Jahre vor heute zum einen vermutlich ähnlich hohe Wassertemperaturen im Untersuchungsgebiet vorherrschten wie heute. Zum anderen war zu dieser Zeit die jahreszeitliche Schwankungsbreite der Temperatur auch höher als es heute der Fall ist. Vergleichbare Ergebnisse mit höherer Temperaturvariation im mittleren Holozän wurden auch anderswo erzielt, z.B. an Korallenskeletten aus dem nördlichen Roten Meer. In der Zeit von 4.000 bis 1.000 Jahren vor heute war es offenbar etwas kühler als heute. Es werden allerdings noch viele Untersuchungen nötig sein, um aus diesen kleinen Teilstücken eine komplette Chronologie zu konstruieren, so wie die Dendrochronologen es an Land durchgeführt haben.

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Auf und Nieder – Rif fe in der Tiefenzeit


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Auf und Nieder – Die wechselvolle Entwicklungsgeschichte von Riffen in der Tiefenzeit Wolfgang Kiessling xy

Abb.1: Die Riffblüte im jüngeren Devon ist durch zahlreiche große Riffstrukturen dokumentiert, die aus Stromatoporen und Korallen aufgebaut wurden. Das Bild zeigt ein kilometergroßes Riff aus der kanadischen Arktis.

Wie empfindlich reagieren Riffe wirklich auf globale Umweltveränderungen? Was fördert und was hemmt ihre Verbreitung? Diese Fragen sind heute aktueller denn je. In den Medien werden wir fast täglich mit Katastrophenmeldungen über den schlechten Zustand der tropischen Korallenriffe konfrontiert: Abwässer, Überfischung und Massentourismus zerstören die Riffe regional; der Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre bedroht die Riffe global. Einerseits macht die Erwärmung durch den Treibhauseffekt den tropischen Korallen das Leben schwer, andererseits übersäuern die Ozeane, wodurch es für Korallen schwieriger wird, ihr Kalkskelett auszuscheiden. Bedrohung an vielen Fronten also, und auf lange Sicht scheint es nur abwärts gehen zu können. Doch wie so oft lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Besonders auf langen Zeitskalen offenbart sich ein erstaunliches Durchhaltevermögen dieser hochkomplexen Ökosysteme. Große Gesteinskörper, die durch ortsfeste kalkabscheidende Lebewesen aufgebaut wurden – nichts anderes sind Riffe – gab es bereits vor zwei Milliarden Jahren. Bei näherer Betrachtung sind diese ältesten Riffstrukturen kaum mit heutigen Korallenriffen vergleichbar: Ausschließlich Bakterien und einige Algen waren die Konstrukteure, von bunten Korallenfischen und anderen Tieren fehlt jede Spur. Korallenriffe gibt es auch schon seit immerhin 450 Millionen Jahren. Die geologische Überlieferung bezeugt allerdings tatsächlich eine äußerst wechselvolle Geschichte. Korallen wurden mehrfach als Riffbildner von anderen Organismen verdrängt und die Anzahl der Riffe schwankte sehr stark: Blütezeiten, in denen Korallenriffe von den Tropen bis in mittlere Breiten vordrangen, wechselten mit Zeiten, in denen kein einziges Korallenriff auf der Erde nachweisbar ist. Das historische Auf und Nieder belegt, dass Riffe durchaus angreifbar sind. Aber was löste die Krisen aus und, noch wichtiger, was führte zu den Blüten? Um das zu verstehen, müssen wir eine Reise in die Tiefenzeit der Erde unternehmen.

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Auf und Nieder – Rif fe in der Tiefenzeit

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Abb.2: Heutige Korallenriffe des Flachwassers sind überwiegend in den Tropen zu finden und brauchen Licht für effektives Wachstum. Ausgeprägtes Riffwachstum ist auf Breiten von weniger als 30˚ Nord und Süd beschränkt. Nur wenn Meeresströmungen warmes Wasser anliefern, kann Riffwachstum noch bis etwa 32º Breite stattfinden.

Aufgetaucht:

Warme Strömung Kalte Strömung Wassertiefe

Riffe an Land als wesentliche

0 – 99 m

Informationsquelle der Riffentwicklung

100 – 200 m

Ich werde oft gefragt, wie ich denn die längst vergangenen Korallenriffe untersuche. Da müsse man ja wahrscheinlich ziemlich tief tauchen oder bohren. Nein, die allermeisten fossilen Riffe sind recht bequem zu erreichen und mit einem normalen Geologenhammer zu beproben. Dies verdanken wir einerseits der Tatsache, dass der Meeresspiegel zu den meisten Zeiten der Erdgeschichte wesentlich höher lag als heute. Andererseits führten tektonische Bewegungen dazu, dass wir heute auch einmal hohe Berge erklimmen müssen, um ein Riff aus der Vergangenheit studieren zu können. Auch wenn viele alte Riffe nur durch Erdölbohrungen bekannt sind – immerhin sorgt die oft hohe Porosität von Riffgesteinen für etwa 30% der weltweiten Ölvorkommen, die wichtigste Informationsquelle über versteinerte Riffstrukturen sind in Form von Steinbrüchen oder natürlichen Aufschlüssen jeder-

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Wichtige Strömungen

201 – 999 m 1000 – 3999 m 4000 – 5999 m 6000 – 7999 m 8000 – 10500 m Land


abgetaucht

Wolfgang Kiessling

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Hoch

Niedrig

Abb.3: Innerhalb der Tropen sind Riffe besonders an nährstoffarme Regionen gebunden. In nährstoffreichen Regionen (aus dem Weltall anhand von Chlorophyll-Konzentrationen erkennbar) ver-

Chlorophyllkonzentration

ursachen Planktonblüten eine schlechte Durchlichtung und die Korallen bekommen Konkurrenz von Weichalgen und anderen Nährstoffopportunisten.

mann zugänglich. Man braucht bloß Sachverstand und gehöriges Vorstellungsvermögen, diese manchmal unscheinbaren und, besonders in unseren Breiten, von Vegetation oft überwachsenen Gesteinskörper wieder zum Leben zu erwecken. Um etwas über den globalen Zustand der Riffe zu einer gewissen Zeit aussagen zu können, müssen die Daten in einer standardisierten Form zusammengetragen und analysiert werden. Genau dies habe ich über mehr als ein Jahrzehnt getan, so dass heute eine Datenbank mit fast 4000 Riffkomplexen aus den letzten 540 Millionen Jahren zur Verfügung steht. Damit sind schon recht zuverlässige Auswertungen über die Riffevolution zu machen. Aber die Sache hat einen Haken.

Abgetaucht: Informationsverlust durch Plattentektonik Ein Blick auf die heutige Riffverbreitung offenbart, wie viele tropische Korallenriffe im offenen Ozean liegen. Fast 40 % aller Riffe sitzen auf oder um Vulkane, die mitten im Ozean aufragen. Damit teilen sie auch das Schicksal der Oze-

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Auf und Nieder – Rif fe in der Tiefenzeit

ane. Über kurz oder lang werden sie verschwinden. Kein Ozean kann länger als etwa 200 Millionen Jahre bestehen. Durch stetige Abkühlung wird die ohnehin schon dichte Ozeankruste zu schwer und taucht unter die wesentlich leichtere kontinentale Kruste, wo sie langsam aufschmilzt. Dieser Subduktionsprozess erfasst alles, was sich auf dem Ozeanboden abgelagert oder gebildet hat, auch die ozeanischen Atolle. Auch wenn es selten einmal ein Stück Ozeankruste an Land schafft, besteht die geologische Überlieferung – und damit auch unser Wissen – fast nur aus Riffen, die in nicht allzu großer Landentfernung gewachsen sind.

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Die Kernfrage ist daher, wie repräsentativ die an Land exponierten Riffe für die Riffsysteme der Vergangenheit sind. Ist der Gesundheitszustand von Riffen zu einer bestimmten Zeit wirklich daraus abzulesen? Es könnte zum Beispiel sein, dass es den Riffen in Landnähe schlecht ging, zum Beispiel durch natürliche Umweltverschmutzung in Form von höherem Nährstoffeintrag vom Land, der wiederum durch tiefer reichendes Wurzelwerk von Bäumen oder einfach durch mehr Regen verursacht wurde. Das muss ozeanische Atolle überhaupt nicht beeinträchtigt haben, da dort kaum Land vorhanden ist. Eine Krise der landnahen Riffe stünde dann einem gesunden Riffsystem im offenen Ozean gegenüber, von dem wir schlicht nichts wissen können. Die wenigen ozeanischen Inseln, die es an Land geschafft haben, geben leider keine stichhaltigen Hinweise. Andererseits könnte die heutige Ausbreitung der Riffe immer noch zuverlässig ermittelt werden, wenn alle Südseeatolle verschwunden wären. Und die Zusammensetzung der Riffe unterscheidet sich heute kaum zwischen ozeanischen und küstennahen Riffen. Viel mehr spielen geographische Breite und Region die entscheidende Rolle. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Die geologische Überlieferung kann nicht für bare Münze genommen werden. Ein sinkender Meeresspiegel wirkt biologisch, indem er die Fläche verkleinert, auf der Riffe wachsen können. Gleichzeitig werden bei fallendem Meeresspiegel aber auch ältere Riffe der Verwitterung ausgesetzt. Eine ehemalige Blütezeit kann im Extremfall so erscheinen, als hätten die Riffe eine Krise erfahren. Auch die heutige Verteilung des Wohlstands auf der Erde spielt eine Rolle: Reiche Länder können mehr Mittel in die Grundlagenforschung investieren als Entwicklungsländer. Dadurch werden in diesen Ländern wesentlich mehr paläontologische Daten zusammengetragen als in ärmeren.

Riffkonstrukteure in 500 Millionen Jahren Erdgeschichte Korallen und Kalkalgen sind heute die Baumeister der Korallenriffe. Korallen sorgen für Wachstum nach oben, Rotalgen zementieren unten und formen auch das besonders wellenexponierte Riffdach. Das gute Zusammenspiel der beiden stark verkalkenden Organismengruppen macht die Riffe wellenfest, womit sie ihre wahrhaft gigantischen Dimensionen erreichen können. Starke Verkalkung, oder Hyper-

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Abb.4: Thecosmilia trichotoma, eine Riffkoralle aus dem jüngeren Jura von Süddeutschland.


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Abb.5: In der Wüste des Oman präsentieren sich eindrucksvoll Rudistenriffe der jüngeren Kreide (ca. 80 Millionen Jahre).

Abb.6: Stromatoporen wie diese waren erheblich an der Riffkonstruktion

abgetaucht kalzifizierung, und rasches Wachstum sind das Geheimnis der Riffkonstrukteure. Auch andere Organismen, die diese Bedingungen erfüllen, können Riffe bauen, und im Laufe des Phanerozoikums – die letzten und interessantesten 540 Millionen Jahre Erdgeschichte – war ein Konsortium von Organismen am Werk: Das Spektrum reicht von einfachsten Bakterien bis zu relativ komplexen Tieren, wie Muscheln. Austernriffe gibt es auch heute noch, aber in der Kreidezeit waren Muscheln am Werk, neben denen selbst die größten Austern wie Pfifferlinge aussehen. Diese Rudisten waren bis zu einem Meter groß und wuchsen so dicht neben- und übereinander, dass größere Riffstrukturen entstanden. Ihre Ausbreitung ging mit einem Abstieg der Korallenriffe einher, die erst nach dem Aussterben der Rudisten am Ende der Kreidezeit – gleichzeitig mit dem Aussterben der Dinosaurier – wieder weltweite Verbreitung erreichten. Besonders erfolgreich als Riffbildner waren Schwämme. Heute eher als körperpflegende Badeschwämme bekannt, waren hyperkalzifizierende Schwämme ganz wesentlich am Riffaufbau in der Vergangenheit beteiligt: Archaeocyathen (Urbecher) waren die ersten Tiere, die im frühen Kambrium Riffstrukturen bildeten. Später kamen Stromatoporen, die besonders im Paläozoikum zusammen mit Korallen riesige Riffe bildeten. Ihre heute lebenden Verwandten darben zurückgezogen in engen Riffhöhlen und sind nicht mehr am Riffaufbau beteiligt. In Perm und Trias war die Blütezeit der Sphinctozoen und Inozoen, die gleichfalls eindrucksvolle Riffbauten hinterließen. Bakterielle, oder allgemeiner mikrobielle, Riffstrukturen sind seit dem Kambrium stetig im Rückgang. Im Präkambrium und Kambrium der Normalzustand, sind spätere Ausbreitungen von Mikroben-dominierten Riffstrukturen ein Indikator für einen gestressten Zustand der Riffe. Heute findet man mikrobendominierte Kalkstrukturen fast nur in gestresstem Milieu. Besonders nach globalen Aussterbeereignissen ist ein Anstieg von Mikrobenriffen dokumentiert, vermutlich weil die üblichen Abweider der Mikroben seltener geworden sind. Erholt sich die Lebewelt wieder, verschwinden die Mikrobenriffe schnell.

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im Paläozoikum beteiligt (Devon, Sauerland).

Das Kommen und Gehen von Riffbildnern in der Tiefenzeit zeigt ein komplexes, aber hochinteressantes Muster. Nur die Mikroben durchlaufen einen Langzeittrend des Rückgangs. Alle anderen Riffkonstrukteure blühen episodisch auf und verschwinden wieder. Zeiten mit besonders vielen Riffen sind auch Zeiten mit einer großen relativen Häufigkeit von Korallen- und Schwammriffen. Das belegt zunächst nur, dass Schwämme und Korallen besonders effiziente Riffkonstrukteure sind. Aber auch den Ursachen von Ausbreitung und Kollaps ist mit den Mustern auf den Grund zu kommen. Bevor ich all die Riffdaten zusammengetragen hatte, war meine Erwartung, dass Riffe sich bei günstigen Bedingungen graduell ausbreiten würden, bis alle geeigneten Meeresgebiete besetzt wären. Danach sollten die Riffe auf hohem Niveau stabil bleiben, bis katastrophale Umweltveränderungen zu einem Zusammenbruch führten. Ein solches Muster ist zum Beispiel bei der Artenvielfalt auf vulkanischen Inseln zu sehen. Ein ozeanischer Vulkan, der durch starke Lavaflüsse plötzlich über die Meeres-

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Auf und Nieder – Rif fe in der Tiefenzeit

oberfläche hinausragt, stellt neuen Lebensraum zur Verfügung, der aber erst erobert werden muss. Die Neusiedler kommen über die Luft oder als Strandgut über das Meer auf die Insel und die Diversität nimmt stetig zu. Je nach der Entfernung zum Festland oder zu anderen Inseln kann es unterschiedlich lange dauern, bis die Artenvielfalt ein hohes Niveau erreicht. Wie hoch dieses Niveau aber letztlich wird, hängt weniger von der Landentfernung als vielmehr von der Größe der Insel und den lokalen klimatischen Bedingungen ab. Erfolgreiche Einwanderungen sind immer noch möglich, gehen dann aber auf Kosten mancher schon etablierter Arten, so dass sich ein mehr oder minder stabiles Gleichgewicht einpendelt, das erst durch katastrophale Ereignisse, zum Beispiel weitere Vulkanausbrüche, zunichte gemacht werden kann. Warum ist das Riffmuster so unterschiedlich? Die Aufbrüche verliefen augenscheinlich ebenso rasch und intensiv wie die Einbrüche, und kaum eine Blütephase war auf

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Abb.7: Dokumentierte Häufigkeit von Riffkomplexen in Zeiteinheiten von 10 Millionen Jahren und ihre dominierenden Riffbildner. Das episodische Aufblühen und Untergehen der Riffe ist besonders markant. Die Riffkrisen gehen überwiegend mit globalen Diversitätskrisen einher – sogenannten Massenaussterben. Die vorherigen Riffblüten sind wesentlich schwerer zu erklären. Ihre Ursachen aufzuspüren ist ein wesentliches Ziel der Arbeitsgruppe „Evolutionäre Paläoökologie“ am Museum für Naturkunde. Geologische Perioden: Cm – Kambrium, O – Ordovizium, S – Silur, D – Devon, C – Karbon, P – Perm, Tr – Trias, J – Jura, K – Kreide, Pg – Paläogen, N – Neogen.

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abgetaucht geologischen Zeitskalen von Dauer. Kann so etwas durch Klimaveränderungen verursacht werden? Denkbar wäre schon, dass globale Erwärmungen das Riffwachstum fördern und Abkühlungen der Riffentwicklung abträglich sind. Die enge Bindung heutiger Korallenriffe an tropische Meere lässt dies plausibel erscheinen. Aber auch variable Nährstoffkonzentrationen oder sonstige Änderungen der Ozeanchemie kommen in Frage. Begeben wir uns also endlich auf die Zeitreise und sehen uns die Riffverbreitung in einigen wichtigen Intervallen an.

Riffe in Raum und Zeit: Wandern mit den Kontinenten, Beeinflussung durch Klima und Meeresströmungen Paläozoikum (542 – 251 Millionen Jahre) Wir beginnen unsere Zeitreise im Silur, vor etwa 425 Millionen Jahren. Zwar gibt es schon vorher recht verlässliche Daten zur Riffverbreitung, aber die Lage der Kontinente ist im Detail noch sehr umstritten. Fast alle tropischen Schelfregionen waren dicht mit Riffen besiedelt (Abb. 8). Gemischte Korallen- und Stromatoporenriffe dominierten. Besonders dicht drängten sich die Riffe im Osten Nordamerikas und im heutigen Nordeuropa. Beide Regionen befanden sich damals südlich des Äquators. Die Äquatorialzone, etwa am Nordrand von Grönland und im heutigen Ural gelegen, war ebenfalls dicht mit oft großen Riffen bewachsen. Nach Norden (heutiges Sibirien) wird die Datenlage etwas dünner, was aber vermutlich auf die geringere Forschungsintensität zurückzuführen ist. Überraschend sind die Riffvorkommen in der heutigen Mongolei, die nach der plattentektonischen Rekonstruktion um vierzig Grad Paläobreite lagen. Die genaue Lage der mongolischen Platte ist aber noch umstritten. Wahrscheinlich war die Riffzone im Silur nicht wesentlich breiter als heute. Abgesehen von der seltsam anmutenden Konzentration von Riffen inmitten von meeresbedeckten Kontinenten ist auch die sonstige Riffverbreitung ähnlich wie heute. Viele Riffe wuchsen dort, wo wir warme, nährstoffarme Meeresströmungen vermuten. An den Westseiten der Kontinente, wo heute kühle, nährstoffreiche Strömungen Riffwachstum verhindern, sind auch im Silur deutlich weniger Riffe zu finden. Die silurische Riffblüte kam durch tektonische Bewegungen zu einem abrupten Ende. Schelfmeere wurden emporgehoben, Gebirge entstanden dort, wo früher noch Ozean war. Das wirkte sich natürlich auf die Wachstumsmöglichkeiten der Riffe aus. Doch eine echte Krise ist nicht erkennbar. Die Riffe wurden weniger, ihre Artenvielfalt und räumliche Verbreitung nahmen jedoch noch zu. Ein neues Maximum der Riffverbreitung wurde dann im jüngeren Devon vor etwa 380 Millionen Jahren erreicht. Riffe drangen auf der Südhalbkugel bis knapp 42˚ und auf der Nordhalbkugel sogar bis über 50º Breite vor. Alle überlieferten Schelfmeere zwischen diesen Grenzen waren dicht von oft kilometergroßen Riffen bewachsen. Viele Erdölvorkommen in Kanada und Russland liegen in unterirdischen Stromatoporen-Korallenriffen,

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Hauptriffbildner Korallen Algen Mikroben Schwämme Muscheln Moostierchen Andere oder unbekannt

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Abb.8: Beispiele der Riffverbreitung im Paläozoikum. Die Lage der Riffe ist ebenso wie die Lage der Kontinente auf die jeweilige Zeit zurückgerechnet worden. Farben kennzeichnen die Hauptriffbildner (Kreise) und die Topographie (blau: Ozean, hellblau: Schelfmeere, fleischfarben: Land, braun: Gebirge). Die Oberflächenströmungen wurden mit einfachen Modellen rekonstruiert. Oben: Riffverbreitung im jüngeren Silur (ca. 425 Millionen Jahre). Mitte: Riffverbreitung im jüngeren Devon (ca. 380 Millionen Jahre). Unten: Riffverbreitung an der Wende Karbon-Perm (ca. 290 Millionen Jahre). Der Südkontinent Gondwana war teilweise vereist (weiß).

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Hauptriffbildner Korallen Algen Mikroben Schwämme Muscheln Moostierchen Andere oder unbekannt

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Abb.9: Beispiele der Riffverbreitung im Mesozoikum. Oben: Riffverbreitung in der jüngeren Trias (ca. 210 Millionen Jahre). Mitte: Riff-verbreitung im jüngeren Jura (ca. 155 Millionen Jahre). Unten: Riffverbreitung in der älteren Kreide (ca. 110 Millionen Jahre). Aus dieser Zeit sind erstmals größere Mengen an ozeanischen Riffstrukturen überliefert.

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die zu dieser Zeit wuchsen. Nicht nur das Vordringen in hohe Breiten, auch das generelle Verbreitungsmuster der Riffe unterscheidet sich markant von der heutigen Situation. Nahe den Westseiten der Kontinente wuchsen viele Riffe, während zum Beispiel am Ostrand von Australien nur sporadisches Riffwachstum bekannt ist, obwohl der Kontinent eine ähnliche Lage hatte wie heute, wo wir die größte lebende Riffstruktur der Erde kennen, das Große Barriere-Riff. Mit klimatischen Faktoren allein ist die devonische Riffblüte sicher nicht zu erklären. Das Klima war zwar deutlich wärmer als heute, aber seit dem höheren Silur nicht wesentlich verändert. Auch sonst gibt es kaum Anzeichen für besonders markante geologische Veränderungen. Dies änderte sich allerdings gegen Ende des Devons vor 375 Millionen Jahren. Die Stromatoporen-Korallenriffe erlitten einen massiven Einbruch; zurück blieben artenarme Mikrobenriffe. Lange hat man diese Riffkrise mit Klimaveränderungen in Zusammenhang gebracht. Es wurde zwar tatsächlich kälter auf der Erde. Spuren von Gletschern in Südamerika zeugen davon. Aber es ist noch mehr geschehen: Im Devon drangen erstmals Pflanzen aus küstennahen Sumpfgebieten ins trockenere Landesinnere vor. Die ersten Bäume und Wälder entstanden. Die tiefreichenden Wurzeln der Bäume mobilisierten Nährstoffe, die aufgrund der sonst noch spärlichen Vegetation direkt ins Meer transportiert wurden. Dort profitierte das Plankton, die Riffe aber litten unter der Sauerstoffknappheit, die durch die Planktonblüten ausgelöst wurde. Dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie Land und Meer in Wechselwirkung stehen können. Innovation an Land führte zu einer Krise im Meer. Der Riffeinbruch am Ende des Devons war dauerhaft. Im Karbon gab es zwar Riffe, doch die größeren Strukturen wuchsen oft im Tiefwasser. Korallen- und Schwammriffe waren klein und selten. An der Wende Karbon-Perm (vor 300 Millionen Jahren) waren dann verkalkende Algen die dominanten Riffbildner. Die Kalkalgen bildeten kaum Gerüst, sondern wirkten vielmehr als Schlammfänger. Kalkschlamm in Suspension lagerte sich im Strömungsschatten der Algen ab, wodurch eine Art Schlammhügel entstand. Solche Algenriffe waren weit verbreitet, aber selten dort zu finden, wo man heutige Korallenriffe erwarten würde. Sie scheinen sogar nährstoffreiche Milieus bevorzugt zu haben. Das Klima bietet hier einen Schlüssel zum Verständnis dieser ungewöhnlichen Riffwelt. Jüngeres Karbon und älteres Perm waren die Zeit der sogenannten Gondwana-Vereisung. Die Antarktis, Südaustralien und sogar Teile von Afrika und Südamerika waren von dicken Eispanzern bedeckt. Diese Eiszeit dauerte wesentlich länger und war wahrscheinlich noch intensiver als die heute noch andauernde Eiszeitphase, die vor etwa dreißig Millionen Jahren mit der Vereisung der Antarktis begann. Die seltsame Zusammensetzung der Riffe war vermutlich keine direkte Folge der kühleren Temperatur. Selbst in den immerwarmen Tropen änderte sich ja die Zusammensetzung. Vielmehr scheint höherer Nährstoffeintrag eine Rolle zu spielen, der das Wachstum der Algen förderte, das Wachstum von Korallen und Schwämmen aber hemmte. Die Nährstoffe kamen über die Luft aus

Abb.10: koloniale rugose Koralle (Devon, Deutschland)


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abgetaucht den weit verbreiteten Kältewüsten und über ozeanische Strömungen, die aufgrund des hohen Temperaturgefälles wahrscheinlich noch intensiver waren als heute. Mit dem Abklingen der Gondwana-Vereisung begannen wieder Kalkschwämme größere Riffe aufzubauen. Mitten im Aufstieg ereignete sich aber eine globale Katastrophe, die fast alles Leben auf der Erde in den Abgrund stürzte. Das Massenaussterben am Ende des Perms ist das größte Artensterben der Erdgeschichte. Etwa 90% aller Arten verschwanden für immer, vermutlich weil der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre, und damit auch im Ozean, erheblich zurückging, dafür aber der Kohlendioxidgehalt erheblich zunahm. Kein Wunder, dass auch die Riffe verschwanden. Schwämme und Korallen sind Tiere und brauchen Sauerstoff, und aufgrund ihrer Kalkskelette haben sie es schwer im kohlensauren Meerwasser. Die Todesphase dauerte etwa acht Millionen Jahre.

Mesozoikum (251 – 65.5 Millionen Jahre)

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Die Riffe der Triaszeit waren zunächst sehr ähnlich aufgebaut wie im Perm. Teilweise sind sogar die selben Schwammgattungen am Aufbau beteiligt. Warum die Kalkschwämme erst komplett verschwanden und dann plötzlich in großer Fülle wiederkehrten, ist eines der großen Mysterien in der historischen Riffforschung. Eine neue Riffblüte, die erste seit dem Devon, ist dann in der jüngeren Trias zu sehen, als Korallen wieder maßgeblich am Bau beteiligt waren. Das globale Verteilungsmuster ist zwar in der Breite des Riffgürtels ähnlich dem heutigen, seltsam mutet aber an, dass viele Riffe nahe dem Westrand von Nordamerika wuchsen, wo eigentlich kühle, nährstoffreiche Strömungen ein Riffwachstum verhindern sollten. Auch die Triasriffe erwischte eine heftige globale Krise, diesmal vermutlich durch eine massive globale Erwärmung ausgelöst. Die Erwärmung wurde wiederum durch massiven Vulkanismus verursacht, der gigantische Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpte. Diese Krise ist sehr lehrreich, denn sie betraf bevorzugt Lebewesen und Ökosysteme der Tropen. Früher hatte man angenommen, dass tropische Krisen eher durch Abkühlung ausgelöst werden. Schließlich können die tropischen Tiere nicht in wärmere Regionen ausweichen, wenn es selbst am Äquator abkühlt. Warum konnten Riffe und tropische Tiere am Ende der Triaszeit nicht einfach in höhere Breiten fliehen? Der Grund liegt vermutlich in der Geschwindigkeit der Erwärmung. Sie ging so rasch, dass eine Auswanderung, die ja für festgewachsene Tiere viele Generationen in Anspruch nimmt, nicht mehr möglich war. Die Korallenriffe im Jura waren über lange Zeiträume selten und klein, bis im jüngeren Jura plötzlich eine gigantische Riffblüte folgte. Interessanterweise lag die Riffblüte in einer Abkühlungsphase. Die große Häufigkeit von Riffen und ihre Verbreitung, weit jenseits der Breiten heutiger Korallenriffe, ist damit schwer zu erklären (Beitrag

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Auf und Nieder – Rif fe in der Tiefenzeit

Leinfelder). Die Blütezeit hielt nur kurz vor. Schon im obersten Jura gingen die Riffe stark zurück, vermutlich verursacht durch einen Rückgang des Meeresspiegels. In der Kreide sind zunächst kaum ökologische Veränderungen in den Riffen wahrnehmbar. Mit der Ausbreitung von Rudisten ändert sich das Bild. Vor etwa 110 Millionen Jahren sind Rudistenriffe bereits häufiger als Korallenriffe und der Trend setzt sich bis zum Ende der Kreide fort. Wirklich eindrucksvolle Riffstrukturen hinterließen die Rudisten nicht, aber offensichtlich konnten sie Korallen als Riffbildner ablösen. Früher dachte man an Konkurrenz, wahrscheinlicher ist aber, dass Rudisten besser mit der globalen Erwärmung zurechtkamen als Korallen. Die Kreide war ja eine der wärmsten Perioden der Erdgeschichte. Das Schicksal der Rudisten war besiegelt, als ein weiteres Massenaussterben nicht nur sie, sondern auch die Dinosaurier und viele andere Gruppen auslöschte. Der Schuldige, ein Meteoriteneinschlag im Golf von Mexiko, führte auch zu einer Krise bei den Korallen, von der sie sich aber rasch erholten und seitdem die tropischen Flachwasserriffe dominieren. xy

Abb.11: Riffverbreitung vor 15 Millionen Jahren (Miozän). Die Antarktis war bereits vereist, aber die Nordhalbkugel noch weitgehend eisfrei. Riffe waren wesentlich weiter verbreitet als heute.

Die letzten 65 Millionen Jahre Erst vor etwa 30 Millionen Jahren sehen wir einen deutlichen Anstieg der Häufigkeit von Riffen, überraschenderweise gleichzeitig mit der globalen Abkühlung, die letztlich in unsere derzeitige Eiszeitphase mündete. Was bereits in Jura und Kreide zu beobachten war, setzt sich hier fort. Die tropischen Korallenriffe scheinen eher von Abkühlung als von Erwärmung zu profitieren! Dieses Paradoxon lässt sich schwer auflösen, denn die kurzeitige Erwärmungsphase im mittleren Miozän (ca. 15 Millionen Jahre) war doch mit einer deutlichen Expansion verbunden. Zu dieser Zeit sind bereits die heutigen Riffprovinzen erkennbar. Indo-Pazifik, Rotes

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abgetaucht Meer und Karibik waren dicht bewachsen. Zusätzlich waren Riffe im Mittelmeer und dessen Randmeeren sowie in Südaustralien häufig, überall dort, wo warme, nährstoffarme Strömungen hingelangten. Erst in wirklich hohen Breiten sehen die Riffe des Miozäns deutlich anders aus: Bryozoen- und Algenriffe dominierten hier. Riffe als Spielball von Umweltfaktoren oder selbstorganisierte Ökosysteme? Wir haben gesehen, dass der Zusammenhang zwischen Klima- und Riffentwicklung auf langen Zeitskalen keineswegs offensichtlich ist. Abkühlungen und Erwärmungen können zu Veränderungen der Zusammensetzung führen, aber es scheint schlicht keinen Zusammenhang zwischen Riffblüten und Klima zu geben. Auch bei anderen Umweltfaktoren sieht es ähnlich aus. Weder chemische Veränderungen in den Ozeanen noch Nährstoffeintrag vom Land sind systematisch mit dem Auf und Nieder der Riffe gekoppelt. Extreme Erwärmungen und Episoden mit erhöhtem Nährstoffeintrag konnten katastrophale und dauerhafte Schäden bewirken, aber selbst globale Katastrophen wie ein Meteoriteneinschlag hatten nur kurzzeitige Konsequenzen. Die Überlebenden fanden schnell wieder zusammen und bauten fleißig weiter. Nur der globale Meeresspiegel erklärt einigermaßen die wechselnde Riffhäufigkeit. Wenn die Kontinente weiträumig überflutet waren, sind tendenziell mehr Riffe überliefert als wenn sich das Meer von den Kontinenten auf die Schelfe zurückgezogen hat. Mehr Raum, mehr Riffe! Das ist eigentlich trivial. Interessanter ist vielmehr die Frage, was zusätzlich noch Auswirkungen hat. Hier kommt wieder das pulsierende Muster der Riffhäufigkeiten ins Spiel. Selbst wenn wir den Meeresspiegel berücksichtigen, bleibt das fundamentale Muster erhalten: Rapiden Ausbreitungen folgen unweigerlich rapide Einbrüche. Sind vielleicht die Einbrüche eine Folge der Blüten? Auf jeden Fall zeigen die Daten, dass es wichtiger ist, den Ursachen der Expansionen auf den Grund zu gehen, als sich nur auf die Krisen zu konzentrieren. Doch das ist ungleich schwieriger. Für jede historische Riffkrise stehen brauchbare Erklärungsmöglichkeiten zur Verfügung; meistens sind es plötzliche Umweltveränderungen. Die ebenso plötzlichen Aufbrüche scheinen aber fast aus dem Nichts zu kommen. Kleine Umweltveränderungen mussten also durch biologische Rückkopplungen verstärkt werden, um zu den markanten Blüten zu führen. Ich vermute, dass erst diese Selbstorganisation wirklich erklärt, warum Riffe in der Tiefenzeit so plötzlich kommen und gehen. In einem komplexen, selbstorganisierten System sind große Auswirkungen bei minimalen Störungen möglich. Man denke nur an den berühmten Schmetterling, der durch seinen Flügelschlag unter Umständen einen Sturm in weiter Entfernung auslösen kann. Sollte meine Hypothese der selbstorganisierten Kritikalität für Riffe zutreffen, bestünde Anlass zur Unruhe. Die neogene Blütezeit der Riffe ist bereits vorüber. Auch wenn Riffe heute noch weit verbreitet und häufig sind, sprechen die Anzeichen dafür, dass der Weg nach unten geht, und es wäre kaum möglich, die nächste große Riffkrise abzuwenden. Korallenriffe werden wahrscheinlich nicht völlig verschwinden, aber bis sie wieder eine Blüte wie zuletzt im Miozän erleben, können gut fünfzig Millionen Jahre vergehen.

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Die Evolution der Korallenriffe – und was uns die Jura-Riffe dazu verraten Reinhold Leinfelder Das Ökosystem Korallenriff – ein »Dauerbrenner«?

Abb.1: Turmförmige jurassische Korallenriffe in Ostspanien, Arroyo Cerezo.

Beginnen wir mit ein paar Superlativen! Tropische und subtropische Korallenriffe repräsentieren das vielfältigste marine Ökosystem, welches wir heute auf der Welt kennen, etwa 60.000 Arten sind aus Riffen bislang bekannt, bis zu 1 Million verschiedene Arten vermutet man dort, der ökonomischen Wert der Riffe beziffert sich auf Milliarden pro Jahr. Das ist beeindruckend, aber leider gleichzeitig auch bedrückend, wenn wir an die immense Bedrohung dieses faszinierenden und wertvollen Lebensraums denken (siehe weitere Artikel in diesem Buch). Aber sind Korallenriffe eigentlich erst heute derart faszinierend und komplex oder war das immer schon so? Diese Frage müssen wir sehr differenziert beantworten, denn entstanden sind die ersten Korallenriffe schon vor ca. 450 Millionen Jahren (siehe auch Kiessling, dieses Buch), und auch diese Riffe waren sicherlich bereits beeindruckend. Ein Ökosystem Korallenriff gibt es also schon seit Urzeiten. Andererseits hat sich der Komplexitätsgrad des Ökosystems überaus gesteigert und erreichte eigentlich erst vor ca. 30 Millionen Jahren seine heutige Komplexität. Die heutigen Korallenriffe sind also gleichermaßen ein Produkt einer viele hunderte Millionen Jahre währenden Evolution sowie auch Ausdruck der aktuellen Umweltsituation. Dass beides nicht voneinander zu trennen ist und auch nie zu trennen war, soll dieser Artikel etwas aufzeigen. Denn Korallenriffe sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass nicht nur Organismen einer Evolution unterliegen, sondern dass dies auch für ganze Ökosysteme gilt. Die Ökosysteme der früheren Korallenriffe sahen nämlich teilweise doch deutlich anders aus als das Ökosystem der heutigen Korallenriffe. Das Ökosystem Korallenriff war also gewissermaßen kontinuierlich auf Reisen, wenn auch in unterschiedlicher Geschwindigkeit und nicht immer wirklich geradlinig, und auch die Breite des Wanderwegs war oft sehr unterschiedlich. Eine der Schlüsselzeiten, sozusagen der Aufbruch in die Reise der Neuzeit lag vor etwa 150 Millionen Jahren, in der erdgeschichtlichen Periode des höheren Jura. Dieser Artikel soll die Riffe auf dieser ungewöhnlichen evolutionären Zeitreise etwas begleiten.

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Abb.2: Riffevolution und Riffsterben während der Erdgeschichte. Im Unterschied zur gerichteten Weiterentwicklung der generellen Riffstruktur waren Riffe in der Erdgeschichte sehr unterschiedlich häufig (blaue Linie). Auch die Zusammensetzung der wichtigen Riffbildner änderte sich laufend. Stromatoporen sind hier bei den Kalkschwämmen gruppiert. Die Gruppe »Sonstiges« war im Präkambrium und Jungpaläzoikum (Karbon / Perm) besonders wichtig. Sie bestand, in unterschiedlicher Häufigkeit, insbesondere aus cyanobakteriellen und bakteriellen, krustenbildenden Mikroben, darunter Cyanobakterien sowie aus verschiedenen Kalkalgen, Moostierchen, Seelilien, Brachiopoden und anderen. Globale Aussterbeereignisse sind durch Totenköpfe, weniger umfassendes Massensterben durch Sternchen charakterisiert. Nach dem katastrophalen Aussterben der meisten paläozoischen Korallen im höheren Devon dauerte es etwa 140 Millionen Jahre, bis wieder subtropische Korallenriffe des Flachwassers auftraten.

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Evolution der Korallenrif fe


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Reinhold Leinfelder

Der vorhergehende Artikel zeigte auf, dass der generelle Lebensraum »tropisch-subtropisches Flachwasserriff« schon seit langem besteht. Auch in Riffen der fernen Devonzeit, also vor etwa 400 Millionen Jahren gab es bereits Vergleichbarkeiten zu heutigen Riffen, nicht nur weil Korallen in diesen Riffen zahlreich vorkamen, sondern es gab bereits Saumriffe, Barriereriffe und sogar Atolle. Allerdings konnten für diese frühen Riffe die ökologischen Kontrollfaktoren und damit der generelle Lebensraum doch teilweise sehr unterschiedlich sein, worauf wir noch eingehen werden. Kiessling führt in seinem Artikel (dieses Buch) ebenfalls aus, dass nur wenige der großen Aussterbeereignisse, insbesondere im späten Oberdevon sowie an der Wende Perm/Trias die Flachwasserriffe »vorübergehend«, d.h. manchmal »nur« wenige Millionen Jahre, einmal aber sogar weit über 100 Millionen Jahre zum Verschwinden brachte, während andere Umweltkatastrophen, wie etwa im späten Ordovizium oder auch an der Kreide / Tertiär-Grenze, an der ja nicht nur die Dinosaurier, sondern auch die Ammoniten und viele andere Tiergruppen der Meere ausstarben, den Riffen eher weniger zu schaffen machten. Zum Teil ist dies damit zu erklären, dass komplexe Ökosysteme, wie sie Riffe insbesondere darstellen, oftmals Redundanzen aufweisen. So sind für bestimmte Aufgaben im Riff, etwa das notwendige Abweiden von Weichalgen, verschiedene Tiergruppen verfügbar, insbesondere natürlich die algenabweidenden Fische, aber auch viele Seeigelarten. Bei den »Kläranlagen« der Riffe, die für die Lichtdurchlässigkeit des Oberflächenwassers wesentlich sind, gibt es noch viel mehr solcher Redundanzen. So gibt es filtrierende Muscheln, Schwämme, Moostierchen, Armfüßer, Seepocken, Seescheiden und vieles mehr, die allesamt kleinste Nahrungspartikel aus dem Wasser fischen und damit das Wasser sauber und klar halten. Wenn aber auch diese Redundanzen geschädigt sind, dann kommt es zu katastrophalen »Kippschalter-Effekten«, dann können auch schon eher kleinere Ursachen einem vorgeschädigten Riffareal oder gar globalem Ökosystem sehr rasch den Garaus machen. In Redundanzsysteme und Adaptationsvermögen stecken wir die Hoffnung, dass unsere heutigen Riffe trotz aller anthropogenen Schädigungen doch noch weiter existieren können, Kippschalter-Effekte sind dabei die große Bedrohung.

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Riff ist nicht gleich Riff Wir wollen uns nicht lange mit Definitionen aufhalten, aber soviel dennoch: Geologen und Paläontologen verstehen unter einem Riff einen in der Regel kalkigen Gesteinskörper, der eindeutig durch die Aktivität von Organismen entstanden ist. In der Regel stellt der Kalk die zusammenzementierten Schalen und Skelette von Rifforganismen dar, aber teilweise kann er auch nur Ausdruck der Stoffwechseltätigkeit von Organismen sein. Dies gilt etwa für Kalkhügel, die auf die Lebenstätigkeit einfacher Blaualgen und anderer Mikroben, zurückgehen. Durch organische Schleime, aber auch durch die Photosynthese wird Kalk indirekt gefällt. Gerne sehen es die Geowissenschaftler, wenn bei diesen organischen Kalkbildungspro-

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abgetaucht zessen Hügelstrukturen entstanden sind, denn an diesen Reliefs erkennen sie Riffe nämlich besonders leicht. Aber auch eher kissen- oder rasenförmige Gebilde gelten als Riffe, sofern sie eben nachweisbar auf Organismen, die eng und zahlreich zusammenleben und dabei Kalk produzieren, zurückgeführt werden können. Schaut man mit dieser »Riffbrille« durch die Erdgeschichte, gab und gibt es unter den Riffen längst nicht nur tropische Korallenriffe, auch heute gibt es noch Schwammriffe oder Austernriffe, und auch bei den modernen Korallenriffen finden sich neben den viel besser bekannten tropisch-subtropischen Korallenriffen auch die Kaltwasserriffe, die in den Tiefen der Meere, insbesondere der Nordmeere beheimatet sind.

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In der Erdgeschichte war diese Vielfalt noch höher. Es gab Mikrobenriffe, darunter die Stromatolithen, sowie andere Algenriffe, Kieselschwamm-Mikroben-Riffe, Kalkschwamm-Riffe, Riffe aus der Muschelgruppe der konisch wachsenden Rudisten, sogar Riffe aus bestimmten Armfüßern (die Richthofenien-Riffe) und vieles mehr. Manche wuchsen im tieferen Wasser, viele auch im Flachwasser. Aber selbst bei den Korallenriffen des Flachwassers gab es viele Übergänge zu anderen Typen. Im Devon waren in solchen Korallenriffen eigentlich die Stromatoporen, also eine Gruppe von Schwämmen mit Kalkskelett, ganz besonders wichtig und dominierten häufig sogar die Korallen, so dass man besser von Stromatoporen-Korallenriffen sprechen sollte. In der Triaszeit gab es Kalkschwammriffe, die auch Korallen aufweisen, und in der Kreidezeit wuchsen gemischte Rudisten-Korallenriffe. Es ist also gar nicht immer so leicht zu sagen, was ein Korallenriff ist. Auch waren die einzelnen Riffe nicht immer gleichermaßen zahlreich vorhanden. Abb. 2 zeigt in vereinfachter Form die Dominanz der Rifforganismen während der Erdgeschichte. Für weitere Details siehe Artikel Kiessling.

Die Evolutionsreise der Riffe: Problemlösung schafft neues Problem Warum also finden wir nun diese Vielfalt von Riffen, und warum sind denn nicht einmal die Korallenriffe miteinander so richtig vergleichbar? Korallenriffe sind also, obwohl es sie schon so lange gibt, offensichtlich keine »lebenden Fossilien«, wie der Pfeilschwanzkrebs, der Nautilus, der Quastenflosser, oder der Ginkgo-Baum, die, wenn sie einmal ihre optimale Nische gefunden haben, zumindest äußerlich über die Jahrmillionen, ja teilweise Hunderte von Jahrmillionen unverändert blieben. Korallenriffe und Riffe überhaupt haben aber, so könnte man sagen, ihre eigentliche Nische bis heute nicht vollständig gefunden. Das klingt nun sehr vermenschlicht, aber das soll hier sowie im Nachfolgenden selbstverständlich nur übertragen und sinnbildlich gemeint sein, denn kein Riff sucht sich seine Nische selbst im sprichwörtlichen Sinne. Vielmehr bewirkt die Vielzahl von Organismen in einem Riff extreme Konkurrenz auch untereinander und wenn sich die Umwelt ändert, gibt es weitere Herausforderungen. Besondere evolutionäre Anpassungen, die einen Vorteil

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Evolution der Korallenrif fe


Reinhold Leinfelder

Abb.3: Präkambrisches StromatolithRiff aus Kanada. Anpoliertes Detail. Die einzelnen Kalklagen wurden durch Cyanobakterien und andere Mikroben gebildet. Breite ca. 20 cm.

abgetaucht vor anderen verschaffen, setzen sich dabei natürlich leicht durch, fordern aber die anderen Organismen gleichsam heraus, hier mitzuhalten, und wieder weitere Innovationen evolutionär zu entwickeln. Wenn ein Lebensraum sehr begrenzt ist, wie das bei Riffen der Fall ist, ist der Druck, evolutionäre Innovationen zu entwickeln, die sogar neue Lebensräume erschließen, besonders hoch. Auf dieser Entwicklung der Ursachen und der Reaktionen darauf wollen wir die Riffe kurz begleiten, bevor wir dann in die besonders spannende Entwicklung in der Jurazeit weiter eintauchen. In den Urozeanen befand sich eine Fülle von energiereicher organischer und anorganischer Substanz, die frühe Mikroben verwerten konnten. Dazu gehörten Archaebakterien und wohl auch andere Bakterien, die in den damals noch sauerstofffreien Meeren lebten. Vereinfacht gesagt wurde durch die hohe Übersättigung der archaischen Meere an gelöstem Kalcium und Hydrogenkarbonat schon durch einfache Stoffwechseltätigkeit häufig Kalk gefällt, so ähnlich wie heute Bakterien auch Zahnbelag und Zahnstein produzieren. Auf einer derartigen Kalklage bildete sich dann ein neuer Mikrobenfilm, das bedeutete Aufwand, hatte aber einen bedeutenden Vorteil: Millimeter für Millimeter lagen diese Filme höher als vielleicht konkurrierende Filme in der Nachbarschaft, die nicht verkalkten. Von den herabfallenden organischen Substanzen bekam man so leichter etwas ab als die anderen. In gewisser Weise war das erste Riffsystem erfunden, denn die Lebenstätigkeit dieser anoxischen Mikroben bewirkte die Bildung organischen Kalkes. Hat das andere sozusagen herausgefordert? So könnte man es fast nennen. Cyanobakterien, bei denen es auch viele fädige, nach oben wachsende Formen gibt, bringen durch ihren Stoffwechsel ebenfalls Kalk zur Fällung, aber sie hatten einen entscheidenden Vorteil. Sie waren nicht auf nährstoffreiche Bereiche angewiesen, denn sie konnten sich ihre Nahrung durch Photosynthese selbst aus Kohlendioxid, Wasser und Sonnenlicht herstellen. Auch sie verkalkten und schoben sich rasch höher. Stromatolithen entstanden weitverbreitet, allerorten. Allerorten? Sicherlich nicht, denn es musste immerhin noch ein bisschen Licht vorhanden sein, auch wenn viele Cyanobakterien mit sehr wenig Licht auskommen können. Die Cyanobakterien haben also das Riffsystem gleichsam ins etwas flachere Wasser »verschoben«. Aber Drama: die Cyanobakterien produzierten mit ihrer Photosynthese das Zellgift Sauerstoff. Zwar dauerte es sehr lange, bis die Meere höhere Sauerstoffgehalte aufwiesen, denn der von den Cyanobakterien produzierte Sauerstoff wurde gleich wieder durch Oxidation von Eisen abgefangen. Hierbei halfen Eisenbakterien, die weitverbreitet Eisenstromatolithen bildeten, die sogenannten gebänderten Eisenerze, also die Hauptressource von Eisenerz auf unserer Erde. Doch langsam stieg der Sauerstoffgehalt an und zwang die nicht sauerstoffresistenten anoxischen Mikroben, in sauerstoffarme Gebiete auszuweichen. Häufig wuchsen sie unterhalb der Cyanobakterienmatten weiter, dort war zwar kein Sauerstoff, aber sie konnten gleich die toten Cyanobakerien recyceln. Der erste Schritt zur Arbeitsteilung im Riff war gemacht. Derartige zweilagige Stromatolithen, bestehend aus Cyanobakterien und anoxischen Bakterien gibt es bis heute.

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Dieses Konsortium war bereits damals derart erfolgreich, dass es sich immer weiter im Flachwasser ausbreitete, denn dort war natürlich die Durchlichtung am besten. Die ersten Riffe hatten sich also gleichsam unerschöpfliche Nahrung erschlossen, dabei das von ihnen selbst geschaffene Sauerstoffproblem gelöst, mussten sich jedoch aufs flachere Wasser beschränken. Aber der Erfolg war gleich wieder das Problem: sie produzierten enorm viel Kalk. Langsam war durch die Aktivität der Stromatolithen nicht nur soviel Sauerstoff vorhanden, dass die Meere und bald auch die Atmosphäre noch sauerstoffreicher wurden, sondern die Stromatolithriffe entzogen dem übersättigten Wasser soviel Kalzium in Form von Kalziumkarbonat, also Kalk, dass auch dadurch höheres Leben möglich wurde. Dies ist zumindest eine der existierenden Hypothesen, denn Kalzium ist in zu hohen Konzentrationen ein starkes Zellgift. Die neu entstehenden mehrzelligen Organismen, zuerst wohl einige Wurmartige, sowie Schwämme entwickelten eine Methode, das überschüssige Kalzium gezielt und von Enzymen kontrolliert als echtes biologisches Außenskelett abzulagern. Die ersten echten Kalkschalen und Kalkskelette entstanden. Diese Skelette verbesserten die Möglichkeiten zum Höhenwachstum, denn sie brachten gleichzeitig Stabilität und Schutz. Sie wuchsen auf und zwischen den Stromatolithen und stellten damit für die Stromatolithen zunehmend eine Raumkonkurrenz, jedoch keine Nahrungskonkurrenz dar, denn diese kalkigen Vielzeller, wie etwa Archaeocyathen-Schwämme oder die andere Schwämme, später aber eben auch die Steinkorallengruppen des Paläozoikums, filtrierten das mittlerweile ebenfalls weiter differenzierte Plankton, also Kleinstlebewesen aus der Wassersäule. Aber die Strategie, rascher als die Stromatolithen nach oben wachsen zu können, stellte das System um - der Wettkampf um die Plankton-Nahrung begann: wer schneller hochwuchs als die anderen, konnte mehr Nahrung wegfiltern. Aber man konnte andererseits auch wieder ausweichen, etwa sich in tieferem Wasser ansiedeln oder auch auf etwas weicheren Meeresgrund leben. Vor allem die so genannten Rübenkorallen passten sich daran an, diese Weichgründe zu besiedeln konnten aber die Stromatolithen nicht wachsen, deren Bedeutung abnahm. Das Riffmilieu war also nun eher undeutlich, wenig konkret, und unterschied sich nicht

Abb.4: Angewitterte devonische Rübenkoralle. Deutlich zu sehen sind die inneren Skelettstrukturen (Querböden und Septen). Die Einzelkoralle kippte auf weichem Sediment während des Wachstums um und wuchs im 90 Grad-Winkel weiter, bevor sie vor der Einbettung wieder umkippte (Blick auf die Schichtfläche). Breite des Ausschnitts 40 cm. New York State, USA

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Abb.5: Sehr einfach strukturierte Bödenkorallen (Tabulata) (oben, Mitte) sowie Kalkschwämme (Stromatoporen, unten) aus dem Paläozoikum (Silur von Kanada). Das Korallenwachstum wurde durch erhöhte Sedimentation beendet, wie die Überschüttung mit feinem Kalkschlamm anzeigt. Breite des Hammerstils 4 cm.

abgetaucht so sehr von den Nichtriff-Arealen, denn sowohl innerhalb als auch außerhalb der Riffe wuchsen Korallen und Schwämme zusammen mit anderen filtrierenden Organismen wie Moostierchen, Armfüßer, Muscheln (Abb. 4). Allesamt waren sie weit verbreitet und kamen in den unterschiedlichsten Wassertiefen vor. Bald aber schärfte sich das Riffmilieu zunehmend, denn obwohl man im flacheren Wasser Gefahr lief, von tiefgreifenden dort weiter existierenden Stromatolithen zusammenzuleben, denn diese konnten aus dem Lockergeröll eines Hurrikanschadens immer wieder durch Überwachsen einen festen Untergrund formen und das Riff insgesamt stabilisieren – das Riffsystem konzentrierte sich auf geeignete Stellen im flacheren Wasser, allerdings nur dort, wo genügend Nahrung vorhanden war. Das war ein neues Problem. Irgendwann jedoch, wir wissen leider nicht genau wann, aber möglicherweise irgendwann während der Devonzeit, vielleicht schon vor 400 Millionen Jahren, vielleicht auch erst später, wurde dort etwas Revolutionäres erfunden – eingestrudeltes Algenplankton war möglicherweise schwer verdaulich und drang sogar lebend ins Oberflächengewebe mancher Schwämme ein. Es lebte dort munter weiter und synthetisierte, gut geschützt und durch Kohlendioxidstrom des Tiers erleichtert, weiterhin Kohlehy drate und andere organische Nährsubstanzen. Die Abfallstoffe des Tieres düngten diese Mikroalgen sogar noch, so dass sie umso besser gediehen. Daraus entwickelte sich eine wunderbare Gemeinschaft zum gegenseitigen Vorteil, eine Symbiose, die den Wirtstierenn, ähnlich wie den pflanzenartigen Stromatolithen ermöglichte, im sehr flachen Wasser ohne hohes Aufkommen von Plankton zu leben. Ein Selbstverstärkungseffekt setzte ein, denn in klarerem Wasser funktionierte auch diese als Photosymbiose bezeichnete Beziehung besser und der Nährstoffmangel war ja nun kein Problem mehr. Der direkte Verbrauch der Abfallstoffe der Algensymbionten verbesserten auch noch die Kalkausscheidung und das Höhenwachstum. Orthophosphate sind zum Beispiel typische tierische Ausscheidungsprodukte, welche die Kalkabscheidung behindern, wenn diese Stoffe in die freie Wassersäule gelangen.

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Unser schönes Modell hat ein paar kleinere Haken. Wir sagten schon, dass wir nicht wissen, wann diese Photosymbiose, die ja die wesentliche Lebensgrundlage unserer heutigen Flachwasserkorallenriffe darstellt, zum ersten Mal aufgetreten ist. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die damaligen Devon-Korallen diese Symbiose noch überhaupt nicht entwickelt hatten, denn ihnen fehlen die symbiosetypischen Verkalkungsmuster, nämlich Jahresringe aus charakteristischen Doppellagen, wie sie die heutigen photosymbiontischen Steinkorallen besitzen. Die Bänderung der paläozoischen Korallen sieht anders aus und könnte durch jährliche Nährstoffzyklen hervorgerufen worden sein. Allerdings waren die Stromatoporen, also diese archaische Form von Schwämmen mit Kalkskelett teilweise sehr groß. Ein halber Meter Durchmesser oder auch mehr waren nicht selten. Sie weisen meist ebenfalls eine Skelettbänderung auf und scheinen insgesamt sehr rasch gewachsen zu sein. Das kann durchaus auf das Vorhandensein von Photosymbionten hinwei-

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abgetaucht sen, auch wenn entsprechende charakteristische chemische Signale aufgrund des Alters der Skelette nicht mehr nachweisbar sind. Schade, dass ausgerechnet die wenigen heutigen Stromatoporen, die man erst in den fünfziger Jahren als sogenannte lebende Fossilien gefunden hat, keine Photosymbionten besitzen. Das muss jedoch nichts für die fossilen Formen bedeuten, denn auch heute gibt es kalkskeletttragende Korallen mit und ohne Symbionten. Außerdem wachsen die heutigen Stromatoporen in Riffhöhlen, während dies für die paläozoischen und mesozoischen Verwandten nicht zutrifft. Die Sache ist also offen, und die meisten Riffforscher gehen davon aus, dass diese Riffmilieus schon Ähnlichkeiten mit den heutigen Flachwasserriffen hatten, allerdings mit zwei wesentlichen Ausnahmen: (1) die Korallen dieser Riffe hatten vermutlich noch keine Photosymbionten; (2) es gab korallenreiche Riffe in sehr viel mehr Varietäten und an vielfältigen Standorten, also auch auf weichem Untergrund, in sedimentbeladenem Wasser oder auch im tieferen Wasser.

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Wann also ging es mit Korallenriffen los, die mit den heutigen direkt vergleichbar sind? Wir gehen davon aus, dass dies seit der Jurazeit grundsätzlich so war, denn ab dann ist diese Photosymbiose nachweisbar, näheres dazu schauen wir uns gleich im nächsten Abschnitt an. Also, spätestens im Jura waren dann auch die meisten Steinkorallen lichtabhängig. Damit zog eine große Schar neuer Korallenformen ins Flachwasser ein, während andere ins recht tiefe Wasser abwanderten und damit die Vorläufer der heutigen Kaltwasserkorallenriffe bildeten – Korallenriffe auf dem Scheideweg. Während der Kreidezeit kriselte es, da das Klima und die Meereszirkulation wegen des extrem hohen Meeresspiegels verrückt spielte und andere Konkurrenten, nämlich die Rudisten-Muscheln teilweise begünstigte (siehe Artikel Kiessling). Doch seit dem Paläogen (dem früheren Alttertiär) sollten nach Aussterben der Rudisten gemeinsam mit den Dinosauriern die Riffe den heutigen doch schon recht ähnlich sein. Ist dies so? Nun ja, noch immer nicht so ganz - die heute so wichtigen Kalkkrustenrotalgen, die wegen ihres harten Skelettes auch koralline Algen genannt werden, gab es zwar schon seit der Kreidezeit, mit Vorläufern sogar seit der Jurazeit, aber dieser in heutigen Riffen so weit verbreitete Algentyp machte sich erst im späteren Paläogen, vor etwa 30 Millionen Jahren auf, auch die flachsten und höchstenergetischen Meeresbereiche zu erobern. Mit ihnen zogen auch etliche Korallen in diese Regionen und erst seither sehen die Riffe so aus, wie wir sie etwa vom Großen Barriereriff Australiens oder dem Barriereriff von Belize kennen. Riffkämme, die im flachsten Wasser die Wellen brechen und den Ozean trennen in ein tiefes, dunkles Vorriff und eine sehr wellengeschützte, meist flache Lagune, mit wunderbaren Sandstränden, die kleine Inseln oder die Festlandsküste säumen. Fassen wir nochmals zusammen, warum die Korallenriffe so lange auf Reisen waren: Während des Präkambriums gab es nur Mikrobenkrustenriffe, meist in Form von Stromatolithen. Deren Wachstum veränderte die Welt für immer. Die frühen Rifforganismen produzierten Sauerstoff, entgifteten die Urmeere und entzogen Kohlen-

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abgetaucht dioxid: sie schufen damit die Voraussetzungen für höhere Rifforganismen mit Kalkskelett. Diese frühen Stromatoporen und Schwammriffe waren auf externe Nahrung, auf Plankton angewiesen und wetteiferten um die Plätze, an denen es viel davon gab, die Organismen wuchsen so rasch und hoch es ging nach oben, die Konkurrenz wurde riesig, das Futter knapp. Irgendwann wurde als Anpassung an dieses Problem die Photosymbiose erfunden. Das machte diese Tiere sehr viel unabhängiger von Plankton, und der neue Schwerpunkt der Riffentwicklung verlagerte sich in nährstoffarme Gebiete der tropischen Hochsee. Wieder begann die Konkurrenz um die besten Plätze, wieder ging es um möglichst rasches Hochwachsen, aber auch darum, möglichst viel Fläche zu haben, damit die nun lebensnotwendigen Photosymbionten, also die dezentralen pflanzlichen Sonnenkraftwerke gedeihen konnten. Ästige, ausladende, schaufel- und tellerförmige Korallen entwickelten sich in großer Vielzahl. Wer aber am höchsten wächst oder sich ins flachste Wasser wagt, gerät auch am ehesten in Gefahr von Wellen zerbrochen zu werden. Das war ein großes Problem für diese Riffe, denn zerbrochenes Korallengeäst wirkt im bewegten Wasser wie Schmirgelpapier und tötet auch die noch gesunden Korallen ab. Es waren die Kalkkrustenrotalgen, die durch Anpassung dieses Problem beheben konnten, denn sie konnten während windstiller Zeiten nicht nur über dieses Lockermaterial wachsen und es befestigen, sondern hielten auch selbst dem nächsten Sturm stand. Seitdem besteht ein Boom im Riff, möglichst flache Plätze einzunehmen, und die

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Abb.6: Die Entwicklung der wichtigsten strukturellen Riffmodule während der Erdgeschichte. Neue Module kamen kontinuierlich hinzu; frühere Module blieben jedoch erhalten. Ein modernes Korallenriff hat damit eine deutlich höhere Komplexität als etwa ein paläozoisches Korallenriff. Durch diese modulare Entwicklung konnten Lebensräume erobert werden, die zuvor von Rifforganismen nicht besiedelbar waren (z.B. extrem nährstoffarme Hochseebereiche seit Vorhandensein von Modul 6; höchstenergetische Bereich seit Vorhandensein von Modul 7 (insb. 7b). Die Entwicklung bedingte jedoch auch eine stärkere Einnischung der Riffe.

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abgetaucht Korallen haben sich ihrerseits an gelegentliches Zerbrechen angepasst. Manche haben dies zu einer Fortpflanzungsstrategie weiter entwickelt, denn abgebrochene Äste etwa von Geweihkorallen können einfach weiterwachsen und andernorts wieder festwachsen. Interessant ist auch, dass sich alle evolutionären Neuerungen vom Grundsatz her erhalten haben, sie wurden nicht aufgegeben, es kamen nur immer wieder neue Module dazu. So gibt es auch in heutigen Korallen neben den symbiontischen Korallen auch asymbiontische kalkschalige Korallen und Schwämme, neben den Kalkkrustenrotalgen gibt es weiterhin auch die Mikrobenkrusten, die ähnlich wie Stromatolithen in den Lücken des Riffs wachsen und dazu beitragen, das Riff zu stabilisieren. All das Hin- und Her in der Häufigkeit der Riffe, all die Krisen der Evolution und auch die vielen Schwankungen in der Artenvielfalt auch der Riffe hat an dieser generell zunehmenden Komplexität der Riffmodule nichts geändert.

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Sind nun alle Probleme gelöst, die Evolution der Korallenriffe am Ziel angekommen, selbst wenn wir den menschlichen negativen Einfluss einmal außer Acht lassen würden? Sicherlich nein, denn ein Ziel gibt es in der Evolution nicht und die Herausforderungen nehmen selten ab. So auch bei den heutigen Korallenriffen. Durch deren Anpassung auch an das allerflachste Wasser sind die Lagunen hinter den Riffen derart gut vom offenen Meer abgeschirmt, dass es in warmen Sommern zu starken Überhitzungen kommen kann. Dies freut zwar den Badegast, aber nicht die Riffe: das überhitzte Wasser kann sich sehr leicht schädlich über die Korallenriffe ausbreiten. Das Problem des Korallenbleichens liegt also auch in der Evolution der Riffe selbst begründet. Eigentlich könnte man zuversichtlich sein, dass die Evolution auch dieses, von ihr selbst geschaffene Problem durch Anpassung und Selektion wiederum selbst meistert, aber die Erdgeschichte zeigt uns, dass für derartige Anpassungen viel Zeit notwendig ist, zuviel, wenn man betrachtet, wie rasch der Mensch heute an der Temperaturschraube der Erde dreht. Hoffnung allein, dass die Evolution sich wieder als Problembewältiger bewährt, genügt nicht. Der Wanderweg der Riffe ist auch zunehmend enger geworden, d.h. die Riffe haben sich zunehmend eingenischt, also immer engere Grenzen ihres Lebensraums durch die sehr guten gegenseitigen Anpassungen selbst gesetzt. Dass sie damit eher anfälliger werden, liegt auf der Hand. Wenn wir den Riffen also ihren Lebensraum zu rasch aufheizen und auch ansonsten durch direkte schädliche Einflüsse ihr Gleichgewicht zerstören, wird ihr »Autoimmunsystem« nicht funktionieren können. Auch dies zeigt die lange Reise der Korallenriffe durch die Erdgeschichte deutlich an.

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Der »Jurassic Reef Park« – Schlüssel zum Verständnis der modernen Riffe Die generelle Reise der Riffe haben wir bereits Revue passieren lassen, über einen der spannendsten Reiseabschnitte, nämlich die Jurazeit, sind wir aber doch arg mit Siebenmeilenstiefeln hinweg gegangen. Dabei liegt gerade in den Jurariffen einer der wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Evolution der Korallenriffe. Jurassische Korallenriffe sind wegen des damals etwa 100 bis 150 Meter höheren Meeresspiegels auch heute an der Erdoberfläche weit verbreitet. Sie finden sich in der Fränkischen und Schwäbischen Alb oder dem Schweizer Jura und bilden weitere reizvolle Landschaften in Norddeutschland, England, Osteuropa, Frankreich oder auf der Iberischen Halbinsel, sie liegen teilweise hoch auf den Gipfeln der Alpen in Österreich, Italien, Slowenien und Kroatien, und auch in Afrika, 77

Abb.7 (links): Turmförmige jurassische Korallenriffe in Ostspanien, Arroyo Cerezo. Abb.8 (rechts): Jurassischer Korallen-Riffrasen in Saudi-Arabien. Korallenriffe waren in diesem breiten Schelfmeer sehr selten, sehr viel häufiger waren Stromatoporen-Rasen und Stromatoporen-Riffe. Jeder am Boden liegende Stein stellt eine Koralle dar.

Saudi-Arabien, auf Grönland, in Indien, Argentinien oder Japan und an weiteren Plätzen der Erde kann man sie untersuchen. Besonders weit verbreitet sind sie aber im Untergrund, etwa vor der Ostküste von Nordamerika, insbesondere aber unter der Arabischen Halbinsel, wo in jurassischen, stromatoporendominierten Riffen und Lagunensanden die größten Erdöl- und Erdgaslagerstätten insgesamt vorkommen. Auch sehr schöne Bau- und Fassadensteine gibt es unter den Jurariffen: der Solnhofener »Schiefer« stammt aus einer besonderen Lagune im Umfeld jurassischer Schwammriffe und der weithin beliebte Treuchtlinger Marmor repräsentiert einen ganz besonderen Typ: ein Schwamm-Algen-Rasenriff. Auch von Korallenriffen gibt es ästhetisch schöne Werksteine. Diese wenigen Beispiele zeigen schon, wie weit verbreitet und vielfältig die Jurariffe waren.

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Dass die Jurariffe eine weite Verbreitung hatten, kann erst einmal nicht wundern. Die Welt war überaus warm zur Jurazeit, der Meeresspiegel in der späten Jurazeit wie sehr viel höher. Dadurch war wegen der Wärmepufferwirkung der Meere auch das Klima ziemlich ausgeglichen, es war also überall warm, selbst in Breiten, wie etwa dem heutigen Südargentinien oder Grönland. Diese lagen auch damals bereits in relativ höheren Breiten, so dass man von heute ausgehend, kein Riffwachstum dort vermuten würde. Dann gab es auch noch, insbesondere im Bereich der heutigen Alpen, viele Flachwassergebiete in der Hochsee, eigentlich ein El Dorado für heutige Riffe. Auch Kalksandschelfe, die wie der jurassische Schelf Arabiens über 1000 Kilometer breit und dennoch enorm flach waren, sollten doch gleichsam ein Mekka für Riffe gewesen sein. Tatsächlich sprechen auch viele Wissenschaftler davon, dass Riffe nie wieder einen derartigen Höhepunkt ihres Gedeihens hatten. xy

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Aber auch hier muss man sehr differenziert analysieren. Ja, es gab gewaltig viele und gewaltig weit verbreitet Riffe, aber sie kamen interessanterweise nicht gehäuft dort vor, wo man es eigentlich vermuten sollte, nämlich in der offenen Hochsee oder dem breiten Schelfen von Arabien, sondern vor allem auf dem nördlichen Schelf des zentralen Ozeans, aus dem mosaikartig jede Menge Inseln und größere Festländer, wie etwa Iberien, das französische Zentralmassiv oder das Böhmische Massiv auftauchten. Außerdem ähnelten jurassische Riffe keinesfalls alle den typischen tropischen Korallenriffen wie wir sie heute kennen. Es gab zwar neben weiteren Rifformen auch sehr viele Korallenriffe, aber echte Analogien zu heute muss man trotz der Fülle der Riffe doch fast wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Wie ist das zu erklären? Es gab doch bereits die modernen Steinkorallen, also die direkten und sehr nahen Verwandten unserer heutigen Riffkorallen. Im Paläozoikum gab es andere Korallengruppen, die spätestens an der Perm / Trias-Grenze komplett und ohne direkte Nachfahren ausgestorben sind, sogenannte Rugose, Tabulate und Heterokorallen. Die Jurakorallen sind jedoch bereits Vertreter der modernen Gruppe der Scleractinia, zu der auch die heutigen Riffkorallen gehören. Und wir sagten doch vorhin auch schon, dass diese Jurakorallen bereits die Photosymbiose entwickelt hatten. Dennoch diese

Abb.9: Jurariffkalke werden oft als dekorative Bausteine verwendet. Diese Säule zeigt fladige Korallen Microsolena des etwas tieferen Wassers. Die flache Wuchsform stellt eine Anpassung an schlechtere Durchlichtung dar. Fränkische Alb, Teichbruch.


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Abb.10: Riffschutt

Abb.11: Thecosmilla trichotoma

Unterschiede? Was war da los? Wir erinnern uns. An der Perm/Trias-Wende, vor etwa 245 Millionen Jahren, sind alle altertümlichen Korallen komplett ausgestorben. Die modernen Korallen entwickelten sich höchstwahrscheinlich aus unverkalkten Seeanemonen. Also sozusagen ein echter Neuanfang. Dementsprechend hat es auch lange gedauert, bis sie sich evolutionär entfaltet haben. Erst in der höheren Triaszeit, vor etwa 215 Millionen Jahren, gab es erste Korallenriffe aus noch sehr einfach gestalteten, buschigen Korallen. Dann gab es nochmals eine wohl klimatisch bedingte Krise, so dass sich die modernen Korallen eigentlich erst seit der mittleren Jurazeit, seit etwa 180 Millionen Jahren, kräftig entfalten konnten. Dennoch, in der späten Jurazeit gab es bereits über 200 Gattungen, dies entspricht größenordnungsmäßig bereits dem heutigen Stand. Aber es gab auch viele andere Rifftypen. Die Schelfe waren weit geflutet, so dass sich in tieferen Bereichen eine besondere Gruppe von meist recht zerbrechlichen Schwämmen, den sogenannten Kieselschwämmen oder Glasschwämmen wohl fühlten. Diese lebten in Gemeinschaft mit stromatolithartigen Mikrobenkrusten, die nur extrem wenig Licht benötigten. Die Mikrobenkrusten stabilisierten immer wieder

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das lockere, meist schlammige Sediment, welches dadurch zu beachtlichen Hügelstrukturen heranwuchs. Davon profitierten dann die Schwämme, die überwiegend als Filtrierer dann wieder den Wettlauf nach oben um die besten Filterplätze aufnehmen konnten. Derartige Kieselschwamm-Mikrobenkrustenriffe waren vor allem auf dem tief gefluteten, flach abfallenden Nordschelf des damals weltumspannenden Mittelmeers, der Tethys, weit verbreitet. In einem über 7000 Kilometer langen Gürtel von Rumänien über Polen, Süddeutschland, Schweiz, Frankreich, Iberien bis Neumexiko kamen diese Riffe vor. In Milieus, wo weder Schwämme noch Korallen wachsen konnten, wuchsen Mikrobenkrusten auch allein. Sie bildeten StromatolithRiffe in übersalzenen Bereichen, oder auch im Brack- oder Süßwasser, aber formten auch reine und oftmals große Mikrobenriffe in größeren Wassertiefen und zwar dort, wo Mangel an Sauerstoff herrschte. Die Klimadynamik war durch schwankenden Meeresspiegel damals sehr komplex, es passierte immer wieder, dass bei Episoden rasch steigenden Meeresspiegels das Klima zusätzlich derart abgepuffert wurde, dass auch die Wasserzirkulation aussetzte, und wegen fehlender Durchmischung vorübergehend auch im recht flachen Wasser Sauerstoff rar wurde - ein Befund aus der Erdgeschichte, der uns im Bezug zur Golfstromproblematik übrigens nachdenklich machen sollte. Während dieser Zeiten wuchsen dann reine, unanspruchsvolle Mikrobenriffe an Stellen, an denen zu anderen Zeiten Kieselschwamm- oder Korallenriffe gewachsen sind. Das reliktische Modul Mikrobenriff aus den Anfängen des Lebens war also in der Jurazeit durchaus im Stande, eigenständige Riffe aufzubauen, wenn entsprechende ökologische Rahmenbedingungen auftraten, die andere Rifforganismen ausschlossen. Aber kommen wir zu den jurassischen Korallenriffen. Wo wuchsen die denn eigentlich? Ja, sie waren ebenfalls weit verbreitet, aber sahen auch immer wieder ganz anders aus, eine Fülle unterschiedlichster Typen war vorhanden. Es gab sie mit hoher Artenvielfalt zum Beispiel als Kappe auf Kieselschwammriffen, falls diese ins flachere Wasser vorgedrungen waren, dort konnten sich dann sehr artenreiche Korallenriffe bilden. Andere Korallenriffe hatten oft eine sehr geringe Vielfalt an beteiligten Korallenarten. Sie wuchsen häufig in Bereichen, in denen heute nie und nimmer Korallenriffe, selbst Korallenriffe mit nur wenigen Arten gedeihen würden. Solche jurassischen Korallenriffe wuchsen in Küstennähe, unter Eintrag von Festlandssediment und damit trübem Wasser sowie vielen Nährstoffen, teilweise sogar direkt in Flussmündungen, ja selbst im Brackwasser, dort wo heute höchstens Austernbänke gedeihen. Schon 1996, im Vorfeld des heraufkommenden 1. Internationalen Jahr des Riffes 1997 hatten wir der Öffentlichkeit diese Vielfalt der Jurariffe unter dem Titel »Jurassic Reef Park« vorgestellt. Das Angebot läuft sozusagen als »Fossil des Internets« in annähernd unveränderter, aber nach wie vor gut besuchter Form immer noch (www.palaeo.de/edu/jrp), denn die nächsten 10 Jahre Wissenschaft haben das Bild bestätigt, aber auch konkretisiert. Die Riffe damals waren zur Jurazeit derart

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Abb.12: Ausgezeichnet erhaltene Hirnkoralle (Microphyllia) aus der höheren Jurazeit. Kelchbreite ca. 0,8 cm. Diese Wuchsform ist bei heutigen Korallen charakteristisch für Arten, die Photosymbionten besitzen. Schwäbische Alb, Gerstetten.


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abgetaucht vielfältig, dass sich zu einer Vielzahl von Lebensräumen das jeweils passende Riff einrichten konnte. Wesentliche Voraussetzung war nur, dass die Höhe der Hintergrundsedimentation gering war, denn mit zu hohem Sedimentanfall kommen Rifforganismen nicht zurecht. Das Reinigen von Partikeln erfordert, wenn es überhaupt möglich ist, sehr viel Energie, die dann nicht für das Wachstum zur Verfügung steht. Damit waren Zeiten rasch steigenden Meeresspiegels, in denen es während der Jurazeit etliche gab, die bevorzugten Zeiten für Riffwachstum, denn dann wurde der Festlandseintrag noch weiter zurückgedrängt und in Küstensümpfen abgefangen. Der »Jurassic Reef Park« erklärte die Riffe mit einem »schwäbischen Häuslebauer«Ansatz: Je nach Grundstücksart sind nur ganz bestimmte (Riff-)Gebäude konstruierbar. Ruhige tiefere Lagen fernab der belebten Strände waren die Heimat der Kieselschwammriffe, sozusagen Landhäuser, ohne großen Trubel. Instabile strandnahe Lagen ließen nur »strohhüttenartige« Korallenrasen in Niedrigbauweise zu, was auch nur wenige Spezialisten bewerkstelligen konnten. Häufige Stürme warfen derartige »Strohhütten« immer wieder um und zerstörten sie. Da einfach konstruiert, konnten sie aber nach einem derartigen Ereignis wieder relativ rasch neu aufgebaut werden. Dann gab es auch Lagen, auf denen keiner bauen wollte, denn es herrschte Smog, Sauerstoffmangel und oft roch es auch streng. Ein paar Liebhaber bauten sich aber skurrile Eigenheime dort, so könnte man die Mikrobenriffe veranschaulichen. Stabile Lagen mit guter Fernsicht, also recht klarem Wasser ließen dann den Bau mondäner Hotelkomplexe, also hochdiverser Riffe zu, in denen ähnlich wie in heutigen Riffen bereits vielfältigste Dienstleistungen (z.B. algenabweidende Fische und Seeigel als Parkwärter), dezentrale Solarenergie (Photosymbionten der Korallen), Wasser-

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Abb.13: Kleine oberjurassische Korallenriffe, welche auf einer harten Kalksandschicht aufwuchsen und während toniger Sedimentation weiterwuchsen. Dieses Milieu ist für moderne Korallenriffe untypisch. Hammerlänge 28 cm. Ausschnitt zeigt Detail der Riffkorallen. Querschnitt der Korallenkelche 0.8 cm. Zentralportugal, bei Arruda dos Vinhos.

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recycling (filtrierende Organismen), Müllabfuhr (Krebse), Kindergärten (ausgeglichene Alterstruktur der Korallen), flache Warmwasserschwimmbäder (Lagunen) und vieles mehr vorhanden waren. Solch hochdiverse Korallenriffe waren den heutigen bereits ziemlich ähnlich, aber die anderen, die »Strohhütten«-Riffe, auch die skurrilen Mikrobenriffe, gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Allerdings, wenn wir auf die Verbreitungskarte der jurassischen Korallenriffe schauen, fällt auf, dass sich die Riffe meist gar nicht weit von größeren Festländern entfernt gebildet haben, jedenfalls sehr viel weniger weit draußen in der offenen See vorkamen, als dies heute für karibische, aber vor allem auch pazifische Riffe gilt. Oft sind sie auch in Sedimenten eingeschaltet, die sehr viel Ton- oder gar Sandmaterial von der Küste mitbrachten. Das gilt auch für Korallenriffe mit hoher Artenvielfalt, ja es hat sogar den Anschein, als wäre etwas Toneintrag förderlich für das gute Gedeihen dieser Riffe. Das passt also nicht zum heutigen Bild. Was ist die Ursache für diese Diskrepanz? Mehr Toneintrag bedeutet auch mehr Eintrag von organischem Material, mehr Nährstoffe, mehr Plankton. Aber wir sagten doch bereits, dass die überwiegende Fülle jurassischer Korallen bereits Photosymbionten hatte, also über dieses dezen trale Solarenergiesystem verfügte und damit doch gerade dort nicht vorkommen sollte, wo es viel Plankton gab. Dieses Dilemma zeigt, dass wissenschaftliche Problemstellungen in den wenigsten Fällen eine »entweder-oder« Lösung haben, sondern oft eine »sowohl-als-auch«Antwort benötigen. Listen wir einmal auf: Das Vorkommen in diesen festlandsbeeinflussten Ablagerungen sollte Hinweis dafür sein, dass die moderne Photosymbiose-Beziehung in diesen jurassischen Korallenriffen noch nicht entwickelt war.

Abb.14 (linke und rechte Seite): Diese »Rifffenster« stellen die Lebensbedingungen von Riffen schematisiert dar. Heute liegt das Optimum der Korallenriffe im flachen, warmen, sehr nährstoffarmen Wasser, relativ weit weg von den Küsten (Hochseeriffe sind nicht dargestellt). Daneben gibt es die Kaltwasserkorallenriffrasen,

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abgetaucht Aber nicht nur die Kelch- und Wuchsformen vieler jurassischer Korallen sind typisch für das Vorhandensein von Photosymbionten – so gibt es heute zum Beispiel keine Mäanderkorallen, die keine Symbionten hätten, aber Mäanderkorallen waren bereits im Jura ziemlich verbreitet. Nein, die Jurakorallen weisen, sofern gut erhalten, auch die für Photosymbionten charakteristischen doppelten Jahresringe auf, also doch Nachweis von Symbionten? Die einzig richtige Antwort kann sein: ja, viele jurassische Korallen hatten bereits Photosymbionten, aber die Symbiosebeziehung war noch nicht so gut entwickelt wie das bei den heutigen Korallen der Fall ist, so dass die Korallen neben der Photosymbiose auch noch kräftig Plankton dazu filtern mussten. Vielleicht haben damals die Symbionten einfach noch viel stärker für sich selbst produziert und den Korallen noch nicht so viel wie heute von ihren Produkten abgegeben. Die heutigen Korallen holen sich bis zu 90% der Photosyntheseprodukte ihrer Symbionten, ein wahrhaft hoher Mietzins. Im Jura war dies sicherlich noch anders. Heutige Korallen nehmen von ihren Symbionten verschiedenste Stoffe auf, darunter Aminosäuren, das zuckerartige Glycerol oder bestimmte Fettsäuren. Gerade zur Aufnahme der Fettsäuren benötigen die Korallen ein spezielles Enzym, um diese in das verwertbare Cetylpalmitat, ein Öl umzubilden. Möglicherweise waren evolutionär einfach noch nicht alle Verwertungsmöglichkeiten entwickelt.

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Ist diese Interpretation zwar vielleicht plausibel, aber dennoch reine Vermutung? Nein, denn an den Jahresringen kann man ja auch die Wachstumsgeschwindigkeit ablesen und tatsächlich: Jurakorallen wuchsen viel langsamer als heutige Korallen. Und noch interessanter: Die Sommerlagen sind in einem jeweiligen Jahresdoppelband bei heutigen Korallen bis zu fünfmal dicker als die Winterlagen. Das bedeutet,

die ein eigenständiges Ökosystem darstellen. Während des Späten Jura, vor etwa 150 Millionen Jahren, wuchsen Korallenriffe näher an den Küsten, sowie im etwas tieferen Wasser. Daneben gab es eine Vielzahl weiterer Rifftypen. Hochsee-Flachwasserriffe wurden durch StromatoporenKorallenriffe repräsentiert.

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dass heutige Korallen fünfmal schneller wachsen, wenn genügend Licht vorhanden ist, also nicht während der Regenzeiten. Bei den Jurakorallen beträgt dieses Verhältnis in der Regel 1:1, was nichts anderes besagt, als dass Korallen damals immer ungefähr gleich schnell gewachsen sind. Wenn in den Trockenzeiten nur Licht, jedoch sehr wenig Plankton vorhanden war, wuchsen sie dank ihrer Photosymbionten, wenn während der Regenzeiten etwas mehr Nährstoffe vom Hinterland ausgewaschen wurden und dadurch die Planktonentwicklung etwas verstärkt wurde, schalteten sie auf Planktonfang um. Auch chemische Signale, die sogenannten Isotopenverhältnisse weisen darauf hin, dass Photosymbiose in vielen Jurakorallen zwar bereits vorhanden, aber noch nicht sehr weit entwickelt war. Andere jurassische Korallen, gerade diejenigen vor Flussmündungen oder im nahen Uferbereich zeigen hingegen keine Anzeichen von Symbionten. Sie waren nur auf Plankton angewiesen und lebten deshalb auch in diesen nährstoffreichen Milieus. Damit ähneln sie den heutigen Kaltwasserkorallenrasen im tiefen Schelf. Also waren die Jurakorallenriffe zwar teilweise von der Zusammensetzung den heutigen sehr ähnlich, vom Lebensraum her ergaben sich aber doch noch deutliche Unterschiede, denn die Anpassung an die Nährstoffwüsten der offenen Ozeane, die ja die heutigen Korallenriffe auszeichnet, war noch nicht vollzogen. Oder doch? Wir versuchen im nächsten Kapitel eine Antwort.

Die Wiege der modernen Hochseeriffe Tatsächlich muss der »Jurassic Reef Park« noch um ein paar Rifftypen erweitert werden. Wir finden diese in Situationen, die direkt mit den heutigen Hochseeregionen vergleichbar sind (s. Abb. 14, 15). Auf dem 1.000 Kilometer breiten, extrem flachen arabischen Schelf gab es zwar etliche Riffe, aber sie waren wegen der vielen Stürme dort sehr kurzlebig und kamen meist in Form von ausgedehnten Rasen oder kleinen Hügelstrukturen vor. Aber es waren keine Korallen, die dort wuchsen, sondern wirklich alte Bekannte: Stromatoporen, also dieser besondere Typ von verkalkten Schwämmen, wie wir sie aus dem Erdaltertum, insbesondere der Devonzeit schon kennen. Diese Stromatoporen kamen auf dem Arabischen Schelf auch im Jura zur großen Blüte. Und wenn man auf die Flachwasserareale innerhalb des zentralen Tethysozeans blickt, also auf Bereiche, die heute zu Italien, Österreich, Slowenien oder Kroatien gehören, gibt es ebenfalls schöne, vielfältige Riffe. Auch hier waren Stromatoporen wieder die Hauptriffbildner. Oft waren sie groß und kamen in den verschiedensten Formen vor. Aber hier gab es auch zahlreiche Korallen, jedoch wie im Devon wieder eher in geschützten Bereich, sie dominieren nicht, waren im Unterschied zu heute nicht die Hauptriffbildner. Leider sind die Internstrukturen der Korallen in diesen hochkalkigen Ablagerungen, die überhaupt keinen Festlandseintrag zeigen – wie auch! – meist nicht gut erhalten, so dass wir eher wenig über die Art von Skelettbänderungen sagen können. Aber die Arten und Gattungen sind be-

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Korallenriffe im Flachwasser Korallenriffe (flach) & Kieselschwammriffe (tiefer) Stromatoporenriffe und Stromatoporen-Korallenriffe im küstenfernen Flachwasser

Abb.15: Globale Verbreitung der Riffe während der höheren Jurazeit (vor etwa 150 Millionen Jahren). Die Erde bestand aus dem Superkontinent Pangaea mit Nordteil Laurasia und Südteil Gondwana. Dem Pazifikvorläufer Panthalassa stand die äquatoriale Tethys mit ihren Randmeeren

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(türkis) gegenüber. Flachwasserkorallenriffe wuchsen meist in relativer Nähe zu Küsten, von denen Nährstoffe herbeigeführt wurden. Dies war ein großer Unterschied zu heutigen Korallenriffen. Insbesondere entlang des Tethys-Nordrandes wurden der Korallenriffgürtel von einem Gürtel aus Kieselschwammriffen begleitet, die auf dem tieferen Schelfs wuchsen. In nährstoffarmen, küstenfernen Hochseeregionen wuchsen Stromatoporenriffe und gemischte Stromatoporen-Korallenriffe. Obwohl sie von der Zusammensetzung der Rifftiere mit heutigen Riffen weniger Ähnlichkeiten aufweisen, wuchsen sie in vergleichbaren nährstoffarmen Situationen. Die überwiegende Zahl der an höhere Nährstoffraten angepassten Korallenriffe starb noch vor der Tertiärzeit aus. Subtropische Korallenriffe traten auch in sehr hohen Paläobreiten (wie z.B. Südargentinien und Patagonien) auf. Dies deutet auf die enorme klimapuffernde Wirkung des Meeresspiegels hin, der etwa 150 Meter höher als heute lag.

stimmbar, und die bislang vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass es sich meist um ganz andere Formen handelt als diejenigen der Riffe der küstennäheren Flachwasserbereiche im Nordbereich der Tethys. Dies gilt sowohl für den Vergleich der Korallen als auch der Stromatoporen. Die derzeit von uns aufgestellte, noch mit zusätzlichen Fakten zu untermauernde These lautet: die Wiege der modernen tropischen Korallenriffe lag in der zentralen Tethys. Die direkten Vorläufer unserer heutigen Riffe waren nicht die vielfältigen und schönen jurassischen Korallenriffe in Iberien, Frankreich, Deutschland oder England, es waren Stromatoporen-Korallenriffe inmitten des Ozeans, möglicherweise im heutigen Slowenien oder Kroatien. Wir müssen annehmen, dass die jurassischen Stromatoporen der Hochsee bereits in einer deutlich effizienteren Photosymbiose mit Mikroalgen lebten. Dort haben wohl einige der Korallen ebenfalls diese Symbiose begonnen. Die Konkurrenz sowie der wegen des geringen Planktonangebots hohe Selektionsdruck haben wohl gerade hier ei-

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Evolution der Korallenrif fe Abb.16: So sah es vor 150 Millionen Jahren in und um Europa aus. Deutschland lag in subtropischen Gefilden. Reine Korallenriffe wuchsen insbesondere zwischen Portugal und Süddeutschland, sowie weiter nach Osten. Festländer, von denen Sediment und Nährstoffe ins Meer transportiert wurden, waren nie weit entfernt. Hätten Korallenriffe dieselben Ansprüche wie heute gehabt, hätten sie vor allem auf dem breiten Arabischen Schelf sowie auf den vom Ozean umgebenen Plattformen wachsen sollen, also dort wo heute die Alpen, Slowenien oder Kroatien liegt. Tatsächlich wuchsen dort aber Stromatoporen-Riffe mit oder ohne Korallen. Die heutigen Korallenriffe haben sich also vermutlich aus diesen Riffen weiterentwickelt.

xy Abb.17: Wie moderne Riffkorallen zeigten viele jurassische Korallen eine Jahresschichtung, die für das Vorhandensein von Mikroalgen als Symbionten spricht. Eine jährliche Lage besteht aus einem dunklen und hellen Band. Das helle Band hat niedrigere Dichte, da es aus weniger, aber größeren Kristallen besteht. Dies ist typisch für Verkalkung unter Hilfe von Photosymbionten. Das dunkle Band besteht aus vielen, jedoch kleinen Kristallen und ist dichter. Es ist typisch für stärkere Aufnahme von Plankton. Heutige Korallen wachsen jedoch bedeutend schneller und haben bedeutend dickere Trockenzeitlagen. Dies weist darauf hin, dass die Photosymbiose in Jurakorallen noch nicht sehr effizient war.

nen Durchbruch zur verbesserten Verwertung der Mikroalgenprodukte geschaffen. Während der Kreidezeit hatten diese innovativen Korallen noch sehr viel Konkurrenz durch die sehr erfolgreichen, korallenartig wachsenden Rudisten-Muscheln, aber als an der Kreide/Tertiärgrenze diese Rudisten, aber auch die Stromatoporen praktisch ausstarben, hatten die verbliebenen Hochseekorallen ihre große Chance. Die küstennahen vielfältigen Korallen der Jurazeit waren während der Kreidezeit von den Rudisten-Muscheln verdrängt worden, nichtsymbiontische Korallenarten wanderten teilweise ins tiefe Wasser ab und bildeten die Vorläufer der heutigen Kaltwasserriffe, andere nichtsymbiontische Arten starben aus, spätestens beim Meteoriteneinschlag an der Kreide/Tertiärgrenze. So sehen wir, dass sich die Evolution des Ökosystems

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Reinhold Leinfelder

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Abb.18: Aufgeschnittenes Skelett der Koralle Microsolena agariciformis. Gut zu sehen sind die für Photosymbionten typischen »Jahresringe«. Die Hell / Dunkel-Lagen repräsentieren die unterschiedlicher Verkalkungsmuster von Trocken- und Regenzeitlagen. Oberjura, Portugal, Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, München.

Korallenriff überaus komplex darstellt. Zum einen ist sie verursacht von innerer Konkurrenz und daraus resultierender laufender, gerichtet erscheinender Selbstoptimierung durch Selektion und Adaptation. Zum anderen gab es Experimentierphasen wie in der Devon- oder der Jurazeit, bei denen auch neue Lebensräume erobert wurden und sich rasch viele neue Arten bildeten. Zum Dritten spielten die geologischen und klimatischen Rahmenbedingen eine große Rolle und natürlich steht alles miteinander in Beziehung. Welcher Typ von Jurariffen überlebt hat, war geologisch betrachtet aber keinesfalls zufällig, denn zu rasch steigender und später auch wieder stark fallender Meeresspiegel sowie ein Meteoriteneinschlag machte natürlich den Organismen in Küstennähe besonders zu schaffen. Aber es war vermutlich auch der bereits höher entwickelten Effizienz der Photosymbiose der jurassischen Hochseeriffe zu verdanken, dass gerade dieser Rifftyp überlebt und sich zu einem der faszinierendsten Lebensräume unserer Welt entwickelt hat. Die Reise der Evolution zu den heutigen Korallenriffen war also lang und komplex. Auch daran sollten wir denken, bevor wir mit dem ökologischen und ökonomischen Wert der Riffe weiterhin achtlos umgehen.

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Dem Klima auf der Spur Hildegard Westphal und Wolf-Christian Dullo

Abb.1: DP Hunter vor Tahiti während IODP-Expedition #310, Herbst 2005.

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Das Schlagwort »Klimawandel« ist in diesen Tagen in der öffentlichen Diskussion allgegenwärtig. Katastrophenmeldungen und –szenarien jagen sich, manchmal werden auch mögliche Chancen durch die Klimaerwärmung diskutiert. Jede Wetterkapriole wird mit Blick auf »global change« interpretiert. Der Blick auf das Klima jedoch wird vom Wetter eher verstellt. Um Klima als die Summe von Wetterphänomenen über Zeit und Raum gemittelt verstehen zu können, müssen größere Zeiträume und größere Zusammenhänge betrachtet werden. Eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre ist jene, dass das Klima zu keinem Zeitpunkt der Erdgeschichte stabil war, und dass es insbesondere in dem Zeitraum, den die Menschheit bisher in ihrer Geschichte erlebt hat, durch große Schwankungen gekennzeichnet ist. Während wir aus dem Zeitraum der instrumentellen Messung von Temperatur, Niederschlag, Windstärke etc. zuverlässige Informationen über das Wetter haben, müssen für den Zeitraum davor andere Archive untersucht werden. Seit es menschliche Kulturen gibt, können dazu Artefakte oder bildliche Überlieferungen herangezogen werden. So zeigen zum Beispiel Felszeichnungen in der Sahara inzwischen dort längst verschwundene Tierarten wie Giraffen, Elefanten und Flusspferde und belegen damit, dass es vor 5.000 Jahren in dieser Region deutlich feuchter war. Diese Funde sind isoliert und zeigen noch keine Zeitreihen, die jedoch für die Rekonstruktion vergangener Klimazustände notwendig sind. Zur Erstellung von Zeitreihen wie auch für den vorkulturellen Zeitraum, der fast die gesamte Erdgeschichte von rund 4 Milliarden Jahren umfasst, muss deshalb auf natürliche Klimaarchive zurückgegriffen werden. Ein Beispiel für ein solches Klimaarchiv sind Korallenskelette und die von ihnen zu fast allen Zeiten der Erdgeschichte erbauten Riffe.

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abgetaucht Klimaveränderungen beeinflussen das gesamte System Erde. Nicht nur Lufttemperatur, Niederschläge und Windsysteme, sondern auch Wassertemperaturen, Strömungen und die Lage des Meeresspiegels verändern sich. Während der Eiszeiten werden ozeanische Wassermassen im Festlandeis, also in Eiskappen und Gletschern gebunden. Die Bindung von Wasser auf dem Festland, im wesentlichen auf Grönland, den arktischen Inseln und in Hochgebirgen führt zu einem weltweiten Absinken des Meeresspiegels. Änderungen des Meeresspiegels wiederum haben durchgreifende Folgen für küstennahe Ökosysteme, sowohl für solche an Land wie auch solche im Wasser. Die Rekonstruktion vergangener Umweltbedingungen mit ihren unterschiedlichen Meeresspiegelständen und Wassertemperaturen hat Wissenschaftler seit jeher fasziniert.

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Tropische Korallenriffe werden von Flachwasserorganismen aufgebaut und sind damit ganz unmittelbar von Meeresspiegelschwankungen und von veränderlichen Wassertemperaturen betroffen. Flachwasserkorallen bestehen aus Kolonien von Polypen, die ein gemeinsames Kalkgerüst ausscheiden. Diese Polypen haben eine Strategie entwickelt, um in den nährstoffarmen Gewässern der Tropen existieren zu können. Sie leben in Symbiose mit photosynthesetreibenden Algen, den Zooxanthellen. Für ihre Photosyntheseprozesse benötigen die Zooxanthellen Licht. Durch diese Lichtabhängigkeit sind Flachwasserkorallen an geringe Wassertiefen und klares Wasser angewiesen. Für die Erforschung des Klimas der Vergangenheit sind die tropischen Korallen und ihre Riffbildungen deshalb sehr wertvoll. Ihr Vorkommen belegt warmes, klares, flaches Wasser zur Zeit der Bildung dieser Riffe und demonstriert damit, dass in der Vergangenheit am Bildungsort tropische Bedingungen geherrscht haben. Doch nicht nur das reine Vorkommen, auch die Anordnung oder Architektur der Riffe enthält wichtige Informationen über die Umweltbedingungen. Ändert sich der Meeresspiegel, folgen ihm die Korallen und wachsen bei steigendem Meeresspiegel nach oben oder verlagern sich bei fallendem Meeresspiegel nach unten. Bei der Reaktion der Korallen spielt auch die Geschwindigkeit der Meeresspiegeländerung im Verhältnis zum Korallenwachstum eine entscheidende Rolle – steigt der Meeresspiegel zu schnell, ertrinken die Riffe. Bei der Untersuchung von Meeresspiegelschwankungen in tropischen Riffen kommen unterschiedliche Geländemethoden zum Einsatz. Einerseits bietet die seismische Untersuchung, also die Anwendung künstlich erzeugter Schallwellen, eine hervorragende Möglichkeit, die Riffarchitektur zu erkennen. Die zeitliche Auflösung, die gerade vor dem Hintergrund des derzeitigen raschen Klimawandels und dem damit prognostizierten Meeresspiegelanstieg von großem gesellschaftlichen Interesse ist, wird jedoch vielfach nicht erreicht. Daher sind gezielte Bohrungen für diese Fragestellung weit besser, allerdings kann man mit ihnen nur schwer die dreidimensionale Geometrie erfassen. Eine weitere Untersuchungsmethode, die für ertrunkene Riffe und für die Untersuchung von Hängen vor Riffen verwendet werden kann,

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Hildegard Westphal und Wolf-Christian Dullo

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xy Abb.2: Geometrie des Riffwachsstums bei a) steigendem, b) gleich bleibendem und c) fallendem Meeresspiegel.

sofern diese Riffe nicht von späterem Sediment überdeckt wurden, ist die Verwendung von Tauchbooten. Für die exakte Bestimmung des Meeresspiegels zu einem gegebenen Zeitpunkt anhand von Proben, die mit einem Tauchboot genommen wurden oder aus Bohrkernen stammen, dienen die an ganz bestimmte Tiefenbereiche speziell angepassten Flachwasserkorallen. Hinweise auf höhere Meeresspiegelstände als heute gibt es aus vielen Teilen der Erde. Zu den markantesten Zeugen zählen die Strandterrassen an fast allen Küsten. Zeugnisse für tiefere Meeresspiegelstände sind der unmittelbaren Beobachtung dagegen entzogen. Sie hinterlassen dennoch Spuren, die zur Rekonstruktion von Meeresspiegelständen herangezogen werden können. Werden zum Beispiel Kalkabscheidungen wie etwa Korallenriffe durch Meeresspiegelabsenkung der atmosphärischen Verwitterung ausgesetzt, so verkarsten sie, und es bilden sich Höhlen. In der Karibik ist eine Meeresspiegelabsenkung während der Hochvereisung vor rund 20.000 Jahren um mindestens 120 m durch derartige Verkarstung belegt. Das Abschmelzen der Eismassen dieser letzten großen Hochvereisung führte dann zu einem raschen Meeresspiegelanstieg von bis zu 5 cm im Jahr auf heutiges Niveau. Dieser Anstieg war also um ein Vielfaches rascher als die heute beobachteten

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abgetaucht Änderungen des Meeresspiegels. Ausgedehnte Gebiete der Erde wurden überflutet, so zum Beispiel die Adria, die vorher trocken lag, die Verbindung von Kontinentaleuropa nach England, sowie die Verbindung von Neuguinea nach Australien, die vorher von Menschen überquert wurde. Die geographischen Verhältnisse der Umwelt des frühen Menschen änderten sich schnell und durchgreifend – und gleichzeitig wurden die Lebensbedingungen des Menschen durch die Klimaerwärmung am Ende der letzten Hochvereisung rasch günstiger.

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Der Meeresspiegelanstieg nach der letzten Hochvereisung war offensichtlich jedoch nicht weltweit gleichförmig. Die verschiedenen tropischen Regionen der Erde weisen deutliche, regionale Unterschiede im Gang des Meeresspiegels auf. Durch den Einsatz von Flachtauchbooten können kleinskalige, aber für die Rekonstruktion des Meeresspiegels signifikante morphologische Elemente wie Verkarstungen oder ertrunkene Riffe betrachtet werden. Große Höhlensystem findet man heute an den tropischen Kontinentalrändern in einer Wassertiefe um 120 m. An ozeanischen Inseln reichen sie dagegen bis zu 150 m heutiger Wassertiefe hinunter. Wie kann der Meeresspiegel, der sich doch ähnlich dem Prinzip der kommunizierenden Röhren verhalten sollte, so unterschiedliche Signale hinterlassen? Hier spielt die unterschiedliche Dichte der Kontinente (2,7) und der Ozeankruste (3,2) eine entscheidende Rolle. Wird auf diesen unterschiedlichen Krusten im Zuge des Meeresspiegelanstieges die entsprechende Wassermasse aufgelagert, dann kommt es zwischen der ozeanischen Kruste und der kontinentalen Kruste zu einer Ausgleichsbewegung. Zunächst werden beide Krusten ähnlich »belastet«, auf Grund der geringeren Dichte der kontinentalen Kruste steigt diese aber mit einer mehrere tausend Jahre umfassenden zeitlichen Verzögerung gegenüber der ozeanischen wieder an, und die äußeren Signale eines Meeresspiegeltiefstandes, wie untermeerische Strandterrassen oder, wie im Falle der Riffe, Karsthöhlen liegen dann in bathymetrisch flacheren Abschnitten. Die empirische Beobachtung flacheren Tiefenlage von Karsthöhlen an kontinentalen Riffhängen gegenüber denjenigen an vulkanischen und damit ozeanischer Kruste zugehörigen Riffhängen lässt sich durch Modellierungen bestätigen. Ein weiteres Indiz für die Meeresspiegelveränderungen nach dem letzten Hochglazial sind »ertrunkene« Korallenriffe, die dem rasch ansteigenden Meeresspiegel nicht folgen konnten. Sie repräsentieren Phasen extrem raschen Eisabschmelzens in hohen Breiten und treten heute in charakteristischen Tiefen von 105 - 90 m und um 60 m auf. Die zwischen den einzelnen Vorkommen beobachteten Tiefenunterschiede können ebenfalls zum Teil auf das unterschiedliche Verhalten der kontinentalen Kruste gegenüber ozeanischer Kruste zurückgeführt werden. Daneben gibt es aber auch einen den allerjüngsten Meeresspiegelanstieg der letzten 10.000 Jahre betreffenden regionalen Unterschied zwischen den Riffen der karibischen Region und dem Indopazifik. Im gesamten indopazifischen Raum sind die Barriere- und Saumriffe und viele Atolle in der Zeit zwischen 6.000 und 5.000 Jahren vor heute bis zur jetzigen Position

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des Meeresspiegels emporgewachsen. Die Riffe wuchsen seit dieser Zeit nicht mehr in die Höhe sondern vom Land in Richtung Meer (= progradierendes Wachstum: Abb. 1 b). Die anbrandenden Wellen, insbesondere Sturmwellen, zerstörten das aktive Riffwachstum an der Aussenkante, und der sturmerzeugte Korallenschutt verfüllte allmählich die offenen Hohlräume des dahinter liegenden, bereits toten Riffgerüstes. Dies führte dazu, dass ein festes Riffdach gebildet wurde. Den atlantischen bzw. karibischen Riffen fehlt ein derartiges Riffdach. Grund hierfür ist ein anhaltend steigender Meeresspiegel bis zur heutigen Zeit; die Riffe zeigen eine Geometrie wie in Abb. 1 a). Während der letzten Hochvereisung waren große Teile Nordamerikas von dicken Eismassen bedeckt, so daß die Eislast auf der kontinentalen Kruste diese in den darunter liegenden Mantel drückte. Als Ausgleichsbewegung wanderte der unter Nordamerika liegende Mantel unter die ozeanische Kruste des Nordatlan-

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Abb.3: Schemazeichnung eines Riffhanges von den Antillen (Photos wurden vom Tauchboot Jago aus aufgenommen).

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abgetaucht tiks und hob so den Meeresboden regional an. Das Eisabschmelzen bedingt jedoch genau die umgekehrte Bewegung, wodurch sich der Boden des Nordatlantiks absenkt und daher mehr Wasser aufnehmen kann. Dadurch entzieht er dem indopazifischen Raum sogar Wassermassen, so dass wir heute im tropischen Bereich einen leicht ansteigenden Meeresspiegel im Atlantik und einen leicht fallenden Meeresspiegel im Indopazifik haben. Dieser Vorgang wird auch als Siphoneffekt bezeichnet (Peltier 1990). Diese natürliche Variabilität wird allerdings seit dem letzten Jahrhundert durch die globale Erwärmung überdeckt.

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Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten und der zahlreichen vorliegenden Forschungsergebnisse steht die genaue globale Rekonstruktion von Amplitude und Verlauf des Meeresspiegelanstieges nach der letzten Eiszeit noch aus. Mehrere Rekonstruktionen wurden anhand von Riffen in verschiedenen Teilen der Welt unternommen. Diese Rekonstruktionen reichen jedoch entweder zeitlich nicht bis zum letzten glazialen Maximum zurück, oder sie stammen aus Gebieten, die einen tektonisch unruhigen Untergrund haben und daher keine eindeutigen Rekonstruktionen möglich machen. Im Herbst 2005 wurden deshalb im Rahmen des internationalen Ozeanbodenbohrprogrammes IODP (»Integrated Ocean Drilling Programm«) mehrere Bohrungen vor der Pazifikinsel Tahiti abgeteuft. Tahiti liegt in den Tropen und ist weit entfernt von jeglichem direkten Einfluss von Vereisungen, und es liegt in einem tektonisch ruhigen Gebiet. Diese abgelegene Lage birgt die Chance, den globalen Meeresspiegelanstieg seit der letzten Hochvereisung zu rekonstruieren. Bestimmt man das Alter einer Koralle in einem Bohrkern, und weiß man, in welcher Wassertiefe diese Koralle wächst, kennt man zudem noch die Lage der Koralle in dem Gesteinspaket relativ zum heutigen Meeresspiegel, so kann man den Meeresspiegelstand zu diesem Zeitpunkt bestimmen. Die Auswertung der Bohrkerne von Tahiti wird derzeit von einem internationalen Forscherteam mit 24 Wissenschaftlern aus Europa, Japan und den USA durchgeführt; mit ersten Ergebnissen ist bis zum Herbst 2008 zu rechnen. Es scheint jedoch schon jetzt klar zu sein, dass der Meeresspiegelanstieg über Zeiträume von mehreren 100 Jahren sehr rasch und dann wieder langsamer vonstatten ging. Die Bohrkerne von Tahiti und die in Folge geplanten Tauchbooteinsätze sollen helfen, die noch „dunklen“ Abschnitte – d.h. die noch offenen Fragen – bei der Rekonstruktion der letzten großen Meeresspiegeländerung zu erhellen. Korallen bieten außer geometrischen bzw. Tiefen-Informationen auch mit dem Auge nicht sichtbare Umweltinformationen. Schaut man Korallen genauer an, sieht man eine leichte Bänderung. Diese Bänderung, ähnlich den Jahresringen der Bäume, stammt von meist jährlichen »Anwachsstreifen«. Bei der Bildung des Korallenskeletts, das »kontinuierlich« aus Karbonatabscheidungen entsteht, werden die saisonalen Umweltparameter gespeichert. Diesen Umstand macht man sich in der Sklerochronologie zunutzen (siehe Artikel Gischler). Trifft man in Bohrkernen oder Einzelproben auf derartig nutzbare Korallen, so kann man aus diesen die damaligen

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Abb.4: IODP #310 Bohrkern mit in situ Korallen

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Abb.5: Verschiedene Rekonstruktionen der Meeresspiegelentwicklung seit der letzten Eiszeit, die anhand von Untersuchungen an Riffen erstellt wurden.

Umweltbedingungen, wie Wassertemperatur oder den Salzgehalt bestimmen. Auch weiter in der Vergangenheit und über längere Zeiträume helfen Korallen bei der Rekonstruktion des Meeresspiegels. Während im Mittelmeer heute keine Flachwasserkorallenriffe vorkommen, waren sie vor rund 10 Millionen Jahren dort weit verbreitet. Die Klippen an der Südküste von Mallorca zum Beispiel bestehen aus aufgetauchten Korallenriffen aus dieser Zeit. Über einen Zeitraum von etwa 200.000 Jahren haben sich diese Korallenriffe 20 km ins Meer vorgebaut. Diese fossilen Riffe wandern als Zickzackkurve auf den heutigen Klippen auf und ab. Da die Korallen dem Meeresspiegel folgen, zeichnet dieses Muster die Meeresspiegelschwankungen vor etwa 10 Millionen Jahren sehr exakt nach. Anhand von derartigen Beispielen aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit können Geologen die Dynamik von Meeresspiegelschwankungen, ihre Geschwindigkeit und ihre Amplituden rekonstruieren. Sie können damit aber auch Zusammenhänge aufzeigen, zum Beispiel zwischen Wassertemperatur und Meeresspiegelstand, um das globale System von Klima, Umwelt und Ozean besser zu verstehen.

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Abb.6: Fossile Riffe, die an den Kliffs von Mallorca angeschnitten sind. Sie wachsen auf dem Bild von rechts nach links; erst steigt der Meeresspiegel, das Riff (in rot) wandert nach oben, dann sinkt der Meeresspiegel, das Riff wandert nach unten, und schließlich

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Nicht alle Riffbildungen der Erdgeschichte lassen sich jedoch bezüglich Meeresspiegelschwankungen direkt interpretieren. In der Erdvergangenheit gab es viele Zeitabschnitte mit starker Riffbildung. Die Evolution schuf aber eine Vielzahl unterschiedlicher Rifforganismen. Während es bereits vor rund einer halben Milliarde Jahre im Kambrium Riffe gab, die von schwammähnlichen Organismen, den Archäocyathiden gebildet wurden, die heute keine lebenden Verwandten mehr haben, gibt es unseren modernen Riffen vergleichbare Bildungen erst seit dem Ober-Miozän vor rund 10 Millionen Jahren. Kambrische Archäocyathiden waren jedoch Filtrierer, ebenso wie die permischen riffbildenden Brachiopoden oder die kretazischen riffbildenden Muscheln, die Rudisten. Das heißt, sie filterten Nahrung aus dem Wasser und lebten nicht mit photosynthesetreibenden Symbionten. Sie waren somit nicht lichtabhängig und sind ökologisch eher vergleichbar mit heutigen Tiefwasserkorallenriffen. Die fehlende Lichtabhängigkeit hat jedoch zur Folge, dass diese Riffe nicht als Meeresspiegelanzeiger geeignet sind – sie können in allen Wassertiefen vorkommen, die ihnen Nahrung bieten. Für andere Rifftypen der Erdgeschichte dagegen wird Lichtabhängigkeit angenommen – paläozoische und mesozoische Korallen waren vermutlich ökologisch den heutigen Flachwasserkorallen vergleichbar. Solche Korallenriffe zeigen dann auch Architekturen, die auf Meeresspiegelschwankungen schließen lassen. Auch Stromatolithen, die von Cyanobakterien gebildet wurden und seit dem Präkambrium existieren, zeigen Geometrien, die ihre Lichtabhängigkeit widerspiegeln. Die Riffe der Erdgeschichte zeigen, dass der Meeresspiegel mit verschiedenen Frequenzen und Amplituden stets geschwankt hat. Die Meeresspiegelschwankungen der Quartären Eiszeiten gehören zu den ausgeprägtesten der Erdgeschichte. Der gegenwärtige Meeresspiegel ist je nach der betrachteten Region zwischen 4 bis 9 m tiefer als in der letzten Zwischeneiszeit vor 125.000 Jahren. Die Entwicklungen der nächsten Zukunft tendieren in Richtung eines Meeresspiegelstandes der letzten Zwischeneiszeit. Ein besseres Verständnis der Vergangenheit wird dazu beitragen, Ursachen und Auswirkungen der Meeresspiegelveränderungen und der damit verbundenen Umweltdynamik besser einschätzen zu können.

steigt er wieder an (linker Bildrand).


Hildegard Westphal und Wolf-Christian Dullo

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xy Abb.7: Devonische Riffe von Westaustralien

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Schwämme des Korallenriffs: Lieferanten neuartiger Medikamente

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Gert Wörheide, Dirk Erpenbeck, Judith Pöppe, Oliver Voigt

Abb.1: Kalzit-Nadeln des Kalkschwamms Leucetta chagosensis unter polarisiertem Licht. Bildbreite ca. 4 mm.

Es ist drückend heiß und schwül in der kleinen Hütte in einem abgelegenen Dorf am Kongo in Zentralafrika. Rosalie, eine 22-jährige Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation windet sich schon seit Tagen in heftigsten Fieberkrämpfen, Wachphasen wechseln sich mit komatösen Zuständen ab. Rosalie hat sich mit tropischer Malaria infiziert – wahrscheinlich als sie vor kurzem tief im Dschungel war, um die Bauern in einem abgelegenen Bergdorf mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Leider hatte sie ihre Prophylaxe vergessen und auch das Insektenschutzmittel hatte sie bei einem steilen Aufstieg über einen Dschungelpfad verloren. Doch nun naht Hilfe: Dr. Mujambo, ein Arzt aus dem nahen Bumba am Kongo-Fluss hat ein neuartiges Medikament im Gepäck, welches akuten Malariapatienten schnelle Hilfe verschafft. Dieses Medikament ist erst kürzlich auf den Markt gekommen und kostengünstig in Afrika erhältlich. Es wurde aus einem Meeresorganismus gewonnen, einem vor der Küste Kenias in wenigen Metern Wassertiefe im Korallenriff vorkommenden Hornschwamm. Dr. Mujambo spritzt der sich quälenden Rosalie dieses Medikament, welches sofort die Zellteilung der Plasmodien (Malariaerreger) unterbindet. Ihr Fieber sinkt binnen weniger Stunden und die Malaria verschwindet komplett nach wenigen Tagen. Tropische Malaria wird in den Tropen und Subtropen durch Stechmücken übertragen und ist in Afrika eine weitverbreitete Krankheit, an der pro Jahr mehr als 2,5 Millionen Menschen weltweit, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent ster-

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Schwämme: Lieferanten neuar tiger Medikamente

ben – die Hälfte davon Kinder. Ein Impfstoff ist derzeit noch nicht verfügbar und man kann sich gegen Malaria nur durch Insektenschutz sowie durch Prophylaxe mit bestimmten Medikamenten schützen. Die sogenannte Chemoprohylaxe hat einige Nachteile (Nebenwirkungen, zunehmende Resistenz der Erreger) und bietet keinen vollständigen Schutz, zudem ist eine Dauerprophylaxe wegen der Kosten und Nebenwirkungen bei lokalen Bevölkerungen nicht anwendbar. Das oben beschriebene Szenario könnte in naher Zukunft Wirklichkeit werden, denn marine Organismen, insbesondere Schwämme, sind eine reiche Fundgrube von bioaktiven Substanzen, die das Potential für Medikamente haben. Aber halt, was haben marine Schwämme denn nun mit Medikamenten zu tun und was sind Schwämme überhaupt?

Was sind Schwämme? Pflanzen oder Tiere? xy

Schwämme sind vielzellige Tiere und gehören zum Stamm der Porifera. Lange Zeit dachte man allerdings, dass Schwämme Pflanzen seien, erst 1836 sind sie von Herrn Robert Edmond Grant als Tiere erkannt worden. Schwämme kommen ausschließlich in aquatischen Lebensräumen vor (d.h. sie leben im Wasser), hauptsächlich im Meer, nur wenige Arten im Süßwasser. Sie sind sehr erfolgreich, denn sie haben seit mehreren Millionen Jahren im Meer alle Lebensräume erobert, von der Gezeitenzone bis in die Tiefsee, und von Pol zu Pol. Im Laufe der Erdgeschichte haben sie auch teilweise sehr große Riffstrukturen aufgebaut, wie z.B. die »Schwammstotzen« im Jura in der Schwäbischen Alb, im Devon das riesige Barriere-Riff im Canning Basin in West-Australien, oder Teile der Dolomiten in den Alpen. Schwämme sind aus mehreren Zelllagen aufgebaut, ihre Form und Farbe kann innerhalb einer Art sehr unterschiedlich sein. Ein Schwamm zeichnet sich vor allem durch das aus, was er im Vergleich zu allen andern Tieren nicht hat: so besitzen Schwämme keine Organe, wie Magen oder Atmungsorgane, auch ein Nervensystem fehlt. Sie besitzen viele kleine und wenige große Poren (darum auch der Name Porifera = Porenträger), die dem Einstrudeln von Wasser dienen. Die Schwammgestalt ist somit hauptsächlich durch die Art der Nahrungsaufnahme gekennzeichnet. Die meisten Schwämme haben mineralische Skelettelemente, so genannte „Spiculae“ (Nadeln). Diese sitzen nicht außen auf dem Tier, sondern sind in das Gewebe des Schwamms eingelagert. Sie nehmen eine Schütz- und Stützfunktion ein. Die Nadeln sind sehr vielgestaltig und können Millimeter bis Zentimeter groß, einoder vielstrahlig sein, Knötchen, Haken und Knöpfchen haben und dienen darum den Taxonomen auch der Unterscheidung der verschiedenen Arten. Die meisten dieser Nadeln sind jedoch klein und mit dem bloßen Auge nicht zu unterscheiden. Darum sind die verschiedenen Arten häufig nur durch einen Profi zu erkennen. Einige Schwämme, die so genannten »korallinen Schwämme«, bilden zusätzlich ein dem Korallenskelett ähnliches »Basalskelett« aus Kalziumkarbonat.

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Abb.2: Leucetta chagosensis, der Zitronenschwamm, aus einem Korallenriff in Vanuatu (Pazifik). Gut erkennbar ist die zentrale Ausströmöffnung, das Osculum. Größe des Schwammes ca. 3 cm.


Ger t Wรถrheide, Dirk Erpenbeck, Judith Pรถppe, Oliver Voigt

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Schwämme: Lieferanten neuar tiger Medikamente

Wo leben Schwämme?

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Schwämme leben im Meer von Nord- zum Südpol und kommen sowohl in der Tiefsee als auch in den Gezeitenzonen vor. Es gibt auch Schwämme, die im Süßwasser leben, von denen auch einige wenige Arten in unseren heimischen Seen und Flüssen zu finden sind. Ein Beispiel für einen heimischen Schwamm ist die Art Spongilla lacustris, der Geweih- oder Fingerschwamm. Er gehört zu den häufigsten deutschen Süßwasserschwämmen und kann in allen größeren Gewässern vorkommen. Natürlich ist der Artenreichtum in unseren Breiten nicht so groß wie in den warmen Regionen der Erde, aber auch die hier ansässigen Arten haben interessante Besonderheiten, wie zum Beispiel das Überwintern in Dauerstadien (Gemmulae), das eine Anpassung an unser Klima darstellt. Die größte Artenvielfalt der Porifera gibt es aber in den Riffen der tropischen Gewässer, wo sie ihren Lebensraum mit den Korallen teilen. Hier gibt es auch den größten Konkurrenzkampf um festen Untergrund, der sowohl für die Schwämme als auch für die Korallen zum Festsetzen und Heranwachsen wichtig ist.

Wie ernährt sich ein Schwamm? Bis auf wenige Ausnahmen sind Schwämme Filtrierer. Sie erzeugen mit Hilfe von begeißelten Zellen einen Wasserstrom, der durch viele kleine Kanäle durch den Schwamm hindurch geleitet wird und kleinste Nahrungspartikel und auch Sauerstoff mit sich befördert, die von den Schwammzellen aufgenommen werden. Dieser Wasserstrom vereinigt sich innerhalb des Schwamms in einem großen Innenraum (Spongocoel) und wird über eine oder mehrere große Öffnungen (Osculae) wieder nach außen geleitet. Ihre Ernährungsweise macht die Schwämme zu einem wichtigen Faktor im aquatischen Ökosystem, wobei die Filteraktivität einiger Arten die der allgemein bekannten Filtrierer wie zum Beispiel der Muscheln noch übersteigt. Viele Schwämme, gerade der tropischen Regionen, leben in Gemeinschaft mit Bakterien. Da bei diesem Zusammenleben beide Seiten profitieren, wird dies als Symbiose bezeichnet. In Schwämmen leben viele verschiedene Arten von Bakterien, die sich auf unterschiedliche Weise ernähren. Während der Schwamm ihnen einen geschützten Lebensraum bietet, versorgen die Bakterien ihn mit Nährstoffen, die sie zum Beispiel durch Photosynthese produzieren. Eine der großen Ausnahmen von der filtrierenden Ernährungsweise stellt die hauptsächlich in der Tiefsee lebende Schwammfamilie der Cladorhizidae, die fleischfressenden Schwämme, dar. In ihrer nährstoffarmen Umgebung der Tiefsee fangen sie kleine Krebse oder Larven, deren Füße und Antennen sich in speziellen Skelettnadeln verfangen. Darauf umwachsen die Schwämme ihre Beute und verdauen sie. Es sind somit fleischfressende Räuber. Die Kanäle, die bei den filtrierenden Schwämmen der Ernährung dienen, haben diese Cladorhizidae komplett verloren.

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Ger t Wörheide, Dirk Erpenbeck, Judith Pöppe, Oliver Voigt

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Abb.3: Ein Kalkschwamm (Pericharax heteroraphis) unter einem Überhang am Yonge Reef (Grosses

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Barriere Riff, Australien). Gut erkennbar ist die zentrale Ausströmöffnung, das Osculum. Größe des Schwammes ca. 9cm.

Wie vermehren sich Schwämme? Bei Schwämmen gibt es sowohl getrennt geschlechtliche als auch zwittrige Arten. Die Eizellen und Spermien werden von Geschlechtszellen produziert und entweder beide gleichzeitig ins Wasser abgegeben, oder die Spermien eingestrudelt und so zu den Eizellen transportiert. Manche Schwämme stoßen Ihre Gameten innerhalb weniger Augenblicke ab, was dem Anblick »rauchender Vulkane« ähnelt. Die Freisetzung von Eiern oder Spermien kann zeitgleich bei allen Individuen einer Art im Riff erfolgen, was einen spektakulären Anblick bietet. Nach der Befruchtung entwickeln sich aus den Eiern bewimperte Larven, die frei im Wasser schwimmen können, sich so von ihren Eltern wegbewegen und an anderer Stelle festsetzen. Hat sich eine Larve auf einem harten Untergrund niedergelassen, heftet sie sich an und entwickelt sich zu einem Jungschwamm. Hier bleibt der Schwamm dann für den Rest seines Lebens, was von Art zu Art ein Jahr oder bis zu 500 Jahre sein kann.

Wie lange gibt es Schwämme und wie sind wir mit ihnen verwandt? Die Silikat- oder Kalknadeln des Schwamm-Skeletts können gut als Versteinerungen erhalten bleiben. Noch besser erhaltungsfähig sind die kalkigen Basalskelette.

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Schwämme: Lieferanten neuar tiger Medikamente

Deshalb weiß man, dass es wohl schon vor über 550 Millionen Jahren Schwämme gab, und eine heute ausgestorbene Gruppe von Schwämmen, die Archaeocyathiden, bildeten die ersten Riffe tierischer Organismen im frühen Kambrium (vor ca. 530 Millionen Jahren). Auch andere koralline Schwämme, die Stromatoporen, Chaetetiden, Sphinctozoen und Pharetroniden waren im Laufe der Erdgeschichte riffbildend, ähnlich wie heute die Korallen. Also sind diese einfach gebauten Tiere im Vergleich zu Menschen, Dinosauriern und anderen Urzeittieren viel, viel älter. Kann man Schwämme deshalb zu unseren Vorfahren zählen? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. So könnte der typische Schwammkörper eine Anpassung sein, die sich aus seiner sessilen Lebensweise und der Nahrungsaufnahme durch Filtrieren allein in der Gruppe der Schwämme entwickelt hat. Die andere Möglichkeit ist, dass schon der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schwamm ein Schwamm-ähnlicher Organismus war. xy

Wie erkennt man einen Schwamm? Einen Schwamm als solchen zu erkennen ist manchmal gar nicht so einfach. Die Vielfalt ist mit ca. 10.000 bekannten Schwammarten sehr groß, und noch immer werden viele neue Arten entdeckt. So gibt es sehr kleine Schwämme, die nur wenige Millimeter groß sind, während andere bis zu mehreren Metern groß werden können. Einige Schwämme wachsen als flache Überzüge auf dem Untergrund, andere bilden mehr oder weniger solide Schwammkörper, die aufrecht auf dem Untergrund stehen und kompakt, becher-, röhren, oder fächerartig sind. Wieder andere Arten sind kaum zu entdecken, weil sie sich tief in Kalkschalen oder in Kalkgestein befinden, wo sie sich hineingebohrt haben. Solche Schwämme bezeichnet man als Bohrschwämme. Viele Schwämme haben sehr lebhafte Farben, sie können z.B. grellgelb, leuchtend blau oder knallrot sein. Diese Farben werden nicht immer vom Schwamm selber hergestellt. Sie können auch aus der Nahrung des Schwammes stammen oder von Bakterien oder Einzellern produziert werden, die in vielen Schwämmen leben. Wozu aber dient diese Farbenpracht, die von Schwämmen selbst gar nicht wahrgenommen werden kann? Sie könnten als Warnfarben dienen, die hungrigen Meerestieren signalisiert: »Vorsicht, friss' mich besser nicht, denn ich bin sehr giftig«. Allerdings gibt es auch nicht giftige bunte Schwämme. Außerdem darf man nicht vergessen, dass das Sonnenlicht im tieferen Wasser hauptsächlich blau erscheint. Unter dieser Voraussetzung kann z.B. ein bei normalen Licht knall bunt gefärbter Schwamm tatsächlich gut getarnt sein: die grelle Farbe erscheint nur als weitere Abstufung von blau und verschwimmt mit der Umgebung. Hungrige Schwammfresser würden einen so gefärbten Schwamm einfach übersehen. Wenn Schwämme aber auf den ersten Blick so verschieden aussehen können, was haben sie denn gemeinsam? Die Gemeinsamkeiten finden sich eher im Detail. Da ist zum einen das Wasserleitungssystem, das fast alle Schwämme besitzen (eine Ausnahme stellen die fleisch-

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Abb.4: Ein bisher unidentifizierter Kalkschwamm aus dem Roten Meer (Blue Hole, bei Dahab, Sinai). Größe des Schwammes ca. 2 cm.


Ger t Wörheide, Dirk Erpenbeck, Judith Pöppe, Oliver Voigt

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fressenden Schwämme dar). Von außen kann man hiervon vor allem eine oder mehrere Ausstromöffnung(en) sehen, bei entsprechender Vergrößerung sind auch die viel kleineren und zahlreicheren Poren, die Einstromöffnungen aufzufinden. Viele weitere Merkmale von Schwämmen lassen sich nicht ohne weiteres an einem lebenden Schwamm begutachten, sind aber trotzdem charakteristisch für diese Tiergruppe. So besitzen alle Schwämme typische Skelettnadeln und/oder ein Hornskelett. Der Badeschwamm z.B. ist das Hornskelett von bestimmten Schwämmen, denen Nadeln fehlen.

Und wo kommen die Medikamente her?

Abb.5: Soleneiscus radovani, eine erst 1998 von Wörheide & Hooper entdeckte Art von Kalkschwämmen aus dem Grossen Barriere Riff (Australien) mit leuchtend gelben buschigen Tuben. Größe des Schwammes ca. 5cm.

Nach ihrem Larvenstadium führen Schwämme eine sessile Lebensweise, d.h. die Larven setzen sich an einem bestimmten Ort fest, z. B. einem Stein oder einem Korallenriff. Einmal angewachsen wird aus der Larve der adulte Schwamm und bleibt dort sein ganzes Leben ... und dies kann sehr lang sein, denn bei manchen Schwämmen in der Tiefsee wird das Alter auf mehrere hundert bis sogar tausend Jahre geschätzt. Diese sessile Lebensweise ist relativ einfach. Der Schwamm sitzt auf seinem Fleckchen und strudelt die Nahrung ein, die ihm die Strömung vorbeitreibt. Bewegen muß er sich dafür nicht. Er wächst lieber in die Höhe und Breite um noch mehr Nahrung einzufangen und viele Nachkommen produzieren zu können. Doch diese Immobilität hat auch Nachteile: Er kann nicht weglaufen oder wegschwimmen, wenn es Probleme gibt. Und diese gibt es häufig im Meer: Zum einen sind es die Fische, Würmer und Weichtiere, die sich gerne über eine einfache Beute hermachen würden. Es gibt eine ganze Menge Organismen, die sich auf Schwammnahrung spezialisiert haben. Zum anderen sind dort die benachbarten Korallen und Seescheiden, die sich ebenso gerne auf dem Riff oder dem Felsen ausbreiten. Auch sie wollen gerne ihr Territorium erweitern und versuchen häufig, Schwämme abzudrängen oder gar zu überwachsen. Auf dem Meeresgrund spielen sich kontinuierlich erbitterte Territorialkämpfe ab, deren Ausmaß und Dramatik von uns gar nicht wahrgenommen werden, da sie in Zeitlupentempo stattfinden. Vor vielen Millionen Jahren hatten Schwämme diese Konkurrenz noch nicht. Sie waren die alleinigen Riffbauer. Erst allmählich entwickelten sich andere Tiergruppen mit der gleichen Lebensweise und ähnlichen Bedürfnissen. In der Kreidezeit begannen dann die Korallen, den Schwämmen Konkurrenz zu machen und diese als primäre Riffbauer abzulösen.

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Aber auch andere Organismen machen den Schwämmen zu schaffen: Bakterien und Pilze können eine wahre Plage sein, wenn man sich kaum bewegen kann. Schwämme wären sicher längst ausgestorben, wenn sie nicht eine wirksame Abwehr gegen alle diese Gefahren entwickelt hätten, sie haben sich auf die chemische Kriegsführung spezialisiert. In ihren Zellen produzieren Schwämme eine Batterie von bioaktiven Substanzen mit einer ganzen Reihe von Effekten. Viele sind antibiotisch, andere

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Schwämme: Lieferanten neuar tiger Medikamente


Ger t Wörheide, Dirk Erpenbeck, Judith Pöppe, Oliver Voigt

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fungizid, wieder andere schrecken Freßfeinde oder Korallen ab. Diese Wirkstoffe bestehen aus unterschiedlichsten chemischen Verbindungen, zum Beispiel Terpene, Peptide oder Steroide, die in vielen Modifikationen produziert werden, so dass sie unterschiedliche Wirkungsweisen haben. Solch eine effektive Produktion bioaktiver Stoffe hat schon längst das Interesse der pharmazeutischen Industrie geweckt, denn auch für den Menschen sind diese Substanzen sehr interessant: Es werden kontinuierlich neue Medikaments gegen Infektionen gesucht, denn Bakterien bilden nach einiger Zeit Resistenz gegen praktisch jedes neu entwickelte Antibiotikum. Um in diesem Wettlauf immer die Nase vorn zu haben, müssen ständig neue, wirksame chemische Substanzen gefunden werden. Schwämme sind die derzeit ergiebigste (marine) Quelle neuer chemischer Strukturen mit pharmazeutischer Wirkung. Diese Strukturen werden von den Biochemikern re-synthetisiert und modifiziert, um sie als Wirkstoffe in Medikamenten einsetzen zu können. Beinahe 7.000 Strukturen sind seit der ersten Entdeckung in Schwämmen in den fünfziger Jahren beschrieben worden. Die Wahrscheinlichkeit, eine bioaktive Art zu finden, ist bei Schwämmen größer als bei den meisten anderen Organismengruppen. Außer als Antibiotika können diese Wirkstoffe eine ganze Reihe therapeutischer Effekte für den Menschen haben: manche sind antiviral, manche entzündungshemmend, gerinnungsstoppend oder, wie in unserem Beispiel, wirksam bei Malariainfektionen. Es befinden sich bereits einige aus Schwämmen gewonnene Verbindungen in klinischen Tests, hauptsächlich gegen Krebs, aber auch Malaria und Tuberkulose.

Abb.6: Ein Fisch schläft in einem Hornschwamm (Haliclona sp.) in der Marsa Bareika (Ras Mohammed, Sinai, Rotes Meer). Größe des Schwammes ca. 8cm.

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Um solche bioaktiven Stoffe in ausreichenden Mengen produzieren zu können, sind in den vergangenen Jahren viele, leider nur mäßig erfolgreiche Experimente mit sogenannten »Marikulturen« gemacht worden. In diesen werden Schwammfragmente im Meer z.B. an lange Leinen oder Netzen festgeknotet und über große Flächen ausgehängt, um ein schnelles Wachstum und damit die Produktion großer Mengen bioaktiver Substanzen zu fördern. Die »Zucht« von Schwämmen in Aquarien gestaltet sich bei den meisten Schwammarten ebenso schwierig, da zu viele unbekannte Faktoren für das Schwammwachstum verantwortlich sind. Viele dieser unbekannten Faktoren hängen mit den Mikroorganismen zusammen, die mit den Schwämmen in Symbiosen zusammenleben. Gleichzeitig werden viele der bioaktiven Stoffe, die aus den Schwämmen gewonnen werden, von ebendiesen Symbionten hergestellt. Für die biotechnologische Herstellung bioaktiver Stoffe ist dies von großer Bedeutung. Für Rosalie nur ein eher nebensächliches Detail, ihr konnte auf Grund eines neu entwickelten Malaria-Mittels aus einem Schwamm in unserer kleinen fiktiven Geschichte geholfen werden, und wir können hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, dass dies bald Wirklichkeit wird.

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Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder missverstandenes Opfer von Umständen?

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Catherine Vogler, Oliver Voigt & Gert Wörheide Der blaue Vorhang des Wassers öffnet sich und gibt den Blick frei auf eine alptraumhafte Szene. Zu Tausenden kriechen sie aus unbekannten Tiefen nach oben. Langsam aber unaufhaltsam, wie eine unüberwindbare Armee. Jedes Individuum trägt Hunderte giftige Dornen, die gerade nach oben gerichtet sind. Nichts ist vor ihren hungrigen Mägen sicher, und auf ihrem Weg hinterlassen sie einzig totenbleiche Skelette. Sie bleiben für Monate, sogar für Jahre, und dann verschwinden sie ebenso plötzlich wieder, wie sie kamen. Als einziges Zeugnis der Heimsuchung bleibt die traurige Erinnerung eines einst schönen Korallenriffs.

Perspektivwechsel. Brüllend laute Motoren stören die Ruhe des Riffs. Aufschäumende Gischt zerschneidet die blaue Oberfläche der See, als bedrohlich aussehende Menschen zum Riff hinabtauchen, bewaffnet mit einem Waffenarsenal, das von Messern und spitzen Lanzen bis zu großen Injektoren reicht, mit denen tödliche Chemikaliencocktails oder Druckluft injiziert werden können. Alle dienen dem Zweck, Tausende von Geschöpfen aus dem Indischen und Pazifischen Ozean auszulöschen. Die bevorzugte Methode ist allerdings das Begraben bei lebendigem Leibe an Land. Millionen Euro werden in diesem Massenmord investiert, Millionen von toten Seesternen sind das Ergebnis. Im Gegensatz zu Ihrem Eindruck – dies ist nicht das Drehbuch von »Gremlins der Meere«. Vielmehr handelt es sich um ein reales, faszinierendes, aber gleichzeitig beunruhigendes Phänomen, welches auf Korallenriffen des Indo-Pazifischen Oze-

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Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder Opfer?

ans seit einigen Dekaden immer wieder auftritt. Die beiden Hauptakteure: ein Tier, von dem Sie vielleicht bereits schon gehört haben, der Dornenkronenseestern, und wir Menschen. Der Dornenkronenseestern tritt zeitweilig in so genannten »Massenausbrüchen« auf, bei denen eine unglaublich hohe Anzahl von Einzelindividuen gesamte Korallenriffe komplett leer fressen. Sind diese Ausbrüche natürlichen Ursprungs, oder werden sie durch den menschlichen Einfluss auf das Meer hervorgerufen? Müssen wir einschreiten, oder sollten wir es einfach geschehen lassen? Um uns diesen Fragen anzunähern, betrachten wir einmal die Arbeit der Wissenschaftler, die sich seit dem ersten Auftreten dieses Phänomens damit beschäftigen. Steigen wir etwas tiefer in das Problem ein und versuchen zu verstehen, wie die Weltuntergangs-Szenarien dieser Massenausbrüche entstehen konnten.

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Ein Dornenkronenseestern unterscheidet sich wahrscheinlich sehr von dem Bild, dass sie vor Augen haben, wenn Sie an einen Seestern denken: er hat normalerweise die Größe einer großen Frisbeescheibe, kann aber bis zu einem Meter Durchmesser wachsen und hat acht bis 21 Arme. Seinen Namen verdient dieses Tier zweifellos zu Recht, denn seine Arme sind mit Hunderten Dornen besetzt, als Abwehr gegen Angriffe von allgegenwärtigen Fraßfeinden. Der giftige Schleimüberzug sorgt für einen ziemlich ungenießbaren Geschmack, und hält die meisten Tiere davon ab, einen Happen Dornenkronenseestern zu probieren. Menschen sollten sich auch vor ihm in Acht nehmen, denn wiederholter Kontakt der Hände mit dem Schleim kann den Verlust des Tastsinns nach sich ziehen, und wenn man von den spitzen Dornen gestochen wird, kann dies heftige Infektionen auslösen. Trotz dieser furchteinflößenden Eigenschaften offenbart sich bei näherer Betrachtung dieser Tiere ein fantastisches Farbenspiel, welches von Grün über Lila bis zu von Rot punktierten tiefem Blau und Orange-Schattierungen reichen kann. Nun denken sie vielleicht: wenn die Biester so giftig und gefährlich sind, und zudem Riffe zerstören, warum werden wir sie denn nicht ein für allemal los? Kurz gesagt: weil sie eine unentbehrliche Rolle im Ökosystem Korallenriff einnehmen. Normalerweise findet man nur eine Handvoll von ihnen auf einem Riff, und das auch nur mit Glück. Und dort übernehmen sie die gleiche Rolle wie die meisten anderen Raubtiere: indem sie häufigere und schnellwachsende Arten fressen, erlauben sie langsamerwachsenden und selteneren Arten, ihren Platz im Ökosystem zu finden. Im Fall des Dornenkronenseesterns sind Korallen die bevorzugte Nahrung, und sich schnell ausbreitende fächerförmige Korallen werden in Schach gehalten. Sie geben somit den langsam wachsenden, massiven Korallen, die teilweise mehrere Hundert Jahre alt werden, die Möglichkeit, sich im Riff anzusiedeln. Diese massiven Korallen können dann Strukturen bilden, die für den Schutz gegen die Wellenkraft wesentlich sind und diverse Gemeinschaften an Fischen und der wirbellosen Tiere beheimaten. Ohne den Dornenkronenseestern würden Korallenriffe vermutlich anders aussehen. Dornenkronenseesterne sind sehr erfolgreiche Raubtiere. Indem sie ihr gesamtes Verdauungssystem über die Koralle


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stülpen, können sie das ganze Korallengewebe verwerten. Dafür sondern sie äußerst wirkungsvolle Verdauungsflüssigkeiten ab, verdauen die Koralle bei lebendigem Leib, und saugen dann den gesamten Cocktail wieder auf. Übrig bleibt nur das nackte und weiße Kalkskelett der Koralle, welches schnell von Algen überwuchert wird. Nur wenige Tiere können die Dornenseekronenseesterne stoppen. Einige Krabben verteidigen die Korallen, mit denen sie in Gemeinschaft leben, indem sie den Dornenkronenseesternen in alle erreichbaren Arme oder Schlauchfüße schneiden. Damit können sie erreichen, dass der Räuber von ihrem Korallenstock ablässt und sich ein anderes Opfer sucht. Einige Weichtiere (Mollusken), wie die riesige TritonSchnecke, greifen den Dornenkronenseestern direkt an. Sie bohren mit ihrer umgewandelten Zunge direkt durch den Panzer des Seesterns und saugen ihn dann von innen aus. Aber das sind fast die einzigen Tiere, die ausgewachsenen Dornenkronenseesternen etwas anhaben können – nur während ihrer Jugend sind sie sonst verletzbar. Das Leben eines Dornenkronenseesterns beginnt, wenn Samen- und Eizellen im Meer zur Befruchtung aufeinander treffen und verschmelzen. Im nächsten Monat werden mehrere Larvenstadien durchlaufen, die sich, von Meeresströmungen getrieben, durch das Meer bewegen. Als Larve schaut der Dornenkronenseestern nicht anders aus als andere Seesterne – aber seine Feinde können bereits den Unterschied ausmachen. Denn diese kleine Larve produziert bereits einige Chemi-

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Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder Opfer?

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kalien, die sie ungenießbar für die meisten Fische macht und sie so vor dem Gefressenwerden schützt. Als Larve ernährt sich der Dornenkronenseestern von Plankton und kann so seine lange Reise durch den Ozean überstehen. Wenn er sein letztes Larvenstadium erreicht hat, setzt sich die Larve auf einem Korallenriff nieder, und zwar dort, wo es bestimmte Algen als Nahrung finden kann. Verborgen unter Felsen und Schutt macht die Larve eine Metamorphose in einen jungen Dornenkronenseestern durch. Was dann während der folgenden zwei Jahre des Lebens dieses kleinen Dornenkronenseesterns geschieht, ist noch nicht völlig geklärt, denn er ist noch klein und nur sehr schwer zu entdecken. Als ausgewachsenes Tier fängt er an, Korallen zu fressen, was nun ungefähr fünf Jahre lang seine Hauptbeschäftigung sein wird. Während dieser Zeit reproduzieren sich Weibchen und Männchen wiederholt, indem sie Millionen von Eiern bzw. Samenzellen in den Ozean abgeben. Damit sich und Eiund Samenzellen in den Weiten des Ozeans zur Befruchtung finden können, kommunizieren die weiblichen und männlichen Dornenkronenseesterne mit chemischen Substanzen, um sicher zu stellen, dass Individuen des anderen Geschlechts in der Nähe sind und ihre Keimzellen gleichzeitig ins Wasser abgeben. Dornenkronenseesterne können ungefähr sieben Jahre lang leben, dann verschwinden sie auf geheimnisvolle Weise, denn man hat bisher noch keine kürzlich gestorbenen, oder verwesenden Dornenkronenseesterne im Korallenriff gefunden.

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Jetzt wissen Sie also mehr darüber, wie diese Seesterne aussehen und wie sie sich verhalten. Lassen Sie uns nun den größeren Zusammenhängen zuwenden. Dornenkronenseesterne findet man auf Korallenriffen des Roten Meeres, durch den gesamten Indischen Ozean, im Pazifik, vom Great Barrier Reef bis in den ZentralPazifik und zur Westküste Amerikas. Warum er auf atlantischen Riffen, z.B in der Karibik, völlig fehlt, ist noch immer ein Rätsel. Man schätzt, dass dieser Seestern während der monatelangen Larvenphase über tausend Kilometer von einem Riff zu einem anderen reisen kann. Aber was ist mit den ausgewachsenen Exemplaren? Bleiben Sie ihr ganzes Leben auf dem gleichen Riff, oder können Sie ein benachbartes Riff durch Überqueren der dazwischenliegenden Sandflächen erreichen? Diese Fragen sind bislang unbeantwortet, da es unter Wasser unmöglich ist, einzelne Tiere zu unterscheiden. Auch das Anbringen von Markierungen an den Tieren ist nicht möglich, denn sie sind Experten darin, diese wieder loszuwerden: wenn nötig, opfern sie zu diesem Zweck dann sogar ganze Arme, die allerdings schnell wieder nachwachsen. Aber eines ist sicher: der Dornenkronenseestern ist ein äußerst effizienter Räuber, der ökologisch enorm wichtig ist für das Korallenriff. Nun ja, schön und gut, aber so eine richtig spannende Geschichte ist das nun ja nicht. Sie fragen sich wahrscheinlich, was die ganze Aufregung um diesen Dornenkronenseestern eigentlich soll. Aber Sie sollen nicht länger auf die Folter gespannt werden.

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Rückblick. 1957, Ryukyu-Inseln, Japan: Anstatt der üblichen Handvoll Dornenkronenseesterne fressen Tausende dieser Tiere alles was sie kriegen können. Nicht nur schnell wachsende Korallen, auch langsam wachsende, sogar Schwämme, andere Seesterne, und auch Artgenossen, wenn alles andere abgefressen ist. Was ist passiert? Warum sind diese Tiere scheinbar verrückt geworden? 1962, Green Island, Australien: Das gleiche Phänomen tritt am Großen Barriere Riff auf. Innerhalb von zwei Jahren sind 80% der Korallen um Green Island verschwunden. Und im Laufe der nächsten 15 Jahre gibt es Ausbrüche, die vom Norden des Great Barrier Reefs in Richtung Süden ziehen. An immer mehr Riffen steigt eine Wand aus Dornenkronenseesternen aus der Tiefe auf, um alles auf ihrem Weg systematisch zu vertilgen. Und das Schlachtfeld, welches sie verwüstet hinterlassen, wird langsam von schleimigen Algen überwuchert. Die physikalische Struktur des gesamten Riffs ist geschwächt, das Gleichgewicht des Ökosystems ist völlig gestört. Kein Futter und keine Lebensmöglichkeit mehr für die anderen Riffbewohner – nur die Algenfresser bleiben, sonst nichts. Schnellvorlauf durch die nächsten vierzig Jahre, das gleiche Szenario wiederholt sich immer und immer wieder, im gesamten Pazifik und im Indischen Ozean, sowie im Roten Meer. Das Ende der Korallenriffe wird vorhergesagt. Und jetzt betritt die

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Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder Opfer?

zweite Gruppen von Akteuren die Szene: der Mensch. Er entscheidet zu handeln. Wissenschaftler wollen versuchen, den Dornenkronenseestern zu verstehen. Woher kommen sie, wohin gehen sie – und vor allem, warum sind sie hier, in diesen riesigen Zahlen? Was ist schief gegangen? Doch während die Wissenschaftler versuchen, diese Fragen zu beantworten, befürchten viele, dass es nicht viele Riffe mehr zu retten gibt, wenn die Antworten gefunden wurden.

Kein Riff, kein Rifffisch. Kein Rifffisch, keine Nahrung für viele Menschen in dieser Welt. Kein Riff, keine Taucher. Keine Taucher, kein Geld mehr vom Tourismus. Kein Riff, kein Schutz der Küsten vor Stürmen. Kein Riff, kein Riff-Ökosystem. Die Regenwälder des Ozeans sind verloren. xy

Die Auswirkungen betreffen Wirtschaft, Politik, Demographie, die Umwelt... Es muss etwas unternommen werden. So beginnt der Massenmord. Das Ziel ist, alle zu töten. Viele Methoden werden getestet. Zuerst versucht man sie zu zerhacken – schnell und einfach. Und eine sehr schlechte Idee, denn wie einige Experimente zeigen, kann der Dornenkronenseestern überleben, wenn er in der Hälfte zerhackt wird und regeneriert sich manchmal sogar in zwei lebende Individuen. Also fängt man an, sie zu sammeln und lebendig an Land zu vergraben. Aber das ist zeit- und arbeitsintensiv, und andere Optionen werden gesucht. Gift. Die meisten Methoden, die Dornenkronenseesterne zu töten, benutzen die Injektion von toxischen Substanzen. Nur sind diese nicht immer von Erfolg gekrönt, und einige erweisen sich sogar als schädlich für die Riffe. Es werden Unterwasserzäune errichtet. Das hat aber nur wenig Sinn, denn nur die erwachsenen Tiere werden aufgehalten, aber die Larven schlüpfen ungehindert hindurch. Manche schlagen biologische Methoden vor, zum Beispiel die Infizierung mit einem Virus. Aber biologische Kontrolle geht oft nach hinten los, denn häufig werden auch andere Tiere getötet oder in Mitleidenschaft gezogen, oder sogar ganze Ökosysteme gestört. Die Idee wird verworfen. Als effizienteste Methode beweist sich immer noch das Absammeln und Begraben auf Land. Durch diese Methode wurden, im gesamten Indo-Pazifik zwischen 1960 und 1990 über 20 Millionen Seesterne gesammelt. Allein die australische Regierung brachte mehrere Millionen Euro für solche Programme auf. Soviel Geld. So viele tote Seesterne. Und trotzdem noch so viele offene Fragen. In der Wissenschaft beginnt man mehr und mehr die Biologie dieser Tiere zu verstehen. Neue Hypothesen werden aufgestellt, unter anderem mit Hilfe moderner genetischer Methoden. Insbesondere gilt es, eine entscheidende Frage zu beantworten:

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Warum gibt es überhaupt diese Massenausbrüche? Zwei Hypothesen werden zur Zeit diskutiert: •

Es handelt sich um ein natürliches Phänomen. Solche Ausbrüche kamen schon immer vor, nur haben wir gerade erst begonnen, sie zu beobachten. Massenausbrüche sind ein zyklisches Phänomen, dass wir nicht als solches erkannt haben, da wir erst seit wenigen Jahrzehnten in die Tiefen vordringen können, in denen der Dornenkronenseestern lebt und sein Unwesen treibt. Und tatsächlich, die Entdeckung der ersten Massenausbrüche fällt zusammen mit der Entwicklung und der erhöhten Popularität des Tauchens mit komprimierter Atemluft (SCUBA) – als Sport und auch in der Meeresforschung.

Der Mensch ist schuld an diesen Massenausbrüchen: Durch seinen negativen Einfluss auf den Zustand der Ozeane, auf vielfältige Weise. Beispiel: das Tritonshorn, der einzige wirkliche Fraßfeind des Dornenkronenseesterns, wurde massenhaft als Souvenir aus den Riffen abgesammelt. Wenn nun das Tritonshorn in den Riffen fehlt, kann der Dornenkronenseestern auch nicht mehr auf natürliche Weise in Schach gehalten werden. Aber andere Forscher argumentieren, dass das Tritonshorn ohnehin nicht sehr häufig in Riffen ist, oder sogar in einigen der Riffbereiche abwesend sein kann, wo der Dornenkronenseestern in normalen Populationsgrößen vorkommt.

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Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder Opfer?

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Ein weiteres Argument ist, dass Ausbrüche auftreten, weil die Larven überdurchschnittlich lange überleben. Tatsächlich ist dies die Phase im Leben eines Dornenkronenseesterns, in welcher er am stärksten gefährdet ist. Bei der riesigen Anzahl von Larven, die bei jedem Reproduktionszyklus des Dornenkronenseesterns produziert werden, überleben tatsächlich nur sehr wenige bis ins Erwachsenenalter. Alles, was die Überlebensrate der Larven erhöht, kann eine immense Steigerung der Individuenzahlen von ausgewachsenen Dornenkronenseesternen nach sich ziehen. Es wurde spekuliert, dass der Anstieg der Temperaturen des Oberflächenwassers in den Ozeanen durch die Erderwärmung ein Faktor sein könnte, der bessere Überlebenschancen der Seesternlarven schafft. Verschmutzung und Überdüngung wurden ebenfalls als Auslöser der Massenvermehrungen diskutiert. Tatsächlich wurden die ersten Ausbrüche in Gebieten beobachtet, in denen eine intensive Entwicklung der Küstengebiete stattfand, inklusive landwirtschaftlicher Tätigkeiten in Küstennähe. Die Ostküste von Australien entlang des Großen Barriere Riffs ist bekannt für ausgedehnte Zuckerrohrplantagen. Ein beträchtlicher Teil der dort verwendeten Düngemittel findet sich am Ende im Ozean wieder. Algenblüten können die Folge sein, durch welche das Nahrungsangebot der Dornenkronenseesternlarven stark erhöht wird. Somit erreichen mehr von ihnen das Erwachsenenalter.

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Doch obwohl viele der ersten Ausbrüche in der Nähe von menschlichen Siedlungsund Nutzungsgebieten beobachtet wurden, wurden in den letzten vierzig Jahren auch Massenausbrüche abseits von jeglicher Zivilisation und deren mutmaßlich negativen Einflüssen beobachtet. Könnten diese weiteren Massenauftreten Folgen von vorherigen Ausbrüchen in anderen Regionen sein, sogenannten sekundären Ausbrüche? Denn wenn sich Massenausbruch-Populationen reproduzieren, produzieren sie auch viel mehr Nachkommen als normal große Populationen, und diese enormen Massen an Larven könnten mit den Meeresströmungen weit entfernte Riffe erreichen und dort dann wieder zu Massenausbrüchen führen. So zumindest die Theorie, die es aber noch zu verstehen und beweisen gilt. Dies bleibt aber immer noch sehr schwierig, da die Larven und Jungtiere nur sehr schwer zu identifizieren bzw. zu finden sind. Bis heute bleibt der Grund für Massenausbrüche unbekannt. Dennoch ist die Frage nach den Ursachen entscheidend. Wenn der Mensch diese Massenausbrüche verursacht hat, dann sollten wir unserer Verantwortung gerecht werden und handeln, um die Massenvermehrungen kontrollieren zu können. Vielleicht sind die Ausbrüche aber auch Teil der natürlichen Dynamik von Korallenriffen. Wenn es sich aber um natürliche Phänomene handelt, woher nehmen wir uns das Recht, so viele Seesterne zu töten? Und welche Konsequenzen erwachsen aus so einem Eingriff für das Ökosystem Riff?

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Um Antworten auf diese beunruhigenden Fragen finden zu können, müssen wir noch mehr über dieses faszinierende Tier herausfinden. Mit Hilfe von neu entwickelten Untersuchungsmethoden können hoffentlich weitere Erkenntnisse über den Dornenkronenseestern gewonnen werden, um aufgrund dieses neu gewonnen Wissens begründete Entscheidungen für den Erhalt und Schutz der Korallenriffe zu treffen. Vielleicht kann »Gremlins Meere« dann noch für alle Beteiligten mit einem Happy End enden.

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Konsequenzen des Klimawandels für Korallenriffe – mögliche Lösungsansätze

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Christian Wild, Carin Jantzen, Wolfgang Niggl, Andreas Haas, Florian Mayer, Malik Naumann

Abb.1: Satellitenaufnahme des Plattformriffökosystems Heron Island im Südlichen Australischen Great Barrier Reef

Wir alle kennen die vielfältige Schönheit von Korallenriffen, aber wissen wir auch um ihre unmittelbare Gefährdung? Bekannte Wegbereiter der modernen Korallenriffforschung haben noch 1979 geschrieben: »Die Fähigkeit des Menschen das Angesicht der Erde zu verändern, hat in der belebten Welt nur einen Konkurrenten, winzige Korallenpolypen, die über Äonen geologischer Zeitrechnung massive Riffe aus Kalkstein gebildet haben.« Heutzutage sieht es nun leider so aus, als wären wir dabei die Korallen auszustechen, weil wir sie selbst oder ihren Lebensraum zerstören, sei es nun direkt oder mehr noch indirekt durch den globalen Klimawandel. Und dabei gehören Korallenriffe gemeinsam mit den tropischen Regenwäldern zu den Lebensräumen mit den meisten unterschiedlichen Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten. Sie sind die Kinderstube vieler Lebewesen und bieten einem Viertel aller Fischarten weltweit Unterschlupf. Aber auch wir Menschen nutzen Korallenriffe in ganz vielfältiger Weise. Besonders in tropischen Entwicklungsländern lebt ein Großteil der Küstenbevölkerung in direkter Abhängigkeit von Korallenriffen. Neben ihrer oft lebensnotwendigen Funktion als Nahrungsquelle, wirken Riffe als Küstenschutz und sind Magnete für zahlungskräftige Touristen. In den letzten Jahrzehnten haben Korallenriffe zudem eine große Bedeutung als Quelle von neuen Rohextrakten für die Pharmaindustrie erlangt, was an der enormen Vielfalt von hier lebenden Organismen liegt. Sie haben also neben der enormen ökologischen Bedeutung auch eine wichtige ökonomische Bedeutung für die Anrainerstaaten.

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Konsequenzen des Klimawandels für Korallenrif fe

Korallenriffe stellen Frühwarnsysteme für den Klimawandel dar. Eine Beeinträchtigung dieser sehr sensitiven Ökosysteme kann auf negative Umwelteinflüsse hinweisen, noch bevor diese an anderen, stabileren Ökosystemen sichtbar werden. Das liegt daran, dass tropische Korallenriffe gleich von beiden Hauptkonsequenzen der globalen Klimaveränderung für die Ozeane, der Ansäuerung und der Erwärmung, stark betroffen sind. Die Meeresansäuerung beeinträchtigt die Kalkfällung, mit der Korallen ihr Skelett aufbauen, während die Meereserwärmung dazu führt, dass der engumgrenzte Temperaturbereich, in dem Korallen leben können, immer öfter überschritten wird. Daher hat der beginnende Klimawandel aller Voraussicht nach insbesondere für Korallenriffe negative Konsequenzen. Der Weltklimarat IPCC entwickelt in seinem aktuellen Sachstandsbericht verschiedene denkbare Szenarien, unter anderem auch die Häufung der durch Temperatur ausgelösten Korallenbleiche. Eine Vielzahl von Beobachtungen weltweit belegen, dass der Klimawandel, in Verbindung mit weiteren Faktoren, schon heute angefangen hat Korallenriffe stark zu verändern und zu einer dramatischen Abnahme der Bedeckung durch riffbildende Steinkorallen geführt hat. Im Folgenden wollen wir diese Aspekte näher beleuchten, aber auch eine Übersicht der möglichen Lösungsansätze geben, denn eine Zerstörung der Korallenriffe würde nicht nur einen Verlust an kommerziellen und lebenswichtigen Ressourcen für uns Menschen bedeuten, auch unsere Welt würde ärmer an Schönheit und Vielfalt werden.

Die Ansäuerung der Meere – eine ernsthafte Bedrohung für die Korallenriffe der Zukunft Skelettbau der Steinkorallen Der Aufbau des kalkigen Skeletts, die Kalzifizierung, der Steinkorallen ist ein komplizierter und sensibler Prozess, der langsam aber kontinuierlich zu den größten baulichen Strukturen auf unserem Planeten geführt hat. Für die Kalzifizierung sind nicht nur die inneren Vorgänge im Gewebe der Koralle von Bedeutung, sondern auch die Chemie des umgebenden Meerwassers. Besonders wichtig sind der CO 2-Gehalt des Meerwassers und der daraus resultierende Säuregrad (pH-Wert), sowie das Aragonit-Lösungsgleichgewicht. Die Kalzifizierung der Korallen erfolgt zwischen dem eigentlichen Polypen und dem Skelett durch spezialisierte Zellen, die eine Matrix ausbilden, an der sich Kalziumkarbonat (CaCO 3), also Kalk, in Form von Aragonitkristallen bilden kann. An diesen Stätten der Kalzifizierung herrscht ein Kalziumüberschuss, der die Kalkfällung erleichtert. Dabei sorgt enzymatische Aktivität für einen ausreichenden Transport von Kalziumionen in und Wasserstoffionen aus der Koralle.

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Abb.2: Die Geweihkoralle Acropora sp. aus dem Indopazifik


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Christian Wild et al.

Gelöster Kohlenstoff im Meerwasser kommt in drei verschiedenen Formen vor (gelöstes CO2, Bikarbonat und Karbonationen), die ein sogenanntes Puffersystem bilden. Dieses Gleichgewicht wird durch die Temperatur, den Salzgehalt, den herrschenden Druck (welcher mit zunehmender Wassertiefe ansteigt) und insbesondere den pH-Wert bestimmt. Auch eine Veränderung der Menge der einzelnen Kohlenstoffformen wirkt sich aus. Daher hat auch ein zunehmender CO 2-Gehalt der Atmosphäre, der durch Diffusion (Konzentrationsausgleich) dann wiederum ins Meerwasser gelangt, Auswirkungen auf dieses Gleichgewichtssystem. Mehr CO 2 bewirkt einen niedrigeren pH-Wert und eine abnehmende Konzentration von Karbonationen, da sich das Gleichgewicht verschiebt, was zu einem abnehmenden Sättigungswert für Aragonit führt. Bei einer Aragonitsättigung von 100 % befindet sich Aragonit im Gleichgewicht zwischen gelöster und fester Form. Je niedriger dieser Wert ist, desto schwieriger wird es für die kalzifizierenden Organismen Aragonit zu bilden, also Kalkstrukturen aufzubauen. Fällt der Sättigungswert unter ein bestimmtes Niveau, wird nicht nur neue Kalzifizierung unmöglich, sondern bereits gebildeter Kalk geht in Lösung, d.h. es kommt zu einem Abbau der Kalkstrukturen, was sich verheerend auf die Korallenriffe auswirken könnte. Abb.3:

Kohlenstoffchemie im Meer

Schema der Kohlenstoffchemie im Meer

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gelöster anorganischer Kohlenstoff existiert als gelöstes Kohlendioxid (CO 2 und H2CO2), Bikarbonat (H2CO 3) und Karbonationen (CO2-3), die miteinander im Gleichgewicht, dem Karbonatpuffersystem, stehen,:

CO2 + H2O < = > H2CO3 < = > HCO -3 + H+ < = > CO2-3 + 2H+ Anteil an gesamt:

1%

90%

10%

Kalzifizierung:

Ca 2+ + 2HCO -3 = CaCO3 + CO2 + H2O

Photosynthese:

CO2 + H2O = CH2O + O2

in den Ozeanen der Zukunft: mehr H+ niedriger pH, weniger Karbonationen (CO 2-3) und eine niedrigere Aragonitsättigung

Kalzifizierung im Klimawandel Bei Ökosystemen spricht man von einem sogenannten Umkipppunkt (Englisch: »tipping point«), ab dem die Umweltbedingungen sich so verändert haben, dass ein System kollabiert. Dieser Wert könnte für den Kohlendioxidgehalt in naher Zukunft ein-

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Konsequenzen des Klimawandels für Korallenrif fe

treten; verschiedene Modelle sagen eine entsprechend niedrige Aragonitsättigung in 100 bis 200 Jahren voraus, ab der Kalzifizierung unmöglich oder zumindest sehr schwierig wird. Ein zunehmender CO 2-Gehalt resultiert aber zunächst einmal in einer Abnahme der Kalzifizierung durch marine Organismen und somit ihrer Wachstumsraten. Dabei reagieren verschiedene Organismen unterschiedlich sensibel, sogar innerhalb der Korallen ist die Reaktion variabel. Bei einer Erhöhung der Wassertemperatur um 3 °C und des CO2-Gehalts im Meerwasser um ca. 40 %, reduziert sich die Kalzifizierungsrate von Korallen um 50 %. Dies ist das Ergebnis einer von zahlreichen Studien, welche eine Abnahme der Kalzifizierungsraten mit zunehmendem CO2-Gehalt beweist. Eine kürzlich veröffentliche Untersuchung zeigt, dass, zumindest bei der untersuchten Art, ein hoher Kohlendioxidgehalt ertragen wird, wobei die Korallen kein Kalkskelett mehr ausbilden, sondern eine Art blasiges Hydroskelett. Nach einer Abnahme des Kohlendioxidgehalts auf normales Niveau wurde wieder kalzifiziert. Dies zeichnet einen möglichen Überlebensweg für einzelne Korallenarten, was jedoch nichts an der Auflösung der Riffe selbst ändern würde. Aber nicht nur Korallen, auch pflanzliches Plankton mit Kalkskeletten, wie Kalkflagellaten (Coccolithophoriden) und krustenbildende Kalk-Rotalgen, (die den »Zement« der Korallenriffe bilden und wichtige Ansiedlungsfläche für Korallenlarven sind), werden betroffen sein. Dies wird dann wiederum Einfluss auf das Nahrungsangebot für viele Rifforganismen und die Stabilität der Riffe haben. Zusätzlich sind Korallenriffe auch einer zunehmenden Überdüngung (Eutrophierung), also dem Eintrag zusätzlicher Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat ausgesetzt (durch Landwirtschaft, Aquakulturen und Abwässer). Eine solche Düngung kann sich zunächst positiv auf die Photosynthese der symbiotischen Algen in der Koralle (den Zooxanthellen) auswirken, aber gleichzeitig zu einer Reduzierung der Kalzifizierung führen. Dieser Effekt könnte die Auswirkungen eines zunehmenden CO 2-Gehaltes im Wasser auf kalzifizierende Organismen noch verstärken. Abb.4: Krustenbildende Kalk-rotalge mit Garnelen aus dem Indopazifik.

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Christian Wild et al.

Fossile Riffe und Kaltwasserkorallen Oft wird angemerkt, dass auch in früheren Erdzeitaltern der CO 2-Gehalt in der Atmosphäre höher war als heute. So betrug er im Devon z.B. das 20-30fache des heutigen Wertes und dennoch gab es ausgedehnte Korallenriffe, die allerdings von urtümlichen, inzwischen ausgestorbenen Korallen (Rugosa und Tabulata) aufgebaut wurden. Ein Erklärungsansatz für dieses Paradoxon liegt in der jeweiligen Karbonatmineralogie begründet. Devon-Korallen bauten ihr Skelett hauptsächlich aus Kalzit (einer anderen Kristallform des Kalziumkarbonats) und nicht aus Aragonit wie bei den heutigen Korallen. Kalzit ist bei verringerten pH-Werten im marinen Milieu stabiler als Aragonit und hat so eine massive Kalzifizierung der urtümlichen Korallen ermöglicht. Besonders gefährdet von der CO 2-Zunahme sind Kaltwasserkorallen, welche keine Zooxanthellen haben und in tieferen Gewässern (200-2000 m) zu finden sind. Ihre Wachstumsraten sind durch die kälteren Temperaturen und den fehlenden Beitrag der Photosynthese begrenzt, und sie haben daher meist geringere Kalzifizierungsraten als ihre Verwandten im Warmwasser. Da höherer Druck (nimmt mit der Tiefe zu) und niedrigere Temperatur (nimmt mit der Tiefe ab) die Löslichkeit von CO2 erhöhen, sind Kaltwasserkorallen einer niedrigeren Aragonitsättigung ausgesetzt und werden daher die ersten sein, welche von steigenden Kohlendioxidkonzentrationen betroffen sind. Daher wird befürchtet, dass diese erst kürzlich entdeckten Ökosysteme durch den Klimawandel massive Veränderungen und Zerstörungen erfahren, bevor man sie richtig erforscht und ihre ökologische Rolle erfasst hat.

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Die Korallenbleiche – Auslöser, Konsequenzen und Perspektive Symbiose von Korallen und Algen Korallen leben, wie viele Lebewesen der Korallenriffe, in Symbiose mit einzelligen Algen (Dinoflagellaten, auch Zooxanthellen genannt), man könnte sagen, sie haben einen Garten in sich selbst angelegt. Neben Korallen leben auch Muscheln, Schnecken, Schwämme und Quallen in Symbiose mit diesen Algen. Diese Nähe hat den Vorteil, dass der Austausch zwischen den Organismen über extrem kurze Wege erfolgen kann. Die Zooxanthellen, betreiben sehr effektiv Photosynthese und versorgen die Koralle mit den so produzierten Stoffen, wie Zuckern, als Nahrung. Da die Zooxanthellen innerhalb des Korallengewebes sitzen, sind sie vor Fraßfeinden geschützt und können so Dichten von mehreren Millionen Zellen pro cm² Koralle erreichen. Die Zooxanthellen profitieren auch durch die Nutzung von Stoffwechselendprodukten des Wirts (der Koralle) als Nährstoffe für ihre Photosynthese. Diese Symbiose ist allerdings nur unter ganz bestimmten, eng umgrenzten Umweltbedin-

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Konsequenzen des Klimawandels für Korallenrif fe

gungen stabil. Änderungen der Rahmenbedingungen, die auch zu einer Überbelastung der Korallen führen, können ein Ausbleichen verursachen. Dieses Phänomen, bei dem es zu einem Verlust der Algen und / oder der Pigmente der Algen kommt, wird als Korallenbleiche (»Coral Bleaching«) bezeichnet. Diese Korallenbleiche ist im Prinzip reversibel und nach einer Beendigung des Stresses können wieder Zooxanthellen aufgenommen werden. Oft jedoch führt die Korallenbleiche zu einem Massensterben der Korallen, da diese stark geschwächt und anfällig werden.

Auslöser der Korallenbleiche Abb.5:

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Während der letzten Jahrzehnte wurde eine Reihe von Umweltfaktoren identifiziert, die zur Unterbrechung der Korallen-Zooxanthellen-Symbiose führen können. Und so kann die Korallenbleiche als eine generelle Antwort auf Stress betrachtet werden. Korallenriffexperten sind sich einig, dass eine zu hohe Wassertemperatur der mit Abstand häufigste Auslöser für großflächiges Korallenbleichen ist. Dies verdeutlicht die Verknüpfung zwischen Korallenbleiche und der durch die globale Klimaveränderung ausgelösten Meereserwärmung. Schon eine nur wenige Wochen anhaltende Temperaturerhöhung von 1 bis 2 °C, verglichen mit den durchschnittlichen Höchsttempe-

Durch die Auswirkungen des Lichtes beginnen Geweihkorallen zuerst an den Spitzen zu bleichen. Die basalen Teile beherbergen noch mehr Zooxanthellen als die Spitzen und sind deswegen noch dunkler gefärbt.


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Christian Wild et al.

Abb.6: Ohne die Farbstoffe der Zooxanthellen kann man bei dieser gebleichten Kolonie im Australischen Great Barrier Reef die bläulichen Schutzpigmente der Koralle erkennen.

raturen, kann zum Ausbleichen von Korallen führen. Neben erhöhten Temperaturen können intensive UV-Strahlung, Salzgehaltsschwankungen oder bakterielle Infektionen Korallenbleiche auslösen. Neueste Studien belegen, dass die sich gegenseitig verstärkende Wirkung dieser Auslöser, vor allem aber die Kombination aus erhöhter Temperatur und starker UV-Strahlung zu einem besonders heftigen Ausbleichen führen kann. Das Auftreten von massiven Ausbleichungsereignissen hat während der letzten Jahrzehnte stark zugenommen. Vor 1979 wurden nur in den Jahren 1911, 1929 und 1961 durch hohe Temperaturen ausgelöste Korallenbleichen beobachtet. Seit 1979 wurden jedoch mindestens sechs großräumige Ausbleichungsereignisse rund um den Globus verzeichnet. Alleine im Jahr 1998 ging als Folge der durch das Klimaphänomen El Niño verursachten Oberflächenerwärmung der Meere die Korallenbedeckung weltweit um 16 % zurück. Noch gravierender wirkte sich das Ausbleichungsereignis im Jahre 2002 aus. Während 1998 bereits 42 % der Korallen des Großen Barriere Riffs ausbleichten, waren es im Jahre 2002 schon 54 %. Die vom Weltklimarat IPCC vorhergesagte zunehmende Meereserwärmung wird sehr wahrscheinlich zu einer steigenden Häufigkeit von Korallenbleichen führen. Eine solche Zunahme der Häufigkeit würde die Erholungszeit für die Riffe verkürzen und könnte über die nächsten Jahrzehnte einen massiven Rückgang der von Korallen bedeckten Fläche um geschätzte 60 % zur Folge haben.

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Zelluläre und molekulare Mechanismen

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Durch neue Techniken auf den Gebieten der Tierphysiologie und Molekularbiologie konnte die Forschung bezüglich der zellulären Mechanismen der Korallenbleiche intensiviert werden. Dabei zeichnet sich ab, dass insbesondere ein Zusammenspiel von hohen Wassertemperaturen und starker UV-Strahlung dazu führt, dass bei der Photosynthese der Zooxanthellen verstärkt sogenannte freie Sauerstoffradikale gebildet werden, die Zellschäden verursachen. Dieses Problem kann noch dadurch verstärkt werden, dass sich die Sauerstoffradikale zusammen mit Stickstoffmonoxid, welches bei erhöhten Temperaturen vermehrt in den Zooxanthellen produziert wird, zu weiteren hochreaktiven Molekülen verbinden, die den Zusammenhalt zwischen Korallenzellen zerstören können. Dies mag die beobachtete Abgabe von kompletten, intakten Wirtszellen, welche funktionsfähige Zooxanthellen beinhalten, beim Ausbleichen der Koralle erklären. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass Nekrose sowie Apoptose (programmierter Zelltod) zur Auflösung der Wirtszelle und dadurch zur Freisetzung von Zooxanthellen führen kann. Dafür können neben hohen Wassertemperaturen auch wieder freie Sauerstoffradikale verantwortlich sein. Doch Korallen haben Mechanismen entwickelt, die ihnen und ihren Zooxanthellen bis zu einem gewissen Maße Schutz vor zu großer Lichtintensität bieten. So wurden fluoreszierende Pigmente im Gewebe der Koralle entdeckt. Diese können durch Streuung des einfallenden Lichts sowie durch Fluoreszenz (das aufgenommene schädliche Licht wird umgewandelt und in einer weniger schädlichen Form wieder abgegeben) überschüssige Lichtenergie ableiten. Auch andere Substanzen im Korallengewebe schützen durch die Adsorption von bestimmten Wellenlängenbereichen des Lichtes sowohl die Koralle als auch die Zooxanthellen vor schädlicher UV-Strahlung.

Die Korallenbleiche als Anpassungsmechanismus gegenüber Klimaveränderung? Derzeit wird in der Wissenschaft die sogenannte Hypothese der adaptiven Korallenbleiche (»adaptive bleaching hypothesis«) diskutiert. Diese Hypothese sieht das Ausbleichen als einen Mechanismus, der den Korallen die Möglichkeit bietet, sich durch das Austauschen ihrer Zooxanthellen an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Gestützt wird diese Hypothese dadurch, dass heute tatsächlich elf verschiedene Zooxanthellen-Unterarten mit unterschiedlichen Eigenschaften, darunter auch erhöhte Temperaturtoleranz, bekannt sind. Durch wissenschaftliche Experimente wurde nachgewiesen, dass es tatsächlich zu einem Austausch von Zooxanthellen mit unterschiedlichen Eigenschaften kommen kann. Andererseits wird diese Hypothese aufgrund von Wissenslücken und Widersprüchen skeptisch gesehen und ihre Brauchbarkeit als ausreichend schneller Anpassungsmechanismus an die Konse-

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Christian Wild et al.

quenzen des globalen Klimawandels angezweifelt. Außerdem impliziert „adaptiv“ eine genetische Veränderung. Diese wurde allerdings bisher weder bei den Zooxanthellen noch bei den Korallen beobachtet.

Abb.7: Massenhaftes Bleichen von Geweihkorallen im Australischen Great

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Barrier Reef, aber eine Kolonie zeigt eine erhöhte Temperaturresistenz.

Ökologische Auswirkungen der Korallenbleiche Für die Korallen bedeutet ein Ende der Symbiose mit den Zooxanthellen vor allem den Verlust ihres primären Energieversorgers, da meist der Großteil des täglichen Energiebedarfs durch die Zooxanthellen gedeckt wird. Dieser Energiemangel kann von den Korallen, zumindest teilweise, durch verstärkten Beutefang mit ihren Tentakeln ausgeglichen werden. Dennoch befinden sich ausgebleichte Korallen grundsätzlich in einem Zustand starker Schwächung. Investitionen in Verteidigungsmechanismen werden zurückgeschraubt, so dass Korallen anfällig werden gegenüber krankheitserregenden Bakterien, Pilzen und Viren. Hält der ausgebleichte Zustand über einen längeren Zeitraum an oder wird er von weiteren Stressfaktoren begleitet, führt dies zu großflächigem Korallensterben. Hinzu kommt, dass während der Korallenbleiche auch das Wachstum des Skeletts, die Kalkfällung, und die Fruchtbarkeit von Korallen stark reduziert sind. Dies alles kann dazu führen, dass Korallen im Konkurrenzkampf mit am Boden lebenden Algen zurückfallen und von diesen überwachsen werden (siehe Abschnitt Regimewechsel in Korallenriffen). Korallenbleichen können zudem auch gravierende Auswirkungen auf das Funktionieren von Riffökosystemen haben, da während des Ausbleichens große Mengen an Zooxanthellen und von den Korallen selbst stammenden organischen Materials abgegeben werden. Dies kann wie in (siehe Wild & Jantzen) beschrieben, entscheidende Konsequenzen für Stoffkreisläufe im Riff haben. Insofern sind Langzeitfolgen von Korallenbleichen für Riffökosysteme sehr wahrscheinlich.

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Konsequenzen des Klimawandels für Korallenrif fe

Regimewechsel in Korallenriffen Beobachtungen und auslösende Faktoren

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Wie kann ein nach außen gesund wirkendes Riff in ein paar Jahren zu einer von Algen zugewachsenen Ödnis werden? Diese Frage haben sich in den letzten Jahren vor allem viele Stammgäste von karibischen Riffen gestellt. Dass solche Beobachtungen auch in der wissenschaftlichen Welt eine immer größere Besorgnis auslösten macht ein kürzlich erschienener Artikel im renommierten Wissenschaftsmagazin Science deutlich. Er trägt den frei übersetzten Titel: Stehen unsere Riffe vor einer glitschigen Rutschpartie zu Schleimalgen? Von vielen Riffen weltweit wird berichtet, dass die ehemals dominierenden, riffbildenden Steinkorallen zunehmend von anderen wirbellosen Tieren (zum Beispiel Weichkorallen, Hydratiere, Schwämmen und Manteltiere) bis hin zu bodenbewachsenden Algen (darunter auch viele schleimige Arten) verdrängt und schließlich ersetzt werden. Diese Vorgänge nennt man Regimewechsel. Die am schwersten von diesem Regimewechsel betroffenen Korallenriffe liegen in der Karibik. Hier wurde ein Verlust von 80 % der Korallenbedeckung innerhalb der letzten 30 Jahre festgestellt. Aber auch aus dem gesamten Indopazifik und Hawaii wird seit der globalen Korallenbleiche von 1998 ein Rückgang der Korallenbedeckung von bis zu 30 % gemeldet. In den meisten Fällen sind an die Stelle der Korallen nun den Meeresboden bewachsende Algen getreten. Ein solcher Regimewechsel wird meist durch eine Reihe von Stressfaktoren ausgelöst. Die oben beschriebenen massiven Rückgänge der Korallenbedeckung in jüngster Vergangenheit deuten an, dass die Konsequenzen der globalen Klimaveränderung die entscheidende Rolle zu spielen scheinen. Die bereits erwähnte temperaturausgelöste Korallenbleiche kann wie 1998 und 2002 zur Massenmortalität von Korallen führen, schwächt aber in je-

Abb.8 (linkes Bild): Intaktes korallendominiertes Saumriff im Roten Meer. Abb.9 (rechtes Bild): Von Algen dominiertes ehemaliges Korallenriff im Kiritimati Atoll, Polynesien.


Christian Wild et al.

abgetaucht dem Fall die Korallen stark, so dass Algen im Wettbewerb mit Korallen in Vorteil geraten. Einige weitere, direkt vom Menschen verursachte Faktoren, insbesondere das Abfischen von Algen fressenden Fischen und der Eintrag von anorganischen Nährstoffen wie Nitrat oder Phospat (meist aus Landwirtschaft und Industrie), können weitere für Algenwachstum günstige Bedingungen schaffen. Mit welcher Geschwindigkeit sich der Regimewechsel vollzieht, hängt von vielen Faktoren ab. Einzelne klimaausgelöste Katastrophenereignisse, wie ausgedehnte Korallenbleichen mit anschließender Massenmortalität, führen meist zu Algen als direkten Nachfolger der Korallen, wo hingegen örtlich begrenzte Faktoren wie der Eintrag von anorganischen Nährstoffen und Überfischung einen graduellen Wechsel über Weichkorallen und Schwämme nach sich ziehen. Zusätzlich wird sich die Ansäuerung der Meere (siehe oben) aller Wahrscheinlichkeit nach dramatisch auf Kalkskelett bildende Lebewesen, insbesondere Steinkorallen, auswirken. Das ist ein weiterer Nachteil für die Korallen gegenüber den nicht-kalkbildenden Boden bewohnenden Algen.

Interaktion zwischen Korallen und Algen

Abb.10: Ein durch Schwämme und Hydratiere dominiertes karibisches Riff bei Cozumel, Mexico

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Korallen und Algen sind nun viel häufiger nebeneinander zu finden und kommen so vermehrt in direkten Kontakt miteinander. Und so ist es auch das Ziel vieler aktueller Untersuchungen gerade diese Interaktionen genauer zu beschreiben. Korallen bezeichnet man auch als Ingenieure ihres gesamten Riffökosystems (siehe Kapitel Wild & Jantzen). Dabei tragen sie zur gesamten Produktivität des Riffs bei und leisten über die Abgabe von organischen Material einen wichtigen Beitrag zu den Nährstoffkreisläufen im Riff. Neueste Studien zeigen jedoch, dass auch Algen über die Abgabe von organischem Material Prozesse im Riff beeinflussen können. Besonders interessant ist eine Laborstudie von 2006, die andeutet, dass bodenbewohnende Algen in direkter Nachbarschaft zu Korallen große Mengen an gelöstem organischem Material abgeben. Dies kann zu einer lokalen Stimulation der mikrobiellen Aktivität führen, so dass sehr viel Sauerstoff verbraucht wird. Resultierende geringe Sauerstoffkonzentrationen oder sogar vollständiges Fehlen von Sauerstoff können Korallen stark schädigen oder abtöten. Andere aktuelle Studien bestätigen die schädigende Wirkung von gelöstem organischem Material (insbesondere Zuckerverbindungen wie Glucose) auf Korallen. Zudem scheint gelöstes organisches Material schlimmere negative Auswirkungen auf die Korallen zu haben als anorganische Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat, die traditionell als die Hauptschädlinge für Korallenriffe aufgefasst wurden, da sie das Algenwachstum direkt fördern können. Leider fehlen bis heute wichtige wissenschaftliche Daten, um die Relevanz und Dynamik der erwähnten Prozesse im Feld zu verstehen. Erste Untersuchungen im Nördlichen Roten Meer deuten an, dass die Stabilität der Interaktion zwischen Korallen und Algen saisonal sehr unterschiedlich ist. Das mag auch auf andere Gebiete zutreffen und ist von weiteren Faktoren wie Nährstoffeintrag oder Überfischung abhängig.

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Konsequenzen des Klimawandels für Korallenrif fe

Konsequenzen von Regimewechseln in Korallenriffen Der Regimewechsel von Korallen zu Algen zieht also eine ganze Reihe von Prozessen nach sich, bis hin zu einer Veränderung der Stoffkreisläufe im Riff. Dazu kommt, dass eine Art Teufelskreis entsteht: Korallenlarven können nur auf harten Flächen im Riff, dem sogenannten Hartsubstrat (z.B. abgestorbenes Korallenskelett), ansiedeln. Solche Flächen werden während eines Regimewechsels nun von Algen besetzt, eine Neuansiedlung von Korallen kann immer seltener stattfinden und eine weitere Runde geht an die Algen. Der beschriebene Regimewechsel von Korallen zu Algen scheint daher kaum reversibel zu sein, und einmal »gekippte« Riffe bleiben vielleicht für immer eine Algenödnis. Dies hat natürlich entscheidende Konsequenzen für die Komplexität des Lebensraums Korallenriff. Neben dem direkten Effekt der Meeresansäuerung auf Kalkstrukturen im Riff (siehe oben) kann ein Regimewechsel von Korallen zu Algen dazu führen, dass mehr Kalk erodiert als aufgebaut wird. Ein komplexer, bunter 3-dimensionaler Lebensraum mit entsprechend vielfältigen Kleinstlebensräumen (siehe Kapitel Wild) verändert sich immer mehr zu einem zweidimensionalen Algenrasen in dem die Farbe grün dominiert. Eine extreme Verringerung der biologischen Vielfalt ist die logische Folge. Auch die Produktivität von Algen-dominierten Riffen wird stark reduziert sein. Zuerst einmal ist die Besiedlungsfläche verringert und daher der Lebensraum von insgesamt weniger Lebewesen besiedelt, was zu einer geringeren Gesamtproduktion ganz allgemein führt. Dazu kommt, dass die Photosynthese der Korallen-Symbionten sehr ergiebig ist, da der enge Austausch beider Partner sehr effektive und förderliche Austauschprozesse ermöglicht. Da können die Algen nicht mithalten. Zuletzt fallen viele Prozesse weg, welche die Nährstoffe im Riff halten und recyceln können (siehe Kapitel Wild & Jantzen). Der beschriebene

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Abb.11: Veränderung einer Korallen – Algen Interaktion im Roten Meer während eines Beobachtungszeitraums von 3 Wochen. Rot: Lebendes Korallengewebe, gelb: Interaktionsfläche, violett: totes, von Algen überwachsenes Korallenskelett


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Regimewechsel führt somit zu einer extremen Verarmung des Ökosystems Korallenriff, und das auf allen Ebenen. Produktivität, Komplexität und Biodiversität gehen weitgehend verloren, was sich auch stark auf Wirtschaftszweige wie den Tourismus und die Fischerei auswirkt.

Mögliche Lösungsansätze So stellt sich nun die Frage, was können wir (als Einzelne und als Menschheit) tun, um Korallenriffe gegen die verheerenden und scheinbar unaufhaltbaren Konsequenzen des Klimawandels zu schützen. Besteht noch eine Chance oder sollen wir Korallenriffforscher uns vor allem als Nachlassverwalter fühlen? Wir denken nicht, denn es gibt einige hoffnungsvolle Ansätze für den Schutz der Riffe, und einige davon wurden auch schon vielversprechend umgesetzt. Direkte menschliche Faktoren wie Überdüngung, Überfischung oder schädliche Fangmethoden (z.B. Dynamitfischen) bedeuten greifbaren Stress für Korallenriffe und können so gezielt bekämpft werden. Dem Klimawandel und seinen Konsequenzen, der Erwärmung und Ansäuerung der Ozeane, kann man fast ausschließlich indirekt entgegenwirken, in erster Linie natürlich durch eine flächendeckende und rigorose Reduktion der Treibhausgasemissionen. Abb.12: Direkte und indirekte Einflüsse des Menschen auf Korallenriffe

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Treibhausgase Überfischung Überdüngung Sedimenteintrag

Korallendominiert

Algendominiert

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Reduzierung der Emission von Treibhausgasen – Die jüngsten Berichte des Weltklimarates (IPCC) betonen immer drastischer, wie wichtig internationale Vereinbarungen zur Reduktion der Emission von Treibhausgasen sind, um eine Verlangsamung des Klimawandels zu erreichen. Wohlgemerkt, wir sprechen hier schon länger von einer Verlangsamung, nicht von einer Vermeidung. Leider ist die internationale Gemeinschaft noch weit von einer Einigung entfernt, auch xy

aufgrund der Fehler, die bei der Formulierung des Kyoto-Protokolls gemacht wurden. Hier besteht eindeutig Verbesserungsbedarf. Wichtig ist eine stärkere Einbeziehung der Länder die für den Großteil aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Experten fordern die Entstehung von Emissionsmärkten nach marktwirtschaftlichen Prinzipien und die Einrichtung eines wesentlich höheren Budgets für Forschung und Entwicklung bei der Energieeffizienz und der Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen. Eine drastische Reduzierung der Emission von Treibhausgasen muss allerdings auf allen Ebenen zugleich stattfinden, also global ebenso, wie auch auf Ebene der Länder, Kommunen und Individuen. Letzteres wird vor allem durch unser Verhalten und unseren Lebensstil beeinflusst. Der Weltklimarat IPCC sagt in seinem 4. Sachstandsbericht bis 2030 eine Zunahme des Kohlendioxidausstoßes von 80 % gegenüber heute voraus. Der höchste Zuwachs wird im Personenverkehr erwartet, wobei die entwickelten Länder den Hauptanteil stellen. Umweltfreundliche Alternativen zum Flugzeug und Auto sind Bahn- und insbesondere Fernbusreisen. In einer Studie des Bundesumweltamtes wurden die Schadstoffemissionen (Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe, Stickoxide, Partikel) einzelner Verkehrsträger verglichen. Das Benzinäquivalent bei typischer Auslastung beträgt beim PKW 6,2,

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prioritäre Ursachenbekämpfung des Klimawandels beim Flugzeug 5,8, bei der Bahn im Nahverkehr 4,8 und im Fernverkehr 2,7, beim Linienbus 3,3 und bei einem Reisebus 1,4 Liter pro 100 Kilometer und Person. In dieser Statistik sind jedoch nur die direkten Energiekosten des Transportes berücksichtigt. Zum sogenannten Primärenergieverbrauch zählen auch Faktoren wie zum Beispiel die Erhaltung der Transportwege und -mittel, der Anfahrts- sowie der Schienenumweg, Herstellungskosten des Treibstoffes und Energieverluste bei

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der Herstellung der Elektrizität. Doch auch unter Berücksichtigung aller direkten und indirekten Kosten bleiben Schienen- und Busverkehr die umweltfreundlichen Alternativen zu PKW und Flugzeug. Doch nicht nur auf dem Transportsektor kann die CO2-Emission durch individuelle Entscheidungen verringert werden. Eine der Haupt-Quellen für das in die Atmosphäre gelangendes CO2 sind Haushalte, die über eine schlechte Energieeffizienz verfügen. Durch unwirksame oder veraltete Wärmedämmung verbrauchen diese ein Vielfaches der eigentlich benötigten Energieressourcen. Die Sanierung maroder Gebäude und zusätzliche Wärmeisolierung eignen sich hier als effektive Gegenmaßnahmen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Umstellung von fossilen auf regenerative Energieträger, bzw. der weitere Ausbau dieser Energiequellen auch durch die Industrie. Aber auch die sogenannten »kleinen Momente des Lebens« machen einen Unterschied, also alle individuellen Maßnahmen, die helfen Energie einzusparen. Das kann das Benutzen eines Fahrrads anstelle eines Autos sein, das Sparen von Strom im Haushalt oder das häufige Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel und vieles mehr...

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Managementmaßnahmen zur Stärkung von Korallenriffen

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Eine wichtige Möglichkeit Korallen gegen den fortschreitenden Klimawandel stark zu machen, ist ihnen den Rücken frei zu halten, also sie vor allen weiteren schädigenden Faktoren zu schützen. Das heißt sie hauptsächlich von den Stressfaktoren zu befreien denen sie durch uns Menschen ausgesetzt sind, wie Überfischung, dem Eintrag von anorganischen Nährstoffen aus der Landwirtschaft und mechanischer Zerstörung. Hier hat sich gezeigt, dass sich Korallenriffe in gut kontrollierten marinen Schutzgebieten (Marine Protected Areas, MPAs), insbesondere in solchen mit vollständigem Entnahmeverbot (No Take Areas, NTAs), schneller von katastrophalen Ereignissen wie ausgedehnten Korallenbleichen erholen, als in ungeschützten Bereichen. Die möglichen Instrumente zur generellen Stärkung von Korallenriffen schließen neben der Einrichtung und wirksamen Kontrolle von marinen Schutzgebieten auch Maßnahmen der Küstenentwicklung und des Küstenmanagements mit ein. Hier sind neben der Errichtung von Kläranlagen auch die Erhaltung eines Puffergürtels von Küstenwäldern und bzw. Mangroven wichtig, um von Land stammende Sedimente zurückzuhalten, das oft in großen Mengen ins Meer eingetragen wird. So werden Korallen in küstennahen Gebieten nicht nur durch absinkende Schlammpartikel selbst, sondern auch durch die dadurch hervorgerufene Wassertrübung geschädigt. Die reduzierte Lichtverfügbarkeit bewirkt, dass die betroffenen Korallen durch die Erhöhung der Zooxanthellenanzahl bzw. der Pigmentkonzentration dunkler werden. Nun wird Lichtenergie viel stärker absorbiert, so dass sich eine nachweislich höhere Temperatur von bis zu 1,5° C über den dunkleren küstennahen Korallen ergibt. Genau dies kann den Unterschied ausmachen und dann zu einer Korallenbleiche führen. Insofern können entsprechende Küstenentwicklungsmaßnahmen sogar zu einer Prävention bzw. Abschwächung der temperaturausgelösten Korallenbleiche führen.

Marine Schutzgebiete Meeresschutzgebiete (Marine Protected Areaes – MPAs) sind eine wirkungsvolle Maßnahme um Stressfaktoren zu vermindern und Rückzugsmöglichkeiten zu bieten. Dabei ist jedoch auch die Qualität des Schutzes, vor allem die rechtliche Umsetzung und die dadurch ermöglichte Kontrolle sehr wichtig. Die durch MPAs geschützte Korallenrifffläche ist bisher bei weitem zu klein, um deren Biodiversität und assoziierte Fischbestände zu sichern. MPAs können nicht nur die Ökosysteme innerhalb ihrer Grenzen schützen, sondern darüber hinaus auch die Artenvielfalt in benachbarten Lebensräumen steigern. Vor der Errichtung eines MPAs sind immer drei Fragen zu beantworten: »Wo?«, »Warum?« und »Wie?«. Die ersten beiden Fragen sind oft einfach zu beantworten, da es eine große Anzahl von Meeresgebieten gibt, die aus sehr vielen verschiedenen Gründen den Schutz dringend benötigen. Die Beantwortung

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abgetaucht der Wie-Frage wirft Probleme auf, insbesondere in tropischen Entwicklungsländern. In diesen Regionen ist die Errichtung und Aufrechterhaltung von MPAs oft ein schwieriges Unterfangen. In den meisten Fällen mangelt es an der öffentlichen Unterstützung und der Einhaltung von festgelegten Regeln, aber oft auch an Kontrolle wegen mangelndem Personal. Gebiete nur für geschützt zu erklären reicht dabei oft nicht aus, da in der Regel die lokale Bevölkerung auf die Nutzung der Ressourcen eines Riffgebietes angewiesen ist. MPAs funktionieren wesentlich besser, wenn die ansässige Bevölkerung von Anfang an in die Planung und Einrichtung mit einbezogen wird (z.B. durch das sogenannte Integrierte Küstenzonenmanagement). Dies ist insbesondere wichtig, um Verantwortungsgefühl für die Ressource Korallenriff und damit auch eine nachhaltige Nutzung zu erzielen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die notwendigen wissenschaftlichen, finanziellen und logistischen Kapazitäten vorhanden sind, was in Entwicklungsländern oft nicht der Fall ist. Insbesondere die Schaffung von alternativen Einkommensquellen (z.B. im Bereich Ökotourismus) ist wichtig, um den Fischereidruck auf Korallenriffe zu reduzieren. xy Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen auch, wie wichtig es ist, das Konzept der MPA-Einrichtung durch die Schaffung von verbindenden Netzwerken aus MPAs zu verbessern. Dabei sind die schützenden Korallenriffareale so auszuwählen, dass ein Austausch von Korallenlarven möglich ist, damit die genetische Vielfalt erhalten bleibt. Mindestens ein Drittel der MPAs sollten darüber hinaus zu »No Take Areas« (NTAs) erklärt werden, damit zentrale Reservoirs entstehen, die die Regeneration von nicht oder nur schwach geschützten Nachbarriffen über zusätzliche Larvenproduktion unterstützen. Australien hat diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nun aufgegriffen und über die Fläche des gesamten Great Barrier Reefs das empfohlene NTA und MPA-Netzwerk eingerichtet. Im Juli 2004 wurden im Rahmen einer Neuzonierung der Schutzgebiete die NTA-Gebiete von weniger als 5 % auf über 33 % der Gesamtfläche ausgedehnt. Auch der pazifische Inselstaat Palau ist den wissenschaftlichen Empfehlungen gefolgt und hat ein Netzwerk aus MPAs geschaffen, die ein Drittel der Küstenflächen abdecken. Daneben hat sich in den letzten Jahren eine wissenschaftliche und auch politische Diskussion bezüglich einer Schutzpriorität von Korallenriffen nach bestimmten Kriterien entwickelt, z.B. die Höhe der Biodiversität. Im Gespräch sind auch Pläne, sogar einzelne besonders stressresistente Korallenarten, die eine hohe natürliche Widerstandsfähigkeit (resilience) gegen die Konsequenzen des Klimawandels aufweisen, unter möglichst weitgehenden Schutz vor anderen Stressfaktoren zu stellen. Auch könnten ganze Riffe nach solchen »Widerstandskriterien« unter Schutz gestellt werden: Zum Beispiel ständig beschattete oder strömungsexponierte Riffe (siehe unten) oder subtropische Riffe in höheren geographischen Breiten (z.B. Japan und Rotes Meer), die aufgrund ihrer Lage zumindest von Meereserwärmung und Korallenbleiche weniger betroffen sind als die tropischen Riffe. Ein Schutz weniger Arten, der eine große Zahl von tropischen

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Korallen und deren assoziierte Lebensgemeinschaften ausschließt, ist jedoch in der Wissenschaft umstritten. Er könnte zu einer deutlichen Verringerung der Vielfalt führen und damit eine Verarmung an genetischem Material bedeuten. Darüber hinaus wäre eine veränderte Artenzusammensetzung in Korallenriffen zu erwarten, die letztlich zu einer verminderten Widerstandsfähigkeit des gesamten Ökosystems gegen äußere Stressfaktoren führen könnte. Expertenschätzungen gehen davon aus, dass der ökonomische Wert von Korallenriffen zwischen 100.000 und 600.000 $ pro Quadratkilometer und Jahr beträgt. Dem gegenüber stehen die Kosten für den Schutz, die für das MPA-Management auf 775 $ pro Quadratkilometer und Jahr geschätzt werden, also weniger als 1 % des ökonomischen Wertes. Das Einrichten von MPAs für Korallenriffareale ist also nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll.

Direkte Maßnahmen zur Bekämpfung xy

der Klimaveränderungseffekte auf Korallenriffe Vor allem dort wo massives wirtschaftliches Interesse (Tourismus) an intakten Korallenriffen besteht, wird auf lokaler Ebene mit einigen ungewöhnlichen direkten Lösungsansätzen für die Konsequenzen der Klimaveränderung experimentiert. Dazu wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Korallenbleiche genutzt. Wie oben beschrieben, ist neben der erhöhten Wassertemperatur auch die UV-Strahlung ein wichtiger, auslösender Faktor. Auf dem Markt sind UV-absorbierende Plastiknetze erhältlich, die an Stelzen oder Schwimmplattformen befestigt, über ausgewählte Korallenriffareale gespannt werden. Getestet wurde das Verfahren in unmittelbarer Nähe einer von Schnorcheltouristen intensiv genutzten Schwimmplattform im australischen großen Barriere Riff über den Zeitraum von zwei Jahren. Erste Untersuchungen zeigten, dass die Korallenbleiche unter der Abdeckung tatsächlich schwächer ausgefallen war als außerhalb. Eine 2004 getestete alternative Technik, die Besprühung mit Meerwasser, verspricht eine Minderung der Sonneneinstrahlung durch Kräuselung der Meeresoberfläche und der daraus resultierenden stärkeren Reflexion des Lichtes. Starke Wasserströmungen können das Ausbleichen von Korallen verhindern oder abschwächen. Es gibt daher Gedankenspiele, die die Installation von strömungserzeugenden Anlagen wie Turbinen im Riff vorsehen. Hier scheint aber neben der direkten Riffschädigung bei der Installation auch insbesondere der hohe Energiebedarf für den Betrieb der Turbine problematisch zu sein, so ein negativer Beitrag zur Klimaveränderung geleistet wird, um eines ihrer Symptome zu bekämpfen. Darüber hinaus werden Maßnahmen diskutiert, nach intensiven Ausbleichungsereignissen, großflächig hitzeresistente Korallensymbionten (siehe obige Beschreibung der Adaptive Bleaching Hypothese) in Riffen auszubringen, um bereits gebleichte Korallen mit diesen zu versorgen und damit widerstandsfähiger gegen

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Abb.13: Sonnenschutz für Korallen: Schwimmende UV-absorbie-

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rende Netze vermindern die Korallenbleiche.

Internationale Schutzinstrumente für Korallenriffe Auf internationaler Ebene existieren mehrere Vereinbarungen und Programme unter dem Dach der Vereinten Nationen und der »World Conservation Union« (IUCN), die den Riffschutz betreffen. Weltweit sind durch die IUCN 1.300 ausgewählte Meeresgebiete ausgewiesen, einschließlich 400 Korallenriffen in 65 Ländern. Weitere 55 Areale mit Korallenriffen wurden im Rahmen von drei UN-Instrumenten, der »Weltkulturerbe-Konvention«, dem »Mensch und Biosphärenreservate (MAB)«-Programm und der »Ramsar Konvention für Feuchtgebiete«, unter besonderen Schutz gestellt. Diese Instrumente haben den Vorteil, dass hier neben dem weitgehenden Schutz der betroffenen Areale auch oft ein großes Maß an Aufmerksamkeit für die Schutzwürdigkeit und Verantwortungsbewusstsein in der ansässigen Bevölkerung erreicht wird. Es ist daher wünschenswert, dass weit mehr Korallenriffareale als bisher ausgewiesen werden. Seit 2005 existiert mit dem »Coral Reef Targeted Research & Capacity Building for Management Programm« (CRTR) ein weiteres internationales Korallenprogramm, das darauf abzielt, ganz bestimmte wissenschaftliche Erkenntnislücken zu füllen, und diese dann gezielt in Managementstrategien umzusetzen. Dieses zum Großteil von der Global Environmental Facility (GEF) finanzierte und von den Vereinten Nationen unterstützte Programm besteht aus 6 internationalen Expertengruppen, die an 4 Zentren in Mexico, Australien, Tansania und den Philippinen an Forschungsprojekten arbeiten. Dabei besteht eine enge Kommunikation zur internationalen Staatengemeinschaft, denen die erarbeiteten Ergebnisse als Entscheidungsgrundlagen zugänglich gemacht werden.

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erneute Temperaturerhöhungen zu machen. Da eine solche direkte Maßnahme aber einen unabsehbaren Eingriff in das sensible Gefüge des gesamten Ökosystems darstellt, und damit die sofortigen und zukünftigen Auswirkungen nicht einzuschätzen sind, sollte von solchen Maßnahmen genauso wie von Genmanipulationen an Koralle und/oder Zooxanthellen abgesehen werden.

Wiederaufforstungsprojekte für geschädigte Riffe

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Durch die direkte Verpflanzung junger, gesunder Korallenkolonien aus intakten Riffen auf unter Wasser installierten Betonstrukturen kann die Regenerationswahrscheinlichkeit geschädigter Riffe erhöht werden. Diese lokal begrenzte Methode wird bereits in einigen betroffenen Gebieten (z.B. bei Tsunami- und Ankerschäden oder Tourismuszentren) in verschiedenen Formen angewendet. Dabei existieren sowohl vereinfachte Varianten (z.B. quaderförmige Betonblöcke), als auch besonders an die Riffstruktur angepasste Konstruktionen (z.B. »Reef Balls«), deren Produktion und Installation einen hohen finanziellen Aufwand benötigen. Desweiteren wurde eine elektrochemische Methode entwickelt, die dazu dient, im Riff versenkte Metallstrukturen (z.B. Gitternetze) durch Anlegen eines leichten elektrischen Stroms mit einer Kalkschicht zu überziehen (s. auch Artikel Schuhmacher). Dabei bewirkt der Strom eine verstärkte Abscheidung von Kalk aus dem Meerwasser, der sich in der Folge auf der Metallstruktur ablagert und somit neue Ansiedlungsflächen für Korallenlarven bietet (soweit vorhanden), aber auch verpflanzten Korallenkolonien zum beschleunigten Wachstum verhelfen sollte. Auch das Versenken von Schiffwracks als künstliche Ansiedlungsflächen und Lebensräume für Meeresbewohner hat in den letzten Jahrzehnten vermehrt Anwendung gefunden. Das Einbringen dieser künstlichen Riffstrukturen wird in ihrer Gesamtheit der Öffentlichkeit als durchaus praktikable Maßnahme vermittelt. Neben den positiven Eigenschaften sind dabei jedoch auch die hohen Kosten der Produktion und Installation (z.B. bei »Reef Balls«) und die Ungewissheit der Einträge von chemischen Schadstoffen (bei Schiffswracks) zu beachten. Im Moment vertreten vielen Wissenschaftler den Standpunkt, dass sich künstliche Riffstrukturen nicht zum völligen Wiederaufbau von Korallenriffen eignen, und eher eine Art Symptombehandlung darstellen als eine nachhaltige Maßnahme zur Rettung von Korallenriffen.

Gedankenspiele zur direkten Beeinflussung des Weltklimas Schon vor zwanzig Jahren gab es den Vorschlag, durch eine gezielte Andüngung eine Algenblüte im Meer zu verursachen, die bei der Bindung des Kohlendioxides helfen und so den Treibhauseffekt mindern sollte. Doch die Rolle, die Algen bei der Bindung von Kohlendioxid zukommt, ist nach neuen Untersuchungen deutlich gerin-

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Christian Wild et al.

ger als bisher angenommen. Zudem wird das zunächst fixierte Kohlendioxid über die Nahrungskette wieder den Weg in die Atmosphäre finden und daher nicht langfristig dem globalen Ökosystem entzogen. Wissenschaftlern gelang es zu zeigen, dass Dimethylsulfid (DMS), ein schwefelhaltiges Stoffwechselprodukt von Mikroalgen im Meer, in der Atmosphäre als Kondensationskern für die Wolkenbildung wirken kann. Mit Hilfe eines Modells wurde errechnet, dass eine durch künstliche Düngung von Phytoplankton erreichbare 30%ige Erhöhung der vorhandenen Menge an DMS über der Meeresoberfläche die globale Oberflächentemperatur um 1.3º C verringern könnte. Die Autoren geben aber selbst zu bedenken, dass die Prozesse des Modells nicht vollständig erforscht seien, und solche Schätzungen somit nicht als Patentrezept gegen Klimaerwärmung gesehen werden dürfen. Tatsächlich ist nicht sicher, ob ein solcher Mechanismus mittels negativer Rückkopplung einer Erderwärmung entgegenwirkt, oder diese sogar verstärkt.

Fazit

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Faktoren wie die Ansäuerung und Erwärmung der Ozeane bedrohen Korallenriffe in drastischer Weise. Die Konsequenzen der globalen Klimaveränderung sind aber kaum auf direktem Wege zu bekämpfen. Direkte Maßnahmen sind allenfalls von lokaler Brauchbarkeit und stellen letztendlich auch nur ein Kurieren an den Symptomen des Klimawandels dar. Höchste Priorität muss dem Zustandekommen, der Verbesserung und der rigorosen legislativen Umsetzung von internationalen Klimaschutzvereinbarungen eingeräumt werden. Daneben gibt es aber auch eine ganze Reihe von individuellen Maßnahmen, die die Emission von CO2 wirksam reduzieren. Die Gesamtheit solcher Verhaltensänderungen kann den Unterschied ausmachen und befähigt jeden einzelnen zur Verminderung des Klimawandels beizutragen. Für den unmittelbaren Schutz von Korallenriffen gegen die bereits stattfindenden und nicht mehr aufzuhaltenden Konsequenzen der Klimaveränderung bieten sich alle Maßnahmen an, die geeignet sind, Riffe grundsätzlich stärker zu machen, indem sie möglichst weitgehend befreit werden von allen weiteren direkt vom Menschen verursachten Stressfaktoren. Dabei ist die Ausweisung und Verbesserung von marinen Schutzgebieten unter möglichst weitgehender Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft von ganz zentraler Bedeutung. Eine solche Strategie fördert nachweislich die Regenerationsfähigkeit von Korallenriffen wie eine ganze Reihe von Positivbeispielen gezeigt hat. Und das ist das Entscheidende: Wir wissen nicht erst durch Beobachtungen nach ausgedehnten Korallenbleichen und nach dem Tsunami von 2004, dass Korallenriffe sich gut von Katastrophenereignissen erholen können. Wir sollten ihnen die Möglichkeit dazu geben und sofort anfangen zu handeln.

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Korallen als Ingenieure von Warmund Kaltwasserriffen

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Christian Wild & Carin Jantzen Ein Leben im Überfluss, ein Meer aus Formen und Farben, so muss Jacques Cousteau, dem berühmten französischen Meeresforscher, die Welt der Korallenriffe vor 50 Jahren erschienen sein. Und so kann sie sich uns auch heute noch zeigen, nur leider nicht mehr in dem Überfluss wie früher, denn knapp ist der Lebensraum Riff geworden. Noch geheimnisvoller erscheint uns die Welt der Kaltwasserkorallen, in den Tiefen der Meere gelegen, in einer Tiefe in der ewige Dunkelheit herrscht. Nutzen wir also die Chance etwas über diesen vielfältigen Lebensraum zu erfahren bevor er möglicherweise früher zerstört ist als uns lieb ist. Wir beginnen erst allmählich zu begreifen, welche Schlüsselrolle dabei den Korallen selbst zu kommt, indem sie es sind die das Funktionieren eines Riffs entscheidend beeinflussen, und so kann man sie auch die Ingenieure ihres Riffökosystems nennen. Drei wichtige Aufgaben kommen ihnen dabei zu, die im Folgenden vorgestellt werden sollen:

Schaffung komplexer Lebensräume Wo eine große Komplexität an Lebensräumen herrscht, kann sich eine große Vielfalt an Organismen ansiedeln. Korallen erreichen durch die Kalkstrukturen, die sie aufbauen, genau das, nämlich eine dreidimensionale, komplexe Raumstruktur. Diese bietet dann Lebensraum für eine großen Anzahl verschiedenster Organismen. Sehr unterschiedlich gebaute Kalkstrukturen im Riff erhöhen die Verfügbarkeit von sogenanntem Hartsubstrat. Solche Oberflächen sind aufgrund ihrer Stabilität Grundvor-

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Korallen als Ingenieure von Warm- und Kaltwasserrif fen

aussetzung für das Ansiedeln von festsitzenden Lebewesen (und davon gibt es eine faszinierende Fülle im Tier- aber auch Pflanzenreich), die keine Überlebenschance auf sandigen oder schlammigen Untergrund haben. Diese instabilen Böden sind infolge von Strömungen, Turbulenzen oder tierischer Aktivität (z.B. grabende Sanddollar) ständig in Bewegung. Besonders wichtig ist dabei, dass das Wachstum von Korallen in Höhe, Breite und Tiefe geht, also dreidimensional ist, wogegen die neben Korallenriffen vorkommenden sandigen oder schlammigen Flächen des Meeresbodens nur zweidimensional ausgerichtet sind. Vor allem durch den Höhenwuchs entstehen Bereiche innerhalb der Kalkstrukturen, die sehr unterschiedlichen äußeren Bedingungen ausgesetzt sind. Man kann sich beispielsweise vorstellen, dass Welleneinfluss sich viel stärker auf die höher gelegenen Skelettelemente auswirkt als auf die in der Nähe des Meeresbodens gelegenen. Andersherum sind die unteren Bereiche aber stärker durch aufgewirbeltes Sediment (z.B. durch Wellen- oder Tierbewegung) beeinflusst. In gleicher Weise sind unterschiedliche Riffabschnitte durch weitere äußere Faktoren, wie z.B. die Lichtverfügbarkeit und Strömungsausrichtung und -stärke geprägt, welche das Wachstum von bestimmte Organismen fördern oder hemmen können. Es ist bekannt, dass eine solche Fülle an Kleinstlebensräumen (Habitatdifferenzierung), die Spezialisierung und damit die Vielfalt (Biodiversität) der

Abb.1: Komplexe Warmwasserriffstruktur gebildet von einer Vielzahl von zweigbildenden Geweihkorallen der Gattung Acropora im südlichen Great Barrier Reef, Australien


Christian Wild & Carin Jantzen

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Abb.2a: Beispiel für komplexe Kaltwasserriffstruktur gebildet von den Steinkorallen Lophelia pertusa und Madrepora oculata im Røst Reef, Nordnorwegen

tierischen und pflanzlichen Lebewesen fördert. Von Warmwasserkorallenriffen wissen wir, dass sie zusammen mit den tropischen Regenwäldern die Lebensräume mit der höchsten Biodiversität auf unseren Planeten darstellen. Aber auch die weniger bekannten Kaltwasserkorallen, die typischerweise in einer Wassertiefe von mehreren Hundert Metern leben, sind Ingenieure ihrer Umgebung. Die eintönige, artenarme 2-dimensionale schlammige Oberfläche des Meeresbodens der Tiefsee verwandeln sie in eine komplexe 3-dimensionale Riffstruktur mit einer großen Besiedelungsoberfläche und verschiedenen Lebensräumen, die eine hohe Abwechslung an Lebensbedingungen bieten. Wir wissen, dass auch hier die tierische Biodiversität extrem hoch ist. Nun haben wir erste wissenschaftliche Beweise, dass dies auch für die dort lebenden Mikroorganismen zutrifft. Die untersuchten, von Korallen geschaffenen Lebensräume, ihre Skelettoberfläche und der von ihnen produzierte Schleim (siehe unten), zeigen eine deutlich erhöhte Vielfalt an Mikroorganismen im Vergleich zum Umgebungssediment und -wasser. So leisten auch Kaltwasserkorallenriffe, wie ihre Verwandten im Warmwasser, einen bedeutenden Beitrag zur globalen Biodiversität.

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Korallen als Ingenieure von Warm- und Kaltwasserrif fen

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Schaffung komplexer Lebensräume Korallenriffe sind als Konzentrationspunkte für alle möglichen Lebewesen bekannt, entsprechend zu »Oasen in der Wüste«, da sie in extrem nährstoffarmen Bereichen des Weltozeans liegen. Wie diese beiden Gegensätze zusammen kommen hat schon Charles Darwin fasziniert und ist auch als das Darwinsche Paradoxon berühmt geworden ist. Wie kann ein Lebensraum, der so arm an Nährstoffen ist eine solche Fülle an Leben hervorbringen? Die Antwort scheint simpel: Das Riffökosystem verfügt über Mechanismen, die die wenigen Nährstoffe im System halten und dort effektiv wiederverwerten, um sie für die Bildung von neuem Leben zur Verfügung zu stellen. Auch hierbei kommt wieder den Korallen eine wichtige Rolle zu. Sie geben ständig organisches Material in Form von gel-artigen Schleimen ab. Dieser Schleim ist so klebrig, dass er sofort weitere Partikel aus dem Wasser (zum Beispiel kleine Krebse) »einfängt«. Schließlich sinkt er zu Boden, wird durch die Mikroorganismen im Sediment abgebaut, und die Nährstoffe stehen dann dem Riff wieder zur Verfügung. Korallen steuern über die Abgabe von organischem Material also wichtige mikrobielle Prozesse, regen Stoffkreisläufe über die verschiedenen Bereiche des Riffökosystems an und tragen so zum Recycling und zum Erhalt der begrenzten Nährstoffe bei. Forschungsarbeiten an Warmwasserkorallen im Australischen Great Barri-

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Abb.2c: Beispiel für komplexe Kaltwasserriffstruktur gebildet von den Steinkorallen Lophelia pertusa und Madrepora oculata im Røst Reef, Nordnorwegen


Christian Wild & Carin Jantzen

Abb.3: Frisch abgegebene Schleime über Geweihkorallen im Great Barrier Reef

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er gezeigt, dass täglich bis zu knapp 5 l an Schleim pro Quadratmeter Riffoberfläche abgegeben werden können. Ein Grossteil dieser gewaltigen Menge an organischem Material geht sofort in Lösung, dient als Nahrung für eine Vielzahl von Mikroorganismen im Riff und wird so durch Bakterien (über die sogenannte »mikrobielle Schleife«) den höheren Glieder der Nahrungsketten zugänglich gemacht. Ungefähr ein Drittel des abgegeben Schleimes geht jedoch nicht in Lösung, sondern bildet Aggregate, die oft als Schleimfäden oder –netze an den Korallen zu sehen sind. Gezeitenströmungen und Wellenbewegung führen zu einem schnellen Abtransport der Schleimaggregate von den Korallen, so dass diese im Riffwasser treiben. Dabei passiert etwas ganz Entscheidendes: Alle möglichen, driftenden Partikel aus der Wassersäule, z.B. das Zoo- und Phytoplankton (im Wasser schwebende, kleine Tiere und Pflanzen) sowie Teile von abgestorbene Organismen heften sich an die klebrige Schleimoberfläche an und erhöhen so den Gehalt an organischem Material. Das enthält neben Kohlenstoff auch die die wichtigen Elemente Stickstoff und Phosphor, die in den sehr nährstoffarmen tropischen Korallenriffen oft mangelhaft vorhanden sind. An die klebrige Oberfläche der Korallenschleimaggregate binden aber natürlich auch anorganische Partikel, insbesondere kleine Sandkörnchen, die sich nicht am Meeresboden abgesetzt haben. Dies führt dazu, dass sich das Gewicht der schlei-

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Korallen als Ingenieure von Warm- und Kaltwasserrif fen


Christian Wild & Carin Jantzen Abb.4: Synchronisierte Massenabgabe von Eiern und Spermien durch Hartkorallen im Australischen Great Barrier Reef

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migen Aggregate erhöht und diese dann rasch auf das Sediment in der Rifflagune absinken können. Dort finden schnelle biologische Abbauprozesse durch Tiere und Mikroorganismen statt, so dass aus organischem Material sogenannte regenerierte Nährstoffe entstehen, also Komponenten wie Ammonium, Nitrat und Phosphat. Diese werden für jegliches neues pflanzliches Wachstum benötigt und finden so Eingang in die Nahrungsketten des Riffs. Damit ist der Kreislauf abgeschlossen, der bei den Korallen und ihrem abgegeben Schleim angefangen hat. Korallenschleim funktioniert also als Energieträger und Partikelfalle. Man kann sich vorstellen, dass ein solcher Mechanismus eine wichtige ökologische Funktion erfüllt: Organisches Material mit den eingeschlossenen Mangelelementen wird im Riffökosystem gehalten. Und gleichzeitig kann durch die beschriebene »Schleimfalle« auch Material aus dem Umgebungswasser, das normalerweise einfach über das Riff hinweg geströmt wäre, für die Riffgemeinschaft gewonnen werden. Insofern stellt die Abgabe von Schleimen durch Warmwasserkorallen weniger einen Verlust von organischem Material und Nährstoffen dar, als vielmehr einen Mechanismus, um die für Korallenriffe typische hohe Produktivität zu ermöglichen.

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Chemisch gesehen bestehen die genannten Schleime aus Kohlenhydratkomplexen mit Protein- und Fettanteilen (Lipiden). Die Zuckerzusammensetzung deutet darauf hin, dass die von den Korallen abgegebenen Schleime zu einem großen Teil aus photosynthetisch erzeugten Stoffwechselprodukten bestehen, die die Korallen vorher von ihren symbiotischen, einzelligen Algen bekommen haben. Diese Algen, üblicherweise als Zooxanthellen bezeichnet, besiedeln das Innere der Korallen, ihr Gewebe, in großen Dichten. Sie können über eine Millionen Zellen pro cm² Korallenoberfläche erreichen.

Abb.5: Schleimfäden zwischen einer großen Geweihkoralle im nördlichen Roten Meer

Spielen also solche von Korallen stammende Schleime auch in Kaltwasserkorallenriffen eine Rolle? Inzwischen wissen wir, dass Kaltwasserkorallen ähnliche Mengen an organischem Material wie Warmwasserkorallen in das Umgebungswasser abgeben können. Dies ist verwunderlich, da eben von den Warmwasserkorallen bekannt ist, dass die Grundbausteine des abgegebenen organischen Materials, insbesondere Zucker, hauptsächlich aus der Photosynthese der in ihrem Gewebe lebenden Zooxanthellen kommen. Aber Kaltwasserkorallen besitzen diese Symbionten wegen des mangelnden Lichts nicht. Es scheint also vieles darauf hinzudeuten, dass die Abgabe von Schleimen durch Korallen ein durchgängig verbreiteter Mechanismus ist, um bestimmte ökologische Funktionen zu erfüllen. Denkbar wären hier der Schutz vor Mikroorganismen, die versuchen sich auf der Korallenoberfläche anzusiedeln (das sogenannte »Biofouling«), dem Schutz vor absinkenden Teilchen (dem »Zusanden«) und ein möglicher Beitrag zu Nährstoffrecyclingprozessen. Schleime, die von Kaltwasserkorallen produziert werden, enthalten relativ viel Stickstoff und sind ein attraktives Futter für Bakterien, so dass sie als Transportmittel von Energie und Nährstoffen zwischen Korallen und Mikroorganismen auftreten. Es gibt also ein

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Korallen als Ingenieure von Warm- und Kaltwasserrif fen

Abb.6: Flecken aus kalkigem Sand in einem Saumriff des

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nördlichen Roten Meers

sehr intensives Zusammenspiel zwischen der Tierwelt und den Mikroorganismen in Kaltwasserkorallenriffen. Untersuchungen dazu wurden am Røst Riff, dem größten bisher entdeckten Kaltwasserkorallenriff vor der Nordküste Norwegens durchgeführt. Dabei wurde die mikrobielle Aktivität im Wasser direkt über dem Riff gemessen, und es scheint, dass das Riff neben der mikrobiellen Vielfalt auch die Aktivität der Mikroorganismen fördert. Wir nehmen an, dass der Grund dafür das von Korallen abgegebene organische Material ist, welches sich zum Grossteil im Wasser löst und so sehr schnell über den Weg der Bakterien zu höheren Gliedern der Nahrungskette gelangen kann. So stehen auch Kaltwasserkorallen in dieser Hinsicht ihren Verwandten des Warmwassers in nichts nach. Doch neben den genannten Schleimen geben Korallen auch andere Arten von organischem Material ab. So wurde festgestellt, dass von Korallen stammendes gelöstes organisches Material das Wachstum von Kleinstplankton (das sogenannte Pico- und Nanoplankton) im Wasser anregen kann, und so Energie von den Korallen zu den Mikroorganismen trägt, also wieder eine Wechselwirkung zwischen Tierwelt und Mikroorganismen ermöglicht. Daneben gibt es in vielen Warmwasserkorallenriffen (und möglicherweise auch in Kaltwasserkorallenriffen) noch ein weiteres Phänomen, das durch die Abgabe großer Mengen an organischem Material die Prozesse im Riffe beeinflusst. Das sogenannte „Coral Spawning“, die synchronisierte, geballte Massenabgabe von Spermien und Eizellen durch Korallen während einer oder weniger Nächte im Jahr. Hier wissen wir inzwischen, dass durch das Coral Spawning eine ganze Kaskade von Prozessen im Riff ausgelöst wird, die letztendlich auch wieder zu einem sehr schnellen Recycling eines Teils des abgegebenen organischen Materials, insbesondere die unbefruchteten Eier und überflüssigen Spermien, führen.

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Christian Wild & Carin Jantzen

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Abb.7: Benthische Kammern werden eingesetzt, um den Stoffwechsel der Mikroorganismen

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im Sand zu untersuchen

Kalkfällung und Einfluss auf die Sediment-Wasser Kopplung Korallen gelten zu Recht als die Baumeister der Meere. Durch die Fällung von Kalk (die Kalzifizierung) in Ihrem Gewebe bauen sie mit Wachstumsraten von wenigen Millimetern bis zu 20 Zentimetern im Jahr Skelette auf, die in ihrer Gesamtheit die schon erwähnten beeindruckenden Riffstrukturen bilden. Aber auch andere Lebewesen der Korallenriffe wie Rotalgen, Muscheln, Schnecken und Seeigel fällen große Mengen Kalk für ihre Skelette aus Diese Kalkfällung beeinflusst die Sedimente innerhalb der Riffe, denn der Tod der kalzifizierenden Organismen und die folgende Erosionsprozesse führen dazu, dass der Meeresboden innerhalb der Korallenriffe fast ausschließlich von den, für Korallenriffe typischen, Kalksanden bedeckt ist. Diese Sande zeichnen sich durch eine recht hohe Korngröße aus, und eine Vielzahl von im Boden lebenden Tieren, wie zum Beispiel Würmer, Krebse und Schnecken, sorgen dafür, dass diese groben Sande auch locker bleiben. Das führt dazu, dass die Riffsande eine hohe Durchlässigkeit für Wasser, also eine hohe Permeabilität besitzen. Unter bestimmten Strömungsverhältnissen kann so relativ viel Wasser durch diese Sande fließen. Entsprechende Strömungsverhältnisse, sind typischerweise in flach vorkommenden Warmwasserkorallenriffe durch Tidenströmungen gegeben und treten in den tiefen Kaltwasserkorallenriffen durch bodennahe Tiefenströmungen auf. Ebengerade diese Strömungen und durch Wellen verursachten Wasserverwirbelungen in Warmwasserkorallenriffen sind übrigens auch dafür verantwortlich, dass die Durchlässigkeit der Korallensande nicht mit der Zeit abnimmt, indem sie dass Ab-

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Korallen als Ingenieure von Warm- und Kaltwasserrif fen

sinken kleiner Partikel verhindern und so ein »Verbacken« des Sandes unterbinden. All diese Faktoren führen letztendlich dazu, dass riesige Mengen an Meerwasser mit all den darin befindlichen Bestandteilen ständig durch die Riffsande gepumpt werden. Schätzungen für das Plattformriffökosystem Heron Island im südlichen australischen Great Barrier Reef zeigen, dass jeden Tag ein Sechstel des gesamten Lagunenwassers durch die Riffsedimente gepumpt werden. Die im Wasser befindlichen Partikel werden dabei von den Sandkörnern zurückgehalten und bleiben im Sediment hängen. Ergänzende Untersuchungen haben gezeigt, dass besonders viele Bakterien auf den kalkigen Riffsanden leben, weil diese im Vergleich zu Sanden anderer Mineralzusammensetzung (Silikat) ähnlicher Korngröße keine glatten Oberflächen aufweisen, sondern eine Vielzahl von Vertiefungen und Kanäle besitzen. Das führt zu einer starken Vergrößerung der Oberfläche, die als Ansiedlungsfläche für Mikroorganismen wie Bakterien dient. Die meisten dieser auf den kalkigen Riff-sanden lebenden Bakterien sind speziell dazu ausgestattet organisches Material abzubauen, das ihnen ständig durch den oben beschriebenen Filtrationsmechanismus zugeführt wird. Dabei entstehen wieder regenerierte, im Wasser gelöste Nährstoffe, die wichtig für neues Wachstum im Riff sind. Zusätzlich führt der erwähnte intensive Austausch zwischen Riffwasser und dem Porenwasser zwischen den Sandkörnern zu einem effektiven Abtransport solcher Endprodukte und beschleunigt so den Abbau von organischem Material enorm. Man kann die typischen kalkigen Riff-sande deswegen auch als sogenannte biokatalytische Filtersysteme bezeichnen. Interessante BeAbb.8: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines typischen kalkigen Riffsandkorns. Deutlich ist die enorme Oberflächenvergrößerung zu erkennen

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funde gibt es auch zu den Sedimenten der Kaltwasserkorallenriffe, die vor allem aus kalkigen, groben Korallenfragmenten bestehen. Auch hier gibt es eine Kopplung zwischen Wassersäule und den sehr durchlässigen (permeablen) Riffsedimenten, insbesondere auch wegen der oft starken Tiefenwasserströmung, die typisch ist für Kaltwasserkorallenriffe. Es scheint als würde das organische Material aus der Wassersäule in den oberflächlichen Sedimentschichten hauptsächlich über normale Sauerstoffatmung (ermöglicht durch eine große Endringtiefen von Sauerstoff wegen der hohen Sediment Durchlässigkeit) abgebaut und nicht über die eigentlich für Tiefseesedimente typischen, sauerstofffreien, sogenannten anaeroben, Prozesse.

Zusammenfassung Man kann also zusammenfassen, dass Warm- und Kaltwasserkorallen in dreierlei Hinsicht das ganze Riffsystem entscheidend prägen und modellieren: • Die Schaffung einer komplexen 3-dimensionalen Riffstruktur mit entsprechender Lebensraumgliederung (Habitatsdifferenzierung) und Auswirkungen auf die gene relle biologische Vielfalt (Biodiversität). • Die Abgabe von organischem Material und daraus resultierenden Stoffkreisläufen. Dies führt zu einem schnellen Nährstoffrecycling, was besonders essentiell für die nährstoffarmen Gewässer der Warmwasserkorallenriffe ist, sowie auch po tentiell für die Kaltwasserkorallenriffe der hohen Breiten, die wenig Nahrung aus der Wassersäule bekommen. • Die entscheidende Beeinflussung der Sedimentoberfläche durch Kalkskelett bil dung und nachfolgende Fragmentierung. Dies erhöht die Durchlässigkeit der Se dimentoberfläche und begünstigt die Kopplung zwischen Wassersäule und Sedi ment, also einen stark erhöhten Transport von Wasser und organischem Material aus der Wassersäule in die Sedimente. Diese können dann wegen ihrer Durchläs sigkeit und hohen Bevölkerungsdichte an Mikroorganismen als gigantische bio katalytische Filtersysteme wirken. Diese Befunde lassen natürlich einige Vergleiche zwischen den Ökosystemen Warmund Kaltwasserkorallenriff zu und illustrieren gleichzeitig die Komplexität der Prozesse und Zusammenhänge innerhalb der Korallenriffe, sowie die weitreichenden Rückkopplungseffekte falls eine Komponente in ihrer Funktion eingeschränkt ist. Vieles scheint von den Korallen selbst auszugehen, sie und nicht äußere Faktoren sind entscheidend für das Funktionieren des Ökosystems verantwortlich. Äußere Faktoren, insbesondere natürlich die durch den Menschen verursachten, können sich aber auf den Erhalt des gesamten Ökosystems auswirken. Das hätte schwerwiegende Auswirkungen, denn wir fangen erst an zu verstehen wie wertvoll Korallenriffe vor allem als Reservoir der biologischen Vielfalt aller marinen Organismengruppen und der begleitenden stofflichen Vielfalt sind.

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»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Riffe?

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Georg Heiss und Reinhold Leinfelder

Abb.1: Reef Check-Untersuchung an einem Saumriff in der Strasse von Tiran, Sinai, Ägypten. Ein Team von zwei Tauchern erfasst hier die Bodenbedeckung in 6 m Tiefe.

Seit nunmehr 10 Jahren ist die dramatische Bedrohung der Korallenriffe auch in der breiten Öffentlichkeit wahrnehmbar geworden. Damals, 1997, wurde zum ersten Mal ein Internationales Jahr des Riffes ausgerufen. Bis dahin war der Rückgang der Korallenriffe kein allzu wichtiges Thema im Leben der Westeuropäer. Man kannte die faszinierenden Filme von Hans Hass und Jacques Cousteau aus der Kindheit, die Strände aus dem Urlaub, die Muscheln und Korallen aus dem Souvenirladen und dass es der Umwelt nicht besonders gut geht, war keine besondere Neuigkeit. Mit dem El Niño – Ereignis von 1997, das den bis dahin größten Schlag für die Riffe bedeutete, erreichten die Alarmmeldungen auch die Schlagzeilen in der Tagespresse. Plötzlich waren innerhalb eines Jahres 16 % der Riffe weltweit abgestorben, in beliebten Urlaubszielen wie den Malediven verschwanden 90 % der Korallen im Flachwasser. Vor allem Wissenschaftler und Sporttaucher wussten aber schon früher Bescheid über die zunehmende Verschlechterung des Riffzustandes, oft aus eigener Beobachtung. Doch woher wissen wir eigentlich über den Zustand der Riffe, wie kommen die Zahlen zustande, die den Rückgang quantifizieren? Schließlich sind Riffe naturgemäß unter Wasser, also nicht sehr leicht zugänglich, Beobachtungen dort sind weit schwieriger und langwieriger als an Land. Auch die Erkundung mit Satelliten, die es erst seit wenigen Jahrzehnten gibt, ist für Analysen der Unterwasserwelt nur unzureichend geeignet. Direkte Beobachtungen lebender Riffe wurden überhaupt erst durch die Entwicklung von Tauchgeräten möglich, wie sie von Hans Hass und Jacques Yves Cousteau in den 1950er-Jahren entwickelt wurden und

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»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Rif fe?

in der Ausstellung gezeigt werden. Vorher war man auf Aufsammlungen aus dem Flachwasser des Riffdachs oder gebaggerte Proben angewiesen, was nur einen sehr eingeschränkten Einblick in das Gesamtsystem liefern konnte. Längerfristige Beobachtungen und quantitative Erfassungen des Riffes und seiner Bewohner wurden lokal, z.B. in JamaiKa oder im Roten Meer durchgeführt. Diese Untersuchungen wurden mit unterschiedlichen, den jeweiligen Fragestellungen angepassten Methoden gemacht und hatten oft unterschiedliche Organismen als Studienobjekte. Die Ergebnisse waren zwar wertvoll, aber weder großräumig noch miteinander vergleichbar. In den 1980er Jahren wurden mehr und mehr Berichte über den Rückgang von Riffen bekannt. Sporttaucher kamen von Tauchgängen in ihren Lieblingsriffen zurück und waren verwundert: »Es sieht nicht mehr so schön aus wie früher«. Nun wissen wir alle, dass »früher alles besser war«, aber mit Foto- und Videokameras konnten diese Aussagen nun untermauert werden. Auch wissenschaftliche Langzeituntersuchungen, vor allem aus der Karibik, berichteten von Rückgängen in der Korallenbedeckung. Besonders davon betroffen war das »Wappentier der Karibik«, die Elchgeweihkoralle (Acropora palmata), die anscheinend im Verschwinden begriffen war. Lange Zeit waren Riffwissenschaftler dennoch nicht dazu bereit, die Existenz einer weltweiten Krise anzuerkennen, da die Datenbasis zu dünn war. In der Aufbruchstimmung nach dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro (United Nations Conference on Environment and Development - UNCED) 1992, wo die internationalen Rahmenvereinbarungen zum Klimawandel, zur biologischen Vielfalt und zur Wüstenbekämpfung vereinbart wurden, konnte auch die Bedrohung der Riffe thematisiert werden. In der Folge wurden dann die Internationale Korallenriff-Initiative (International Coral Reef Initative – ICRI, 1994) und das globale Korallenriff-Beobachtungsnetzwerk (Global Coral Reef Monitoring Network – GCRMN, 1995) ins Leben gerufen. Erst 1993 konnte das erste internationale Treffen stattfinden, das den globalen Zustand der Riffe zum Thema hatte. Als der renommierte Riffforscher Robert Ginsburg von der Universität in Miami zu einem Symposium einlud, wo über den Zustand und die Gefahren für die Riffe weltweit beraten wurde, berichteten die Teilnehmer aus ihren jeweiligen Arbeitsgebieten über unzählige Beispiele für den Rückgang der Riffe. Vor allem Wissenschaftler aus den entwickelten Staaten verneinten dennoch weiterhin die Existenz der Krise. Die Frage, wie den Riffen weltweit geht, ob diese Beispiele Einzelfälle sind, oder sich ein weltweites Muster darin widerspiegelt, konnte die versammelte Forschergemeinschaft nicht beantworten. Es wurde klar, dass der Mangel an Langzeitbeobachtungen der Riffgesundheit über große Gebiete eine zuverlässige Auskunft nicht erlaubte. Die üblichen wissenschaftlichen Methoden (»Science as usual«) waren also offensichtlich nicht geeignet, die Entwicklung zu verfolgen. Bei dieser Konferenz wurden zwei zukunftsweisende Initiativen entwickelt: Es wurde zum ersten Mal darüber gesprochen, ein Internationales Jahr des Riffes zu erklären, um die Aufmerksamkeit auf den Schutz der Korallenriffe zu lenken. Zum zweiten wurde die Entwicklung eines weltweiten Beobachtungsprogrammes für die Riffgesundheit


Georg Heiss und Reinhold Leinfelder

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beschlossen. Leicht gesagt. Aber wie kann man so etwas realistisch durchführen? Die Fläche der Riffe wird heute auf etwa 220.000 – 250.000 km2 geschätzt, sie sind über den gesamten subtropisch-tropischen Gürtel verteilt, die meisten liegen in Entwicklungsländern, weit von Bevölkerungszentren und Universitäten entfernt, oft auch nur mit dem Flugzeug oder Schiff zu erreichen. Wollte man mit herkömmlichen Methoden eine hinreichend große Zahl von Riffen untersuchen, um ein einigermaßen plausibles Bild zu gewinnen, müsste man Hunderte von Wissenschaftlern für Jahre auf Forschungsreisen um die Welt schicken. Man bräuchte also finanzielle Mittel, die für die Riffforschung einfach nicht bereit stehen. Zudem hätte man wohl Schwierigkeiten, überhaupt so viele Wissenschaftler wie notwendig zu finden, geschweige denn, sie aus ihren normalen Aufgaben herauszureißen. Um einen Eindruck von der Dimension zu gewinnen, reichen einige Zahlen: die Bahamas haben 700 Inseln, die Philippinen 7.000, Indonesien ca. 30.000, die meisten umgeben von Korallenriffen. Man brauchte also einen neuen Ansatz: Gregor Hodgson, damals an der Universität in Hong Kong, wurde gebeten, ein »Protokoll«, eine Standardmethode zu entwickeln, die geeignet wäre, in kurzer Zeit über große Gebiete aussagefähige Resultate zu liefern. In Diskussionen mit Kollegen wurde schnell klar, dass das Ziel nur mit der Einbindung von Freiwilligen erreichbar war. Es gab bereits Beispiele von Freiwilligenprogrammen, die sehr erfolgreich waren (z.B. die Vogelbeobachtung), aber im Bereich der Korallenriffe musste man Neuland betreten. Die Herausforderung war groß: Man musste eine Methode entwickeln, die weltweit angewandt werden konnte, obwohl die Riffe sehr unterschiedlich sein können. Sie musste einfach genug sein, dass auch Nichtwissenschaftler korrekte Ergebnisse erzielen konnten; sie musste schnell genug sein, um in einem Tag eine komplette Riffbeobachtung abschließen zu können. Und sie musste trotz allem zuverlässige, robuste Daten liefern, um Politiker und Wissenschaftler zu überzeugen und für Manager nützlich zu sein. Ausgehend von diesen Anforderungen wurde auf der Basis bereits existierender Protokolle ein neues System entworfen, das auf der Zählung einer geringen Zahl von »Anzeigern« (Indikatoren) basierte. Die Methode wurde auf einer Diskussionsliste im Internet ausführlich und kritisch geprüft, angepasst und im Jahr 1996 veröffentlicht. Als Name wurde »Reef Check« gewählt. Schon bei der ersten Reef Check-Untersuchung 1997 wurden 300 Riffe in 30 Ländern erfasst, ca. 100 Wissenschaftler und 1000 Freiwillige, alle unbezahlt, nahmen an den Untersuchungen teil. In den folgenden Jahren wurde Reef Check zu einer ständigen Einrichtung, die seit 1997 ein integraler Bestandteil des Beobachtungsprogramms der Vereinten Nationen, des GCRMN (Global Coral Reef Monitoring Network) ist. Die ersten Ergebnisse waren bereits alarmierend, die Analyse nach den ersten 5 Jahren Reef Check gab ein umfassendes Bild: In den meisten der 1107 in die Analyse aufgenommenen Riffen waren die Indikatorarten dramatisch reduziert, z. B. Zackenbarsche, Langusten, Seeigel, Tritonschnecken usw. (s. Kasten). Als Ursache wurde vor allem die massive Überfischung erkannt, aber auch Krankheiten und das El Ninõ-Ereignis 1997 / 98, das über 10 % der Korallen zum Absterben brachte.

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»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Rif fe?

Methoden – Reef Check – Surveys Reef Check (RC) ist ein bewährtes, standardisiertes Programm zur Bewertung der Riffgesundheit. Das RC-Protokoll wurde mit dem Ziel entwickelt, eine wissenschaftlich fundierte, aber auch für Nicht-Wissenschaftler einfach zu verstehende und durchzuführende Methodik bereitzustellen. Die Reef Check Erhebungen konzentrieren sich auf das quantitative Vorkommen bestimmter, auch von Laien leicht zu identifizierender Korallenrifforganismen, welche den Zustand des Riffes bestmöglich widerspiegeln. Diese Organismen wurden ausgewählt, weil sie wegen ihres ökonomischen und ökologischen Wertes, ihrer Empfindlichkeit gegenüber menschlichen Einflüssen (Überfischung, Aquarienhandel) und ihrer leichten Identifizierbarkeit geeignete Indikatoren sind. Sechzehn globale und acht regionale Indikatorarten dienen als Maßstab für menschliche Einflüsse auf Korallenriffe. Reef Check – Indikatoren sind teilweise auf Artniveau, aber auch auf höheren taxonomischen Ebenen definiert. xy

Abb.2: Beschreibung der Reef Check Substrattypen

Abb.3 (rechte Seite): Häufige Korallenarten in der El Quadim-Bucht bei El Qusseir, Ägypten, Rotes Meer

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Georg Heiss und Reinhold Leinfelder

Acropora acuminata (Dana, 1846)

Acropora gemmifera (Brook, 1892)

Acropora hyacinthus (Dana, 1846)

Acropora samoensis (Brook, 1892)

Acropora secale (Studer, 1878)

Acropora selago (Studer, 1878)

Acropora valida (Dana, 1846)

Acropora variolosa (Klunzinger, 1879)

Montipora efflorescens (Bernard, 1897)

Montipora tuberculosa (Lamarck, 1816)

Cyphastrea microphthalma (Lamarck, 1816)

Echinopora forskaliana (Milne Edwards & Haime,

Echinopora gemmacea (Lamarck, 1816)

Favia favus (ForskĂĽl, 1775)

Favia rotumana (Gardiner, 1899)

Favia stelligera (Dana, 1846)

Goniastrea edwardsi (Chevalier, 1971)

Platygyra daedalea (Ellis and Solander, 1786)

Platygyra lamellina (Ehrenberg, 1834)

Acanthastrea echinata (Dana, 1846)

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»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Rif fe?

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Abb.4: Beispiel: Reef Check Indikatoren für das Rote Meer

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Tabelle 2 listet die Indikatorarten der Fische und Wirbellosen am Beispiel des Roten Meeres. Die Reef Check - Studie beginnt mit der Begutachtung des Arbeitsgebietes, wobei die Ausdehnung des Riffes und die Bodenbeschaffenheit hinsichtlich Substrattyps und Korallenbedeckung (lebend und abgestorben) in Betracht gezogen werden. Die eigentliche Begutachtung besteht aus vier je zwanzig Meter langen Transekten, welche in zwei Tiefen (flach, 2-6 m, und mittlere Tiefe, 6-12 m) untersucht werden. Jeder 20 m - Transekt wird ausgewertet bezüglich 1) Indikatorfischen, welche üblicherweise von Fischern, Aquarienhändlern und anderen gezielt entfernt werden, 2) Indikatorarten der Wirbellosen, welche für Verzehr, Souvenir- oder Aquarienhandel befischt werden, 3) Substratbeschaffenheit, z.B. Lebendbedeckung mit Steinkorallen, unlängst abgestorbene Korallen, nährstoffanzeigende Algen und andere Substrattypen, und 4) jegliche Zeichen von Beschädigung und Krankheiten, z.B. abgebrochene und gebleichte Korallen, Müll, Fischernetze und –leinen, Parasiten etc.. Der Untersuchungsraum für die Fischtransekte ist jeweils 5 m breit und 5 m hoch, die Transekte für Wirbellose und Beschädigungen 5 m breit, während die Substratbeschaffenheit in 0,5 m Intervallen („point-intercept“-Methode) ausgewertet wird. Hierfür werden entlang der Messleine alle 50 cm mit Hilfe eines kleinen Lots (zur Vermeidung von systematischen Fehlern) die Substrattypen erfasst. Die Substrattypen sind in Tabelle 2 beschrieben. Zusätzlich werden Informationen über mehr als dreißig verschiedene Umweltparameter und die Experteneinschätzung menschlicher Einflüsse bei der Beschreibung des Arbeitsgebiets aufgenommen.

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Abb.5: Reef Check Untersuchungsmethode, Zusammenfassung

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GCR M N w w w.gcrmn.org

Abb.6 (linke Seite): Fahnenbarsche wagen sich zum Planktonfang aus dem Schutz der Korallen in einem gesunden Riff in der Umgebung von Sharm el Sheikh, Rotes Meer.

Das Global Coral Reef Monitoring Network (GCRMN) konzentrierte sich in den ersten Jahren vor allem darauf, existierende Informationen vor allem von staatlichen Behörden und Universitäten zu sammeln und aufzubereiten, um diese für politische Entscheidungsträger zugänglich und verständlich zu machen. Dazu unterstützt GCRMN die Zusammenarbeit in regionalen Netzwerken, die konsistente Informationen für die Statusberichte erarbeiten. Im Jahr 1998 wurde der erste Bericht »Status of coral reefs of the world: 1998« veröffentlicht, der danach alle 2 Jahre aktualisiert wurde (2000, 2002, 2004). 2005 kam ein spezieller Bericht über die Auswirkungen des Tsunamis vom Dezember 2004 dazu, 2008 eine Bilanz des Korallenbleichens und der Hurrikane in der Karibik im Jahr 2005. Nur zwei Jahre nachdem 1998 die erste weltweite Untersuchung feststellte, dass 11 % der Riffe vor 1998 zerstört waren, erhöhte sich die Zahl der bis Ende 2000 »effektiv verlorenen« Riffe um weitere 16 %. Die Daten stammen aus 86 Ländern - viele davon waren zum ersten Mal beteiligt. Im Statusbericht des GCRMN von 2004 wurden diese mittlerweile weithin bekannten dramatischen Zahlen genannt: 20 % der Riffe weltweit sind zerstört und zeigen keine Anzeichen der Erholung; 24 % der Riffe sind unmittelbar durch menschlichen Einfluss vom Kollaps bedroht; und 26 % der Riffe sind auf längere Sicht unter dem Riskiko des Zusammenbruchs. Bis 1998 stand besonders die Bedrohung durch direkte menschliche Einflüsse auf die Riffe im Vordergrund, die Bedrohung der Riffe durch die Klimaänderung wurde von vielen Wissenschaftlern noch als relativ gering eingeschätzt. Die direkte Bedrohung durch Überfischung für den lokalen Bedarf und den Export, durch den Handel mit lebenden Fischen, durch Sprengstoff- und Giftfischerei, durch Abwässer, Sedimente und Überdüngung, durch Wachstum in Städten und ländlichen Gebieten verursachen weit verbreitete Schäden. Zusätzlich zu diesen Belastungen drängt sich nun aber der globale Klimawandel als das Hauptproblem für Korallen in den Vordergrund, da sie sehr sensibel auf Erwärmungen reagieren. Anfang 2008 wurde ein Bericht des GCRMN über den Zustand der Riffe im Westatlantik (Brasilien, Karibik, Florida, Bahamas) veröffentlicht, und der neueste globale Bericht wird im Juli 2008 vorgestellt. In der Karibik werden die Auswirkungen des extrem warmen Jahres 2005, des bis dahin wärmsten Jahres seit Beginn instrumenteller Aufzeichnungen dargestellt: In den Riffen, die seit Jahrhunderten, vor allem aber in den letzten 50 Jahren bereits stark geschädigt waren, bleichten durch die lang anhaltend hohen Temperaturen stellenweise bis zu 95% der Korallen. Teilweise erholten sich die Korallen nach Abkühlung der Wassertemperatur wieder, aber es wurden Mortalitätsraten bis über 50% registriert. Damit war klar, dass die indirekten Schädigungen durch den Klimawandel mindestens die Auswirkungen der direkten Schädigungen durch den Menschen erreichen können.

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Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Bei Voraussagen ständig steigender Temperaturen wird es in den nächsten Jahrzehnten zu regelmäßigen schweren Korallenbleichen kommen, im Jahr 2100 wäre es wahrscheinlich ein alljährliches Ereignis.

Abbildungen

Neueste Analysen von Daten aus verschiedenen Quellen zeigen, dass trotz der Anstrengungen der Verlust der Riffe ungebremst, eher noch beschleunigt vor sich geht: In den letzten 20 Jahren ging die Rifffläche im Indo-Pazifik jährlich um 1 % zurück, im Zeitraum von 1997-2002 sogar um 2 % pro Jahr!

Abb.7 (oben links):

Ist es schon zu spät?

Korallen als Baumaterial und

Stellen wir nun eine Gretchenfrage – ist eigentlich alles nicht schon viel zu spät, und Schutzbemühungen der Riffe sind vergebliche Liebesmüh, sollten wir die Riffe vielleicht einfach aufgeben und uns anderen Schutzaufgaben, die erfolgversprechender erscheinen, zuwenden? Die auch in diesem Artikel geschilderte, durch Zahlen belegbare dramatische Verschlechterung des Gesundheitszustands der Riffe, spricht sie nicht für sich? Und die starke Abhängigkeit des Riffzustandes vom Klima? (siehe Artikel Wild et al.), was nützt denn da ein Schutzgebiet? Das kann doch die Änderung des Klimas nicht aufhalten! Das wäre wirklich zu kurz gedacht, denn ohne die Gefährdung durch die Auswirkungen der Klimaänderungen relativieren zu wollen – Korallenriffe haben in der Erdgeschichte vielfach Klimaänderungen durchlaufen und sind dabei nicht ausgestorben, sofern die Änderungen nicht zu rasch erfolgten. Allerdings müssen wir auch berücksichtigen, dass Korallenriffe noch nie in einer derart engen ökologischen Nische saßen wie heute (siehe Artikel Leinfelder). Aber das bedeutet auch, dass alle anderen schädlichen Einflüsse auf Korallenriffe gleich große, wenn nicht gar größere negative Auswirkungen haben, und hier steckt eine Chance. Wissenschaftler gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der schädlichen Einflüsse auf Korallenriffe lokaler und regionaler Natur sind. Natürlich schwankt dies von Ort zu Ort. Überdüngung der Meere durch Abwässer aus Landwirtschaft, Siedlungen und Tourismus, Schlickeintrag in die Küstenregionen durch Baumaßnahmen und Regenwaldabholzung, Abbau von lebenden Korallenriffen als Bausteine, Ressource für Zement und Beton sowie für den Aquarien- und Souvenirhandel, Fehlverhalten ungeübter Schnorchler und Taucher, aber insbesondere auch die Überfischung gerade auch der Riffe, das alles wirkt sich insbesondere in der Kombination der Stressfaktoren katastrophal auf die Riffe aus, da sich die Effekte häufig potenzieren. Zwei Beispiele: Vorübergehende erhöhte Nährstoffzufuhr kann auch unter natürlichen Bedingungen, etwa nach Starkregen und damit verstärkter Abwaschung von Schlick und Nährstoffen aus dem Hinterland auftreten. Das stimuliert das Weichalgenwachstum. Solange Fisch- und Seeigelbestand im Riff in Ordnung sind, stellt dies eine willkommene zusätzliche Nahrungsquelle dar und es besteht keine Gefahr, dass die Weichalgen nun das Riff überwuchern. In manchen Regionen herrscht so-

therstellung,

auf der gegenüberliegenden AbbildungsSeite:

Souvenirhandel auf der Insel Hainan, China Abb.8 (oben rechts): Rohstoff zur lokalen ZemenSulawesi, Indonesien. Abb.9 (mitte links): Rifffische in einer Markthalle in Hongkong Abb.10 (mitte rechts): Der Handel mit Souvenirs aus Korallenriffen, Muscheln, Schnecken, Hartkorallen, Seesternen, Kugelfischen usw. ist ein einträgliches Geschäft und meist nicht einmal verboten. Abb.11 (unten links): Der Handel mit Lebendfischen ist vor allem in Südostasien ein florierendes Geschäft, das enorme Profite erzielt, aber durch den verbreiteten Fang mit Gift, meist Zyanid, schädlich für das Riff, aber auch den Menschen ist. Abb.12 (unten rechts): Auf dem Riffdach bei Ras Mohammed, Sinai, Ägypten, zerstören Schwimmer und Schnorchler durch unachtsames Verhalten die Korallen.


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gar dauerhaft leicht erhöhter Nährstoffeintrag und auch den können die algenabweidenden Organismen, sofern vorhanden, kompensieren. Fehlen aber die Fische und Seeigel, wie heute in so vielen karibischen Riffen, kann auch schon gering erhöhter Nährstoffeintrag verheerende Folgen haben. Die Riffe veralgen, die Korallen sterben ab und bohrende Organismen, die ebenfalls von zusätzlichen Nährstoffen und damit mehr Plankton profitieren, gewinnen die Oberhand, das komplexe Gleichgewicht der Riffe ist dauerhaft zerstört. Auch das episodische Korallenbleichen aufgrund erhöhter Wassertemperaturen, selbst wenn bei solchen Ereignissen viele Korallen absterben, ist kein Todesurteil für das Riff, sofern ansonsten das ökologische System nicht gestört ist. Sind aber bereits mehr Nährstoffe als normal im System und der Fischbestand überfischt, werden sich Weichalgen extrem rasch über die ausgestorbenen Korallen ausbreiten, die wenigen verbliebenen Algenabweider haben keine Chance mehr, diesen Teppich wieder zu beseitigen und Korallenlarven aus noch intakten benachbarten Riffen finden keinen Untergrund, um sich anzusiedeln. Wir müssen die globale Klimaerwärmung eindämmen, das ist selbstverständlich richtig, und auch wichtig für die Korallenriffe, wir müssen aber genauso auch die lokalen und regionalen Gefährdungen eindämmen, weil gerade dies den Korallenriffen direkt hilft und sie gegen die Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger macht.

Abb.1: Hotelanlage in Sharm el Sheikh, Sinai, Ägypten, der gesamte riffund strandnahe Bereich ist bebaut.

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Wenn wir schon bei Zahlen sind – der Stern-Review von 2006 hat die ökonomischen Kosten der Klimaänderung auf jährlich 5-20 % des globalen Bruttoinlandprodukts beziffert. Diese Kosten sind vermutlich viel zu niedrig gegriffen, wenn man die durch Klimaänderung, aber auch falsche Land- und Meernutzung ausgelöste Veränderung der Vielfalt des Lebens mit hineinrechnet. Schon 1999 wurde die Wertschöpfung der Korallenriffe allein durch den Tourismus in einer viel zitierten Untersuchung mit 30 Milliarden US-$ pro Jahr beziffert. Eine vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebene neue Studie wird Mitte 2008 vorläufige Neuberechnungen der ökologischen Güter und Dienstleistungen durch die biologische Vielfalt präsentieren. Wir dürfen gespannt sein. Etwa 100.000 Arten sind heute aus Riffen bekannt, die Gesamtzahl wird jedoch auf etwa eine Million geschätzt. Allein 1.300 verschiedene Korallenarten bauen die Riffe mit ihren Skeletten auf, insgesamt gibt es 3.800 Arten von Korallen. Die Riffe bedecken weniger als 1 % der Meeresfläche, beherbergen aber 25% aller Fischarten. Die Erkundung und Nutzung der genetischen Ressourcen aus den Riffen hat gerade erst begonnen, vor allem für die Medizin bergen sie noch ein enormes Potential an Wirkstoffen. Schätzungsweise 120 Millionen Menschen leben direkt durch Fischerei und Tourismus von den Riffen, über 700 Millionen Menschen (12% der Weltbevölkerung, oder 31% aller Küstenbewohner) leben in weniger als 50 km Entfernung von Korallenriffen, profitieren also von den Riffen durch Küstenschutz, Fischerei und Tourismus, belasten allerdings auch die Riffe durch Baumassnahmen, Abfälle und Abwässer.

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Die Wissenschaft hat inzwischen begriffen, dass Korallenriffe derart komplex sind, dass sie sich nicht linear verändern, wenn sich negative Effekte linear erhöhen, sondern dass sie »Kippschalter«-Reaktionen zeigen. Wenn also die Nährstoffbelastung linear, also z.B. jedes Jahr etwa 5 % zunimmt, wird die Bedeckung durch Korallen nicht ebenfalls linear abnehmen. Anfänglich profitieren vielleicht vorhandene Fische sogar durch den plötzlichen Nahrungsreichtum, aber es wird ein Punkt kommen, an dem sie diesen Nahrungsreichtum nicht mehr kontrollieren können, und dann wird das Riff plötzlich rasend schnell von den Weichalgen überwuchert. Umgekehrt gilt aber auch, dass schon teilweise kleine Schritte zur schlagartigen Verbesserung des Ökosystems führen können. Sehr viele Beispiele gibt es inzwischen dafür, dass wegen Überfischung bedrohlich erkrankte Korallenriffe sehr rasch wieder gesunden, wenn auch nur ein kleinerer Teil komplett vor Fischfang geschützt wird. Das Riff erholt sich nicht nur innerhalb und außerhalb derartiger Schutzgebiete – sofern eben keine sonstigen Beeinträchtigungen wie erhöhter Abwassereintrag vorhanden sind – sondern, es kann sogar wieder nachhaltiger Fischfang außerhalb der Schutzgebiete betrieben werden. Derartige Projekte sind immens wichtig, denn Korallenriffe wachsen überwiegend in armen Regionen und reine Verbote nützen nichts, selbst deren Kontrolle wäre ohne das Aufzeigen von Alternativen förmlich inhuman.

Wenn einem armen Rifffischer, der eine große Familie ernähren muss, nichts anderes übrig bleibt, als auch den allerletzten Fisch zu fischen, weil er keine Alternative hat, ist jeglicher Riffschutz zum Scheitern verurteilt. Wenn er aber zum Touristenführer für nachhaltigen Rifftourismus ausgebildet wird, hat nicht nur das Riff, sondern auch er eine faire Chance. Erfreulicherweise gibt es inzwischen viele derartige Beispiele, die jedoch auch von der reicheren Welt akzeptiert werden müssen. Der umweltverträgliche Urlaub mit Riffbesuch, der Fisch zum Urlaubs-Abendessen, der aus nachhaltiger Fischerei stammt, kostet nun eben etwas mehr, als ein Massentourismus-Urlaub mit möglichst billigem All-Inclusive. Das Umdenken hat begonnen, dies stimmt uns zuversichtlich, dass auch das Internationale Jahr des Riffes 2008, welches gleichermaßen einen Beitrag zur 9. Vertragsstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt wie auch zum Internationalen Jahr des Planeten Erde darstellt, die Notwendigkeit des Schutzes dieses faszinierenden Lebensraum Korallenriff weiter befördern kann.

Denn Hilfe für die Korallenriffe ist eigentlich nur Selbsthilfe für die globale menschliche Gesellschaft...

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Georg Heiss und Reinhold Leinfelder

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Organisation Reef Check w w w.reefcheck.de xy Die Reef Check-Stiftung, die 1997 gegründet wurde, um den weltweiten Trend der Verschlechterung des Zustands der Korallenriffe aufzuhalten und umzukehren, ist eine gemeinnützige Organisation, die das weltweit umfangreichste Programm zur Beobachtung und Erhaltung der Korallenriffe unterhält. Vertreten in mehr als 80 Ländern, erhebt ein Netzwerk aus Wissenschaftlern und freiwilligen Tauchern standardisierte Daten, die von regionalen Koordinatoren und in der Hauptgeschäftsstelle von Reef Check in den USA ausgewertet werden. Internationale Teams arbeiten mit Gemeinden, Regierungen und Unternehmen zusammen, um Korallenriffe wissenschaftlich zu beobachten, geschädigte Riffe zu rehabilitieren und weltweit intakte Riffe zu erhalten. Die ursprüngliche Idee war es, unter Anleitung von Meereswissenschaftlern mit Hilfe von Laien dringend benötigte wissenschaftliche Daten zum Zustand der Riffe zu erheben. Ziel war neben der Schaffung eines allgemein zugänglichen Datenpools vor allem auch Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. Mittlerweile ist die Reef Check Methode eines der Standardprotokolle des GCRMN (Global Coral Reef Monitoring Network) der Vereinten Nationen. Reef Check Europe arbeitet derzeit von Deutschland aus mit Schwerpunkten im Roten Meer, Burma/ Thailand und den Malediven. Nicht nur beliebte und daher viel betauchte Tauchplätze werden auf diese Weise regelmäßig untersucht, sondern auch Riffe, die nur selten von Tauchern besucht werden und in annähernd ursprünglichem Zustand sind. So können die Forscher Vergleiche ziehen und den Zustand der Riffe besser bewerten. Neben der Arbeit mit den Sporttauchern und Tauchlehrern (Angebot von RC-Kursen in Deutschland bzw. Angebot zur freiwilligen Teilnahme im Urlaub) werden auch Gutachten durchgeführt und Meeresschutzgebiete bei der Erstellung/Verbesserung ihrer Monitoring-Konzepte unterstützt. Hierzu werden dort Fachkräfte (z.B. Nationalpark-Ranger) in den entsprechenden Methoden ausgebildet.

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Johannes Walther (1860-1937) – Pionier der Riff-Forschung

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Norbert Hauschke und Eberhard Gischler »Ein weisses Schaumband zieht sich längs der Küste und bezeichnet die Stelle, wo das Riff beginnt. Im Schutze dieses Wellenbrechers kann man noch bei ziemlich bewegter See ruhiges Wasser finden und bis zum Hals im Wasser herumwandeln. Die Füsse muss man bis zum Knie dicht mit Binden umwickeln und durch Bastschuhe schützen, da die Korallen die Haut verletzen. Die Gefahr der Haifische auf dem Riff scheint mir von den Eingeborenen übertrieben zu werden, denn ich habe nur 1 - 2 m lange Individuen beobachtet. Die allgemeine Anordnung der Korallen auf dem Riff möchte ich am liebsten mit einem Parke vergleichen. Zwischen blühenden Buschgruppen und buntfarbigen Blumenbeeten verschlingen sich sandbedeckte Wege; bald verschmälern sie sich zwischen hohen Büschen, münden wohl auch in eine schattige Grotte, bald verbreitern sie sich zu kiesbedeckten Plätzen. Genau so verhalten sich die bunten Korallencolonien zu den weissen Detritusgebieten. In den inneren Rifftheilen wandelt man zwischen flachen Korallenbeeten auf den sandbedeckten Wegen umher. Nach der Riffkante zu werden die Korallenbeete zu 2 - 3 m hohen Gruppen und der Detritussand nimmt geringere Räume ein«.

Abb.1: Aus der »Sammlung Johannes Walther«

Johannes Walther, 1860 im thüringischen Neustadt geboren, zählt zu den Pionieren der Riff-Forschung. Wie viele seiner Forscherkollegen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geriet er zwischenzeitlich in Vergessenheit, trotz seiner bahnbrechenden Erkenntnisse. Walther nahm 1880 unter Ernst Haeckel das Biologiestudium

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Johannes Walther – Pionier der Rif f-Forschung

auf und promovierte bereits zwei Jahre später. Direkt im Anschluss widmete er sich dem Studium der Geologie. Er habilitierte 1886 über Seelilien. Noch während seines Studiums begann er mit Forschungsreisen, die ihn im Laufe seines Lebens unter anderem nach Neapel, Ägypten, in den Sudan, nach Indien, Sri Lanka, Kirgistan, Usbekistan, in die USA und nach Australien führten. Walther untersuchte Korallenriffe weltweit und erkannte, dass die Forschung an Riffen sowohl die biologische als auch die geowissenschaftliche Seite einbeziehen muss. In heutiger Zeit wird diese interdisziplinäre Arbeitsrichtung als Biogeologie oder Biosedimentologie bezeichnet. Zu Zeiten Walthers war die Erforschung von Sedimenten und Sedimentgesteinen, die heute an fast jedem geowissenschaftlichen Institut als feste Größe etabliert ist, noch keine eigenständige Disziplin. Der interdisziplinäre Ansatz ist charakteristisch für Walthers Forschungen und für ihn Schlüssel zum Erfolg. In einem seiner Lehrbücher schreibt er 1893: »Die Entstehung erloschener Vulkane erschliessen wir, indem wir die Bildung thätiger Vulkane beobachten; die Geschichte eines fossilen Korallenriffs ergründen wir, indem wir lebende Korallenriffe untersuchen; und die Meerestiefe, in welcher eine fossile Austernbank gebildet worden ist, erkennen wir, wenn wir vergleichen in welchen Tiefen die Gattung Ostrea heutzutage lebend gefunden wird«.

Abb.2: Lithografie nach einem Aquarell von Johannes Walther

Daneben zogen ihn auf seinen Reisen Wüstengebiete in ihren Bann. Er machte sich auch als Wüstenforscher einen Namen. Wie zur damaligen Zeit üblich, musste der Forscher seine bildhaften Eindrücke in Form von Skizzen, Zeichnungen und Aqua-

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rellen festhalten. Ein Beispiel für Walthers Handfertigkeit ist das Bild einer Kamelkarawane. In seinen Aufzeichnungen findet sich dazu folgende Anmerkung: »Gelber Sand liegt in allen Schluchten und Lücken, wie der Schnee in den Alpen. Im Vordergrund ist meine Carawane im Begriff gegen Ghasuláni weiterzuziehen. Der Himmel ist stark bewölkt; eine zu dieser Jahreszeit seltene Erscheinung«. Tatsächlich kommt es zwei Tage später zu einem wolkenbruchartigen Gewitterregen.

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Abb.3: Oberfläche und Durchschnitt eines Korallenriffes (Lithografie nach einem Aquarell von J. Walther)

Obwohl, wie von Walther selbst so formuliert, die »Frage nach den Ursachen der Bildung von Korallenriffen… seit vielen Jahrzehnten zu den Lieblingsproblemen der Naturforscher gehört ... und die biologischen Verhältnisse des Korallenlebens ebenso wie die Fauna der korallophilen Thiere gut untersucht sind ... und somit auf diesem Gebiet keine wesentliche Vermehrung unserer Erkenntnisse zu erwarten sind« entdeckt er als erster Wissenschaftler, dass auch Kalkalgen als Riffbildner eine Rolle spielen.

Die Algenriffe im Mittelmeer Schon bei seinem ersten Neapel-Aufenthalt 1883 nutzte Walther besonders intensiv die Möglichkeit, mit dem Dampfschiff der Zoologischen Station von Anton Dohrn auszufahren, um Teile des Golfes bei Dredge-Zügen (Dredge = mit Metallrahmen verstärktes Schleppnetz zur Gewinnung von Proben vom Meeresboden) zu kartieren. 1885 nahm Walther auch an Lotungen teil, um die Untiefen des Golfes näher zu

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erkunden. Ein von den Fischern von Neapel viel besuchter Fischereigrund war die Taubenbank, die auch von den Mitarbeitern der Zoologischen Station regelmäßig angefahren wurde. Diese Untiefe zeichnet sich durch »die Anhäufung der kalkabscheidenden Algen, welche in ziemlich regelloser Verteilung, aber vorwiegend auf dem höchsten Teil der Secca (= Untiefe) gedeihen«, aus. Walther kartierte diese mit besonderer Sorgfalt. Als er nach 25 Jahren erneut eine Kartierung der Taubenbank durchführt, findet er eine völlig veränderte Sedimentverteilung und Besiedlung vor. Als eine Ursache für diese grundlegenden Veränderungen macht er den »großen Aschenfall von 1906«, der durch einen Ausbruch des nahe gelegenen Vulkans Vesuv ausgelöst worden war, verantwortlich. Diesen grundlegenden Fazieswechsel in einem verschwindend kleinen Zeitraum arbeitet Walther deutlich heraus. Er schliesst folgerichtig auf die Möglichkeit entsprechend kurzzeitiger Veränderungen in der geologischen Vergangenheit, die sich in den Sedimentfolgen widerspiegeln, bis dahin aber mit sehr langen Zeiträumen in Verbindung gebracht worden waren. Er schreibt abschließend, dass seine Beobachtungen auf der Taubenbank gut mit den Erfahrungen übereinstimmen, »welche der Geologe beim Studium mariner Profile immer wieder macht: organisch entstandene, geschichtete Kalke zeigen oft in den aufeinanderfolgenden Lagen einen raschen Wechsel fossilreicher Lumachellen,

Abb.4,5: Sedimentkarten der Taubenbank, 1910

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dichter Kalkbänke und andrer Zwischenlagen, ... Die Taubenbank im Golf von Neapel lehrt uns nicht allein, unter welchen ... Umständen eine solche Wechsellagerung kalkiger Sedimente eintritt, sondern lässt uns zugleich erkennen, dass sich ein derartiger Fazieswechsel in einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne vollziehen kann“. In Walthers Arbeiten über die Taubenbank, dieser von Kalkalgen bewachsenen vulkanischen Untiefe im Golf von Neapel, wurden erstmals Algen als Riffbildner beschrieben. Walther betont darin die bindende Funktion der Kalk ausscheidenden Algen, die durch rasches Wachstum loses Sediment fixieren und dadurch zum Aufbau einer erhöhten, riffartigen Struktur führen können. Walther widmete sich auch der Entstehung fossiler Algen-Kalksteine, indem er zum Vergleich fossile Vorkommen auf Sizilien und in den Kalkalpen untersuchte. Er erklärt die Verfestigung von Kalksteinen durch Prozesse der Kalk-Ausfällung und -Lösung und der Rekristallisation. Dabei bedient sich Walther methodisch bereits der Untersuchung von Gesteins-Dünnschliffen unter dem Mikroskop sowie chemischer Analysen. Mit Ausnahme der DünnschliffDarstellungen von Henry Clifton Sorby etwa zur selben Zeit und der Untersuchung von Bohrkernen des Funafuti-Atolls im Pazifik durch Gilbert Cullis zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Dünnschliff-Untersuchung erst Jahrzehnte später zum Standard in der Sedimentforschung.

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Abb.6: Zeichnung von J. Walther

Korallenriffe im Roten Meer und auf dem Sinai Sicher ist es kein Zufall, dass Walther für die Fortsetzung seiner Riff-Studien die Sinai-Halbinsel mit den Korallenriffen im Roten Meer auswählt, da schon sein Lehrer Ernst Haeckel und andere deutsche Forschungsreisende diesen Küstenstrich erkundet hatten. Walther reiste in Begleitung des ebenfalls noch jungen Schweizers Alfred Kaiser, der sich um alle logistischen Fragen kümmerte. Von Suez aus ging die Reise in den Monaten März bis Mai 1887 südwärts bis Râs Muhámmed an der

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Südspitze des Sinai. Walther nutzt die etwa 600 km lange Reise dazu, den gesamten Streckenverlauf geologisch zu kartieren und die »Geologische Karte der westlichen Sinaihalbinsel und der Galalawüste« seiner Publikation Die Korallenriffe der Sinaihalbinsel von 1888 beizufügen, die als ein Meilenstein in der Korallenriff-Forschung gelten kann.

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Abb.7: Hafen von Tor (Aquarell) mit Saumriff im Hintergrund und gesammelten Proben am Strand

An der Westküste der Sinai-Halbinsel bietet sich ihm die seltene Gelegenheit, neben den modernen Riffen auch fossile Riffe zu studieren, die auf Grund junger Hebungsvorgänge heute nahe der Küste und oberhalb des Meeresspiegels zugänglich sind. Walther kommt zu völlig neuen Einsichten hinsichtlich der Riffentwicklung. Er erkennt als Erster den für diese Riffe enorm wichtigen Aspekt der Topographie der Riff-Unterlage (»antecedent topography«). Die einzelnen Riffkomplexe findet er »in deutlich parallelen Zügen angeordnet«, wobei deren Alter in Entfernung von der Küste zunimmt. Auf Grund dieser räumlichen Anordnung kommt Walther zurecht zu dem Ergebnis, dass die Riffkomplexe auf den Schichtköpfen der darunter liegenden, verfalteten Sedimentschichten aufgewachsen sein müssen. Die herausgehobenen, aber bereits erosiv zertalten Sinai-Riffe erlauben es ihm, deren dreidimensionales Faziesmuster genau zu erfassen und mit der Riff-Topographie in Beziehung zu setzen. Diese Erkenntnisse kann er nun erfolgreich bei der Rekonstruktion der Internstruktur moderner Riffe einsetzen, die seiner Beobachtung auf Grund der damals noch recht beschränkten technischen Möglichkeiten nur teilweise zugänglich sind. Ein wichtiger Ansatz Walthers ist hier die Unterscheidung des aus Korallen beste-

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henden Riff-Gerüstes vom unverfestigten Material (i.w. Sand bzw. Detritus, hier Riffschutt), welches die Hohlräume innerhalb des Gerüstes füllt. Walther erkennt weiter, dass der Detritus bei der Zerkleinerung von Kalkschalen und -skeletten durch die im Riff lebenden Organismen (wie Krebse, Fische und Seeigel) entsteht.

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Abb.8,9: Satellitenbilder der Verbindung Indien-Sri Lanka

Korallenriffe im Indischen Ozean Bei den Untersuchungen in den zwischen dem indischen Subkontinent und Sri Lanka gelegenen Korallenriffen steht, wie bei Walthers Arbeit über die Sinai-Riffe, die Internstruktur der Riffe im Vordergrund. Wieder betont er die Bedeutung und Häufigkeit der großen Mengen an unverfestigtem Sediment in Riffen, welches zum Großteil durch die biologische Tätigkeit von Organismen erzeugt wird. Erst viele Jahrzehnte später wird dieser Aspekt als »Bioerosion« bezeichnet. Walther unterscheidet zwischen dem Riffgerüst aus Korallen und dem Sediment, das die Hohlräume zwischen den Korallen ausfüllt. Seine Arbeiten über die Riffe der Sinaihalbinsel und der indischen Riffe mündeten folgender Riffdefinition: »Ein Korallenriff ist ein isoliertes, über den Meeresboden sich erhebendes Kalklager, wesentlich gebildet durch ästige Korallen, welche den Detritussand auffangen und verhindern, dass er sich über den Meeresboden gleichmässig ausbreite«. Mit Blick auf fossile Riffe, wie sie dem Geologen und Paläontologen entgegentreten und häufig aufgrund der Seltenheit von Rifforganismen in Lebendstellung gar nicht als solche zu identifizieren sind, äußert sich Walther in folgender Weise: »Ja selbst der Naturfoscher, der auf einem lebenden Korallenriff gesammelt hat und, durch die

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Formenpracht der Kolonien gefesselt, die wohlausgebildeten Gruppen der Riffkante und der Riffhöhlen durch Taucher heraufbringen ließ, wird geneigt sein, dieselben Stöcke auch in einem abgestorbenen Riff zu suchen. Ich möchte aus eigener Erfahrung hervorheben, dass ein großes Maß von Entsagung dazu gehört, auf einem lebenden Riff seinen Blick von den anziehenden Formen der lebenden Korallenstöcke und ihrer Farbenpracht abzuwenden und die unscheinbaren »Sand«-stellen zu untersuchen, welche abgestorbene Stöcke enthalten und welche uns zeigen, in welcher Form ein Korallenstock fossil wird. Nur der geübte Blick vermag in den formlosen, mit Kalkalgen und Bryozoenrasen (Bryozoen = Moostierchen) bewachsenen Steinen die Form der einstigen Prachtstücke wiederzuerkennen. Wie kleingehackte Baumäste, von grüner, glatter Rinde überzogen, sehen die Madreporenäste jetzt aus. Die übereinanderliegenden Enden werden durch Kalkalgen verkittet und dadurch ein netzartiges Balkenwerk erzeugt; ein Schirm von 1 m Durchmesser und 20 cm Höhe wird korrodiert zu einem flachen Kegel von 25 cm Durchmesser und 12 cm Höhe, dem man nicht mehr ansieht, wie schön er einmal ausgesehen hat. In dieser Form werden die Korallen meist fossil, und da darf es uns nicht wunder nehmen, wenn wir fossile Riffkalke so oft vergeblich nach Korallenkelchen durchsuchen. … vielmehr bilden sie gewöhnlich Bänke und Lager von zerbrochenen Korallenästen, oft abgerollt und ihrer Skulptur beraubt«. In seiner Studie über die Riffe der Palkstraße erkennt Walther auch die große Bedeutung von langfristigen Meeresspiegelschwankungen für Korallenriffe: »Die negative Strandverschiebung (= Regression, Meeresrückzug) in dem Gebiet der Palkstraße hat eine Anzahl Korallenriffe entblößt und fossil gemacht, aber das Wachstum der Riffe ist von einer solchen Verkürzung der Wassersäule nicht wesentlich beeinflusst«. Dieser Aspekt wurde erst über 25 Jahre später wieder von Reginald Daly im Detail aufgegriffen. Durch Daly wurde schließlich das Modell etabliert, wonach Korallenriffe während hoher Meeresspiegelstände aufwachsen und bei niedrigem Meeresspiegel trocken fallen, abgetragen werden und möglicherweise seitlich weiter wachsen. Dabei wurde schließlich als Kontrollmechanismus für die Meeresspiegelschwankungen der Wechsel zwischen Eiszeiten (viel Pol-Eis, tiefer Meeresspiegel) und Warmzeiten (wenig Pol-Eis, hoher Meeresspiegel) erkannt.

Die »Sammlung Johannes Walther« Von seinen zahlreichen Forschungsreisen brachte Johannes Walther umfangreiches Belegmaterial mit zurück nach Deutschland. Dazu gehören zahlreiche Proben von Locker- und Festgesteinen, von Fossilien und Belegen der heutigen Tier- und Pflanzenwelt, ferner auch archäologische Funde. Die »Sammlung Johannes Walther« wurde von diesem an seiner letzten Wirkungsstätte, der Universität Halle, hinterlegt. Sie ist heute Teil der geowissenschaftlichen Sammlungen, die mit den anderen naturwissenschaftlichen Sammlungen der Martin-Luther-Universität zu den umfang-

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Abb.10-12: Aus der »Sammlung Johannes Walther«


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reichsten und bedeutendsten Sammlungsbeständen ihrer Art in den neuen Bundesländern gerechnet werden müssen. Für Walther war es eine Selbstverständlichkeit, dass Sammlungen neben dem Forschungsaspekt auch didaktische Aufgaben zu erfüllen haben. Dabei dachte er sowohl an die Studierenden, als auch an interessierte Besucher, die bei freiem Eintritt zwei Stunden pro Woche Zutritt zu den Schausammlungen hatten. Zu anderen Zeiten führte »der Diener gegen entsprechende Entschädigung«. So war es ihm ein wichtiges Anliegen, die Schausammlungen seines Instituts nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gestalten. Natürlich wurden auch die Ergebnisse seiner Riff- und Wüstenforschungen mit entsprechenden Exponaten und Erläuterungen präsentiert. Walther ließ sogar ein Korallenriff nachbauen. Sein Führer durch die Lehr- und Schausammlungen des Geologisch-Palaeontologischen Instituts der Universität Halle, der 1928 bereits in 2. Auflage erschien, gibt einen lebendigen Einblick in die damalige Gestaltung der Ausstellung. Johannes Walter verstarb am 4. Mai 1937 in Hofgastein im Alter von 76 Jahren während eines Kur-Aufenthaltes. Seine Grabstätte befindet sich in Eisenach.

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Abb.13: Fotografie von Johannes Walther

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Autorenverzeichnis, weiter führende Literatur und Bildnachweise

Arved Fuchs, Bad Bramstedt, mail@arved-fuchs.de www.arved-fuchs.de Sigmar Gabriel, Bundesumweltministerium Berlin, service@bmu.bund. de www.bmu.bund.de

Auf den Spuren des Klimawandels – Expedition der ALDEBARAN nach Belize Frank Schweikert, Hamburg, ALDEBARAN Marine Research & Broad- cast, buero@aldebaran.org, www.aldebaran.org Bildnachweis: Uli Kunz und Frank Schweikert Websites: www.aldebaran.org www.sinkingparadies.tv www.meeresstiftung.de

Korallenriffe - Zentren der Artenvielfalt im Ozean

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Dr. Marc Kochzius und Janne Timm, Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie (UFT), Universität Bremen, kochzius@uni-bremen.de Dr. Agus Nuryanto, Jenderal Soedirman Universität, Purwokerto, Indonesien weiterführende Literatur: Abromeit L (2008) In den Tiefen von Raja Ampat. GEO, Januar 2008, Seiten 24-54 Abromeit L (2008) Bei den Hütern des Gestern. GEO, Februar 2008, Seiten 104-117 Eberle U (2007) Die steinernen Gärten. GEO Kompakt, Nr. 10, Seiten 88-96 Hempel, I. Hempel, S. Schiel (Hrsg., 2006) Faszination Meeresforschung, Verlag Hauschild, Bremen Kochzius M (2002) Die Korallenriffe Neukaledoniens. Bremer Geographische Blätter, Band 2, Seiten 39-50 Kochzius M (2006) Zeitmaschine DNS – die verschlüsselte Evolutionsgeschichte im Erbgut. G. Hempel, I. Hempel, S. Schiel (Hrsg.) Faszination Meeresforschung, Verlag H au schild, Bremen, Seiten 300-307 Richter C, Wunsch I (2006) Ökosystem Korallenriff – versunkener Schatz. G. Hempel, I. Hempel, S. Schiel (Hrsg.) Faszination Meeresforschung, Verlag Hauschild, Bremen, Seiten 244-254 Danksagung: Die Forschung im »Korallen-Dreieck« wurde durch das Bundes ministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen 03F0390B) im Rahmen des Projektes »SPICE (Science for the Protection of Coastal Marine Ecosystems)« gefördert. Die Expedition nach Raja Ampat wurde durch das Magazin GEO finanziert. Weitere Informationen gibt es im Internet: www.pogemao.uni-bremen.de.

Die Fischer von Malatapay – Handwerkliche Fischerei auf den Philippinen Marc Kochzius, Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie (UFT) Universität Bremen, kochzius@uni-bremen.de weiterführende Literatur:

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Abromeit L, Hampel T, Trippel K, Gaumy J, Henkelmann S, Pinkhassov G (2007) Kampf bis zum letzten Fisch. GEO, Juni 2007, Seiten 126-166 Ekau W (2006) Die Weltfischerei – mit weniger Aufwand fängt man mehr. G. Hempel, I. Hempel, S. Schiel (Hrsg.) Faszination Meeresforschung, Verlag Hauschild, Bremen, Seiten 310-318 Hempel, I. Hempel, S. Schiel (Hrsg.) Faszination Meeresforschung, Verlag Hauschild, Bremen Pauly D (2006) Nachhaltiges Fischreimanagement – kann es das geben? G. Hempel, I. Hempel, S. Schiel (Hrsg.) Faszination Meeresforschung, Verlag Hauschild, Bremen, Seiten 321-327

Korallen und Fische, Korallenfische? Dr. Jürgen Kriwet, Museum für Naturkunde Berlin, juergen.kriwet@museum.hu-berlin.de Dr. Peter Bartsch, Museum für Naturkunde Berlin, peter.bartsch@museum.hu-berlin.de weiterführende Literatur: Coleman, F.C., Koenig, C.C., Huntsman, G.R., Musick, J.A., Eklund, A.M., McGovern, J.C., Chapman, R.W., Sedberry, G.R. & Grimes, C.B. 2001. Long-lived reef fishes: The Grouper-Snapper Complex. – American Fisheries Society, Policy Statement, 25: 14 – 29. Debelius, H. & Kuiter, R.H. Doktorfische und ihre Verwandten: Acanthuroidei. – Verlag Ulmer (Eugen), 200 S. Gerking, S.D. 1994. Feeding Ecology of Fish. – Academic Press, 416 S. Lieske, E. & Myers, R.F. 1994. Korallenfische der Welt. 2044 Arten in Farbe. – Jahr Top Spezial, 398 S. Lieske, E. & Myers, R. 2001. Coral Reef Fishes: Indo-Pacific and Caribbean. – Princeton University Press, 400 S. Mather, P. & Bennett, I. 1993. A Coral Reef Handbook. Guide to the G eology, Flora and Fauna of the Great Barrier Reef – Surrey Beatty & Sons Pty Ltd, 264 S. Sale, P.F. 2006 (Hrsg.). Coral Reef Fishes: Dynamics and Diversity in a Complex Ecosystem. – Academic Press, 576 S. Stimm, A. 2001. Die Korallenfisch-CD: Eine Einführung in die Welt der Korallenfische (CD-ROM). – Epsilonmedia Verlag. Bildnachweis: Abb.1: © Jürgen Kriwet, Abb.2,3,4: W.K. Gregory 1933. Fish Skulls. A study of the evolution of natural mechanisms. – Transactions of the American Philosophical Society. Vol. 23, Part 2., Abb.5,6,7: © Jürgen Kriwet, Abb.8,9,10: © J.E. Randall, Abb.11,12,13: © Museum für Naturkunde, Berlin

Tief, dunkel, kalt – und voller Leben! André Freiwald, Institut für Paläontologie, Universität Erlangen, andre.freiwald@pal.uni-erlangen.de IYOR-Koordinationsteam, Museum für Naturkunde, Berlin info@iyor2008.de www.iyor2008.de weiterführende Literatur: Reef-Forming Cold-Water Corals. Von André Freiwald in: Ocean Margin Systems. Hg. von G. Wefer u.a. Springer, 2002.


Autorenverzeichnis, weiter führende Literatur und Bildnachweise Large Deep-Water Coral Banks in the Porcupine Basin, Southwest of Ireland. Von B. De Mool u.a. in: Marine Geology, Bd. 188, S. 193, 2002. Weblinks: ACES Projekt: http://palaeo_de/palges/ ACES II: hwww.geol.uni-erlangen.de/pal/ Tiefwasser-Riffe: www.geol.uni-erlangen.de/pal/exp/dw-reefs/ Lophelia pertusa: www.sams.ac.uk/dml/ Positionen: www.geol.uni-erlangen.de/pal/field/ MPA News: http://depts.washington.edu/mpanews Cool-Corals: http://www.cool-corals.de/

Das Gedächtnis der Korallen wie Klimadaten gespeichert werden Prof. Dr. Eberhard Gischler, Institut für Geowissenschaften, Facheinheit Paläontologie Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, gischler@em.uni-frankfurt.de weiterführende Literatur Felis, T. & Pätzold, J. (2004): Climate reconstructions from annually banded corals.- In: Shiyomi, M. et al., Hrsg., Global Environmental Change in the Ocean and on Land, S. 205-227, Terrapub, Tokyo. Gischler, E. (2006): Das Gedächtnis der Meere - Korallenriffe speichern Klimadaten.- Forschung Frankfurt, Bd. 24, S. 10-17. Hudson, J.H., Shinn, E.A., Halley, R.B. & Lidz, B. (1976): Sclerochronology: a tool for interpreting past environments.- Geology, Bd. 4, S. 361-364. Veron, J.E.N. (1995): Corals in Space and Time.- 321 S., University New South Wales Press, Sydney.

Auf und Nieder – Die wechselvolle Entwicklungsgeschichte von Riffen in der Tiefenzeit Prof. Dr. Wolfgang Kiessling, Museum für Naturkunde, Berlin wolfgang.kiessling@museum.hu-berlin.de Links: Paläo-Riffdaten und Karten http://193.175.236.205/paleo (ID = paleo; Passwort = reefs) Bauer und Bewohner fossiler Riffe (Paleobiology Database) http://paleodb.org weiterführende Literatur: Kiessling, W. 2001. Paleoclimatic significance of Phanerozoic reefs. – Geology 29: 751-754. Kiessling, W. 2005. Long-term relationships between ecological stability and biodiversity in Phanerozoic reefs. – Nature 433: 410-413. Kiessling, W., Flügel, E. & Golonka, J. (Eds) 2002. Phanerozoic Reef Patterns, SEPM Special Publication, 72, Tulsa, 775 pp.

Die Evolution der Korallenriffe und was uns die Jura-Riffe dazu verraten Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Museum für Naturkunde, Berlin Für Artikel: leinfelder@museum.hu-berlin.de Wenn es um die allgemeine Adresse geht (etwa beim Grußwort oder bei der Herausgeberschaft):

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generaldirektor@museum.hu-berlin.de www.palaeo.de/edu/jrp Bildnachweis: Abb. 2: Stark verändert, nach Flügel, 1997, Kl. Senckenbergreihe, 24 Abb. 3: Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie. Abb. 10, 11: Carola Radke, Museum für Naturkunde, Berlin Abb. 12: G. Schweigert, Stuttgart.

Dem Klima auf der Spur PD Dr. Hildegard Westphal, Fachbereich Geowissenschaften, MARUM, Universität Bremen hildegard.westphal@uni-bremen.de Prof. Dr. Wolf-Christian Dullo, Leibniz-Institut für Meereswissen schaften (IFM-GEOMAR) cdullo@ifm-geomar.de Bildnachweis: Abb. 2: © IODP Abb. 3: Hildegard Westphal Abb. 3: Westphal, Dullo, Freiwald und anderen Abb. 4: © IODP Abb. 6: Luis Pomar Abb. 7: Christopher St. G. Kendall Abb. 8: Christopher St. G. Kendall

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Schwämme des Korallenriffs: Lieferanten neuartiger Medikamente Gert Wörheide, Dirk Erpenbeck, Judith Pöppe, Oliver Voigt Georg-August-Universität Göttingen Geowissenschaftliches Zentrum Abteilung Geobiologie Goldschmidtstr. 3 37077 Göttingen Kontaktemail: gert@geobiology.eu Website: www.geobiology.eu Bildnachweis: Alle Fotos von G. Wörheide weiterführende Literatur: Moran, P. J. (1986). The Acanthaster phenomenon. Oceanography and Marine Biology, 24, 379-480. CRC Reef Research Centre 2003 Crown-of-thorns starfish on the Great Barrier Reef - current state of knowledge http://www.reef.crc.org.au/publications/brochures/COTS_web_ Nov2003.pdf Moran, P. J. (1988) Crown-of-thorns starfish questions and answers: online book http://www.aims.gov.au/pages/reflib/cot-starfish/ pages/cot-publisher.html

Der Dornenkronenseestern: Massenmörder oder missverstandenes Opfer von Umständen? Catherine Vogler, Oliver Voigt & Gert Wörheide Georg-August-Universität Göttingen Geowissenschaftliches Zentrum Abteilung Geobiologie Goldschmidtstr. 3, 37077 Göttingen Kontaktemail: gert@geobiology.eu Website: www.geobiology.eu

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Autorenverzeichnis, weiter führende Literatur und Bildnachweise

Konsequenzen des Klimawandels für Korallenriffe – mögliche Lösungsansätze

Korallen als Ingenieure von Warm- und Kaltwasserriffen

Christian Wild, Carin Jantzen, Wolfgang Niggl, Andreas Haas, Florian Mayer, Malik Naumann Coral Reef Ecology (CORE) Work Group, Zentrum für Geobiolo gie und Biodiversitätsforschung (GeoBio-Center) & Department für Geowissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität, Richard-Wagner-Str.10, 80333 München, Germany weiterführende Literatur: Fine M, Tchernov D (2007) Scleractinian coral species survive and r ecover from decalcification. Science 315: 1811 Grimsditch GD, Salm RV (2007) Coral Reef Resilience and. Resistance to Bleaching. IUCN Resilience Science Group Working Paper Series - No 1 (http://www.iucn.org/dbtw-wpd/ edocs/2006-042.pdf) Hoegh-Guldberg O (1999) Climate change, coral bleaching and the future of the world's coral reefs. Mar Freshw Res 50:839-866 Hughes TP, Baird AH, et al. (2003) Climate Change, Human Impacts, and the Resilience of Coral Reefs. Science (301): 929-933 Kleypas JA, Buddemeier RW, et al. (1999) Geochemical consequences of increased atmospheric carbon dioxide on coral reefs. Science 284: 118-120 Nakamura T, Yamasaki H, et al. (2003) Water flow facilitates recovery from bleaching in the coral Stylophora pistillata. Mar Ecol Prog Ser 256:287-291 Pandolfi JM, Jackson JBC, et al. (2005) Are U.S. Coral Reefs on the Slippery Slope to Slime? Science 307: 1725-1726 Prins G, Rayner S (2007) Time to ditch Kyoto. Nature 449:973-975 Smith JE, Shaw M, et al. (2006) Indirect effects of algae on coral: algae-mediated, microbe-induced coral mortality. Ecology Letters 9: 835-845 UNEP-WCMC (2006) In the front line: Shoreline protection and other ecosystem services from mangroves and coral reefs. UNEP-WCMC Biodiversity Series No. 24 (http://www.ramsar. org/wn/ w.n.inthefrontline.htm). Bildnachweis: Abb.1: ©Spage Image, Abb.2: © wunschmedia, Autor: Mark Wunsch, Phuket, Thailand, Abb.3: Autor: Carin Jantzen, Coral Reef Ecology Work Group, LMU, München, Abb.4: © wunschmedia, Autor: Mark Wunsch, Phuket, Thailand, Abb.5: Autor: Ove Hoegh-Guldberg, CMS, Brisbane, Australien, Abb.6: Autor: Ove Hoegh-Guldberg, CMS, Brisbane, Australien, Abb.7: Autor: Ove Hoegh-Guldberg, CMS, Brisbane, Australien, Abb.8: Autor: Soledad Luna, Ecuador, Abb.9: Autor: Jennifer Smith, USA, Abb.10: Autor: Christian Wild, Coral Reef Ecology Work Group, LMU, München, Abb.11: Autor: Andreas Haas, Coral Reef Ecology Work Group, LMU, München, Abb.12: Nils Hoff nach Florian Mayer, Coral Reef Ecology Work Group, LMU, München, Abb.13: Ove Hoegh-Guldberg, Centre for Marine Studies, The University of Queensland

Christian Wild & Carin Jantzen Coral Reef Ecology (CORE) Work Group, Zentrum für Geobiologie und Biodiversitätsforschung (GeoBio-Center) & Department für Geowissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität, Richard-Wagner-Str.10, 80333 München, Germany weiterführende Literatur: Ferrier-Pages C, Leclercq N, Jaubert J, Pelegri SP (2000) Enhancement of pico- and nanoplankton growth by coral exudates. Aqu Micr Ecol 21:203-209 Freiwald A (2002) Reef-forming cold-water corals. In: Wefer G, Billett D, Hebbeln D, Jørgensen BB, Schlüter M, Van Weering T (eds) Ocean Margin Systems. Springer Verlag, Berlin Heidel berg, p 365-385 Wild C (2004) Sediment-water coupling in permeable shallow water sediments, Vol. peniope, Munich, Germany Wild C, Huettel M, Klueter A, Kremb SG, Rasheed M, Jørgensen BB (2004a) Coral mucus functions as an energy carrier and particle trap in the reef ecosystem. Nature 428:66-70 Wild C, Rasheed M, Werner U, Franke U, Johnstone R, M. H (2004b) Degradation and mineralization of coral mucus in reef environments. Marine Ecology Progress Series 267:159-171 Wild C, Tollrian R, Huettel M (2004c) Rapid recycling of coral mass spawning products in permeable reef sediments. Marine Ecology Progress Series 271:159-166 Wild C, Rasheed M, Jantzen C, Cook P, Struck U, Huettel M, Boetius A (2005a) Benthic metabolism and degradation of natural particulate organic matter in silicate and carbonate sands of the Northern Red Sea. Mar Ecol Prog Ser 298:69-78 Wild C, Woyt H, Huettel M (2005b) Influence of coral mucus release on nutrient fluxes in carbonate sands. Mar Ecol Prog Ser 287:87-98 Wild C, Laforsch C, Huettel M (2006) Detection and enumeration of microbial cells in highly porous carbonate reef sands. Mar Freshw Res 57:415-420 Wild C, Jantzen C, Struck U, Hoegh-Guldberg O, Huettel M (2008) Biogeochemical responses on coral mass spawning at the Great Barrier Reef: Pelagic-benthic coupling. Coral Reefs 27:123-1328 Bildnachweis: Abb.1: ©Spage Image, Abb.2 a-c: ©JAGO Team/IfM GEOMAR, Abb.3: Christian Wild, Abb.4: Ralph Tollrian, Abb. 5: Ralph Tollrian, Abb.6: Christian Wild, Abb. 7: Christian Wild Abb.8: Christian Laforsch

»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Riffe? Dr. Georg Heiss, Museum für Naturkunde, Berlin georg.heiss@museum.hu-berlin.de Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Museum für Naturkunde, Berlin Für Artikel: leinfelder@museum.hu-berlin.de Wenn es um die allgemeine Adresse geht (etwa beim Grußwort oder bei der Herausgeberschaft):


Autorenverzeichnis, weiter führende Literatur und Bildnachweise generaldirektor@museum.hu-berlin.de www.palaeo.de/edu/jrp LINKS: www.aims.gov.au www.icriforum.org www.reefbase.org www.reefcheck.de weiterführende Literatur: Bruno JF, Selig ER (2007) Regional Decline of Coral Cover in the Indo-Pacific: Timing, Extent, and Subregional Compari sons. PLoS ONE 2(8): e711. doi:10.1371/journal.pone.0000711 Hodgson G, Liebeler J (2002) The global coral reef crisis – trends and solutions. Reef Check, Institute of the Environment, University of California, Los Angeles (77) Hodgson G, Maun L, Shuman C (2004) Reef Check Survey Manual, Reef Check, Institute of the Environment, University of California, Los Angeles, CA. Schuhmacher H, Mergner H (1985) Quantitative Analyse von Korallengemeinschaften des Sanganeb-Atolls (mittle- res Rotes Meer). II. Vergleich mit einem Riffareal bei Aqaba (nördliches Rotes Meer) am Nordrande des indopazifischen Riffgürtels. Helgoländer Meeresuntersuchungen 39: 419-440 Wilkinson C (2004) Status of coral reefs of the world: 2004. Global Coral Reef Monitoring Network and Australian Institute of Marine Science, Townsville, Australia (557) UNEP (2006) Marine and coastal ecosystems and human well-being: A synthesis report based on the findings of the Millennium Ecosystem Assessment. UNEP (76) Bildnachweis: Abb.3: Christian Alter

Künstliche Riffe – ein Begriff, viele Bedeutungen

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reisen von Johannes Walther. – scientia halensis – Das Wissen schaftsjournal der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. – 13-15, 4 Abb.; Halle (Saale). Hauschke, N. (2002): Die Geologisch-Paläontologischen Sammlungen. – In: Görgner, E., Heidecke, D., Klaus, D., Nicolai, B. & Schneider, K. [Hrsg.]: Kulturerbe Natur. Natur kundliche Museen und Sammlungen in Sachsen-Anhalt. – 122-130, 8 Abb.; Halle (Saale) (Mitteldeutscher Verlag). Seibold, I. (1992): Der Weg zur Biogeologie. Johannes Walther 1860-1937. Ein Forscherleben im Wandel der deutschen Universität. – 196 S., 33 Abb.; Berlin, Heidelberg (Springer). Walther, J. (1885): Die gesteinsbildenden Kalkalgen des Golfs von Neapel und die Entstehung structurloser Kalke. – Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, 37: 229-357; Berlin. Walther, J. (1888): Die Korallenriffe der Sinaihalbinsel. Geologische und biologische Beobachtungen. – Abhandlungen der mathe matisch-physikalischen Classe der Königl. Sächsischen Gesell schaft der Wissenschaften, 24: 439-505, 34 Abb., 8 Taf., 1 Kt.; Leipzig (S. Hirzel). Walther, J. (1891): Die Adamsbrücke und die Korallenriffe der Palk straße. Sedimentation im tropischen Litoralgebiet. – Dr. A. Petermanns Mitteilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt, Ergänzungsband, 22, Heft Nr. 102: 40. S., 1 Kt.; Gotha (Justus Perthes). Walther, J. (1910): Die Sedimente der Taubenbank im Golfe von Neapel. – Anhang zu den Phys.-math. Abhandlungen der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften, , 3: 49 S., 2 Taf.; Berlin. Walther, J. (1928): Führer durch die Lehr- und Schausammlungen des Geologisch-Palaeontologischen Instituts der Universität Halle, 2. Aufl. – 156 S.; Halle (Saale).

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Prof.i.R. Dr. Helmut Schuhmacher, Fachbereich Biologie und Geogra fie, Abt. Hydrobiologie Universität Duisburg-Essen helmut. schuhmacher@uni-duisburg-essen.de Bildnachweis: Abb. 1,13 : Eisinger

Johannes Walther (1860-1937) – Pionier der Riff-Forschung Norbert Hauschke, Institut für Geowissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg norbert.hauschke@geo.uni-halle.de Prof. Dr. Eberhard Gischler, Institut für Geowissenschaften, Facheinheit Paläontologie Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main gischler@em.uni-frankfurt.de weiterführende Literatur: Ginsburg, R. N., Gischler, E. & Schlager, W. [Hrsg.] (1994): Johannes Walther on reefs. Pioneering concepts of biogeology 1885-1910. – Geological Milestones, 2: IV + 141 S., 48 Abb., 8 Taf., 1 Kt.; Miami. Gischler, E. & Glennie, K.W. [Hrsg.] (1994): Johannes Walther on Deserts. – Geological Milestones, 4: XV+273 S.; Miami. Hauschke, N. (1997): Riffe und Wüsten. Die großen Forschungs-

Für den Inhalt der Artikel in diesem Buch sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Diese Artikel stellen die Meinung der Autorinnen und Autoren dar und spiegeln nicht grundsätzlich die Meinung der Herausgeber oder des Museums für Naturkunde. Sollte es trotz intensiver Bemühungen den Autoren nicht in allen Fällen möglich gewesen sein, den rechtsinhaber ausfindig zu machen, ist der Herausgeber für Hinweise dankbar, Rechtsansprüche bleiben gewahrt.

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abgetaucht – Sonderausstellung zum internationalen Jahr des Riffes 2008 Veranstalter:

Ausstellungsbau:

Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin

Complexx Messe- und Ausstattungsbau GmbH

Generaldirektor: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder Konzeption: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Dr. Georg Heiß, Uwe Moldrzyk, Benedikt Esch Projektleitung: Uwe Moldrzyk

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Ausstellungsgestaltung: Benedikt Esch

Museum für Naturkunde, Werkstätten Medientechnik: VOLKE Kommunikations-Design GmbH ict Innovative Communication Technologies AG Mediengestaltung: TheGreenEyl & Faust Dank an Leihgeber und Kooperationspartner: Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart; Deutsches Technikmuseum Berlin; Hessisches Landesmuseum Darmstadt; Prof. Dr. Helmut Schuhmacher,

Ausstellungsgrafik:

Universität Duisburg-Essen; marum - Zentrum für

Nils Hoff, Thomas Schmid-Dankward,

Marine Umweltwissenschaften Bremen; Leibniz

Elke Siebert, Carola Radke, Petra Messerschmidt

Institut für Meereswissenschaften IFM-Geomar Kiel;

Kuratorische Betreuung: Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Dr. Georg Heiß, Prof. Dr. Wolfgang Kießling, Dr. Dieter Korn, Dr. Jürgen Kriwet, Dr. Carsten Lüter, Dr. Peter Bartsch, Dr. Christian Neumann, Dr. Oliver Coleman,

Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie; GeoBio-Center der Ludwig-Maximilians-Universität München, Reef Check, Meeresmuseum Stralsund, Zentrum für marine Tropenökologie Bremen (ZMT) Mit freundlicher Unterstützung durch:

Dr. Birger Neuhaus, Dr. Ulrich Struck Präparatorische und Konservatorische Betreuung: Detlev Matzke, Ralf Rot, Robert Stein, Detlev Wilborn, Lutz Berner, Markus Brinkmann, Hans-Hartmut Krueger, Christa Lamour, Kristine Kämpf, Lothar Maitas, Karin Meschter, Antje Schwiering Realisiert unter Mitwirkung von: Anna Beckmann, Oliver Hähnel, Tomas Kleinert, Robert Lang, Erik Lehmann, Hans-Jürgen Lehmann, Ole Oppermann, Holger Schick, Kristin Schnack, Hendryk Schneider, Bärbel Stripling, Michael Templer

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Fotos: Dorling Kindersley Verlag, 3D digital photo, Michael Eisinger, Hans Hass Institut, Klaus Jost - jostimages, Michael Jung, Marc Kochzius, Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, Helmut Schuhmacher, Fredy Brauchli - SUB AQUA PICTURES Nikki van Veelen, Christian Wild, Filme: ALDEBARAN Marine Research & Broadcast, Christian Alter, Bundesamt für Naturschutz, Leibniz Institut für Meereswissenschaften IFM-Geomar Kiel, marum - Zentrum für

PR und Öffentlichkeitsarbeit

Marine Umweltwissenschaften Bremen, Red Sea

Stefanie Schmitt, Dr. Gesine Steiner

Environmental Center Dahab, Peter Schneider


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