Dem Klima auf der Spur

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Dem Klima auf der Spur Hildegard Westphal und Wolf-Christian Dullo

Abb.1: DP Hunter vor Tahiti während IODP-Expedition #310, Herbst 2005.

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Das Schlagwort »Klimawandel« ist in diesen Tagen in der öffentlichen Diskussion allgegenwärtig. Katastrophenmeldungen und –szenarien jagen sich, manchmal werden auch mögliche Chancen durch die Klimaerwärmung diskutiert. Jede Wetterkapriole wird mit Blick auf »global change« interpretiert. Der Blick auf das Klima jedoch wird vom Wetter eher verstellt. Um Klima als die Summe von Wetterphänomenen über Zeit und Raum gemittelt verstehen zu können, müssen größere Zeiträume und größere Zusammenhänge betrachtet werden. Eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre ist jene, dass das Klima zu keinem Zeitpunkt der Erdgeschichte stabil war, und dass es insbesondere in dem Zeitraum, den die Menschheit bisher in ihrer Geschichte erlebt hat, durch große Schwankungen gekennzeichnet ist. Während wir aus dem Zeitraum der instrumentellen Messung von Temperatur, Niederschlag, Windstärke etc. zuverlässige Informationen über das Wetter haben, müssen für den Zeitraum davor andere Archive untersucht werden. Seit es menschliche Kulturen gibt, können dazu Artefakte oder bildliche Überlieferungen herangezogen werden. So zeigen zum Beispiel Felszeichnungen in der Sahara inzwischen dort längst verschwundene Tierarten wie Giraffen, Elefanten und Flusspferde und belegen damit, dass es vor 5.000 Jahren in dieser Region deutlich feuchter war. Diese Funde sind isoliert und zeigen noch keine Zeitreihen, die jedoch für die Rekonstruktion vergangener Klimazustände notwendig sind. Zur Erstellung von Zeitreihen wie auch für den vorkulturellen Zeitraum, der fast die gesamte Erdgeschichte von rund 4 Milliarden Jahren umfasst, muss deshalb auf natürliche Klimaarchive zurückgegriffen werden. Ein Beispiel für ein solches Klimaarchiv sind Korallenskelette und die von ihnen zu fast allen Zeiten der Erdgeschichte erbauten Riffe.

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abgetaucht Klimaveränderungen beeinflussen das gesamte System Erde. Nicht nur Lufttemperatur, Niederschläge und Windsysteme, sondern auch Wassertemperaturen, Strömungen und die Lage des Meeresspiegels verändern sich. Während der Eiszeiten werden ozeanische Wassermassen im Festlandeis, also in Eiskappen und Gletschern gebunden. Die Bindung von Wasser auf dem Festland, im wesentlichen auf Grönland, den arktischen Inseln und in Hochgebirgen führt zu einem weltweiten Absinken des Meeresspiegels. Änderungen des Meeresspiegels wiederum haben durchgreifende Folgen für küstennahe Ökosysteme, sowohl für solche an Land wie auch solche im Wasser. Die Rekonstruktion vergangener Umweltbedingungen mit ihren unterschiedlichen Meeresspiegelständen und Wassertemperaturen hat Wissenschaftler seit jeher fasziniert.

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Tropische Korallenriffe werden von Flachwasserorganismen aufgebaut und sind damit ganz unmittelbar von Meeresspiegelschwankungen und von veränderlichen Wassertemperaturen betroffen. Flachwasserkorallen bestehen aus Kolonien von Polypen, die ein gemeinsames Kalkgerüst ausscheiden. Diese Polypen haben eine Strategie entwickelt, um in den nährstoffarmen Gewässern der Tropen existieren zu können. Sie leben in Symbiose mit photosynthesetreibenden Algen, den Zooxanthellen. Für ihre Photosyntheseprozesse benötigen die Zooxanthellen Licht. Durch diese Lichtabhängigkeit sind Flachwasserkorallen an geringe Wassertiefen und klares Wasser angewiesen. Für die Erforschung des Klimas der Vergangenheit sind die tropischen Korallen und ihre Riffbildungen deshalb sehr wertvoll. Ihr Vorkommen belegt warmes, klares, flaches Wasser zur Zeit der Bildung dieser Riffe und demonstriert damit, dass in der Vergangenheit am Bildungsort tropische Bedingungen geherrscht haben. Doch nicht nur das reine Vorkommen, auch die Anordnung oder Architektur der Riffe enthält wichtige Informationen über die Umweltbedingungen. Ändert sich der Meeresspiegel, folgen ihm die Korallen und wachsen bei steigendem Meeresspiegel nach oben oder verlagern sich bei fallendem Meeresspiegel nach unten. Bei der Reaktion der Korallen spielt auch die Geschwindigkeit der Meeresspiegeländerung im Verhältnis zum Korallenwachstum eine entscheidende Rolle – steigt der Meeresspiegel zu schnell, ertrinken die Riffe. Bei der Untersuchung von Meeresspiegelschwankungen in tropischen Riffen kommen unterschiedliche Geländemethoden zum Einsatz. Einerseits bietet die seismische Untersuchung, also die Anwendung künstlich erzeugter Schallwellen, eine hervorragende Möglichkeit, die Riffarchitektur zu erkennen. Die zeitliche Auflösung, die gerade vor dem Hintergrund des derzeitigen raschen Klimawandels und dem damit prognostizierten Meeresspiegelanstieg von großem gesellschaftlichen Interesse ist, wird jedoch vielfach nicht erreicht. Daher sind gezielte Bohrungen für diese Fragestellung weit besser, allerdings kann man mit ihnen nur schwer die dreidimensionale Geometrie erfassen. Eine weitere Untersuchungsmethode, die für ertrunkene Riffe und für die Untersuchung von Hängen vor Riffen verwendet werden kann,

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xy Abb.2: Geometrie des Riffwachsstums bei a) steigendem, b) gleich bleibendem und c) fallendem Meeresspiegel.

sofern diese Riffe nicht von späterem Sediment überdeckt wurden, ist die Verwendung von Tauchbooten. Für die exakte Bestimmung des Meeresspiegels zu einem gegebenen Zeitpunkt anhand von Proben, die mit einem Tauchboot genommen wurden oder aus Bohrkernen stammen, dienen die an ganz bestimmte Tiefenbereiche speziell angepassten Flachwasserkorallen. Hinweise auf höhere Meeresspiegelstände als heute gibt es aus vielen Teilen der Erde. Zu den markantesten Zeugen zählen die Strandterrassen an fast allen Küsten. Zeugnisse für tiefere Meeresspiegelstände sind der unmittelbaren Beobachtung dagegen entzogen. Sie hinterlassen dennoch Spuren, die zur Rekonstruktion von Meeresspiegelständen herangezogen werden können. Werden zum Beispiel Kalkabscheidungen wie etwa Korallenriffe durch Meeresspiegelabsenkung der atmosphärischen Verwitterung ausgesetzt, so verkarsten sie, und es bilden sich Höhlen. In der Karibik ist eine Meeresspiegelabsenkung während der Hochvereisung vor rund 20.000 Jahren um mindestens 120 m durch derartige Verkarstung belegt. Das Abschmelzen der Eismassen dieser letzten großen Hochvereisung führte dann zu einem raschen Meeresspiegelanstieg von bis zu 5 cm im Jahr auf heutiges Niveau. Dieser Anstieg war also um ein Vielfaches rascher als die heute beobachteten

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abgetaucht Änderungen des Meeresspiegels. Ausgedehnte Gebiete der Erde wurden überflutet, so zum Beispiel die Adria, die vorher trocken lag, die Verbindung von Kontinentaleuropa nach England, sowie die Verbindung von Neuguinea nach Australien, die vorher von Menschen überquert wurde. Die geographischen Verhältnisse der Umwelt des frühen Menschen änderten sich schnell und durchgreifend – und gleichzeitig wurden die Lebensbedingungen des Menschen durch die Klimaerwärmung am Ende der letzten Hochvereisung rasch günstiger.

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Der Meeresspiegelanstieg nach der letzten Hochvereisung war offensichtlich jedoch nicht weltweit gleichförmig. Die verschiedenen tropischen Regionen der Erde weisen deutliche, regionale Unterschiede im Gang des Meeresspiegels auf. Durch den Einsatz von Flachtauchbooten können kleinskalige, aber für die Rekonstruktion des Meeresspiegels signifikante morphologische Elemente wie Verkarstungen oder ertrunkene Riffe betrachtet werden. Große Höhlensystem findet man heute an den tropischen Kontinentalrändern in einer Wassertiefe um 120 m. An ozeanischen Inseln reichen sie dagegen bis zu 150 m heutiger Wassertiefe hinunter. Wie kann der Meeresspiegel, der sich doch ähnlich dem Prinzip der kommunizierenden Röhren verhalten sollte, so unterschiedliche Signale hinterlassen? Hier spielt die unterschiedliche Dichte der Kontinente (2,7) und der Ozeankruste (3,2) eine entscheidende Rolle. Wird auf diesen unterschiedlichen Krusten im Zuge des Meeresspiegelanstieges die entsprechende Wassermasse aufgelagert, dann kommt es zwischen der ozeanischen Kruste und der kontinentalen Kruste zu einer Ausgleichsbewegung. Zunächst werden beide Krusten ähnlich »belastet«, auf Grund der geringeren Dichte der kontinentalen Kruste steigt diese aber mit einer mehrere tausend Jahre umfassenden zeitlichen Verzögerung gegenüber der ozeanischen wieder an, und die äußeren Signale eines Meeresspiegeltiefstandes, wie untermeerische Strandterrassen oder, wie im Falle der Riffe, Karsthöhlen liegen dann in bathymetrisch flacheren Abschnitten. Die empirische Beobachtung flacheren Tiefenlage von Karsthöhlen an kontinentalen Riffhängen gegenüber denjenigen an vulkanischen und damit ozeanischer Kruste zugehörigen Riffhängen lässt sich durch Modellierungen bestätigen. Ein weiteres Indiz für die Meeresspiegelveränderungen nach dem letzten Hochglazial sind »ertrunkene« Korallenriffe, die dem rasch ansteigenden Meeresspiegel nicht folgen konnten. Sie repräsentieren Phasen extrem raschen Eisabschmelzens in hohen Breiten und treten heute in charakteristischen Tiefen von 105 - 90 m und um 60 m auf. Die zwischen den einzelnen Vorkommen beobachteten Tiefenunterschiede können ebenfalls zum Teil auf das unterschiedliche Verhalten der kontinentalen Kruste gegenüber ozeanischer Kruste zurückgeführt werden. Daneben gibt es aber auch einen den allerjüngsten Meeresspiegelanstieg der letzten 10.000 Jahre betreffenden regionalen Unterschied zwischen den Riffen der karibischen Region und dem Indopazifik. Im gesamten indopazifischen Raum sind die Barriere- und Saumriffe und viele Atolle in der Zeit zwischen 6.000 und 5.000 Jahren vor heute bis zur jetzigen Position

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des Meeresspiegels emporgewachsen. Die Riffe wuchsen seit dieser Zeit nicht mehr in die Höhe sondern vom Land in Richtung Meer (= progradierendes Wachstum: Abb. 1 b). Die anbrandenden Wellen, insbesondere Sturmwellen, zerstörten das aktive Riffwachstum an der Aussenkante, und der sturmerzeugte Korallenschutt verfüllte allmählich die offenen Hohlräume des dahinter liegenden, bereits toten Riffgerüstes. Dies führte dazu, dass ein festes Riffdach gebildet wurde. Den atlantischen bzw. karibischen Riffen fehlt ein derartiges Riffdach. Grund hierfür ist ein anhaltend steigender Meeresspiegel bis zur heutigen Zeit; die Riffe zeigen eine Geometrie wie in Abb. 1 a). Während der letzten Hochvereisung waren große Teile Nordamerikas von dicken Eismassen bedeckt, so daß die Eislast auf der kontinentalen Kruste diese in den darunter liegenden Mantel drückte. Als Ausgleichsbewegung wanderte der unter Nordamerika liegende Mantel unter die ozeanische Kruste des Nordatlan-

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Abb.3: Schemazeichnung eines Riffhanges von den Antillen (Photos wurden vom Tauchboot Jago aus aufgenommen).

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abgetaucht tiks und hob so den Meeresboden regional an. Das Eisabschmelzen bedingt jedoch genau die umgekehrte Bewegung, wodurch sich der Boden des Nordatlantiks absenkt und daher mehr Wasser aufnehmen kann. Dadurch entzieht er dem indopazifischen Raum sogar Wassermassen, so dass wir heute im tropischen Bereich einen leicht ansteigenden Meeresspiegel im Atlantik und einen leicht fallenden Meeresspiegel im Indopazifik haben. Dieser Vorgang wird auch als Siphoneffekt bezeichnet (Peltier 1990). Diese natürliche Variabilität wird allerdings seit dem letzten Jahrhundert durch die globale Erwärmung überdeckt.

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Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten und der zahlreichen vorliegenden Forschungsergebnisse steht die genaue globale Rekonstruktion von Amplitude und Verlauf des Meeresspiegelanstieges nach der letzten Eiszeit noch aus. Mehrere Rekonstruktionen wurden anhand von Riffen in verschiedenen Teilen der Welt unternommen. Diese Rekonstruktionen reichen jedoch entweder zeitlich nicht bis zum letzten glazialen Maximum zurück, oder sie stammen aus Gebieten, die einen tektonisch unruhigen Untergrund haben und daher keine eindeutigen Rekonstruktionen möglich machen. Im Herbst 2005 wurden deshalb im Rahmen des internationalen Ozeanbodenbohrprogrammes IODP (»Integrated Ocean Drilling Programm«) mehrere Bohrungen vor der Pazifikinsel Tahiti abgeteuft. Tahiti liegt in den Tropen und ist weit entfernt von jeglichem direkten Einfluss von Vereisungen, und es liegt in einem tektonisch ruhigen Gebiet. Diese abgelegene Lage birgt die Chance, den globalen Meeresspiegelanstieg seit der letzten Hochvereisung zu rekonstruieren. Bestimmt man das Alter einer Koralle in einem Bohrkern, und weiß man, in welcher Wassertiefe diese Koralle wächst, kennt man zudem noch die Lage der Koralle in dem Gesteinspaket relativ zum heutigen Meeresspiegel, so kann man den Meeresspiegelstand zu diesem Zeitpunkt bestimmen. Die Auswertung der Bohrkerne von Tahiti wird derzeit von einem internationalen Forscherteam mit 24 Wissenschaftlern aus Europa, Japan und den USA durchgeführt; mit ersten Ergebnissen ist bis zum Herbst 2008 zu rechnen. Es scheint jedoch schon jetzt klar zu sein, dass der Meeresspiegelanstieg über Zeiträume von mehreren 100 Jahren sehr rasch und dann wieder langsamer vonstatten ging. Die Bohrkerne von Tahiti und die in Folge geplanten Tauchbooteinsätze sollen helfen, die noch „dunklen“ Abschnitte – d.h. die noch offenen Fragen – bei der Rekonstruktion der letzten großen Meeresspiegeländerung zu erhellen. Korallen bieten außer geometrischen bzw. Tiefen-Informationen auch mit dem Auge nicht sichtbare Umweltinformationen. Schaut man Korallen genauer an, sieht man eine leichte Bänderung. Diese Bänderung, ähnlich den Jahresringen der Bäume, stammt von meist jährlichen »Anwachsstreifen«. Bei der Bildung des Korallenskeletts, das »kontinuierlich« aus Karbonatabscheidungen entsteht, werden die saisonalen Umweltparameter gespeichert. Diesen Umstand macht man sich in der Sklerochronologie zunutzen (siehe Artikel Gischler). Trifft man in Bohrkernen oder Einzelproben auf derartig nutzbare Korallen, so kann man aus diesen die damaligen

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Abb.4: IODP #310 Bohrkern mit in situ Korallen

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Abb.5: Verschiedene Rekonstruktionen der Meeresspiegelentwicklung seit der letzten Eiszeit, die anhand von Untersuchungen an Riffen erstellt wurden.

Umweltbedingungen, wie Wassertemperatur oder den Salzgehalt bestimmen. Auch weiter in der Vergangenheit und über längere Zeiträume helfen Korallen bei der Rekonstruktion des Meeresspiegels. Während im Mittelmeer heute keine Flachwasserkorallenriffe vorkommen, waren sie vor rund 10 Millionen Jahren dort weit verbreitet. Die Klippen an der Südküste von Mallorca zum Beispiel bestehen aus aufgetauchten Korallenriffen aus dieser Zeit. Über einen Zeitraum von etwa 200.000 Jahren haben sich diese Korallenriffe 20 km ins Meer vorgebaut. Diese fossilen Riffe wandern als Zickzackkurve auf den heutigen Klippen auf und ab. Da die Korallen dem Meeresspiegel folgen, zeichnet dieses Muster die Meeresspiegelschwankungen vor etwa 10 Millionen Jahren sehr exakt nach. Anhand von derartigen Beispielen aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit können Geologen die Dynamik von Meeresspiegelschwankungen, ihre Geschwindigkeit und ihre Amplituden rekonstruieren. Sie können damit aber auch Zusammenhänge aufzeigen, zum Beispiel zwischen Wassertemperatur und Meeresspiegelstand, um das globale System von Klima, Umwelt und Ozean besser zu verstehen.

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Abb.6: Fossile Riffe, die an den Kliffs von Mallorca angeschnitten sind. Sie wachsen auf dem Bild von rechts nach links; erst steigt der Meeresspiegel, das Riff (in rot) wandert nach oben, dann sinkt der Meeresspiegel, das Riff wandert nach unten, und schließlich

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Nicht alle Riffbildungen der Erdgeschichte lassen sich jedoch bezüglich Meeresspiegelschwankungen direkt interpretieren. In der Erdvergangenheit gab es viele Zeitabschnitte mit starker Riffbildung. Die Evolution schuf aber eine Vielzahl unterschiedlicher Rifforganismen. Während es bereits vor rund einer halben Milliarde Jahre im Kambrium Riffe gab, die von schwammähnlichen Organismen, den Archäocyathiden gebildet wurden, die heute keine lebenden Verwandten mehr haben, gibt es unseren modernen Riffen vergleichbare Bildungen erst seit dem Ober-Miozän vor rund 10 Millionen Jahren. Kambrische Archäocyathiden waren jedoch Filtrierer, ebenso wie die permischen riffbildenden Brachiopoden oder die kretazischen riffbildenden Muscheln, die Rudisten. Das heißt, sie filterten Nahrung aus dem Wasser und lebten nicht mit photosynthesetreibenden Symbionten. Sie waren somit nicht lichtabhängig und sind ökologisch eher vergleichbar mit heutigen Tiefwasserkorallenriffen. Die fehlende Lichtabhängigkeit hat jedoch zur Folge, dass diese Riffe nicht als Meeresspiegelanzeiger geeignet sind – sie können in allen Wassertiefen vorkommen, die ihnen Nahrung bieten. Für andere Rifftypen der Erdgeschichte dagegen wird Lichtabhängigkeit angenommen – paläozoische und mesozoische Korallen waren vermutlich ökologisch den heutigen Flachwasserkorallen vergleichbar. Solche Korallenriffe zeigen dann auch Architekturen, die auf Meeresspiegelschwankungen schließen lassen. Auch Stromatolithen, die von Cyanobakterien gebildet wurden und seit dem Präkambrium existieren, zeigen Geometrien, die ihre Lichtabhängigkeit widerspiegeln. Die Riffe der Erdgeschichte zeigen, dass der Meeresspiegel mit verschiedenen Frequenzen und Amplituden stets geschwankt hat. Die Meeresspiegelschwankungen der Quartären Eiszeiten gehören zu den ausgeprägtesten der Erdgeschichte. Der gegenwärtige Meeresspiegel ist je nach der betrachteten Region zwischen 4 bis 9 m tiefer als in der letzten Zwischeneiszeit vor 125.000 Jahren. Die Entwicklungen der nächsten Zukunft tendieren in Richtung eines Meeresspiegelstandes der letzten Zwischeneiszeit. Ein besseres Verständnis der Vergangenheit wird dazu beitragen, Ursachen und Auswirkungen der Meeresspiegelveränderungen und der damit verbundenen Umweltdynamik besser einschätzen zu können.

steigt er wieder an (linker Bildrand).


Hildegard Westphal und Wolf-Christian Dullo

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xy Abb.7: Devonische Riffe von Westaustralien

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