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Wilde Natur

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Strände

Strände

NATUR Natur – das unendliche Wunder. „Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Doch alle Professoren der Welt können keinen herstellen.“ Schopenhauer

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W ATT

WUN DER

Ach wie süüüüß!

Weil wir so lieb aussehen, vergisst man ab und zu, dass wir Wildtiere sind und in rauer Natur klarkommen müssen. Lern mich besser kennen! Nur zwei Seiten weiter!

ONE WAY TICKET.

Die Tierwelt auf Norderney ist spannend und faszinierend. Die nächsten Seiten präsentieren Wissenswertes zur einmaligen Inselfauna und ihren Vertretern. Zum Auftakt gibt’s ein paar folgenreiche Missverständnisse.

sicher nicht. Seit es sich entschieden hat, mit einem oneway-Ticket über das Watt zu immigrieren: irgendwie Wer über Norderneys Inselfriedhof streift, um ja. Noch eine dritte Tierart stürzt sich gern auf alles, traditionelle Seemannsgräber oder 150 Jahre was nicht bei drei in der Tasche verstaut ist: Möwen. Sie alte Sinnsprüche zu betrachten, der mag sich hingegen sind an der Nordsee zuhause und wissen, wie insgeheim wundern. Üppige Grabbepflanzungen man hier satt wird – etwa Fischkutter jagend, um seinen sind selten. Frischblumen auch. Stattdessen Stein Teil vom Fang abzugreifen. Doch wie so oft können wir und Zäune, die Gräber umfrieden. Und florales Menschen es nicht lassen, auch hier natürliche Kreisläufe Plastik. Spätestens jetzt fällt der Groschen: zu stören – indem wir die Möwen füttern! Ein (natürNaturkreislauf Blumen zählen hier zu den bedrohten lich verbotener) Kardinalfehler, denn so speichern die Kein Zweifel: Nur Arten. Sie haben einen übermächtigen Vögel ab: „Toll, diese komischen Riesen reichen uns ihr wenn wir Menschen Feind: das Kaninchen. Die Nager, die die Futter sogar persönlich mit der Hand an“. Wie soll eine uns entscheiden, die Insel Norderney inklusive City bevöl- Möwe das alte Stück Brot von einem frisch gekauften Natur als Verbündeten bzw. Lehrmeister zu sehen und uns selbst kern, verursachen immense Schäden im Pflanzen- und Tierreich. Doch erlauchte Landesherren mussten den pelzigen Hoppler ja anno 1820 unbedingt auf der Butterhörnchen unterscheiden? Möwen sind schlau – so schlau dann aber doch nicht! Deshalb stürzen sie herab und reißen Kindern ihr Brötchen aus den Händen. Ist dieses Missverständnis Schuld der Möwen? Wohl kaum. weniger wichtig zu Insel aussetzen – um ihn zu jagen! Heute Angesichts von so wenig Respekt vor der Natur kann nehmen,können Um- graben riesige Kolonien unterirische man schon mal sauer werden – sogar die geduldigen, welt, Pflanzen und alle Bauten, die bis zu 3 Meter tief sowie übrigens sehr tierlieben Norderneyer. Von ihrer TierlieLebewesen weiterhin 20 Meter lang sein können und ganze be zeugt nicht zuletzt ein Tierfriedhof vor den Toren koexistieren. Dünenzüge unterhöhlen. Doch haben sich der Stadt. Dort sind die Blumen zwar auch aus die Wildkaninchen aus Bosheit entschie- Plastik, doch die Ruhestätten werden genauso den, 200 Jahre zu bleiben und die Landschaft zu liebevoll betreut wie die in der Stadt. schädigen? Sicher nicht. Nochmal zurück zum Friedhof: Auch Norderneys Damwild – heute eine Herde von etwa 40 bis 50 Tieren – tummelte sich mit Vorliebe vor dessen Mauern. Lange hielt sich gar das Seemannsgarn, die Tiere hätten dem Läuten der Totenglocke entnommen, wann das Frischblumen- und Kränzebuffet wieder eröffnet sei. Doch gehört Damwild auf eine Insel mit begrenztem Raum und begrenzten Futterressourcen? Ursprünglich

Silbermöwen Msind Flugkünstler. Langsam und ausdauernd nutzen sie den Aufwind zum Segelfliegen. Insgesamt wirkt ihr Flug ruhig und sehr geschickt, fast majes- tätisch.

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NIMMERSATT

Sie nehmen, was sie kriegen – Möwen sind praktisch Allesfresser. Die Silbermöwe ist der bekannteste Vogel der Nordsee. Sie kann 60 cm groß werden und ihre Flügel haben eine Spannweite von bis zu 1,5 m. Von April bis Juli brütet die Silbermöwe, die bis zu 30 Jahre alt werden kann, im Schutz flacher Dünentäler in riesigen Möwenkolonien. Trotz des Geschreis erkennen sich Partner am Ruf und bleiben oft zusammen. Ihre Jungvögel sind erst grau, dann braun und schließlich mit jeder Mauser weißer. Nach vier Jahren trägt die Silbermöwe ihr charakteristisches Federkleid. Auf ihrem Schnabel leuchtet ein knallroter Punkt. Auf diesen picken die Jungen, damit ihre Eltern vorverdaute Nahrung für sie auf den Boden würgen. Möwen sind schlaue Tiere, die sich sehr gut versorgen können. Für Muschelleckerbissen etwa, deren Schale sie nicht öffnen können, nutzen sie einen genialen Trick: sie lassen die Muschel aus großer Höhe auf gepflasterte Flächen fallen, wo sie zerschellt und das Fleisch freigibt. Daher brauchen Möwen keine Unterstützung durch uns Menschen – vor allem nicht durch Füttern!

HEIMAT REVIER

Die Inselnatur zeigt ein eigenwilliges Antlitz. So auch ihre Tierwelt, deren vier vielleicht bekannteste Vertreter sich hier tummeln. Q

Grazil schweben transparente, glocken- oder schirmförmige Wesen durch die Nordsee – Quallen. Sie bestehen zu 98 % aus Wasser und sind die größten Planktontiere der Welt. Quallen können bis zu 35 cm groß werden – doch auf den Ostfriesischen Inseln sieht man selten derartige „Giganten“, die der Nordwind angetrieben hat. Die Hohltiere zählen zu den ältesten Tieren und sind in allen Meeren zu Hause. Durch Anpassung haben die Überlebenskünstler 670 Mio. Jahre Erdgeschichte überdauert. In der Nordsee finden sich Gelbe Haarquallen, Feuerquallen genannt, und Blaue Nesselquallen. Da sich die Tiere kaum selbst bewegen, werden sie durch Wind und Strömung an die Inselstrände getrieben. Mancher Badegast ist mit den anmutigen Schwimmern bereits auf Tuchfühlung gegangen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Brennende und gerötete Haut werden uns für einen Moment an die Begegnung mit einer Qualle erinnern. Um Beute zu machen oder sich zu schützen, setzen Quallen nämlich blitzschnell hunderte Nesselkapseln frei. Sobald diese unsere Haut berühren, baut sich innerhalb der Kapsel Druck auf. Das ganz harmlose, aber brennende Nesselgift wird explosionsartig in die Haut injiziert. Wenn zu viele Quallen vor der Küste treiben, hissen Norderneys Strandkapitäne deshalb die Rote Flagge – Badeverbot!

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QUALLEN

Wie Feen schweben sie durch die Nordsee – seit 670 Mio. Jahren

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auf Norderney ist ein Unikum. Die übrigen sechs Ostfriesischen Inseln sind wildfrei.

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Norderneys Hirsche und Rehe

leben inmitten der Dünenlandschaft und der wilden Birkenwälder im Inselosten. Flecken gesprenkelt. Da die Tiere auf Norderney keine Feinde haben, sich somit problemlos vermehren und 25 Jahre alt werden können, müssen die Bestände gelegentlich reguliert werden, wie Norderneys Hegeringsmeister Onnen erklärt. Vor allem im Winter statten die keineswegs scheuen Tiere der Innenstadt täglich Besuche ab. Vor allem in der Nordhelmsiedlung und den Gärten rund um Norderneys Mühle zählen sie zum Stadt- 1966 wurde, wohl um anspruchsvolle Jäger bild. Auch im Kurpark grasen kapitale Hirsche in aller zu „bedienen“, auf Norderney eine Tierart Gemütsruhe. Was witzig klingt, ist es leider nicht, ausgesiedelt, die nicht endemisch ist und denn vor den gierigen Tieren ist kein grüner oder deren Futtersituation sich auf der Insel nicht blühender Leckerbissen sicher. optimal gestaltet – Damwild. Auch über das Watt kamen immer wieder Damhirsche bzw. Rehe und eroberten ihr ungewöhnliches, aber idyllisches Dünenrevier. Zwischen 40 und 50 Exemplare leben heute auf der Insel. Die vergleichsweise kleinen Damhirsche sind mit einer Schulterhöhe von 90 Zentimetern kaum größer als Rehe. Unschwer erkennbar sind sie an ihren schaufelförmigen Geweihen mit zackenförmigen Enden auf der Rückseite. Ihr Fellkleid ist – im Gegensatz zum Rotwild – mit weißen

Für Seehunde und ihre Nachkommen ist das Wattenmeer ein sicherer Schutzraum – wenn wir Abstand halten!

SSeehunde gehören glücklicherweise wieder zum Bild der Nordsee, wo sie sehr auskömmlich leben. Die Seehundsbänke vor Norderney, die ihnen zur Rast dienen, zählen zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Mit Glück kann man die Meeressäuger, die wir aufgrund ihrer runden Köpfchen und ihrer Kulleraugen als besonders süß wahrnehmen, schon von der Fähre aus erkennen. Weibliche Tiere können 35 Jahre, männliche 25 Jahre alt werden. Nach geboren, sondern auch geparkt, wenn ihre Mütter jagen. der Paarung im August bringt das Weibchen nach 11 Monaten ein Jungtier auf die Welt. Die Babies wiegen bis zu12 kg und werden sechs Wochen gesäugt. Auf der Sandbank werden sie nicht nur Liegt also ein „heulendes“ Jungtier am Strand, ruft es nach seiner Mutter und sie wird es holen – sofern es nicht berührt wurde und fremd riecht! Deshalb ist es streng verboten, sich vermeintlich verwaisten Heulern auf mehr als 300 Meter zu nähern. Wer die Tiere in ihrem Naturraum erleben möchte, der fahre ans Inselende. Je nach Wind- und Wetterlage können die scheuen Säuger dort respektvoll beobachtet werden. Beliebt bei Familien sind organisierte, lehrreiche Bootsfahrten zu den Seehundbänken. Mehr Wissenswertes zu den Tieren, ihren Eigenschaften und ihrem Schutz bieten die Infoseiten der seehundstation-norddeich.de

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SEEHUNDE

dürfen immer nur aus der Ferne bewundert und nie berührt werden. 2022 # 41.

ROLLING HOME, ROLLING HOME

rolling home across the sea, home to di old Nördernee, rolling home, dear land to see.

Junge

Komm bald wieder!

FOTO JOACHIM TRETTIN TEXT FRIEDERIKE SAUERBREY

»Als Siebenjähriger auf der Kommandobrücke«

Geschichten, die das Leben schreibt, sind spannend und berührend. Wenn sie vom Meer und seinen Menschen handeln, erst recht – so wie die Geschichte von Mike Morawietz. Vor 39 Jahren verlor er sein Herz an die Reederei Frisia mann in einem Vier-Sterne-Haus – der Top-Trainings-Area in Norden. Seit 2017 ist Mike, was für den Umgang mit Menschen. 2002 schließlich nahm die LTU den smarten jungen Mann mit Handkuss – und er schon als fünfjähriger Steppke Mike blieb bis 2017. Doch ein drittes Mal sollten sich die Weichen seines Lebensweges umstellen. Mittlerweile bei sein wollte: ein Teil von ihr. Air Berlin, sah Mike keine Zukunft im Flugsektor – jedenfalls nicht seine. Das ins Schlingern geratene Unternehmen bot ihm eine Abfindung, wenn er ginge. Mike tat nichts Bei der Lektüre des Lexikons nautischer Begriffe stößt man lieber als das. Über all die Jahre hatte er Kontakt zum unter H auf „Hein Janmaat“, das maritime Pendant zum ver- Reederei-Management gehalten, das ihn zum Teil schon als breiteten „Hinz und Kunz“. Ein Durchschnittsmatrose ist der Kind gekannt hatte. Mike stand in Verhandlungen zu einer 1977 geborene Mike Morawietz allerdings nicht. Er musste Ausbildung als Schiffsmechaniker, wie Matrosen seit 1983 nämlich einen langen Umweg – ungezählte Flug- genannt werden. Die Frisia zauderte – schließlich meilen rund um die Welt – nehmen, um mit 40 heuert nicht jeden Tag ein 40-jähriger Azubi Jahren dort anzulanden, wo sein Herz 35 Jahre mit zwei Kindern an. Doch Mike konnte wieder zuvor vor Anker gegangen war. Damals hatte der überzeugen. Vielleicht hatte er den ReedereiSohn einer Norderneyerin in jeder freien Minute, Bossen seine 5.000-Bilder-Kollektion von die er auf Mutters Heimatinsel verbringen durfte, Frisia-Schiffen präsentiert. Oder er zauberte jene sehnsüchtig am Fährhafen gestanden, um sich jedes Fotos hervor, die ihn als Siebenjährigen strahlend Detail der Schiffsflotte einzuprägen. Schon 1982 auf der Schiffsbrücke zeigten. Möglicherweise brannte der kleine Junge für seinen Traum, Matrose hatte er geschildert, welche Sehnsucht ihn oder Kapitän zu werden – nicht etwa auf „Großer getrieben hatte, im dritten Anlauf doch noch Teil Fahrt“ über die Sieben Weltmeere, sondern auf der nordisch-maritimen Frisia-Welt zu werden. der Frisia zwischen Norddeich, Norderney und Was auch immer: er wurde genommen und Juist. Doch wie so oft im Leben kam alles anders. der enthusiastische Laie wurde zum Seemann Vater Morawietz überzeugte den Filius, den reellen ausgebildet. Seit 2017 lebt der 44-Jährige das Beruf eines Gerüstbauers zu erlernen, was dieser Leben, das er immer wollte. Naturgemäß ist pflichtschuldig tat. Ein Jahr lang hielt es Mike durch, Mike Morawietz mit jedem Schiffschräubchen 12 bis 14 Stunden täglich auf Düsseldorfer Baustel- per du. Mensch, Maschine und Motoren, len zu buckeln. Noch mehr als die vielen Überstunden Kompass, Kaje und Kombüse hegt und pflegt quälte ihn der Traum vom Leben, das er nicht lebte und er mit der gleichen Liebe, mit der er für nie leben würde, wenn er nichts änderte, jetzt und hier! sein großes Lebensziel gekämpft hat. Neben der Liebe zur Reederei hatte Mike ein zweites Faible entwickelt – die Luftfahrt. Zudem hatte er in Düsseldorf eine Familie gegründet. Kurzum: Er bewarb sich bei der LTU als Flugbegleiter – und kassierte als „Handwerker“ eine glatte Absage. Das konnte den Seemann in spe jedoch keineswegs erschüttern. Zielstrebig absolvierte er eine weitere Ausbildung zum Hotelfach-

Nach harter Arbeit bei Sturm gab es auf Schiffen einst einen Schluck Rum zur Belohnung. Die letzten Arbeiten fanden stets am „Besanmast“ statt. Darum hieß der Umtrunk „Besanschot an“. Auf den Frisia-Schiffen konnte sich dieser nette Brauch leider nicht durchsetzen.

RUHE Bedeutung

Warum das Blaue Nass ruhig und klug macht.

Instinktiv wissen wir, dass uns das Meer Ruhe schenkt. Doch warum eigentlich? Diese Frage hat der Meeresbiologe Dr. Wallace J. Nichols untersucht. Antworten lieferten Neurowissenschaft, Evolutionsbiologie und Medizin. Dr. Nichols spricht vom „Blue Mind“ des Menschen – einem meditativen Zustand von Ruhe und Zufriedenheit mit dem Leben. Unser Gehirn sei so gepolt, dass es von sich aus positiv auf Wasser reagiere und uns auf einer tieferen Ebene heilen könne. Neben Ruhe fördere der Zustand des „Blue Mind“ Konzentration und intellektuelle Leistungsfähigkeit. Also: Wer durchs Meer noch schlauer werden möchte, dem sei Dr. Nicholsʼ Buch empfohlen.

Wallace J. Nichols, „Blue Mind“ Wie Wasser uns glücklicher macht Hirzel Verlag, Stuttgart 2020 ISBN 9783777628417 Gebunden, 320 Seiten, 25,00 EUR

Wie Thalasso hilft, Covid-19 zu

heilen. Dass Thalasso auch bei Corona bzw. Post- und Long-Covid positive Wirkung zeigt, konnte 2021 wissenschaftlich belegt werden. Seit 30 Jahren erforscht Thalasso-Experte PD Dr. Friedhart Raschke das Wechselspiel von Beruhigung und Anregung durch Thalasso für den Organismus. Im Rahmen eines Symposiums auf der Internationalen Tourismus Börse 2021 zu Symptomen und Therapie von „Post-Covid-19“ referierte Dr. Raschke zu innovativen Konzepten für die Therapie und Rehabilitation von Covid-19. Er zeigte, dass die T-Lymphozyten im Blut, die den Verlauf einer Corona-Erkrankung mitbestimmen, durch Thalasso- und Klimatherapie gestärkt werden und sich die Leistung des Immunsystems erhöht. Auch für die Long-Covid-Symptome Erschöpfung, Kopf-und Gliederschmerzen sowie Schlafstörungen wurden Therapieansätze vorgestellt, die zuvor am Institut für Rehaforschung Norderney erarbeitet worden waren.

Wer nicht glauben kann, wie heilsam Meerwasser ist, der mache folgenden Selbstversuch: Wunde Füße mit Druckstellen oder Blasen drei Tage in der Nordsee baden. Die Füße fühlen sich wie neu an, wunde Stellen und Blasen sind wirklich verschwunden!

was ist gut für Mich

Zeit am Meer kann uns ganz schön den Kopf ver-

drehen. Denn mit seiner ungeniert ausgelebten Wechselhaftigkeit, seinen Launen, Stimmungen und Zuständen reibt sionen und Lebewesen. Wohl den meisten Menschen ist uns das Meer unter die das Meer Sehnsuchtsort, Ruhepol und – Ratgeber? Wer weiß, vielleicht rückt es uns gelegentlich den Kopf zurecht, Nase, dass man sehr wenn wir wieder mal bange zaudernd vor ihm stehen, fröstelnd und vom Wind verhuscht. Ganz sicher ermutigt wohl jeden Moment uns das Meer, in seinem Angesicht unverstellter auf uns selbst zu blicken. Ehrlicher. Und so beschließen wir – ganz neu beginnen kann. plötzlich Teil der maritimen, in sich so logischen Natur des Meeres – etwa demütig, nie wieder eine Zigarette anzufassen. Wir fühlen, nein: wir wissen mit einem Mal, dass wir den Job, der uns nicht einen Tag lang gut getan hat, am Wir lieben die Stimme des Meeres. Sein Rau- Montag nach dem Inselurlaub kündigen werden. Diesmal schen. Sein Strömen. Sind wir in seiner Nähe, wirklich, einfach so. Die Entscheidung, ab sofort nie wiealso meist am Strand, blenden wir den dorti- der mit heruntergewürgter Wut zu kuschen, von nichts gen Klangteppich aufgeregter Kinderstimmen, und auch vor niemandem, fällt in Sekunden. Schließlich das Sirren unseres Handys und das hysterische macht uns dieses wogend schnaubende Meer ja vor, wie’s Gekreische der auf Snacks lauernden geht, alles hinter sich zu lassen, ohne sich noch einmal umDas Gefühl, wenn Möwen irgendwann aus. Wir verneh- zudrehen. Allein mit Ihrer schaumgekrönten Majestät der unsere Füße in warmen, weichen Sand getaucht oder von salziger Gischt men nur noch das Geräusch rollender Wellen – ihr stetes Hin und Her. Die Monotonie der Gezeiten zieht uns in Nordsee beschließen wir am Strand, gleich morgen früh ein neues Leben zu beginnen. Wir schwören es uns. Schwören es dem Meer. Und hoffen inständig, dass umspült werden, ihren Bann – wie ein rätselhafter Ruf unsere Schwüre wenigstens bis Norddeich halten. lässt sich nicht der Natur. Und jedem von uns ruft beschreiben. Wir das Meer etwas anderes zu. Wer das Glück hat, für werden Teil von einen Moment in seinem warmen Strandkorb dösen etwas ganz Großem zu dürfen, dem sind Anrollen, Aufschlag, Ausrollen – den Trillionen von und Rückzug des Wassers ein vertrautes Wiegenlied. Sandkörnern oder Norderneys Surf-Community am Januskopf und an Tropfen der Nordsee. der Weissen Düne versteht das Rauschen des Meeres als direkte Einladung, auf ihren Surfbrettern kauernd die ultimative Welle zu erwarten. Den Fotografen inspiriert das Lied des Meeres beim Versuch, den Tanz der Wellen im perfekten Moment einzufangen. All dies zeigt, dass jeder von uns eine eigene Beziehung zum Meer hat – diesem hochkom- plexen Makrokosmos voller Mysterien, Geheimnisse, Dimen-

2022 # 45.

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