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Pizzaschule Berlin

QUO VADIS...

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Ein kollektiver Aufschrei der Empörung schallte vor einiger Zeit durch Italien. „Ausgerechnet die Franzosen“, da waren sich ausnahmsweise selbst Mailänder und Neapolitaner einig, „ausgerechnet die Franzosen wollen die Pizzaproduktion revolutionieren. Die sollen sich lieber um ihren verdammten Flammkuchen kümmern.“ Grund der Erregung: Ein Pizzaroboter, erdacht und entwickelt von Ingenieuren eines Pariser Technologieunternehmens und Gastronomen des ebenfalls in der Seine-Metropole ansässigen Start-up-Restaurants Pazzi. Als dessen Chef Philippe Goldman den Automaten vor zwei Jahren präsentierte, sprach er stolz von der Möglichkeit, alle 30 Sekunden eine Pizza servieren zu können.

„Pizza ist doch kein Massenprodukt“, konterten die Italiener, „Pizza braucht Zuwendung und Zeit.“ Ihre Meisterbäcker basteln am perfekten Teig, der eben nicht nur ein Gemisch aus Mehl, Wasser, Hefe, Salz und Öl ist, mittags angesetzt und abends verbacken, sondern eine „Creazione“ mit lockerer Krume, karamellisierter Kruste und Poren mit duftigen Aromeneinschlüssen. Und für dessen Belag die besten Zutaten gerade gut genug sind.

Gennaro Battiloro, einer der Stars der Szene (Seiten 91 bis 97), spricht von größter Frische, unbedingter Saisonalität und lässt beispielsweise Tomaten von ausgewählten Landwirten extra für seine Pizzeria anbauen – „Selezione Battil’oro“.

...PIZZA?

Pizzaschule Berlin: Die Gründer Nicola und Gianluca Pascale, v. li.

Die Pizza-Connection

ERSTE PIZZASCHULE IN BERLIN ERÖFFNET

Über vier Jahrzehnte ist es her, dass es den gelernten Koch Nicola Pascale aus dem heimatlichen Apulien ins ferne BadenWürttemberg zog. Pascale war Tellerwäscher in Heidelberg, eröffnete später in Berlin ein eigenes Restaurant und gründete schließlich 1998 die Fresco GmbH – ein Großhandel, der schnell zur besten Adresse für Spezialità Italiane in der deutschen Hauptstadt avancierte. Die Idee, in Berlin eine Pizzaschule ins Leben zu rufen, hatte Nicola Pascale schon vor Jahren. Doch immer fehlte die Zeit oder etwas anderes kam dazwischen. Ende 2019 machte Pascale dann Nägel mit Köpfen, holte Sohn Gianluca und Tochter Patricia – beide inzwischen Fresco-Geschäftsführer – ins Boot, fand Partner in Italien und geeignete Räume auf dem Beusselmarkt – und startete im Dezember das Projekt „Scuola Pizzaioli – La passìone per la Pizza“.

Pizzaschule Berlin: Das Lehrerkollegium.

Adriano Dormio, re. und seine Eltern Cosimo und Damiana Dormio.

Zum Lehrerkollegium der ersten Berliner Pizzaschule gehören auch Mitarbeiter der 1988 gegründeten Scuola Italiana Pizzaioli mit Sitz in Caorle, einer Küstenstadt in der Corona-Krisenregion nördlich von Venedig, die derzeit unter Totalquarantäne steht. „Wir hoffen, dass es unseren Kollegen dort gut geht und dass sie den gesellschaftlichen Lockdown unbeschadet überstehen“, sagt Adriano Dormio. Der 38-Jährige, ebenfalls ins Ausbilderteam der Pizzaschule berufen, zählt zu den prominentesten Berliner Pizzabäckern. Er steht im 1982 eröffneten elterlichen Restaurant La Malga am Lichterfelder Hindenburgdamm am Steinofen, und wenn er mal nicht dort steht, dann ist der Szene-Star garantiert wieder zu einer nationalen oder internationalen Pizzameisterschaft unterwegs. Die Urkunden seiner Teilnahmen zieren einige Quadratmeter Wandfläche im La Malga, und irgendwann will es Adriano Dormio natürlich auch aufs Podest schaffen.

www.LaMalga.de

In Aktion: Adriano Dormio.

Küchendirektor Mirco Battaglini und Pizzachef Fabio Ferrarini, v. li.

Auch Mirco Battaglini und Fabio Ferrarini gehören zur AusbilderMannschaft der Berliner Pizzaschule. Battaglini, 34, stammt aus Cingoli in der mittelitalienischen Marken-Region. Der 33-jährige Ferrarini ist in Reggio di Calabria zu Hause, auf der Stiefelspitze im Süden Italiens, direkt am Meer.

Beide sind gelernte Köche, kulinarische Profis mit vielen Jahren Berufserfahrung, ausgewiesene Pizza-Spezialisten und derzeit beim Nobelitaliener Cecconi´s im Soho-House unter Vertrag.

Battaglini und Ferrarini beobachten natürlich genau, wohin die Reise des italienischen Nationalsymbols geht – eher zur neapolitanischen Traditionspizza oder vielleicht doch stärker zur norditalienischen Gourmetversion, auf der sich auch mal TaubenbrustCarpaccio, marinierte Jakobsmuscheln oder Gamba-Sashimi und Mango-Salat zusammenfinden, wobei aber – so Ferrarini – hier das Risiko groß ist, dass die geschmackliche Harmonie verloren geht.

www.cecconisberlin.com

In Aktion: Fabio Ferrarini.

Koch Enrico Richter vom Bildungszentrum der IG Metall in Spandau und Pizzalehrer Adriano Dormio, v. li.

Riccardo Agugiaro, Chef eines über Italiens Grenzen hinaus bekannten Mühlenbetriebes und Produzent der berühmten 5-Stagioni-Pizzamehle, bemühte zur Eröffnung der ersten Berliner Pizzaschule Anfang Februar 2020 den deutschen Dichter Bertolt Brecht: „Pizza, das ist das Einfache, das so schwer zu machen ist.“

Dass Brecht bei seinem Aperçu etwas weit weniger Gegenständliches als einen Teigboden mit Belag im Blick hatte, spielte in diesem Moment keine Rolle. Geschenkt, der Spruch passte zum Anlass wie zur Sache, denn nirgends brennen Synapsen bei Köchen so durch wie bei der Pizza. Teigboden mit Belag, das klingt zwar logisch, ist aber, gemessen an der Debatte darum, mit Sicherheit eine der naivsten Herangehensweisen der Küchengeschichte.

Doch eine Pizzaschule ist kein Diskutierclub und das Pizzabacken kein Wunschkonzert, das merkten die Teilnehmer des ersten Grundkurses schnell. „Vor den heißen Ofen hat der Pizzagott die harte Theorie gestellt“, so Adriano Dormio, der Lehrer aus Lich-

Der Schöneberger Pizzeria-Inhaber Tarek Hichri und Lehrer Adriano Dormio, v. li.

terfelde. Und dann ging’s zur Sache: Getreidesorten, Weizenarten, die Bestandteile des Korns, die Raffination des Mehls, Frischhefe, Trockenhefe und zum Schluss der obligatorische „Test zur Überprüfung der Lerninhalte“. Es folgten praktische Unterweisungen: Teigherstellung, Teigführung, Ausdehntechnik, Abstaubtechnik und üben bis die Finger schmerzten…

Einen weiteren Kurs gab es nicht, Corona kam, die Schule musste schließen. Nicola Pascale bleibt dennoch optimistisch. „Andra tutto bene“, sagt er, „alles wird gut.“

PIZZASCHULE BERLIN

Beusselstraße 44 n-q 10553 Berlin-Moabit Tel. 030 – 20 09 71 40 www.fresco-berlin.de