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Bandol sur mer

„Sous Chef, das ist so etwas wie die letzte Enklave der Sklaverei.“ Das sagte uns einer, der es wissen musste und wir fragten: „Was ist dran an solcher Einschätzung?“

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Sind die Stellvertreter der Küchenchefs tatsächlich die mit der notorischen Arschkarte? Oder ist dieser Job nicht doch das Sprungbrett für eine große Küchenkarriere?

Régis Louviot 2010 im Fischers Fritz. Susanne Stuhlert 2010 im Hartmanns.

Marc Ossowski 2010 im e.t.a. hoffmann.

Wir besuchten fünf Berliner Sous Chefs und baten um Antworten – das war 2010.

Heute, über zehn Jahre später, wollten wir wissen, was aus der Frau und den vier Männern geworden ist. Haben die KüchenCracks von damals den Sprung an die Spitze geschafft? „Ich bin zufrieden mit meinem Job“, sagt Marc Ossowski, einst Sous Chef im e.t.a. hoffmann. Der gebürtige Berliner, Jahrgang 1981, lebt heute im nordrheinwestfälischen Remscheid und arbeitet als Küchenchef in einer Metzgerei. „Von der geregelten Arbeitszeit profitieren vor allem meine drei Kinder“, so Ossowski.

Auch für Régis Louviot waren es Argumente pro Familie, die ihn veranlassten, das Sternerestaurant Fischers Fritz 2012 zu verlassen. Der 44-jährige Franzose aus Vittel in Lothringen steht heute im Bistro der Moabiter Frischeparadies-Filiale am Herd und ist mit sich und der Welt zufrieden. Susanne Stuhlert, 41, war rechte Hand des Sternekochs Stefan Hartmann. Sie erlebte den rasanten Aufstieg bis zum MichelinStern, danach den tiefen Fall in die Insolvenz. Sie zog weiter, wurde Coledampf´sKüchenchefin. Zwei Jahre später auch hier das Ende. Susanne Stuhlert hängte frustriert ihren Beruf an den Nagel.

Sous Chef Joachim Gerner, der wahrscheinlich ausgewiesenste Fischfachmann unter den Berliner Spitzenköchen, arbeitet immer noch an der Seite von Michael Kempf – inzwischen allerdings als Küchenchef. Bleibt Andreas Saul. „Kommt vorbei“, sagte er uns am Telefon.

Joachim Gerner 2010 im Facil. Andreas Saul 2010 im Rutz.

Saulfood at its best

STIPPVISITE IM BANDOL SUR MER

VON JÖRG TEUSCHER

Inhaber und Küchenchef Andreas Saul.

Am 5. März, einem Donnerstag, fielen Termine ins Wasser. Ein Anruf im Bandol sur mer. Tatsächlich, es gab noch einen freien Tisch.

Unser letzter Besuch liegt schon ein paar Jahre zurück, aber geändert hat sich auf den ersten Blick nichts. Die Wände sind immer noch schwarz, die Monitore über der Tür immer noch blind, und auch die Zeiger der Bahnhofsuhr an der Wand stehen immer noch auf zehn nach neun.

Und Andreas Saul? Der ist inzwischen 39 und seit zwei Jahren auch Inhaber des Bandol („Ich mache das gemeinsam mit meiner Frau, sie ist für Administration und Buchhaltung zuständig.“).

Von den Äußerlichkeiten, deretwegen er einst als Küchen-Punk und Herd-Revoluzzer apostrophiert wurde, sind nicht viele geblieben. Und seine Küche, früher zum Berliner Freestyle hochgejazzt, ist alles andere als das (und war es sicher auch nie). Saul kocht mit bestechender Perfektion und beneidenswerter Raffinesse und immer mehr mit einheimischen Produkten.

Gastgeber und Sommelier Alexander Seiser.

Faktum ist: Andreas Saul serviert nur ein Menü. Verhandelbar ist lediglich die Foie gras, entweder ja oder nein. Die meisten Gäste wissen das, und die es nicht wissen, werden spätestens nach den ersten fulminanten Gängen erkennen, wie gut es war, sich voll und ganz in die Hand des Küchenchefs und seiner Leute zu begeben.

Einen starken Eindruck hinterlassen schon die Vorspeisen, in denen sich geschmackliche Kraft mit handwerklicher Präzision verbindet. Zum Beispiel beim fermentierten Rotkohl, begleitet von Rote-Bete-Püree, Rote-Bete-Pulver und einer Austernvelouté, die – Gott sei Dank – reichlich angegossen wird. Man kann ein bisschen ins Schwärmen kommen (Teller oben).

Es folgt ein Algentaco mit Kombu und Nori, auf dem ein gebeizter und leicht gegrillter Kaisergranat, eingelegte Tomaten und eine frische Kapuzinerkressenmayonnaise eine stimmige Geschmacksperformance hinlegen (Teller Mitte).

Noch einen drauf setzt Sauls Kreation aus Kuttelfisch (das ist die alte Bezeichnung für den Echten Tintenfisch), Entenschinken, eingelegten Tomaten mit schöner Säure, halbflüssigem Eigelb und einem Hühnerfond (Teller unten).

Und weiter gehts – auf Seite 40.

Auch durch den zweiten Teil des BandolMenüs, das Andreas Saul bei unserem Besuch Anfang März servierte, zieht die Opulenz der Aromenvielfalt.

In einem fabelhaften Fischgang findet sich neben dem forsch auf der Haut gebratenen Havelzander ein fein gewürzter Kürbisdumpling, ein witziger Sepia-Cracker und ein kraftvoller Waldpilztee, dessen Basis ein dichter Zanderfond ist (Teller oben).

Im folgenden Gang werden perfekt gegarte Tranchen von der Iberico-Schweineschulter von fermentiertem Rettich, Lauchpüree, Lauchmayonnaise und einer MisoHollandaise begleitet (Teller unten).

Sauls Foie gras (Teller Mitte) ist gebraten und versteckt sich unter einer hauchdünnen Scheibe aus gekochtem, danach püriertem, dünn ausgestrichenem und bei niedriger Temperatur gebackenem Kalbskopf. Angegossen wird eine UnagiSauce aus gegrilltem Aal, Knoblauch, Reiswein, Ingwer, Sternanis und etlichen weiteren Ingredienzen, deren Herstellung immerhin vier Tage dauert. „Unsere Geheimwaffe“, so Andreas Saul.

BANDOL SUR MER

Torstraße 167 10115 Berlin-Mitte Tel. 030 – 67 30 20 51 www.bandolsurmer.com

Dafür gab es 2016 den Michelin-Stern und in den Folgejahren die souveräne Verteidigung. Natürlich ist Saul stolz darauf, von Ehrgeiz zerfressen ist er jedoch nicht – oder wie soll man die Aussage „vor allen Auszeichnungen kommt immer die Familie“ sonst verstehen?

Ein Satz, den auch Alexander Seiser unterschreiben würde, 30-jähriger Gastgeber, Sommelier der Meisterklasse und in Berlin bestens bekannt: Horváth, Rutz, Reinstoff, mehr geht nicht.

Seiser agiert mit Witz, Verve und bei der Selektion der begleitenden Weine mit dem gleichen Fingerspitzengefühl wie seine kochenden Kollegen. Einen von Seisers Geheimtipps machen wir mit seiner Zustimmung öffentlich: www.apfelkinder-berlin.de – es lohnt sich, genauer hinzuschmecken.

Wir hatten das auch vor, aber dann kam das Coronavirus. Andreas Saul schloss am 18. März sein Restaurant und hofft, durchzuhalten. „Es wäre schade, wenn wir nicht zurückkehren könnten“, postete er vor einigen Tagen.

Servicemann Christoph Schippel. Souschef Jules Massey.

Kai Rückewold.

Die wichtigste Frage heutzutage, Herr Rückewold, wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern?

So gut es eben gehen kann in Anbetracht der derzeitigen Situation. Natürlich machen wir uns alle Gedanken, wie es langfristig weitergeht und wann eine gewisse Normalität wiederkehrt. Aber das betrifft ja wohl derzeit alle. In erster Linie sorgen wir uns aber um unsere Mitgliedsbetriebe und hoffen sehr, dass sie diese Krise überstehen und erhalten bleiben. Dies gilt vor allem für unsere Landgastronomie und unsere Landurlaubsbetriebe.

Wie arbeiten Sie derzeit?

Wir haben bereits im letzten Jahr damit begonnen, unsere Arbeitsplätze ‚mobiler‘ zu gestalten. Das heißt, fast alle pro-agro-Mitarbeiter können ohne Einschränkungen von zu Hause aus arbeiten, und das tun sie derzeit auch. Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind also jederzeit für unsere Betriebe ansprechbar.

Pro agro hat sich die Förderung des ländlichen Raumes in Brandenburg auf die Fahnen geschrieben. Was können Sie angesichts der fundamentalen Erschütterung des gesellschaftlichen Lebens durch die Coronakrise denn derzeit bewirken?

Zunächst sind und bleiben wir das Bindeglied zwischen unseren Mitgliedern und dem Brandenburger Landwirtschaftsministerium. Das heißt, wir halten unsere Betriebe aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie aus dem Land- und Naturtourismus auf dem Laufenden, wenn es wichtige Informationen in der momentanen Situation gibt. In einer ausgesprochen schwierigen Lage ist der Veranstaltungssektor. Große Events, etwa die Eröffnung der Ausflugs- und Frischesaison im Land oder die BraLa, die Brandenburgische Landwirtschaftsausstellung, wurden abgesagt. Damit können auch die im Rahmen dieser und anderer Veranstaltungen geplanten regionalen Erzeugermärkte, deren Organisation ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist, nicht stattfinden.

Kai Rückewold, Jahrgang 1977, ist gebürtiger Potsdamer. Nach einer Ausbildung zum Vermessungstechniker studierte er an der Universität seiner Heimatstadt Regionalwissenschaften, Abschluss Master of Science. Vor zwölf Jahren kam Rückewold zu pro agro, 2015 wurde er zum Geschäftsführer des Verbandes zur Förderung des ländlichen Raumes in der Region BrandenburgBerlin berufen.

Deshalb legen wir den Fokus jetzt verstärkt auf den Online- und Print-Bereich. Wir vernetzen bei Facebook und informieren auf unseren Internetseiten, wo in Brandenburg Landwirte und Genusshandwerker ihre regionalen Spezialitäten verkaufen. Eine unserer Veröffentlichungen dazu trägt den Titel ‚Einkauf im Grünen‘ und ist auf unserer Website www.proagro.de als Download zu finden. Darin sind 538 Brandenburger Direktvermarkter und Hofläden mit ihren Offerten aufgeführt und wir hoffen, wenn die ausflugsfreie Zeit vorüber ist, dass viele Berliner und Brandenburger die Angebote nutzen und auf Entdeckungsreise gehen, dabei Land und Leute kennenlernen und mit den Produzenten ins Gespräch kommen.

Kann die Brandenburger Landpartie am zweiten Juniwochenende stattfinden?

Nein, auch die Landpartie ist in diesem Jahr abgesagt. Pro agro wird eine Broschüre herausgeben mit guten kulinarischen Adressen in allen Brandenburger Landkreisen – Hof- und Regionalläden, Brennereien, Landbäckereien und -fleischereien, Fischern, Imkern und anderen Produzenten regionaler Spezialitäten.

Eines der vielen aktuellen Probleme der Brandenburger Landwirte sind die fehlenden Saisonarbeitskräfte – sind da Lösungen in Sicht?

Die Coronakrise sorgt für einen eklatanten Mangel an Erntehelfern. Vor allem im Spargel- und Erdbeeranbau drohen Ernteausfälle. Auch die Zierpflanzengärtner stehen vor großen Problemen. In dieser Ausnahmesituation haben sich schon viele Menschen gemeldet, um zu helfen. Wir ermutigen alle, die sich dazu in der Lage fühlen, es ihnen gleichzutun. Für die Vermittlung gibt es übrigens diese Plattformen: www.land-arbeit.com, www.daslandhilft.de und www.saisonarbeit-in-deutschland.de. Man muss natürlich wissen, dass etwa das Spargelstechen eine körperlich anstrengende Tätigkeit ist, bei der es um Tempo, aber auch um Präzision geht. Doch es werden auch dringend helfende

Hände in der Logistik, der Verpackung oder für die mobilen Verkaufsstände gesucht.

Sie plädieren dafür, Lebensmittel nicht nur im Supermarkt zu kaufen. Was meinen Sie damit?

Selbstverständlich ist es für die Menschen am einfachsten, ihre täglichen Einkäufe, aufgrund des umfangreichen Sortiments, im Supermarkt zu tätigen. Viele unserer regionalen Unternehmen sind dort bereits gelistet und wir arbeiten gemeinsam daran, weitere Unternehmen unserer Region bei den Handelsunternehmen der Hauptstadtregion listen zu lassen, so dass Kunden diese in den Regalen finden können. Vielfalt ist wichtig – neben dem Supermarkt gibt es jedoch auch die Filialen der Handwerksbäckereien, Landfleischereien, gibt es Hofläden direktvermarktender Unternehmen mit frischem Obst, Gemüse und weiteren Produkten aus der Region. Sie haben auch in diesen Tagen für ihre Kunden geöffnet und brauchen ihre Kunden auch. Mit dem Kauf vor Ort beim Erzeuger stärkt jeder die Heimatregion, außerdem sind die Gesichter und Geschichten hinter den regionalen Produkten erkennbar und erlebbar. Hier muss ich Ihnen aber Recht geben, die Versorgung der Berliner durch die Direktvermarkter aus Brandenburg ist durch die eingeschränkte Mobilität derzeit nicht ganz so einfach. Dennoch ein schönes aktuelles Beispiel: Einige Brandenburger Erzeuger, die auf Berliner Wochenmärkten verkaufen, berichten uns über ein erhöhtes Kundeninteresse. Vielleicht rücken darüber hinaus aber auch Konzepte wie die der Marktschwärmer mehr und mehr in den Fokus. Auch Onlineplattformen wie www.q-regio.de, www.soreegio.de oder www.meatbringer.de bilden ein wichtiges Bindeglied und nicht zu vergessen, viele Betriebe haben auch schon lange eigene Onlineshops, in denen aus der Ferne problemlos eingekauft werden kann.

Wie sehen Sie die wirtschaftlichen Folgen für den Tourismus, die Gastronomie und Hotellerie in den Brandenburger Regionen?

Die Betriebe des ländlichen Tourismus, ob Landgasthöfe oder Ferien- und Pferdehöfe dürfen derzeit keine Gäste empfangen, haben allerdings laufenden Kosten für ihr Haus und ihr Personal. Auch Tiere sind weiterhin zu versorgen. In der Landgastronomie erleben wir derzeit viele kreative Ideen für Außer-Haus-Konzepte. Wie lange damit die fehlende Auslastung überbrückt werden kann, ist die Frage. Wir unterstützen unsere landtouristischen Unternehmen wo wir können, damit sie diese Zeit überstehen. Eine besonderes Projekt zur Unterstützung von Betrieben wurde von der TMB Tourismusmarketing Brandenburg entwickelt. Auf der Plattform www.brandenburghelfen.de können sich betroffene Unternehmer registrieren, gleich ob Gastronomiebetrieb, Kultur- oder Freizeiteinrichtung, Landhotel oder Einzelhändler. Mit dem Kauf eines Gutscheins auf www.brandenburghelfen.de, der nach der Coronakrise eingelöst werden kann, können die Kunden Brandenburger Unternehmen unterstützen. Darüber hinaus gibt es eine Übersicht von Firmen, die Lieferungen oder eigene OnlineShops anbieten. Auch Spenden sind möglich. So können Gäste und Stammkunden ihrem Lieblingsrestaurant, einer Pension oder einem Hofladen schnell und unbürokratisch Hilfe zukommen lassen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rückewold.