Gentlemen's Report No.7

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The Gentlemen’s Guide

Ist die Krawatte noch ein uneingeschränktes Symbol von Autorität? Davon bin ich nicht mehr absolut überzeugt. Da verändert sich etwas. Die Topmanager in China tragen etwa keine Krawatte mehr, nur die Angestellten des mittleren Kaders. Bei uns ist das noch anders. Viele Männer tragen heute lieber Schals statt Krawatten, weil ihnen dies individueller scheint – macht Ihnen das nicht Angst? Ich beobachte das auch – die Krawatte wird weniger häufig getragen, dafür sieht man mehr und mehr Schals. Jedoch Angst macht es mir nicht, denn die Männerschals haben den Einbruch bei den Krawatten kompensiert. Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, hätte ich es nicht so bestimmt gesagt, aber heute weiss ich: Die Krawatte wird nicht verschwinden, im Gegenteil, bei einer neuen Zielgruppe hat die Krawatte wieder Kredit.

Wear a tie Text: Jeroen van Rooijen

Sind es jüngere Kunden, welche die Krawatte wieder anziehen? Das ist so. Jetzt, wo sich die Herren mittleren Alters von der Krawatte befreit haben, entdecken ihre Söhne sie wieder. Die, die heute Krawatten tragen, tragen sie oft aus Überzeugung und Passion, nicht weil sie es müssen. Sie suchen ihre Krawatten sehr bewusst aus.

Die neuen Krawatten, die Christophe Goineau für Hermès entwirft, sind schmaler, haben grafische Mikromuster und sind matt statt wie früher seidenglänzend.

Gentlemen’s Report: Monsieur Goineau, wozu soll man heute noch eine Krawatte tragen? Christophe Goineau: Die Krawatte erfüllt im Grunde noch immer ihre ursprünglichste Aufgabe: dem Outfit einen Farbtupfer und eine persönliche Note zu geben.

Individualität ist überhaupt das wichtigste Stichwort zu diesem Thema. Es gibt aber heute keine Regeln mehr, was das Mischen der Muster von Hemden und Krawatten betrifft. Man kann etwa auch Schrägstreifen mit Karos kombinieren, wenn man etwas Übung hat.

Kaufen diese Kunden andere Krawatten als vor zehn Jahren? Sie möchten nicht dieselben Krawatten tragen wie ihre Väter. Für uns bedeutet das, dass wir mehr Varianten und Muster denn je zuvor anbieten. Wir haben Krawatten aus Seide, Baumwolle, Cashmere, schmale, breite, feste und feine. Und wir machen sogar Krawatten auf Mass und mit personalisierten Details. Sie können aus 1000 Farben auswählen.

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Wie sieht die zeitgemässe Krawatte denn nun konkret aus? Die Form ist etwas schmaler als früher. Wir setzen auf acht Zentimeter. Verglichen mit den neun Zentimeter breiten Krawatten ist das ein kleiner Unterschied, aber man sieht es sofort. Die ganz schmalen Krawatten sind nicht ihr Ding? Das ist nicht unser Stil. Hermès geht nie ganz scharf mit der Mode, sondern bevorzugt es, «l’air du temps» zu sein, also mit der Zeit zu gehen. Schliesslich behält man unsere Produkte gerne etwas länger. Verwenden Sie andere Materia­ lien als früher? Die Materialien sind tendenziell etwas schwerer und fester. Die wichtigste Neuerung überhaupt ist, dass die verwendeten Stoffe heute fast alle matt sind. Vielleicht entspricht dies besser dem Image des aktiven, sportiven Mannes von heute als der seidene Glanz von früher. Hermès ist ja bekannt für die Prints mit Tiermotiven – ziehen die noch? Diese Krawatten hatten lange Zeit Kultstatus – für manche bis heute. Doch die neuen Konsumenten wollen das Thema neu interpretiert sehen. Wir zeigen also neue Kollektionen mit digitalen, computergenerierten Mustern und kleinen Webmotiven, aber auch miniaturisierten Versionen der Tierchen, die für uns so typisch sind. Das Figurative ist dem Abstrakten und Rhythmischen gewichen. Welche Farben werden heute verlangt? Die Farben sind delikater, wir versuchen nicht die offensichtlichen Töne – Rot, Hellblau, Bordeaux – zu zeigen, sondern besondere Mischfarben. Ein Blau hat etwa einen Schuss Violett oder Türkis.


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