Gangan Lit-Mag 50 3|4

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Mayer 1965 100
Nick Montfort Hansjörg
Translations
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Nick Montfort 2014–2019

Fiston Mwanza Mujila

EINSAMKEIT 57

DIE POESIE DER VERZWEIFLUNG ODER

DAS GEZETER EINES LEEREN KÖRPERS

... ich suche die Überreste meines Körpers, ausgebreitet auf dem Gestade der Verzweiflung, das linke Bein existiert nur auf dem Papier, Bauch und Unterleib wie ausgestanzt, die Hände stinkend nach Ware und mein Gebell geht nicht einmal bis zu den Knöcheln dieses stromlosen Himmels, das heißt, ich betrüge das Leben, das mich auf Kieferhöhe in der Zange hält, das heißt, ich diene als Deko für mein Mistkübel-Schicksal, Amphibien-Schicksal, Kipelekese-Schicksal, Tchanga- Medesu-Schicksal ...

... vielleicht muss ich (in der Hoffnung auf irgendeine Rettung) bähen und bähen in d-Moll wie die letzte Ziege meiner Großmutter: beum, beum, beum ...

... und bedenkt man, daß es keine Euthanasie für Widerspenstige und Trunkenbolde meines Schlages geben wird! und bedenkt man, daß es keine zweite Sintflut geben wird, die mich in meinem Gesabber fortreißt, mit anderen Worten, Ya Noah kommt nicht zweimal und man läßt nicht mehr sieben Paare seiner Tiere auf die Arche, Männchen und Weibchen, anders gesagt, die Wasser des Flusses zaïre, ebale ezanga mokuwa, lecken nicht mehr an unser Verlangen nach Luxus

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und anderen Ausschweifungen in den bestirnten Nächten der Rotlichtviertel von Kinshasa und Amsterdam ...

... und in der Zwischenzeit, ohne Götter und Haustier, das Salz des Lebens entbehrend, treibt sich mein Tausendfüßer-Körper auf den Gestaden der Verzweiflung herum, auf der Rückseite ein Dutzend meiner eigenen Zähne gewaltsam ausgerissen von Lemuren und anderen Aasgeiern dieses Himmels ohne Heizöl ...

... bleibt mir nur zu meckern wie Tshela, die letzte Ziege meiner Großmutter julienne mua Mwanza, wie Tshela in Mezzosopran: beum, beum, beum ...

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Simona Nastac / Olga Stehlíková

One Voice

I have only one voice, and I can silence it

Do you hear the echo of time tearing itself apart?

I have only one hand that holds the other one What is the sound of one hand clapping?

I have four eyes, each of them looking its own way

One more than a shark, one less than a sea star

But there are twenty-eight cardinal directions – each fills up its own empty universe

Including the centre

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Simona Nastac: safety first_

I talk since nobody listens when I’m silent

One cell talks, the other listens

I’m silent because everyone hears their own silence

There is no such thing as silence

Can you hear it?

Yes, someone is walking in your footsteps on the Moon?!

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oo)))

Beware of what you might touch and see in this sound: a beautiful idea: the first poet on the Moon!

it could easily shatter your brain into small helpless words the first woman on the Moon

it could run down the stairs headlessly like Duchamp’s Nude Descending a Staircase, No. 2 and throw itself at you with an unknown weapon in hand a singing in the ears

it could become a complex vibration of quantum fields a process in transient equilibrium before returning to dust

it might easily be you a process in transient equilibrium before returning to dust

it could become a complex vibration of quantum fields a singing in the ears

and throw itself at you with an unknown weapon in hand like Duchamp’s Nude Descending a Staircase, No. 2

it could run down the stairs headlessly the first woman on the Moon

it could easily shatter your brain into small helpless words a beautiful idea: the first poet on the Moon!

Beware of what you might touch and see in this sound: oo)))

on the Moon?!

yes, someone is walking in your footsteps

Can you hear it?

There is no such thing as silence

I’m silent because everyone hears their own silence

One cell talks, the other listens

I’m talking because nobody listens when I’m silent Including the centre

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– each fills its own empty universe completely

But there are twenty-eight cardinal directions

One more than a shark, one less than a sea star

I have four eyes, each of them looking its own way

What is the sound of one hand clapping?

I have only one hand that holds the other one

Do you hear the echo of time tearing itself apart?

I have only one voice, and I can silence it

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Simona Nastac: human assisting the birth of a stone

entschuldigungen[1]

es tut mir leid. aber ich hätte mir auch gewünscht, dass wir uns wiedersehen. ich hätte auch gerne eine neue wohnung gehabt. wenn es nicht möglich war, die miete zu erhöhen oder den hauskredit. aber ich hätte mir gewünscht, dass sich die leute wiedersehen, bevor es dann zu spät ist.

es tut mir leid für diesen mann. ich hätte es mir nicht anders gewünscht. die „bild“-zeitung hatte zuvor berichtet, die frau habe vor dem einzug des ballspiels in der kabine „viele tränen“ ausgestoßen und sei daraufhin „von der gesamten mannschaft ausgebuht worden“. die „bild“ hatte berichtet, der ball sei ins tor gefallen und dort gelandet, „um den ball ins tor zu schießen. der schiedsrichter ist der auffassung, dass dies das spiel entscheiden sollte, weil er die partie nicht gesehen hat.“ das blatt berief sich nun auf die polizei.

es tut mir leid, weil ich das in meinen augen getan habe. und ich bin immer bereit, mich für meine sache zu opfern. ich habe die gelegenheit verpasst, mich hier zu engagieren – und die unterstützung, die mich wirklich in die welt gesetzt hat, die mich in meinem herzen getroffen hat – weil ich mich so gerne für die sache der menschenrechte einsetzen würde.

ich habe mich geirrt und mich an den text herangewagt und bin dann von den anderen beiden nicht so richtig verstanden worden. ich bin zwar nicht in der lage, die beiden punkte in diesem sinne zu akzeptieren, aber es ist mir gelungen, einen guten kompromiss zu finden. ich möchte nur noch einmal wiederholen, dass ich, was die anderen von ihnen getan haben, vollauf zufrieden bin mit der art und weise, auf die sie sich jetzt einigen werden. ich möchte mich nun doch wieder auf den weg zu den beiden punkten machen. ich habe die beiden punkte bereits einmal angesprochen:

Jörg Piringer
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ich habe mich geirrt und mir den namen meiner großmutter gegeben. ich habe ihn auf den namen ihres sohnes übertragen. und er hat mich in meinem namen gesprochen und ich habe mich für ihn eingesetzt. ich habe mich geirrt und ich habe mich geirrt. ich bin auch der meinung, dass man die sache nicht so einfach klären kann. ich habe versucht, einen artikel in der wikipedia zu erstellen, und zwar über das internet, und dann ist das ergebnis schon wieder gelöscht.

ich habe mich geirrt und bin in der zwischenzeit zu meinem zweiten kind gelaufen. aber ich hatte mich verliebt und bin nun schwanger. als ich mich anspringe, bin ich von hinten nach vorn gelaufen, da bin ich mir sicher. die beiden hatten sich in der nacht des 12. februar auf dem weg ins krankenhaus die wohnung des mannes in berlin-mitte geteilt. der ehemann wollte nach eigenen angaben in ein zimmer mit dem mann im ersten stock. die wohnung ist inzwischen verschwunden. „ich hatte noch nie so etwas gesagt“, sagte er dem sender.

ich habe mich geirrt und bin mir in die haare gekommen, als ich vor einem jahr in den usa gewesen bin. ich bin mit einer anderen person verheiratet. sie ist ein kind und ich bin froh, dass sie eine tochter haben wird. ich habe sie sehr oft besucht, aber das ist auch nicht immer so. ich glaube, es ist nicht immer so schlimm. es geht um ein gutes verhältnis und ein gutes gefühl, was man sich wünscht. wenn jemand in deutschland lebt, dann muss man sich natürlich dafür einsetzen.

ich habe mich geirrt. ich konnte nichts tun. ich habe mich geirrt. meine eltern haben mich immer gehänselt. ich hatte ein problem mit dem leben und habe mich geirrt. ich war zu jung. und habe mir gesagt: ‚das ist die wahrheit.‘ sie haben mir dann erzählt, dass ich mich geirrt habe. meine mutter hatte einen sehr langen haarschnitt, der ihr die augen öffnen musste. ich habe sie sehr geliebt. aber ich wusste nicht, dass ich das getan habe.

ich habe mich geirrt, als ich vor einigen jahren in einem hotel in wien auf der suche nach einer wohnung für mich nach wien gekommen bin. dort ist ein mann, der mich kennt, von seiner frau in ein zimmer

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eingebrochen und dann plötzlich verschwunden. der mann hatte eine bekannte bei sich und war sofort wieder weg, er ist in ein hotel gegangen und hat mich dann in den schlaf geklingelt. es war so furchtbar und traurig, dass er mich dann anrief. das war der tag, an dem ich mich nicht mehr auskurieren kann.

was kann ich tun? wie geht’s euch besser? und wie ist’s mit dem thema? ich habe heute morgen die sitzung wieder verlassen. es wird zeit, dass die abgeordneten sich bei uns melden und den präsidenten bitten, das präsidium über die geschehnisse zu informieren und sich mit uns zu besprechen. das ist eine wichtige sitzung. herr präsident, ich glaube, wir müssen über dieses thema hier im plenum sprechen, und deshalb werden wir das heute besprechen.

was kann ich tun, was ich kann? ich kann nicht alles. ich bin kein mann. ich kann nicht sehen, wie die menschen das sehen. ich kann mir nicht vorstellen, dass ein mann mit dem fahrrad über eine ampel fährt. das ist ein großer fehler, aber es ist ein kleiner unfall, der vielleicht nicht passieren wird. es gibt viele menschen in der gesellschaft, in die ich gehen könnte, weil ich die menschen, die sich auf dem markt für das fahrrad entscheiden, nicht kenne.

was kann ich tun? das ist nicht so schwer. ich werde es auch nicht machen. ich kann mir das so gut nicht erklären. wenn es mir nicht passt, dann kann ich es ja auch gar nicht machen. ich kann das nicht machen, weil ich es nicht schaffe, weil es dann eben die regeln nicht einhalten will. ich weiß nicht, ob das nicht auch ein grund für meine abwesenheit sein wird. das ist ein grund, warum ich nicht aufstehe und mich nicht auch noch entscheide. das ist eine große sache.

[1] dieser text wurde vollständig von einer sogenannten künstlichen intelligenz mit dem namen GPT-2 geschrieben. GPT-2 ist jenes machine-learning-system, das im jahr 2019 für aufsehen sorgte, weil es laut den wissenschaftlerinnen der OpenAIfoundation texte automatisch erzeugen und vervollständigen konnte, die von jenen von menschen geschriebenen kaum unterscheidbar waren.

der vorliegende text wurde mit einer reduzierten deutschsprachigen version der software generiert. die vollversion der software veröffentlichte OpenAI aus angst vor missbrauch bis jetzt nicht.

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Tomáš Přidal

Die Nuss

die Nuss ist frei wie ein Eichhörnchen

die Schale kann nachgeben oder auch nicht wenn das Eichhörnchen versagt kommt der Hammer

der Hammer gibt sich geschlagen der Steinbeißer tritt auf

ringsum

ausgebissene Zähne

die Nuss ist frei wie Säure

wie Folsäure

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Aus dem Tschechischen von Zuzana Finger

Sushi Hotel

Öffne die Tür lass den Fuchskragen rein Sushi wird nass in der Husche bitte es auch herein

Öffne die Tür setze Tee auf der Fuchskragen will sich aufwärmen

Öffne die Tür

lass den Fuchskragen rein aus der Husche ins Sushi dann geht er wieder

Öffne die Tür das ist das Sushi Hotel wärme die Fische auf sag Lebewohl

Jennifer Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Maniküre Maniküre

Der Finger wurde in einer Streichholzschachtel geliefert

Aus dem Tschechischen von Zuzana Finger

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Robert Prosser

Gemma Habibi

Quer durch den Raum Simons Stimme: Lorenz, es geht los. Er folgt mir in den Kellergang, hinter ihm Jo; die beiden werden in meiner Ecke sein. Am Ende des Flurs die Metalltür. Nichts ist heftiger als das, sagte Z, als wir darüber sprachen, was für uns am Boxen das Einmalige, das Un-überreffliche, das Allerbeste ist, nichts ist heftiger, als zuzugehen auf dieses Schreien und Stampfen. Die Metalltür vibriert vom Bass eines Lieds, ein Security drückt die Klinke, der Lärm wird zu Applaus und aus dem Wummern ein Klassiker von Wu-Tang: Cash rules everything around me. Vor mir die Halle mit Sprossenwänden, Basketballkörben, Spielfeldmarkierungen, auf der Tribüne verstreut die Zuschauer. Im Gegensatz zu Z stört mich das Treiben um den Ring. Aber mich fasziniert, was innerhalb der Seile passieren wird. Ich treffe auf einen, den ich nicht kenne, dem ich höchstwahrscheinlich nie wieder begegne, und für drei Runden wird er das einzig Bedeutsame sein. Z hielt mich für verrückt, als ich ihm erzählte, dass ich am liebsten ohne Publikum boxen würde. Nur der Ring und der Gegner, aber kein Johlen und Klatschen und Pfeifen, keine ZeltfestAtmosphäre. Nur das Wesentliche. Zwei Typen, einer rot gekleidet, der andere blau, links und rechts, Sieg oder Niederlage, ein simples System, das eindeutig klärt, auf welchem Level du kämpfst. Ich halte den Blick unten, auf meiner Schulter Simons Hand. Sein fester Griff gibt mir die Gewissheit, dass er bei mir ist, als wir die Stufen hoch zum Ring nehmen; er spannt die Seile, und ich gleite hindurch, lasse die Dreifaltigkeit los, Jap Cross Hook, eins zwei drei. Auf dem Boden dunkle Flecken, Spuren der vorigen Kämpfe. Der andere beobachtet mich aus der Ecke. Er ist kleiner, stämmiger, tritt für einen Bregenzer Club an. Blonde Haare, braun gebrannte Haut, Schublade Sonnyboy: Ich werde mir dein Herz schnappen. Zahnschutz rein, der Schiedsrichter holt uns in die Mitte, wir stehen uns gegenüber, und an seinem starren Blick errate ich, dass er mehr zu bieten hat als ein Sportstudent, der gern Surflehrer wäre. 26 Kämpfe, ich

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muss vorsichtig sein. Ich werde mir dein Herz schnappen, werde über dich kommen wie ein Aztekenpriester. Ich spüre seine lauernde Gewalt und bin bereit dafür. Da endlich: der Gong. In der Pause massiert Jo mir die Schultern, Hammer Doublette, sagt er, richtig gut. Eine Linke auf den Körper und Kopf haken sofort nachgelegt. Erst traf ich den Bregenzer unterhalb der Rippen in die Leber. Kein Organ ist anfälliger, die Übelkeit, die der Schlag hervorrief, brachte ihn ins Wanken, seine schützende Rechte sank herab und gab die Schläfe frei. Simon hält mir den Trinkbecher hin, ich schnappe mit den Lippen nach dem Strohhalm, mir ist kalt und gleichzeitig schwitze ich und zieh die Schultern hoch, Gänsehaut am Buckel. Mein Körper unentschieden, heiß, kalt, ich spüre, dass noch beides möglich ist: den Blonden zu besiegen oder von ihm überrannt zu werden. Setz die Rechte ein, bamm, die muss öfter kommen, sagt Simon, verstehst du, eins zwei, links rechts, und dann dein rechter Haken, Lorenz, den will ich heute noch sehen. Er sagt: Treib ihn vor dir her, nütz deine Größe aus. In dieser ersten Runde traf mich eine Gerade, wie ich sie gerne abgefeuert hätte, ich liebe solche Schläge, die für Sekunden bis ins Innerste erschüttern, und ich spannte mich mit aller Kraft an, um nicht zu fallen, sondern die Gewalt durch die Füße aus dem Körper zu scheuchen; der Kampf war ernst geworden und dadurch schneller, wilder. Das Rundenmädchen trippelt im goldglitzernden Kleid vorbei, es ist die Nichte des Bezirksvorstehers, die als Geschenk zum Achtzehnten einen Abend lang den Applaus genießen darf. Der Trainer des Blonden macht einen Schritt zur Seite, fächelt ihm Luft zu, ich sehe, dass er den Blick auf mich gerichtet hält. Ich warte auf die Glocke, wie lange noch, ich will los, ja.

Zwischen Ring und erster Reihe steht Simon, er boxt in die Luft, ruft zu den Scheinwerfern hoch, er leidet, feuert an, er schreit: Fahr die Rechte aus, Lorenz, mach schon. Ich zähle mit. Drei Schläge, vier. Mein fünfter, ein linker Aufwärtshaken, trifft. Ein Punkt für mich. Der andere greift an, eins zwei, links rechts, ich wippe zur Seite, vorbei. Wir geraten zu nah aneinander, sein Arm um meinen Nacken, er versucht einen Schlag mit der freien Faust anzubringen, da trennt uns der Ringrichter, mahnt wegen Kopfstoß ab. Weiterhin 1:0 für mich, sagt das heimliche

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Metronom, das ting ting meine Schritte zählt, meine eigenen Schläge und die des Blonden, der ausweicht, kontert, trifft, shit, 1 : 1, hart auf meine Stirn. Die Vorstellung blitzt in mir auf, wie das Hirn im Schädel schwappt, als es meinen Kopf nach hinten reißt. Man hat mir davon erzählt, und ich werde das Bild nicht mehr los: Das eigentlich Gefährliche am Boxen ist die Bewegung, die ein Treffer im Kopf auslöst, wenn das Hirn an die Schädelinnenseiten stößt. Ich sauge Luft ein, beiße fester auf den Zahnschutz. Ich weiß, was kommt. Was in mir geschieht. Anstelle von Kopf und Hirn, der Gefühle, Gedanken und Träume, gibt es nun auch die Leber, die Nieren, Rippen, die Gelenke und Knöchel. Mein Bewusstsein verlagert sich in die Eingeweide und in die Muskeln, Sehnen, denn überall kann Schmerz sein. Ich in der Lunge als Brennen, im Magen als Übelkeit. Ich Pulsschlag. Ich Blut. Ich Adrenalin, Endorphin, Testosteron. Einer der Offiziellen klopft dreimal auf den Tisch, ich höre Simons Stimme, er schreit: Zehn! Zehn Sekunden bis zur Pause, die letzten zehn sind die wichtigsten, sie werden den fünf Kampfrichtern in Erinnerung bleiben, daran werden sie denken, wenn sie die Runde bewerten. Das Schnaufen meines Gegners, tsch tsch tsch, ich höre das Zischen einer beschleunigenden Lok, doch mein rechter Haken geht durch, ja, ich spüre die offene Stelle in seiner Deckung, und sein Kopf schnellt zur Seite und das Atmen klingt wie ein Winseln, vier drei zwei, da, der Gong. Wo ist meine Ecke? Ich spucke den Zahnschutz aus, ganz nah vor mir Simons Gesicht. Er begutachtet eine schmerzende Stelle über meinem linken Auge, sagt: Blondie hat mit links getäuscht, mit rechts getroffen, sah aber übler aus, als es ist. Er schmiert Vaseline auf die Wunde, such den Körper, sagt er, dem geht die Luft aus. Ja, bestätigt Jo, konzentriere dich auf die Leber und die Milz. Wieder Wasser, ausspucken, mein rechter Haken war gut, nicht?, frage ich und beide nicken, weiter so, sagt Jo und wirbelt mir mit einem Handtuch Luft zu. Simon wiederholt die Taktik: Infight, Leber, Milz. Pick an ihm, lass dich nicht abschütteln. Meine Lungen reichen, das weiß ich, es ist genug

Atem in mir für die letzte Runde, ich kann, ich werde, ich …

Aus: Gemma Habibi, Ullstein fünf, 2019

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Stefanie Sargnagel

Auszüge aus Facebookeinträgen

2.11.2018

auf tipp einer selbstständigen künstlerin will ich mir jetzt zum steuern sparen zum jahresende auch irgendeinen urgesunden arbeitssessel kaufen, aber wenn ich „gesunder stuhl“ google kommt nur scheiße.

20.11.2018

leute idealisieren es,dass man das was man wirklich gerne macht zum beruf macht. ich hab das nie so gesehen, ich habe immer gerne anspruchslose Jobs gemacht, bei denen ich keines meiner talente an die wirtschaft verschwenden musste. sie warn nur leider zu schlecht bezahlt, um von 20h leben zu können. ich mache gerne 20h die

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Woche stumpfsinnige, mechanische arbeit, wenn man mich dafür ansonsten in ruhe lässt. wenn man hingegen das, was man gern macht und mit dem man sich identifiziert, plötzlich wirklich zum beruf hat, sagt man immer alles zu, fühlt sich immer persönlich involviert und geschmeichelt, geht nie in krankenstand, verliert schleichend sein privatleben, steht ständig unter druck und stirbt. Bussis.

4.12.2018

ich mag eigentlich kein wetter so richtig.

4.12.2018

ich würd urgern wieder mehr daten, aber alle intelligenten & lustigen typen, die ich kennenlern, sind frauen.

7.12.2018

früher fand ich women only veranstaltungen fad, ich wollt meine haberer mitnehmen und so. ich hab mich mit männer identifiziert, wie viele das machen, die die misogynie in unserer gesellschaft spüren: sie adaptieren sie einfach. es gibt dann auch immer männer, die das

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so anerkennen: So auf: du bist eine „coole frau“, im gegensatz zu den dummen, unterbelichteten schlampenfrauen, die kein existenzrecht haben. mit dir kann man über frauenhass chillig reden. jedenfalls: mittlerweile liebe ich männerfreie räume so. Es ist viel befreiter. die gespräche sind cooler, der umgang angenehmer, die parties sind immer viel ärger, weil sich alle stärker gehen lassen. Niemand kriegt Aggressionen, weil ich intelligenter bin als er. das einzige, was stört, ist dass ich männer geil finde. Sie sind einfach geil mit ihren organen, ihren haaren, ihren hosen und ihren emotionalen behinderungen. Dabei wäre so schön, komplett auf kontakt mit straighten typen zu verzichten. Es ist besser für die frauengesundheit, sogar laut statistik. Wann gibt es endlich umerziehungslager für heteros?

7.12.2018

Ich war in letzter Zeit auf sovielen Queerparties, dass ich mich schon richtig sehne nach einer heteronormativen Stressparty voller auftrainierter Strizis mit Goldringen, die mir die Zähne einschlagen und mich am Strich schicken, wenn ich frech bin.

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8.12.2018

Menschen stellen sich so ein Lesetourleben oft voller Rocknroll vor, ein haarscharfes, getriebenes Vorbeischrammen an einer Überdosis

Drogen und Sex. Dabei is das Tourleben vor allem ein Exzess an Gefresse. Es beginnt mit einem Tauchen durch die All you can eat Buffets der Kleinstadthotels, 2 Kilo Rührei und 3 Marmeladecroissants, Schweinernes von der Fettsau. Dann erstmal Zugsitzen, damit sich alles gut setzt, bis einen der Veranstalter zum Soundcheck führt. Dort wartet meistens schon eine frittierte Aufschnittplatte mit Kuchen, die man mit 2 Liter Bier nebenbei runterspült. Anschließend gibt es das inkludierte Abendessen im lokalen Wirtshaus: Meistens Gebackene Leber gefüllt in panierte Schokoladenpalatschinken, dazu ein Kanister Rotwein. Zurück im Backstage wartet dann der Rest der Schlachtplatte auf einen: Chips, Käse, Nüsse, Schokoriegel werden weggemäht. Dazu raucht man aus Backstagelangeweile gefühlte 4000 Tschick. Nach wenigen Tagen schon spürt man, wie das Blut sich immer langsamer durch den Körper quält und das Herz immer schlechter versorgt wird. Lähmungserscheinungen, Atemnot, eiskalte

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Schweißausbrüche begleiten das stöhnende Kauen. Man versucht sich nach der Lesung mit regionalem Schnaps wiederzubeleben. Eine Kirsche, eine Nuss, eine Zwetschge, eine Zirbe. Vor den Groupies bricht man bewusstlos und furzend zusammen.

10.12.2018

Die beliebtesten Kekssorten in Österreich: Kipferl, Krapferl, Busserl, Stangerl, Herzerl, Kranzerl, Augerl, Waugerl, Kugerl, Wugerl, Mugerl, Bugerl, Baucherl, Hirnderl, Oascherl, Wimmerl, Wummerl, Bimmerl, Bummerl.

21.12.2018

Was eine Marktlücke ist, sind so darke Teesorten. Zb. ist mir so ein „Lebensfreude“ oder „Jung und vital“ Tee wenn ich bald schlafen gehen will ein bisschen zu steil. Was ist wenn ich drauf hängen bleib und 20 Stunden voller Lebensfreude wach im Bett sitz. Lieber wäre mir da so eine Sorte wie „Kräuterdepression“, „Pfefferminztrübsinn“ oder die Mischung „Alt, resigniert und erschöpft“.

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15.1.2019

irgendwie romantisier ich thermenbesuche immer so und dann sitzt man de facto mit hunderten grausligen menschen in einer riesigen brunzwarmen badewanne und starrt gelangweilt durch den dampf während irgendwer unauffällig ejakuliert.

15.1.2019

Relaxzonen relaxen mich überhaupt nicht. Action relaxed mich. Straßenschlachten, Shitstorms, Aufruhr, Gemetzel relaxed mich. Wellness wühlt mich völlig auf.

15.1.2019

Ich habe mich zur Geburtstagsgönnung in einem Thermenhotel eingemietet zum ersten Mal im Leben. Die Vorstellung war schön, so „mhh… therme“ aber je länger ich heute in dieser Suppe gesessen bin mit all den erröteten Körpern, desto mehr haben sich die andern Menschen für mich in Backerbsen verwandelt. Fettige Mehlkugeln, die sich mit der warmen Suppe vollsaugen und aufquellen, immer weicher und schwammiger werden wie ein gut gereifter Mozarrella. Die Konturen ihres Gewebes lassen sich mit der Zeit nicht mehr zum Thermalwasser abgrenzen. Eine alte Frau habe ich sogar dabei beobachtet, wie sie sich langsam komplett aufgelöst hat. Niemandem außer mir ist es aufgefallen, dass sie sich zersetzt hat bis ihre Zellen zu einem Brei wurden, der sich immer mehr in alle Richtungen verdünnte. Am Ende verschwand sie ganz. Nur ihr Glasauge blieb übrig, das ist weiter an der Wasseroberfläche geschwommen direkt auf mich zu. Ich hab es in die Hand genommen und in der Kinderspielecke bei der Familienzone zu den Murmeln gelegt.

15.1.2019

Ich hab im sole becken dieser therme heimlich 20 maggi rindssuppenwürfel aufgelöst.

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Bernhard Saupe

als ich meine rechte Hand einbüßte ans Leiden musste Mr. Unbekannt meine Stauden schneiden

meine Stauden standen stolz in der Mittagssonne Mr. Unbekannt zerschmolz in der Mittagssonne

zeitgleich hielt ich kaltes Glas klimpernd in der Linken

weil wenn Sonne sengt das Gras unabdingbar Trinken

meine rechte Hand war heiß in der Druckbandage zeitgleich ziselierte Schweiß Fingerdruckmassage

Mr. Unbekannt war Hand in der Heißluftdüse Samenstand um Samenstand stürzte ins Gemüse

da entstand in mir der Schrei Stauden Stauden Stauden

Phlox! Rhabarber! Akelei! schneiden schneiden schneiden

so wurde Leiden lebbar im heißen Gartenland

wurde Erschwernis hebbar und meine Hand gesund

als ich meinen Sohn verschleppte nach Teneriffa in den All-Inclusive-Club schickte Österreich Schiffe

schickte Österreich Polizei aber nichts passierte

außer dass mein Sohn ein Ei auf sein Leiberl schmierte

wildgewordene Instanzen begannen rasen

dabei war mein ganzer Plan essen was wir aßen

Teneriffa ist die größte Kanarische Insel: hier entstand die Mojo-Sauce hier schwingt Janosch Pinsel

ich bin nicht der Trottel vom Dienst für wen auch immer

ich darf auch den Schlüssel ham zu dem Kinderzimmer!

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plötzlich aus der Poollandschaft sprangen Gummiritter in den Dienst der Überschrift Kind gehört zur Mutter

mein Sohn hat blonde Haare und einen zarten Mund er wünscht sich viele Tiere am meisten einen Hund

als ich Christus Jausenbier nannte mein Verlangen hat mir Christus Jausenbier Leben angefangen

Christus Jausenbier Geburt aus dem Geist nicht wissen Christus Jausenbier Gefährt in den Hindernissen

beuteln mich die Flausen her sagt sein sanftes Lachen ich bin Christus Jausenbier was kann ich dir machen?

ist dir die Musik zu laut? hast du sonst noch Fragen? meine Kohlensäurehaut schließt dich ins Behagen

was ich an dir ändere niemals jemals tätlich

ich bin das Ganz Andere aber ganz gemütlich

atmet Christus Jausenbier singt der blinde Himmel wo denn sind die Jausen her? wo die blonde Semmel?

lass tanzen die Sentenzen mitunter oder und sie sind aus einem Ganzen das prickelt ohne Grund

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Clemens Schittko

Das Universum

Was wissen wir eigentlich über das Universum?

Warum gibt es das Universum überhaupt?

Könnten wir nicht auch ohne das Universum leben?

Oder brauchen wir das Universum unbedingt?

Wohin dehnt sich das Universum aus?

Und was befindet sich hinter dem Universum?

Hat das Universum einen Anfang?

Und wann hört das Universum endlich auf?

Was kommt nach dem Ende des Universums?

Wird es ein neues Universum geben?

Und wie sieht dieses neue Universum aus?

Wird das neue Universum so sein wie das alte?

Und was ist dann mit uns?

Werden wir wieder hier in diesem Raum sitzen (und uns mit dem Universum beschäftigen)?

Ja?

Nein?

Vielleicht?

Zutreffendes bitte ankreuzen!

Wird alles so sein, wie es jetzt bereits ist?

Oder wird es uns doch nicht mehr geben?

Aber warum rede ich jetzt über uns?

Um uns geht es hier schließlich nicht.

Es geht um das Universum.

Also lasst uns weiter über das Universum reden.

Was wissen wir über das Universum?

Und was weiß das Universum von uns?

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Kennt das Universum alle unsere Passwörter?

Kann das Universum uns dabei zusehen, was wir auf der Toilette so tun?

Und weiß das Universum, dass wir unsere Partner*innen betrügen?

Oder interessiert sich das Universum überhaupt nicht für uns?

Sind wir dem Universum am Ende völlig egal?

Wofür interessiert sich das Universum überhaupt?

Hat das Universum irgendwelche Hobbys?

Geht das Universum arbeiten?

Oder sitzt das Universum nur zu Hause herum und macht gar nichts?

Aber wie könnte das Universum sich ausdehnen, wenn es nur zu

Hause herumsitzt und gar nichts macht?

Also macht das Universum ja doch etwas.

Denn das Universum dehnt sich bekanntlich aus.

Aber warum dehnt sich das Universum aus?

Hat das Universum nichts Besseres zu tun?

Langweilt sich das Universum etwa?

Oder wird das Universum einfach nur alt?

Werden wir nicht auch immer dicker, je älter wir werden?

Wie dick kann man eigentlich werden?

Kann man so dick werden, bis man irgendwann platzt?

Wann platzt das Universum?

Oder ist das Universum bereits geplatzt, und wir haben es nur noch nicht gemerkt?

Und merken wir eigentlich überhaupt noch irgendetwas?

Wissen wir überhaupt, wer wir sind?

Vielleicht gibt es uns ja gar nicht.

Vielleicht sind wir aber auch in Wirklichkeit das Universum.

Bestehen wir nicht aus Sternenstaub?

Und befinden sich in unserem Gehirn nicht mehr Nervenzellen als

Sterne im Universum?

Wer also sind wir?

Oder müsste man fragen, was wir sind?

Was also sind wir?

Aber warum rede ich jetzt schon wieder über uns?

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Um uns geht es hier schließlich nicht.

Es geht nach wie vor um das Universum. Also lasst und weiter über das Universum reden. Aber was gibt es über das Universum noch zu sagen?

Haben wir nicht schon alles über das Universum gesagt?

Sollten wir nicht langsam das Universum in Ruhe lassen?

Bestimmt hat das Universum längst genug von uns. Also kümmern wir uns besser um unseren eigenen Kram. Zu tun gibt es schließlich genug. bring dich um

wenn du nicht länger warten kannst oder nicht länger warten willst, bring dich um – ja, bring dich um der Tod erlöst von allen Schmerzen und man hat endlich seine Ruhe

und wenn du dich nicht mehr entscheiden magst zwischen Ich und Ich, dann bring dich um bring dich um, bevor dich andere umbringen bring dich um, bevor du andere umbringst

wenn du nicht mehr arbeiten willst, bring dich um – ja, bring dich um und wenn du immer noch arbeiten willst, dann bring dich auch um

bring dich um, wenn sich sonst niemand umbringt

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denn irgendjemand muss es ja schließlich tun, wenn sich – wie gesagt – sonst niemand umbringt

bring dich um, auch wenn du dich gar nicht umbringen willst bring dich um zeig, dass du es drauf hast hier und heute jetzt, sofort

Nichts, nihil, nothing

wie die Zeit vergeht bald ist schon wieder Weihnachten bald ist schon wieder das Jahr vorbei und nichts ist geschehen nichts hat sich ereignet nichts hat stattgefunden nichts ist passiert

alles ist wie immer

alles ist unverändert geblieben

alles ist nach wie vor dasselbe oder müsste man sagen: das gleiche? alles ist nach wie vor das gleiche und nicht dasselbe? aber egal

sei es, wie es sei darauf kommt es letztlich nicht an darum geht es schließlich nicht denn es ist nun mal, wie es ist nichts hat sich verändert nichts ist anders geworden nichts ist vorgefallen

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die Revolution ist ausgeblieben man ist lediglich älter geworden doch man geht immer noch arbeiten man geht immer noch einkaufen man sitzt immer noch zu Hause, trinkt sein Bier und schaut fern man sieht, wie die Zeit vergeht und man sagt sich: wie doch die Zeit vergeht gestern ging man noch zur Schule gestern war man noch jung und schön und morgen soll alles schon vorbei sein morgen ist man schon tot und alles, was man sich erarbeitet hat, ist auf einmal nichts mehr wert sicher, es gibt die sogenannten Angehörigen doch wenn ich erst tot bin, sind mir die Angehörigen egal denn wenn ich tot bin, dann sind die Angehörigen für mich auch tot so einfach ist das so läuft das Ganze nun mal ab so sieht das Ganze nun mal aus einen Gott gibt es nicht einen Gott hat es nie gegeben und einen Gott wird es nie geben es soll auch keiner sagen, dass Gott tot ist denn was es nicht gibt, kann auch nicht tot sein aber egal

sei es drum

das ist letztlich alles einerlei das spielt letztlich alles keine Rolle

128

denn es ist nun mal, wie es ist nichts ist geschehen nichts hat sich ereignet nichts hat stattgefunden nichts ist passiert einfach nichts absolut nichts nichts und noch mal nichts nichts, nihil, nothing, nada, niente, ничего

es ist einfach nichts das heißt: es gibt einfach nichts, worüber sich reden lässt und dennoch wird geredet –über das Wetter zum Beispiel, obwohl man eigentlich das Klima meint es wird geredet, obwohl man nichts zu sagen hat man hat nichts zu sagen, weil man kein Geld hat, um sich Macht zu kaufen deshalb sitzt man zu Hause man sitzt zu Hause und wartet man wartet und beschäftigt sich mit sich selbst man registriert, dass man älter wird und man registriert, wie man älter wird man registriert, wie die Krankheiten auf einen zukommen man registriert, wie das Sterben und der Tod auf einen zukommen und man hört auf, sich mit sich selbst zu beschäftigen man fängt an, sich mit etwas anderem zu beschäftigen man fängt an, sich mit nichts zu beschäftigen und man beschäftigt sich mit nichts, sofern man selber etwas und nicht nichts ist man wartet

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man wartet darauf, dass das Geld, das man nicht hat, für einen arbeitet man wartet darauf, dass das Geld, das man nicht hat, sich für einen vermehrt aber egal

lassen wir das Ganze reden wir nicht weiter darüber es ist schließlich nichts

alles ist in Ordnung alles ist so weit gut es geht einem bestens

es geht einem wirklich ausgezeichnet sicher gibt es auch Kriege und sicher gibt es auch Tote und Verletzte aber das sind Ausnahmen

das sind Einzelfälle und damit hat man hierzulande auch nichts zu tun

das geht einen hierzulande nichts an das findet alles weit draußen auf irgendwelchen weit entfernten Kontinenten statt

oft weiß man noch nicht einmal deren Namen sollen die sich dort unten doch alle die Schädel einschlagen das kann einem hierzulande letztlich egal sein es macht ja doch jeder, was er will sollen die dort unten doch erst mal ihre eigenen Probleme lösen danach kann man immer noch weitersehen

man kann sich ja schließlich nicht um alles und jeden in der Welt kümmern

und letztlich sind die Menschen ja auch selber schuld wieso halten die sich nicht an die Regeln? man fragt sich ja nur noch: wie blöde kann man eigentlich sein?

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hierzulande muss schließlich auch gearbeitet werden hierzulande zahlt man schließlich auch seine Steuern und sterben muss man irgendwann so oder so ob das nun heute oder morgen geschieht, ist dann letztlich auch egal doch wieso regt man sich überhaupt noch auf? man kann ja ohnehin nichts daran ändern an die vielen Toten hat man sich inzwischen längst gewöhnt denn letztlich gewöhnt man sich an alles und solange es einem selbst gut geht, ist doch eigentlich alles in Ordnung zumal dann, wenn die Zeit vergeht und die Zeit vergeht auch das ist so sicher wie der Tod ganz gleich, ob etwas geschieht oder nicht und bislang ist ja auch noch überhaupt nichts geschehen nichts hat sich ereignet nichts hat stattgefunden nichts ist passiert das heißt: alles ist wie immer

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Ulrich Schlotmann

Die Hub-, Schub- und Zugkräfte der Statik Band Eins

(Auszug)

… in hemdsärmelig verquerer ja fast schon queer zu nennen gewesen wären wie die dicken fetten stets etwas zu sehr vielleicht sogar zum Übergewichtigen hin und Unansehnlichen tendierenden und ja selbst an den unmöglichsten Stellen doch wohl schon balde dunkel angemahnt haben mochten mit nordkoreanischen Nackedeis notgeilen Krankenschwestern im vollen Ornat ihrer blütenweißen Westen bestickten samt glitzerndem Swarovski-Schnickschnack beladenen Jäckchen eng miteinander verwoben und umschlungen worden wären von süß nach Patschuli zu duften begannen und sinnverwandten Wohlgerüchen mehr noch welche ursprünglich einmal der arabischen Halbwelt wohl der penibel gevierteilten Sinaiinsel sowie ihren angestammten Nachbarstaaten gut zu Gesicht gestanden habe und irgendwann einmal der Abend kam das unentwegte Hupen der riskant überladen und noch riskanter zu überholen gewohnten Lastkraftwagen entfernte sich langsam fast pomadig vom Zentrum hinweg ging es in gerader Linie direktemang in tiefer gelegene Gefilde hinein ja fast schon unterseeisch anmutende Kelpwälder-ähnliche Gegenden bis dass es schließlich jenseits des eigenen Ereignishorizonts und räumlichen Vorstellungsvermögens zum Erliegen kam abrupt wie lapidar gekappt abbrach von Rucksack tragenden Touristen genussvoll durch den Schmutz gezogen worden wären zu den quirlständigen Lippenblütengewächsen inoffiziell zumindest zählenden FrühlingsSchnittblumen und quietschbunten Tulpen vor allem aber auch ihr betörendes Odeur doch wohl annähernd flächendeckend zu verströmen gedachten und unbedingt einmal dazuzugehören schienen

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so als wenn sie sagen wollten hallo-hallo ist da wer zugegen gewesen wäre fragend ob das denn noch immer real nicht genug der gezielt irreführenden Desinformationen und perfidesten jedweden Sinn dir doch immediat zu vernebeln gedenkenden Betörungen gewesen sei nicht der kitzelige Stimulus und Thrill schlechthin doch wohl der längst überfällige Tritt in den dicken gleichwohl schmerzempfindlichen Hintern in schwindelerregenden Serpentinen vom eigentlich Wesentlichen doch unfreiwillig oder nicht sei letztendlich ziemlich zweitrangig gewesen irgendwo dahingestellt sein ließen und dezidiert davon abgewichen seien lediglich um einige wenige Zentimeter im Idealfall nur mehr Nuancen bemaßen von der für zentral erachteten Achse nachgerade parallel zu verlaufen schienen sich zu verhalten gehabt haben den Kern des ganzen Strahlenkranzes aber so etwas von doch wohl zu verpassen gedachten gänzlich zu verfehlen gedenkenden dezidiert nun mal Gefahr gelaufen wären und nicht wirklich gut umhingekommen seien geschweige denn entschieden genug letzt einander hindern konnten oder wenn dann doch nur mehr in Gedanken sich ein gut Stück weit sogar zu sehr aus dem Fenster gelehnt hätten und jenseits der gestrichelten Demarkationslinie wieder zu Boden gesunken seien sich wohl unerlaubterweise ein paar Tage lang aufgehalten haben am Rande von so gut wie gar nichts gestanden oder doch nur knapp daneben so zumindest in andere Lebenszusammenhänge sich träumend bis hin zu den Rettung versprachen und Labsal dir doch qua bloßer Inaugenscheinnahme von schon in Aussicht zu stellen gewohnten einem jedweden doch wohl ohn’ Ansehen der jeweiligen Person nun mal verheißenden Gestaden in auf und ab zu mäandern begannen sich fortzubewegen beliebenden Schlangenlinien sich zu distanzieren schienen von den je eigenen dezidiert aber nun mal rüschenbesetzten Push-up-BHs und ähnlich verwirrenden Dingen mehr noch wie diesen hier den dezidiert verniedlichend wohl da die drohenden Gefahren als harmlos beschrieben worden wären zumindest aber so hingestellt als ob und wie wenn es sich um bessere Bagatellfälle gehandelt habe oder sogar als Wonderbra beworben worden waren im ansonsten doch wohl grottenlangweiligen

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Vorabendprogramm der überregional tätig gewordenen öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten vermarktet worden wären von sich sahen denkbar debil inzwischen grienenden ihre plundrigen Quarktaschen dir aber nicht unappetitlich an Petersilie und Sternanis angerichtet ziemlich servil bisweilen hinhielten und ansonsten genug mit sich selbst doch wohl zu tun straff gespannt gekriegten allen nur mehr erdenklichen Mitteln letzt ziemlich rigide verfahren waren zu zerquetschen gedenkenden Tittengeschirren zu tun gehabt hätten sich tüchtig daneben benahmen sittsam wie sie im Grunde genommen doch wohl als die guten Christenmenschen die sie erwiesenermaßen nun mal waren durchgewunken worden wären von den zumindest in weiten Teilen sich zuständig fühlenden Behörden zu Pfingsten und an Ostern gleichermaßen doch wohl getan haben da aber längst schon Christi Himmelfahrt in Sicht kam im Sinn gehabt hätten mit all seinen lebensbejahenden Segen zu spenden versprachen Segen unmittelbar in Aussicht zu stellen vermögenden Begleiterscheinungen und gar nicht dumm wohl auch schon balde wieder aufgestiegen waren via Corpus callosum in den sagenumwobenen Temporallappen gelangt der zweifelhaften Erinnerungslücken Refugium und feste Heimstatt war an irgendwie gekränkt wirkende Eitelkeiten gemahnend solcher doch wohl stiekum eingedenk gewesen wären pikiert wie sie nun mal waren verbiestert vertrackt nachgerade zu dumm um auf den Gedanken zu kommen wie ihm zeitweilig erschienen und schlagartig bewusst geworden sei dass nun mal nicht eben wenige rechtsradikale evangelikale Sektenmitglieder darunter zu vermuten gestanden seien in zölibatärer Ekstase ob der eigenen jahrelangen Enthaltsamkeit gar zu wiederholten Malen doch wohl schon sich klandestin unter Furcht einflößendem Gebaren dem Deckmäntelchen einer als Schweigegelübde verbrämten Blockade welche unbedingt einmal und komme doch was da wolle an Unsagbarem nun mal tunlichst einzuhalten gewesen sei auch und vor allen Dingen gegen sämtliche nur mehr erdenklichen Widerstände hindurch doch wohl sich hinweggesetzt habend einer bloß mal als notdürftig befunden und verklausuliert gekriegten Maulfaulheit in Anführungsstrichen gestanden seien

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zwischen zwei rechteckigen Klammern am Ende der Geraden sowie mit schmerzempfindlich verzerrten Verbrechervisagen in die sich nach und nach doch tiefe Rinnen beinah Grand Canyon-artige Gräben schnitten Lachfalten hier und da wohl mit schwanger gegangen waren alles und jedes nun mal mit inbegriffen sehr entschieden bisweilen mittels gichtigen Wichsgriffeln sich rigide verkniffen gehabt haben werden wohl zu Weihnachten und an Neujahr meinethalben rigoros doch wohl verquetscht bekamen bis in die strammen Waden hinein sei der Schmerz wie Nadeln gefahren kam und den denkbar entlegenen Zehenspitzen noch eine Weile lang erhalten geblieben zumindest aber in abgeschwächter Form doch wohl unangenehm spürbar gewesen so dass die Zähne aber sehr entschieden bisweilen zerbrachen sie daran doch wohl entzwei gegangen seien …

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Stefan Schmitzer

aus: haaaaase

I. eine verständigung

haaaaase fruchtbarkeitsdämon knapp unterirdisch · mit der marchfelder ackerfurche vertraut weiß von nichts stellt einen fortpflanzungsvektor dar · es gibt · sagt der haaaaase dem bauern · und der bauer ist in arbeitskleidung und das gespräch der beiden ist eventuell schon lang im gange und der bauer schaut aus aus wie der · fred sinowatz · und er ist eventuell das gespenst vom fred sinowatz und eventuell sitzen die beiden sich gegenüber im schneidersitz und trinken die eventuell tee miteinander auf dem eventuell leeren braunen acker unter dem eventuell leeren weißen himmel und schauen definitv aus wie sissi meets das „siebte siegel“ der bauer hört zu der hase hat schwarzglänzende flauschige ohrhaare · fruchtbarkeitsdämon knapp unterirdisch wie aus den kinderbilderbüchern gruseligerer epochen uns vertraut · es gibt sagt der haaaaase dem bauern · es gibt ja immer diese ansage bei junkies zum beispiel oder alkoholikern oder arbeitstrotteln oder bei sonstwie bei heruntergekommenen figuren oder bei anders als bei heruntergekommen bei entrückten figuren · diese ansage es ginge NUR NOCH dieses oder jenes alles andere ginge gar NICHT MEHR bei denen nur noch vanillepudding keine apferl mehr nur noch tschik keinen schnaps mehr nur noch weiber keine ministranten mehr nur noch ameisengift kein gar nix mehr · wir studieren die gesichtszüge des bauern im gatsch da er nickt und wir haben einen westernduell- · ja einen zen-dialog wer zuckt zuerst wer wird zuerst nach der thermoskanne greifen · ja eh sagt der bauern und weiter? · preisfrage passend zum weiten und featurelessigen feld da um uns antwortet haaaaase · wenn etwas grade NUR NOCH gehen soll · da sich ein mensch verRINNgert · und irgendwas anderes NICHT MEHR geht ·

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wie sieht dann die vorausgesetzte gesamtheit aus also die weit im voraus still und wortlos angedachte menge aller dinge die in jemandes dasein gehen können wie sieht die gesamtheit des geglückten vollzugs von eh allem im menschenleben wie sieht die aus· im umgang mit der ausdehnung des raums · im umgang mit der ausdehnung von blicken · im umgang mit dem umgang mit einander · im umgang mit dem umstand dass es entfernungen gibtim umgang mit der featurelessigen steppe der wir ein feature sind· an dieser stelle schenkt der bauer dem hasen frischen tee ein eine thermoskanne zwei häferl und der dampf steigt zum himmel und ein tropfen tropft zur erden · und der dampf steigt zum himmel und ein tropfen tropft zur erden der wind geht · himmel und erde umgeben die teehäferl der wind geht noch aber sonst geht nix mehr · unter dem acker in gruben wohnt der haaaaase und denkt abends an schoko denkt morgens an nackerte weiber und mittags an nix bestimmtes · über dem acker im linoleumgrauen himmel der aber gleichwohl DER HIMMEL ist da wohnt wirklich das gespenst von · fred sinowatz · wär interessant was die beiden sich noch zu sagen haben nichtwahr?

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es ist nicht so, dass ich nichts weiß · vielmehr ist es so, dass ich nicht nichts weiß · nicht mein name ist haaaaase sondern der deine geschehe ·ich bin gezwungen da ich hier über diesen acker schaue zu wissen, dass es ein acker istı über den ich schaue · ein featurelessiger acker und ein himmel kurz eine weite weite welt · und der acker OHNE eigenschaften bringt hervor einen haaaaasen MIT eigenschaften · (das publikum erkennt ansatzlos die anspielung auf die kapitelbezeichnung im „mann ohne eigenschaften“ und findet sich gescheit) · der haaaaase mit eigenschaften bringt seinerseits hervor unter dem weiten weiten acker ein system an tunnelses hier wohnet er wohnt haaaase fruchtbarkeits- und eigenschaftsdämon · vorsozialdemokratisch voraufgeklärt vorprotestantisch vorchristlich vorvor vorvor · (das publikum singt dies aufs vorchristlichste mit. die menschenopfermeute.) · hier wohnt und will er weitestgehend seine ruh und netflix schauen · nun aber regnet es · und so es regnet dringt die eigenschaft der feuchtigkeit von der oberfläche in das system der haaaaasenhöhle vor · den innenwandungen der haaaaasenheimstatt siehst du das nicht an die bleiben trocken doch das system an zugund druckkraft kohäsion und adhäsion es saugt sich voll · alles schaut super heimelig aus aber an der falschen stelle nachbohren wäre ein großer schaas weiß haaaaase er säße dann unter wasser · das ist ausgesprochen metaphorisch für den zustand nicht bloß der burgenländischen sozialdemokratie hier repräsentiert durch den bauern der übern regenacker stakt · es ist dem haaaaasen da es regnet und feuchtigkeit hinter den wänden seiner baue ihm allerhand instandhaltungs-arbeiten aufnötigt nicht gegeben hocken zu bleiben · also sich zu verlieren in dem nichtswürdigen geplapper aus der netflixmaschine aufzugehen im strom vom strom der wasweißichwie unter diesen acker gelegt wurde dh. gelegen kam, es triumphiert das wirklichkeits- über das lustprinzip · so spricht der haaaaase zum bauern da beide zum himmel blicken es triumphiert uns das wirklichkeits- über das lustprinzip · so ist es mir verwehrt mich zu verlieren in dem geplapper aus der netflixmaschine da der himmel

III. ein regentag
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seine schleusen öffnet und meinem bau auf sehr metaphorische weise eine neue EIGENSCHAFT!!! zufügt · es hat der schöpfer die schleusen des himmels geöffnet · bedeutung ist eine distinkte möglichkeit geworden · die zeitlosigkeit des schieren moments ist uns verwehrt bauer · du repräsentierst hier die spö burgenland · und ich sowieso auch was · und der schöpfer repräsentiert den schöpfer · das wirklichkeitsprinzip triumphiert · lass uns sagt der bauer an den rand des feldes gehen und sehen ob grade ein lustprinzip vorbeifährt · des haaaaasen bau ist stabil leer oberflächlich trocken seine zahlreichen kammern würden uns mal interessieren die netflixmaschine läuft noch ihr geplapper plappert vor sich hin objektiv hat sich der haaaaase da er den bau verlassen hat in dem geplapper verloren also will sagen ER IST NICHT MEHR DA das geplapper hingegen ist noch da das geplapper repräsentiert das geplapper · der haaaaase und der bauer haben den rand des feldes erreicht · ein lustprinzip fährt vorbei · abwarten und tee trinken bis der regen aufhört

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IV. glocken! glocken!

große leere · alles wartet · mein name wär einhorn · so bräche ich hoffnung und keuschheit und leichtigkeit ins land das den acker da umgibt bring meine erscheinung in verbindung mit der allergrößten leichtigkeit schatz · bring it on · EINHORN!!! · gräbt waldsaum um · bring it on · BAUERRRR!!!! · tritt auf · bring it on · haaaaase verlässt seinen bau und schaut groß · bring it on · so stehen die drei und repräsentieren einander · der himmel ist weiß und die erde ist braun und der ausblick eng umgrenzt · wir könnten uns sagt haaaaase denken dass wir=hier und das=was uns=hier umgiebt symbolisch die liebe republik österreich darstellt in ihrer wirklichkeitlichen wirklichkeit · wir könnten auch sagt bauer scherzen da unsere=hier aussicht eng begrenzt ist · die lage in österreich sei AUSSICHTS!!!LOS haha · wir könnten natürlich auch summt das einhorn den aussichtslosen acker hier in unserer fantasie mit einem lieben himmel=himmel vergleichen wo leichtigkeit herrscht und wo man sich gut einrichten könnte es ginge dann von beispielsweise wolke zu wolke im leichtigkeitlichsten hopserlauf · wir können uns auch · aber wir wissen jetzt nicht wer da spricht · wir können uns auch denken im leichtigkeitlichen himmel als welcher sich der aussichtslose acker in der sogenannten fantasie der sogenannten figuren abbilden lässt da hingen können wir denken glocken · GLOCKEN!!! · und wenn es aufklarte dann wäre es gleichsam als würden die über dem bauern dem haaaaasen dem einhorn da erklingen · und dann würden ihre seelchen wir drei sehr aufgekratzte buben würden die auf und ab peppeln in den brüsten des bauern des haaaaasen und des einhorns · wie drei sehr aufgekratzte buben · in einer hütten auf der schönen insel ibiza · von denen einer seine hände faltet aber nicht zum schönen gebet · sondern um im spiel eine schöne spielpistole zu formen und zu zeigen · GLOCK! GLOCK! · wir sollten die schöne insel ibiza besuchen sagt der bauer · sie repräsentiert die weltsicht altmodischer christlichsozialer ausgehend vom subsidiaritätsprinzip der katholischen soziallehre · wir sollten statt dessen sagt das einhorn den himmel besuchen · er repräsentiert die weltsicht altmodischer

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christlichsozialer ausgehend vom subsidiaritätsprinzip der katholischen soziallehre · in ihm herrschen hopserlauf und leichtigkeitlichkeit · vielmehr fordert haaaaase mit autorität solltet ihr mir in meine tunnel folgen · sie repräsentieren die weltsicht altmodischer christlichsozialer ausgehend vom subsidiaritätsprinzip der katholischen soziallehre · und es ist schön warm dort · wir sind nun eine leichtigkeitliche partei nicht wahr · wie im himmel so auch im haaaaasenbau · aus schluss vorbei · pfingstliche exaltation greift von den figuren aufs publikum über. ende.

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Martin Glaz Serup

Flüchtlingsgedicht II

Die Lichter der Stadt prickeln still in der Hitze, in der Wärme es gibt viele ausgebrannte Häuser, eingestürzte Häuser Häuser, die keine Häuser mehr sind Häuser, die so stehenbleiben dürfen anklagend, warnend verlassene Häuser, verfallene Häuser ein Haus ist eine eingeschlagene Visage

Athen ist ein lächerlich sicherer Aufenthaltsort höre ich mehrmals jemanden sagen eine mit einem Griechen verheiratete Amerikanerin sagt beispielsweise

I would go anywhere any time of the day in this city of course, there are pick pockets, there are pick pockets everywhere you just have to be aware das klingt wie etwas zum Anziehen wear wear wear

Später sagt jemand das Gegenteil was auch immer du tust: geh hier nachts nicht auf die Straße die Flüchtlinge, sagt ein zweiter, ein dritter, aus Syrien sind in Ordnung, aber die aus dem Irak Afghanistan, die aus Afrika Raub und Überfälle, Gewalt auf den Straßen jeden Tag

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Die großen Privatyachten im Hafen, was sagen die Osip Mandelstam sagt über Homer und die Schlaflosigkeit dass das Meer brüllt, so schwarz, so redegewandt, so voller Schaum auch der Krieg zwischen Hellas und Troja schickte viele über das

Meer

über das Meer und in den Tod

Viele was viele Menschen

Eine leuchtende Zitrone ist von einem Baum gefallen ein so wohlriechendes und schönes Ding für die Hand

oder die Dunkelheit der Tasche

Abends streifen wilde Hunde über die Hügel oberhalb der Stadt

sie sind nicht gefährlich

höre ich mehrmals jemanden sagen sie erinnern an Wölfe, Wolfrudel

sagen die Leute, aber sie sind nicht gefährlich ich gehe durch ein Viertel mit billigen Antiquitäten

überall, oder einfach nur billigen Sachen überall, ein allumfassender Ausverkauf ausgebreitet auf Autos, Tischen, Bürgersteigen, Straßen auf kleinen, schmutzigen Stoffstücken liegen die Waren

Es fühlt sich archäologisch an nicht falsch wie es sollte

Ist es wirklich notwendig zu schreiben ja

143

Es fühlt sich archäologisch an

Die Container werden systematisch durchsucht

Die Menschen gehen ganz ruhig in der Sonne umher und suchen nach Essen

Flüchtlingsgedicht III

Die Bombardierungen wirbeln den Sand auf der Wind

die Menschen auch der Sand reist über das Meer

Ohne zu wissen ohne zu wissen wie ohne zu wissen wie es enden soll ohne zu wissen wo

Es soll enden.

144

Ich phantasiere über die Nordsee

Hugo Mujica schreibt über die Nacht indem

er auf die Trommel der Nacht einprügelt und das Leben indem er auf die Tür des Lebens einprügelt bis sie aufgeht er schreibt noch mehr was ich nicht verstehe

In dem Haus wo ich sitze schlafen alle mehrere von ihnen mit schlechtem Gewissen weil sie nicht stattdessen arbeiten

Ich sitze ganz still da ich höre alles Mögliche ich höre alle möglichen Geräusche ich phantasiere über die Nordsee

Der Schmerz in meinen Beinen und die Müdigkeit in meinen Beinen die Müdigkeit nachdem ich gegen die Tür einer Laufrunde gehämmert habe den ganzen Tag ohne hineinzukommen aber ich kam rein, ging raus, am Ende ich bin eine seltsame Trommel

Dieser Selbsthass

dass es jetzt okay ist müde zu sein war vorher nicht da als ich genauso müde war ist auch ein Geräusch

Übersetzt von Ursel Allenstein

145

Muanis Sinanović

EIN BESCHEIDENER MAGEN

Wurzeln spreizen aus wie Finger durch den Himmel, welcher langsam und graziös niedersteigt auf die übervollen Berglungen, die atmen, wie nachts die Ozeane.

Der ausbreitende Klang der Trompeten, nichts gesagt und ein Mangel an Nostalgie der Bedeutung. Die Grenzen aller Länder schlafen wie die existierenden Grenzen zwischen Menschen & tierischen Zellen & niemand muss sie abstreiten oder feiern. What are you ashamed

of? Of not not having enough knowledge to be a vehement lover of so-called humanity oder dafür dass du zu viel Wissen hast um still zu sein? Dies sind keine Kategorien die einen Einfluss haben könnten, während sich die ausbreitenden Spitzen der Äste in die Asche graben, unerreichbar, Antennenharpunen schiessen ins Leere, während der Himmel sehr langsam und graziös niedersteigt auf die übervollen Berglungen, als in dieser Stadt eine Feier stattfindet, die niemand hören und niemand auf einer Karte lokalisieren kann.

146

DER MOND ÜBER DER ARKTIS

Pikiert, beschmiert mit bemalten Zielscheiben, wie Lippenstift um die Lippen einer armseligen Kreatur oder eines Clowns. Ich suche

meine Spiralen, etwas zum Vernähen. Eine arktische Basisstation ins Eis hineingetrieben, Fundamente bilden Wurzeln im verdickten Wasser

Spatzen brüten zwischen zwei EisSchollen, sorgfältig, so dass die Schalen nicht zu Schaden kommen. Irgendetwas knackt hier immer, stürzt ein, die Eisbrecher mit Wolken über sich. Und es ist mir egal. Mir egal. (eine weniger pathetische Repräsentation ist immer noch eine Repräsentation)

Pulverisiertes Fleisch kriecht von der Membran meines Ohres, etwas Zerstäubtes, komplett Artifizielles, aber deswegen nicht weniger fleischiges Fleisch, das nicht meines ist oder das von irgendjemand anderem.

Ich suche meine Spiralen, vektorielle

Rasuren hinter den Kommas

meiner Ohren, Schweiss ohne Salz, die Erwartung von Menschen wie mit Lippenstift geschmiert

über die Spiegel. Wer wird was sagen?

Hier können Klänge nicht mehr länger kategorisiert werden nicht einmal anhand des Murmelns.

Basiere mich, werde bleich reine Schule für Urstronauten

Mancher Mond, gekratert nach archaischen Massstäben ohne Aneignung keine Flanellfalten lokaler Legenden.

Wir warten auf den Abend wenn eintausend Bohrmaschinen erwachen werden.

Der Mond verrückt sich um ein paar Zentimeter über der Arktis, heeeey

Übersetzt von Carlo Spiller

147

VON DER ANGST

moment! auf einmal schnappen sie, beissen sie, die zähne in meiner krone.

über dieser krone: eine weitere krone, und ihr gebüscheltes schaltwerk greift ineinander verstopft sich zu einen mund.

als ich dieses bild zu papier brachte, begann ich zu zittern vor angst, und schrieb, ich würde beginnen zu zittern.

Übersetzt von Ralph Tharayil

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